Der Zweite Weltkrieg und die Ermordung der europäischen Juden Empfehlungen Die Herausforderer: Italien • Machtpolitisch schwach, halb entwickeltes Land • Pro-Kopf Einkommen in 1920 entspricht in etwa dem in Großbritannien und den USA zu Beginn des 19. Jahrhunderts • Mussolini: strategischer Passivposten • M. führt sein Land in einen Krieg mit der Vorstellung, er sei bereits gewonnen. Nur ein Wunder – oder Deutschland - konnte ein Debakel verhindern Die Herausforderer: Deutschland • 1920er: D. scheint die schwächste und krisenanfälligste der großen europäischen Mächte • Hitler verändert die Position und Rolle Deutschlands innerhalb weniger Jahre • Nationalsozialistische Außenpolitik: Kontinuität und Radikalisierung • Hitler nutzt die Instabilität des internationalen Systems schonungslos aus Rüstungshaushalte (1930-1938) in 1985 Dollar Japan Italien Deutschland UdSSR U.K. Frankreich U.S.A 1930 218 266 162 722 512 498 699 1934 292 455 709 3479 540 707 803 1935 300 966 1607 5517 646 867 806 1936 313 1149 2332 2933 892 995 932 1937 940 1235 3298 3446 1245 890 1032 1938 1740 746 7415 5429 1863 919 1131 Anteile: Weltindustrieproduktion, 1929-1938 (%) 1929 1932 1937 1938 USA 43,3 31,8 35,1 28,7 UdSSR 5,0 11,5 14,1 17,6 Deutschland 11,1 10,6 11,4 13,2 U.K. 9,4 10,9 9,4 9,2 Frankreich 6,6 6,9 4,5 4,5 Japan 2,5 3,5 3,5 3,8 Italien 3,3 3,1 2,7 2,9 Hitlers Singularität • Gewaltbereiter Haß gegen Juden und „nicht-arische“ Ethnien • Umfassende Kontrolle über Bevölkerung • Ideologie der Macht und Gewalt • Rasche Aufrüstung Militärisches Potential • Armee nicht so stark wie Hitler dies darstellt. Marine plant für einen Krieg ab Mitte der 40er Jahre • Sehr schnelle Aufrüstung belastet Wirtschaft. Folge: Versuchung, Krieg anzuzetteln um wirtschaftliche Probleme zu neutralisieren • Logik: Kriegführung dient der Plünderung und der Requirierung von Zwangsarbeit • Wie lange kann Deutschland eine solche Politik verfolgen, ohne sich zu überdehnen (imperial overstretch)? Stadien der Aggression • 1933- zunächst geheime, ab 1935 öffentliche Aufrüstung. Parallel dazu Beschwichtigungspolitik: Nichtangriffspakt mit Polen (1934) und Erklärung, dass Deutschland keine territorialen Ansprüche an Frankreich (Elsaß-Lothringen) mehr stellt (1935) • 1936: Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands • 1938: März: gewaltfreie Annexion Österreichs. Viele Österreicher sind begeistert, nun Teil des “Großdeutschen Reiches” zu sein. Im September 1938 stimmen GB und F der Annexion des Sudetenlandes (Tschechoslowakei) durch Deutschland zu. • 1939: Hitler besetzt Prag, zerschlägt die Tschechoslowakei und richtet ein “Protektorat Böhmen und Mähren” ein. In der Slowakei errichtet Pater Tiso ein national-faschistiches Regime. • 1939: 23. August: Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes (Hitler-Stalin Pakt). Appeasement (dt.: Beschwichtigung) (Photo: Neville Chamberlain (1869-1940) und Hitler in München 1938) • Problem: Hitler ist nicht zu „beschwichtigen“ • Zustimmung zur Zerschlagung der Tschechoslowakei (einzige Mittelmacht und Demokratie in Osteuropa) ist schwerer strategischer Fehler • Sicherheitsgarantien des Westens für Polen, Griechenland, Rumänien und Türkei (März 1939) können Hitler nicht wirklich beeindrucken. Hitlers Neue Ordnung und Demokratie • Europäer mehrheitlich bereit, die Demokratie aufzugeben. Aber: schockiert über den brutalen Imperialismus der Nazis • Während der Kriegsjahre: grundlegender Wandel von sozialen und politischen Vorstellungen. „Lebensraum“ und Krieg • NS-Vision: Kolonialreich in Osteuropa • „phony war“ • „Blitzkrieg“ The Occupation of Poland Die Schlacht um Großbritannien 1940 • 10. Mai 1940: