Inhalt Vorwort 8 Kapitel 1: Urin- und Blutuntersuchungen – welche sind sinnvoll? 11 Kapitel 2: Brauche ich in der Schwangerschaft zusätzliche Vitamine? 27 Kapitel 3: Was darf ich als Schwangere überhaupt noch essen? 41 Kapitel 4: Wie notwendig ist die Reihenuntersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes? 63 Kapitel 5: Ultraschall – wie viel will ich wissen? 77 Kapitel 6: Der Mutterpass – Risiken über Risiken 94 Kapitel 7: »Ü 40« und schwanger 101 Kapitel 8: Mehr Fürsorge in der Vorsorge! 116 Kapitel 9: Vorgeburtliche Programmierung 124 Kapitel 10: Wer ist eigentlich das Ungeborene? 138 Kapitel 11: D ie Schwangerschaft als Markt für Kurse und Globuli 149 Kapitel 12: W ie entbinden? Die Geburt zwischen Erlebnis und Risiko 161 Kapitel 13: Stillen ist Privatsache 178 Tipps zum Weiterlesen 202 Zitierte Quellen 203 Kapitel 3 Was darf ich als Schwangere überhaupt noch essen? Listerien im Käse, Toxoplasmen im Fleisch – Sie sind umzingelt von »gefährlichen Mikro­orga­nis­ men«! »Risikogesellschaft meint eine Epoche, in der die Schattenseiten des Fortschritts mehr und mehr die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bestimmen.« (Beck 1991) Vor wenigen Monaten hörte ich im Radio, dass eine große deutsche Discounterkette eine bestimmte Salamisorte zurückrief, weil bestimmte in der Schwangerschaft »gefährliche« Bakterien, sogenannte Listerien, darin gefunden wurden. Einige Tage später wurden Listerien in einer Schinkensorte in den schweizerischen Filialen einer anderen Supermarktkette identifiziert. Bereits drei Monate davor waren bundesweit verschiedene Käsesorten aus Belgien wegen darin gefundener Listerien aus dem Handel genommen worden. Ein Lokalsender betrieb gezielte Panikmache mit einem Bericht über die sogenannte Bakterienfalle für Schwangere, und im Internet jagten sich die warnenden Hinweise und Kommentare auf Webseiten zur Schwangerschaft. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden dieser Nachrichten läuteten in meiner und in zahlreichen weiteren Praxen vermehrt die Telefone: Es meldeten sich schwangere Frauen, die sich Sorgen um ihr Kind machten und die Angst hatten, etwas Infektiöses gegessen zu haben. Nahrungsmittelwarnungen tauchen mit einer gewissen Regelmäßigkeit in den Medien auf. Vielleicht haben auch Sie sich angesichts solcher Meldungen schon gefragt: Was darf ich denn jetzt überhaupt noch essen und trinken? Dieser Frage ist dieses Kapitel gewidmet. 41 Schwangerschaft ist keine Krankheit Dabei werde ich versuchen, anhand von fünf wichtigen Nahrungsmitteln polarisierend Folgendes aufzuzeigen: Auf der einen Seite beschreiben seriöse Quellen eine erdrückende Fülle gesundheitlicher Risiken, die sich aus dem Verzehr der jeweiligen Nahrungsmittel ergeben können. Auf der anderen Seite werden mögliche Maßnahmen und Verhaltensweisen aufgezeigt, mit denen Sie sich wirkungsvoll selbst schützen können. Es geht also um die Gratwanderung, sich nicht von den verschiedenen Risiken durch Nahrungsmittel erdrücken zu lassen. Die Botschaft dieses Kapitels lautet: Seien Sie vorsichtig, aber beugen Sie sich nicht dem »Diktat des Prinzips Vorsicht« wie es die französische Philosophin Elisabeth Badinter formuliert (Badinter 2010). »Risiko« Nr. 1: Eier und Milchprodukte Dürfen Sie während Ihrer Schwangerschaft unbesorgt Eier zu sich nehmen? Unter dem Suchbegriff »Eier« findet sich beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eine »Bewertung von Dioxingehalten in Eiern aufgrund einer Warnung im EU-Schnell­warn­system« (BfR 2010) und der Hinweis, dass »krank machende Salmo­nellen in knapp 30 Prozent der großen Legehennenbetriebe« nach­gewiesen wur­den. In Deutschland sind laut Robert-KochInsti­tut von Januar bis Au­gust 2011 13 000 Salmonellenerkrankungen gem­ eldet worden. Das ­klingt er­schreck­end, nicht wahr? Allerdings sind die gemeldeten Salmonellen-Infektionen in den vergangenen Jahren rückläufig. Noch viel wichtiger: Jeder Mensch kann sich durch Einhaltung ganz normaler Hygienemaßnahmen gezielt vor Salmonellen-Erkrankungen schützen. Dazu gehören die kühle Lagerung roher Lebensmittel, das Wegschütten von Auftauflüssigkeiten beispielsweise von Geflügel, die gründliche Reinigung von Küchengeräten und das Durchgaren der Lebensmittel. Speziell für die Osterzeit gibt es sogar Informationsbroschüren mit Titeln wie »Vorsicht beim Auspusten von Ostereiern«. 42 Was darf ich als Schwangere überhaupt noch essen? Fazit: Für die Schwangerschaft gehen keine spezifischen Risiken von Salmonellen aus. Es gelten die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie bei Nicht-Schwangeren. Eier sind also in durchgegarter Form (hart gekocht oder so gebraten, dass das Eigelb fest ist) in der Schwangerschaft »erlaubt«. Übrigens: Auch sogenannte Pseudomonas-Erreger, die zum Verderb von Mozzarella führen, bergen kein spezielles Risiko für Ihr Ungeborenes. Wie sieht es denn mit den Listerien aus? Anders verhält es sich mit »dem Überlebenskünstler unter den Keimen« (BfR), dem Keim Listeria monocytogenes, der weltweit vorkommt. Bei einer Infektion mit Listerien in der Schwangerschaft kann es zu Fehl- und Frühgeburten sowie zu schwerwiegenden Infektionen des Neugeborenen kommen. Das Bakterium kann während der gesamten Schwangerschaft über den Mutterkuchen oder bei der Geburt von der Mutter übertragen werden und zu einer Infektion des Ungeborenen führen. •• Eine Frühinfektion des Babys zeigt sich in der ersten Lebenswoche. Es kommt zu Atemnot, einer schweren allgemeinen Infektion (Sepsis) und zu Hautinfektionen. •• Eine Spätinfektion zeigt sich ab der zweiten Lebenswoche und führt häufig zu einer Gehirnhautentzündung. Listerien kommen vor allem im Erdboden vor und sind weitverbreitet. Häufig werden sie bereits beim Schlachten oder beim Melken auf die Lebensmittel übertragen. Auch mangelnde Hygiene spielt eine Rolle. Das Bakterium befindet sich vor allem in rohen, unbehandelten Produkten oder in fleischhaltigen Lebensmitteln. Besonders zu erwähnen sind: •• rohe, nicht pasteurisierte Milch (Rohmilch), •• Produkte aus solcher Milch, insbesondere Frischkäse wie Ricotta oder Feta sowie Weichkäse wie Romadur, Roquefort, Camembert, Brie (bei diesem vor allem die Rinde), •• Hackfleisch, Hackepeter, rohe Wurst, •• Räucherlachs. 43 Schwangerschaft ist keine Krankheit Auch Frischgemüse und vorgeschnittene und -gewaschene, in Tüten abgepackte Salate können mit Listerien verunreinigt sein. Man findet in 10 Prozent des Kopfsalats Listerien. Nur Karotten sind nahezu frei von diesen Keimen. Das Bakterium Listeria monocytogenes gilt als Überlebenskünstler, weil es beim Tiefgefrieren von Lebensmitteln überlebt und sich in einem Temperaturbereich von – 0,4 bis + 45 Grad Celsius vermehren kann. Es fühlt sich demnach sogar im Kühlschrank wohl. Selbst bei vermindertem