Begleittext_Energie_und_Ethik_Neuhold

Werbung
Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold
Erneuerbare Energie und Ethik
I. Thesenartiger Zugang aus ethischer Perspektive
These 1:
Der Klimawandel, seine Beeinflussbarkeit und die Bewältigung der Folgen sind auch ethische
Fragen, geht es doch um die Zukunft der Welt als ganzer und um die Beziehung der einzelnen
Weltteile zueinander. Wie die Diskussionen am Klimagipfel von Cancun zeigen, geht es
darum, ob wir zu einem Handeln auf den verschiedenen Ebenen menschlicher Existenz, der
individuellen, der gesellschaftlichen, der nationalen, der inter- und der supranationalen Ebene
kommen können, zu einem Handeln, das „heilsam“ ist. Da sich angesichts der Größe der
Herausforderung einerseits sehr leicht resignatives eine Haltung des Gewährenlassens wie
gehabt, auf der anderen Seite fundamentalistisch-missionarisches Vorgehen, das auf einen
reduzierten Handlungstyp als Rettungshandlung abstellt, herausbilden, stellt sich die ethische
Frage verschärft. Diese Verschärfung zeigt sich auch darin, dass es beim Klimawandel um
eine Zukunft geht, in der nicht unbedingt die Eigeninteressen in so unmittelbarer Weise
berührt sind: Handeln in solchen Zusammenhängen, in denen sich ethisches Verhalten nicht
unmittelbar bezahlt macht, ist besonders schwer zu motivieren, besonders dann, wenn
gegenwärtige Probleme gegen die zukünftigen stehen und diese gegeneinander ausgespielt
werden.
These 2:
Bei der Frage der Energie im Zusammenhang mit Klima und Klimawandel zeigen sich trotz –
oder vielleicht gerade wegen – der regen Forschungstätigkeiten auf diesem Gebiet noch viele
ungeklärte Zusammenhänge, beispielsweise in Bezug darauf, wie natürliche Entwicklungen
mit Einflüssen, die über den Menschen geschaffen worden sind und geschaffen werden,
zusammenwirken. Die letztgültige Klärung – so fern sie überhaupt möglich ist – abzuwarten,
1
wäre fatal. Es geht also um ein Handeln in einer Situation ungenügender Information, vor
allem was Zusammenhänge zwischen einzelnen Wirkfaktoren betrifft. In einer solchen
Situation bedarf es der Ausrichtung auf Revidierbarkeit des Handelns in die Richtung, dass
die Folgen des Handelns nicht unumkehrbar sind und in neue Zusammenhänge positiv
einbezogen werden können. Ethik hat es also nicht nur mit wünschenswerten Endgestalten zu
tun, sondern mit der Herausforderung der Konzeption von Prozessgestalten. Es ist Aufgabe
der Ethik, Prozesse offen zu halten und den Verschließungstendenzen, die sich in einem
technokratischen Zugang, der technische Teillösungen als Gesamtlösung verkauft, nur zu
leicht zeigen, zu wehren. Ethik besteht im Stellen von Fragen gerade auch in Situationen, in
denen alle Fragen scheinbar schon beantwortet sind.
These 3:
Menschliches Handeln ist von Interessen gekennzeichnet, was dazu führen kann, dass die
Interessen die Erkenntnis leiten, zum Teil auch bestimmen und dadurch zu einem durch diese
Interessen bestimmten Handeln führen.
Interessen können durchaus berechtigt sein, sie bedürfen aber der Überprüfung, vor allem
auch deswegen, weil begrenzte Eigeninteressen als Gemeinwohlinteresse ausgegeben werden
können und nur zu oft als solche ausgegeben werden. In einem Dialogprozess müssen so die
verschiedenen Interessenträger zusammengeführt werden, um einerseits die Interessen
artikulieren und darstellen zu können, damit Transparenz geschaffen werden kann. Zum
anderen kann es in diesem Dialogprozess zu einer Abgleichung der Interessen kommen, etwa
auch dadurch, dass das beim Anderen vermutete Interesse sich dann doch nicht als so
unvereinbar mit dem eigenen Interesse zeigt, wie ursprünglich angenommen.
Zudem sind Interessen eingebettet in Weltanschauungen, durch die die Interessen strukturiert
werden. Aufgabe der Ethik ist es, eine Analyse der Weltanschauungen durchzuführen, weil
sie Grundendscheidungen bedeuten. Wird etwa von einer mechanistischen Weltsicht in
umfassender Marktausrichtung ausgegangen, werden sich andere Lösungen ergeben, als wenn
das Denken von einem in Werte eingebetteten Markt seinen Ausgang nimmt, der der
Komplexität der Bedingtheiten menschlichen Umwelthandelns gerecht zu werden versucht
und damit Natur auch in ihrem Eigenwert und nicht nur in der Verwertung sieht.
Mit Wertebaumanalysen die verschiedenen Interessen darzustellen und in den Verästelungen
auch die jeweiligen Verschränkungen dieser Interessen offen zu legen, stellt einen wichtigen
2
Schritt der Erhellung des Hintergrundes für das Handeln dar und bietet sich auch als
Instrument zur Analyse von Abgleichprozessen an.
These 4:
Lebensstile stellen Ethosformen dar, die von einer Veralltäglichung von Verhaltensweisen
geprägt sind, weil sie eine zum Teil unhinterfragte soziale Wünschbarkeit vorgeben. Etwa
wird so gehandelt, weil „man“ so handelt. Diese Lebensstile sind nicht unbedeutend im
Hinblick auf Verbrauch und Erzeugung von Energie, und deswegen muss auch bei der
Bewusstmachung der Bedeutung der jeweiligen Lebensstile für den ökologischen Verbrauch
angesetzt werden. In der Gegenüberstellung verschiedener in der Gesellschaft verbreiteter
Lebensstile mit der Darstellung des jeweiligen Ressourcenverbrauches kann man aber nicht
nur einen Vergleich anstellen, vielmehr zeigen sich auch Auswirkungen auf die Umwelt, die
mit einer eventuellen Lebensstiländerung verbunden sind. Was sich als sozial erwünscht
darstellt, muss ja nicht immer nachhaltig sein. So ist etwa zu fragen, ob die mit dem Auto
verbundenen Versprechungen von Freiheit, Unabhängigkeit oder Erlebnisorientierung einen
hohen Verbrauch von Umwelt rechtfertigen oder ob diese Werte nicht auch auf andere
umweltschonendere Weise verwirklicht werden könnten.
