Will man die mikrobielle Struktur-Funktionsanalyse des Stuhls verstehen, muss man wissen, wie der Dickdarm des Menschen funktioniert. Wozu dient der Dickdarm? Als erstes fallen uns viele Krankheiten des Dickdarms ein: Verwachsungen, Koliken, Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Diverticulose, Colitis, Polypen, Dickdarmkrebs und viele, viele andere. All das sind unangenehme Erscheinungen. Was hat der Dickdarm Positives zu bieten? 2a Der Dickdarm ist ein Bioreaktor. Bei Säugetieren zersetzen die darin enthaltenen Bakterien Substanzen, die für Mensch unverdaulich sind, recyceln Wasser und Elektrolyte und gewinnen Energie. Seitdem Menschen künstliche Bioreaktoren betreiben, um zum Beispiel Insulin oder Wachstumshormon biotechnologisch herzustellen, wissen wir wie schwer es ist, eine hochkonzentrierte Bakterienmasse über längere Zeit am Leben zu erhalten. Die maximal erreichbaren Bakterienkonzentrationen liegen hier bei 1010 und dies für kurze Zeit. Der menschliche Darm ist viel effektiver. Bakterien erreichen hier eine Konzentration von 1012 und dies über Jahre. 3a Das Bakterienwachstum im Dickdarm hat eine Schattenseite. Die optimalen Wachstumsbedingungen begünstigen unterschiedliche Bakterien. Mit speziellen Methoden lassen sich im Dickdarm über 5000 verschiedene Bakterienarten nachweisen. Die meisten von diesen sind zufällig. Sie sind irgendwann in ihrem Leben vorbeigekommen, fanden die Bedingungen angenehm und blieben. Ein Teil ist wichtig für die Biofermentation. Ein Grossteil der Darmbakterien ist jedoch eindeutig pathogen. Bacteroides sp. verursachen Abszesse, E.coli ist der häufigste Erreger der Urosepsis, Enterokokken rufen schwere Herzklappenendokarditiden hervor, Clostridium perfringens – den Gasbrand. Diese Erreger sind im Dickdarm jedes Menschen in hohen Konzentrationen zu finden. Jeder 5. von uns beherbergt dazu Clostrdium botulinum, ein Toxin bildendes Bakterium. Es ist bekannt, dass ein Gramm dieses Giftes ausreicht, um die Bevölkerung einer Großstadt auszulöschen. Die Betreibung des Dickdarm-Bioreaktors birgt somit erhebliche Risiken. 4a Ungeachtet aller Gefahren verursachen Dickdarmbakterien gewöhnlich kaum Probleme. Der Grund hierfür ist eine Trennung zwischen der Darmwand und dem Stuhl. Wenn wir Gewebeproben aus dem Dickdarm Gesunder untersuchen, sehen wir, dass die Darmoberfläche mit einer Schleimschicht bedeckt ist, die keine Bakterien enthält. Durch Entzug von Wasser wird der Schleim auf der Oberfläche fest wie Pflasterstein und undurchdringlich für Bakterien. Solange die Trennung intakt ist, spielt es keine Rolle wie viele Bakterien in dem Dickdambioreaktor enthalten sind. Den Bakterien geht es gut, dem Menschen ebenfalls. Die Darmwand hat keinen Kontakt zu den Bakterien, kann aber Produkte ihrer Biofermentation nutzen. 5a Alle Barrieren sind zerstörbar. Der Zusammenbruch kann kurzzeitig sein, wie es bei Infektionen der Fall ist, oder anhaltend bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Das vorliegende Bild zeigt eine Gewebeprobe aus dem Dickdarm von einem Patienten mit M. Crohn. Bakterien durchwandern die Mukusbarriere, erreichen die Darmwand und sind sogar in einzelnen Zellen zu finden. Wenn Krankheiterreger die Darmoberfläche in großen Mengen erreichen, reagiert der Körper mit Reiz und Abwehrmaßnahmen. Unabhängig davon was die Ursachen der Störung sind, die allgemeinen Reaktionen darauf sind Durchfälle, Blähungen und Koliken. Bei Durchfällen wird die Keimzahl im Darm reduziert. Bei Blähungen “wirft“ der Darm den Stuhl von einer Wand zu anderen, als wäre dieser eine heiße Kartoffel, die man von einer Hand in die andere wirft. Mit Hilfe von Koliken wird die Bakterienmasse von den besonders empfindlichen Stellen weggeschoben. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, kommt es zu einer Entzündung, die Bakterien tötet. 