Ethik und Berufsethos im Unternehmen Hans Ulrich Gally Master of Advanced Studies in Applied Ethics, Uni Zürich Ethik SAQ Seite 1 Ethik SAQ Seite 2 Was wird besprochen: • Ein aktuelles Beispiel für angewandte Ethik im Pharmaunternehmen • Klärung der Begriffe „Ethik“ und „Recht“ • Einige elementare Grundlagen: wichtige Philosophen der „Ethik“ • Unternehmensmodelle und die Stellung der Ethik • Praktische Folgerungen für eine glaubhafte Unternehmensethik Ethik SAQ Seite 3 Verunreinigtes Heparin: betroffene Länder Ethik SAQ Seite 4 Verunreinigtes Heparin: betroffene Länder • Wirkstoff soll günstig eingekauft werden -> China • Wirkstoff Heparin war verunreinigt mit neuartiger Substanz • Mit der jetzigen Methode des europäischen Arzneibuchs konnte diese Verunreinigung nicht erkannt werden • Weder Firma noch Behörden habe die Herstellung inspiziert • In den traten bei Patienten allergische Reaktionen auf, die zu Todesfällen führte (Patienten schon geschwächt) • Weltweiter Rückruf, z.T. Versorgungsengpässe • Hektische Aktionen von Firmen, Behörden, ... Ethik SAQ Seite 5 Ethik SAQ Seite 6 Was heisst angewandte Ethik? • Ethik ist die Reflexion der sittlichen/ moralischen Orientierung, Hinterfragen der moralischen Alltagspraxis • Antike Ethik: teleologische (Ziel), das gute Leben wird angestrebt (Aristoteles) • Heute: Gründe und Motive des handelnden Subjekts wichtig – was ist es, was ich im Bezug auf andere tun oder lassen soll? Ethik SAQ Seite 7 Rechtsethik (Kant) • Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann. • Wenn also meine Handlung … mit der der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert …. Ethik SAQ Seite 8 Rechtspositivismus • Recht ist das, was nach einem bestimmten, festgelegten Verfahren (Gesetzgebung) normativ in Geltung gesetzt worden ist. • Recht kann ungerecht sein, aber es ist Recht nur, weil es denn Sinn hat, gerecht zu sein (G. Radbruch). • Offenbares „Unrecht“ kann gebrochen werden (Schiessbefehl in der DDR). Ethik SAQ Seite 9 Naturrecht • Sowohl der Begriff wie auch die Geltung des Rechts sind vom ethischen Leitgedanken der Gerechtigkeit abhängig. • Recht ist nur Recht, wenn es gerecht oder jedenfalls nicht offensichtlich ungerecht ist. • Gefahr des willkürlichen, „subjektiven“ Rechts. • Naturalistischer Fehlschluss: Tatsachen -> ethisch richtig Sein -> Sollen Ethik SAQ Seite 10 Kant, Recht und Moral • Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen. • Der Mensch ist Zweck an sich, er darf nie nur als Mittel gebraucht werden 1724 - 1804 • Ethisch Grundsätze ergeben sich aus richtigen Gebrauch der Vernunft – die selbstverschuldete Unmündigkeit wird so überwunden. Ethik SAQ Seite 11 Kant, kategorischer Imperativ • Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. • Reflektiere die bestehende Situation und leite daraus einen Handlungsgrundsatz ab, den du vor deinen Mitbürgern guten Gewissens vertreten kannst. Ethik SAQ Seite 12 Jeremy Bentham: Utilitarismus • das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl • Drei Prinzipien: - vorausschauenden Klugheit - Rechtschaffenheit - Wohltätigkeit 1748 - 1832 • Später: moralischen Status verschiedener Tätigkeiten abschätzen und werten Ethik SAQ Seite 13 J. Rawls / A Theory of Justice: Überlegungsgleichgewicht • Man hat feste Überzeugungen, in die man Vertrauen hat und die man nicht anzweifelt • Diese Überzeugungen in Beziehung bringen, gegeneinander prüfen und zu einem Gerechtigkeitskonzept vereinen 1921 - 2002 • Überlegungsgleichgewicht soll moralische Intuitionen, Regeln und Prinzipien vereinen und normative Regeln (Gesetze) und Nutzenerwägungen einbeziehen • Begünstigung des Schlechtestgestellten Ethik SAQ Seite 14 Unternehmen • Wie funktionieren Unternehmen in moralischer Hinsicht? • Präsentation von drei mögliche Theorien (Auswahl, es gibt viel mehr Theorien) Ethik SAQ Seite 15 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Unternehmen sind formale Organisationen und als solche können sie keine moralische Verantwortung gegenüber Individuen tragen, auch wenn Handlungen Organisationen zugeschrieben werden können. Ethik SAQ Seite 16 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Die Verantwortlichen in einer Organisation können als ihre Repräsentanten nur im Namen der Organisation