Die Ermittlung

Werbung
Peter Weiss
Komlósi Zsuzsanna
Molnár Ágnes
5. 11. 2007.
1
„Ich war nie Deutscher”






1916: Peter Ulrich Weiss- in Nowawes bei Berlin
geboren(heute Babelsberg)
Pseudonym:Sinclair
Vater: Jenő Weiss,jüdisch-ungarischer,zum Christentum
übergetretener Textilkaufmann
Mutter:Frieda Weiss,Hausfrau,Nebenrollen am Deutschen
Theater in Berlin
Kindheit und Jugend in Bremen und Berlin:ein gesteigertes
Interesse für Kunst und Kultur
Auf Druck des Vaters wechselt er vom Gymnasium zur
Handelschule
5. 11. 2007.
2
Emigration




Jenő Weiss versucht sich in dieser Zeit zu assimilieren:
bewirbt sich um die deutsche Staatsbürgerschaft,erwägt
sogar einen Eintritt in NSDAP und SA!
1934:emigriert die Familie nach England.Besuch der
Polytechnic School of Photography
Er malt( Die Maschinen greifen die Menschen an ) und
schreibt( Bekenntnis eines großen Malers),eröffnet seine
erste Ausstellung in einer Londoner Garage
Hesse wird für ihn wichtig!
1935: übersiedelt die Familie nach Nordböhmen in ein Dorf
5. 11. 2007.
3
Prag




1936: Emigration nach Prag,wo er bis 1938 an der
Kunstakademie studiert
Erhält den Akademiepreis für sein Gemälde „Gartenkonzert”
Weiss stellt Kontakt zu Herman Hesse her,1937 besucht ihn
in Montagnola
1938:nach der Besetzung des Sudetenlandes durch die
deutsche Wehrmacht emigrieren die Eltern nach
Schweden,Peter Weiss geht in die Schweiz
5. 11. 2007.
4
Schweden






1939:Emigration nach Schweden,wo er sich in Stockholm
niederlässt und bis zu seinem Tode lebt
Verdient seinen Lebensunterhalt als Textilmusterzeichner
und an privaten Malschulen
1943:heiratet die schwedische Malerin Helga Henschen
1946:erhält die schwedische Staatsbürgerschaft
1947:geht nach Berlin,schreibt 7 Reportagen und den
Prosatext „Die Besiegten”
1949:heiratet Carlota Dethorey,entsteht das Hörspiel
„Rotundan” (dt.:„Der Turm”)
5. 11. 2007.
5







1952:arbeitet als Lehrbeauftragter an der Stockholmer
„Högskola” ,unterrichtet Malerei,Filmtheorie und –praxis
und Theorie des Bauhauses; Mikroroman: „Der Schatten
des Körpers des Kutschers”
1955:produziert die Experimentalfilme Studie I-V.
Bis 1961 dreht 16 Dokumentarfilme
1959:dreht er mit dem Spielfilm „Hägringen/Fata Morgana
sein wohl wichtigtes filmisches Werk
1961:Veröffentlichung des autobiographischen Romans
„Abschied von den Eltern”
1962:Schweizer Charles-Veillon-Preis für den Roman „Der
Fluchtpunkt”
1963:Debüt als Dramatiker mit der Kasperle-Moritat „Nacht
mit den Gästen”
5. 11. 2007.
6






1964:heiratet die schwedische Gunilla Palmstierna
April:die Uraufführung von „Die Verfolgung und Ermordung
Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe
des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de
Sade” in West- Berlin
Wird zu einem sensationellen Erfolg
Auch in Schweden,Frankreich,England,DDR ,New York wird
das Stück begeistert aufgenommen
1967 wird auch verfilmt.Regisseur:der britische Peter Brook
(Royal Shakespeare Company)
1965:Uraufführung des Oratoriums „Die Ermittlung”szenische Dokumentation des Frankfurter AuschwitzProzesses
5. 11. 2007.
7
1966:Heinrich–Mann-Preis






Auszeichnung der Deutschen Akademie der Künste, OstBerlin
1967:Uraufführung des politischen Musicels „Der Gesang
vom Lusitanischen Popanz”
Teilnahme an Bertrand Russels Tribunal gegen den
Vietnam-Krieg in Stockholm
1970:Uraufführung des Schauspiels „ Trotzki im Exil” in
Düsseldorf
1971:Uraufführung des Stückes „Hölderlin” in Stuttgart
1974:Reise in die Sowjetunion zum Schriftstellerkongress
nach Moskau
5. 11. 2007.
8
1975-1981:Hauptwerk





Nach einer Publikationspause veröffentlicht Weiss den
ersten Band der Trilogie „Die Aesthetik des Widerstands”
1978:der zweite Band
1981:der dritte Band
Versuch,die historische und gesellschaftliche Erfahrung der
Zeit 1917 und 1945 sowie ihre ästhetischen und politischen
Erkenntnisse darzustellen.
Weiss entwirft
dabei ein Gesamtbild der europäischen Linken in diesem
Zeitraum
1982:bei der Uraufführung seines letzten Theaterstückes
„Der neue Prozess” führt Weiss selbst die Regie
5. 11. 2007.
9
Postum Georg-Büchner Preis