6a Die Entzündung findet zunächst nicht in der Darmwand, sondern außerhalb, an der Grenze zum Stuhl statt. Leukozyten, die Entzündungszellen des Körpers, wandern aus, stellen sich an der Außenseite der Schleimschicht als Barriere auf und halten die Bakterien solange zurück wie die Schleimschicht durchlässig ist. Auf diese Weise bleibt die Entzündung lange Zeit von der Darmwand fern und man kann diese bei der Coloskopie oder in der Histologie nicht nachweisen. 7a Erst wenn die Leukozyten-Barriere überwunden ist, kommt es zur Einwanderung von Bakterien in die Darmwand. Dabei entstehen oberflächliche Ulzerationen, die typisch für Colitis ulcerosa sind. 8a Bei M. Crohn wandern Bakterien tief in die Darmwand ein und führen zu Schwellungen, Darmverengung und Fistelbildung. 9a Der Grund, warum Gesunde Menschen mit den z.T. hochpathogenen Bakterien des Dickdarminhalts problemlos leben können, ist nicht der friedliebende Charakter dieser Bakterien, sondern ein aktiver kontinuierlicher Schutz. 10a In den letzten Jahren wurde viel über angeblich „gute und schlechte“ Darmbakterien publiziert. Bakterien werden für gut erklärt, wenn diese im gesunden Darm hoch und in dem kranken Darm niedrig konzentriert vorkommen oder fehlen. Bei schlechten Bakterien ist die Verteilung zwischen Gesunden und den Kranken umgekehrt. Um Mängel an vermeintlich guten Bakterien zu beheben, empfiehlt man Stuhltransplantationen und andere Wege der Bakterienübertragung von Gesunden zu Kranken. Das ist ein absurd. 11a Lassen Sie uns den Denkfehler am Beispiel des Atom-Reaktorunfalls iverdeutlichen. Nach dem Reaktor-Unfall von Fukushima änderte sich die Konzentration einzelner Spaltprodukte im Reaktor massiv. Doch nichts wäre verheerender als den Abfall einiger Isotopen für die Ursache der Havarie zu halten und eine Zugabe von frischem sozusagen „gesundem“ Brennmaterial in den kranken Reaktor zu fordern? Aus der Sicht der Umwelt, sind keine Bestandteile der Reaktorfüllung gut. Solange der Reaktor richtig arbeitet und billigen Strom produziert, sind sie jedoch sehr nützlich. 12 a Die Abbildung zeigt verschiedene Typen von Atomreaktoren. Alle haben eine unterschiedliche Struktur- und Funktionsweise. Unterschiedlich ist demzufolge auch die Zusammensetzung der radioaktiven Isotope in ihrem Inneren. Bestimmen die Spaltelemente im Inneren der Bioreaktoren deren Struktur und Funktion? Natürlich nicht. Dennoch sind sie wichtig, da man aus ihrer Zusammensetzung und Konzentration erkennen kann, ob der Reaktor richtig arbeitet. Bakterien des Dickdarms sind gleichfalls weder gut noch böse. Solange die Schutzhüllen des Dickdarmbioreaktors funktionieren, sind die Bakterien, wie bereits besprochen, nützlich für den Menschen. Wenn allerdings die Schutzhüllen brechen, sind sämtliche Darmbakterien schädlich. Die Zahl und Zusammensetzung der Dickdarmbakterien sind nicht die Ursachen, sondern Indikatoren für den Zustand Darmes und der Biofermentation. 13a Man kann die Funktion der Dickdarmbarriere anhand von Biopsien beurteilen, wenn hierfür spezielle und relativ teure Methoden verwendet werden. Leider ist jede Biopsie eine Momentaufnahme. Man sieht das, was im Augenblick der Entnahme im Darm geschieht und ggfs. alte Narben. Die Biopsie ist ungeeignet, um Aussagen über seine Funktionsfähigkeit bei gefülltem Darm, einer Diät oder Therapieeinwirkung zu treffen. Die Aussagen der Biopsie sind immer rückwirkend. Stuhlproben sind für die Untersuchung der Dickdarmgesundheit wichtiger. Problematisch bei den Stuhluntersuchungen war bisher die extreme Komplexität der Darmbakterien. Würde man alle 5000 Bakterienarten quantitativ untersuchen, so wird der Bundesetat sehr klein erscheinen. 