Montag, 26. März 2007 Aus der Tonsetzer-Werkstatt Bei der Marler Musikgemeinschaft gab es vor dem Konzert Informationen aus erster Hand. Komponist Lutz-Werner Hesse stellte seine 4. Sinfonie vor Marl. Wenn klassische Werke auf dem Konzert-Programm stehen, sind die Komponisten zumeist schon lange tot. Einblicke in die Werkstatt eines Notensetzers gibt es darum fast immer nur aus zweiter Hand. Ganz anders am Samstag abend im Marler Theater. Die Musikgemeinschaft hatte mit dem 51-jährigen Wuppertaler Lutz-Werner Hesse einen leibhaftigen Komponisten eingeladen, der sich eine Stunde vor Konzertbeginn vom Publikum beim Führen der Feder übers Notenblatt zuschauen ließ. Entsprechend groß war das Interesse. Dicht und leidenschaftlich interpretierte der Chor der Marler Musikgemeinschaft zusammen mit den bergischen Symphonikern Verdis "Te Deum". Fotos: WAZ, Christa Karrasch Armin Klaes, seit 15 Jahren künstlerischer Leiter der Marler Musikgemeinschaft, hatte den in Bad Godesberg geborenen Komponisten zusammen mit den Bergischen Symphonikern eingeladen. Die hatten 2006 in Solingen Hesses 4. Sinfonie uraufgeführt. Nun also Marl. Zeitgenössische Musik schreckt viele Menschen. Im Theater-Foyer nutzte darum eine große Schar von Zuhörern die Chance, aus erster Hand etwas über die Beweggründe eines Komponisten zum Schaffen eines Werkes zu erfahren. Antriebsfeder von LutzWerner Hesse war schon früh sein prominenter Komponisten-Kollege Gustav Mahler. "Schon als Kind hörte ich mir dessen Werke an. Danach war ich mit den Nerven fix und fertig, weil mich diese Musik so sehr berührt hat." Müsste Hesse ein einziges Werk mit auf eine einsame Insel nehmen, er würde zu Mahlers melancholischem Sehnsuchts-Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" greifen. Inzwischen könnte er aber auch seine eigene vierte Sinfonie in den Koffer packen. Denn die Liedmelodie zieht sich wie ein sanfter roter Faden durch die etwa 20-minütige Komposition. "Meine Sinfonie gehört damit zum Genre Musik über Musik, dem ich bislang eher skeptisch gegenüberstand." Wäre da nicht die Liebe zu Gustav Mahler: "Das war ein ruheliebender Mensch, der in seinem Lied die Stille und das Angekommensein in einer sehr meditativen Quatlität verarbeitet hat." Hesse griff diese dunkel-verhangene Klangfarbe, wie später im Konzert zu hören war, in seiner Sinfonie auf. Allerdings nicht nur: Mehrfach störte ein gewaltiger Fortissimo-Ausbruch des gesamten Orchesters brachial die melodiöse Stille. In die kantable Schönheit eines abgeklärten, nahezu jenseitigen Raums brach sich immer wieder die Wirklichkeit brachial Bahn. Die Sinfonie endet mit einer Störung: Was "abhanden gekommen", es findet sich nicht mehr. Das Publikum war diesem Werk allerdings nicht abhanden gekommen. Er spendete freundlichen Beifall. Auf große Zustimmung stieß im Anschluss der Chor der Musikgemeinschaft, der gemeinsam mit dem Gastorchester Giuseppe Verdis "Stabat Mater" und "Te Deum" transparent und mit großem Klangvolumen interpretierte. Der Abend, aufmerksam und engagiert dirigiert von Armin Klaes, endete mit Felix Mendelssohn Bartholdys 4. Sinfonie. Der Abend, ein Höhepunkt im Vereinsleben der Musikgemeinschaft."Wenn ich als Kind Mahler hörte, war ich mit den Nerven fertig" 25.03.2007 Von Elisabeth Höving [email protected] 02361/9370 118