Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae (MERH) Universität Zürich Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae (MERH) Freiestrasse 15 CH-8032 Zürich Telefon +41 44 634 39 83 Telefax +41 44 634 49 37 www.merh.uzh.ch UZH, MERH, Freiestrasse 15,CH-8032 Zürich To whom it my concern Prof. Dr. iur. utr. Brigitte Tag Vorsitzende Leitungsausschuss Telefon +41 44 634 39 39 Telefax +41 44 634 49 37 [email protected] Zürich, 20. Mai 2011 Jahresbericht MERH 2010 Im Jahr 2010 hat das Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae (MERH) mehrere Symposien und Tagungen (mit-)veranstaltet und Publikationen (Tagungsbände, Gesetzessammlung, etc.) herausgegeben. Am 22. März 2010 wurde das MERH gegründet und hat sogleich seine Arbeit aufgenommen. So wurde am 23. April in Kooperation mit dem Doktorratsstudiengang Biomedical Ethics and Law / Law Track die Tagung „Placebo in der Medizin“ veranstaltet. Grundlage der Tagung war die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der deutschen Bundesärztekammer zum Thema, deren Ergebnisse erstmalig auf der Tagung der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Die Referate umrissen die aktuellsten Erkenntnisse zu den Grundlagen des Placeboeinsatzes, den Mechanismen des Placeboeffektes, zur Geschichte des Placebos und zu den mit dem Placeboeinsatz verbundenen medizinischen, ethischen und rechtlichen Fragestellungen. Für den Einstieg in die Thematik war die Klärung der Placebobegriffe wie auch der Placebogabe nötig, die neben dem Medikamentenersatz auch die Placeboprozedur, zum Beispiel die Placebo-Akkupunktur und die Placebo-Operation umfasst. Als echte oder reine Placebos werden Scheinmedikamente bezeichnet, die nur eine pharmakologisch unwirksame Substanz und gegebenenfalls Hilfsstoffe wie Farbstoffe enthalten. Pseudo-Placebos, auch als «unreine Placebos» bezeichnet, spielen vorwiegend in der ärztlichen Praxis eine Rolle. Es handelt sich dabei um wirksame Medikamente, die allerdings bei der Erkrankung kaum helfen. Prominentes Beispiel: Antibiotika-Gabe bei viraler Erkrankung – Antibiotika wirken jedoch nur bei bakteriellen Infektionen. Die Rolle des Arztes sowie das therapeutische Setting sind nicht nur für den allgemeinen Therapieerfolg, sondern gerade auch für den Placeboeffekt von zentraler Bedeutung. Es war für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung erstaunlich, dass es bislang keine verbindlichen ethischen Richtlinien hinsichtlich der Placebogabe im therapeutischen Setting und in klinischen Studien gibt. Bei einer internationalen Vereinheitlichung könnte die aktuelle Fassung der Deklaration von Helsinki 2008 eine Grundlage sein, die einige Regeln für den Placeboeinsatz in der Forschung definiert. Neben der ethischen Frage bestehen sowohl beim Placeboeinsatz in der Forschung wie in der therapeutischen Praxis Unsicherheiten und Unkenntnisse darüber, inwieweit eine Placebogabe in rechtlicher Hinsicht erlaubt oder verboten ist. In der Forschung erfolgt die Placebogabe nach den Regelungen des Heilmittelsrechts und nach den international aufgestellten Regeln für die Durchführung von klinischen Studien (GCP-Richtlinien). In der therapeutischen Praxis dagegen, gelten für die Placebogabe die allgemeinen Regelungen. Prof. Tag erläuterte, dass diese sowohl die Lex artis wie die Selbstbestimmung des Patienten beachten muss. Wer heilt, hat Recht – diese Aussage stimmt heute nicht mehr – selbst wenn es sich „nur“ um eine Placebogabe handelt. Denn im Regelfall ist mit jeder Placebogabe immer auch eine unterlassene Medikamentenabgabe