Ethik in der EZ Seite 1 von 9 Dr. Ulrich Daldrup GFE GmbH 52070 Aachen Akademie für politische Bildung Tutzing Tagung: Welche Ethik braucht Entwicklungszusammenarbeit? Vortrag: Ethische Leitlinien: Welche Grundsätze sind erstrebenswert? Erfahrungen einer privaten Firma in der Entwicklungszusammenarbeit Sehr geehrte Damen und Herren, Sie haben mich eingeladen, einen Beitrag aus der Sicht eines Unternehmers zu Thema “Ethik in der Entwicklungszusammenarbeit” zu leisten. Herr Bliss hat mich gebeten, diesen Beitrag im Hinblick auf die Entwicklung ethischer Leitlinien und erstrebenswerter Grundsätze zu halten. Beim ersten Nachdenken über dieses Thema erschließt sich einem Unternehmer, wie unbekannt, ja fremd, ihm dieses Thema ist. Ein Blick in Ausschreibungen, Aufträge und Verträge verdeutlicht, daß das Wort Ethik nirgendwo auftaucht. Ein weiterer Blick in internationale Abkommen, z.B. zwischen den Staaten der EU und diversen Ländergruppen, sei es AKP, PHARE, TACIS, MEDA zeigt, daß das Wort Ethik nicht einmal Verwendung findet. Sieht man in völkerrechtliche bilaterale Vereinbarungen zur Entwicklungszusammenarbeit, sei es Rahmenabkommen oder Projektvereinbarungen oder irgendwelche Abkommen über Warenhilfe. Das Wort Ethik taucht ebenfalls nicht auf. Wenn Ethik in Zusammenhang mit der internationalen Zusammenarbeit offensichtlich eine so geringe Bedeutung hat, daß man sie nicht mal erwähnt, warum beschäftigen wir uns dann zwei Tage damit und warum soll ausgerechnet ein Unternehmer, und nicht etwa ein Philosoph Ethik in der EZ Seite 2 von 9 oder ein Mann der Kirche, über einen Begriff referieren, den offensichtlich im geschäftlichen und vertraglichen Bereich der EZ niemand zu interessieren scheint. Andererseits liegt genau hierin der Reiz des Themas. Warum eigentlich spielt Ethik keine Rolle – oder spielt sie es doch, ohne explizit erwähnt zu werden. Man erinnere sich: Das Thema „Menschenrechte“ wurde auch erst unter US Präsident Jimmy Carter zu einem beherrschenden Thema der internationalen Politik und Zusammenarbeit. Definitionen des Begriffes Ethik gibt es in großer Zahl. Interessant ist der Umgang dieses Begriffes an Beispielen aus der jüngeren Geschichte. Nicht nur der Jugoslawien Konflikt hat den Konflikt zwischen zivilisierter Rechtsordnung und dem manchmal problematischen Zusammenhang zwischen staatlichem Handeln und Ethik vor Augen geführt. Zeitgeist und Handeln im Einklang mit der aktuellen Gesetzeslage bergen Konfliktpotentiale im Umgang mit der Ethik. Unsere jüngere deutsche Geschichte zeigt am Beispiel der Nürnberger Prozesse, daß trotz des Fehlens des Straftatbestandes eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit – dieser Begriff ist erst aufgrund dieser Ereignisse zu einem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz geworden - niemand bestreitet, daß die Verurteilung der Kriegsverbrecher gerechtfertigt gewesen ist, obwohl viele von ihnen unstrittig unter Befehl und geltenden Rechtsnormen gehandelt hatten. Was bildet die Grundlage für die Annahme, daß Ethik eine Norm sein könnte, sein sollte, die mein Handeln beeinflußen sollte, obwohl keine Verfassung und kein Gesetz eine solche Norm definiert? Die Antwort auf diese Frage ist bestimmt durch die Erkenntnis, daß jedes menschliche Handeln geprägt ist durch das Bewußtsein von Regeln, die über gesetzespositivistischen Ansätzen stehen. Die Vernunft bildet die Grundlage allen Handelns, weil der Mensch sich zu einem Vernunftwesen entwickelt. Dies bedeutet die Fähigkeit, Gegebenes zu Erkenntnissen zu verarbeiten sowie die Fähigkeit, Einheit und Ordnung in die Wahrnehmung, auch die individuelle und ganz persönliche Wahrnehmung, zu bringen. Ethisch handelt, wem dies gelingt und wer danach sein moralisches Handeln ausrichtet. Ich möchte auf der Grundlage dieser Überlegungen den Versuch wagen, als Unternehmer kritisch zurückzublicken auf fast 30 Jahre Entwicklungszusammenarbeit um zu prüfen, ob 30 