1 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER ERNÄHRUNG EINES GESUNDEN SÄUGLINGS Eine optimale Ernährung des Säuglings ist für seine geistige und körperliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung, da aufgrund des intensiven Wachstum und die Entwicklung und Differenzierung der Organe deren Unreife ein hoher Bedarf an Energie und Nährstoff besteht. Diesen Anforderungen wird Muttermilch in besonderer Weise gerecht. Kann ein Kind nicht oder nicht ausreichend gestillt werden, sind industriell hergestellte Säuglingsnahrungen die beste Alternative. Ein Überblick zu den Ernährungsempfehlungen für Deutschland findet sich auf der Homepage der Justus-Liebig-Universität Gießen unter http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/2835 Allgemeine Informationen: Der Säugling verdreifacht sein Geburtsgewicht innerhalb des 1.Lebensjahres. Der Energiebedarf beträgt bei Geburt 120- 130 kcal/kg KG/Tag, dies bleibt im Schnitt bis zum 5.Lebensjahr so. Der Eiweißbedarf eines gestillten Säuglings ist 1,5-1,9g und pendelt sich nach dem 6.LM auf 1g/kg KG/Tag ein. Bei künstlicher Ernährung erhöht sich dieser Wert aufgrund der verminderten biologischen Wertigkeit des Fremdproteins auf 2g. Die biologische Wertigkeit eines Proteins richtet sich nach der prozentuell am geringsten vorkommenden essentiellen Aminosäure, bezogen auf den jeweiligen Bedarf. Die Unreife der Niere kann den Harn nicht konzentrieren und sie braucht entsprechend mehr Harnmenge. Gerade Fieber, Erbrechen oder Durchfall kann dann zu einer rascheren Dehydration (Austrocknung) des Säuglings führen. Auch hierbei ist die biologische Wertigkeit der Muttermilch der Fertignahrung überlegen. Es besteht beim Säugling zusätzlich eine Unreife der Enzymaktivität für die Verdauung von Nährstoffen und auch eine Unreife des Immunsystems des Dünndarmes. All dem steht die Muttermilch positiv gegenüber. Es soll ein frühes 2 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER erstes Anlegen des Babys an die Mutterbrust, spätestens in der zweiten Lebensstunde erfolgen. Es soll keine Flaschennahrung als Gelegenheitsflasche, sondern Wasser mit ca. 5 % Oligosacccharid (Dextrin-Maltose) dazu gegeben werden. Üblicherweise ist Muttermilch auch als Trinknahrung für die ersten 4-6 Lebensmonate völlig ausreichend im Nährwert. Wird die Muttermilch in den ersten Lebenstagen nicht ausreichend gebildet, liegt eine Indikation zum Zufüttern vor, z.B. liegt beim reif geborenen Kind ein Gewichtsverlust von mehr als 10% des Geburtsgewichtes vor. Es wird dann eine antigenreduzierte (H.A.) Nahrung zusätzlich empfohlen, bis wieder ausreichend gestillt werden kann. Kann nur teilweise oder nicht gestillt werden, bzw. reicht die Muttermilch für ein optimales Gedeihen eines Kindes nicht mehr aus (Gewichtsknick) wird als Muttermilchersatz eine Säuglingsanfangsnahrung empfohlen. In der Mutterberatung wird mittels Wiegekarte der Verlauf der Gewichts- und Größenzunahme am besten überprüft, bei Auffälligkeit wird eine Perzentilenabweichung festgestellt und in den Mutter-Kind Pass eingetragen. Säuglingsanfangsnahrungen sind auf Basis von Kuhmilchproteinen, Sojaproteinisolaten oder Proteinteilhydrolysaten unterschiedlicher Eiweißquelle hergestellt. Es gibt: Pre-Nahrung: adaptiertes Eiweiß als Kohlehydrat ausschließlich Laktose 1 er-Nahrung: Eiweiß modifiziert, aber nicht zwingend adaptiert (auch andere Eiweiße außer Laktose H.A. Nahrungen: sind Säuglingsanfangsnahrungen auf Basis von Proteinteilhydrolysaten unterschiedlicher Eiweißquellen und unterschiedlicher Hydrolysegrade. Sojanahrungen: sind Säuglingsanfangsnahrungen auf Sojaproteinisolaten Ab dem 5. Lebensmonat sind Folgemilch: 2 er Nahrung möglich Basis von 3 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER Pre-Nahrungen sind Säuglingsmilchnahrungen, deren Nährstoffgehalt der Muttermilch in Quantität und Qualität am