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HINTERGRUNDINFORMATIONEN FÜR DIE MEDIEN
IMMUNSYSTEM UND AUTOIMMUNE ERKRANKUNGEN
Der Feind in unserem Körper
Autoimmunerkrankungen – wenn der Körper sich selbst angreift
Als Schutzschild wehrt unser Immunsystem Eindringlinge wie Bakterien oder Viren ab.
Richtet es sich jedoch gegen körpereigenes Gewebe, sind die Folgen fatal: Es kommt zu
Autoimmunerkrankungen wie dem entzündlichen Rheuma oder zur Multiplen Sklerose.
Unser Immunsystem entscheidet darüber, ob wir gesund bleiben oder krank werden. Ist
es intakt und leistungsfähig, aktiviert dieses Abwehrsystem bei einem Viren- oder
Bakterienangriff die verschiedenen Immunzellen, um die Bedrohung schnell und effektiv
zu beseitigen. Nach überstandener Krankheit fährt der Körper die Immunantwort zurück
und die Abwehrzellen verschwinden fast komplett aus dem Blutkreislauf.
In manchen Fällen aber geraten die Zellen unseres Immunsystems außer Kontrolle. Sie
wenden sich gegen den eigenen Körper und beginnen, gesundes Gewebe zu zerstören.
Die Folge sind Autoimmunerkrankungen, an denen in Deutschland bereits rund vier
Millionen Menschen leiden, zum Teil mit schweren und lebensbedrohlichen
Komplikationen. In der Regel sind diese Erkrankungen unheilbar.
Solche Autoimmunerkrankungen betreffen etwa fünf Prozent der Menschen in den
Industrieländern; inzwischen sind mehr als 80 dieser „Autoaggressionskrankheiten“
bekannt.1 Die rheumatoide Arthritis gehört ebenso dazu wie die Multiple Sklerose, die
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Schuppenflechte (im Fachjargon Psoriasis genannt) oder der „jugendliche“ Typ-1Diabetes. Auch bei der Arteriosklerose laufen, wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen,
Autoimmunprozesse ab.2
► Was sind Autoimmunerkrankungen?
Aus ungeklärten Gründen
nimmt die Häufigkeit
autoimmuner Erkrankungen
weltweit zu. In den
Industriestaaten stehen sie
nach Herz-Kreislauf- und
Krebserkrankungen bereits an
der dritten Stelle der
häufigsten Erkrankungen. Bei
Große Gruppe von Krankheiten, die durch ein überaktives
Immunsystem gekennzeichnet ist. Bei einer autoimmunen
Erkrankung ist das Immunsystem nicht mehr in der Lage, zwischen
körpereigenen und körperfremden Strukturen zu unterscheiden. Der
Körper greift dann sein eigenes Gewebe mit Hilfe von Immunzellen
und
Autoantikörpern
an,
was
zu
Entzündungen
und
Funktionsstörungen der betroffenen Organe führt (daher auto,
griechisch: selbst).
Es werden organspezifische Autoimmunerkrankungen, bei denen
nur ein oder wenige Organe betroffen sind (z.B. die
Bauchspeicheldrüse beim Typ-1-Diabetes, der „jugendlichen“ Form
des Diabetes mellitus) von den so genannten Systemerkrankungen
unterschieden (z.B. Kollagenosen), bei denen der gesamte Körper
betroffen ist.
Frauen gehören Autoimmunerkrankungen zu den zehn häufigsten Todesursachen.3
Prinzipiell können Autoimmunerkrankungen jedes Organ des menschlichen Körpers
betreffen, auch das zentrale Nervensystem oder das Herz. Dem entsprechend variieren
die Symptome dieser Erkrankungen sehr stark, je nachdem, welche Organe oder
Körperstrukturen von der Körperabwehr angegriffen werden,
und abhängig davon, wie weit die jeweilige Erkrankung
fortgeschritten ist. Allen Autoimmunerkrankungen gemein aber
ist die fatale Fehlsteuerung des Immunsystems, das nicht mehr
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zwischen einem krankmachenden Eindringling und dem
eigenen Gewebe unterscheiden kann. Der Körper wird sich
selbst zum Feind.
Die Gelenke unter Beschuss
So kommt es bei der rheumatoiden Arthritis, dem „echten“
Typisch
für
Gelenkrheuma:
Schwellungen
Fingergelenken.
das
„echte“
Schmerzen und
in
den
Rheuma, an dem in Deutschland rund 800.000 Menschen
leiden (Europa: bis zu 7 Millionen Betroffene)4 5,
fälschlicherweise zur Aktivierung der so genannten T-Zellen.
