Musik und Gehirn Kolloquiumsreihe Musik & Mensch Pädagogische Hochschule Aargau 27. Oktober 2005 Dr. W. Stadelmann, Direktor PHZ 1 Referat „Neue Töne in der Hirnforschung“ „Das Gehirn giert nach Musik“ „Mozart macht Kinder intelligenter“ „Musikalische Kinder sind lieber“ „Frühe Übung macht den Meister“ „Macht Musik den Menschen besser?“ Schlagzeilen aus Zeitungen und Zeitschriften 2 Referat Man kann einen Menschen nicht lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu tun. Galileo Galilei 1564 - 1642 3 Referat Musikalische Leistungen können nach Schädigung sowohl der linken als auch der rechten Hirnhälfte ausfallen. 4 Referat Musikalische Teilaspekte wie Klangfarbe oder Rhythmus können nicht eindeutig der linken oder rechten Hirnhälfte zugewiesen werden. 5 Referat Musik ist sehr komplex. Die verschiedenen Teilaspekte wir Rhythmen und Intervalle werden in unterschiedlichen, teilweise überlappenden Hirnregionen verarbeitet. Lage und Ausdehnung der Regionen sind stark erfahrungsabhängig und unterschiedlich bei Laien und Berufsmusikern. Eckart Altenmüller G&G 01 2002, 22 6 Referat Vergleicht das Gehirn Tonhöhen und Melodien miteinander, sind vor allem Teile des Stirnlappens auf der rechten Seite im Einsatz. Wenn das Gehirn Rhythmen verarbeitet, sind vor allem Bereiche auf der linken Seite aktiv. Dies gilt für Nicht-Musiker oder Laienmusiker; bei Profis haben Melodie- und Rhythmuszentrum die Seite gewechselt. Warum wissen wir nicht. 7 Referat Noch immer ist das Bild einer klaren Trennung von Musik und Sprache im Gehirn weit verbreitet, obwohl die meisten wissenschaftlichen Ergebnisse diese Annahme nicht stützen. 8 Referat ProfimusikerInnen benutzen beim Musikhören Sprachfunktionen des Gehirns – und die sitzen Vorwiegend in der linken Hemisphäre. 9 Referat Individuell als unpassend empfundene Akkorde reizen dieselben Hirnregionen wie grammatikalisch falsche Sätze (Resultate aus der Kernspintomographie). Unser Gehirn hat einen Sinn für Bedeutung und Struktur von Musik, der im Wesentlichen ähnlich funktioniert wie bei der Analyse von Semantik und Syntax der Sprache. Stefan Kölsch Max Planck Institut für neuropsychologische Forschung Leipzig, 2003 10 Referat Bei Sprache und Musik funktioniert die „Zuweisung von Bedeutung“ ähnlich. Unser Gehirn hat einen Sinn für Bedeutung und Struktur von Musik, der im Wesentlichen ähnlich funktioniert wie bei der Analyse von Semantik und Syntax der Sprache. Stephan Kölsch, Leipzig, 2003 11 Referat Menschen verarbeiten Musik in Abhängigkeit von ihrer Erfahrung und ihrem musikalischen Training unterschiedlich. bdw 8/2003, 29 12 Referat Die Lernmöglichkeiten des Gehirns sind genetisch geprägt: Gelernt werden kann also nur das, wozu die Möglichkeiten in langen Selektionsprozessen geschaffen wurden. 13 Referat Vererbung frühkindliche „Prägung“ lebenslanges Lernen 14 Referat „Neue Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht (….)wirken bis auf die Ebene der Gene. Sie führen dazu, dass z.B. Nervenzellen damit beginnen, neue Gensequenzen abzuschreiben und andere stillzulegen. Neue Erfahrungen verändern also die Genexpression.“ Gerald Hüther, 2004 15 Referat „Wir könnten nicht schreiben, lesen und rechnen, auch nicht musizieren, singen und tanzen, wenn uns niemand gezeigt hätte, wie das geht.“ G. Hüther, Z.f.Päd 2004 Heft 4, S. 490 16 Referat Das kleine Kind ist gegenüber jeglichem Tonsystem anpassungsfähig, das ihm mit dem kulturellen Liedgut vermittelt wird. Dasselbe gilt für die Sprache. Ein normales Kind bringt die Voraussetzungen mit, jegliche Sprache erwerben zu können, die seine Bezugspersonen ihm gegenüber anwenden. S. Stadler Elmer, 2000, S. 116 „Spiel und Nachahmung“ 17 Referat Beiträge der Neuropsychologie 1 Das Gehirn verändert sich beim Lernen physisch: Jeder Mensch hat seine eigene Lernbiografie. 