verbunden, was für den Patienten nicht nur gesundheitlich, Seite 1/4 MERH Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae sondern auch wirtschaftlich von grosser Bedeutung sein kann. Die Aufklärungspflicht kann nur in eng begrenzten Fällen eingeschränkt werden. Unter der Bezeichnung „therapeutisches Privileg“ wurde kontrovers diskutiert, ob die Aufklärungspflicht des Arztes ihre Grenze findet, wenn die Aufklärung für den psychischen Zustand des Patienten zu belastend wäre. Wird dem Patienten die Placebogabe verheimlicht, um den angestrebten Behandlungserfolg nicht zu gefährden, ist das problematisch, denn die Autonomie des urteilsfähigen Patienten ist davon betroffen. Doch die Aufklärung über die Placeboabgabe könne den Placeboeffekt gefährden. Neuere Studien belegen jedoch, dass der Placeboeffekt auch beim informierten Patienten auftritt – was sich nur durch die grosse Bedeutung des therapeutischen Settings erklären lässt. Vom 13. bis 15. Mai 2010 wurde in Zürich die Tagung der Medizinrechtslehrer/innen zum Thema „Lebensbeginn im Spiegel des Medizinrechts“ vom MERH unter der Schirmherrschaft der Europäischen Akademie der Wissenschaft und Künste in Kooperation mit der Universität Zürich durchgeführt. Die organisatorische und inhaltliche Leitung lag bei Prof. Dr. Brigitte Tag. Die Finanzierung erfolgte durch die Einwerbung von Drittmitteln. Das Thema der Tagung „Lebensbeginn im Spiegel des Medizinrechts“ ist nach wie vor von grossem politischem und rechtlichem Interesse. Es ist unumgänglich, den Problemen der frühen Phasen der Menschwerdung, dem Status des Embryos sowie der Nutzung von Zellen und Zellprodukten in der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und der Therapie grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Der Beginn des menschlichen Lebens wurde durch die rasche Entwicklung in der Zell- und Molekularbiologie vor völlig neue Fragen gestellt. In-vitro-Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik (einschließlich Präkonzeptionsdiagnostik), humane Stammzellgewinnung, Klonen, aber auch Spätabbrüche bergen Probleme, die gerade vom Recht eine verhältnismässige, abgewogene Lösung einfordern. Trotz zahlreicher Bemühungen bleibt die Grundfrage nach dem Status des Embryos und seinem Verhältnis zur biologischen Mutter bislang unbeantwortet. Werden gendiagnostische Untersuchungen vor oder während der Schwangerschaft durchgeführt, treten die im Spannungsfeld stehenden Interessen deutlich zu Tage. Die Eltern sind der grossen Belastung ausgesetzt, sich gegebenenfalls für oder gegen ihr Kind zu entscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der Betreuung von schwerstkranken Menschen große, oft lebenslange Sorgepflichten verbunden sind. Ob sich die Eltern dem in physischer wie psychischer Hinsicht gewachsen sehen, können sie oft nur selbst beurteilen. Daneben sind die gesellschaftlichen Konsequenzen der Eingriffe in das Keimgut bzw. den Embryo zu klären, insbesondere die drohenden Dammbrüche im Hinblick auf den Schutz kranker und behinderter Menschen. Die Tagung hat durch ihre herausragenden Referierenden und Diskussionsvoten dazu beigetragen, den intensiven Diskurs unter allen Beteiligten und Disziplinen zu führen. Hierbei wurde namentlich ein Ländervergleich zwischen der Schweiz, Österreich und Deutschland angestellt, die Perspektive von Deutschland, Österreich und der Schweiz dargestellt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt und Konzepte entwickelt. Die Beiträge der Tagung waren: Abteilung Grundsatzreferate Lebensbeginn, Theoretische