Handreichung zu RSO CLASSIX am Mittag 30. Januar 2013 13 Uhr Liederhalle Stuttgart, Beethovensaal und Konzert der Kulturgemeinschaft Stuttgart 1. Februar 2013 20 Uhr Liederhalle Stuttgart, Beethovensaal Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Leitung: Xian Zhang Edvard Grieg: Peer Gynt, Suite Nr. 1 op. 46 und Auswahl aus Suite Nr. 2 op. 55 Empfohlen ab Klasse 3 bzw. ab Klasse 8 erstellt von Siegfried Schmollinger 2 Edvard Hagerup Grieg (1843-1907) – Wegbereiter einer nordischen Musikkultur Edvard Grieg gilt als der bedeutendste norwegische Nationalkomponist des 19. Jahrhunderts, der sich intensiv mit dem Liedgut, der Volksmusik, dem Sagenschatz und der Natur seines Landes auseinandersetzte und in seinen Kompositionen die eigenartige Harmonik und Rhythmik des Nordens sowie die oft schwermütige und träumerische Gefühlslage der dort lebenden Menschen zum Ausdruck bringt. Es gelingt ihm, die nordischen volksmusikalischen Elemente mit gefühlsbetonten Melodien in klassische Musik zu integrieren und damit internationale Geltung zu erreichen. Seine Werke gehören zu den im Konzertleben meist gespielten Kompositionen, die sich auch in vielfältigen Bearbeitungen großer Beliebtheit erfreuen. Durch den hohen Bekanntheitsgrad seiner Musik, findet diese auch in der Werbung sowie in Film und Fernsehen häufig Verwendung. In seiner autobiographischen Skizze charakterisiert sich Grieg folgendermaßen: Zur Anzeige wird der QuickTime™ Dekompressor „TIFF (Unkomprimiert)“ benötigt. ›In Stil und Formgebung bin ich ein deutscher Romantiker der Schumann-Schule geblieben. Aber zugleich habe ich den reichen Schatz der Volkslieder meines Landes ausgeschöpft und habe aus dieser bisher noch unerforschten Emanation der nordischen Volksseele eine nationale Kunst zu schaffen versucht.‹ Grieg befasste sich auch mit dem norwegischen Nationalinstrument, der Hardanger-Fidel, und der damit verbundenen Volksmusik. Bei der Hardanger-Fidel handelt es sich um eine kleine volkstümliche Geige mit kurzem Hals und niedrigem, nur schwach gewölbtem Steg um das mehrstimmige Spiel zu erleichtern. Das verzierte Instrument besitzt 4 Spiel-Saiten sowie 3-4 Resonanzsaiten unter dem Griffbrett und wird in verschiedenen Stimmungen (Scordatura) gespielt. Die Hardanger-Fidel ist seit 1651 in einer ersten primitiven Form in West-Norwegen bekannt. Von Isak Nielsen Botnen wurde das Instrument weiterentwickelt. Griegs ›Norwegische Bauerntänze‹ op. 72 (Slåtter) sind Bearbeitungen für Klavier von Tänzen für Hardangergeige, nach Aufzeichnungen von Johan Halvorsen. Zu Griegs populärsten Kompositionen gehört das wirkungsvolle Klavierkonzert a-moll op. 16. Nordische Volksweisen werden nicht zitiert, sondern Grieg verwendet hier Harmoniemodelle aus der norwegischen Volksmusik (u.a. lydische Elemente oder übermäßige Quarte). Obwohl Grieg wenig Kammermusik komponierte, so dürfen sein Streichquartett g-moll op. 27 und seine 3. Violinsonate e-moll op. 45 als bemerkenswerte Kompositionen der Kammermusik des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. In ihnen finden sich ebenfalls volksmusikalische Anklänge mit eindrucksvoller Stimmungsmalerei und eingängigen Melodien. Grieg wird als Meister der kleineren Formen bezeichnet wie z.B. in seinen Klavierstücken mit lyrischen Titeln. Die Bedeutung dieser Stücke wird an der umfangreichen Diskographie im Bielefelder Katalog deutlich. Für seine Frau Nina, die Pianistin und Sängerin war, schuf er einzigartige Liedkompositionen, teils nach Texten seines Freundes Hans Christian Andersen. Die Vorliebe für kleinere Formen findet man auch in seinen bedeutenden Orchester-Suiten, die zum Standard-Repertoire