Jahre, sicherlich vorrangig auch kaufmännisches Verhalten in der Ethik in der EZ Seite 3 von 9 Entwicklungszusammenarbeit, zu Konflikten unter ethischen Kriterien hätte führen können oder müssen. Ich werde dabei so weit gehen und die Frage stellen, ob, im Konflikt zwischen Umsatz und Ethik, der eine oder andere Auftrag nicht hätte durchgeführt werden sollen oder dürfen. Leichtfertig wirft man erfolgreichen Kaufleuten ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit vor, was auf unser Thema bezogen bedeutet, wenn es Geld zu verdienen gibt, spielt Ethik keine Rolle. Dies mag ebenso gelten für bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, wenn es um die Durchsetzung außenpolitischer, wirtschaftspolitischer oder sonstiger strategisch-politischer Ziele geht. Ich werde an konkreten und ausgesuchten Fallbeispielen versuchen, bewußt den von mir rückblickend entdeckten Konflikt zwischen Ethik und Geschäft darzustellen um damit eine Diskussion zu provozieren. Diese Diskussion könnte zu den von Ihnen angestrebten Leitlinien führen. Bemerkenswert an allen Beispielen ist, daß die Unternehmer, die sich entwicklungspolitisch engagieren, sich jeweils zum Partner einer Staatsregierung oder einer internationalen Behörde oder der Kirche, also immer einer öffentlichen Einrichtung, machen. Weil das so ist, darf man ohne jeden Zweifel annehmen, daß sämtliche Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit mit den jeweiligen Gesetzen im Einklang stehen. Wir sprechen nicht über Waffen- oder Drogengeschäfte. Dann wäre eine Diskussion über ethisches Verhalten schnell auf den Punkt zu bringen. Die Sache scheint nicht so einfach zu sein, denn Entwicklungszusammenarbeit ist per definitionem etwas Gutes, etwas Menschliches, es ist Hilfe und damit eigentlich ethisch vorbildlich. Entwicklungszusammenarbeit leistet Flüchtlingshilfe, bekämpft die Armut, leistet Hilfe zur Selbsthilfe, unterstützt das Gesundheitswesen, schafft Arbeitsplätze, bildet Menschen aus, leistet Katastrophen- und Nahrungsmittelhilfe. Bei so viel Noblesse, wobei auch Gesetze nicht verletzt werden, muß kann man sich fragen, ob hier das falsche Thema behandelt wird. Dennoch folgende Fallbeispiele zur Diskussion: Landwirtschaftlicher Großkomplex Elfenbeinküste: Ethik in der EZ Seite 4 von 9 In den 80er Jahren hat die deutsche GTZ mit viel finanziellem und personellem Aufwand im Norden der Elfenbeinküste einen landwirtschaftlichen Großkomplex errichtet, dessen Ziel es war, die Versorgung der Bevölkerung der Elfenbeinküste mit Fleisch und Fleischwaren aus eigener Produktion sicher zu stellen und das Land von Einfuhren von entsprechenden Produkten aus Übersee unabhängig zu machen. das Reizvolle an dem Vorhaben war, daß die nördlichen Nachbarländer Burkina Faso, Niger und Mali eingezogen wurden, weil man auch deren Rinder aufkaufte. Als das Vorhaben nach über 10 Jahren erfolgreich lief und mit der angestrebten Nachhaltigkeit übergeben wurde, war die Elfenbeinküste weitgehend unabhängig geworden von Fleischimporten. Da genau zu diesem Zeitpunkt in der EU mal wieder eine Fleischschwemme herrschte, verfiel die EU auf den Gedanken, den AKP Staaten, so auch der Elfenbeinküste, europäisches Fleisch allerbeste Qualität, zu schenken. Die Regierung der Elfenbeinküste hat sich diesem Geschenk von „viande Cartier“, wie das EU Fleisch in Abidjan genannt wurde, nicht widersetzt. Die Folge dieses EU Geschenkes war das schnelle Ende der Nachhaltigkeit des GTZ Projektes. Unserer seinerzeit durchgeführten Evaluierung des Nahrungsmittelsektors in der Elfenbeinküste blieb dieser Tatbestand nicht verschlossen. Entsprechende Informationen an Bonn und Brüssel stießen auf taube Ohren und sogar Verärgerung. Ein Fall für eine Ethikdiskussion? Nahrungsmittelhilfe: Internationalen und bilateralen Abkommen folgend, leisten OECD Länder seit mehreren Jahrzehnten Nahrungsmittelhilfe. Mehrere Millionen Tonnen Nahrungsmittel wechseln so von