Winston Churchill wird PM • Deutschland verliert Luftschlacht über England • Hitlers Kalkül: Englands Hoffnungen ruhen auf Russland und Amerika. Wenn sich Hoffnung auf Russland zerschlägt, dann fallen auch USA aus. Logik: Russland vernichten bedeutet England schlagen (= gleiches Kalkül wie Napoleon). Ablenkungen auf dem Balkan • Albanien: Italien steht vor Niederlage • Bestehende deutsche Bündnisse mit Ungarn, Rumänien, Slowakei; neues Bündnis mit Bulgarien • Jugoslawien: Invasionspläne werden ad-hoc geschmiedet (April 1941) • Griechenland: stockende italienische Invasion lässt deutsche Beteiligung nötig erscheinen (April 1941) Der Krieg bis Juni 1941 • Größere aber schlechter organisierte alliierte Truppen sind zerschlagen • Nach der Schlacht von England: Gegner, die sich gegenseitig nicht entscheidend schlagen können Der Krieg gegen die Sowjetunion (1941-43) Pearl Harbor, 7. Dezember 1941 • Churchill: „Hitler‘s fate was sealed. Mussolini‘s fate was sealed. As for the Japanese, they would be ground to powder. All the rest was merely the proper application of overwhelming force“. Skeptiker in der Wehrmacht werden entfernt • General Franz Halder über Entwicklungen an der Ostfront (August 1941): • “Wir rechneten mit ungefähr 200 Divisionen. Nun haben wir schon 360 gezählt. Sie sind nicht so gut bewaffnet und ausgerüstet wie wir, und ihre taktische Führung ist häufig schlecht. Aber wenn wir ein Dutzend von ihnen zerschlagen, werfen die Russen einfach ein neues Dutzend in den Krieg. Die Zeit arbeitet für sie. Während sie den Vorteil der Nähe zu ihrem Nachschub haben, entfernen wir uns weiter und weiter von unserem.” Produktion von Flugzeugen (1939-1945) 180000 160000 140000 120000 100000 80000 60000 40000 20000 0 Alliierte Achse 1939 1941 1943 1945 Produktion von Militärgütern und Truppenstärke, 1940-43 70 Deutschland 60 GB 50 UdSSR 40 USA 30 20 Alliierte Truppen 10 Japan 0 1940 1941 1943 Truppen der Achse Militärtechnologie Tote (1 Symbol = 100.000) Besetztes Europa • Kriegsziele und europäische Länder • Einrichtung ziviler und militärischer Verwaltungen • Untergeordnete Rolle lokaler Faschisten: Deutsche bevorzugen professionelle Beamte Europa unterm Hakenkreuz • „Grossraumwirtschaft“ • Ideologie hat Vorrang vor Ökonomie (Verbrauch, Arbeit, mögliche Unzufriedenheit in Deutschland) • Einziger Ausweg: systematische Ausbeutung und „Plünderung“ (Göring) Massenmord und Zwangsarbeit • Ermordung von drei Millionen russischen Kriegsgefangenen im Winter 1941/42 • Rekrutierung von Zwangsarbeit in ganz Europa • Zentrale Bedeutung für deutsche Kriegswirtschaft Rassenkrieg und Wirtschaft • Fortgesetzte brutale Rekrutierung von Zwangsarbeitern • Zusammenhang von Besatzungspraxis und Widerstand • Letztlich: Organisationsprinzip ist nicht Wirtschaft, sondern Rasse Polen und Osteuropa • „Lebensraum“: Umsiedlung von über einer Million Deutschen und Ansiedlung von 400.000 in Osteuropa • Polen erleidet zwischen Stalin und Hitler grausames Schicksal Genozid • Begriff wird geprägt von dem polnischjüdischen Juristen Raphael Lemkin in seiner Studie Axis Rule in Occupied Europe (1944) • Definition: nach UN Resolution 180 vom 21. Dezember 1947:„Völkermord ist ein internationales Verbrechen, das nationale und internationale Verantwortung von Menschen und Staaten erfordert“. Völkermord ist „eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“: – – – – – a) das Töten von Angehörigen der Gruppe b) das Zufügen von ernsthaften körperlichen oder geistigen Schäden bei Angehörigen der Gruppe c) die absichtliche Auferlegung von Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung e) die gewaltsame