des Konzertlebens zählen: 3 ›Aus Holbergs Zeit‹ op. 40, Suite im alten Stil für Streichorchester; eine Festmusik zum 200. Geburtstag des norwegischen Dichters Ludwig Holberg (1684 – 1754) im barocken Stil. ›Lyrische Suite‹ op. 54 sowie in den ›Peer Gynt Suiten ‹ op. 46 und op. 55 Grieg wuchs in der Hafenstadt Bergen in einem musikalischen Elternhaus auf, in dem regelmäßig Musikabende stattfanden. Mit 6 Jahren erhielt er Klavierunterricht von seiner Mutter, die eine fundierte Musikausbildung hatte. Schon bald zeigte sich Griegs musikalische Begabung. Ole Bull (1810-1880), die bedeutendste Geigerpersönlichkeit im 19. Jahrhundert und Freund der Familie, empfahl den 15-jährigen Grieg zum Studium an das Konservatorium in Leipzig – damals das musikalische Zentrum Europas – in den Fächern Klavier und Komposition. Ole Bull war es, der Grieg auf die Hardanger Folklore aufmerksam machte und ihn in seiner Idee, eine nationale Musikkultur zu schaffen, unterstützte. Die Ausbildung zum Pianisten erfolgte u.a. bei E. F. Wenzel, der ihm Schumanns Musik nahebrachte und bei Ignaz Moscheles. Unter seinen Theorielehrern war auch Carl Reinecke. Mit seinen Lehrern war Grieg nicht immer zufrieden. 1862 in Bergen zurück, erwies sich Grieg als erfolgreicher Pianist und Komponist. Um noch bessere musikalische Anregungen zu bekommen, ließ er sich in Kopenhagen nieder. Dort lernte er den Norweger Rikard Nordraak kennen, der zu einem engen Freund wurde und ihn ebenfalls für eine eigenständige norwegische Nationalkultur begeisterte. ›Es fiel mir wie Schuppen von den Augen; erst durch ihn lernte ich die nordischen Volksweisen und meine eigene Natur kennen. Wir verschworen uns gegen den Gadeschen, Mendelssohn vermischten weichlichen Skandinavismus und schlugen mit Begeisterung den neuen Weg ein, auf welchem die nordische Schule sich jetzt befindet.‹ Auf einer Reise nach Rom lernte Grieg Henrik Ibsen kennen, von dem er später den Auftrag erhielt für ›Peer Gynt‹ eine Bühnenmusik zu komponieren. 1867 ließ sich Grieg in Christiana, dem heutigen Oslo, nieder. Sein Lebenseinkommen war nun gesichert durch Unterricht und Chor- sowie Orchesterarbeit, daneben konnte er sich auch dem Komponieren widmen. Er heiratete seine Kusine, Nina Hagerup, mit der er in Kopenhagen zusammengetroffen war. 1871 gründete er in Christiana den Musikverein, ›Musikforeningen‹, den er zusammen mit seinem Freund und Komponistenkollegen Johan Svendsen führte. Nachdem ihm der norwegische Staat einen Ehrensold zukommen ließ, konnte sich Grieg, finanziell unabhängig, mehr dem Komponieren widmen. 1870 begegnete Grieg in Rom Franz Liszt, der ihn bestärkte, seinen nordisch geprägten Stil weiter zu entwickeln. Liszt war es auch, der Grieg zu internationalem Erfolg verhalf und ihn auch materiell unterstützte. Grieg zog sich dann 1877 in die Einsamkeit von Hardanger zurück, wo er sich mit der Volksmusik dieser Landschaft beschäftigte. Hier entstanden die ›Holberg-Suite‹ und sein Streichquartett in g-moll. In den 8oer Jahren galt Grieg als einer der bedeutendsten Komponisten und seine Werke fanden international großen Beifall. Seine Konzertreisen führten ihn durch ganz Europa, auf denen er mit den führenden Komponisten und Musikern zusammentraf. Grieg verstarb 1907 und wurde in der Nähe seines Wohnsitzes Troldhaugen beigesetzt. In Troldhaugen befindet sich heute das Grieg-Museum. Eines seiner populärsten Klavierstücke erinnert an diesen Ort, ›Hochzeitstag auf Troldhaugen‹ aus den ›Lyrischen Stücken‹ op. 65 (1896). 