Diese Abwehrzellen greifen zunächst die Gelenkinnenhäute, die Synovialmembranen, an.
Meist beginnt die rheumatoide Arthritis schleichend mit Schwellungen, Schmerzen und
Problemen beim Bewegen der kleinen und mittleren Fingergelenke, aber auch mit
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unspezifischen Symptomen wie rascher Ermüdung sowie allgemeiner Schwäche. Wird
die Krankheit nicht aufgehalten, droht die komplette Zerstörung des Gelenks. In Schüben
schreitet sie dann unaufhaltsam weiter fort,
immer mehr Gelenke werden befallen.
Doch nicht nur Knochen, Knorpel und Gelenke
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sind betroffen: Im Verlauf der Erkrankung
können auch Herz, Lunge, Nervengewebe
befallen werden, schließlich wird der gesamte
Körper in Mitleidenschaft gezogen. Am Ende
stehen Invalidität und Pflegebedürftigkeit. Die
Erkrankten können sich kaum mehr selbst
Rheuma geht auch aufs Herz: Eine
rheumatoide Arthritis erhöht das Risiko für einen
Herz-infarkt oder einen Schlaganfall.
versorgen und sind permanent auf fremde
Hilfe angewiesen.
Beteiligt an der Entzündungsreaktion sind eine ganze Reihe von Abwehrzellen und
Botenstoffen, wobei den so genannten T-Zellen eine besondere Rolle zukommt. Denn sie
sind es, die am Beginn der Erkrankung irrtümlich aktiviert werden und die
Entzündungskaskade in Gang bringen. Über sie erfolgt die Aktivierung weiterer
Entzündungszellen wie Monozyten, B-Zellen oder
Makrophagen.
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In der Folge werden Antikörper gebildet, zusätzlich
kommt es zur Ausschüttung von
Entzündungsbotenstoffen wie Interleukin-1 und
Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha), die über die
Freisetzung knorpelzerstörender Enzyme (Elastase
und andere Proteasen) und weiterer Signalstoffe die
Bei den autoimmunen Erkrankungen spielen so
genannte Autoantikörper eine zentrale Rolle.
Entzündung weiter verstärken.
Wie bei der rheumatoiden Arthritis liegen auch die
Ursachen der Multiplen Sklerose, einer anderen Autoimmunkrankheit, weitgehend im
Dunkeln. Weltweit sind schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen von der Multiplen
Sklerose (MS) betroffen, in Deutschland leben nach aktuellen Hochrechnungen etwa
122.000 MS-Kranke. Jahr für Jahr werden in Deutschland rund 2.500 Fälle neu
diagnostiziert, wobei Frauen fast doppelt so häufig erkranken wie Männer.6
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Bei MS sind es die Nervenzellen und ihre Ummantelung, die durch den Angriff
selbstzerstörerischer T-Zellen massiv geschädigt und schließlich vernichtet werden.7 8 Als
Folge der zunehmenden Zerstörung können die Nervenzellen die elektrischen Impulse
immer schlechter weiterleiten. Es kommt zu
Bewegungs-, Sprach- und Konzentrationsstörungen,
Mark Poprocki, Fotolia
zu Taubheitsgefühlen und Lähmungen.
Die MS-Erkrankung beginnt meist im frühen
Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 40.
Lebensjahr. Die Betroffenen spüren zu Beginn
häufig ein Kribbeln in Armen und Beinen, sie
Auch ein Diabetes kann Folge
fehlgeleiteten Immunsystems sein.
eines
stolpern vermehrt oder bekommen Schwierigkeiten
beim Sehen. Auch hier verläuft die Erkrankung
schubweise. In schweren Fällen leiden die Patienten später unter gravierenden
Behinderungen, manche sind dann auf einen Rollstuhl angewiesen.
Bei der Multiplen Sklerose scheinen die autoreaktiven T-Zellen besonders aggressiv zu
sein, denn sie attackieren gleich mehrere verschiedene Strukturen auf den Nervenzellen.