Verbringung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe „Endlösung“ und „Volksgemeinschaft“ • Vertreibung und Kolonisierung, Ermordung und soziale Leistungen sind zwei Seiten der Nazi-Herrschaft Die „Judenfrage“ • Antisemitische Gesetzgebung in Deutschland – (Nürnberger Gesetze 1934) • Pogrome im November 1938 („Reichskristallnacht“) – (Photos: zerstörte Synagogen in Siegen und Wiesloch bei Heidelberg) • Erzwungener Exodus deutscher Juden/jüdischer Deutscher Phasen • • • • Erzwungener Exodus Madagaskar Plan (1940) Gaswagen in Chelmno (Polen) und Serbien Industrialisierter Massenmord Massenmord in Osteuropa • 1940: Ermordung von 100.000 Juden • 1941: Ermordung von 1.000.000 Juden • Funktionalisten v. Intentionalisten Einsatzbefehl Reinhard Heydrichs: Weisungen an die Einsatzgruppen und –kommandos, 2. Juli 1941 „…4. Exekutionen: Zu exekutieren sind alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt die kommunistischen Berufspolitiker schlechthin); die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, der Zentralkomitees, der Gau- und Gebietskomitees; Volkskommissare; Juden in Partei- und Staatsstellungen; sonstigen radikalen Elemente (Saboteure, Propagandeure, Heckenschützen, Attentäter, Hetzer usw.) Soweit sie nicht im Einzelfall nicht oder nicht mehr benötigt werden, um Auskünfte in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht zu geben, die für die weiteren sicherheitspolizeilichen Maßnahmen oder für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der besetzten Gebiete besonders wichtig sind. … Den Selbstreinigungsversuchen antikommunistischer oder anti-jüdischer Kreise in den neu zu besetzenden Gebieten sind keine Hindernisse zu bereiten. Sie sind im Gegenteil, allerdings spurenlos, zu fördern, ohne dass sich diese örtlichen ‚Selbstschutz‘-Kreise später auf Anordnungen oder gegebene politische Zusicherungen berufen können. Armeebefehl des Oberbefehlshabers der 6. Armee, von Reichenau: Verhalten der Truppe im Ostraum, 10. Oktober 1941 • • • • Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentliche Ziel des Feldzuges ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer über alle Bestialitäten, die deutschen und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. … Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für allemal zu befreien. Aussage von Rivka Yosselevska im EichmannProzeß, 8. Mai 1961 (1) • Zeugin: Wir wurden gehetzt zu dieser Grube, wir waren bereits nackt ausgezogen, mein Vater wollte sich nicht ausziehen, er blieb in seinen Unterhosen. • Gen.-Staatsanwalt: Und da rissen ihm die Deutschen die Kleider ab, ja? • Zeugin: Nachdem er an die Reihe kam erschossen zu werden…. Man sagte ihm er solle sich ausziehen, er blieb in seinen Unterhosen, er wurde schwer verprügelt, trotzdem blieb er und da riß man ihm die Kleider vom Laib und ich sah mit eigenen Augen wie er erschossen wurde. Dann kam meine Mutter an die Reihe, sie wollte nur nicht die Erste sein, dann wurde sie trotzdem vorgeschleppt, man erschoß sie, nachher kam meine Großmutter, eine alte 80-jährige Frau, dann kam die Schwester meines Vaters dran, auch sie stand bereits da mit den kleinen Kindern noch an der Hand. Aussage von Rivka Yosselevska im EichmannProzeß, 8. Mai 1961 (2) • • • • • • Gen. Staatsanwalt: Und endlich kamen nun Sie an die Reihe, nicht? Zeugin: Und das war meine jüngere Schwester, so sehr sie auch im Ghetto gelitten hatte, wollte sie trotzdem am Leben bleiben, sie stand dort nackt und schrie, man solle sie und ihre Freundin am Leben lassen, aber sie beiden wurden erschossen. Gen. Staatsanwalt: Also was geschah nun mit Ihnen? Zeugin: Noch eine Schwester und dann kam ich dran. Ich hatte den Kopf umgewandt, denn