Mit Lebensstilanalysen ergibt sich die Möglichkeit, nicht nur Zielwerte, sondern auch
instrumentelle Werte zu analysieren. Nicht nur die Ziele bedürfen nämlich einer ethischen
Betrachtung, auch in der Frage des „Wie“ des Erreichens dieser Ziele ergeben sich wichtige
Hinweise auf verantwortliches Handeln im Blick auf Energie. So ist ethische Aufmerksamkeit
auch in Bezug auf die Wege der Realisierung von Lebensstilen gefordert
These 5:
Erneuerbare Energieformen sind nicht in Bausch und Bogen ethisch gleich zu bewerten,
sondern es stellen sich etwa Fragen, wie die Grundlagenstoffe für die Energiegewinnung
gewonnen werden können, ob sie als „Abfall“ anfallen oder eigens für die Energiegewinnung
gezüchtet werden müssen, wie energieintensiv diese Züchtung ist, ob nicht dadurch Boden
verbraucht wird, der für anderes nachhaltiger verwendet werden könnte. Um es an einem
Beispiel zu zeigen: Es ist etwas Anderes, wenn Speiseabfälle oder Grünschnitt eines
3
Golfplatzes zur Herstellung von Biogas verwendet werden oder wenn Getreide speziell dafür
gezüchtet wird, um damit Energie herzustellen. Wenn auch in beiden Fällen beispielsweise
„Speisen“ verwenden werden, so ist es etwas anderes, Abfälle zu verwenden, als direkt
Grundstoffe für Lebensmittel für Energie zu verarbeiten. Zudem müssen auch die
Energiebilanzen in Bezug auf anfallende biogene Stoffe und gezielt für die Energieerzeugung
gezüchtete Stoffe einbezogen werden.
Weiters gilt es zu fragen, welchen Einfluss die Verwendung welchen Rohstoffes auf das
zukünftige Vorhandensein dieses Rohstoffes hat. Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Der
Grad der Erneubarkeit wird beim intensiven Anbau biogener Energieträger ein anderer sein
als etwa beim Einsatz von Sonnenenergie, wobei die in den Maßnahmen der Gewinnung der
Sonnenenergie gelegenen Verbrauchsraten von Umwelt aber auch nicht vergessen werden
dürfen. Zudem gilt es immer zu bedenken, auf welche Frist hin analysiert wird und wie sich
der Rahmen der ins Auge gefassten „Fristigkeit“ auswirkt.
These 6:
Ethisch kann zwischen Wirkhandlungen und Ausdruckshandlungen unterschieden werden.
Wirkhandlungen bedeuten einen Teil der Zielerreichung in inhaltlicher Perspektive,
Ausdruckshandlungen haben nicht so sehr die direkte Zielerreichung zum Inhalt, sondern
dienen in erster Linie der Schaffung eines Bewusstseins, das der Zielerreichung dienlich ist.
Gerade in einem Umfeld, das von Unsicherheit in Bezug auf den wirklichen Grad der mit
Handlungen erreichbaren Ergebnisse in den Auswirkungen auf das Klima etwa geprägt ist,
bleiben Ausdruckshandlungen unverzichtbar, auch um einer Verengung des Blicks auf eine
spezifische Wirkhandlung zu entgehen. Weil es die Lösung in Fragen der Energie nicht gibt,
ist ein Bewusstsein dahingehend wichtig, dass in den verschiedenen Formen der
Energiegewinnung etwa das Ziel der Nachhaltigkeit zum Tragen kommt. So muss die
Optimierung über verschiedene Formen der Energiegewinnung erfolgen, wobei dann auch das
Gesamtergebnis zu evaluieren ist.
Das kann auch dazu führen, dass auch Ausdruckhandlungen verstärkt direkt wirksam auf eine
positive Energiebilanz gestaltet werden können. Damit bleiben die verschiedenen Ansätze
auch revidierbar auf eine positive Gesamtbilanz hin.
These 7:
4
Komplexe Probleme wie die mit dem Klimawandel verbundenen können nur in umfassenden
Strategien einer Lösung näher gebracht werden, in umfassenden Strategien, die auf den
verschiedenen Ebenen ansetzen. Dabei ist es wichtig, den Anstoß, der durch
Pionierunternehmen oder durch Vordenker gegeben wird, zu nutzen. Diese Anstöße bedürfen
des Einbindens verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, der Politik, des Rechts, der
Wirtschaft, der Vereine, der überregionalen Förderung oder auch des Einzelnen. Dazu gilt es,
die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen, um die Aktionen aufeinander
abzustimmen, ohne die Konkurrenz damit ausschalten zu wollen. Es ist notwendig, dass zur
Erreichung eines komplexen Zieles verschiedene Ansätze zur Geltung gebracht werden. Der
gesellschaftliche Pluralismus ist auch in dieser Hinsicht eine positive Entwicklung, es bedarf
aber des Bemühens um gemeinsame Grundwerte, auf deren Basis die verschiedenen Ansätze
als positiv für das Gesamte gestaltet werden können.
Dabei sind auch die einzelnen Maßnahmen in ihren verschiedenen Bezügen zu sehen, damit
ganzheitliche Perspektiven offen gehalten werden können .Um es an einem Beispiel zu
zeigen. Ein Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energie muss natürlich dem Imperativ
„Arbeite technik- und wirtschaftsgerecht!“ folgen. Es ist notwendig, die technischen und
wirtschaftlichen Sachgesetzmäßigkeiten zu beachten. Diese Sachgesetzmäßigkeiten sind aber
in verschiedene Perspektiven einzubetten. Dies zeigt sich durch eine Ergänzung dieses
Imperativs durch den Imperativ „Arbeite menschengerecht!“ Damit wird der Tatsache
Rechnung getragen, dass das Handeln auf den Menschen hin zu gestalten ist. Die Imperative
„Arbeite umwelt- und zukunftsgerecht!“ dienen der Einbettung des Wirtschaftens in Zeit und
Umwelt. Schließlich kann noch gefordert werden: „Arbeite gesellschaftsgerecht“, weil die
Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Nutzung der in der Gesellschaft gelegenen
Ressourcen mitgedacht werden muss. Ethik bedeutet somit das Offenhalten von Perspektiven.
Daraus ergibt sich die Forderung nach Miteinbeziehung verschiedener Stakeholder aus den
Bereichen Politik, Wirtschaft, Kirche, Gesellschaft (Vereine) und einzelner Interessierter in
diesen Dialogprozess.
These 8:
Die umfassende Betrachtung muss aber auf eine bestimmte Region mit ihren Realfaktoren hin
konkretisiert werden. So ist es wichtig, die natürlichen Gegebenheiten in Bezug auf Bestand
5
biogener Grundstoffe für die Energiegewinnung zu erheben, die wirtschaftliche Struktur zu
analysieren oder die politischen Gegebenheiten einer ganz bestimmten Region zu erheben, um
verstärkende Ansatzpunkte für eine umfassende Strategie der Energiegewinnung zu erhalten.