4 Peer Gynt – Norwegens Faust Bei seinem Aufenthalt in Italien schrieb der norwegische Schriftsteller und Dramatiker Henrik Ibsen (1828-1906) ›Peer Gynt‹ zunächst in einer Gedichtfassung. Der Inhalt basiert auf einem norwegischen Feenmärchen von Peter Christen Asbjørnsen. Schwerpunkt der Geschichte ist die rastlose Suche des ›Peer Gynt‹ nach seinem eigenen Ich. Ibsen setzt sich darin mit dem norwegischen Nationalismus auseinander. Nachdem die Gedichtfassung sehr erfolgreich war, schuf Ibsen eine Bühnenfassung und beauftragte Edvard Grieg, eine 26teilige Bühnenmusik zu ›Peer Gynt‹ zu komponieren. Grieg erhielt genaue Anweisungen, wie die einzelnen Szenen musikalisch untermalt werden mussten. Die Uraufführung des Musiktheaters mit Sprechstücken, Pantomimen, Tänzen, musikalisch gestalteten Szenen, mit Gesang und Chor fand im Christiana Theater 1876 statt und wurde zu einem großen Erfolg. Es folgten 37 weitere Aufführungen bis das Theater einem Brand zu Opfer fiel. Nach 10 Jahren überarbeitete Grieg nochmals seine Musik. Handlung des Dramas: Peer Gynt, ein norwegischer Bauernsohn, entflieht der Realität durch fantasievolle Lügengeschichten. Der heruntergekommene Bauernhof ist für ihn ein fürstliches Anwesen. Als er von seiner Mutter erfährt, dass die reiche Bauerntochter Ingrid heiratet, begibt er sich zum Hochzeitsfest. Dort lernt er Solvejg kennen und lieben. Ingrid, die Braut, wird von ihm ins nahe liegende Gebirge entführt. Doch bald wird er ihr überdrüssig und schickt sie ins Dorf zurück. Die aufgebrachten Dorfbewohner verfolgen ihn. Er flüchtet in das Reich der Trolle und Dämonen. Als die Tochter des Dovre-Alten, dem Oberhaupt der Trolle, ihn heiraten will, flüchtet er wieder und lässt auch Solvejg zurück. Nach 30 Jahren trifft man Peer in Marokko, diesmal mit großem Reichtum, den er durch Sklavenhandel erworben hat. Peer wird durch Geschäftspartner jedoch ausgeraubt und irrt mittellos durch die Wüste. In einer Oase trifft er die Beduinentochter Anitra, die ihm seine letzten Habseligkeiten raubt. Er endet in einem von einem Deutschen geführten Irrenhaus in Kairo. Von den Insassen wird er als Kaiser gefeiert, deren Verrücktheiten er jedoch nicht aushält. Verarmt tritt Peer die Heimreise an und kann sich nach einem Schiffbruch gerade noch ans Land retten. Peer irrt umher um sein Seelenheil zu finden. Rettung findet Peer durch Solvejg, die in der Schluss-Szene, die am Pfingstmorgen spielt, bekennt, dass sie die ganzen Jahre auf ihn gewartet hat. Peer Gynt ist die Geschichte eines Menschen, der rastlos durch die Welt irrt und nach dem Sinn des Daseins und seinem Ich sucht, ähnlich wie Goethes Faust, und durch die Liebe einer Frau errettet wird. Die beiden Orchestersuiten – op. 46 und op. 55 Obwohl Ibsens Drama mit der Musik von Grieg hervorragend aufgenommen wurde, war Grieg von dem Werk nicht überzeugt. Um eine größere Verbreitung der Musik zu erreichen sowie weitere Einnahmen zu erzielen, bearbeitete Grieg einige Stücke aus der Bühnenmusik op. 23. Grieg gilt als Meister in der Weiterverwertung eigener Kompositionen, die zumeist ursprünglich für Klavier komponiert wurden. Kurz nach der Uraufführung der Bühnenmusik zu ›Peer Gynt‹ erschienen bei Peters 1876 vier Stücke für Klavier, darunter der ›Arabische Tanz‹, ›Anitras Tanz‹ und ›Åses Tod‹. Es folgten gleichzeitig aus op. 23 eine Auswahl von 5 10 Stücken für Klavier zu vier Händen sowie drei Lieder, darunter ›Solvejgs Sang‹. In den beiden Orchestersuiten op. 46 (1888) und op. 55 (1891) stellte Grieg die wirkungsvollsten Stücke aus der Bühnenmusik zu ›Peer Gynt‹ für Orchester zusammen und erreichte damit Weltruhm. Die beiden Suiten sind in sich abgeschlossene musikalische Einheiten. Die Orchestersuite op. 46 kommt häufiger zur Aufführung. Die Reihenfolge der einzelnen Sätze entspricht nicht der Abfolge in Ibsens Schauspiel. Sie wurden nach musikalischen Gesichtspunkten von Edvard Grieg so zusammengestellt. Der Bielefelder Klassik Katalog vermerkt eine Fülle von Aufnahmen. 