nächsten kommen. Das der Muttermilch angeglichene Eiweiß wird als adaptiertes Eiweiß ausgewiesen. Sie werden in den ersten vier Lebensmonaten als Muttermilchersatz ad libitum gegeben. Darüber hinaus können sie mit Beikost das ganze erste Lebensjahr gegeben werden.1 1 er Nahrungen sind Säuglingsmilchnahrungen, deren Eiweiß nicht adaptiert sein muss. Es könne neben Laktose auch andere Kohlenhydrate (z.B. Stärke) enthalten sein. Sie können von Anfang an bei entsprechender Verträglichkeit gegeben werden. Sojamilchnahrungen sind vom Nährstoffbedarf ebenfalls dem Bedarf in den 1. – 6. Lebensmonat des Säuglings entsprechend sind aber medizinscher Indikationen vorbehalten und sollten nicht als Routineernährung verwendet werden. (z.B. Galaktosämie ab Geburt, Kuhmilcheiweißallergie) Hier wird eine semielementare Nahrung (hochgradig hydrolysierte, als therapeutische Nahrung geprüfte z.B: Pregomin) gegeben. Bei Auftreten von Hautausschlägen, Bauchkoliken, atopischen Hauterkrankungen ist eine Nahrungsumstellung auf Sojanahrung nicht angezeigt. H.A. Nahrungen sind Proteinteilhydrolysate unterschiedlicher Eiweißquellen (Molke, Kasein, Sojaprotein, Rinderkollagen), deren Eiweiß mäßiggradig oder höhergradig hydrolysiert ist. Sie werden von den Herstellern als hypoantigen oder hypoallergen, wie der Name sagt, bezeichnet. H.A. Nahrungen sind vor allem zur Prävention allergischer Erkrankungen bei Kindern atopischer (prädisponiert familiäre Belastung eine allergische Erkrankung zu bekommen – mindestens 1 Elternteil und / oder Geschwisterl) Familien vorbehalten und sollten ebenfalls nicht als Routineernährung verwendet werden. Nach dem 6. Monat werden H.A. Nahrungen nicht mehr empfohlen, weil eine fehlende Evidenz für eine weitere präventive Wirkung fehlt. Bei bestehender Kuhmilchallergie dürfen jedoch H.A. 1 Goriup, Ursula, Widhalm Kurt (Hg.) Ernährungsmedizin 32009 Wien 662 4 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER Nahrungen nicht gegeben werden, da sie den Kriterien einer therapeutischen Nahrung nicht s.o. entsprechen. Die 2 er Nahrung oder Folgenahrung sind industriell gefertigte Formelnahrungen, die im Anschluss an die Anfangsnahrung gegeben werden. Sie sind aber nicht als alleinige Nahrung nach dem 5. Lebensmonat vorgesehen, sondern können nur als Teil der Mischkost siehe Beikost gegeben werden. Folgenahrungen, die auf der Basis von Kuhmilchproteinen hergestellt sind, sind als Folgemilch zu bezeichnen. Es handelt sich dabei um 2/3 bis 374 Kuhmilchmischungen mit Fettmodifikation und Zusätzen von Vitaminen und Spurenelementen. Ernährungsphysiologisch besteht aber keine Notwendigkeit, Folgemilch nach erfolgreicher Beikostumstellung einzusetzen. Milchnahrungen mit besonderer Merkmalen: Zusatz von Pre-/Probiotika Damit kann er nach dem Vorbild der Muttermilch eine intestinale Bifidusbakterien-dominante Mikroflora im Dickdarm erzeugt werden. In randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien zeichnen sich signifikante Grüne für die Wirksamkeit und Sicherheit in der Verwendung ab, ob sie für den gesunden Säugling tatsächlich präventiv von Vorteil sind, ist bisher noch nicht geklärt. Spezialnahrungen Antirefluxnahrung, die sogenannten AR-Nahrungen: Die Nahrung enthält unverändertes Kuhmilchprotein ohne Anreicherung mit Molkenprotein und weist einen geringeren Fettgehalt auf. Die Andickung der Nahrung wird durch Zusatz von 0,4 % Johannisbrotmehl erreicht. Diese AR sind in den ersten 4 Lebensmonaten aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht geeignet, und deren Einsatz in dieser Zeit nach strenger ärztlicher Indikation zu stellen. Nahrung zur ausgeglichenen Verdauung 5 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER Ein anderes Produkt, Comformil, wird zum Einsatz für sensible Babys zur ausgeglichenen Verdauung angeboten. Dies ist eine Diätnahrung mit vermindertem Laktosegehalt und einem partiell