Entscheide treffen und dabei allein die Zielsetzungen der Organisation im Auge behalten. Die Entscheidungsträger sind daher simple Instrumente der Organisation und sie sollen auch so behandelt werden. Ethik SAQ Seite 17 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Dementsprechend sind auch alle Personen einer Organisation austauschbar, sie sind nicht als Individuen von Bedeutung, sondern als Vollstrecker der Unternehmensziele. Ethik SAQ Seite 18 John Ladd: Unternehmen als Maschine • Die Bedürfnisse der Mitarbeiter sind nicht identisch mit den Bedürfnissen des Unternehmens. Dieses funktioniert wie eine Maschine und kann daher vernünftigerweise keine moralischen Verpflichtungen gegenüber Personen eingehen, so wie auch Personen keine moralischen Pflichten gegenüber dem Unternehmen haben. Die moralischen Rechte und Interessen von Aussenstehenden sind daher irrelevant für die Entscheidungen der Firmen. Ethik SAQ Seite 19 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Er geht davon aus, dass auch Unternehmen, ähnlich wie Personen, auf Grund von Absichten handeln, die sich aus den Eigenheiten des Unternehmens und seiner Intentionen folgerichtig ergeben. Das Handeln des Unternehmens ergibt sich wie folgt: einerseits setzt sich jedes Unternehmen klare Ziele, die zu erreichen sind. Aus dem Verfolgen dieser Ziele ergeben sich die Handlungsimpulse der Firma. Ethik SAQ Seite 20 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Die Entscheide über das Handeln ergeben sich aus der korporativen internen Entscheidungsstruktur und diese Struktur bildet auch die moralische Verantwortung der Firma ab. Diese Entscheidungsstruktur lässt freie Entscheide zu, die sich nicht automatisch aus den organisatorischen, strukturellen und materiellen Voraussetzungen ableiten lassen und ermöglicht auch neuartige Entscheidungen. Ethik SAQ Seite 21 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Diese Entscheidungen beruhen nicht nur auf den Entscheidungen einzelner Individuen, sondern erfolgen in einem hierarchisch geordneten Prozess. Dies stellt auch sicher, dass die Entscheidungsprozesse unabhängig von einzelnen Stelleninhabern, die ja wechseln können, ablaufen. Ethik SAQ Seite 22 Peter A. French: Unternehmen als verantwortlich handelnde Instanz • Diese Entscheidungsstruktur erzeugt also korporative Absichten und daher auch korporatives intentionales Handeln. Wer mit Absicht handelt erwägt auch die Folgen seiner Handlung und bezieht damit auch moralische Gesichtspunkte in seine Entscheidungen eine einer Korporation kann also als moralischer Akteur verstanden werden. Korporationen sind also moralisch verantwortlich für ihre Handlungen und Unerlassungen und haben dieselben Rechte und Pflichten wie Individuen. Ethik SAQ Seite 23 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Als sekundär moralische Handelnde sieht Patricia H. Werhane Korporation an und sie ordnet daher den Unternehmen eine sekundäre moralische Verantwortung zu. Diese sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch moralische Akteure, wobei sie dies allerdings nicht immer berücksichtigen. Ethik SAQ Seite 24 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Unternehmen betrachten sich als unabhängige, ökonomische Organisationen und sie wollen möglichst wenig staatliche oder rechtlichen Beschränkungen unterworfen sein. Sie beanspruchen das Recht auf Autonomie und ökonomischer Freiheit. Legale Rechte müssen, um gerechtfertigt zu sein, eine moralische Basis haben. Ethik SAQ Seite 25 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Falls daher Unternehmen legale Rechte auf Freiheit und Autonomie fordern, dann müssen sie auch moralische Rechte einfordern. Falls sie moralische Rechte besitzen, dann müssen sie auch moralische Verpflichtungen eingehen und sie können moralisch verantwortlich gemacht werden. Ethik SAQ Seite 26 Patricia Werhane: Unternehmen: sek. moralische Verantwortung • Die Handlungen von Unternehmen sind sekundäre Handlungen, die von primären Handlungen von rational handelnden Personen ausgelöst werden, die moralische urteilen und moralische Verantwortung tragen können. Unternehmen können also sekundär moralisch handeln, dies kann jedoch nicht einfach nur auf das primäre Handeln einzelner Personen zurückgeführt