Natürliche und gesellschaftliche Gegebenheiten werden damit zu Faktoren einer positiven
Veränderung. Allerdings bedarf es auch der Bewusstseinsbildung in die Richtung, dass
regionale Gestaltungsmodelle andere Wirkungen auf weltweiter Ebene auslösen können, als
auf lokaler Ebene beabsichtigt sind. Wenn etwa auf Grund der spekulativen Bewertung auf
der Börse durch Verbrauch biogener Materialien für die Energiegewinnung die
Lebensmittelpreise weltweit steigen, so ist das nicht nur auf dem Hintergrund der Konkurrenz
von Brot und Energie zu sehen, sondern vor allem auch auf dem Hintergrund der Wirkung
von Börsenmechanismen, die durch Erzeugung von Knappheiten etwa Gewinne lukrieren.
Auf weltweiter Ebene gelten oft andere Gesetzmäßigkeiten als auf regionaler. Auch das muss
immer mit bedacht werden, um nicht Fehlleistungen durch Zwischenschaltungen von Mitteln
zu erfahren, die dann dem Anliegen einer Energiegewinnung auf ethischer Basis schaden.
These 9:
Ethik besteht in erster Linie nicht darin, Maßnahmen der Energiegewinnung zu be- oder sogar
zu verurteilen, sondern in der Öffnung von Perspektiven für einen Prozess verantworteter
Energiegewinnung. Ethik bedeutet so nicht vordergründig Wegweisung, sondern wesentlich
Weggefährtenschaft durch Fragen nach der Verallgemeinerbarkeit der gesetzten Schritte.
Dabei gilt es, sich bewusst zu halten, dass es die Lösung nicht gibt, sondern dass wir auf dem
Weg bleiben müssen, auch durch die Entwicklung besserer Methoden und die verstärkte
Öffnung des Blickes auf Zusammenhänge. Wir brauchen dazu eine Kombination von
Bescheidenheit und Entschiedenheit. Bescheidenheit zeigt sich dabei als Bewusstsein, die
beste Lösung nicht schon gefunden zu haben, und damit als Aufforderung, auf dem Weg zu
bleiben. Entschiedenheit erweist sich dabei als ein bewusstes Setzen auch unvollkommener
Techniken und Schritte, um eine Verbesserung zu erreichen. Ethik bleibt somit eine Ethik des
Komparativs, eine Ethik des Verbesserns und Erweiterns in konkreten Schritten, aber auf ein
verantwortetes Ziel hin.
These 10:
6
Für Handeln ist Gesinnung wichtig, für Handeln sind aber auch Strukturen maßgebend. In
Bezug auf eine positive Energiezukunft bedarf es also sowohl einer gesinnungs- wie auch
einer Strukturreform. Um die Zusammenführung beider zu erreichen, bedarf es des intensiven
gesellschaftlichen Dialogs, der nicht durch die Vorgabe von ethischen Leitlinien ersetzt
werden kann. Es wird wesentliche Aufgabe von Weltanschauungsgemeinschaften und
Kirchen sein, diesen Dialog zu initiieren und auch auf lokale Ebenen herabzubrechen.
II. Konkrete Schritte zur ethischen Bewertung erneuerbarer Energie
1. Zur Erhaltung und Entfaltung menschlichen Lebens ist Energie notwendig. Diese
grundsätzliche Notwendigkeit bedingt ein Recht auf Energie für alle. Dies hat zur
Folge, dass gegebene Konkurrenzen so gestaltet werden müssen, dass nicht der
gegenseitige
Ausschluss
oder
eine
weitgehende
Beeinträchtigung
der
Energieversorgung Ziele sind, sondern eine möglichst demokratische Nutzung, die
allen Energiegebrauch ermöglicht. Aus der Begrenztheit der Energie folgt aber auch
die Aufforderung an die Einzelnen und Gruppen, möglichst sparsam mit
Energieverbrauch umzugehen. Diese Forderung ergibt sich aber nicht nur an der
Limitierung des Zugangs zur Energie, sondern auch aufgrund der Auswirkungen der
Energieerzeugung und des Energieverbrauchs.
2. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung von Energie für das Leben bedarf es einer
Koordination der Energieversorgung durch die öffentliche Hand, aber auch
internationale und globale Ordnungsinstrumente. Der Markt wird dabei ein wichtiges
Ordnungselement darstellen, aber es bedarf auch der Lenkungsinstrumente in Bezug
auf den Markt, die den Markt auf das Gemeinwohl beziehen. Dies gilt vor allem
hinsichtlich der Tatsache, dass Gemeinwohl die Einbeziehung aller Menschen
bedeutet, so auch der zukünftigen Generationen, die auf aktuellen Märkten nur zu
leicht unberücksichtigt bleiben, wiewohl der Markt Lenkungseffekte in Richtung auf
Ressourcenschonung bedeutet. Mit der Förderung der Einspeicherung von Energie aus
Biomasse oder Solarquellen werden solche wesentlichen Lenkungseffekte erzielt,
damit aber in, wenn auch notwendigen, Marktverzerrungen kollektive Wirkungen
erzielt, die Vereinseitigungen bedeuten können.
7
3. Die Tatsache, dass unsere derzeitige Gesellschaft wesentlich von fossiler
Energieverwendung in der daraus resultierenden Technologie geprägt ist, zeigt, dass
mit Energiegewinnung, Energieverteilung und Energieverwendung Wirkungen
gegeben sind, die verschiedene Bereiche der Gesellschaft prägen und so das Bild der
Gesellschaft
wesentlich
mitbestimmen.
Mit
Wirkungen
ist
nun
ethische
Verantwortung der Akteure, die diese Wirkungen setzen, verbunden. Aufgrund der
zum Teil fundamentalen Auswirkungen, die mit Energiegewinnung, -bereitstellung
und Energieverbrauch in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen verbunden sind,
sind die Perspektiven ethischer Verantwortung vielfältige. Dabei muss man darauf
aufmerksam
machen,
dass
die
Zuschreibung
von
Verantwortung
an
die
Handlungsmacht im jeweiligen Bereich gekoppelt ist. Ich bin für das verantwortlich,
das ich gestalten kann und in einer entsprechenden Weise gestaltet habe, bei
alternativen Möglichkeiten. Verantwortung wird heute zum Teil zu stark ausgeweitet,
insofern Menschen, Gruppen oder Funktionsträger für Zustände verantwortlich
gemacht werden, bei denen sie keine Handlungsmacht besaßen. Auf der anderen Seite
wird Verantwortung aber auch mit dem Argument abgeschoben, dass „man“ nichts tun
konnte, weil etwa auf dem Feld der fossilen Energie so weitreichende Festlegungen da
sind, dass man dagegen nichts erreichen kann.
