Blauzungenkrankheit (Bluetongue - Disease, BT) Hintergründe und Bekämpfung in Österreich und in Europa Stand 16.12.2008 Dr. Claudia Litzllachner, Landwirtschaftskammer Österreich unter Mitarbeit und Unterlagen von Mag. Simon Stockreiter, Gesundheitsministerium Abt. IV/B/6 Univ. Prof. Dr. Armin Saalmüller Dr. Wilfried Adams, Dr. Peter Heimberg, TGD NRW Institut für Immunologie Department für Pathobiologie Veterinärmedizinische Universität Wien Inhalt 1. Allgemeine Informationen zur Krankheit 2. Vorkommen der BT in Europa 3. BT Überwachung in Österreich 4. BT in Österreich 5. Bekämpfungsstrategien 6. Impfung 1. Allgemeine Informationen zur Krankheit Allgemeine Informationen zur Krankheit • Anzeigepflichtige Tierseuche • Erreger: Orbivirus (24 Serotypen) • Empfängliche Tierarten: Rinder, Schafe, Ziegen, Wildwiederkäuer, Kameliden • Übertragung durch Insektenbiss (Gnitzen) • Verbreitung hpts. durch Insekten (Wind) aber auch über Handel (Tiere, Samen, Eizellen und Embryonen) möglich Klinik BT Virus schädigt Blutgefäße Symptome ähnlich Maul- und Klauenseuche mildes Fieber, Durchblutungsstörungen an Kopfschleimhäuten („blaue Zunge“, Rötungen, Schwellungen), Nase, Euter und im Klauenbereich, Speichelfluss, Milchrückgang, Fruchtbarkeitsstörungen Schaf / Ziege : variierender Verlauf (manchmal klinisch unauffällig, hfg. auch schwere Erkrankungen mit tödlichem Verlauf) Rinder: meist milder Verlauf, Fieber, Leistungsrückgang Klinik Morbidität – Mortalität – Letalität der BT in Deutschland Quelle: FLI, Daten bis 31.12.07; Morbidität: Verhältnis zwischen kranken und gesunden Tieren Mortalität: Anzahl der Todesfälle, bezogen auf Gesamtzahl der Individuen Letalität: Anzahl der Todesfälle, bezogen auf Anzahl der erkrankten Tiere Keine Gefährdung des Menschen durch • Krankheit • Verzehr von Fleisch oder Milch von geimpften Tieren • Aber akute Probleme bei allen Wiederkäuern 2. Vorkommen der BT in Europa Vorkommen der BT in Europa • Bis 2006 Vorkommen in Afrika, Asien, Süd-Mittelamerika • 2006: erstmaliges Auftreten von Serotyp 8 im Norden Europas (BeNeLux, D) • 2007: explosionsartige Ausbreitung in D (2006: 885 Fälle, 2007: 20.500 Fälle), BeNeLux • 2008: fast alle Europäischen Länder betroffen • Weitere Ausbreitung ist nicht aufzuhalten internationale Tiertransporte aus betroffenen Gebieten (BTV 8) sind erlaubt Gefahr der Mückenausbreitung und Virusverbreitung Vorkommen der BT in Europa 3. BT Überwachung in Österreich BT Überwachung – entomologisches Screening • Durchgeführt seit 2007 • 54 Insektenfallen, wöchentlich geleert • Zählung und Auswertung durch Naturhistorisches Museum Wien • Anzahl und Vorkommen der Überträgermücken erfasst Mückenmonitoring 1400000 1200000 1000000 800000 2008 2007 600000 400000 200000 0 Jän März Mai Juli Sep Nov Mehr als 2,5 Mio. Überträgermücken wurden allein im Jahr 2007 in den Mückenfallen ausgezählt, im Jahr 2008 um ein Vielfaches mehr die Mücken sind in Österreich vorhanden. BT Überwachung - Vorkommen von BT • Passive Überwachung (alle verdächtigen Tiere sind dem ATA zu melden) • Blutproben aus anderen Untersuchungen werden standardmäßig auf BT untersucht • „Sentineltiere“ : 150 Rinder pro regionaler Einheit; monatliche Blut oder Milchprobenentnahme und Untersuchung auf BT; derzeit in Vbg, Tirol, Salzburg und Braunau durchgeführt, Ausdehnung auf ganz Österreich in Vorbereitung 4. BT in Österreich BT in Österreich 5. Mai 2008: wegen Ausbrüchen in Bayern und Baden Württemberg Einrichtung von Schutz- und Kontrollzonen in Vorarlberg und Tirol BT in Österreich 4. November 2008: wegen BT Fall in Tschechien Einrichtung von Schutz- und Kontrollzonen in