1. Orchestersuite op. 46 Nr. 1: ›Morgenstimmung‹ Ursprünglich war ›Morgenstimmung‹ als Vorspiel zum 4. Akt geplant, erwies sich aber zum Inhalt – Gespräch zwischen Peer und den Großindustriellen – als ungeeignet. Grieg wollte eine marokkanische Morgendämmerung darstellen, die nordisch klingende Melodie erinnert aber mehr an einen norwegischen Sonnenaufgang. Die Satzbezeichnung ›Allegretto pastorale‹ sowie der 6/8-tel Takt weisen auf eine Art Hirtenmusik hin. In der Werbung u.a. für Waschmaschinen oder für Pulverkaffee wie auch in der Filmmusik findet dieses Thema immer wieder Verwendung. In der Flöte erklingt zunächst das zarte, pentatonisch gefärbte Thema im hellen E-Dur. Dieses tritt im Wechselspiel von Flöte und Oboe in verschiedenen Tonarten auf und die Dynamik steigert sich bis zum Einsatz des Orchesters (T21). ›Ich stelle mir vor, dass die Sonne bei dem ersten Forte durch die Wolken bricht.‹ Die Streicher umspielen das Thema, teils auch in Teilen mit stark ansteigender und abschwellender Dynamik bis das Thema im Horn hervortritt. Nochmals tritt das Thema im pp in der 1. Geige und in Klarinette, Flöte und Fagott auf bis das Stück im pp ausklingt. Nr. 2: ›Åses Tod‹ Im 2. Satz, einem ergreifenden ›Andante doloroso‹ in h-moll, gestaltet Grieg die Szene musikalisch, wie Peer am Bett seiner sterbenden Mutter sitzt und ihr seine derben Phantasiegeschichten erzählt. Im Drama wirkt der krasse Gegensatz zwischen Peers Hirngespinsten und der tragischen Musik, die die Realität wiedergibt, äußerst effektvoll. Der Satz wird nur vom Streichorchester mit Dämpfern gespielt. Das ruhige Thema erfährt eine Steigerung bis T24 wo Grieg Peers grobe Geschichten nachzeichnet. Danach merkt Peer, dass seine Mutter verstorben ist. Das Thema wird in seiner aufsteigenden Form 6mal aneinandergereiht. Ab T25 tritt das Thema abgewandelt in abwärts fallender Form auf und klingt in morendo aus. Nr. 3: ›Anitras Tanz‹ Der aufreizende Tanz der Beduinentochter Anitra, die Peer umgarnt, ist sehr sparsam instrumentiert. Wieder spielt das Streichorchester mit Dämpfer. Das anmutende Thema der 1. Geige wird durch Zupfen durch die anderen Instrumente begleitet. Die Triangel unterstreicht das exotische Flair. Im 2. Teil werden wehmütige Klänge angeschlagen bis das tänzerische Thema weiterhuscht. 6 Nr. 4: ›In der Halle des Bergkönigs‹ Peer dringt in das Reich der Kobolde und Trolle ein. Der alte Dovre ist von seinen Kindern und Verwandten umgeben. Die wilden Töchter des Bergkönigs bedrängen Peer und trachten nach seinem Leben, weil er eine von ihnen verführt hat. Peer möchte sie nicht heiraten. Zu den aufrüttelnden Akkorden am Schluss der tumultartigen Szene der Bühnenmusik rufen sie: Schlachtet ihn! Diese Szene im Drama wird von gemischtem Chor und Orchester gestaltet. Der 4. Satz der Orchester-Suite, Alla marcia e molto marcato, besteht aus einem 18mal wiederkehrenden, eingängigen Thema, das im Verlauf durch dynamische und Temposteigerung immer bedrohlicher wird. Dieses Stück hat sich durch unzählige Bearbeitungen, Verwendung in der Pop- und Filmmusik zu einem einmaligen Hit entwickelt, ganz im Sinne von Grieg. ›Die Vermehrung meiner Werke durch Arrangements fängt jetzt an unheimlich zu werden. Ich vermisse nur noch die ›Peer Gynt Suite‹ für Flöte und Posaune. Von der unerreichbaren Popularität der Drehorgel will ich gar nicht reden.