PRESSEMITTEILUNG Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart 19.07.2011 Spektakuläre Neuentdeckung durch Wissenschaftler des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart liefert neue Hinweise zur Insektenevolution: Die Chimärenflügler – eine neue fossile Insektenordnung. Stuttgart. Wissenschaftler des Naturkundemuseums Stuttgart waren federführend bei der Entdeckung einer neuen Insektenordnung aus der unteren Kreidezeit Südamerikas. Die Aufsehen erregenden Fossilien wurden von ihren Entdeckern Coxoplectoptera bzw. Chimärenflügler genannt. Diese rätselhaften, 120 Mio. Jahre alten Fossilien liefern neue Hinweise zur Insektenevolution. Die Ergebnisse werden in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift Insect Systematics & Evolution publiziert. Die Arbeitsgruppe um Dr. Arnold Staniczek und Dr. Günter Bechly, beides Experten für ursprüngliche Fluginsekten am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, stellte bei ihren Untersuchungen fest, dass es sich um ausgestorbene Verwandte heute lebender Eintagsfliegen handelt. In Körperbau und Lebensweise unterscheiden sich die Coxoplectoptera jedoch sowohl von Eintagsfliegen als auch von allen anderen bisher bekannten Insekten. Von den erwachsenen Insekten wurden bisher lediglich zwei Exemplare entdeckt, die häufiger gefundenen Larven waren schon länger bekannt, wurden bisher aber falsch zugeordnet. Eines der beiden einzigen erwachsenen Exemplare befindet sich im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart. Erst mit der Entdeckung der ausgewachsenen Exemplare und besser erhaltener Larven gelang es den Wissenschaftlern, die stammesgeschichtliche Stellung dieser Tiere zu klären. Die geflügelten Insekten muten wie aus verschiedenen Tieren zusammengesetzte Chimären an, die mit den Flügeln einer Eintagsfliege, der Brust und Flügelform einer Libelle und den Raubbeinen einer Gottesanbeterin ausgestattet sind. Aus diesem Grund schlagen die Forscher den deutschen Namen „Chimärenflügler“ für diese neue Insektengruppe vor. Die eigenartigen Larven hingegen erinnern in ihrem Aussehen an Bachflohkrebse. Die ausgezeichnete Erhaltung der Larven erlaubte es den Forschern, durch die Anwendung von mikropräparatorischen Techniken feinste Details der Anatomie aufzudecken. Die Lebensweise der Larven stellte die Forscher vor große Rätsel: Obwohl einige Merkmale der Larven und deren Einbettung eindeutig belegen, dass es sich um Bewohner von Fließgewässern handelte, unterscheiden sie sich im Körperbau von allen anderen bekannten wasserlebenden Insekten. Die Forscher vermuten, dass diese Tiere als Lauerjäger halb eingegraben im Gewässergrund lebten. Für eine räuberische Lebensweise sprechen die als Raubbeine entwickelten Vorderbeine und zangenartige Kiefer, während die Körperpanzerung, die seitliche Abplattung des Körpers und die gedrungenen Mittel- und Hinterbeine auf eine grabende Lebensweise hindeuten. Mitglied im Die Tiere waren schon zu ihrer Lebzeit in der unteren Kreide vor etwa 120 Millionen Jahren letzte Überbleibsel primitiver Fluginsekten aus dem Erdaltertum. Die stammesgeschichtliche Einordnung der Chimärenflüglern führte zu neuen Vorstellungen über die Verwandtschaft ursprünglicher Fluginsekten und die Ahnenreihe der Eintagsfliegen. Ihr Körperbau lieferte zudem weitere Hinweise auf das seit langer Zeit kontrovers diskutierte Problem der evolutionären Entstehung des Insektenflügels: Lange Zeit wurde angenommen, dass sich Insektenflügel aus zunächst starren Auswüchsen von Rückenschildern der Brustsegmente entwickelten. Dagegen legen neue Erkenntnisse aus der Entwicklungsgenetik nahe, dass sich Insektenflügel aus beweglichen Beinanhängen krebsartiger Vorfahren entwickelt haben. Die Larven der Coxoplectoptera liefern durch den Bau ihrer Kiemen am Hinterleib Indizien dafür, dass beide Theorien teilweise zutreffen. Da diese Kiemen in zahlreichen Details den Flügelanlagen entsprechen, gehen die Forscher davon aus, dass beide Organe den gleichen evolutionären Ursprung besitzen. Bislang war unklar, ob die Kiemen primitiver Fluginsekten sich aus Beinanhängen oder Rückenschildern entwickelt haben. Bei den Chimärenflüglern setzen die Kiemen an den Rückenschildern an. Die Insektenforscher vermuten daher, dass auch die Flügel ihren Ursprung in Rückenplatten haben, während Bein-Gene lediglich für die Steuerung der Flügelentwicklung rekrutiert wurden. Die Entdeckung der Coxoplectoptera trägt so zu einem besseren Verständnis der Evolution der Fluginsekten bei. Mitglied im Hinweis für die Redaktionen: Dr. Arnold Staniczek und Dr. Günter Bechly stehen Ihnen für Auskünfte und Interviews gerne zur Verfügung. Kontakt: Dr. Arnold Staniczek, Tel. 0049 – (0)711 – 89 36 – 239 E-Mail: [email protected] Dr. Günter Bechly, Tel. 0049 – (0)711 – 89 36 – 242 E-Mail: [email protected] Die Sonderausgabe der Fachzeitschrift Insect Systematics & Evolution finden Sie ab dem 19.07.2011 unter: www.ingentaconnect.com/content/brill/ise/2011/00000042/00000002 Der Chimärenflügler ist bis Ende August 2011 in einer Sondervitrine im Staatlichen Museum für Naturkunde - Museum am Löwentor zu sehen. Herzliche Grüße aus dem Naturkundemuseum Stuttgart Meike Rech Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart Pressesprecherin Gesellschaft zur Förderung des Naturkundemuseums Stuttgart e.V. Geschäftsstelle Rosenstein 1, 70191 Stuttgart Tel: 0711 - 89 -36 - 107, Fax: 0711 - 89 36 -100 E-Mail: [email protected] Mitglied im