Überschußländern in unterversorgte Länder. Es hat sich herumgesprochen, daß die Lebensmittel, die in Überschußländern nicht mehr vermarktbar sind, bevorzugt zur Nahrungsmittelhilfe angeboten werden. Das Fleischbeispiel in der Elfenbeinküste ist nur ein Beispiel. Nur hat dieses Verfahren Methode. Mehrere Jahre durfte ich im Bereich der Ernährungssicherungsprogramme den Bereich Nahrungsmittelhilfe mitgestalten. Der Auftrag war fast immer wieder derselbe: Die EU hat Überschüsse in Form von Milchpulver oder Weichweizen. Bitte verhandele mit Land X und Y, damit diese möglichst viel von diesen Nahrungsmitteln als Nahrungshilfe beantragen. Zur Belohnung gab es dann auch das eine oder andere Projekt. Der Haken an der Geschichte war oft, daß viele dieser Länder diese Ethik in der EZ Seite 5 von 9 Nahrungsmittel gar nicht benötigten oder sie nicht vermarkten konnten, weil die Nahrungsgewohnheiten der Bevölkerung mit diesen Nahrungsmittel nicht überein stimmten. Hätte ich aus ethischen Gründen die mir erteilten Aufträge zurückgegeben sollen? EU AKP Ausschreibungsverfahren Die Besonderheit des AKP Abkommens ist, daß die EU die Verfügung über die Entwicklungshilfegelder weitgehend den Empfängerstaaten in den AKP Ländern überläßt. Diese Staaten bekommen aus dem jeweiligen Abkommen eine bestimmte Geldtranche zugesagt, durchweg mehrere zig-Millionen EURO. Ausschreibung und Abwicklung der daraus zu realisierenden Vorhaben überläßt die EU weitgehend den AKP Staaten selbst. Die Folge: Korruption. Ein Beispiel von unzähligen. Die Regierung des Kongo darf ein Regionalentwicklungsprojekt mit einem Förderbetrag der EU in Höhe von 12 Millionen EURO durchführen. Ausschreibung und Vergabe liegt in den Händen der kongolesischen Regierung. Das übliche Verfahren läuft an: Projektstudie, Erstellung der Ausschreibungsunterlagen, Präqualifikationsverfahren, Erstellung der Short-list und Ausschreibung. Meine Firma qualifiziert sich und nimmt an der Ausschreibung teil. Eine Woche nach Erhalt der Ausschreibungsunterlagen erhalten wir eine Einladung nach Brüssel in die dortige Botschaft des Kongo. Ohne viel Umschweife fordert man uns auf, einen Betrag von 20% des Auftragswertes von 12 Millionen EURO vorab auf ein angegebenes Konto einzuzahlen und damit sicher den Projektzuschlag zu erhalten. Weigerung der Zahlung würde zur Chancenlosigkeit bei der Vergabe führen. Der Hinweis, mit einer so überzogenen Kommission sei das Projekt finanziell nicht mehr darstellbar wird damit abgetan, daß die Projektdurchführung nicht interessiere und daß die zuständigen Stellen im Kongo durchaus wüßten, wie man die fehlende Projektleistung in der Darstellung gegenüber der EU Kommission zu vertreten habe. Ist dies ein Fall besonderer Geschäftstüchtigkeit, des Betruges oder gar der Ethik? Wir haben uns von diesem Geschäft zurückgezogen und damit vermutlich rechtlich, moralisch und ethisch richtig gehandelt. Nur, wie oft kann es sich ein Unternehmen leisten, solche Geschäfte nicht zu machen? Ethik in der EZ Seite 6 von 9 Regionalentwicklung Tschad Ein führender Mitarbeiter eines Entwicklungshilfeministeriums hat mehrere Millionen DM für ein Regionalentwicklungsprojekt im äußersten Osten des Tschad, in der Region Abeché, bereit gestellt. Obwohl die Mittel bereits bereit stehen, fehlt noch jegliche Untersuchung und Studie über das bereits finanzierte Projekt. Eine Evaluierungs- Projektmission wird zusammengestellt, die die fehlenden Planungsunterlagen zusammenstellen soll. Ich leite diese Mission und lerne so die Strapazen und Qualen kennen, um von der Hauptstadt Njamena aus Abeché zu erreichen. Es dauert fünf anstrengende Tage, diesen Zielort eines geplanten Millionenprojektes überhaupt zu erreichen. Abeché, seinerzeit ein 50.000 Einwohner zählendes Lehmdorf in einer ökologisch ungemein sensiblen Region, mit bislang keinerlei entwicklungspolitischer Einwirkung, erweist sich schnell als wenig entwicklungsfähig, weil so ziemlich