Ober- und Niederösterreich BT in Österreich 18. November 2008: Einrichtung von Zonen in OÖ und Salzburg wegen erstem BT Fall in Österreich festgestellt bei einem Rind auf einem Betrieb in Schärding 12. Dezember 2008: Bestätigung des zweiten Falles von BT in Ö (Kalb in Vorarlberg) BT in Österreich 16. Dezember 2008: Erste Ergebnisse des BT Screenings im Bezirk Schärding: Neun weitere Fälle bei Rindern, jedoch bisher keine klinische Anzeichen einer Erkrankung Somit Stand in Österreich: 11 Fälle von Blauzungenkrankheit auf 6 Betrieben Zwischenbericht des Überwachungsprogrammes in Schärding deutet auf mehrere weitere positive Fälle hin 5. Bekämpfungsstrategien Bekämpfung der Blauzungenkrankheit 1. Vektorenbekämpfung: Bekämpfung der Blauzungenkrankheit 1. Vektorenbekämpfung: - ineffizient - Anwendung von Insektiziden und Repellentien nur in kleinem Rahmen (Stall, Transportmittel, Einzeltiere) möglich (z. B. Bayofly pour-on®) Bekämpfung der Blauzungenkrankheit 1. Vektorenbekämpfung 2. Nichts unternehmen bedeutet ungehinderte Ausbreitung aus wirtschaftlichen Gründen und aus Tierschutzgründen ! NICHT VERTRETBAR ! Bekämpfung der Blauzungenkrankheit 1. Vektorenbekämpfung 2. Nichts unternehmen 3. Impfung 6. Impfung Impfungverhindert Vermehrung des Virus im Wirt Gnitzen Impfung Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Prinzip der Infektion Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Vermehrung des Erregers im Tier - Verstärkte Übertragbarkeit Prinzip der Impfung Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Geimpftes Tier Keine oder stark reduzierte Vermehrung des Erregers im Tier, daher verminderte Übertragung des BT Virus durch die Mücke Ziel der Impfung Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Aufbau einer schützenden Immunität Was ist das? Aufbau einer schützenden Immunität Impfstoff x Stimulation Immunsystem Bildung von BTV-spezifischen Antikörpern Bildung von langlebigen BTV-spezifischen Gedächtniszellen Schutz vor einer BTV-Infektion Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Bildung von BTV-spezifischen Antikörpern YY Y YY Y Y Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Bildung von BTV-spezifischen Antikörpern Virusneutralisation Y Schutz des geimpften Tieres Weniger übertragbares Virus Unterbrechung der Infektionskette BTV-spezifische Gedächtniszellen Impfung Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Vermehrungsphase von BTV-spezifischen Immunzellen Bildung von so genannten immunologischen Gedächtniszellen Schnelle und bessere Immunreaktion Besserer Schutz vor einer Infektion Infektion Impfung bei BTV • einzig erfolgversprechende Maßnahme bei BTV • fast europaweit flächendeckend durchgeführt • sehr gute Erfolge in Ländern die bereits seit längerer Zeit impfen (Schweiz, Deutschland) • Alle Vertreter der Landwirtschaft, der Zuchtverbände und die Fachexperten der Veterinärmedizin treten für die Impfung ein Impfung Voraussetzung für Erfolg: möglichst hohe Durchimpfungsrate Wildtiere als „stille Träger“ nicht erfassbar Impfung Voraussetzung für Erfolg: möglichst hohe Durchimpfungsrate Kann mit freiwilligen Impfungen nicht erreicht werden! Amtlich angeordnete, verpflichtende Impfung gemäß Tierseuchengesetz! Warum verpflichtende Impfung? • In Kontinentaleuropa und Skandinavien wird allgemein die Impfpflicht als richtiger Weg angesehen. • Freiwillige Impfung bedeutet Kostentragung durch den Landwirt • Impfung immer Güterabwägung: Vorteile überwiegen bei weitem • Durchseuchen bedeutet mehr Tierleid als Krankheitsverhinderung durch Impfung • Minimierung volkswirtschaftlicher Schäden und Folgeschäden (Milch- und