4. Die Vielfalt von Auswirkungen im Blick auf Energie bedingt eine Vielfalt an
Perspektiven, die durch Ethik eröffnet werden müssen. Dabei ist zu bedenken, dass
infolge der sehr komplexen Zusammenhänge nie alle Perspektiven eröffnet werden
können. Deswegen ist die Bewertung nur über gewisse Szenarien, die die Betonung
oder die Ausklammerung bestimmter Gesichtspunkte als Merkmale für die
Konstruktion eben dieser Szenarien bedeuten, möglich. Solche Szenarien wurden etwa
im Projekt „klimaverträgliche Energieversorgung in Baden-Württemberg“, welches
1993 gestartet wurde und dessen Ergebnisse 1999 publiziert wurden 1, entwickelt,
wobei
betont
werden
Wünschenswerten
oder
muss,
des
dass
solche
Befürchteten
Szenarien
in
den
immer
Mittelpunkt
Aspekte
stellen.
Expertenworkshops wurden vier Szenarien entwickelt:
1
Nennen, Hans-Ulrich/Hörning, Georg (Hg.), Energie und Ethik. Leitbilder im philosophischen Diskurs,
Frankfurt/M. 1999.
8
des
In
Szenario A beschreibt eine Entwicklung der Energieversorgung im Grundsatz „business as
usual“ (Heutige Trends“) Szenario B bis D sind vom Anspruch auf klimafreundliche
Energieversorgung geprägt, wobei Szenario B ausschließlich auf technische Lösungen
einschließlich Kernenergie setzt; („Techniknutzung“) Szenario C davon ausgeht, dass über
den Einsatz effizienter Technik hinaus auch Abstriche in den Konsumansprüchen
gerechtfertigt sind („Ressourcenschonung“); Szenario D betont eine ökologisch orientierte
Lebensweise, die die Chance beinhaltet, „zugleich eine deutliche CO2-Reduktion, einen
raschen Ausstieg aus der Kernenergie und eine hohe Lebensqualität zu erzielen“ 2. („Neue
Lebensstile“)
Die Konstruktion dieser Szenarien wurde auf den Bezugspunkt des Lebensstils und CO2Reduzierung hin vorgenommen, also eine Bündelung auf die Bedürfnisse der Bevölkerung
hin durchgeführt. Klima und Lebensstil bilden damit den Hintergrund für die Bewertung von
Verfahren der Energiegewinnung und –verteilung. Dazu bedarf es besonders der
Berücksichtigung der Akzeptanz der Bevölkerung. Zur Beurteilung dieser Szenarien wurde
ein sehr umfangreicher „Gesamtwertbaum“ entwickelt, der drei Hauptgesichtspunkte umfasst,
nämlich „Technische Effizienz und Wirtschaftlichkeit“, „Schutz von Umwelt und
Gesundheit“, und „Sozialverträglichkeit und politische Qualität“.3
Im Buch von Christian Streffer, Carl Friedrich Gethmann, Klaus Heinloth, Klaus Rumpff und
Andreas Witt „Ethische Probleme einer langfristigen globalen Energieversorgung“ 4 werden
Ethik und ethische Bewertung der verschiedenen Energieformen unter den Perspektiven
Wirtschaftlichkeit,
Langfristigkeit,
Umweltverträglichkeit,
Sozialverträglichkeit
und
Verteilungsgerechtigkeit durchgeführt. Wie man sieht, können die Bewertungskriterien
verschieden angesetzt werden, auch im Hinblick darauf, ob eine globale oder eine regionale
Perspektive eingenommen wird. In Zukunft wird es aber vermehrt um die globale Ebene
gehen, die über die internationale hinausgeht, weil sie nicht nur die Staaten, sondern auch die
globale Gesellschaft als Akteur und Betroffenen miteinbezieht.
5. Ein realistischer Blick in die nahe und mittlere Zukunft zeigt, dass es bei der
Energieversorgung um einen Energie-Mix aus verschiedenen Quellen gehen wird. Das
ist nicht nur aus realistischer Sicht wichtig zu sehen, sondern auch aus ethischer. Die
2
Nennen, Heinz-Ulrich/Hörning, Georg, Zur Einführung, in: Diess. (Hg.), Energie und Ethik, 9-15, 12.
Der Gesamtwertbaum. Anhang, in: Nennen/Hörning (Hg.), Energie und Ethik, 373-391.
4
Berlin 2005.
3
9
Favorisierung einer bestimmten Energiegewinnungsform kann nur zu leicht zu einer
Konzentration der Forschung auf diese Form führen, was wir in Bezug auf fossile
Energie deutlich gesehen haben, sie kann sich auch infolge dieser Konzentration zu
einem Hemmschuh beim notwendigen Übergang in der Energiegewinnung infolge von
sich aus dem Verbrauch ergebenden Knappheiten gestalten und zu problematischen
Verzerrungen führen. Am Beispiel der Biomasse gezeigt: Was anfänglich als
Verwertung von Abfällen eine vielfach positive Bilanz erlaubte, kann infolge von
wirtschaftlichen Vorteilen, die mit der Förderung etwa gegeben sind, zu in mancher
Hinsicht problematischen Ergebnissen führen. So kann etwa der verstärkte Anbau von
Mais für Biomassegewinnung eine problematische Energiebilanz ergeben, die auf dem
Hintergrund der positiven Bewertung von Biomasse, ohne diesen Begriff zu
differenzieren, übersehen wird. Außerdem wird dann die Verödung der Landschaft in
der Beschränkung der Pflanzenarten eine Folge sein. Durch die Konzentration auf
diese Form von Biomasse kann auch eine Konzentration auf technologische
Maßnahmen der Energiegewinnung vorgenommen werden, die dann den Übergang
auf
andere
Energieträger
schwierig
gestaltet.
Die
Prozesshaftigkeit
der
Energieversorgung kann durch die Favorisierung einer Energiequelle übersehen
werden.
Dies
ist
besonders
problematisch,
wenn
sich
nicht-intendierte
Nebenwirkungen zeigen, die so schwerwiegend sind, dass ein Ausstieg aus dieser
Energiequelle in die Wege geleitet werden muss, wie es sich etwa für viele angesichts
von Tschernobyl oder Fukushima im Blick auf Kernenergie zeigt. Die Versäumnisse
in der Konzentration auf eine oder wenige Formen zeigen sich dann besonders
drastisch. Außerdem kann die Konzentration auf eine Energiequelle, besonders dann,
wenn sie ethisch undifferenziert positiv bewertet wird, dazu führen, dass immer auch
auftretende Nachteile übersehen oder doch verniedlicht werden. Das kann dazu
führen, dass Verbesserungsmöglichkeiten übersehen werden in der „Feststellung“
einer Form oder dass durch die Konzentration auf eine Form der Energiegewinnung
örtliche Gegebenheiten übersehen oder nicht beachtet werden.