werden. Sie tragen also eine moralische Verantwortung und können von Einzelnen oder der Gesellschaft zur Rechenschaft gezogen werden Ethik SAQ Seite 27 Wo steht der einzelne • Funktionär im Dienste des Unternehmens oder freies Individuum, dass nach seinem Gewissen handeln kann oder sogar handeln muss? • Aus Freiheit folgt Verantwortung und die moralischen Pflichten. Kann ein Mitarbeiter aus dieser Freiheit „entlassen“ werden? Ethik SAQ Seite 28 Berufsethos • Persönliches Ethos und reale Berufswelt • Sind Handlungen im Berufsalltag moralisch neutral und haben erst ihre Auswirkungen moralischen Charakter • Genügt eine Befolgung von internen und externen Regeln (Stand der Wissenschaft und Technik) und der Gesetzen? • Werden auch ethische Normen befolgt? Ethik SAQ Seite 29 Berufsethos • Wer ist Verantwortungssubjekt, werden Verantwortungen zugeschrieben • Verpflichte ich mich auf Rationalität und Wahrhaftigkeit, Transparenz, Fairness und Dialogbereitschaft? • Bestehe ich im Ernstfall auf die Einhaltung dieser Prinzipien, auch wenn es nicht opportun scheint? • Bin ich im Unternehmen ein „freier Mensch“? Ethik SAQ Seite 30 Dilemmaentscheidungen • Wünschbare Ziele und Werte können nicht gleichzeitig erreicht werden. • Güterabwägung nur bei vergleichbaren Werten möglich (Mensch <-> Geld) • Risiko: Ergebnis einer Handlung mit Unsicherheit behaftete, wie bewerten? • Wie entscheide ich im „Ernstfall“ Ethik SAQ Seite 31 1. These zur Verantwortung Die Verantwortlichen für die Qualität und Sicherheit der Arzneimittel sind in erster Linie gegenüber dem Patienten als Person moralische verpflichtet, nur einwandfreie Arzneimittel zu vertreiben. Es ist ihr moralische Pflicht, die Sicherheit und Gesundheit des Patienten an erster Stelle zu setzen und sie müssen die Konsequenzen ihres Handelns grundsätzlich gegenüber ihm als Person rechtfertigen können. Ethik SAQ Seite 32 2. These zur Verantwortung Das Unternehmen hat für eine Organisation zu sorgen, die sicherstellt, dass Verantwortungen klar zugewiesen werden und Entscheide zur Qualität und Sicherheit der Arzneimittel vom den dafür moralisch Verantwortlichen unabhängig von anderen Interessen der Organisation gefällt werden können. Ethik SAQ Seite 33 3. These zur Verantwortung Bei komplexen Entscheiden mit der Beteiligung mehrere Personen muss gewährleistet sein, dass die moralische Verantwortung gegenüber dem Patienten effektiv wahrgenommen wird. Eine oder mehrer Personen müssen für die Entscheide persönlich die moralische Verantwortung übernehmen. Diese Personen müssen klar bezeichnet werden, eine Verantwortungsdiffusion, bei der die Verantwortung niemanden mehr klar zugeschrieben werden kann, darf nicht vorkommen. Ethik SAQ Seite 34 4. These zur Verantwortung Das Unternehmen als ganzes hat gegenüber dem Patienten den Status einer moralischen Person (eines Gegenübers) und muss dementsprechend die moralische Verantwortung für Schäden übernehmen. Der Patient darf gegenüber dem Unternehmen nicht nur Bittsteller sein, sondern er hat Anspruch auf einen verantwortlichen Ansprechpartner, der ihn als Person ernst nimmt und auf seine berechtigen Ansprüche eingeht. Dies gilt unabhängig von der Verantwortung einzelner Mitarbeiter des Unternehmens, die möglicherweise Verursacher eines Schadens sind und persönlich dafür haftbar gemacht werden können. Ethik SAQ Seite 35 5. These zur Verantwortung Ein Unternehmen muss sich seiner moralischen Verantwortung bewusst sein und durch das interne Führungs- und Wertesystem sicherstellen, dass eine entsprechende Unternehmenskultur existiert und so die moralische Verantwortung wirklich wahrgenommen werden kann. Ethik SAQ Seite 36 Ethik-Check für den Alltag Vor einem wichtigen Entscheid folgende Fragen beantworten: • Ist es legal Verletzte ich Gesetzte oder Grundsätze der Firmenpolitik? • Sind die Risiken berücksichtigt und richtig gewertet worden? Berücksichtigt der Entscheid die Risiken für den Patienten und die Firma (sind die Ziel erreichbar)? • Welche Gefühle werde ich nach dem Entscheid haben? Würde ich dieses Medikament (Charge) meiner Frau oder meinen Kinder geben? Würde ich mich wohl fühlen wenn mein Entscheid in den Medien publiziert würde, in der Öffentlichkeit diskutiert würde? Ethik SAQ Seite 37 Ethik SAQ Seite 38