Biomaterialien Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 1 Alterung und Degradation von Werkstoffen Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 2 Alterung und Degradation von Werkstoffen Die Wirkung von biologischer Umgebung auf Werkstoffe kann überraschend stark ausfallen Zunächst legen die Bedingungen eine solche Wirkung nicht nahe: • Neutraler pH • Niedrige Salzkonzentration • Moderate Temperatur • Keine aggressiven org. Lösemittel Doch spezielle Mechanismen können zur Schädigung bzw. zu völligem Abbau und Resorption der Werkstoffe führen: Mechanismen, die lebende Organismen befähigen, eingedrungene Fremdkörper unschädlich zu machen, greifen auch moderne Biomaterialien an Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 3 Alterung und Degradation von Werkstoffen Spezielle Bedingungen, spezielle Mechanismen 1: • Kombination von biologischem/chemischem Angriff und mechanischen Belastungen, die zu Abrieb („wear debris“) und Fragmentierung führen. Das sind kontinuierliche, vor allem aber zyklische Belastungen. • Lokale, tatsächlich wirksame Werte (pH, Ionenkonzentration), über die die durchschnittlichen Werte nichts aussagen • Die ionenhaltige Umgebung ist elektrisch leitfähig, elektrochemisch aktiv und kann zur Ausbildung von Lokalelementen beitragen (Korrosion) • Proteine adsorbieren am Material und können, im Falle von Metallen, durch Bindung und Abtransport der Produkte die Korrosion beschleunigen • Mineralien (vor allem Calciumphosphate) können zu unerwünschter Calcifizierung führen Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 4 Alterung und Degradation von Werkstoffen Spezielle Bedingungen, spezielle Mechanismen 2: • • Zellen sezernieren oxidative Enzyme und Substanzen, die direkt das Biomaterial angreifen, sowie Protonen die ein saures Mikromilieu erzeugen Durch die Konzentration solcher Agenzien zwischen Zelle und Material ergeben sich hohe wirksame Konzentrationen, eine Verdünnung durch das umgebende wässrige Milieu tritt nicht ein. Synergien der Wirkung: • Rissbildung durch mechanische Belastung führt zu größerer und aktiver Wechselwirkungsfläche • Quellung durch Aufnahme von Wasser hat ein ähnliches Resultat • Abbauprodukte können den lokalen pH-Wert ändern Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 5 Alterung und Degradation von Werkstoffen Zellen sezernieren oxidative Enzyme und Substanzen, die direkt das Biomaterial angreifen, sowie Protonen die ein saures Mikromilieu erzeugen 50 µm Beispiel: Osteoklast Zellbesiedlung: H. Domaschke, cLSM: Th. Hanke Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 6 Alterung und Degradation von Werkstoffen Osteoklasten auf PHB „PHB top“ nach 5 Wochen Aktin: rot; Zellkerne: blau 2-channel fluorescence image PHB top Image surface area difference + 41.1 % AFM image PHB-Präp. M. Wollenweber, Zellbesiedlung: H. Domaschke, AFM & Fluoreszenzmikroskopie: Th. Hanke Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 7 Alterung und Degradation von Werkstoffen Destruktive Alterung kann bis zum teilweisen oder vollständigen Abbau führen Biodegradation Gewünscht oder unerwünscht Vorhergesehen und geplant oder überraschend Im Sinne der Biomaterialverwendung (auch bei Komponenten des Biomaterials) oder gegen die ursprüngliche Intention Kurzfristig (Minuten, Stunden) oder langfristig (Jahre, Jahrzehnte) Biomaterial kann dabei aufgelöst werden, schrumpfen, aufweichen oder hart werden Die entstehenden Produkte können toxisch sein oder, auf vorbedachte Weise, pharmakologisch wirksam Degradiert werden Metalle, Keramiken, Polymere und Verbundwerkstoffe Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 8 Alterung und Degradation von Polymeren Polymere Komponenten von komplexen Implantaten • • sind meist für die Gesamtlebensdauer dieser