2 Vielseitige Tätigkeiten fördern die Hirnentwicklung - ein Leben lang. 3 Das Gehirn ist auf Vernetzung angewiesen und lebt von ihr. Ein vernetztes System soll nicht linear verwendet werden. 4 Wissen wird nicht als Ganzes abgelegt. Reproduzieren heisst interpretieren. 5 Emotionale „Färbung“ des Lernens ist von grosser Bedeutung. 18 Referat Neuronenschaltungen differenzieren sich in Abhängigkeit von ihrem Gebrauch: Aktivitätsabhängige Ausprägungen 19 Referat Lernen als Umorganisation 20 Referat Mit zunehmender Übung konsolidieren sich die Verknüpfungen und die Netzwerke werden kleiner, indem sie sich sparsamer verschalten. Subjektiv erleben wir dies daran, dass wir eine Aufgabe glatter und mit weniger Aufwand beherrschen. 21 Referat Ganz allgemein kann man sich Neuronen und deren Verbindungen wie einen Urwald vorstellen, in dem zunächst Wildwuchs herrscht und dann alles, was nicht gebraucht wird, ausgemerzt wird. Spitzer 2004 S. 91 22 Referat Ungeübte und weniger Intelligente beanspruchen beim Lösen komplizierter Probleme ihr Gehirn mehr als Geübte und Intelligentere. Intelligentere Nutzen ihre zerebralen Ressourcen besser. 23 Referat Intensives Üben ist massgebend: Statistisch gesehen werden nur diejenigen Musik-Studierenden später Solisten, die während ihres Studiums im Schnitt 7500 Stunden an ihren Instrumenten geübt haben. Lutz Jäncke, 2003 24 Referat „Ohne intensives Üben wäre auch aus Mozart kein Genie geworden.“ Lutz Jäncke, 2003 25 Referat Im frühen Kindesalter ist die Plastizität des Gehirns sehr ausgeprägt. 26 Referat Es gibt neurobiologisch definierte „sensible“ oder „kritische“ Entwicklungs- „Zeitfenster“. Während dieser „Zeitfenster“ werden Denkkonzepte und Lernstrategien für späteres Lernen angelegt. Nach: G. Roth, Z.f.Päd. 4/2004, S.508 27 Referat Das Gehirn entwickelt sich von der Geburt bis zur Pubertät in einem rasanten Tempo. 28 Referat „Man muss die Basisfunktionen für die einzelnen Kompetenzen sehr, sehr früh etablieren und kann dann auf der Basis des bereits Etablierten die Feinpolitur vornehmen“. Wolf Singer, Psychologie Heute, Dez. 1999 30 Referat Durch frühe Förderung wird in hohem Masse die Klaviatur für Lernen und Denken aufgebaut. Erwachsenenlernen heisst, auf der Klaviatur zur Virtuosität zu gelangen. 31 Referat Lernen in früher Jugend unterscheidet sich vom Lernen bei Erwachsenen darin, dass Erfahrungen und Lernprozesse im kindlichen Gehirn viel massivere und auch dauerhaftere Spuren hinterlassen als im erwachsenen Gehirn, wo es nur noch zu vergleichsweise geringfügigen Veränderungen im Verlauf von Lernprozessen kommt. 32 Referat Was sich im Erwachsenenalter wahrnehmen und lernen lässt, hängt ganz entscheidend von der Art frühkindlicher Erfahrung ab. 33 Referat Ein Instrument zu spielen ist eine der komplexesten menschlichen Tätigkeiten. 34 Referat „Musizieren gehört zu den schwierigsten menschlichen Leistungen. Gehörsinn, Motorik, Körperwahrnehmung und Hirnzentren, die Emotionen verarbeiten, werden gleichzeitig beansprucht. Und dabei ist eine wahre Herkulesarbeit zu leisten.“ Eckart Altenmüller, 2000 35 Referat Je eher man beginnt, ein Instrument zu spielen, desto deutlicher sind die strukturellen Veränderungen im Gehirn – die anscheinend bis ins hohe Alter erhalten bleiben. 36 Referat „Offenbar ist Musik der stärkste Reiz für neuronale Umstrukturierung, den wir kennen.“ Eckart Altenmüller 37 Referat Untersuchung von Hirnaktivitäten bei musikalischen Beginnern (EEG; Marc Bangert) • Bereits nach den ersten zwanzig Minuten Klavierüben begannen sich die Aktivierungsmuster in den „Hörregionen“ und auch in den „Greifregionen“ zu verändern. • Drei Wochen später waren die Veränderungen deutlich erkennbar: beim Hören beteiligt sich automatisch die sensomotorische Hirnregion, ohne dass die Finger bewegt werden. 