6. In der Frage der Energie spielen auch Interessen eine wichtige Rolle. Das Handeln des
Menschen ist immer auch von Interessen bestimmt. Wir handeln auch deswegen, weil
wir unsere Interessen verwirklichen wollen. Das ist kein Problem, vielmehr ist mit
Interessen ein Handlungsimpuls verbunden. Wir müssen uns nur der Interessen
10
bewusst werden und die Bereitschaft haben, sie offen legen, die verschiedenen
Interessen aufeinander zu beziehen. Für die Abstimmung von Interessen sind immer
wieder Kompromisse notwendig, die Findung eines Optimismus durch Ausgleich der
Interessen. Um einen gerechten Ausgleich zu finden, bedarf es der Relativierung der
eigenen Interessen in einer Bezugssetzung zu den Interessen anderer. Gerechtigkeit
bedeutet in diesem Zusammenhang die Suche nach Bezugspunkten, über die ein
Ausgleich von Interessen erreicht werden soll, und nimmt gerade dadurch in Fragen
der Energie eine vielfältige Form an. Aufgrund der gegebenen Machtverhältnisse wird
es unterschiedlich schwer sein, diese Gerechtigkeit zu erreichen.
-
Infolge der fundamentalen Notwendigkeit von Energie zum Überleben und GutLeben geht es um eine universale Gerechtigkeit, wonach allen Erdbewohnern ein
Mindestmaß an Energie, das zum Überleben und Gut-Leben notwendig ist,
zukommt.
-
Wegen des Einflusses von mit der Energiegewinnung und dem Energieverbrauch
anfallenden Wirkungen auf das Klima geht es um Klimagerechtigkeit5, die sich
u.a. auch darin zeigt, dass die, die am meisten an Klima „verbrauchen“ auch am
stärksten für Maßnahmen zur Erhaltung des Klimas, soweit es durch menschliche
Aktivitäten gestört ist, herangezogen werden. Natürlich muss in erster Linie
versucht werden, Klimaveränderungen möglichst dadurch zu vermeiden, dass
nicht in das auch für komplexes Denken unüberschaubare Beziehungssystem des
Klimas auf irreversible Art und Weise eingegriffen wird. Dabei wird es besonders
wichtig
sein,
menschlichen
das
Zusammenspiel
Eingriffen
zu
von
bedenken,
natürlichen
Gegebenheiten
wie
viel
wohl
von
mit
diesem
Beziehungsgefüge unentschlüsselt bleiben wird. Es geht also in vielen Fällen um
ein Handeln angesichts zum Teil unabsehbarer Folgen, was ein besonders
vorsichtiges Vorgehen verlangt, also ein Vorgehen nach der „sichereren Lösung“
(Tutiorismus) Wenn auch Natur im Zugriff des Menschen immer Kultur wird und
der Mensch heute das Ziel hat, Natur und nicht nur Kultur zu schaffen, so muss
sich dieses Handeln in Grundzügen der Erhaltung der natürlichen Voraussetzungen
einpassen lassen. Besonders wichtig wird in diesem Zusammenhang ein Gestalten
im Bedenken der Reversibilität der mit dem Handeln gesetzten Folgen sein. Dabei
5
Vgl. dazu Martin-Schramm, James B., Climate Justice. Ethics, Energy and Public Policy, Minneapolis 2010.
11
bleibt zu bedenken, dass gerade in Klimafragen moralisches Handeln wesentlich
als ein nicht primär von Eigennutz geprägtes Handeln bedeutet. Denn es sind nicht
unmittelbar wir, die von einem klimagerechten Handeln profitieren werden,
vielmehr sind von uns auch Einschränkungen in Bezug auf die Aufwändigkeit
unseres Lebensstils oder die Unbefangenheit des Verbrauchs abverlangt, die uns
im ersten Blick keine Vorteile bringen, besonders dann, wenn Konsummentalität
vorherrschend ist. Wir werden also von unserer ethischen Haltung nicht
unmittelbar Nutzen ziehen können, deswegen bedarf es eines anderen
Begründungsbezugs für klimagerechten Handelns, der auf das Allgemeine des
Menschseins und auf die Verbundenheit der Menschen, die gelebt haben, die jetzt
leben, und die, die in Zukunft leben werden, abstellt. Unter zeitlichen
Dimensionen solchen Handelns gibt James B. Martin-Schramm etwa folgende an:
Current urgency, future adequacy, historical responsibility, existing capacity and
political viability an. Daraus leitet er als strukturelle Dimensionen scientific
integrity, sectoral comprehensiveness, international integration, resource sharing
und economic efficiency ab, was dann in die prozeduralen Dimensionen political
transparency,
emissions
verifiability,
political
incorruptibility
und
implementational subsidiarity mündet. Anhand dieser Aufzählung merken wir,
dass noch viel getan werden muss, um Klimagerechtigkeit zu erreichen.
-
Infolge der ungleichen wirtschaftlichen Machtverteilung ist Tauschgerechtigkeit,
die den Ausgleich über die Ware herzustellen versucht, von großer Bedeutung.
Dies gilt ganz besonders angesichts ungleicher Marktzugänge, angesichts von
ungleicher Marktmacht, was dazu führt, dass die Entwicklung eigener
Marktchancen verhindert wird, weil einheimische Energieprodukte nicht
konkurrenzfähig sind.
-
Ökologische Gerechtigkeit misst sich an der Möglichkeit, durch verschiedene
Formen der Energiegewinnung das ökologische Gleichgewicht zu erhalten, ohne
Umwelt und Energiegewinnung in eine unauflösbare Konkurrenz zu bringen.
-
Politische Gerechtigkeit bedeutet die Möglichkeit der Mitgestaltung des
politischen
Prozesses
des
Abgleichs
von
Interessen
in
entsprechenden
Institutionen. Angesichts der Erpressbarkeit aufgrund vorhandener und nicht
vorhandener Energiereserven ist dieser Prozess der Abstimmung ein wichtiger.
