Kapitel 3 Transportmechanismen - HERA-B

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Kapitel 3
Transportmechanismen
Ionisationsdetektoren spielen in der Elementarteilchenphysik eine zentrale Rolle,
sie waren die ersten Geräte überhaupt, mit denen Strahlung nachgewiesen werden
konnte. Alle diese Geräte beruhen auf dem Prinzip der Ionisation eines Gases durch
die eindringende Strahlung, die dabei entstehenden Ionisationselektronen und Ionen werden aufgesammelt und als elektrisches Signal beobachtet. Das historisch
wichtigste Beispiel ist das Geiger-Müller-Zählrohr. Deshalb sollen zunächst der Ionisationsprozess sowie die Transportphänomene von Elektronen in Gasen diskutiert
werden.
3.1
Ionosationsmechanismus
Der Energieverlust geladener Teilchen in einem Medium wird im Wesentlichen durch
Anregung und Ionisation, bei der ein freies Elektron und ein Ion entstehen, bestimmt. Die Anregung eines Atomes X durch ein geladenes Teilchen p
X + p → X∗ + p
(3.1)
ist ein resonanter Prozess, der die Übertragung einer bestimmten Energieportion
verlangt. Dabei beträgt der typische Wirkungsquerschnitt für den Anregungspozess
in Edelgasen σ ≈ 10−17 cm2 . Obwohl kein Elektron frei wird und kein Ion entsteht,
kann dieser Prozess in weiteren Reaktionen auch zur Ionisation beitragen. Der Ionisationsprozess
X + p → X + + p + e−
(3.2)
ist kein resonanter Prozess und verlangt deshalb auch keinen bestimmten diskreten
Energieübertrag. Obwohl der Wirkungsquerschnitt der Ionisation mit σ ≈ 10−16 cm2
etwas größer als der der Anregung ist, dominieren im Allgemeinen wegen des relaiv
hohen Energieschwellwertes die Anregungsprozesse.
Die Elektronen und Ionen, die durch den Prozess 3.2 durch die eintreffende Strahlung selbst entstehen, werden als Primärionisation bezeichnet. Bei einem Teil dieser
Ionisationen wird so viel Energie auf die Elektronen übertragen, dass diese wiederum selbst ionisierend wirken. Diese Elektronen werden als δ-Elektronen bezeichnet,
3.2 Transportmechanismen von Elektronen und Ionen in Gasen
59
die durch sie verursachten Ionisationsprozesse nennt man Sekundärionisation. Dieser sekundärer Prozess hält solange an, bis der Ionisationsschwellwert unterschritten
wird.
3.1.1
Mittlere Anzahl produzierter Ionenpaare
Der Ionisationsprozess ist statistischer Natur, zwei einfallende Teilchen produzieren
in der Regel nicht dieselbe Anzahl an Elektronen-Ionenpaaren. Bei einem bestimmten Energieverlust kann die mittlere Zahl der Elektron-Ionenpaaren nicht aus dem
Quotienten aus Energieverlust und Ionisationspotenial bestimmt werden, da immer
ein Teil der Energie in Anregungsprozessen absorbiert wird. Es zeigt sich, dass bei
Gasen dieser Wert von der Grössenordnung 1 Elektron-Ionpaar pro 30 eV an Energieverlust beträgt. Überraschenderweise hängt dieser Wert nicht wesentlich von der
Art des ionisierenden Teilchens und nur schwach von der Art des Ionisationsgases
ab.
3.2
Transportmechanismen von Elektronen und
Ionen in Gasen
Für die Entwicklung und den Bau von Ionisationsdetektoren ist das Verständnis
der Bewegungsmechanismen von Elektronen und Ionen essentiell, da sich daraus die
Anforderungen an die Betriebsbedingungen ergeben. Die Phänomene können in der
Regel mit der klassischen kinetischen Gastheorie beschrieben werden, und umfassen
im Wesentlichen die Diffusion und das Driftverhalten im elektromagnetischen Feld.