38 Referat • Nach fünf Wochen Training am Klavier: stabile neuronale Vernetzung • Nach einem Jahr ohne Klavierspiel sind die Veränderungen immer noch nachweisbar. Zit. Nach Altenmüller G&G 1/2002 39 Referat Professionelle Pianisten und Geiger besitzen einen grösseren und effizienteren Balken (corpus callosum), wenn sie das Training am Instrument vor dem Alter von sieben Jahren begonnen haben. Schlaug et al. 1995 40 Referat Tomographien des Gehirns zeigen, dass Berufsviolonisten eine grössere Repräsentation für die Hand haben, die die Töne greift, als für die Hand, die den Bogen führt. 41 Referat Griffbilder (z.B. am Klavier) verbinden sich mit dem inneren Hören von Akkorden. Wenn wir ein Instrument spielen, muss unser Gehirn immer Hörinformationen mit sensomotorischen Daten zusammenführen. „Ohr und Hand vermählen sich.“ Eckart Altenmüller Gehirn und Geist 01 2002 42 Referat Musiker/innen besitzen im fortgeschrittenen Alter ein aussergewöhnlich gutes Arbeitsgedächtnis – jener Teil des Gehirns, der Informationen aus Lang- und Kurzzeitgedächtnis verwendbar macht. Ihre Gehirne zeigen deutlich weniger altersbedingten Abbau von Nervenzellen als die von Nichtmusikern. Lutz Jäncke, 2004 43 Referat Instrumentalisten haben ein besseres Wortgedächtnis. Agnes Chan, 1998 44 Referat Die Gehirne von MusikerInnen „zeigen viel weniger altersbedingten Abbau als die von Nichtmusikern. Offensichtlich ist Musizieren ein hervorragendes Gehirnjogging.“ Lutz Jäncke, 2003 45 Referat Menschen haben eine individuelle musikalische Lernbiographie. Jeder Mensch hört, versteht, interpretiert und erlebt Musik gemäss seinem „Vorwissen“, gemäss seiner Biographie. 46 Referat Die Musik, die Sie hören, wird in Ihrem Gehirn konstruiert. Ihr Gehirn „macht“ Musik 47 Referat Wer Musik hört, vergleicht sie mit bereits vorhandenen Mustern und prüft sie auf Vertrautheit und musikalischen Sinngehalt. 48 Referat Aktives Zuhören wird durch Antizipation gesteuert. Selbst wenn wir ein Stück zum ersten Mal hören, strukturieren wir es durch die Wahrnehmung von Bestandteilen, die wir schon kennen. 49 Referat Je aussergewöhnlicher Musik ist, desto schwerer kann man sie antizipieren und desto häufiger muss man sie gehört haben, um ihren genauen Ablauf voraussagen zu können. 50 Referat „Musizieren gehört zu den schwierigsten menschlichen Leistungen. Gehörsinn, Motorik, Körperwahrnehmung und Hirnzentren, die Emotionen verarbeiten, werden gleichzeitig beansprucht. Und dabei ist eine wahre Herkulesarbeit zu leisten. Eckart Altenmüller, 2000 51 Referat Musik macht vermutlich tatsächlich intelligenter und sozial kompetenter, auch unabhängig vom Elternhaus. Voraussetzung ist jedoch das aktive Musizieren über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren. Passive Berieselung mit Musik zeigt offenbar keinen Erfolg. 52 Referat • Kinder im Altersbereich von Kindergarten / Unterstufe zeichnen sich durch besonders hohe Plastizität des Gehirns und damit durch besonders ausgeprägte Lernfähigkeit (auch für Lernstrategien) aus. • Musik- und insbesondere Instrumental-Unterricht fördert Hirnentwicklung und schafft Potenziale für weitere Lernprozesse. Insbesondere ist der Einfluss auf räumliches Vorstellungsvermögen und abstraktes Denken belegt. 53 Referat • Der Instrumentalunterricht sollte früh beginnen, wenn möglich vor dem 8. Altersjahr. • Das gemeinsame Schulcurriculum muss neu gedacht werden. Es muss im Bereich Kindergarten / Unterstufe „Wurzelerfahrungen“ vermitteln, also Schwerpunkte in den Gebieten Sprache, Musik, Gestaltung, Bewegung und soziales Verhalten. • Der Lehrerbildung für diese Altersstufe kommt besondere Bedeutung zu. 54 Referat