Lexikalische Reduplikation im Bikol und im Tibetischen Veronika Mattes, Ralf Vollmann Graz Lexikalische Reduplikation In vielen Sprachen gibt es mehr lexikalische reduplizierte Formen, als man gemeinhin annimmt. Bislang wenig beachtet: Semantische cross-linguistische Regularitäten. Dies wird exemplarisch gezeigt am Beispiel der Lexikonanalyse zweier unverwandter Sprachen, Tibetisch (Tibeto-Burmanisch) und Bikol (Austronesisch). Definition Eine lexikalische Reduplikation ist eine reduplizierte Wortformen, die nicht mit einer un-reduplizierten Basis in Zusammenhang steht. Anm.: Produktive RED kann historisch zu Grunde liegen, muss aber nicht. Reduplikation und Ikonizität "... reduplication is a means of word formation that manifests a measure of iconicity: form and meaning resemble each other in a quantitative respect." (Botha 1988: 3). Reduplikation und Ikonizität Lexikalische Reduplikation wird oft aus den Untersuchungen zur Semantik ausgeschlossen, weil es keine korrespondierende Basis gibt, mit deren Semantik die reduplizierte Form verglichen werden kann. JEDOCH: Cross-linguistisch haben lexikalische Reduplikationen vorwiegend “ikonische” Bedeutungen (Plural, Intensiv, Diminutiv, etc.) und/oder bezeichnen ähnliche Kategorien, nämlich Pflanzen, Tiere, Speisen, Körperteile etc. (z.B. Arabische Sprachen, Salish Sprachen, Portugiesisch, Bikol) Behauptung Auch lexikalische Reduplikation ist zum großen Teil ikonisch und/oder semantisch regulär. BIKOL - Zentralphilippinische Sprache der austronesischen Sprachfamilie, WestMalayo-Polynesischer Zweig - 3 Mio. Sprecher, starke Dialektunterschiede - Bikol ist agglutinierend-flektierend, hat eine komplexe Morphologie, keine klare Wortartenunterscheidung, eine Präferenz für bisyllabische Lexemstruktur. Produktive Reduplikation im Bikol Vier verschiedene formale Typen: 1. CV-: Imperfektiv 2. -Vr-: Plural Actor 3. CV-: Numeraldistributiv 4. voll/Curu-: Quantitätsveränderung (Intensiv, Plural, Diminutiv, Imitativ) Lexikalische Reduplikation im Bikol ANALYSE: Bikol-Englisch Wörterbuch (20.708 Einträge) von Mintz und Del Rosario Britanico 1985; getestet mit drei Bikolsprechern. 5,01% (1.038 Einträge) der Wörterbucheinträge sind Reduplikationen. Lexikalische Reduplikation im Bikol a) bisyllabische Wurzeln mit C1V1(C2)C1V1(C2)-Struktur: kadkad ‘ein Loch graben‘ luyloy ‘baumeln, hängen’ ngatngat ‘nagen, kauen’ sapsap (Fisch) Lexikalische Reduplikation im Bikol b) partielle Reduplikationsstruktur in drei- oder mehrsilbigen Wurzeln, unterschiedliche Formen: aninipot ‘Glühwürmchen’ pagatpat ‘Reisvogel’ subaybay‘regelmäßiges Verfolgen (z.B. einer TV-Serie)’ Lexikalische Reduplikation im Bikol c) volle Reduplikationsstruktur: gilo‘~gilo‘ ‚schwanken, schwabbeln‘ halo~halo (Dessert) kiling~kiling ‘Kopfschüttlen’ kimot~kimot ‘murmeln’ parak~parak ‚Donnergrollen‘ Lexikalische Reduplikation im Bikol d) Echo-Wörter mit alternierenden initialen oder medialen Konsonanten: harak~hatak ‘brüllen vor Lachen’ karog~kadog ‘rüttlendes Geräusch’ rukog~dukog ‘wankend gehen’ Verteilung der verschiedenen Typen Formaler Typ Echowörter Anzahl Prozent 82 7,90% voll 403 