‹ Als Beispiele für Adaptionen seien genannt Fritz Langs Tonfilm ›M — eine Stadt sucht einen Mörder‹, in dem das Thema als Erkennungsmelodie Verwendung findet, oder das Album der Band Savatage mit dem Titel ›In the Hall of the Mountain King‹. Zur Anzeige wird der QuickTime™ Dekompressor „TIFF (Unkomprimiert)“ benötigt. Das zunächst zurückhaltend von den tiefen Instrumenten rhythmisch gezupfte und von den Fagotten begleitete Thema tritt mehrfach im Wechsel der beiden Instrumente auf. Durch Transponieren wird das Thema in der Höhe und in der Klangwirkung verändert. Die Melodie wird von Violinen und Oboe ebenfalls im Wechsel weitergeführt und nimmt an Intensität zu. Die im Thema etwas unbeholfen dargestellten Trolle drehen nun völlig durch. Ab Buchstabe B wird die Musik immer lauter und steigert sich zu einem furiosen Finale. Peer stürzt aus der Höhle des Bergkönigs, bevor diese in sich zusammenstürzt. Bis auf diesen enden alle Sätze der Suiten im pp. Griegs Vorliebe für eine Aneinanderreihung von Themen – 18 mal wird das Thema wiederholt – wird hier wieder deutlich. Mit dem eingängigen Thema charakterisiert Grieg geschickt die etwas unbeholfen tanzenden Trolle. ›Für die Halle des Bergkönigs habe ich etwas geschrieben, das so nach Kuhfladen stinkt, ultra-Norwegertum und Selbstzufriedenheit, dass ich kaum ertragen kann es zu hören, obwohl ich hoffe, dass die Ironie offensichtlich ist.‹ 2. Orchestersuite op. 55 Die zweite Orchestersuite, obwohl die bessere Komposition, hat die Bedeutung der ersten nicht erreicht. Nr.1: ›Der Brautraub/Ingrids Klage‹ Im ersten Satz der Suite, ursprünglich eine Zwischenaktmusik zwischen dem ersten und zweiten Akt, stellt Grieg dar, wie Ingrid geraubt und in die nahen Berge verschleppt wird. In 7 den ersten Takten (Allegro furioso) erklingt Peers Leitmotiv aus dem Vorspiel. Griegs Deutung: Peer sagt zur Ingrid ›sie solle zum Teufel gehen‹. Mit einem Andante doloroso nur von den Streichern gespielt, gestaltet Grieg eindringlich die Klage Ingrids. Gegen Ende des Satzes erklingt das Leitmotiv ein weiteres Mal. Nr. 2: ›Arabischer Tanz‹ In dieser Szene, die in Afrika spielt, zeigt das Bühnenbild ein arabisches Zelt in einer Oase. Arabermädchen tanzen und singen zu der Musik. Das Stück wird eingeleitet durch geheimnisvolle Schläge der Großen Trommel. Im Tanz der Arabermädchen wird der arabische Schauplatz mit türkischen Instrumenten – Triangel, Becken, Große Trommel – charakterisiert, doch lassen sich die nordischen Anklänge nicht verleugnen. ›Hochzeitstag auf Troldhaugen‹ lässt grüßen. Die lyrisch gefärbte Tanzeinlage (a-moll) Anitras, von den Streichern gespielt, hat wieder orientalisches Kolorit. Nr. 3: ›Peer Gynts Heimkehr – Stürmischer Abend an der Küste‹ Dieser Satz (Allegro agitato) beschreibt den Sturm vor der norwegischen Küste auf Peers Heimkehr. Zum Schiffbruch nach Buchstaben C gibt Grieg Anweisungen: ›Pauken, Grosse Trommel und das Tremolo der Bässe müssen einen gewaltigen Lärm machen … Alle crescendi und diminuendi müssen stark herausgebracht werden, und das Tempo muss sehr fließend sein.‹ Es ist eines von Griegs tonmalerisch besten Stücke. In chromatischen Abwärtsbewegungen versinkt das Schiff. Nr. 4: ›Solvejgs Lied‹ Dieses Lied gehört neben ›Morgenstimmung‹ und ›In der Halle des Bergkönigs‹ zu den international erfolgreichsten Stücken Griegs. Diese feinsinnige norwegische Volksweise ist erstmals in der Volksliedersammlung des norwegischen Komponisten Halvdan Kjerulf (18151868) enthalten und fand durch Grieg eine weite Verbreitung. Die Melodie erklingt in Ibsens Drama mehrmals: Im Vorspiel, in der Szene, in der Peer und Solveig voneinander Abschied nehmen. Im afrikanischen Teil träumt Peer von Solveig. Im fünften Akt singt Solveig ihr Lied unbegleitet. Im 4. Satz der