Obwohl es sich der Expressionismus zur Aufgabe gemacht

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Obwohl es sich der Expressionismus zur Aufgabe gemacht hatte, mit der Vergangenheit
abzuschließen und etwas vollkommen Neues zu schaffen, lassen sich in der Literatur- und
Geistesgeschichte vielfach Inspirationsquellen finden, die einen wichtigen Beitrag zur
Aufschlüsselung der expressionistischen Metaphysik liefern. Dabei reichen gerade die
literarischen und stilistischen Vorbilder weit zurück ins 19. Jahrhundert, einige Zeit vor der
rapiden Urbanisierung, Industrialisierung und Modernisierung der Gesellschaft. So liefert der
künstlerische
Autonomieanspruch
der
Romantik
einen
wichtigen
Beitrag
zum
ideengeschichtlichen Hintergrund der expressionistischen Generation. Ebenso wie der
romantische Künstlertypus verzichten die Expressionisten weitesgehend auf die Gestaltung
der damaligen Wirklichkeit, zeigen Begeisterung für „Improvisationen“ und „spielerische
Formexperimente“ oder proklamieren die Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und
Leben.1 Auch die ästhetische Umsetzung dieser Postulate, insbesondere in der pathetischen OMensch-Lyrik ist stark an diesen Vorbildern orientiert. So sind Namen von Gruppierungen
wie das „neopathetische Cabaret“ ebenso bezeichnend, wie die feierliche Sprachgewalt, mit
der einige Lyriker vorgehen. So schreibt Pinthus im Vorwort zur Anthologie
Menschheitsdämmerung:
Man möge also nicht nur auf die einzelnen Instrumente und Stimmen des lyrischen Orchesters
lauschen: Die aufschwebende Sehnsucht die herbstlich-klagende Melodie der Celli, die
purpurnen Posaunen der Erweckung, das ironische Staccato der Klarinetten, die
Paukenschläge des Zusammensturzes, das zukunftslockende Marciale der Trompeten, das
tiefe. Dunkle Raunen der Oboen, den brausenden Sturzbach der Bässe (...) Das Andante des
Zweifels und der Verzweiflung steigert sich zum zum befreienden Furioso der Empörung und
das Moderato des erwachenden, erweckten Herzens erlöst sich zum triumphalen Maestoso
der menschenliebenden Menschheit2
Es ist nicht nur der sprachgewaltige Pathos, der hier als Postulat für die expressionistische
Dichtung entworfen wird, sondern auch ein metaphysisches Moment der Romantik, welches
bereits anklingt. So erinnert das Zusammenspiel der Instrumente, welche ein einheitliches
„triumphales Maestoso“ bilden an die metaphysischen Dispositionen dieser Kunstrichtung ,
namentlich die Idealisten um Schelling, Fichte und insbesondere Hegel. So schreibt dieser u.a.
in einem seiner wichtigsten Werke über das geistige Kunstwerk: „Die reine Anschauung
seiner Selbst als allgemeiner Menschlichkeit hat an der Wirklichkeit des Volksgeistes die
Form, dass er sich mit anderen, mit denen er durch die Natur eine Nation ausmacht, zu einer
1
vgl. Beutin, Wolfgang (u.a.) Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart
2001(S. 185 ff.)
2
Pinthus, Kurt: Zuvor. In Pinthus Kurt (Hrsg.): Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus.
Berlin 1920
gemeinschaftlichen Unternehmung verbindet und für dieses Werk ein Gesamtvolk und damit
einen Gesamthimmel bildet“3 Die Verbindung einzelner Elemente zu einer höheren
Gemeinschaft ist ein wichtiges Element in der expressionistischen Kunst und somit auch
Metaphysik, weit über das Stilistische hinaus, dabei jedoch gleichzeitig stilistisch immer in
den Postulaten und ästhetischen Umsetzungen des Idealismus und der Romantik verhaftet
3
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes. (Werke 3) Frankfurt a.M. 1970 (S. 529 ff.)
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