Dr. med. Thela Wernstedt, M. A. Klinische Medizinethik Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität Erlangen-Nürnberg Vortrag für „Ethik und Organisation im Krankenhaus“ 24./25.9.03 in Tutzing Ev. Akademie Tutzing Thema: Klinische Ethikberatung – Interesse, Zustimmung und Vorbehalte der Krankenhausmitarbeiter Bei der Ethikberatung muß man m. E. kurzfristige Ziele und langfristige Auswirkungen differenzieren, ehe man sich an die Beobachtung der Zustimmung oder Ablehnung eines solchen Unterfangens macht. Als kurzfristiges Ziel ist die Hilfe durch Gesprächsmoderation bei einem ethischen Problem auf Station zu nennen. Therapieabbrüche, Umgang mit Patientenverfügungen, Fragen wie weit ärztliche Verantwortung reichen kann, späte Schwangerschaftsabbrüche u.ä. sind Themen, die in verschiedenen Teams besprochen werden. Dabei wird der ethische Konflikt herausgearbeitet, benannt und die Entscheidungsfindung und Begründung des Teams moderiert. Ethikberatung übernimmt keine Verantwortung für die Entscheidungen, d.h. sie kann nicht zur Verantwortungsdelegation angefordert werden Sie beläßt die Verantwortung beim Behandlungsteam. Ethikberatung schreibt keine moralischen Normen vor, sondern erarbeitet mit dem Team die in dieser Situation wichtigen Werte. Ethikberatung kontrolliert niemanden. Sie schreibt keine Normen für richtiges und falsches Handeln vor. Dies ist allerdings in einer naturwissenschaftlichpositivistischen Umgebung eines Krankenhauses oft schwierig darzulegen. Es wird erwartet, daß nun die Experten für „richtig“ und „falsch“ kommen, wobei dies gleichzeitig gefürchtet wird. Längerfristig arbeitet Ethikberatung auf eine Sensibilisierung der Mitarbeiter für ethische Konflikte und deren Bewältigungsmöglichkeiten hin. Auswirkungen von Ethikberatung sollten sein, die Wahrnehmung von ethischen Konflikten als notwendiger und selbstverständlicher Teil des Alltags zu schärfen und ein bewußter Umgang mit Werten und Bewertungen. Es stellt sich jedoch eine Falle für die Ethikberatung, die man nur sehen kann, wenn man sie von einer anderen Ebene aus betrachtet. Im System Krankenhaus mit seinem Ziel, Patienten optimal und schnell zu therapieren, bedeuten Konflikte gleich welcher Art eine Störung im Ablauf, einen Defekt. Ethikberatung als Teil dieses Systems behebt den Defekt. Solange jedenfalls wie wir im Denksystem von Funktionalisierung und Rationalisierung von Entscheidungen und Handlungsabläufen bleiben. Die Dimension der Veränderungen, die durch Ethikberatung angestoßen werden, kann man verdeutlichen, indem man den gerade skizzierten Zusammenhang anders formuliert: der mündige Kundenpatient und der Dienstleistungskrankenhausmitarbeiter verschreiben sich selbst Konfliktvermeidung durch Ethikberatung. Damit wäre sie auf eine systemerhaltende Tätigkeit beschränkt. Beschäftigung mit Ethik, sei es in Form von Ethikberatung ist aber mehr. Längerfristige Auswirkungen von „mehr Ethik im Krankenhaus“ in Form von Ethikberatung und Fortbildungen wird es in eher subversiver Form auf folgende Bereiche geben: 1. das ärztliche Selbstverständnis (ist meine Realität die einzige?) 2. das Selbstverständnis der Medizin als positive Naturwissenschaft (welche Art von Wissen liefern Biochemie und Physiologie? Wo sind die Grenzen dieses Wissens und dieser Erkenntnismethoden?) 3. Selbstverständnis des modernen Menschen (sind wir nur mündige, rationale Kunden und Dienstleister?) Insofern ist Ethikberatung praktische Philosophie und nicht nur „Notfallversorgung“ auf Station im ethischen Konfliktfall. Ethikberatung wird m. E. zu eng gesehen, wenn man sie auf die reine Güterabwägung und Herausarbeitung von ethischen Konflikten beschränkt. Werte und Normen hängen auch immer von der Realität ab, in der ich glaube zu leben und damit von meiner Wahrnehmung und den Grenzen dieser Wahrnehmung. Güterabwägung und Wirklichkeitsinterpreation sind miteinander verbunden, oder auch: Ethik und Erkenntnistheorie sind nicht trennbar. Hier wird es im Krankenhaus spannend, weil Ärzte dort das Primat haben, Wirklichkeit interpretieren zu dürfen und sogar zu müssen. Dabei sind sie geleitet von ihrem Weltbild und Menschbild und haben das Recht, über Diagnose und Therapie zu entscheiden, sowie die Dramatik einer Situation und die Handlungen in einer Situation zu beurteilen. Der Patient kommt aus seiner häuslichen