Orchestersuite spielen Geigen und Bratschen con sordini. Nach einer kurzen Einleitung, begleitet von der Harfe, lassen die Geigen das traurige Lied erklingen. Im Allegretto tranquillamente werden freundlichere Töne angeschlagen. Die beiden kurzen Teile werden wiederholt. Zuletzt tritt nochmals ein Teil der Melodie zum Vorschein, bevor das Stück im Nichts endet. Auffällig sind die immer wieder eingesetzten Glissandi, die Solvejgs Seufzen imitieren. Die zarte, eingängige Melodie zeichnet ein tief ergreifendes Stimmungsbild. Hinweise für den Unterricht Die effektvoll instrumentierten Sätze aus Griegs beiden ›Peer Gynt‹ Suiten sind überschaubar, durch klare Strukturen gut zu rezipieren, und erwecken durch ihren phantasievollen Hintergrund und den damit verbundenen Assoziationen bei den Schüler/innen großes Interesse. Zudem geben die stimmungsvollen und oftmals bei den Schüler/innen bekannten Stücke die Möglichkeit musikalische Inhalte zu erläutern. So lassen sich an den einzelnen 8 Sätzen musikalische Steigerungsformen aufzeigen, der Einsatz von Musikinstrumenten sowie Griegs Kompositionsstil mit seiner Vorliebe für lyrische Melodien verdeutlichen. Mit Tanz und Bewegung, bildhaftem Darstellen, mit Singen und Musizieren sowie grafischen Verlaufsplanungen kann die Musik Edvard Griegs für Schüler/innen erfahrbar gemacht werden. Alle Sätze der beiden Suiten sind nach denselben Grundprinzipien aufgebaut: — Reihung der Themen — klangliche Veränderung der Themen durch Einsatz verschiedener Tonarten — Steigerung des musikalischen Verlaufs durch Dynamik und Tempo — effektvolle Instrumentation — Verwendung vielfältiger, oft lyrischer Melodien mit nordischem Einschlag — Tonmalerei, die bestimmte Assoziationen hervorruft Griegs Musik ist prädestiniert für die musikpädagogische Arbeit. Dies zeigt sich auch in einer Fülle von musikpädagogischen Veröffentlichungen, in Lehrwerken und pädagogischen Zeitschriften. Im Folgenden soll an einigen Veröffentlichungen die musikpädagogische Arbeit an Griegs Musik aufgezeigt werden. ›Morgenstimmung‹ und ›In der Halle des Bergkönigs‹ wurden am häufigsten bearbeitet. An den aufgezeigten unterrichtspraktischen Ansätzen aus den Lehrwerken kann die Lehrkraft zur Vorbereitung des Konzertbesuchs eine individuelle Auswahl treffen. ›Morgenstimmung‹ 1. Unser Musikbuch – Dudelsack ist eines der ersten Lehrwerke, das sich mit Griegs ›Morgenstimmung‹ befasst hat. (Schb. S.74/75; Lhb. S. 117ff.) – Was möchte E. Grieg mit der Musik erzählen? Welche musikalischen Mittel verwendet er? Griegs tonmalerisch gestaltetes Stimmungsbild – Erstellung einer grafischen Verlaufsplanung des Stücks mit einem Balkendiagramm; das Hörbeispiel daran verfolgen; die Melodie wechselt zwischen Flöte und Oboe und wird schließlich vom Orchester übernommen; die Melodie tritt in verschiedenen Tonarten (Tonlage) auf – Singen der pentatonischen Melodie, bzw. Spielen der Melodie auf Stabspielen, ausgehend von verschiedenen Tonlagen (Kompositionsprinzip), z.B. c – g – d; Gestaltung einer kleinen Komposition; Begleiten mit Rhythmusinstrumenten – im Hörbeispiel die musikalische Steigerung durch Instrumentenwahl, Tonlage und Dynamik erkennen – anhand einer Bildvorlage einen Sonnenaufgang als Klangbild mit Stabspielen entwickeln – Vergleich von Griegs ›Morgenstimmung‹ mit einem Ausschnitt der Filmmusik zu ›Porgy and Bess‹ von G. Gershwin (Einsatz von Geräuschen) – mit morgendlichen Geräuschen ein Stimmungsbild gestalten – sich einen Text ausdenken und diesen mit Stimme und Instrumenten ausgestalten 9 2. Rondo 2, Mildenberger Verlag, Offenburg 1996 (Schb. S.5; Lhb. S. 28) – – – – – – Musik kann etwas beschreiben; die Intentionen