12
7. Energiegewinnung und Energieverbrauch bedeuten nicht nur gegenwärtige Kosten,
sondern infolge der Fernwirkungen auch Kosten für die Zukunft. Was nicht
unmittelbar betrifft, wird sehr oft aus der Betrachtung ausgeklammert. Natürlich wäre
es vermessen, zu glauben, die Kosten genau abschätzen zu können. Solches würde
zudem bedeuten, nichts tun zu dürfen, weil Zukunft immer ungewiss ist. Und natürlich
muss auch mit Entwicklungen gerechnet werden, die die Kosten für die Zukunft
senken helfen. Und deswegen ist es sehr wichtig, Prozesse zu betrachten und Abläufe
so zu gestalten, dass sie bei Bedarf zum Guten hin verändert werden können. Wir
können also in vielen Gestalten nicht mit Endgestalten rechnen, sondern müssen
Prozessgestalten
im
Auge
haben
und
auch
die
Prozesse
entsprechend
veränderungskompatibel zu gestalten. Dies bedeutet etwa, darauf Wert zu legen, dass
die Kosten für eine allfällig Kurskorrektur nicht zu groß werden und mögliche
Auswirkungen möglichst reversibel gehalten werden.
Auf dem Hintergrund dieser Grundlagen solle nun konkrete Schritte in der ethischen
Bewertung von erneuerbarer Energie angedeutet werden.
1. Zuerst einmal gilt es die jeweilige Entscheidung für Energiegewinnung in sich zu
betrachten. Hier zeigt sich sehr bald, dass erneuerbare Energie nicht gleich
erneuerbare Energie ist, sondern dass hier eine Differenzierung unter verschiedenen
Formen erneuerbarer Energie vorgenommen werden muss. Um ein Beispiel zu
nehmen: Das Verbrennen von Weizen zum Gewinnen von Energie ist insofern
problematisch, als Lebensmittel verbrannt werden. Lebensmittel haben ihre eigene
existentielle Bedeutung, die einem Verbrennen für Energiezwecke widerspricht. Hier
ist auch der Symbolwert zu sehen. Verbrennung von Abfallstoffen zur
Energiegewinnung ist dagegen positiv zu bewerten, weil damit neben der
Energiegewinnung auch Entsorgung gegeben ist, allerdings muss auch hier darauf
geachtet werden, dass der Verbrennungsvorgang nicht die Umwelt belastet. In die
Bewertung
sind
also
auch
Werthaltung
der
Menschen
und
ihr
Wandel
miteinzubeziehen.
Dass die Bewertung nicht nur im Vergleich, sondern auch in sich notwendig ist, zeigt
beispielsweise die Kernenergie. Natürlich spricht im Vergleich manches für
Kernenergie, sei es nur das Argument, mit ihr eine relativ CO2-freie Energieform zu
13
haben. Aber es ist zu bedenken, dass es neben Best-of-Class Argumenten, die aus
einem Vergleich mit anderen Formen der Energiegewinnung gewonnen werden,
insofern als in Bezug auf gewisse Kriterien die beste Form festgestellt wird, es auch
Knock-out-Kriterien gibt, also Kriterien, die aus dem mit der Energiegewinnung
verbundenen Prozess direkt als unethisch bezeichnet werden können und so keinen
Vergleich erlauben. So stellt sich etwa in Bezug auf Kernenergie die Frage, ob die
über Jahrhunderte hinaus mit der Lagerung von radioaktivem Material gegebenen
Risiken oder die in Unglücksfällen, auch wenn sie noch so unwahrscheinlich sein
sollten, freiwerdenden tödlichen Substanzen, die weite Gebiete auf lange Zeit hin
kontaminieren, nicht jegliche Nutzung dieser Form der Energiegewinnung verbieten.
Was sich in mancher Hinsicht im Vergleich als besser erweist, kann grundsätzlich
abzulehnen sein.
Problematisch kann aber auch die Zuordnung zu einer Kategorie sein, die positiv
besetzt ist. Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen muss nicht schon in sich
positiv sein, wiewohl erneuerbare Quellen im Durchschnitt nicht erneuerbaren
vorzuziehen sind. Neben einer Dramatisierung von Übeln, die ein einzelnes Übel als
so dramatisch darstellen, dass dieses Übel überbewertet wird, gibt es auch eine
Überhöhung von Vorteilen, die teilweise in einer Bewertung nur über ein Kriterium,
etwa einer Mystifizierung von Maßnahmen, Vorschub leisten.
Ähnlich verhält es sich etwa auch mit der Qualifizierung als energieautark. Autarkie
ist ein wichtiger Wert, aber nicht einer, der jede Form der Energiegewinnung, die
Autarkie bedeutet, als positiv bewerten lässt.
In diesem Zusammenhang gilt es auch die Rolle von sogenannter hegemonialen
Bedeutungssystemen zu betrachten, die bei der Bekämpfung der Folgen ansetzen, um
die im allgemeinen Bewertungssystem gewonnenen Bewertungen zu „retten“. Timmo
Krüger zeigt solches in seinem Artikel „Die Schlüsselrolle von Carbon Capture and
Storage (CCS) in der internationalen Klimapolitik“6 deutlich auf. Wenn etwa die
ökologische Frage unter dem Primat des Wirtschaftswachstums steht, finden
Maßnahmen wie die Lagerung von Kohlenstoff, der bei Verbrennung fossiler Stoffe
zu Energiegewinnung anfällt, positive Bewertung. „Durch den alleinigen Fokus auf
die betriebswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels und der Instrumente seiner
6
In: SWS-Rundschau, 51 (2011), H.3., 326-348.
14
Bekämpfung geraten ethische Fragen oder Fragen nach den Lebensbedingungen
zukünftiger Generationen in den Hintergrund“7, schreibt Timmo Krüger in
Bezugnahme auf Brunngräber und andere8. Der Monetarisierungszwang führt nach
Krüger dazu, dass in der Bewertung der Umwelt in gängigen monetaren Größen „die
Natur in gängige ökonomische Modelle“ integriert wird und sich im Zuge dessen der
„politischer Handlungsspielraum“ verringert, „da alternative Deutungs- und
Handlungsmuster marginalisiert werden – insbesondere solche, die an der
Vereinbarkeit von effizientem Klimaschutz und dem Status quo der Produktions- und
Konsummuster zweifeln.“9 Wie Timmo Krüger weiter zeigt, führt solche
Grundhaltung dazu, dass eine Trennung in die Input-Seite fossiler Energieträger und
Output-Seite der Emissionen stattfindet. „So erfolgt keine direkte Regulierung der
Nutzung fossiler Brennstoffe, sondern nur der daraus entstandenen Emissionen.“10
Man reagiert so nur auf die Emissionen, ohne die Emissionsverursacher identifizieren
und verringern zu wollen, auch weil sich das unter den ökonomischen Vorgaben
rechnen kann und in vielen Fällen auch rechnet, dies aber nur bei kurzfristiger
Betrachtung unter ganz bestimmten Prämissen. In der Analyse von sogenannten
Enthymen, nicht unbedingt korrekten logischen Schlüssen, deren Schlussfolgerungen
zum Teil auf Plausibilitätsargumente oder Wahrscheinlichkeitsaussagen beruhen, die
nicht in expliziter Form als Prämissen angeführt werden, im „Special Report on
Carbon Bioxide Capture and Storage“ des Intergovernmental Panel on Climate
Change aus dem Jahre 2005 zeigt Krüger diese abkürzende Argumentationsweise, die
die eingenommene Grundhaltung stützen soll und damit nur eine sehr eingeschränkte
ethische Bewertung auf den für unumstößlich gehaltenen Prämissen bedeutet.
