Roma, Sinti, Jenische

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Roma, Sinti, Jenische - Lebensläufe
Vergebliche Flucht
Anton Reinhardt
Anton Reinhardt wurde am 10. Juni 1927 in dem kleinen Dorf Weiden bei Dornhan am Rande
des Schwarzwalds geboren. Sein Vater starb früh und seine Mutter heiratete 1934 den Sinto
Johann Bühler. Trotz der beginnenden Diskriminierungen durch die Nationalsozialisten
bemühten sich die Eltern, Anton und seinen zwei Geschwistern eine behütete Kindheit zu
ermöglichen. Er besuchte die Volksschule in Waldshut und war ein begeisterter Schwimmer.
Nach seinem Schulabschluss arbeitete er in einer Maschinenfabrik. Im Sommer 1943 - kurz
bevor er in die Verfolgungsmaschinerie der Nationalsozialsten geriet - schloss er noch die
Führerscheinprüfung für Fahrzeuge bis 2,5 Tonnen ab.
Am 25. August 1944 wurde Anton Reinhardt auf Anordnung von NS-Rasseforschern in das
Städtische Krankenhaus nach Waldshut gebracht. Dort sollte er gegen seinen Willen sterilisiert
werden. Ihm gelang jedoch die Flucht. Aus Angst vor der Verfolgung durch die
Nationalsozialisten legte er über 100 Kilometer zu Fuß zurück. Sein Ziel war die Schweizer
Grenze. Dort erhoffte er sich Schutz vor seinen Verfolgern. Oberhalb der Eisenbahnbrücke bei
Koblenz (Kanton Aargau) schwamm Anton bei anbrechender Dunkelheit durch den Rhein und
erreichte Schweizer Boden.
Doch seine Grenzüberschreitung wurde von Polizisten entdeckt. Ein Dokument der
Polizeibehörden hielt fest, dass Anton Reinhardt am 25. August 1944 um 20.30 Uhr wegen
"illegalem Grenzübertritt" in Koblenz verhaftet und um 21.00 Uhr in das Bezirksgefängnis im
sechs Kilometer entfernten Zurzach eingeliefert wurde. Obgleich er angibt, dass viele seiner
Verwandten nach Auschwitz verschleppt wurden, er wegen seiner drohenden Deportation
geflohen sei und in Deutschland mit einer harten Strafe für seine Flucht rechnen müsse,
verweigerten ihm die Schweizer Behörden das Asyl und zwangen ihn zur Rückkehr nach
Deutschland. Er bat darum, ihn wenigstens an einer günstigen Stelle die Grenze überqueren zu
lassen, so dass er beim Übergang nicht erwischt werden würde.
Zentrum für Demokratie Aarau 01.01.2015
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Roma, Sinti, Jenische - Lebensläufe
Dennoch wurde Anton Reinhardt nach kurzer Zeit verhaftet und zunächst in das
Sicherungslager Schirmeck-Vorbruck eingeliefert. Von dort konnte er mehrere offizielle Briefe
an seine Eltern absenden. Seine Mutter erinnerte sich daran, ihm Kleidungsstücke nach
Schirmeck geschickt zu haben, deren Empfang er in einem seiner Briefe bestätigte. Es ist zu
vermuten, das Anton im Zuge der Auflösung des Lagers mit anderen Häftlingen nach
Gaggenau gebracht wurde.
Kurz vor Kriegsende gelang es ihm, aus der Haft zu entkommen. Auf der Flucht wurde er am
Karfreitag 1945 in der Nähe von Bad Rippoldsau im Nordschwarzwald von einer Einheit des
"Volkssturms" festgenommen. Auf Drängen von SS-Sturmbannführer Karl Hauger trat ein
improvisiertes "Standgericht" zusammen. Der Ausgang stand von Anfang an fest: Anton
Reinhardt wurde zum Tode "verurteilt". Hauptmann Franz Wipfler bestätigte als
verantwortlicher Offizier der Volkssturmeinheit das Todesurteil mit seiner Unterschrift. Am
Karsamstag ließ Karl Hauger den Jungen in ein abgelegenes Waldstück führen. Zeugen
berichteten, dass Anton während des Weges nicht mehr weitergehen wollte und vor
Verzweiflung nach seiner Mutter rief. Er mußte sein eigenes Grab schaufeln, bevor ihn der SSMann nach schweren Mißhandlungen mit einem Genickschuß tötete.
Vor seiner Ermordung schrieb Anton Reinhardt einige Abschiedsworte an seine Mutter und an
seine Geschwister: "Liebe Mutter! Ich will den letzten Wunsch mitteilen, ich werde [Euch] nicht
mehr sehen und wünsche gute Gesundheit und langes Leben. Gute Nacht. Anton."
Im Oktober 1959 wurden Hauger und Wipfler vom Offenburger Schwurgericht wegen
gemeinschaftlich begangenem "Totschlag" zu Haftstrafen verurteilt. Nach zwei Monaten wurde
Hauger vom Landgericht Offenburg eine Strafaussetzung auf Bewährung erteilt. Wipfler wurde
nach Anrechnung der Untersuchungshaft nicht wieder in Haft genommen.
Text aus: http://www.sintiundroma.de/sinti-roma.html
Film: Der Filmemacher Karl Fruchtmann hat die Ermordung Anton Reinhardts in seinem Film
"Ein einzelner Mord" dokumentiert.
Zentrum für Demokratie Aarau 01.01.2015
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