des Komponisten kennenlernen Einstieg mit dem Bild einer Morgenlandschaft, Grieg gestaltet dies musikalisch Melodie singen und auf einem Instrument spielen Melodie beim Anhören des Musikbeispiels mitsingen Flötemelodie auf Tonsilbe dü, Oboenmelodie auf no Flöte und Oboe aus Hörbeispiel heraushören; unterschiedliche Klangerzeugung dieser Instrumente kennenlernen – die einzelnen Teile des Hörbeispiels mit verschiedenfarbigen Tüchern bewegungsmäßig darstellen – den Verlauf des Stücks mit Farben kennzeichnen 3. Musik ist gegliedert – Ein Sonnenaufgang SIL Projekt, Speyer 1980, Teil II Hören, Arrangement 19 (4.Schj.) Bei diesem einmaligen Projekt erhielten Grundschullehrer/innen in Rheinland-Pfalz anhand umfangreicher Materialien eine fundierte Fortbildung im Fach Musik. – Am Terzett und Chor ›Sie steigt herauf, die Sonne‹ aus J. Haydns ›Die Jahreszeiten‹ soll die musikalische Darstellung eines Sonnenaufgangs nachvollzogen werden. Diese Einheit kann auf Griegs ›Morgenstimmung‹ übertragen werden. – Nach dem Höreindruck werden die musikalischen Mittel für einen Sonnenaufgang bestimmt. – Die Schüler/innen sollen erkennen, dass mehrere Klangeigenschaften (Lautstärke, Dichte, Tonhöhe, Tondauer) zu einer musikalischen Steigerung zusammenwirken. – Gestaltungen am Text: Sie steigt herauf die Sonne, sie steigt, sie naht, sie kommt, sie strahlt, sie scheint. Sie strahlt in herrlicher Pracht, in flammender Majestät! – Den Text so sprechen, dass der Sonnenaufgang am Stimmklang erkennbar wird – Die Anzahl der Sprecher von Zeile zu Zeile erhöhen – Textzeilen mit jeweils höherem Ton beginnen; mit Schlagwerk die Gestaltung begleiten; im Verlauf das Tempo steigern – Zur Vorbereitung oder als Aufgabe im Kunstunterricht kann am ›Zeitlupenbild‹ von Werner Weiß bildhaft ein Sonnenaufgang gestaltet werden (Kopiervorlage hierzu im Materialteil). 4. Rondo 5, Mildenberger Verlag, Offenburg 1990 (Schb. S.14-17 ; Lhb. S. 36-44) Das Lehrwerk führt mit kurzen Texten und Bildmaterial in das Thema ein, im Lehrerteil finden sich ausführliche Hinweise zur Geschichte des ›Peer Gynt‹, mehrere Arbeitsblätter sowie ein Partiturausschnitt. – Arbeit am Hörbeispiel: Soloinstrumente heraushören, Melodie mitsummen, Veränderungen bei der Wiederholung der Melodie herausfinden 10 – auf den Text ›Strahlend erhebt sich die Sonne am Morgen, sie steigt über Täler und Berge empor‹ die Melodie ersingen; mit Stabspielen Melodie spielen – am Partiturausschnitt die musikalischen Mittel einer Steigerung erkennen und benennen – erkennen, dass das Thema in verschiedenen Tonarten auftritt – mit welchen Mitteln verändert Grieg den Klang; Instrumente heraushören – Vergleich der beiden Hörbeispiele von J.Haydn und E. Grieg – musikalische Grundbegriffe lernen: Soloinstrument, Thema, Takte, crescendo, decrescendo, Dynamikzeichen, Allegro pastorale – Mittel für die musikalische Steigerung, Höhepunkt der Musik 5. Heinz Meyer Unterrichtseinheit: ›Darstellende Musik‹ – Versuch einer Fallanalyse, in: Praxis des Musikunterrichts S.171-181, Mainz 1977 (S.175); (Kl.5/6); 2.Unterrichtsstunde: aus Peer-Gynt-Suite ›Morgenstimmung‹ – verbale Beschreibung des Melodieverlaufs anhand des Notenbildes – Koordinierung des optischen und akustischen Eindrucks – sich über Assoziationen äußern, die die Musik hervorruft 6. http://www.wisskirchen-online.de/downloads/griegmorgenstimmung.pdf (Klasse 5) Wisskirchen bietet ein klar strukturiertes Arbeitsblatt, eine Klangfarbenpartitur in welchem die Abfolge der Melodie in den einzelnen Instrumenten vermerkt werden kann. Er widmet sich vor allem der Dynamik als Mittel zur musikalischen Steigerung, sowie als Ausdrucksund Stimmungsmittel. 