Implantate verantwortlich (infolge unerwünschter Biodegradation) können durch partielle Degradation die Wechselwirkung zwischen Implantat und Gewebe verbessern (biokonduktiv, erwünschte und geplante Degradation) Vollständig resorbierbare polymere Implantate • • verschwinden restlos nach Erfüllung ihrer Funktion werden durch Hart- oder Weichgewebe ersetzt Steigerung der Degradierbarkeit kann durch Bearbeiten vor der Implantation (z.B. radiolytisch durch γ-Bestrahlung) • Erwünscht zur besseren Resorption, Verbesserung des chem. Abbaus • Unerwünscht als Nebeneffekt der γ-Sterilisation Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 9 Alterung und Degradation von Polymeren Physikalische Mechanismen der Alterung von Polymeren: • Quellung • Aufweichung • Verhärtung Extraktion wichtiger Komponenten (z.B. Weichmacher) • Mineralisierung, spez. Calcifizierung • Kristallisation amorpher Strukturen (z.B. Entglasung) • De- und Umkristallisation • Belastungsbruch (bei Spannung) • Ermüdungsbruch (bei Schwingung) • Bruch durch Gewalteinwirkung Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 10 Alterung und Degradation von Polymeren Chemische der Alterung von Polymeren: • Thermisch induziert – Strangbrüche durch Radikale – Depolymerisation Hydrolytisch • Hydrolytisch • Oxidativ Oxidativ • Photolytisch – Strangbrüche durch Radikale • Radiolytisch – Strangbrüche durch Radikale • Tribochemisch – Belastungsinduzierte Radikalreaktionen … und Kombinationen (z.B. bei Vorschädigungen) Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 11 Hydrolytische Biodegradation von Polymeren Hydrolyse ist der Bruch von Bindungen durch die Reaktion mit Wasser A-B + H-OH A-H + B-OH Hydrolyse kann durch Säuren, Basen und Salze sowie durch Enzyme katalysiert werden Typische, durch Hydrolyse spaltbare Gruppen sind Carbonylgruppen, die an Heteroelemente (O, N, S) in den Kohlenstoffketten gebunden sind (z.B. Amide, Imide, Ester, Urethane, Carbonate, Anhydride) Typ 1 Weitere, unter bestimmten Bedingungen durch Hydrolyse spaltbare Gruppen sind Ether, Phosphonate, Sulfonate, Acetale, Nitrile Typ2 Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 12 Hydrolytische Biodegradation von Polymeren Hydrolysierbare funktionelle Gruppen von Polymeren Typ 1 PHB PA PU Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 13 Hydrolytische Biodegradation von Polymeren Schwer hydrolysierbare funktionelle Gruppen von Polymeren Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 14 Hydrolytische Biodegradation von Polymeren Die Geschwindigkeit der Hydrolyse an geeigneten funktionellen Gruppen hängt von einigen weiteren Umständen ab, wie • • • • • Position und Zugänglichkeit der hydrolysierbaren Gruppe – Haupt- () oder Seitenkette () – Hydrophobe () oder hydrophile () Umgebung Hohe () oder niedrige () Kristallinität Hohe () oder niedrige () interne Vernetzung Hohes () oder niedriges () Verhältnis von Oberfläche zu Volumen (Porosität) Vorschädigung durch mechanische oder radiolytische Belastung () Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 15 Hydrolytische Biodegradation von Polymeren Auslöser der Hydrolyse im Gewebe: Wasser Zutritt von Wasser muss gewährleistet sein! • Nur wenige Polymere (z.B. Polyglykolsäure) werden nur durch reines Wasser hydrolysiert Beschleunigung der Reaktion durch • Ionenkatalyse: Extrazelluläre Flüssigkeiten enthalten H+, OH-, Na+, Cl-, HCO3-, PO43, K+, Mg2+, Ca2+, SO42• Säure-, Basekatalyse: Lokale pH-Wert-Änderungen in der unmittelbaren Umgebung implantierter Biomaterialien • Enzymatische Katalyse durch Hydrolasen (Proteasen, Esterasen, Lipasen, Glykosidasen), am effektivsten im direkten Zellkontakt (z.B. bei Phagocytose) Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 16 Nukleotid Monosaccharid Polypeptid Protein