Sauerstoffgehalt vermehren sich Listerien noch. Dies ist der Grund dafür, dass sie häufig in vakuumverpackten Lebensmitteln auftreten (www.bfr.bund.de). Zuverlässig abgetötet werden Listerien, wenn das Lebensmittel für mindestens zwei Minuten auf 70 Grad Celsius erhitzt wird. Wie gefährlich sind Listerien und wie können Sie sich schützen? Problematisch ist, dass die meisten Menschen eine Infektion mit Listerien gar nicht oder kaum wahrnehmen: Häufig treten, wenn überhaupt, nur grippeähnliche Symptome wie Fieber, Abgeschlagenheit, Muskelschmerzen und gelegentlich auch Durchfall auf. Aufgrund der fehlenden Krankheitszeichen können Sie also niemals sicher sein, ob Sie gerade gesund sind oder ob momentan eine Infektion abläuft, die Sie gar nicht bemerken. Schwangere werden in Bezug auf eine Listerien-Infektion zu der Gruppe der »besonders gefährdeten Personen« gezählt. Das ist beunruhigend und ängstigt viele Schwangere in hohem Maße. Doch wie viele Infektionen mit Listerien gibt es eigentlich in Deutschland? Die Listeriose zählt ganz offiziell zu den seltenen (!) meldepflichtigen Infektionskrankheiten. Gemäß aktueller Statistik (Epidemiologisches Bulletin 2011) sind im Jahr 2010 in ganz Deutschland nur 390 Fälle von Listeriose gemeldet worden. Im Zeitraum von 2001 bis 2009 – also im Verlauf von neun Jahren – wurden in Deutschland 3 090 Fälle von Listeriose gemeldet, darunter 233 Fälle bei Neugeborenen. Jährlich erkranken durchschnittlich 44 Was darf ich als Schwangere überhaupt noch essen? 3,7 Babys von 100 000 Neugeborenen an einer Listeriose (www.rki.de). Das sind 0,0037 Prozent der Neugeborenen. Diese recht niedrige Zahl allein soll hier nichts beschönigen. Bei den betroffenen Babys und bei abwehrgeschwächten Personen kann es zu teilweise schweren gesundheitlichen Schäden kommen. In meiner eigenen frauenärztlichen Praxis und in meiner jetzt mehr als 20-jährigen Zeit in der Frauenheilkunde habe ich allerdings bislang noch keine einzige klinisch relevante Listerien-Infektion bei einer Schwangeren erlebt. Verängstigung unnötig Auch wenn die Dunkelziffer nicht erkannter Infekte höher liegen mag: Meiner Meinung nach ist es weder sinnvoll noch notwendig, solche Panik in Bezug auf Listerien in der Schwangerschaft zu verbreiten. Wenn Sie oder Ihr Partner sich regelrecht vor diesen Erregern fürchten und daher keinen Käse mehr essen, wenn Sie den Lebensmitteln misstrauen und grundlegend verunsichert sind, dann haken Sie diese übermäßige Sorge bitte einfach ab. Verängstigen sollte keine ärztliche Leistung sein. Wesentlich wichtiger wäre es, dass Ihr Frauenarzt Sie darüber informiert, dass sich jeder Mensch bei Einhaltung bestimmter Maßnahmen wirkungsvoll vor Listerien schützen kann. Dazu gehören eine vernünftige Hygiene und Speisenzubereitung und die gezielte Vermeidung der oben genannten Nahrungsmittel. Fazit: Als Schwangere können Sie sich wirkungsvoll vor einer der seltenen Listerien-Infektionen schützen: Sie sollten auf Produkte aus rohem Fleisch wie Hackepeter, auf rohe Wurst, auf rohen Fisch und marinierte Fischerzeugnisse verzichten. Gleiches gilt für vorgeschnittene, verpackte Blattsalate und Rohmilch-Weichkäse sowie Sauermilchkäse, der als »Harzer Quargel« bekannt ist. Das genügt, das ist ein guter Schutz. Wenn Sie und Ihr Partner dies beachten, dann haben Sie die bestmögliche Vorsorge getroffen und können ganz beruhigt sein. 45