Molkereiwirtschaft, Viehverkehr, vor- und nachgelagerte Wirtschaftsstufen) Einheitliche Umsetzung nötig, weil… • Tiertransporte quer durch Ö aufgrund zentraler Lage hoch • Kaum Viehverkehrsbeschränkungen für Tiertransporte möglich • Ausfuhr aus Ö: ca. 90.000 Kälber und Einsteller jährlich in andere EU-Staaten, ca. 20.000 Zuchtrinder in EU und Drittstaaten • Eine Durchseuchung wäre für Ö ein viel größerer Nachteil auf den Absatzmärkten als die Durchimpfung • Nebeneinander von geimpften und nichtgeimpften Betrieben bedeutet: Virus kann sich in nicht geimpften Betrieben halten, keine gemeinsamen Kälbermärkte, Zuchtrinderversteigerungen, Gemeinschaftsweide, hoher Kontrollaufwand ATA und Einzeltieruntersuchungen Impfprogramm in Österreich • seit Juli in Vorarlberg und Tirol Impfprogramm in Österreich • seit Juli in Vorarlberg und Tirol • Im November Start in OÖ und Norden Salzburgs Impfprogramm in Österreich • seit Juli in Vorarlberg und Tirol • Im November Start in OÖ und Norden Salzburgs • ab 15. Dezember österreichweit Ziel: mit Weidesaison 2009 alle Tiere „geschützt“ Impfprogramm in Österreich • organisiert von Ländern • durchgeführt von autorisierten ImpftierärztInnen • setzen sich mit Tierhaltern zwecks Terminvereinbarung in Verbindung • den Tierhaltern erwachsen derzeit keine Kosten durch Impfung! Impfprogramm in Österreich Zu impfen sind: * Alle Schafe und Ziegen ab einem Alter von 1 Monat 1x * Alle Rinder ab einem Alter von 3 Monaten (auf Wunsch des Tierhalters auch ab 1 Monat) 2x im Abstand von 4 Wochen * jährliche Auffrischungsimpfungen Nicht geimpft werden: * Besamungsstiere, Stiere in Wartestallhaltungen und Aspirantenstiere * Sentineltiere * Maststiere und Mastochsen in Boxenhaltung Impfprogramm in Österreich In Österreich verwendeter Impfstoff: BTVPUR AlSap8, Fima Merial nach §25 a Tierseuchengesetz zugelassen enthält • Impfantigen: "abgetötete" BT-Viren • Adjuvantien ("Hilfsstoffe") • Saponin, ungiftig • Aluminiumhydroxid (Al(OH)3), ungiftig • Keine Konservierungsstoffe • Kein Quecksilber (Thiomersal) Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien Was sind Adjuvantien • Hilfsstoffe zur Stimulation des angeborenen Immunsystems bei Impfungen Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien • Verstärkung der Immunreaktion bei Impfungen • lokale Entzündungsreaktion (Schwellung, Rötung) an der Impfstelle möglich • minimal dosiert • die im BTV-Impfstoff verwendeten Adjuvantien sind in vielen anderen, in Ö seit Jahren eingesetzten Impfstoffen auch im Humanbereich vorhanden Impfung gegen BTV - Nebenwirkungen • Durch die Impfung kommt es zur einer gewünschten Reaktion des Immunsystems. Institut für Immunologie Veterinärmedizinische Universität Wien • Als Nebenwirkungen können lokale Schwellungen und leichtes Fieber auftreten. • Diese Nebenwirkungen sind auch aus der Humanmedizin nach Impfungen bekannt. Impfstoff BTVPUR AlSap 8 BTVPUR AlSap8, Fima Merial Verträglichkeits- und Wirksamkeitsstudie des FLI (Friedrich Löffler Institut, Deutschland) mit 302 Rindern und 362 Schafen * keine negativen Auswirkungen des Impfstoffes festgestellt! * keine Auswirkungen auf Michleistung und Milchzusammensetzung! * keine erhöhte Anzahl von Verlammungen! * kein einziger Todesfall! * bei manchen Tieren vorübergehende Rötung/Schwellung an Injektionsstelle * gute Wirksamkeit bei Rindern und Schafen nachgewiesen! Erfahrung mit Impfung in Ö Zellzahlen der Anlieferungsmilch aus Vorarlberg 201.50 Sommer 2007 - Sommer 2008 (mit BT-Impfung) 201.00 200.50 200,80 200.00 Zellzahlen der Anlieferungsmilch Sommer 2007Sommer 2008 (BTImpfung) 199.50 199.00 198.50 198.00 197,80 