alles an Ressourcen fehlt, angefangen bei Wasser. Bevölkerung und durchziehende Viehnomaden, die an pharaonische Zeiten erinnerten, lehnten jegliches Engagement seitens europäischer Hilfe schlichtweg ab. Alle Untersuchungen bestätigten, von einem Vorhaben der Regionalentwicklung an diesem Standort abzusehen. Entsprechend fiel die Empfehlung des Gutachterteams negativ zu diesem Projekt aus. Die Reaktion des Auftraggebers war überraschend: der unmittelbare Auftraggeber schloß sich der Bewertung der Gutachter an, der mittelbare Auftraggeber aber weigerte sich, dieses Gutachten zur Kenntnis zu nehmen. Er forderte eine positive Beurteilung des Vorhabens, andererseits würden die Gutachter ihr Honorar nicht bekommen. Im Konflikt zwischen Bezahlung und fachlicher Überzeugung überläßt man die Gutachter sich selbst. Auch ein Fall der Ethik, wenn Gutachter bei ihrer Überzeugung bleiben, um Schaden von unterentwickelten Regionen abzuwenden und dafür einen persönlichen Schaden in Kauf zu nehmen? Flüchtlingshilfe Der UNHCR, Genf, beauftragt uns mit der Übernahme der gesamten Logistikaufgaben für die Flüchtlingscamps in einem ostafrikanischen Land. Seltsamkeiten, daß z.B. jeder 10te LKW mit Flüchtlingsgütern nicht in die Flüchtlingskamps sondern direkt in Militärcamps umgeleitet werden müssen, gehören zur Routine. Als aber Zweifel aufkommen, ob die von der Regierung gegebenen Zahlen über die Anzahl der Flüchtlinge maßlos übertrieben sein könnten, beobachten die UNHCR Mitarbeiter genauer das Treiben in den Flüchtlingscamps. Ethik in der EZ Seite 7 von 9 Schnell wird festgestellt, daß diese Camps ganz offensichtlich überversorgt werden, denn Nacht für Nacht werden große Mengen der Hilfsgüter, die wir per UNHCR tagsüber in die Camps transportiert hatten, wieder aus den Camps heraus von Militärs und irgendwelchen Händlern irgendwohin transportiert. Proteste bei den zuständigen Regierungsstellen und beim UNHCR in Genf nutzen nichts und werden als störend empfunden. Lediglich die amerikanischen Partner finden sich mit diesem Parallelhandel nicht ab und fordern eine genaue Erhebung der Flüchtlingszahlen, um so einen exakten Bedarf an Hilfsgütern ermitteln zu können. Da die Flüchtlinge keine Ausweispapiere oder ähnliches besitzen. ersinnen die amerikanischen Partner als Methode des exakten eine Stempelaktion: Jeder Flüchtling, der von der Zählung erfaßt worden ist, soll einen Stempel auf die Stirn erhalten der garantiert eine Woche durch kein Mittel entfernbar ist. Der Protest gegen diese Methode, die mit Viehzählung gleichgesetzt worden ist, war erheblich. Die europäischen Partner fanden diese Methode mindestens geschmacklos, haben sie aber nicht verhindert. Ein ethisches Debakel? Keines dieser Fallbeispiele ist erfunden. An allen beschriebenen Fällen war ich unmittelbar beteiligt. Keines der Beispiele gibt eine Regel oder ein typisches Muster wieder, bis auf das der EU Ausschreibungen, wozu es Hunderte Varianten gibt. Allen Beispielen gemein ist, daß sie aufgefallen sind als Situationen, die nicht richtig sind, zumindest nicht teil-richtig sind in der persönlichen Wahrnehmung. Dabei stellt sich tatsächlich die Frage, welche Wahrnehmung ist richtig und welche ist falsch. Vor zwanzig Jahren hat mich die alltägliche Korruption in vielen Entwicklungsländern abgestoßen. Nachdem ich das Ausmaß an Korruption und Korrumpierbarkeit im politischen Leben Deutschlands kennengelernt habe, kann ich für Korruption in südlichen Ländern nur noch Verständnis aufbringen. Ist also Korruption in Entwicklungsländern ethisch nicht mehr verwerflich, bloß weil Korruption in Deutschland üblich ist, wenn auch raffinierter und versteckter. Oder bloß weil sich die persönliche Wahrnehmung und Beurteilung geändert hat? Ist es richtig etwas abzulehnen, weil man es persönlich als unrichtig, als unkorrekt oder als unethisch erkennt, obwohl andere es als richtig, korrekt und offensichtlich auch ethisch vertretbar