Konzepte, praktische Auswirkungen im Medizinrecht: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser, MPI für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau (Moderation), Prof. Dr. Dr. h.c. Kurt Seelmann, Universität Basel, Referat aus Sicht der Schweiz, Prof. Dr. Jochen Taupitz, Universität Mannheim, IMGB Heidelberg/Mannheim, Referat au der Sicht Deutschlands, Prof. Dr. Erwin Bernat, Karl-FranzensUniversität Graz, Referat aus der Sicht von Österreich; Abteilung Krankenversicherungsfinanzierte Reproduktionsmedizin: Prof. Dr. Ulrich Meyer, Universität Zürich (Moderation), Prof. Dr. Heinrich Lang, Universität Rostock, Referat aus Sicht Deutschlands; Prof. Dr. Thomas Gächter, Universität Zürich, Statement aus Sicht der Schweiz; Abteilung Stammzellforschung: Prof. Dr. Christine Godt, Seite 2/4 MERH Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae Universität Oldenburg (Moderation); Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus, Max Planck Institut für Geistiges Eigentum, Referat Rechtslage aus Deutscher und internationaler Sicht; Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universität Würzburg, Statement; Abteilung: Generalthema Spätabbrüche: Prof. Dr. Marianne Hilf, Universität St. Gallen (Moderation), Prof. Dr. Christian Schwarzenegger, Universität Zürich, Referat aus Sicht der Schweiz; Prof. Dr. Kurt Schmoller, Universität Salzburg, Referat aus der Sicht von Österreich; Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Referat aus der Sicht Deutschlands. Der Präsident der EASA, Prof. Dr. mult. h.c. Felix Unger, der Rektor der Universität Zürich, Prof. Dr. Andreas Fischer hielten Worte der Begrüssung, Prof. Dr. Brigitte Tag führte durch die Tagung. Zu der Tagung wird beim Nomos Verlag 2011 ein Tagungsband erscheinen. Vom 8. bis 11. September 2010 fand an der Universität Zürich das (zweite) interne Seminar „Medizin und Recht“ statt, das in Kooperation mit der Yetitepe Universität Istanbul durchgeführt wurde. Die Leitung oblag Prof. Dr. Brigitte Tag (Universität Zürich) und Prof. Dr. Yener Ünver (Yetitepe Universität Istanbul). Das Seminar ist eine Fortsetzung des Dialoges von Studierenden aus der Schweiz und der Türkei im Bereich Medizin und Recht, der in Istanbul 2008 ins Leben gerufen wurde. Am 8. Oktober 2010 veranstaltete das MERH in Kooperation mit dem MRZ eine Mittagsveranstaltung zum Thema: „Hungerstreik von Gefangenen und ähnliche Dilemmata“. Aktuell wurde das Thema durch den inhaftierten Walliser Hanfbauer Bernard Rappaz, der im Juli 2010 nach einem rund zweimonatigen Hungerstreik in den Hausarrest entlassen worden war. Die Walliser Sicherheitsdirektorin Esther Waeber-Kalbermatten war den Forderungen des Hanfbauers entgegengekommen und hatte sich gegen die zuvor diskutierte Zwangsernährung entschieden. Laut Medienberichten hatten die behandelnden Ärzte des Inselspitals Bern bereits zuvor eine Zwangsernährung von Rappaz abgelehnt. Nach der Entlassung Rappaz in den Hausarrest wurden Stimmen laut, der Staat habe sich erpressen lassen. Zunächst verdeutlichte Prof. Tag, welche schwierigen und komplexen Entscheidungen im Fall von Rappaz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Fürsorgepflicht des Staates zu treffen sind. Die unklare Rechtslage führt zu unterschiedlichen Ansichten der Rechtmässigkeit von Zwangsernährung. Weil es auf Bundesebene kein Strafvollzugsgesetz gibt, orientieren sich die zuständigen Ärzte an etwaigen kantonalen Bestimmungen und an den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Die SAMW-Richtlinie lehnt, ebenso wie die Regelungen