Umgebung mit seiner Krankheitsinterpretation und aus seiner Wirklichkeit ins Krankenhaus, wo andere über die Wirklichkeit bestimmen. Es muß an dieser Stelle immer zu Angleichungsprozessen kommen, die in der Mehrzahl nicht konflikthaft verlaufen. Je mehr jedoch Menschen das Selbstbewußtsein haben, auf ihrer Wirklichkeit zu bestehen, desto mehr Konflikte gibt es. Ethikberatung leistet insofern erst eine Angleichung und Anerkennung verschiedener Realitäten, bevor der ethische Konflikt benannt werden kann. Umgang mit Werten bedeutet auch die Beschäftigung mit Erkenntnismöglichkeiten und –grenzen und die Auseinandersetzung mit Welt- und Menschenbildern. Wo können Konflikte im Krankenhaus auftreten? Ich kann Ihnen hier nur eine kleine Auswahl auffächern: im Behandlungsteam, innerhalb der Hierarchie, zwischen Hierarchien, zwischen Team und Patient, zwischen Team, Patient und Angehörigen, zwischen Team und Staat. Dabei kann es zu Wertkonflikten kommen, die als ethische Konflikte wahrgenommen werden, es kann gruppendynamische Probleme zwischen den beteiligten Personen geben, was von ausgebildeten Supervisoren bearbeitet werden kann, und es kann Konflikte zwischen den wahrgenommenen Realitäten der beteiligten Personen geben, die dann auch in Wertkonflikte münden. Ich denke, die erkenntnistheoretische Sichtweise erlaubt eher die Möglichkeit zu Veränderungen des Systems Krankenhaus. Noch ein paar Worte zur ärztlichen Sozialisation aus meiner Erfahrung. Ärzte haben wie oben gesagt das Primat der Wirklichkeitsinterpretation im Krankenhaus. Sie haben die Letztverantwortung für Diagnose und Therapieentscheidungen, sie müssen Aufklärungsgespräche zu Eingriffen oder über diagnostische Ergebnisse führen: alles wertkonfliktbeladene Handlungs- und Entscheidungsbereiche. Es dürfte inzwischen sattsam bekannt sein, und ich kann es aus eigener Erfahrung bestätigen, daß Medizinistudenten/Innen und junge Ärzte/Innen dies nicht lernen. Sie lernen rational Diagnose und Therapieentscheidungen zu fällen, aber eben nur in ihrer eigenen eingeschränkten Wirklichkeit. Weder in Unterrichtsveranstaltungen der allgemeinen Pathologie, der medizinschen Soziologie, leider auch selten der Medizingeschichte oder der Psychiatrie erfährt der suchende Student/In explizites zu erkenntnistheoretischen oder moralischen oder auch nur standesrechtlichen Fragen innerhalb der medizinischen Wissenschaft. Es wird vielmehr eher im Nebensatz darauf hingewiesen, daß Ärzte/Innen eine besondere Verantwortung haben. In diesem theoretischen Vakuum, was verstärkt wird durch die Erfahrung vollgestopfter Hörsääle, anonymer Prüfungen und eines permanenten Leistungsdruckes, findet der/die Student/In allenfalls einen Ausweg durch das Vorbild eines Professors, dies allerdings seltener als diese es wahrhaben möchten. Häufiger sind es Oberärzte/Innen oder Altassitenten/Innen in der Abteilung, in die man zufällig eingeteilt wird. Hier wird der Umgang mit ethischen Fragen mitgeliefert, ohne daß es groß verbalisiert oder bewußt gemacht würde. Die Möglichkeit, die eigene Person von der Arztrolle zu trennen und wiederum ethische Probleme nicht als persönliche Probleme zu begreifen, wird auf diese Art der Sozialisation verhindert. Anders herum kommt es, wenn über ethische Konflikte geredet wird, in den Augen der Ärzte nicht nur zur Bennenung eines Konfkliktes, was an sich schon als schlimm empfunden wird, sondern sie werden in ihrer persönlichen Integrität und beruflichen Kompetenz in Frage gestellt. Wie äußern sich nun eine ablehnende und zustimmende Haltung von Krankenhausmitarbeitern/Innen in bezug auf Ethikberatung und Ethikfortbildung? Indifferenz/Ablehnung: Ablehnung und Vorbehalte werden selten laut und deutlich ausgesprochen. Der Gesprächspartner bleibt reserviert, stellt wenig Fragen, hört eher zu. Zu unterscheiden ist dabei jeweils die Profession und der Status in der Hierarchie. Die ärztlichen Kollegen sind schwieriger und weit heterogener einzuschätzen als Studenten und das Pflegepersonal. Insgesamt ist es schwierig, Ethikberatung an die ärztlichen Kollegen/Innen heranzutragen. Aus dem vorher skizzierten, wird dies auch zum Teil verständlich. Ärzte/Innen haben zunächst viel an Kompetenz und Macht zu verlieren. Gleizeitig ist bei den meisten Krankenhausmitarbeitern/Innen das Instrumentarium, eine neue Kompetenz zu erwerben, in dem man miteinander denkt und redet wenig ausgeprägt oder im Laufe der Jahre verkümmert.