Horizonte für Bewertungen werden damit eingeengt, Alternativen verblassen dadurch.
Auf der anderen Seite führt eine einseitige Dämonisierung des Systems, ebenso zu
einseitigen Bewertungen und Konsequenzen.
2. Entscheidungen in Bezug auf erneuerbare Energie sind im Zusammenhang mit
Möglichkeiten der Energiegewinnung zu bewerten. Dabei spielt das Vorhandensein
dieser Energiequellen und die leichte oder schwere Förderungsmöglichkeit (Kohle,
7
Krüger, Die Schlüsselrolle von Carbon Capture and Storage (CCS), 331.
Brunngräber, Achim u.a., Das Klima neu denken. Eine sozial-ökologische Perspektive auf die lokale, nationale
und internationale Klimapolitik, Münster 2008, 193f.
9
Krüger, Die Schlüsselrolle von Carbon Capture and Storage, 331.
10
Krüger, Die Schlüsselrolle von Carbon Capture and Storage, 334.
8
15
Erdöl, Erdgas) eine Rolle. Es ist ethisch problematisch, von vornherein Energiequellen
deswegen, weil sie nicht erneuerbar sind, abzuwerten, vielmehr gilt es nach dem
Zueinander verschiedener Energieformen auch für Übergangslösungen zu fragen. Ein
zu schneller Umbau könnte sich nämlich auch als eine Überforderung erneuerbarer
Energiequellen erweisen.
In diesem Zusammenhang muss auch die auf die Möglichkeiten der Umstellung von
einer Energieform auf die andere und die vorhandene oder nicht vorhandene
Infrastruktur bei Umstellung geachtet werden, kann die Kompatibilität dieser mit
neuen Energieträgern doch eine wesentliche Erleichterung bedeuten. Das kann etwa an
E-Mobility gezeigt werden. Sind die notwendigen Umstellungen auf Elektroantrieb
bereits erforscht und durchgeführt, so kann die Umstellung viel problemloser
vonstatten gehen. Eine weitere wichtige Unterscheidung ist auch die Energie für
Wärme, Licht und stationäre Kraft und die für Mobilität, für die verschiedene
Energiequellen Beeinträchtigung eben dieser Mobilität bedeuten können. Dabei ist
auch die Lebensstilfrage zu stellen, ist doch Mobilität und ihre konkrete Ausgestaltung
auch wesentlich von Wertefragen und Darstellungsmustern mitbestimmt.
3. Die Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen steht immer auch in einer
Flächenkonkurrenz, da Bodenfläche etwa auch für den Anbau von Nahrungsmitteln
oder die Bereitstellung von Wohnraum notwendig ist. So muss die Frage nach Anbau
von Energiepflanzen von der derzeitigen Nutzung des Bodens und den damit
gegebenen Verhältnissen ausgehen, stellt sich doch auch aus umweltpolitischen
Erwägungen die Frage, was durch was ersetzt werden soll. Deswegen bedarf es einer
Analyse der vorhandenen Anbaustruktur, einer Bestandaufnahme in Bezug auf
vorhandene pflanzliche Energieträger wie etwa Holz und einer Bewertung von
Flächen für die Geeignetheit für den Anbau von Energieträgern. In Bezug auf den
Anbau von erneuerbarer Energieträgern gilt es die Frage zu stellen, wie die
Auswirkungen auf die Pflanzenvielfalt sind, wie eine Abwehr von Monokulturen
bewerkstelligt werden kann, welche Energieträger die Bodenqualität wie verändern.
Ebensolches gilt in Bezug auf das Landschaftsbild, um nicht zu einer toten Landschaft
mit wenig Platz für eine gesunde Tierwelt zu kommen.
Vor allem aber gilt es die Frage zu stellen, ob nicht Pflanzen, die auch Energieträger
darstellen, auf mehrfache Weise genutzt werden können, indem Energie aus schon
16
einmal eingesetzten Rohstoffen, also ihrem Abfall genutzt werden kann und damit die
Energienutzung zugleich Abfallverwertung bedeutet.
4. Die Frage nach gesellschaftlichen Voraussetzungen in der Veränderung von
Werthaltungen und deren Bestärkung durch erneuerbare Energie stellt sich ebenso wie
die Frage nach politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für den und für
Folgen des Einsatzes erneuerbarer Energien. So gilt es zu analysieren, welche
demokratischen Prozesse durch die Umstellung gestärkt werden und welche überhaupt
Voraussetzungen sind, dass es zu dieser Umstellung kommen kann. Dabei wird auch
die Lebensstilfrage gestellt werden müssen. Wir gehen ja oft davon aus, dass unser
derzeitiger Lebensstil die beste Voraussetzung für erfülltes Lebens ist, ohne dabei
Alternativen zu bedenken. Dabei ist es nicht ausgemacht, dass die derzeitige Höhe der
verbrauchten Energie und die Form des Verbrauchs für ein gelungenes Leben die
optimalen sind. Umstellung auf erneuerbare Energie sollte also die Frage nach
Einsparungsfragen durch Lebensumstellung nicht ausklammern. Es bedarf also auch
der Einbeziehung von Weltanschauungsgemeinschaften wie etwa der Kirchen, um die
Frage der Energie auch mit der Frage des Lebenssinnes und seiner Ausgestaltung zu
verbinden. Es gilt also Zusammenhänge miteinzubeziehen, um auf dieser Basis nicht
nur ein Mehr anstelle des Guten, sondern auch das Gute im Besseren zu finden.
5. Schließlich gilt es, in umfassenden Strategien zu denken, die den mit der Energiefrage
verbundenen vielfachen Bezug herstellen. Dazu sollen zwei Beispiele angeführt
werden.
Der Text „Der Schöpfung verpflichtet. Anregungen für einen nachhaltigen Umgang
mit Energie“, von einem Expertenteam für die Deutsche Bischofskonferenz erstellt,
fordert
in
der
Nummer
23
einen
umfassenden
Blick
einer
Ethik
der
Energieversorgung, wenn es dort heißt: „Eine Ethik der Energieversorgung muss stets
verschiedene
Ziele
im
Blick
behalten:
Klima-
und
Umweltschutz,
Versorgungssicherheit und Vermeidung politischer Abhängigkeiten, langfristige
Wettbewerbsfähigkeit
und
sozial
gerechter
Zugang.