38,82% partiell 189 18,21% bisyllabische W. 364 35,07% gesamt (5% des Lexikons) 1038 100% Verteilung verschiedener Typen Semantische Kategorien Echowörter Ikonisch Tiere, gesamt (Plural, Pflanzen, Bewegung, Speisen Geräusch) 82,93% 0% 82,93% voll 55,09% 9,93% 65,02% partiell 37,05% 17,46% 44,51% bisyllabische W. gesamt 44,85% 4,40% 49,25% 48,38% 10,10% 58,48% Ikonisch: Plural, Geräusche, Bewegungen „Typisch“: Tiere, Pflanzen, Speisen Semantische Kategorien Ca. 50% aller lexikalischen Reduplikationen sind ikonisch (bezeichnen Plural, Bewegung, Geräusche), mind. 10% gehören zu den “typischen” Sonderklassen (Pflanzen, Tiere, Speisen, etc.). unklar: ca. 40% TIBETISCH Zentralasiatische Sprache der tibeto-birmanischen Sprachfamilie (sino-tibetisch); ca. 6 Mio. Sprecher, starke Dialektunterschiede, eigene Schriftsprache. Reduplikation im Tibetischen Formale Typen a) Adjektivbildung b) Kompositionstyp neben Synonym- und Antonymkomposita c) partielle Reduplikation bei der Zahlwortbildung d) Juxtaposition e) keine flexionsmorphologische Reduplikation Reduplikation im Tibetischen brtan brtan -- a -- so solid brtan pa -- ft. of {rton pa}; pf. of {rton pa}; adj. comp. of {brtan po} v/a -- stabilize; be stabilized, reinforce; dependable; stable; firm, solid, steadfast, steady; safe, firmness, stability; solid, firm, constant, stable, steady, stead fast, firm position, everlasting, self-confidence brtan po -- a -- stable, firm, steady bsam blo chung chung -- n+adj -- childish childish, timid cf. chung; thought+young lo re re -- each year skabs skabs = skabs skabs la = skabs skabs su -- sometimes snga ma ma -- each former tsa-tsa sbag sbag -- motorbike so tham tham pa -- teeth chatter; chattering teeth brtags brtags -- always pointing bsam blo tang tang -- thinking and thinking bshad bshad --never ending chatter bya bya --constant business Semantische Kategorien Semantische Kategorien movement, iterative Anz. 130 % Semantische Kategorien Anz. % 17,24 smallness 34 4,51 distributive 88 11,67 plural 28 3,71 sound and speech 78 10,34 exactness, completeness 20 2,65 bad, pejorative 74 9,81 thinking 19 2,52 light, brilliance, color, vividness 67 8,89 continuative 14 1,86 shape 55 7,29 small classes 45 5,97 intensive 47 6,23 unclassified 55 7,29 Semantische Kategorien Semantische Kategorien Semantische Anzahl Kategorien PLURALITÄT 471 % 62,47 small, exact 99 13,13 pejorative 74 9,81 shape 55 7,29 unclassified 55 7,29 Semantische Kategorien Reduplikation und Wortart Semantische Kategorien Ca. 62% aller Reduplikationen im Tibet. bezeichnen Pluralität, insgesamt sind 93% (!) ikonisch. Ca. 6% gehören zu den “typischen” Sonderklassen (Pflanzen, Tiere, Steine, etc.). unklar: ca. 7% Schlussfolgerungen 1. Universelle Tendenzen für lexikalische Reduplikation zum Ausdruck bestimmter semantischer Kategorien: - „Pluralität / Intensität“ - Tiere, Pflanzen, Speisen, Körperteile, Krankheiten, Werkzeuge, etc. Schlussfolgerungen 2. Lexikon und Morphologie: Das Lexikon (Lexikalisierungen) ist bis zu einem gewissen Grad strukturiert. Ein Kontinuum zwischen Morphologie und Lexikon ist realistischer als eine Dichotomie. DANKE