Ängste, ob man die Position, die man aufgibt, anders wiederlangen kann, sind berechtigt. Ein sehr beliebtes Spiel, mit dem Ärzte/Innen ihre Abwehr gegen Nachdenken über Werte artikulieren, ist es, den Moderator abzuqualifizieren. „Der weiß ja gar nichts.“ „Der hat ja noch nie Nachtdienste gemacht“ „Was diese Theoretiker immer wollen, die haben doch keine Ahnung.“ Es passiert auch, daß bei sich bei retrospektiven Fallanalsysen sich die Kollegen alle zusammenschließen und überhaupt kein Problem mehr sehen. Dies rekurriert m.E. auf das Recht der Ärzte im Krankenhaus die Wirklichkeit bestimmen zu dürfen. Damit kann man jeden, der über die Werteebene zu reden versucht, auf den Bauch fallen lassen. Denn diese Realität wird von den Ärzten/Innen wegdefiniert. Je höher man in der ärztlichen Hierarchie kommt, desto größer wird die Angst, daß Ethik Kontrolle ausübt. Dies wird auch so ausgesprochen. Je höher der ärztliche Status in der Hierarchie, um so machtvoller ist das Recht über die Wirklichkeit und um so verschlossener wird mit Entscheidungen umgegangen, die nicht in das technisierte und mechanistische somatische Weltbild von Funktion und Dysfunktion passen. Dem Empfinden nach steht zuviel auf dem Spiel: persönliche Integrität, berufliche Kompetenz, Autorität und im Hintergrund das eigene festgefügte Weltbild und Wertesystem. Entsprechend tun sich Gruppen leichter den Umgang mit Wertkonflikten zu suchen, die keinen vordergründig machtvollen Status innerhalb des Krankenhauses haben: Studenten, Pflegepersonal und die Anästhesie als zentrale Dienstleistungsabteilung. Zustimmung: Medizinstudenten sind vergleichsweise offen gegenüber ethischer Diskussion. In Unterrichtsgruppen lassen sie sich meist schnell in ein Gespräch verwickeln und denken dann selbstständig und ohne Vorbehalte mit, wobei sich Kontroversen entwickeln, die meistens in guter Gesprächskultur ausgetragen werden. Auch Lernschwestern oder Schwestern in der Fachweiterbildung sind relativ offen für Diskussionen. Sie müssen etwas mehr aus der Reserve gelockt werden, bevor sie frei sprechen, aber auch das gelingt. Allerdings ist die Fähigkeit und die Bereitwilligkeit sich auch auf andere denkerische Ebenen zu begeben als die der unmittelbaren persönlichen Erfahrung meistens eingeschränkt. Examiniertes Pflegepersonal ist anfänglich oft sehr vorsichtig und hört zu. Besonders ausgeprägt ist dies an Universitätskliniken, vielleicht weil hier ein stärkeres Bildungsgefälle empfunden wird und größere Vorsicht da ist, „etwas falsch zu sagen“. Bei entsprechender Gesprächsführung, bei der niemand übergangen wird und der Moderator sorgfältig auch kleine Regungen zu Beiträgen beachtet und anspricht, kommt man schnell in ein Gespräch mit vielen der Beteiligten. Insgesamt ist bei der Pflege keine Abwehrhaltung zu bemerken, sondern ein freundliches, zunächst abwartendes Interesse. Wenn eine Vertrauensbasis im Gespräch hergestellt ist, werden Angebote zu informellen Gesprächen, Fortbildungen und Informationsmaterial angenommen. Es bleibt jedoch noch ein Hemmnis, von der oft sensiblen Wahrnehmung ethischer Probleme auf Station hin zum Einschalten der Ethikberatung. Dann gibt es natürlich diejenigen, die von sich aus sehr interessiert sind. Mitarbeiter/Innen aus den Fächern: Anästhesie, Innere Medizin, Chirurgie, Strahlentherapie, Gynäkologie, Pädiatrie, Neurologie, wobei es vergleichweise viele von sich aus interessierte Anästhesisten/Innen und Pädiater/Innen gibt. Ausblick Ethikberatung ist eine akute Hilfe bei einer Krise auf Station, ausgelöst durch einen ethischen Konflikt. Die Hilfe besteht in Organisation und Moderation des Gesprächs. Teil der Implemantierung von Ethikberatung ist jedoch auch die niederschwellige Fortbildung und ein Informationsangebot. Langfristig wird damit eine Änderung der Umgangsweisen im Krankenhaus erreicht: mehr Zeit für Gespräche, weniger Angst vor Konflikten, eine andere Haltung gegenüber der eigenen Berufsrolle, Wissen um die Grenzen von Erkenntnismethoden. Damit erhält das System Krankenhaus die Voraussetzung sich weiterzuentwickeln. Und: bewußte Reflexion über Werte, Wahrnehmung und die Welt, in der wir zu leben meinen, gestattet auch einen anderen Umgang der Menschen miteinander außerhalb des Krankenhauses.