Für
eine
konsistente
Energiepolitik kommt es darauf an, dass die einzelnen Ziele nicht gegeneinander
ausgespielt werden. Es ist eine originär politische Aufgabe, die unterschiedlichen
Aspekte angemessen zu gewichten und einander so zuzuordnen, dass die vielen
Akteure im Energiebereich hinreichende Richtungssicherheit für ihre jeweiligen
Abwägungsprozesse gewinnen und Synergien zwischen den heterogenen Zielen
17
möglich werden.“11 In Österreich werden diese Aspekte im Konzept einer ökosozialen
Marktwirtschaft zusammengefasst, die eine Zuordnung der verschiedenen Ziele des
Ökologischen, des Sozialen und des Marktes aufeinander bedeutet. Es sind ja gerade
diese Konzepte umfassender Strategie, die zueinander und nicht gegeneinander
denken und handeln, sehr wichtig. Solche Konzepte stellen einen Bezugspunkt dar,
was dann zur Bündelung von Maßnahmen in Synergien führen kann. Daraus
Szenarien einer wahrscheinlichen wie auch von gewünschten Energieversorgung und
Energienutzung zu entwickeln stellt sich als wesentliche Herausforderung. Klima als
ein öffentliches Gut steht in Gefahr, im sogenannten Trittbrettfahren für sich
ausgenutzt zu werden. Und Fragen der Energie in den verschiedenen Aspekten wirken
wesentlich auf das Klima ein. Um ein einseitiges Ausnutzen öffentlicher Güter zu
verhindern, bedarf es eines umfassenden Ordnungsrahmens.
Im Erarbeiten von 11 Maximen für eine ethische Energiezukunft hat Otto Schäfer für
den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) Elemente einer solchen
umfassenden Strategie bereitgestellt.
Diese 11 Maximen12 lauten:
 Maxime 1: Anreize vor Zwangsmaßnahmen
 Maxime 2: Fehlerfreundlichkeit
 Maxime 3: Freiheit künftiger Generationen schützen
 Maxime 4: Nachhaltigkeitsindikatoren beachten (ökologischer Fussabdruck)
 Maxime 5: Soziale Grundrechte schützen
 Maxime 6: Supranationale Solidaritätsräume
 Maxime 7: Gleiche Ansprüche für alle
 Maxime 8: Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger (Subsidiarität)
 Maxime 9: Demokratisierung der Energiewirtschaft
 Maxime 10: Wirtschaftlichkeit in die Erhaltung des Friedens integrieren
 Maxime 11: Energiepolitische Gefährdungen des Friedens vermeiden
11
Der Schöpfung verpflichtet. Anregungen für einen nachhaltigen Umgang mit Energie. Ein Expertentext zu den
ethischen Grundlagen einer nachhaltigen Energieversorgung, hg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz, Bonn 2011 (Arbeitshilfen, Nr. 245), Nr. 23, 26.
12
Energieethik. Unterwegs in ein neues Energiezeitalter. Nachhaltige perspektiven nach dem Ende des Erdöls,
hg. v. Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund SEK. Autor: Otto Schäfer, Bern 2008, 162 – 164.
18
Mit diesen 11 Maximen ist besonders der politische Rahmen aufgespannt, in den
hinein die konkreten Gestaltungen diskutiert und modellhaft umgesetzt werden sollen.
Jedenfalls gilt es gerade die Bürgerinnenbeteiligung herauszustreichen, dass
Gesinnungs- in Strukturänderungen münden können.
Der Text der Deutschen Bischofskonferenz13 fordert in diesem Zusammenhang einen
Dreiklang von Maßhalten, Effizienz und erneuerbaren Energien, wobei gerade auch
die erneuerbaren Energien unter den Vorbedingungen des Maßhaltens und der
Effizienz stehen. Die Unterpunkte unter diesem Dreiklang lauten: Effiziente
Wärmeenergie, Nachhaltige Mobilität, Zukunftsfähiger Strommix, Erneuerbare
Energien, Bioenergie – eine erneuerbare Energie mit ambivalenten Wirkungen,
Ethische Kriterien zur Bewertung der Kernenergie und Abscheidung und Lagerung
von Kohlendioxid (CCS).
Unter dem Abschnitt Bioenenergie wird in differenzierter Auseinandersetzung auf
Chancen und Risiken Bezug genommen. So wird in der Nummer 45 darauf
hingewiesen, dass für die Bioenergiegewinnung Biomasse gezielt angebaut oder aus
pflanzlichen Reststoffen wie Restholz oder Gülle gewonnen wird, was einen
wesentlichen Unterschied ausmacht. Eine weitere Unterscheidung ist gerade auch im
Blick auf Umweltbeeinträchtigung wichtig, nämlich die der Art Der
Energiegewinnung: „Energie aus Biomasse kann erzeugt werden durch Verbrennung
(Scheitholz, Hackschnitzel, Pellets), durch Vergärung in Biogasanlagen (organische
Reststoffe, Bioabfälle) und durch Umwandlung in Biokraftstoffe (kaltgepresstes
Pflanzenöl, besonders Raps; Bioethanol aus Zuckerrüben, Getreide oder Kartoffeln).“
(Nr. 45) Auf dem Hintergrund dieser Unterscheidungen wird dann auf die Gefahr der
großflächigen „Belegung von Flächen mit Energiepflanzen .. mit dem Risiko
steigender Umweltbelastungen (Monokulturen, verstärkter Dünge- und
Pflanzenschutzmitteleinsatz, Boden- und Gewässerbelastung, Einschränkung der
biologischen Vielfalt) sowie einer Verknappung auf dem Lebensmittelmarkt“ (Nr. 45)
hingewiesen. Ebenso wird auf die mögliche Verteuerung von Lebens- und
Futtermitteln infolge der Produktionskonkurrenz hingewiesen, was besonders für den
weltweiten Kontext gilt, wo ja auch mit der Zwischenschaltung von Börsen die
13
Im Text „Der Schöpfung verpflichtet“, lautet bei Punkt 5 die Überschrift: „Dreiklang von Maßhalten, Effizienz
und erneuerbaren Energien“
19
Konkurrenz weiter verstärkt wird. Was hier sehr deutlich wird: Begriffe wie
„Erneuerbare Energie“ und „Bioenergie“ ersparen trotz ihres positiven Klanges und
auch der positiven Inhalte nicht eine differenzierte ethische Betrachtung, die
verschiedenste Perspektiven einbringen muss, damit eine positive Gestaltung der
Energiezukunft möglich wird.
20
Herunterladen