197.50 197.00 196.50 196.00 Mittel SO07 Mittel SO08 • Im Mittel ist die Zellzahl im Vergleich Sommer 2007 - Sommer 2008 sogar um 1,5 % niedriger! • Abortusfälle um den Zeitraum der Impfung konnten auf andere, infektiöse Ursachen zurückgeführt werden. • Ähnliche Beobachtungen in Tirol. Erfahrungen zur Verträglichkeit der BTVakzine in NRW (Dr. Adams) • • • • Abgesehen von leichten lokalen Reaktionen wurden Nebenwirkungen bei Wiederkäuern nicht beobachtet. Umfangreiche lokale, bis zu faustgroße ödematöse Schwellungen bei > 50 % der Schafe einer Versuchsherde im Bereich der seitlichen Brustwand hinter dem Ellbogengelenk konnten auf eine Moderhinkevakzine zurückgeführt werden. Im Bereich der Tätigkeiten des Schaf-GD wurde lediglich aus einem Texelherdbuchbetrieb glaubwürdig darüber berichtet, dass die ca. 3-5 Monate alten Lämmer unmittelbar nach der Impfung der Herde für 1-2 Stunden apathisch gewesen seien. Auch aus größeren Herden mit über 1.000 Schafen liegen keine Informationen über negative Auswirkungen der Blauzungenimpfung vor, obwohl man davon ausgehen kann, dass der Impfstoff aufgrund der Applikationstechnik und des „Durchsatzes“ nicht immer streng subkutan deponiert wurde. Nebenwirkungen durch Impfung in NRW (Quelle: LANUV NRW, Fr. Vogel, Stand 13.08.2008) • Anzahl geimpfte Tiere 281.015 Schafe/ZG und 428.700 Rinder • Tiere mit Nebenwirkungen gesamt Schaf/Zg.: 0,0053 % betroffene Tiere, entspricht < 1:10.000, das heißt „sehr seltenes“ Auftreten Rind: 0,0269 % betroffene Tiere, entspricht < 1:1.000, das heißt „seltenes“ Auftreten • Davon Aborte: Schaf/Zg.: 0,0011 %, entspricht < 1:10.000, das heißt „sehr seltenes“ Auftreten Rind: 0,0231 %, entspricht < 1:1.000, das heißt „seltenes“ Auftreten • Davon Todesfälle: Schaf/Zg.: 0,0039 %, entspricht < 1:10.000, das heißt „sehr seltenes“ Auftreten Rind: 0,004 %, entspricht < 1:10.000, das heißt „sehr seltenes“ Auftreten Schäden durch Ausbruch der Krankheit in Milchviehherden Quelle: Peter Heimberg, TGD NRW Schäden durch Ausbruch der Krankheit in Milchviehherden Quelle: Peter Heimberg, TGD NRW Schäden durch Ausbruch der Krankheit in Milchviehherden - Betriebsbeispiel Quelle: Peter Heimberg, TGD NRW Schäden durch Ausbruch der Krankheit in Milchviehherden - Betriebsbeispiel Quelle: Peter Heimberg, TGD NRW Impfprogramm in Österreich – Pflichten der Tierhalter • • • • • Bereitstellung der Tiere zum vereinbarten Termin (vor Beginn der Impfung Tiere einfangen, Vorsorge für sichere Anbindung bzw. Fixierung in dafür geeigneten Boxen etc. …) Vermeidung von Stress während der Impfung durch Anwesenheit der üblichen Betreuungspersonen Verbringungen von Rindern zwischen erster und zweiter Impfung nur in Ausnahmefällen nach Information des Amtstierarztes! Durchführung der Impfung ist vom Impftierarzt zu bestätigen! Impfbestätigungen sind aufzubewahren bzw. im Bedarfsfall bereitzuhalten (Es muss nachweisbar sein, wann welches Tier von wem geimpft wurde) Impfprogramm in Ö - Nebenwirkungen Was kann ein Tierhalter tun, wenn er meint, es sind bei seinen Tieren nach der Impfung Nebenwirkungen aufgetreten? Tiere müssen zum Zeitpunkt der Impfung gesund sein, um Schäden geltend machen zu können Sofortige Meldung an den zuständigen Tierarzt bzw. Amtstierarzt zur weiteren Abklärung Um allfällige Entschädigungsforderungen geltend machen zu können, ist eine genaue Dokumentation notwendig: was ist wann passiert, bei welchen Tieren, wann wurde die Impfung durchgeführt, von welchem Tierarzt (Impfprotokoll) Eine gute Zusammenarbeit zwischen Tierhaltern und Behörden ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung der Blauzungenkrankheit!