Ess-Störungen Prim. Dr. Katharina Purtscher LSF-Graz Neuropsychiatrische Kinder- und Jugendabteilung Ess-Störungen Entwicklungspsychiatrische Störungen Anorexia nervosa Bulimia nervosa Anorexia nervosa Diagnostische Kriterien nach ICD-10 Gewichtskriterien für Pubertätsmagersucht: Bodymass-Index (BMI) < 17,5 kg/m² Für Kinder und Jugendliche: Grenzwert = 10. Altersperzentile Körpergewicht mindestens 15% unterhalb der Norm bzw. Bodymass-Index ≤ 17,5 Der Gewichtsverlust ist selbst verursacht Körperschemastörung und „überwertige“ Idee, zu dick zu sein Endokrine Störung auf der Hypothalamus-HypophysenGonaden-Achse Bei Erkrankungsbeginn vor der Pubertät Störung der pubertären Entwicklung einschließlich des Wachstums, die nach Remission häufig reversibel ist. Bulimia nervosa Diagnostische Kriterien nach ICD-10 Andauernde Beschäftigung mit Essen und Heißhungerattacken, bei denen große Mengen an Nahrung in kurzer Zeit konsumiert werden. Versuche, dem dick machenden Effekt des Essens durch verschiedene Verhaltensweisen entgegenzusteuern, z.B. selbst induziertes Erbrechen, Laxanzienabusus, restriktive Diät etc. Krankhafte Furcht, zu dick zu werden häufig Anorexia nervosa in der Vorgeschichte Anorexia nervosa Diagnostische Kriterien nach DSM-IV Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichtes zu halten (<85% des zu erwartenden Gewichtes) Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichtes Amenorrhö bei postmenarchalen Frauen Bulimia nervosa Diagnostische Kriterien nach DSM-IV Wiederholte Episoden von „Fressattacken“ Wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen Häufigkeit der Heißhungerattacken und des Kompensationsverhaltens mindestens zweimal pro Woche über drei Monate Übermäßiger Einfluss von Figur und Körpergewicht auf die Selbstbewertung Nicht ausschließliches Auftreten im Rahmen einer Anorexia nervosa „Binge-eating“-Störung nach DSMIV Wiederholte Episoden von „Fressanfällen“. Eine Episode von „Fressanfällen“ ist durch die beiden folgenden Kriterien charakterisiert: - Essen einer Nahrungsmenge in einem abgrenzbaren Zeitraum - Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während der Episode Die Episoden von „Fressattacken“ treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf: - wesentlich schneller essen als normal - Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl - Essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt - alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man isst - Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder große Schuldgefühl nach dem übermäßigen Essen Epidemiologie Zunahme der Inzidenz und Prävalenz der Anorexia nervosa in der Altersgruppe der 15- bis 20-jährigen jungen Frauen Prävalenzrate 0,3 – 1 % Epidemiologie 2 Deutliche Zunahme der kindlichen Anorexia nervosa (10 - 14 Jahre) Erkrankungsgipfel der Magersucht liegt bei 14 Jahren Partielle Ess-Störungen Betreffen 10 - 15 % der weiblichen Adoleszenten Bulimia nervosa Beginn der Störung zwischen dem 16. und 19. Lebensjahr Risikogruppen Berufsgruppen mit „Schlankheitsidealen“ „Models“ Leistungssportlerinnen Tänzerinnen ………. Symptomentwicklung Restriktive Formen Einschränkung der Nahrungszufuhr Verstärkte körperliche Aktivität Somatische Veränderungen Trockene schuppige Haut Akrozyanose Haarausfall Speicheldrüsenschwellung Karies Minderwuchs und verzögerte Pubertätsentwicklung (bei kindlichen oder adoleszenten anorektischen Patientinnen) Hormonelle Veränderungen Störung H-H-Nebennierenrindenachse Störung der H-H-Schilddrüsenachse Störung der H-H-Gonadenachse Erhöhung der Wachstumshormons Erniedrigung von Leptin (Knochenmineralisation) Blutbildveränderungen Leukopenie Anämie Thrombozytopenie Elektrolytstörungen Erhöhung von Transaminasen, Amylase, Lipase