3.2.1
Diffusion
Wenn kein elektrisches Feld anwesend ist, diffundieren die von der Strahlung erzeugten Elektronen und Ionen ausgehend von ihrem Erzeugungsort gleichmäßig und
isotrop in alle Raumrichtungen. Während des Prozesses erfahren sie Vielfachstreuung mit den Gasmolekülen und verlieren dabei ihre Energie. Somit erreichen sie
schnell ein thermisches Gleichgewicht mit den Gasmolekülen und rekombinieren.
Bei thermischen Energien wird die Geschwindigeit der Ladungen durch eine Maxwellverteilung beschrieben, welche eine mittlere Geschwindigkeit von
v̄M =
s
8kT
πm
(3.3)
mit der Boltzmannkonstanten k und bei der Temperatur T für ein Teilchen der
Masse m liefert. Aufgrund der kleinen Masse des Elektrons ist deren mittlere Geschwindigkeit wesentlich größer als die der Ionen. Bei Zimmertemperatur ist
v̄M (e− ) ≈ 106 cm/s
v̄M (A+ ) ≈ 104 cm/s
60
Transportmechanismen
Aus der kinetischen Gastheorie erhält man, dass die Verteilung der Ladungen,
die während der Zeit t diffundiert sind, gaussartig ist:
dN
x2
N0
e− 4Dt
=√
dx
4πDt
(3.4)
wobei N0 die totale Anzahl der Ladungen, x die Entferung vom Erzeugungsort und
D der Diffusionskoeffizient ist. Die Breite der Verteilung in x ist demnach
√
(3.5)
σ(x) = 2Dt
und in drei Dimensionen gilt analog für den sphärischen Drift
√
σ(r) = 6Dt
(3.6)
wobei r der radiale Abstand vom Erzeugungspunkt ist. Beispielsweise ist Streubreite
von Ionen in Luft unter Normalbedingungen ungefär 1 mm nach 1 s. Der Diffusionskoeffizient D kann aus der kinetischen Gastheorie hergeleitet werden und ist
D=
1
vλ
3
(3.7)
wobei λ die mittlere freie Weglänge der Elektronen oder Ionen im Gas ist. Für ein
ideales, klassisches Gas ist die λ bei einer Temperatur T und dem Druck p gegeben
als
1 kT
λ= √
(3.8)
2 σ0 p
wobei σ0 der totale Wirkungsquerschnitt der Kollision mit einem Gasmolekül ist.
Wenn man in Gl. 3.7 Gl. 3.3 und Gl. 3.8 einsetzt, so erhält man für den Diffusionskoeffizienten
s
2
1
(kT )3
D= √
(3.9)
3 π pσ0
m
In Gl. 3.9 werden die Abhängigkeiten von D von den Parameteren des Gases deutlich.
3.2.2
Drift und Mobilität
Bei der Anwesenheit eines elektrischen Feldes werden die durch die Teilchenstrahlung
erzeugten Ladungen entlang der Feldlinien zur Anode bzw. zur Kathode beschleunigt. Der Beschleunigung der Ladungen wirken die Kollisionen mit den Gasatomen
entgegen, wodurch die maximal erreichbare Geschwindigkeit entlang der Feldrichtung begrenzt wird und sich eine konstante Driftgeschwindigkeit einstellt. Verglichen
zu den thermischen Bewegungen ist die Driftgeschwindigkeit relativ klein, nur bei
den sehr leichten Elektronen kann sie höher sein.
In der kinetischen Gastheorie definiert man die Mobilität µ einer Ladung als
µ=
vD
E
(3.10)
3.2 Transportmechanismen von Elektronen und Ionen in Gasen
61
wobei vD die Driftgeschwindigkeit und E die elektrische Feldstärke sind. Im Falle
von positiven Ionen ist die Driftgeschwindigkeit linear zum Verhältnis E/p bis hin
zu relativ großen elektrischen Feldern. Bei einem konstanten Druck folgt daraus,
dass die Mobilität konstant bleibt. Bei einer gegebenen Feldstärke E ist demnach
die Mobilität µ umgekehrt proportional zum Druck p.
In idealen Gasen, bei denen die driftenden Ladungen im thermischen Gleichgewicht bleiben, ergibt sich der folgende Zusammenhang zwischen der Mobilität und
der Diffusionskonstante
kT
D
=
(3.11)
µ
e
Dies folgt aus klassischen Überlegungen und ist als die Einstein’sche Relation bekannt.