Das konnte eine internationale Forschergruppe kürzlich zeigen.9 Und noch etwas fanden
die Forscher heraus: Anders als bisher angenommen muss es auch bei der Multiplen
Sklerose zur Interaktion
zwischen autoaggressiver
T-Zelle und einer
entsprechenden Antikörper
produzierenden B-Zelle
kommen. Erst das
entstehende Heer an BZellen löst dann mit seinen
Antikörperattacken die volle
Krankheit aus.10
► Der Horror autotoxicus:
Historisch gesehen geht die Bezeichnung Autoimmunerkrankung auf
den deutschen Nobelpreisträger Paul Ehrlich zurück. Er war es, der
Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Begriff des Horror autotoxicus,
der Furcht vor der Selbstzerstörung, erstmals beschrieb, dass sich
die Immunabwehr des Körpers normalerweise nur gegen
körperfremde Strukturen richtet und körpereigenes Gewebe nicht
angreift.
Paul Ehrlich hatte einer Ziege das Blut eines Schafes injiziert. In der
Folge traten im Blut der Ziege Antikörper auf, die die roten
Blutkörperchen des Schafs auflösten. Das gleiche beobachtete Paul
Ehrlich, wenn er anstelle des Schafsbluts das Blut einer anderen
Ziege injizierte. Spritzte er dem Tier aber eigenes Blut in die Adern,
blieb diese Reaktion aus und die Blutkörperchen wurden nicht
zerstört.
Beim Typ-1-Diabetes, der „jugendlichen Zuckerkrankheit“, bildet der Körper Antikörper
gegen körpereigene Strukturen. Diese Antikörper sind gegen die insulinproduzierenden
Zellen der Bauchspeicheldrüse gerichtet, die so genannten Inselzellen.
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Im westlichen Europa sind etwa 0,3 Prozent der Bevölkerung von einem Typ-1-Diabetes
betroffen. Werden diese Personen nicht richtig behandelt, kann es zur Erblindung
kommen, zu Durchblutungsstörungen der Nieren bis hin zum Nierenversagen. Eine
weitere Komplikation ist der „diabetische Fuß“. Das sind durch Durchblutungsstörungen
hervorgerufene, schlecht heilende Wunden und Geschwüre an den Füßen, die eine
Amputation erforderlich machen können.
Neben dem persönlichen Leid der Patienten sind die volkswirtschaftlichen Kosten, die
durch autoimmune Erkrankungen für Behandlung, Rehabilitation und Frühverrentung
entstehen, immens. Chronische entzündlich-rheumatische Erkrankungen, an der Spitze
die rheumatoide Arthritis (RA), gehören zu den teuersten Krankheiten der gesamten
Medizin. Allein für Deutschland werden die Kosten, die für die Versorgung der RAPatienten aufgewendet werden müssen, auf 20 bis 25 Milliarden Euro geschätzt.
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass RA-Patienten Gesundheitsleistungen deutlich öfter in
Anspruch nehmen als andere. Sie besuchen mindestens doppelt so häufig den
Allgemeinmediziner und haben dreimal so viele Termine beim Facharzt.11 Die direkten
Ausgaben für Arztbesuche, Medikamente, Krankenhausaufenthalte und Rehabilitation
machen dabei nur ein Drittel der gesamten Krankheitskosten aus; zwei Drittel entstehen
noch immer durch Krankheitstage und Erwerbsunfähigkeit als Folge der Erkrankung. In
der EU sind die entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates, wie die
rheumatoide Arthritis, Ursache Nummer 1 für Frühpensionierungen, Invaliditätsrente und
Arbeitsplatzverlust.12
Die sozialen und ökonomischen Folgen für den Einzelnen sind schon in den ersten
Krankheitsjahren drastisch. Innerhalb von nicht einmal sieben Jahren sind bis zu 40
Prozent der Patienten nicht mehr in der Lage ihren Beruf auszuüben.13 Laut WHO steigt
diese Zahl mit Fortschreiten der rheumatoiden Arthritis deutlich an: Zehn Jahre nach
Ausbruch der Krankheit sind fast 60 Prozent der RA-Patienten nicht mehr berufstätig.14
Ursache unbekannt
So vielfältig wie die Krankheitsbilder der verschiedenen Autoimmunerkrankungen sind, so
unterschiedlich sind auch deren Ursachen. Über die grundlegenden Mechanismen der
verschiedenen Krankheiten weiß man heute noch relativ wenig. Im Zentrum der
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Krankheitsprozesse stehen aber stets die Autoantikörper, die von den B-Zellen gebildet
werden, und die T-Zellen, die Immunreaktionen über verschiedene Botenstoffe vermitteln.