der World Medical Association (WMA), die Zwangsernährung klar ab. Sie betrachtet Zwangsernährung als unethisch und ungerechtfertigt. Das bestätigte Privatdozentin Tanja Krones von der Klinischen Ethik USZ und Mitglied des MERH aus Sicht der Praxis eindrücklich. Anschliessend präsentierte Regierungsrat Markus Notter, Vorsteher der Direktion des Innern und der Justiz im Kanton Zürich, einen weiteren Fall eines hungerstreikenden Inhaftierten im Kanton Zürich. Dabei machte er deutlich, dass vor allem die Kommunikation mit der inhaftierten Person im Vordergrund stehen müsse und in den meisten Fällen auch zu einer Lösung führe. Unter der Prämisse, dass sich der Staat nicht erpressbar machen dürfe, könnten auf diese Weise die überwiegende Anzahl der Fälle aufgelöst werden, ohne dass die Frage der Zwangsernährung relevant werde oder höchstens am Rande auftauche. Die daraufhin mit dem Publikum geführte Diskussion zeigte die grosse Bandbreite der zu bewältigenden Probleme auf: Aus dem Publikum kamen grundsätzliche rechtliche und ethische Fragen, etwa ob und inwieweit das Selbstbestimmungsrecht von inhaftierten Personen durch eine Seite 3/4 MERH Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae Inhaftierung eingeschränkt beziehungsweise einschränkbar ist. Es standen auch praktische Fragen zum Umgang mit Hungerstreikenden zur Debatte. Darüber hinaus war das MERH an folgenden Veranstaltungen beteiligt: - Veranstaltungsreihe Mensch!Recht! des Kompetenzzentrums MRZ zur Thematik: „Gesundheit - mehr als ein medizinischer Zustand: rechtliche und ethische Aspekte“ Für den durch das MRZ und das MERH gemeinsam organisierten Anlass konnten Prof. Dr. med. Giovanni Maio, M.A. und Prof. Dr. iur. utr. Brigitte Tag als Referenten gewonnen werden. - „Fallstricke und Fussangeln in der Dermato-Onkologie“ am 18. November 2010, veranstaltet von Prof. Dr. Ralph Braun, Dermatologie UniSpital Zürich und Mitglied des MERH. Neben den Veranstaltungen waren Mitglieder des MERH an folgenden Publikationen beteiligt: Tag/Gross Umgang mit der Leiche. Sektion und toter Körper in internationaler und interdiziplinärer Perspektive, Campus 2010. Gächter/Vollenweider Gesundheitsrecht. Ein Grundriss für Studium und Praxis, 2. Auflage Schulthess 2010. Gächter (Hrsg.); Rütsche (Hrsg.); Tag (Hrsg.) Medizin- und Gesundheitsrecht, Schulthess 2010. Büchler/Gächter Medical Law. Switzerland in Nys, Herman (Hrsg.) Medical Law. International Encyclopedia of Laws, 2010. Mitglieder und Beirat des MERH haben am Band "Placebo in der Medizin" mitgewirkt, Deutscher Ärzte-Verlag 2010. Von Seiten der Geschäftsführung wurde das MERH im Hill Journal unter dem Titel „Medizin, Ethik und Recht an der Universität Zürich - Ein neuer Schwerpunkt entwickelt sich in“(Mausbach/Schöni, HILL Monatsflash No. 1, 2010) vorgestellt und der erste Newsletter „MERH News“ publiziert. Zu guter Letzt sei noch, als Ausblick auf das kommende Jahr, der Hinweis gestattet, dass am 13. September 2011 durch das MERH das Symposium „Tod im Gefängnis“ veranstaltet wird sowie an den folgenden Daten die „Medizin und Recht“-Mittagsveranstaltungen des MERH stattfinden: - 6. Oktober 2011 Thema: Impfobligatorium - 10 November 2011 Thema: Pränatale Diagnostik - 15. Dezember Thema: Menschliche Präparate Hiermit dürfen wir Sie herzlich zur Teilnahme an diesen Veranstaltungen einladen. Weitere Informationen finden Sie unter www.merh.uzh.ch. Universität Zürich Kompetenzzentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae Prof. Dr. iur. utr. Brigitte Tag Vorsitzende Leitungsausschuss MERH Seite 4/4