hydrolysiertem Laktalbumin und wird deshalb gesunden Säuglingen nicht empfohlen. Vollmilch Als Vollmilch wird die nicht veränderte Kuhmilch bezeichnet. In den ersten Lebensmonaten ist unveränderte Kuhmilch wegen des hohen Gehaltes eines für den Säugling biologisch minderwertigen Eiweißes und des hohen Elektrolytgehaltes strikt abzulehnen, da durch die Organunreife des Säuglings die Anflutung der Aminosäuren nicht in rechter Weise metabolisiert und ausgeschieden werden kann. Der hohe Calcium- und Phosphorgehalt der Milch hemmt zusätzlich die Resorption von Eisen in diesem Alter. Rohmilch (nicht pasteurisierte Kuhmilch) ist im Säuglingsalter strikt abzulehnen, aus ernährungsphysiologischen Gründen auch Extravollmilch, Haltbarmilch oder länger frische Milch. Umstellung auf Beikost Muttermilch ist die beste Ernährung für den Säugling. Der Begriff Beikost wurde von Adalbert Czerny geprägt. Unter Beikost verstehen wir alle Nahrungen mit Ausnahme der Muttermilch und der Milchfertignahrung. Auch Säfte sind Beikost. Der Zeitpunkt für die Einführung der Beikost in die Ernährung gilt für die gestillten und nicht gestillten Kinder mit und ohne familiäre Atopierisiko (=Allergierisiko). In den ersten 4 Lebensmonaten soll aus ernährungsphysiologischen Gründen und aufgrund des wissenschaftlich belegten erhöhten Allergierisikos (Langzeitstudie Ferguson 1994) keinerlei Beikost eingeführt werden. 6 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER Ab dem fünften Lebensmonat ist der Nährstoffgehalt der Muttermilch/Säuglingsanfangsnahrung nicht mehr optimal. Zahlreiche jüngere Studien zeigen, dass ein Hinauszögern der Beikostmahlzeit nach dem 4. Lebensmonat keine allergiepräventive Wirkung hat. Ein gibt sogar Hinweise dafür, dass ein spätes Einführen von Milch und Ei ein signifikantes Risiko für das Entstehen eines Ekzem darstellt. Als Vollmilch wird die nicht veränderte, pasteurisierte Kuhmilch bezeichnet. Da Karotten alleine – in der Praxis als erste Beikost weit verbreitet – die nun fehlenden Nährstoffe nicht zu ergänzen vermag, soll als erste Beikostmahlzeit eine GemüseKartoffel(Reis)-Fleisch-Breimahlzeit gegeben werden, wobei die Nährstoffe einige Zeit (ca. 14 Tage) unverändert bleiben und dann erst schrittweise und nach Wunsch und Verdauung erweitert werden. Die Zweite Beikostmahlzeit ist die Obstmahlzeit. Sie wird einen Monat nach dem Beginn der ersten Beikostmahlzeit eingeführt. Die Obstsorten sollen einzeln nacheinander in Abständen von einigen Tagen in die Nahrung eingeführt werden, um eine etwaige Unverträglichkeit erkennen zu können. Der Nährstoffgehalt in den nun verbleibenden zwei Milchmahlzeiten (insgesamt 500m/Tag) zusammen mit den beiden genannten Beikostmahlzeiten (zusammen ca 500 g/Tag) entspricht ausgewogenen und optimalen Tagesernährung eines 5-monatigen Säuglings. 1.Brei Selbstzubereitung: Fleisch 2. Brei Getreide-Obst: 20g ab dem 7. LM 35g Gemüse 100g Kartoffel (Reis) 50g (15g) Rapsöl 5-10g Flüssigkeit 30-50ml Obst 150g Getreideflocken 20g bis zum 6.Lebensmonat glutenfrei, dann glutenhaltig Obstsaft 30g evtl. Rapsöl oder Butter 5g einer 7 MUTTERBERATUNG DR GOLLNER Eines von ca. 200 Kindern ist genetisch prädisponiert, eine Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) zu entwickeln. Darüber hinaus ist im jungen Säuglingsalter eine Differentialdiagnose gegenüber einer Kuhmilchallergie oder schwerer Durchfallerkrankung aus anderen Gründen schwierig. Führt man jedoch Getreide oder verdünnte Milch erst später ein, kann die Zöliakie aufgrund nicht auffallender Symptome später schwer erkannt werden.2 Erhält der Säugling beide Beikostmahlzeiten wie angegeben, ist der zusätzliche Flüssigkeitsbedarf ca 200ml/Tag. Dieser wird mit Wasser oder ungesüßten Tee gedeckt. Ein „Nuckelfläschen“ soll aufgrund der Zahnbildung nicht verwendet werden. 2 Ernährungsmedizin, Prof. Dr. med. Kurt Wildhalm; 32009 Wien 670