Antikörper sind große Eiweißmoleküle unseres Körpers, deren Aufgabe es ist, Viren,
Bakterien und andere Angreifer schnell zu erkennen und effektiv abzuwehren. Sie sind
es, die unseren Körper „immun“ gegen diese Krankheitserreger machen. Bei
autoimmunen Erkrankungen können sich diese Antikörper jedoch gegen körpereigenes
Gewebe richten. Man spricht dann von Autoantikörpern (griech. auto = selbst, eigen).
Dabei liegen Nutzen und Schaden nahe beieinander. Denn vielfach werden diese
Antikörper auch für die Diagnostik der verschiedenen Autoimmunerkrankung genutzt.
So auch bei der
rheumatoiden
Arthritis. Hier ist der
Nachweis so
genannter ACPAs –
ACPA steht für
Antikörper gegen
citrullinierte Proteinund Peptidantigene
– mittlerweile ein
Standardverfahren
in der
Rheumadiagnostik.
15 16
Mit Hilfe der
ACPAs lässt sich
► Das Immunsystem – ein Glossar:
Autoimmunerkrankung sind Erkrankung, bei der das Immunsystem
fälschlicherweise den eigenen Körper angreift.
Autoantikörper: Durch eine Fehlsteuerung erkennt das Immunsystem
körpereigene Strukturen als „fremd" und versucht, sie durch Antikörper zu
eliminieren. Diese Antikörper nennt man Autoantikörper (von auto, griechisch:
selbst).
B-Zellen oder B-Lymphozyten sind spezielle Abwehrzellen unseres Körpers.
Sie reifen im Knochenmark heran und können als so genannte Plasmazellen
Antikörper produzieren.
Makrophagen: Die „Fresszellen“ unseres Körpers. Sie beseitigen Zelltrümmer
und zerlegen diese. Indem sie diese Fragmente an ihrer Zelloberfläche
präsentieren, aktivieren sie die anderen Immunzellen des Körpers.
Monozyten beseitigen zum Beispiel Bakterien.
Proteasen wie die Elastase sind Eiweiß spaltende Enzyme. Sie können zur
Gelenkzerstörung beitragen, unter anderem bei der rheumatoiden Arthritis.
TNF-alpha, Tumornekrosefaktor-alpha: Neben Interleukin-1 einer der
wichtigsten Entzündungsbotenstoffe unseres Körpers. Fördert die Freisetzung
etlicher weiterer Signalstoffe.
T-Zellen: Eigentlich T-Lymphozyten. Diese Zellen reifen im Thymus unseres
Körpers heran, daher ihr Name. Sie erkennen Antigene, die ihnen von anderen
Zellen des Immunsystems präsentiert werden.
Zytokine wie die Interleukine sind Entzündungsbotenstoffe, die bei
Immunreaktionen frei werden. Sie haben oftmals eine entzündungsfördernde
Wirkung.
der Krankheitsverlauf vorhersagen,17 18 und einige dieser Autoantikörper scheinen sogar
ein gutes und objektives Messinstrument für die Krankheitsaktivität und den
Therapieerfolg bei rheumatoider Arthritis zu sein.19 20 Sollten sich diese ersten Ergebnisse
internationaler Studien bestätigen, wäre das für die Diagnostik und die Therapie der
rheumatoiden Arthritis, die als die häufigste Autoimmunerkrankung überhaupt gilt und an
der nahezu ein Prozent der Weltbevölkerung erkrankt sind, ein bedeutender Schritt nach
vorn.
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Fest steht, dass bestimmte ACPAs direkt an der Entstehung der rheumatoiden Arthritis
beteiligt sind 9 21 , indem sie an Bestandteile der eigenen Gelenkknorpel binden. Das lockt
Fresszellen an, die Entzündungsbotenstoffe wie Tumornekrosefaktor-alpha und
Interleukine sowie Gelenk zerstörende Enzyme wie Elastase und andere Proteasen
freisetzen. Eine Entzündung flammt auf, die der Körper nicht mehr unter Kontrolle
bekommt. Die Folge ist fatal: Die Gelenke werden nach und nach zerstört.