wir gingen ja mit dem Gesicht zur Grube, und [jemand] fragte wen soll ich zuerst erschießen, ich habe nicht weiter geantwortet, ich merkte nur wie die Tochter von mir weggerissen wird und ich hörte ihren letzten Schrei und die Kugel. …. Ich fiel in die Grube. Ich war überzeugt, daß ich nicht mehr am Leben geblieben war, daß ich tot war, aber irgendwie merkte ich trotzdem irgendetwas. Ich merkte, daß ich ersticke, Leute fielen immer weiter auf mich. … Als ich aus der Grube [kam], habe ich nichts mehr erkannt, die ganze Umgebung war voll mit Leuten, die da auf der Erde lagen, ausgebreitet, gespreizt, Kinder, ich hörte nur Kinder schreien, die nackt umherliefen, riefen nach Vater, Mutter. … Brennende Körper Wannsee Konferenz (Jan. 1942) • “Endlösung”: “Unter ensprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesen zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen.” • Deportation von Juden aus Amsterdam, 1941 • Deportation von Juden aus Warschau, 1942 Ankunft in Auschwitz • Frauen und Kinder, die als ungeeignet für Zwangsarbeit angesehen werden, wenige Minuten vor ihrer Ermordung in der Gaskammer • Krematorium Auschwitz Zeugenaussage von Judith Becker im Eichmann-Prozeß, 1961 We went to the cutting room [Ankleide] and we managed to get out of there relatively okay and then they pushed us into the gas chamber. In the gas chamber they had a, like a little glass booth, you know [...]. They could watch the people inside and the controls were inside that thing. And I recognized this man from the Sonderkommando and I looked at him and he puts down. So I tried very hard to distract my mother. It was the hardest moment of my life ever, to know that we are going to die and yet to act so that we don‘t make a spectable for the Germans, for the Nazis who were watching us, to make more of a spectacle, you know, to give them more enjoyment. So we did say the Shma Yisrael and my mother insisted that we say parts of the Vidui and I didn‘t tell her that it was going to be gas, but it was so hard not to scream, not to jump, not to do something. I must have used up kilos of energy in those few minutes. And by a micracle, instead of the gas came the water. Later on it turned out that he had switched on the Zyclon and the delivery system had been damaged and it didn‘t come so instead, the other valve opened up and the water came. • Leichen in Treblinka Rede von Heinrich Himmler vor SS-Funktionären, Poznan, 4. Oktober 1943 • Ich will auch ein ganz schweres Kapitel ... will ich hier vor Ihnen in aller Offenheit nennen. Es soll zwischen uns ausgesprochen sein, und trotzdem werden wir in der Öffentlichkeit nie darüber reden. • Ich meine die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. "Das jüdische Volk wird ausgerottet", sagt Ihnen jeder Parteigenosse, "ganz klar, steht in unserem Programm drin, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir, pfah!, Kleinigkeit". Und dann kommen sie alle, alle die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Sagt: alle anderen sind Schweine, und hier ist ein prima Jude. Und ... zugesehen, es durchgestanden hat keiner. Von Euch werden die meisten wissen, was es heisst, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Und ... dies ... durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen - anständig geblieben zu sein, hat uns hart gemacht und ist ein niemals genanntes und niemals zu nennendes Ruhmesblatt. Mauthausen Titelblatt von Time Magazine, 7. Mai 1945 Dimensionen des Krieges • Militärischer Konflikt – Krieg der Armeen, ausgelöst durch Hitlers imperiale Ambitionen • Krieg zwischen ethnischen Gruppen und Religionen • Klassenkrieg • Bürgerkrieg