1982:stirbt im Alter von 65 Jahren in Stockholm
5. 11. 2007.
10
Das Dokumentartheater







Dramatische Darstellung historischer Ereignisse und
Personen mit demonstrativem Authentizitätsanspruch.
erkennbare Referenz auf Faktisches, empirischer
Wahrheitsanspruch
Ziel: politisch Aufklärung über Ereignisse und
Zusammenhänge
Kipphardt (1964): "Wenn die Wahrheit von einer Wirkung
bedroht schien, opferte ich eher die Wirkung.“
Unterschied zum Geschichtsdrama: keine Interpretation,
sondern Präsentation des Quelllenmaterials
Weiss: Die Ermittlung, Kipphardt: In der Sache J. Robert
Oppenheimer, Hochhuth: Der Stellvertreter
Sonderform des politischen Theaters der 1960er Jahre
5. 11. 2007.
11




es steht in der Tradition Brechts und seines
epischen Theaters,das mittels der
Bühnenpräsentation dramatischer Werke das
Publikum zu politischen Handlungen motivieren
wollte
Mehr oder weniger unverändert historischauthentische Szenen oder Quellen auf die Bühne
bringen
Das bekannteste dokumentarische
Theaterstück:”Die Ermittlung”
Das Dokumentartheater wurde auch kritisiert:
5. 11. 2007.
12




Es sei nicht künstlerisch
Es wähle die Dokumente subjektiv aus und
verfälsche damit die Wirklichkeit
Aber „trotzdem” große öffentliche Resonanz
Bedeutung einer Thematisierung verschwiegener
bzw. verdrängter historischer Problemkomplexe
5. 11. 2007.
13
Die Ermittlung
Oratorium in 11 Gesängen
„ zur Endlösung: es ist ja unsere Generation,
die etwas davon weiß, die Generation nach
uns kennt es schon nicht mehr. Wir
müssen etwas darüber aussagen. Doch wir
können es noch nicht.“
5. 11. 2007.
15
Frankfurter Auschwitzprozesse
1963-1965





Berichterstattung Bernd Naumanns im FAZ als
Quelle nebst eigene Aufzeichnungen
Konzentrat der Verhandlung, keine Darstellung
des Lagers oder des Prozesses
Das Werk war bereits abgeschlossen (1964 –
1965), als der Prozess noch lief → kein
Prozessstück
18 Angeklagten, 9 (7+2) Zeugen
Medium: Bericht


Dokumentartheater
gr. Muster: Protagonist berichtet, Chor stellt Fragen und
kommentiert
5. 11. 2007.
16
5. 11. 2007.
17

„Eine Ortschaft, für die ich bestimmt war und der
ich entkam…”
5. 11. 2007.
18
Auschwitz – Probleme der Darstellung


Totalität der Lagerwelt ist nicht darstellbar, nur
Ausschnitte
Lineare Darstellung des Leidensweges der
Häftlinge
1.Gesang: Gesang von der Rampe
2.Gesang: Gesang vom Lager
3.Gesang: Gesang von der Schaukel
4.Gesang: Gesang von der Möglichkeit des Überlebens
5.Gesang: Gesang vom Ende der Lili Tofler
6.Gesang: Gesang vom Unterscharführer Stark
7.Gesang: Gesang von der schwarzen Wand
8.Gesang: Gesang vom Phenol
9.Gesang: Gesang vom Bunkerblock
10.Gesang: Gesang vom Zyklon B
11.Gesang: Gesang von den Feueröfen
5. 11. 2007.
19
Die Form, die sich eignet






11 jeweils dreiteilige Gesänge
Gedanken über ein Welttheater
Divina Commedia - die Hölle auf Erden
Dok. Theater: Bedürfnis des Publikums: sich
informieren, sich ein neues Weltbild schaffen
Sprache der authentischen Angeklagten
"Ich hab mich ganz genau an die Aussagen
gehalten, wie sie protokolliert wurden, aber ich
habe nichts hinzugedichtet. Es ist also nicht ein
Kunstwerk, was nun Dichtung ist, wie man so
schön sagt, sondern es ist ein Wirklichkeitsmaterial,
das komponiert worden ist nach ganz strengen
Kompositionsprinzipien."
5. 11. 2007.
20
Das Oratorium