Anders als bei den positiven Ionen ist die Mobiltät der Elektronen wesentlich
größer und abhängig von E. Bei einer typischen Feldstärke von 1 kV/cm bei Normaldurck können Geschwindigkeiten von bis zu 106 cm/s vor Eintreten der Saturation
erreicht werden. Wenn durch die Zunahme der Driftgeschwindikeit die thermischen
Energien überschritten werden, kann davon auch die Diffusionsrate beeinflusst werden (Abb. 3.1).
3.2.3
Beweglichkeit von Ionen und Elektronen
Im äußeren elektrischen Feld erhalten die Ionen neben der thermischen Geschwindigkeit eine überlagerte Driftgeschwindigkeit, die ihrer Bewegung eine Vorzugsrichtung
gibt. Die mittlere kinetische Energie eines Ions unterscheidet sich allerdings nur unwesentlich von deren thermischer Energie, da das schwere Ion beim Stoß mit dem
etwa gleich schweren Gasatom im Mittel die Hälfte seiner Energie verliert. Die Beweglichkeit von Ionen µ+ sollt daher in guter Näherung unabhängig vom äußeren
angelegten Feld sein.
Bei einer Driftkammer misst man die Zeit, die zwischen dem Teilchendurchgang
und der Signalproduktion vergeht, um aus dieser Information den Ort der Teilchenbahn zu bestimmen. Die Beweglichkeit der Elektronen legt hier die Zeitdauer fest
L
∆t = t(Anode) − t(Teilchen) =
(3.12)
vD
wobei L der Abstand von dem Produktionsort (zur Zeit t(Teilchen)) des Ionenpaares
zur Anode ist. Die Driftgeschwindigkeit vD der Elektronen wird aus der allgemeinen
~ und B-Feld
~
Bewegungsgleichung eines Elektrons im Eabgeleitet:
m
d~v
~ + e(~v × B)
~ + Q(t)
~
= eE
dt
(3.13)
~
wobei Q(t)
ein stochastisches zeitabhängiges Rauschen aufgrund der Stöße mit den
~ und B
~ Felder
Gasatomen sei. Wir können in guter Näherung annehmen, dass die E
zwischen zwei Stößen konstant seien und mitteln über ein Zeitintervall, dass viel
größer als die Zeit zwischen zwei Stößen sei: ~vD = h~v i und erhalten dann aus Gl. 3.13
O = hm
d~v
~ + h~v i × B
~ − m ~vD
i=e E
dt
τ
(3.14)
62
Transportmechanismen
~
wobei Q(t)
durch einen Reibungterm angenähert wurde. Für die Driftgeschwindigkeit erhält man dann mit der Larmor-Frequenz ωL = eB
m
~ + ω · τ~vD × B
~
~vD = µ · E
(3.15)
Aufösung nach ~vD liefert dann endlich
~vD =
~ ˆ
µ|E|
ˆ~
ˆ~
ˆ~ ˆ~ 2 2 ˆ
~ + ωτ E
~ · B)
E
×
B
+
ω
τ
(
E
·B
1 + ω2τ 2
(3.16)
~ = 0 wird Gl. 3.16 zu ~vD = µ · E.
~
Im Fall von B
Man untescheidet nun zwei Arten von Gasen: einerseits Gase, deren Atome wenige niederenergetische Anregungsniveaus besitzen, und die Elektronen bei Stöß kaum
Energie verlieren können (T− kT , heiße Gase) und anderseits Gase, mit vielen
niederenergetischen Freiheitsgraden, in denen die Elektronen ihre gewonnene Energie durch Stöße verlieren können (T− ' kT , kalte Gase). Bei heißen Gasen ist die
nicht konstant, hingegen gilt bei kalten
Driftgeschwindigkeit wegen µ ∼ τ ∼ σ(|1E|)
~
Gasen µ = const.. Dies ist in Abb. 3.1 dargestellt.
Abbildung 3.1: Driftgeschwindigkeit vD von Elektronen als Funktion der angelegten
Feldstärke.