Nukleinsäure Polysaccharid (Kohlenhydrat) Hydrolyse Aminosäure Kondensationsreaktionen Kohlenhydrate, Proteine, Lipide, Nukleinsäuren Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 17 Hydrolytische Biodegradation von Polymeren Hydrolasen Amylasen (α-Amylase spaltet die α(1-4)-Glykosidbindung der Amylose. Dadurch entstehen Dextrine und daraus Maltose, Glucose und verzweigte Oligosaccharide, βAmylase spaltet vom Kettenende her jeweils ein Maltosemolekül nach dem anderen ab) Nukleasen, z.B. Desoxyribonuklease (Enzym, das Desoxyribonukleinsäurketten (DNA) in kürzere Molekülketten oder die Einzelbausteine zerlegt - Nuklease) Esterasen (Ester niederer Carbonsäuren werden hydrolytisch in Alkohol und Säure gespalten) Glykosidasen (katalysieren reversibel die Hydrolyse einer glykosidischen Bindung Chitinase, Chitosanase) Peptidasen (Proteasen, Proteinasen, proteolytische Enzyme Kollagenasen [Kathepsin K Osteoklast], Pepsin, Trypsin) u.a. Spalten Biopolymere, können auf Grund ihrer hydrolytischen Aktivität auch an geeigneten synthetischen Polymeren wirken Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 18 Oxidative Biodegradation von Polymeren Oxidative Bindungsspaltung • Homolytisch • Hetrolytisch . R-R R + R R-R R + . - +R Produkt muss stabilisierbar sein (Delokalisation) • Direkte Oxidation durch das Umgebungsgewebe • Oxidation durch anderes Implantatmaterial (z.B. Metallionen) Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 19 Oxidative Biodegradation von Polymeren Angriffspunkte Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 20 Oxidative Biodegradation von Polymeren Resonanz Delokalisation Notwendige Stabilisierungsmechanismen Oxidation Resonanz Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 21 Oxidative Biodegradation von Polymeren Die direkte Degradation durch das Umgebungsgewebe wird hauptsächlich durch reaktive Moleküle von aktiven phagocytierenden Zellen bewirkt Granulozyten [v.a. Neutrophile (polymorphonucleare Leukozyten, PMN)] Monozyten Makrophagen Foreign Body Giant Cells (FBGC) PMN FBGC Makrophage Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 22 Oxidative Biodegradation von Polymeren Foreign Body Reaction FBR Entzündung Foreign Body Giant Cell FBGC Polymorphonuclear Neutrophils PMNs Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 23 Oxidative Biodegradation von Polymeren Bildung von Oxidantien in phagozytierenden Zellen während der Phagozytose Reactive oxygen species = ROS SOD: Superoxiddismustase MPO: Myeloperoxidase, Enzym in neutrophilen Granulozyten Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 24 Oxidative Biodegradation von Polymeren Folge der oxidativen Biodegradation: z.B. Spannungsrissbildung (stress cracking ) unter chemischem Abbau an Polymeroberflächen mit adhärenten Zellen und anliegenden Geweben Charakteristisch sind Schäden mit rauen Flanken (Dehnungsbrüche), die meist im rechten Winkel zum Belastungsvektor auftreten Verbindende Faserstränge über den Bruch können auftreten Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 25 Oxidative Biodegradation von Polymeren Folge der oxidativen Biodegradation: weitere Metallionen-induzierte Oxidation Unterscheidet sich in charakteristischen Eigenschaften der Brüche: Glatte Flanken, Ungeordnete Richtungen im mikroskopischen Bereich, Sprödbrüche Makroskopisch können die Brüche entlang der Metallstrukturen des Implantats verlaufen Chemische Degradationsprodukte werden tiefer im Material nachgewiesen als beim stress cracking (Diffusibilität der Ionen) Metallionen werden freigesetzt durch Lösung, galvanische, elektrolytische Korrosion, chemische oder biochemische Oxidation Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 26 Oxidative Biodegradation von Polymeren Folgen der oxidativen Biodegradation: Metallionen-induzierte Oxidation Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 27 Gekoppelte Biodegradation von Metallen und Polymeren Bildung von Metallionen aus Metallen (Biokorrosion) . M+n + -PH- M+(n-1) + -P - + H+ 2M0 + 2H+ 2M+ + H2 4M0 + O2 + 2H2O 4M+ + 4OH 0 + - 2M + H2O2 2M + 2OH 0 + Oxidation der Polymere durch Metallionen initiiert M+n + -PH- M+(n-1)H + -P+- . M + HOCl M + HO + Cl- -PH- = Polymer Usw. Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 28 Biodegradation von Metallen Korrosion Wasserstoff- / Sauerstoffkorrosion („aqueous corrosion“) Galvanische Korrosion Anodische Teilreaktion: M(1) M(1)+ + e- Kathodische Teilreaktionen: („aqueous“) 2H+ + 2e- H2 Wasserstofftyp in allen KE, z.B. Verformungs-KE O2 + 4H+ + 4e- 2H2O (sauer) O2 + 2H2O + 4e- 4OH- (neutral, basisch) Sauerstofftyp (in Medien im Organismus, z.B. Blut) z.B.in Konzentrations-KE, Belüftungs-KE (galvanisch) M(2)+ + e- M(2) Lokalelemente, z.B. in Legierungen, beim Kontakt unedler und edler Metalle z.B. in Kontakt-KE, Mikro-KE, interkristalline KE Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 29 Biodegradation von Metallen Elektrochemische Spannungsreihe Abscheidung bzw. Auflösung entsprechend der Stellung in der Reihe (edel vs. unedel) reaktionsträge Metalle weitere Mechanismen, wie Passivierung durch Bildung einer Oxidschicht (z.B. Ti, Al, Cr), auch anderer Salze (Carbonat, Sulfat) sind wesentlich (eigentlich) hochreaktive Metalle Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 30 Biodegradation von Metallen Die Anwesenheit von Zellen oder Biomolekülen verändert nicht die Prinzipien der metallischen Korrosion, modifizieren aber den Ablauf und die Wirkung • Die biologische Umgebung verschiebt das chemische Gleichgewicht, indem Reaktionsprodukte der kathodischen oder anodischen Teilreaktion daraus entfernt werden – Proteine binden anodisch freigesetzte Metallionen und transportieren sie von der Oberfläche weg Auflösung des Metalls wird verstärkt – Der kathodisch gebildete Wasserstoff wird aus dem Gleichgewicht entfernt Korrosionsprozess wird verstärkt – In sauerstoffreichen Bereichen kann Sauerstoff nachgeliefert werden Kathodenreaktion und Korrosionsprozess wird verstärkt Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 31 Biodegradation von Metallen Die Anwesenheit von Zellen oder Biomolekülen verändert nicht die Prinzipien der metallischen Korrosion, modifizieren aber den Ablauf und die Wirkung • Die Stabilität der passivierenden Oxidschicht hängt vom Elektrodenpotential, dem pH und der Sauerstoffkonzentration ab – Adsorbierte Proteine und Zellen können das Elektrodenpotential verändern sowie den lokalen pH-Wert, was zur Destabilisierung der Passivschicht führt – Hohe Ionenkonzentrationen (z.B. Chlorid) führen zur Lochkorrosion durch Einbau in die Passivschicht sowie deren Zerstörung (Lochfraß) – Die Repassivierung wird verhindert, wenn Proteine und Zellen adsorbiert sind, die eine Diffusionsbarriere für den Sauerstoff darstellen (Sauerstoffdefizit) • Entzündungen um das Implantat herum senken den pH-Wert erheblich ab Korrosionsprozess wird verstärkt Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 32 Biodegradation von Metallen Ti 4µg = 0,83 µmol Y. Okazaki et al. Biomaterials 25 (2004) 5913-5920 Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 33 Biodegradation von Metallen Ti 4µg = 0,83 µmol Y. Okazaki et al. Biomaterials 25 (2004) 5913-5920 Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 34 Biodegradation von Metallen 1µM TiCl4 CCL17/TARC (thymus and activation-regulated chemokine) and CCL22/MDC (macrophage-derived chemokine) = ligands for the chemokine receptor CCR4 D Cadosch, OP Gautschi, E Chan, HP Simmen, L Filgueira: J BIOMED MAT RES A 92A 475-483 (2010) Vorlesung Biomaterialien Folie Nr. 35