Genrebezeichnung Oratorium (bei Weiss immer
bewusst): Vorführung dramatisch untereinander
verknüpften Szenen mit handelnden
Einzelpersonen nebst Chören.
Chor ist bei Wiess: Chor der Angeklagten, Chor
der Zeugen
5. 11. 2007.
21
Verteidiger Wir protestieren auf das Dringlichste
gegen diese Angriffe auf unseren Mandaten
Pauschale Beschuldigungen
sind ohne jegliche Bedeutung
Zur Behandlung stehen nur
klar bewiesene Fälle von Täterschaft
und Mittäterschaft
im Zusammnehang mit Mordvorwürfen
Jeder auch nur leiseste Zweifel
muss zugunsten der Angeklagten ausschlagen
Die Angeklagten lachen zustimmend
(6.II.)
5. 11. 2007.
22
Anmerkung
„Bei der Aufführung des Dramas soll nicht der Versuch
unternommen werden, den Gerichtshof, vor dem die
Verhandlungen geführt wurden, zu rekonstruieren.”
„Indem die Zeugen im Drama ihre Namen verlieren, werden
sie zu bloßen sprachrohren. Die neun Zeugen referieren nur,
was hunderte ausdrückten.
Die Verschiedenheiten in den Erfahrungen können höchstens
angedeutet werden in einer Veränderung der Stimme und
Haltung.”
5. 11. 2007.
23
Verteidiger Herr Zeuge
wurden Sie einer Behandlung auf dieser
Maschiene
unterzogen
Zeuge 8
Ja
Verteidiger Es war also doch möglich dies zu überleben
(3.II.)
5. 11. 2007.
24
Zeuge 3
5. 11. 2007.
Ich spreche frei von Haß
Ich hege gegen niemanden den Wunsch
nach Rache
Ich stehe gleichgültig
vor der einzelnen Angeklagten
und gebe nur zu bedenken
daß sie ihr Handwerk
nicht hätten ausführen können
ohne die Unterstützung von Millionen anderen
(11.III.)
25
Typisierung und Individualisierung







Anmerkung
Aller Anspruch des Individuums erlischt vor der
Realität von Auschwitz. (Vormweg)
Chorhaftigkeit
Sprache der authentischen Angeklagten
Regieanweisungen (zunicken)
Angeklagten – A priori eine stärkere
Individualisierung; Charakterisierungsmittel:
Sprache
Gemeinsamkeit: Wörter und Floskeln der
Schuldreduzierung: nur, bloß, höchstens ; und
die „Verdrängung“: Ich kann mich nicht erinnern,
ich weiß nicht
5. 11. 2007.
26
Typisierung und Individualisierung





Verteidiger: Arroganz, Menschenverachtung
Zeugen der Anklage (vor allem 7) sachliche
Aufheller der Unfassbaren, keine Emotionen
ausgedrückt
'Paradox des Zeugens.' (Primo Levi): die
Überlebenden können eigentlich gar nicht
Auskunft geben über das ganze Ausmaß des
Leidens und Schreckens der KZ.
'vollständige' Zeugen wären die Untergegangenen
oder die Muselmänner
Zeugen- Kollektiv- und Einzelschicksal; auch im
Werk: Lili T., alle Deportierten
Zeuge 3: dominierende Stellung – Beispiel dafür,
dass in nuce Charaktere entstehen können
5. 11. 2007.
27
Entschuldigungsstrategien


Die Angeklagten versuchen ihr Handeln zu
verharmlosen, abzustreiten oder zu rechtfertigen
Sie...









stellen die Vorwürfe als Lüge dar
geben ausweichende Antworten
weisen ihre Schuld ab
berufen sich darauf, von all dem nichts gewusst zu
haben
verkleinern ihre Schuld und weisen darauf hin, dass sie
auch nur ein Rädchen im getriebe gewesen seien
verweisen auf Befehlsnotstand
stellen ihre eigenen guten Taten (vor, während und nach
Auschwitz) in den Vordergrund
stellen sich selbst als Opfer dar
berufen sich auf damalige Gesetze und Werte
5. 11. 2007.
28
Kapitalismuskritik

Andeutungen: Konzentrationslager hätten vor
allem den Profitinteressen der deutschen
Industrie gedient. (Diese 'Kontinuitätsthese' zwischen
Kapitalismus und Faschismus hat anläßlich der ersten
Aufführungen des Stücks Empörung ausgelöst.)

Notizen zu D. C. – Kapitalismuskritik Diese
Gedanken Haben Die Ermittlung stark geprägt.

Angriffe: diese Behauptungen sind nicht bewiesen
– sie sind keine Behauptungen, die
Sprachröhre(Zeugen und Angeklagten) sagen sie
bloß
5. 11. 2007.
29



Die Verhandlung der Ermittlung führt zu keinerlei
Urteilsfindung
Die Ermittlung setzt ein in medias res und endet
ebenso abrupt. → Eindruck eines andauernden,
nicht-enden wollenden Vorgangs
Verhandelt wird nicht nur Auschwitz, sondern
gleichzeitig diese Verhandlung selbst. Das Drama
vollzieht eine Art Kritik an dem Versuch, die zur
Verhandlung stehenden Verbrechen gesetzlich in
den Griff zu bekommen.
5. 11. 2007.
30
Herunterladen