Offensichtlich wird die Richtung der Driftgeschwindigkeit ~vD durch die Anwe~ und B-Feldern
~
senheit von Ederart beeinflusst, daß ~vD eine Komponente parallel
~ und B
~ hat. Falls, wie es beim Bau von
und eine senkrecht zur Richtung von E
~
~
Driftkammer üblich ist, das E-Feld
senkrecht zum B-Feld
gewählt wird, so erhält
~
~vD einen Winkel αL zur Richtung des E-Feldes, den sogenannten Lorentzwinkel
und ändert ihren Betrag. Mit Gl. 3.16 folgt dann in disem Falle mit tan α = ω · τ
|~vD | = √
µE
1 + ω2 τ 2
=⇒
tan α = vD ·
B
E
(3.17)
3.3 Lawinenbildung
63
Bei einem Driftfeld von E = 500 V und einer daraus resultierenden Driftgeschwindigkeit von vD = 3.5 cm/µs ändert sich deren Betrag bei der Anwesenheit eines
B
Magnetfeldes von B = 1.5 T zur vD
= 2.4 cm/µs und der Lorentzwinkel beträgt
◦
αL = 46 . Daraus ist ersichtlich, dass aufgrund seiner Größe der Lorentzwinkel bei
der Planung von Driftkammern immer mitberücksichtigt werden muss.
3.3
Lawinenbildung
Eine Vervielfachung der ionisierenden Primärladung in Gasdetektoren erhält man,
wenn die durch die Primärionisation entstandenen Elektronen genügend Energie aus
dem angelegten Feld erhalten, so dass sie selbst wiederum ionisierend wirken können.
Die ionisierenden Sekundärelektronen produzieren dann ihrerseits Tertiärelektronen
und so fort. Dieser Prozess resultiert in einer Lawinenbildung. Die Verteilung der
Ionisationswahrscheinlichkeit ist in Abb. 3.2 gezeigt. Wegen der höheren Mobilität
der Elektronen hat die Lawine die Form eines Flüssigkeitströpfchens, bei dem sich die
Elekronen in der Nähe des Bauches gruppieren und das langsamere Ion hinterherläuft
(Abb. 3.3)
Abbildung 3.2: Ionisationswahrscheinlickeit als Funktion der Elektronenergie T e .
Wenn λ die mittlere freie Weglänge für eine Sekundärionisation sei, dann ist α =
1/λ die Ionisationswahrscheinlichkeit pro Weglänge. Wenn n Elekronen vorhanden
sind, werden in einer Wegstrecke von dx
dn = n α dx
(3.18)
64
Transportmechanismen
neue Eletronen produziert. Durch Integration erhält man die totale Anzahl der auf
der Strecke x produzierten Elektronen
n = n0 eα·x
(3.19)
wobei n0 die ursprüngliche Zahl der Elekronen ist. Der Verstärkungsfaktor wird
dann zu
n
M=
= eα·x
(3.20)
n0
Im Allgemeinen ist α bei nicht gleichförmigen elektrischen Feldern eine Funktion
von x:
R2
M = e 1 α(x) dx
(3.21)
Während die Verstärkung von Gl. 3.21 ohne Grenze anwachsen kann, ist der
Verstärkungsfaktor aus physikalischen Gründen auf M < 108 oder α x < 20 beschränkt (Raether-Limite), ansonsten würde es zu Funkenbildung kommen. Da für
die Driftgeschwindigkeiten gilt vD (e− vD (Ion) erhält man unter Berücksichtigung der Diffusion und Streuung eine tropfenartige Lawinenform (Townsend-Lawine,
Abb. 3.3).
Der Verstärkungsfaktor ist von fundamentaler Bedeutung für den Bau von Proportionalzählern. Aus diesem Grunde wurden viele theoretische Modelle zur Bestimmung von α in verschiedenen Gasen entwickelt. Eines der älteren Modelle von Rose
und Korff liefert dafür
−Bp
α
=A·e E
(3.22)
p
wobei A und B empirische Gaskonstanten sind.
3.3 Lawinenbildung
65
Anode
Abbildung 3.3: Ausbildung einer Ladungslawine in der Nähe des Anodendrahtes.
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