14a Die Struktur-Funktions Analyse des Dickdarms ermöglicht eine Beurteilung der Darmfunktion ausgehend von Stuhlproben. Die Methode ähnelt der Untersuchung von Erdschichten bei einer Bohrung. Man nimmt einen Erdzylinder, schneidet diesen entlang der Achse und untersucht die Anordnung der einzelnen Schichten. Dabei wird deutlich, dass Granit und Sand, Steinkohle und Diamant trotz gleicher stofflicher Zusammensetzung stark unterschiedliche Materialien sind. Ähnlich erfolgt die Struktur Funktion-Analyse des Dickdarms. 15a Der Stuhl ist in der Regel weich. Um einen Zylinder zu gewinnen braucht man keinen Diamantenbohrer. Ein Strohhalm genügt. Wie man am besten Stuhlzylinder gewinnt erklärt eine spezielle Präsentation mit dem Namen „Stuhlprobenentnahme“. Auf dem folgenden Bild ist die Probenentnahme dargestellt. Ein etwa 4 mm großer Stuhlzylinder wird ausgestochen und zusammen mit dem Strohhalm in ein Röhrchen mit Fixierlösung eingebracht. In jedes Röhrchen kommen zwei Strohhalme, die aus verschiedenen Stellen der gleichen Stuhlprobe entnommen werden. Die Fixierlösung besteht aus Alkohol und Essig. Und riecht stark nach Essig, hat aber den Vorteil, dass Proben in ihr bis zu einem Jahr bei Raumtemperatur haltbar sind. Man kann sich deswegen für die Probenentnahme den optimalen Zeitpunkt aussuchen. Ist der Stuhl zu flüssig, lohnt es sich abzuwarten, bis eine etwas dickere Probe kommt. Alkohol und Essig entziehen dem Stuhl Wasser, die weichen Proben werden dadurch hart. Selbst wenn der Stuhl zu flüssig ist sollte man, falls es nicht anders möglich ist, eine Probe davon entnehmen. In dem Alkohol/Essiggemisch bleiben einige Inseln sogar von flüssigem Stuhl strukturell intakt und können untersucht werden. Die Aussagekraft ist natürlich umso höher je vollständiger der Stuhlzylinder ist. 16a Der fixierte Stuhlzylinder beinhaltet 3 Bereiche: Die Mukusschicht, die Darmschleimhaut und Stuhlprobe trennt, die Arbeitszone des Bioreaktors , wo die Hauptfermentation stattfindet , dazwischen die germinale oder Keim Zone. Die germinale Zone besteht aus dem aufgeweichten, äußeren Bereich der trennenden Mukusschicht. Bakterien wandern in den weichen Mukus ein, der jedoch immer noch fest genug ist, um sich durch die Darmbewegungen nicht abzulösen. Bakterien werden dadurch gefangen hier. Beim gesunden Menschen unterscheidet sich die Keimzone nicht von der Arbeitszone. Im Krankheitsfall ist die Situation anders. Durchfall, Hunger, Antibiotika können die Bakterien in der Arbeitszone vollständig dezimieren. In der Keimzone bleiben Zusammensetzung und Konzentration der Bakterien jedoch erhalten, wodurch die Stabilität der Dickdarmbakterien gewährt wird. Der Stuhlzylinder wird im Labor in Paraffin eingebettet, geschnitten und auf Glasplättchen, die Objektträger heißen, fixiert. Verschiedene Gruppen von Darmbakterien können dabei unterschiedlich farblich markiert werden. Diese Methode heißt Fluoreszenz in situ Hybridisierung oder FISH. Die räumliche Verteilung von Bakteriengruppen im Verhältnis zueinander und den Funktionszonen des Dickdarmbioreaktors werden unter dem Mikroskop untersucht. 17a In den Präparaten sieht man, dass bei gesunden Menschen der Stuhl von außen mit einer Mukusschicht bedeckt ist, die frei von Bakterien ist. 18a Der menschliche Dickdarm beinhaltet zwar über 5000 verschiedene Bakterienarten, jedoch machen 3 Gruppen von Bakterien zusammen 70-90% der Stuhlflora aus. Es handelt sich um die Gruppen Bacteroides, Faecalibacterium prausnitzii und Roseburia. Bei gesunden Menschen sind diese Bakteriengruppen ohne Ausnahme reichlich vorhanden und gleichmäßig über den Stuhl -Zylinder verteilt. Wegen dieser obligaten Anwesenheit nennen wir diese Bakterien habituell. 