sehen, es sogar erstrebenswert halten?. Ethik ist eine Funktion des kulturellen Umfeldes in welchem man aufgewachsen und erzogen worden ist. Andere kulturelle Umfelder führen zu anderem ethischen Empfinden und Beurteilen. Bewußt habe ich kein Beispiel gewählt von ethischen Konflikten in der Zusammenarbeit, die aus dem Ethik in der EZ Seite 8 von 9 Aufeinanderprallen nördlicher und südlicher Kulturen oder unterschiedlicher Religionen resultieren. Ich habe ausschließlich solche Beispiele gewählt, die zwar in Entwicklungsländern passiert sind, ihren Ursprung aber bei uns, also in unserem kulturellen Umfeld haben. Fast keines der Beispiele zeigt irgendeinen Rechtsbruch. Alle Beispiele zeigen Situationen, die eigentlich korrekt sind. Und doch ist da in der Beobachtung etwas, wenn auch etwas individuell Beobachtetes, das zeigt, daß Grenzen überschritten werden. Moral oder Ethik passen nicht zwingend in das Geschäft der Entwicklungszusammenarbeit, wenn es darum geht, Ziele und Politiken um- oder durchzusetzen. Ist es denn moralisch und ethisch vertretbar, in arabischen Ländern Frauenförderprogramme durchzusetzen, die glasklar eine erhebliche Einmischung in religiöse und kulturelle Gegebenheiten und Empfindsamkeiten darstellen und verletzend sein können. Ist es richtig, wenn wir Europäer unter dem Etikett der Hilfe europäische Vorstellungen, europäische Kultur, europäisch geprägtes Handeln und Denken in Entwicklungsländern durchsetzen wollen. Resultiert nicht gar ein Teil von Terrorismus letztendlich hieraus als eine Abwehrreaktion? Ist Entwicklungszusammenarbeit wirklich aufrichtig? Oder versuchen wir nicht doch unsere christlich-materialistische Welt in Form von Entwicklungshilfe durchzusetzen. Sicherlich ist dies nicht die Regel. Würde man aber tatsächlich mal bereit sein, die Proteste junger Menschen anläßlich von Weltwirtschaftsgipfeln anzuhören, und, neben viel Unsinnigem und Kriminellem, das ernsthaft Vorgetragene herauszufiltern, so wird deutlich, daß ganz offensichtlich auch heute noch Weltanschauungen aufeinanderprallen, von denen jede für sich den Anspruch von Menschenrechtsachtung, hoher Moral und Ethik beansprucht. Ist es denn wirklich so, daß wir Entwicklungszusammenarbeit ohne jeglichen eigennützigen Hintergedanken verwirklichen. Ist europäische und amerikanische Außen- und Entwicklungspolitik wirklich frei von strategischen Interessen? Wer kontrolliert ernsthaft internationale Hilfsorganisationen. Auch die der UN. Ist alles was den Namenszug UN trägt schon deswegen moralisch und ethisch einwandfrei. Oder könnte es sein, daß der Hunger in der Welt statistisch größer ist als tatsächlich, weil sonst 12.000 FAO Mitarbeiter Angst um ihren Arbeitsplatz haben könnten. Fördert eine UNIDO tatsächlich die industrielle Entwicklung der Entwicklungsländer, oder fördert sie die post-Karrieren ehemaliger Politiker aus Entwicklungsländern und deren Freunde. Spielt hier Moral und Ethik überhaupt eine Rolle, oder werden Moral und Ethik hier nur anders verstanden? Ethik in der EZ Seite 9 von 9 Deutschland hat sich verpflichtet, 0,7%0 seines BSP für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich wurde dieser Betrag nie erreicht, im Gegenteil, er wurde immer geringer. Versprechen nicht gehalten. Ein Fall der Moral und Ethik? Welche Grundsätze sollen nun erstrebenswert sein? Man kann sicherlich Normen erarbeiten, die moralisches und ethisch einwandfreies Handeln definieren. Nur werden diese, wie die Diskussion um Menschenrechte zeigt, in unterschiedlichen Ländern und Kulturen unterschiedlich verstanden, ausgelegt und praktiziert werden. Darum sollten wir uns mit solchen Normen, wenn sie denn kommen sollten, auf uns selbst besinnen und diese für unser Handeln zu Leitlinien werden lassen. Es wäre aufrichtig den Nehmerländern gegenüber, diese als unsere Normen vorzustellen. Erstrebenswert wäre es, dort ethische Normen festzulegen, wo wir uns selbst betrügen. Ulrich Daldrup