7. Hauptsache Musik 7/8, Klett Verlag, Stuttgart 1995 (nicht mehr lieferbar) – Malen eines großformatigen Bühnenbildes ›In der Halle des Bergkönigs‹ Kolibri, Musikbuch 3/4, Schroedel Verlag, Braunschweig 2004 (Schb. S. 101/102; Lhb. S. 271-276) – Ausgehend von der Bühnenmusik soll zunächst ein Eindruck über die Vorgänge in der Szene mit dem bedrohten Peer Gynt, dem Bergkönig und den hässlichen Trollen gegeben werden. Mit einem szenischen Tanz wird die Situation nachgespielt. Im ersten Teil kommen die Trolle aus ihren Verstecken und bilden einen großen Kreis. Sobald die Becken einsetzen, bewegen sich die Kinder im Kreis und bewegen sich entsprechend der Musik immer schneller. Der Kreis wird enger, bis schließlich Peer in die Hocke fällt. – Herausgearbeitet wird die zunehmende Erregung der Trolle durch ein ununterbrochenes Accelerando sowie der sich steigernden Lautstärke. – Der Bühnenmusik wird der Satz aus der Suite gegenübergestellt. – Im Lehrerband finden sich ausführliche Texte über die Geschichte von Peer Gynt sowie über das Gudbranstal. Eine interessante Idee, die Musik Griegs bewegungsmäßig umzusetzen, findet sich in dem Aufsatz ›Trolle in Tanzsäckchen‹, erschienen in ›Grundschule Musik‹ Heft 52 (4.Quartal 2009) S.24ff. 11 Mit dem Tanzsack aus elastischem Stoff, in dem die Kinder teilweise oder ganz verschwinden können, lassen sich Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten motivierend darstellen. Auf diese Weise können die Kinder ihre Scheu sich zu bewegen verlieren, gleichzeitig wird mit diesem Arbeitsmittel ihre Experimentierfreudigkeit angeregt. Aufführungen mit Tanzsäcken sind äußerst bühnenwirksam. Mit dem Tanzsack lassen sich geschickt verschiedene Personen darstellen bzw. kann man Musik bewegungsmäßig darstellen. Im Aufsatz finden sich Anregungen im Umgang mit dem Tanzsack sowie Hinweise zur Arbeit mit der Musik von Edvard Griegs ›Peer Gynt‹. Ein kindgerechter Text zur Geschichte mit einer Bildserie rundet den Aufsatz ab. Quellen MGG – Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Neuauflage Grieg, Personenteil 8, 2002 Orchestermusik G-O, Konzertbuch CD-Aufnahmen E. Grieg: ›Peer Gynt‹, Gesamtaufnahme der Schauspielmusik op. 23, Pro Musica Kammerchor / Gothenburg Symphony Orchestra, Neeme Järvi (DG) E. Grieg: ›Peer Gynt‹, Suiten op. 46 und op. 55, Göteborgs Symfoniker, Neeme Järvi (DG) Notenmaterial Eulenburg Taschenpartitur EE 6407 Petrucci Music Library http://imslp.org/wiki/Category:Grieg,_Edvard Die Dirigentin, Xian Zhang, in China 1973 geboren, besuchte das Konservatorium in Beijing. Nach Abschluss ihrer Ausbildung in Orchesterleitung arbeitete sie mit verschiedenen chinesischen Orchestern, u.a. mit dem China National Opera Orchestra. 1998 übersiedelte Xian Zhang in die U.S.A., wo sie an der University of Cincinnati College – Conservatory of Music habilitierte. Beim Maazel/Vilar Dirigentenwettbewerb erhielt sie 2002 den ersten Preis. Sie wurde Assistentin bei der New York Philharmonic und arbeitete zusammen mit Lorin Maazel. Eine weitere Station ihrer Dirigenten-Laufbahn war die Arbeit mit dem Sioux City Symphony Orchestra. Im Jahre 2008 war sie die erste Frau, die die Staatskapelle Dresden leitete. Seit 2010 ist sie Leiterin der Nederlandse Orkest- en Ensemble-Academie. Xian Zhang musiziert erstmals mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. Es spielt das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. http://de.wikipedia.org/wiki/Radio-Sinfonieorchester_Stuttgart Materialien 1. › Zeitlupenbild ‹ von Werner Weiß 12 13 2. Mitspielsatz aus Die Musikstunde Kl.7/8, Schroedel Verlag (vergriffen), in der Neuauflage nicht mehr enthalten