und harnpflichtigen Substanzen Lipidstoffwechselveränderungen Erniedrigung von Gesamteiweiß und Albumin Zinkmangel Weitere Veränderungen Zerebrale Anfälle Ösophagitis EKG-Veränderungen Osteoporose Pseudoatrophia cerebri Osteoporose Risikofaktoren: Langfristige Kachexie Lange Dauer der Amenorrhö Früher Beginn der Ess-Störung Relative körperliche Inaktivität Komorbidität Zwangsstörungen Angsterkrankungen Depression Ätiologie Biologische Ursachen Genetische Faktoren Perinatale Risikofaktoren Persönlichkeitsmerkmale Beharrlichkeit und Zähigkeit Rigidität Introvertiertheit Gute bis überdurchschnittliche Intelligenz Folgewirkungen Störungen der Aufmerksamkeit Störung visuell räumlicher Funktionen Verminderte Problemlösefähigkeit Soziokulturelle Faktoren Prävalenz der Ess-Störungen in der westlichen Welt Prävalenz in der Mittel- und Oberschicht Risikogruppen Persönlichkeitsmerkmale anorektischer Patienten Harmoniebedürfnis Perfektionismus Mangelnde Autonomie Soziale Ängstlichkeit Multifaktorielles Ätiologiemodell Genetisch bedingte Vulnerabilität des serotoninergen Neurotransmittersystems Frühe Umwelteinflüsse (perinatale Risikofaktoren) Traumatisierende Erfahrungen Behandlung – 3 Säulen der Therapie Somatische Rehabilitation und Ernährungstherapie Individuelle psychotherapeutische Behandlung Einbeziehung der Familie Somatische Behandlung Behandlung somatischer Komplikationen Gewichtsrehabilitation (bis zum Erreichen des Zielgewichts mit Eintritt der Menstruation) Normalisierung des Essverhaltens Individuelle psychotherapeutische Behandlung Kognitive Verhaltenstherapie Interpersonale Therapie (Psychodynamische Behandlung) Einbeziehung der Familie Familientherapie: bei Erkrankungsdauer kürzer als 3 Jahre und bei Jugendlichen unter dem 19. Lebensjahr sehr erfolgreich Familienberatung Ergänzende Therapiemaßnahmen Gruppentherapeutische Verfahren Körperorientierte Verfahren Gestaltungstherapie (Ergo- bzw. Kunsttherapie) Medikamentöse Behandlung Serotonin – Wiederaufnahme – Hemmer (SSRI) SSRI als Rückfallprophylaxe bei Anorexia nervosa Medikation mit SSRI im Zustand der Untergewichtigkeit erfolglos Prävention Primäre Prävention Ernährungsberatung Schlankheits- und Schönheitsideale Sekundärprävention Information von Eltern, Lehrern und Hausärzten (frühzeitige Behandlung erhöht die Chancen auf Heilung) Verlauf und Prognose Günstigere Verläufe bei jungen Patienten Günstigere Verläufe bei kurzer Krankheitsdauer Ausmaß des Gewichtsverlusts Prämorbide Entwicklungsauffälligkeiten Prämorbide Ess-Störung Prämorbide Psychopathologie Psychiatrische Komorbidität Soziale Phobien Persönlichkeitsstörung Affektive Erkrankungen Somatisierungsstörung Posttraumatische Belastungsstörung ….. Entstehung und Aufrechterhaltung von Essstörungen Biologische Vulnerabilität: • genetische und physiologische Prädisposition Psychologische Prädisposition: Beziehungsstörungen, Selbstwertkonflikte Kindheitserfahrungen familiäre Einflüsse Soziokulturelle Einflüsse: • Körperbild • soziale Erwartungen Gewichtsverlust Körper-SchemaStörung • verändertes Essverhalten • Diät/Erbrechen • Mangelernährung • physiologische Veränderungen psychische Veränderungen Stationäre Behandlung der Anorexia nervosa 1. 2. 3. 4. Phase Anhebung des Körpergewichts: evtl. Nahrungsgabe über Magensonde, evtl. „Ausschluss der Familie“ erforderlich Phase Fremdsteuerung der Nahrungsaufnahme: Essenplan, stärkere Einbeziehung der Familie, Psychotherapie (Einzel- und Gruppentherapie), körperbezogene Therapien Phase Selbststeuerung der Nahrungsaufnahme: Psychotherapie (Familien-, Einzel- und Gruppentherapie), körperbezogene Therapien Phase Vorbereitung auf die Entlassung: Schwerpunkt Familientherapie, zunehmende Integration in alle Lebensbereiche