19 Mit Ausnahme der 3 genannten habituellen Bakteriengruppen sind alle anderen der 5000 Bakterienarten nur gelegentlich vorhanden. Sie können bis zu 10% der Stuhlmasse ausmachen oder fehlen, gleichmäßig verteilt sein oder in Nestern liegen, wie auf den Bildern deutlich wird. Das Vorhandensein oder die Abwesenheit von diesen Bakterien in den einzelnen Stuhlproben hat keinen Bezug zur Gesundheit. Dennoch ist ihre Beurteilung wichtig. Die Zusammensetzung der gelegentlichen Bakteriengruppen ist charakteristisch für jeden einzelnen Menschen. Anhand der Analyse der gelegentlichen Bakteriengruppen kann man Proben einzelnen Individuen zuordnen. Bei Erkrankung kommt es zu Veränderungen des individuellen Profils der bakteriellen Zusammensetzung. Je stärker die Veränderung, desto ernsthafter und anhaltender die Störung. 20 Was unternimmt ein Labor, wenn in diesem ein Bioreaktor nicht richtig funktioniert und sein Inhalt verdirbt? Das Personal zieht Schutzkleidung an, säubert die Anlage, dekontaminiert diese und befüllt den Bioreaktor für den Neustart. Genau diese Vorgänge finden auch bei der Fehlfunktion eines Dickdarmbioreaktors statt. Die Struktur Funktion Analyse erlaubt, diese Schritte quantitativ zu bestimmen. Wie bereits ausgeführt wehrt sich der Darm gegen Erkrankungen mit Blähungen, Koliken und gesteigerter Schleimproduktion. Bei Blähungen wird der Stuhl von einer zur anderen Darmwand verlagert, um Augenblicke zu gewinnen, in denen die Mukusbarriere wieder aufgebaut werden kann. Koliken schieben den Darminhalt aus demselben Grund von empfindlichen Stellen weg. Die erhöhte Schleimproduktion macht die Mukusschicht nicht fester, jedoch dicker und erschwert so das Vordringen von Bakterien. 21 Die Steigerung der Schleimproduktion läßt sich bei Untersuchung von Stuhlzylindern genau verfolgen. Bei Patienten mit Durchfall, wird die Schleimschicht auf der Oberfläche extrem dick. Wenn der Stuhl seine Form komplett verliert, lässt sich die vermehrte Schleimproduktion an den Einschlüssen im Inneren des Stuhlzylinders exakt beurteilen. 22 Durchfall dient der Reinigung des Darms. Sein Ausmaß ist an der gestörten Verteilung der habituellen Bakteriengruppen über den Stuhlzylinder sichtbar. Die habituelle Bakteriengruppen sind nicht mehr homogen verteilt, sondern liegen zerrissen in Wellen, Kugeln oder einzelnen Bakterien zwischen wässrigen schleimigen Füllmassen. 23 Bei der Dekontamination, anders als beim Durchfall, werden Bakterien nicht heraus gewaschen, sondern abgetötet. Die Dekontamination beginnt immer an der luminalen Seite und schreitet vom Zentrum des Darmdurchmessers zur Peripherie. Es entsteht ein Gradient in der Verteilung habitueller Bakterien. 24 Je schwerer die Störung desto ausgeprägter die Suppression der Bakterien. Mitunter bleiben die habituellen Bakteriengruppen nur noch in der schmalen germinalen Zone erhalten. Solange die germinale Zone erhalten ist, sind die Veränderungen reversibel. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist die germinale Zone anhaltend zerstört. Das komplette Verschwinden von Faecalibacterium prausnitzii aus dem Stuhl in drei aufeinander folgenden Proben ist fast ausnahmslos nur bei M. Crohn zu finden. 25 Bei Colitis ulcerosa wird die germinale Zone von der Darmwand aus durch die auswandernden Leukozyten zerstört. Äußerlich sehen diese Leukozytenauflagerungen auf dem Stuhl wie Schleim aus. Sie sind es nicht. Anders als bei den funktionellen Störungen handelt es sich um Eiter und nicht um die schützende Schleimschicht. Das Auge kann diese Unterschiede nicht wahrnehmen. 26 Unter dem Mikroskop ist die Zerstörung der germinalen Zone durch Leukozyten nicht zu übersehen und kann von deutlich bis schwerste eingestuft und quantifiziert werden. 27 Die Struktur Funktionsanalyse von Darmbakterien wurde im Labor für die Polymikrobielle Infektionen der Charite entwickelt. Viele zusätzliche Informationen können auf der Homepage dieses Labors gefunden werden.