Genetische Veranlagung
Man nimmt heute an, dass bei den Betroffenen eine
erbliche Veranlagung für die jeweilige Erkrankung
vorliegen muss. Denn etliche
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Autoimmunerkrankungen treten familiär gehäuft auf,
und innerhalb bestimmter Familien lässt sich auch
eine verstärkte Neigung zu
Autoimmunerkrankungen nachweisen.22 Bei einigen
Autoimmunerkrankungen, etwa bei der
Rauchen erhöht bei Rheumatikern die
Krankheitsaktivität.
rheumatoiden Arthritis23 oder der Multiplen
Sklerose24 25, ist die genetische Krankheitskomponente bereits
wissenschaftlich nachgewiesen worden.
Stets kommen aber bestimmte Umweltfaktoren wie Ernährungsgewohnheiten und
Lebensstil zu dieser genetischen Prädisposition hinzu und fördern die Entstehung einer
Autoimmunerkrankung. Das heißt: Nicht jeder „erblich Belastete“ erkrankt auch
zwangsläufig. Zur Empfindlichkeit muss in der Regel ein Auslöser kommen. So erhöht
beispielsweise das Rauchen das Risiko, an rheumatoider Arthritis zu erkranken, wenn in
der Familie bereits eine genetische Vorbelastung besteht.26 Zudem brauchen rauchende
Rheumapatienten deutlich mehr Medikamente, womit auch das Risiko von
Nebenwirkungen steigt.27
Bei einer autoimmunen Erkrankung verliert der Körper die Fähigkeit zur so genannten
Immuntoleranz. Die nämlich ermöglicht es dem gesunden Körper, „fremd“ von „selbst“ zu
unterscheiden. Ganz offensichtlich werden bei diesen Erkrankungen die autoreaktiven
Zellen, die sich immer auch bei Gesunden finden, übermäßig aktiviert. Oder sie entziehen
sich der Kontrolle des Immunsystems.28 29
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Letztlich, so eine Hypothese der Wissenschaftler, können es Krankheitserreger sein, die
das Immunsystem in die Irre leiten. Die eingedrungenen Bakterien und Viren aktivieren
das Immunsystem und die autoreaktiven Immunzellen über bestimmte molekulare
Strukturen, die Antigene. Ähneln diese Strukturen denen des Körpers zu sehr, kann der
Körper „fremd“ und „selbst“ nicht mehr unterscheiden. Dann wird das eigene Gewebe
zum Ziel der zerstörerischen Immunantwort.
Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie eine reguläre und angemessene
Immunreaktion entgleisen und eine an sich harmlose Infektion für den Körper zur
Katastrophe werden kann, ist das rheumatische Fieber. Bei dieser Erkrankung – auch sie
ist eine Autoimmunerkrankung – kommt es auf Grund einer bakteriellen Streptokokken*Infektion zunächst zu einer Mandelentzündung mit Halsschmerzen oder zum bekannten
Scharlach.
Wird die Erkrankung nicht richtig auskuriert, kann es noch Wochen nach der Infektion und
lange nach Abklingen der akuten Beschwerden zum gefürchteten rheumatischen Fieber
kommen. Aufgrund der Ähnlichkeit mit den bakteriellen Antigenen lenkt die Immunabwehr
dann ihren Angriff auf körpereigene Strukturen um.30 Die Folge sind Hautrötungen oder
die Entzündung gleich mehrerer Gelenke, eine so genannte Polyarthritis. Infolge dieser
autoaggressiven Reaktion gegen den eigenen Körper kann es auch zu gefährlichen
Hannes Eichinger, Fotolia
Nieren- oder Herzklappenentzündungen mit bleibenden Folgen
kommen.31
Dank der Antibiotika ist das rheumatische Fieber in den
Industrieländern heute selten geworden, ist aber in den
Schwellen- und Entwicklungsländern nach wie vor häufig zu
finden. Doch selbst in ländlichen Regionen einiger
Industrienationen ist es auch heute noch immer keine
Seltenheit.32 33
Frauen häufiger betroffen
Bei den meisten Autoimmunerkrankungen sind Frauen
wesentlich häufiger betroffen als Männer. Ein Grund hierfür dürfte die andere hormonelle
Ausstattung der Frau sein. Auch Schwankungen im Hormonhaushalt dürften eine Rolle
*
Streptokokken, eine Bakteriengattung
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spielen. So kann beispielsweise eine Schwangerschaft eine Autoimmunkrankheit
auslösen oder eine bestehende Erkrankung verstärken.
Doch auch das Gegenteil ist der Fall. So bessert sich eine rheumatoide Arthritis
manchmal durch eine Schwangerschaft, zumindest vorübergehend.34 Einer der Gründe
hierfür mag sein, dass das Immunsystem seine Aktivität in der Schwangerschaft generell
deutlich drosselt, damit das ungeborene Kind, das ja potentiell „fremd“ ist, nicht Ziel der
körpereigenen Abwehr wird. Folgerichtig kehren die Beschwerden einer RA-Erkrankung
sechs bis zwölf Wochen nach der Geburt wieder. Solche Beobachtungen sind deutliche
Hinweise darauf, dass hormonelle Schwankungen, die körperliche Verfassung oder
immunologische Sondersituationen tatsächlich Einfluss auf eine Autoimmunerkrankung
nehmen oder ihre Entstehung fördern können.
Ebenso vielgestaltig wie die Ursachen, Symptome und Krankheitsbilder der
Autoimmunerkrankungen sind auch die Ansätze zu ihrer Therapie. Wobei die aktuellen
Therapien derzeit häufig darauf abzielen, das
Fortschreiten der Krankheit so weit wie möglich
zu verlangsamen und akute Beschwerden zu
mildern.
Moderne Therapien verwenden künstlich hergestellte Antikörper.
Bei vielen der autoimmunen Erkrankungen
sind heute die so genannten Immunsuppressiva
Stand der Medizin. Hierzu gehören zum Beispiel
Methotrexat, das bei rheumatoider Arthritis oder
Schuppenflechte eingesetzt wird, oder Kortisonpräparate. Diese
Eine Frage der Homone: Eine
rheumatoide Arthritis kann sich
während
einer
Schwangerschaft
vorübergehend bessern.
Medikamente mildern die Folgen der autoaggressiven Attacke
auf die körpereigenen Gewebe, indem sie die Aktivität des
Immunsystems insgesamt reduzieren. Was unter Umständen
dazu führt, dass auch die „guten“ Teile des Immunsystems, mit denen der Körper
normalerweise Viren, Bakterien oder Krebszellen in Schach hält, unterdrückt werden, der
Patient also für die alltäglichen Angriffe der Krankheitserreger anfälliger wird.
Gegenstand der modernen Forschung ist daher die Entwicklung zielgerichteter
Medikamente und Methoden, die lediglich die überaktiven Teile des erkrankten
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Neue Therapien geben Hoffnung
Immunsystems lahmlegen, die Leistungsfähigkeit unserer Körperabwehr gegenüber
Bakterien, Viren & Co. aber unangetastet lassen. Zwar soll die Autoimmunkrankheit zum
Stillstand kommen, nicht aber auf Kosten der Schlagkraft und Lernfähigkeit des
Immunsystems. Zum Einsatz kommen hierbei maßgeschneiderte Eiweißmoleküle, die so
genannten Biologika. Sie greifen ganz gezielt in das Krankheitsgeschehen ein, indem sie
an bestimmte körpereigene Strukturen binden und Teile des Immunsystems lahmlegen.
So kann etwa der Tumornekrosefaktor-alpha durch künstlich hergestellte Antikörper oder
lösliche Rezeptormoleküle so gebunden werden, dass er seine Botschaft nicht mehr an
die Immunzellen übermitteln kann. Auf ähnliche Weise lassen sich heute auch
verschiedene Interleukine, die Botenstoffe des Immunsystems, unschädlich machen und
die fatale Entzündungskaskade damit unterbrechen.
Die eigentliche Ursache der Autoimmunerkrankung können aber auch die Biologika noch
nicht beseitigen. Das Erreichen dieses Ziels erhofft man sich von ganz neuen
Therapieansätzen wie den Stammzelltherapien oder den so genannten ImmuntoleranzTherapien. Diese Verfahren, an denen derzeit intensiv in den Laboren gearbeitet wird,
versprechen die Um- und Neuprogrammierung des entgleisten Immunsystems. Sie sollen
es ermöglichen, dass eine kurze Phase der medizinischen Behandlung nicht nur die
Erkrankung zum Stillstand bringt sondern auch lebenslange Heilung. Das aber ist derzeit
(noch) Science-Fiction.
Links:
www.rheuma-liga.de – Merkblatt 6.12: Schwangerschaft – LinkOut
www.dmsg.de – Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft
www.autoimmun.org – Deutsche Gesellschaft für Autoimmunerkrankungen
www.drfz.de – Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin
Für die Redaktionen:
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Referenzen:
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Eine Medieninformation von
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Mainz, Germany
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