Arbeitspapier 2 - jura | Uni Bonn

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Professor Dr. Klaus Ferdinand Gärditz
Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht)
Wintersemester 2016/2017
§ 2 Demokratie
Literaturempfehlung: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in:
Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. (2004), Bd. II, § 24;
Christoph Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2009.
I.
Demokratische Legitimation
Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie findet sich im Grundgesetz explizit
an folgenden Stellen: Art. 20 Abs. 1 GG legt die Bundesrepublik auf einen
demokratischen Bundesstaat fest. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht alle
Staatsgewalt vom Volke aus. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt schließlich auch der
Staatsorganisation in den Ländern demokratische Mindestanforderungen ab. Art. 38
GG bildet mit dem Wahlrecht die institutionelle Basis des Demokratieprinzips auf
Bundesebene, das sich durch Vorschriften über die Wahl der anderen Bundesorgane
fortsetzt (vgl. Art. 54 Abs. 1, 63 Abs. 1, 94 Abs. 1 Satz 2, 95 Abs. 2 GG). Art. 23
Abs. 1 Satz 2 GG betrifft den demokratischen Inhalt des europäischen
Integrationsprozesses
1.
Grundlagen
Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Dies bedeutet,
dass Herrschaft nicht aus eigenem Recht (etwa kraft göttlicher Offenbarung, kraft
ererbten Titels oder kraft fachlicher Expertise) ausgeübt wird, sondern abgeleitet ist,
und zwar vom Volk.
•
Demokratie verwirklicht ein Modell kollektiver Selbstbestimmung, das auf
die in Art. 1 Abs. 1 GG zum Ausgangs- und Bezugspunkt des Rechts erklärten
individuellen Selbstbestimmung gründet. Selbstbestimmung ist aber nur
möglich, wenn Entscheidungen inhaltlich offen gehalten werden
(→ Relativismus → Pluralismus).
•
Demokratie gründet auf formaler Gleichheit, weil jedes Mitglied des Volkes
(jeder Staatsangehörige) unabhängig etwa von Herkunft, Bildung und
Fähigkeiten den formal gleichen Einfluss auf die Ausübung von
Herrschaftsgewalt hat. Zur demokratischen Gleichheit gehört es, dass man
demokratische Entscheidungen auch dann akzeptiert, wenn man sie für
politisch falsch hält, und sich darauf beschränkt, durch politische Mitwirkung
(etwa an Wahlen, in Parteien oder durch Meinungskundgabe) für eine
Korrektur zu werben.
„Wer gegen demokratische Gesetze zum Widerstand aufruft, bricht die
Gleichheit der demokratischen Gemeinschaft. Er gibt seinem Anliegen mehr
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
2
Gewicht als dem der anderen – ein typisches Intellektuellenphänomen.“
(Möllers, ebd., S. 80)
Die formale Gleichheit berührt es auch, wenn Interessengruppen oder
Gruppenrepräsentanten ein unmittelbarer Einfluss auf die Herrschaftsausübung
eingeräumt wird. ‚Räterepublikanische’ Modelle, in denen Repräsentanten
typisierter gesellschaftlicher Kräfte Einfluss nach einem bestimmten Proporz
eingeräumt wird, ist nicht notwendig stets unzulässig, aber jedenfalls nicht
demokratisch, weil damit die gesellschaftlich nicht organisierten Kräfte keine
ihrer demokratischen Gleichheit entsprechende Herrschaftsteilhabe erhalten.
•
Demokratie ist immer Herrschaft auf Zeit. Politische Ämter werden durch
Wahlen immer nur zeitlich vergeben. Recht wird zwar idR auf unbestimmte
Zeit gesetzt, kann aber jederzeit revidiert werden. Die Änderbarkeit des
Rechts sichert insoweit politische Freiheit in der Zeit.
Hierzu lesen: BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 2 BvL
1/12, Rn. 53, NJW 2016, 1295 („Treaty Override“). Das BVerfG
wendet sich dort gegen eine Auffassung, die es dem Gesetzgeber
versagen will, sich später über völkerrechtliche Verträge
hinwegzusetzen. Diese Auffassung – so das Gericht – „widerspricht
insbesondere dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG)
und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität. Demokratie
ist Herrschaft auf Zeit […]. Dies impliziert, dass spätere Gesetzgeber entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des
Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen
Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen
[…]. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die
Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren
Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen
der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren, weil dadurch
politische Auffassungen auf Dauer festgeschrieben würden […]. Das
Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll einem
innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zudem ein
hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau vermitteln […],
nicht dieses absenken. Es soll die Entscheidungsfreiheit des
Gesetzgebers schützen […]. Dem widerspräche es, aus Art. 59 Abs. 2
Satz 1 GG eine „Änderungssperre“ für die Zukunft ableiten zu wollen
[…].
•
Demokratische Verfahren institutionalisieren demokratische Willensbildung.
Inhalte entstehen also erst in insoweit notwendig inhaltsoffen gehaltenen
Verfahren, etwa durch Organwillensbildung im Parlament. Demokratie ist
damit notwendig immer formal. Eine Materialisierung würde gerade die
Möglichkeit nehmen, im Wege freier Selbstbestimmung darüber zu
entscheiden, wie man in formal gleicher Freiheit zusammen leben möchte. Ein
entinstitutionalisierter Wille hat keinen demokratischen Wert. Es gibt keinen
‚eigentlichen Volkswillen’, keine ‚wahren Interessen’ oder ‚schweigende
Mehrheiten’, erst recht keine wohlverstandenen Eigeninteressen des Volkes.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
3
Im Parlament erfolgt eine eigenständige Organwillensbildung, die nicht dazu
dient, einen vermeintlichen Willen des Volkes abzubilden. Wer in Anspruch
nimmt, einen eigentlichen Willen des Volkes zu deuten und gegen die
bestehenden Institutionen auszuspielen, maßt sich letztlich nur an, auch ohne
Legitimation kraft ‚höherer’ Einsicht herrschen zu können, was mit
demokratischer Selbstbestimmung unvereinbar wäre.
•
Demokratie ist nicht zwangsläufig rational, auch wenn das diskursive Element
in der gestuften demokratischen Willensbildung rationale Entscheidungen
fördert. Entscheidend ist aber, dass Rationalität als solche keine Legitimation
stiftet. Gute Gründe stiften keine Legitimation (Möllers, ebd., S. 43 f.).
Legitimation wird erst in demokratischen Verfahren hergestellt, die aber nur
relative Gründe zu erzeugen vermögen. Es ist gerade Konsequenz
demokratischer Freiheit, sich dem Diktat der Weisen zu entziehen.
Die demokratische Verfassung des Bundesrepublik Deutschland beruht auch der
repräsentativen Demokratie. Diese wird vornehmlich durch Wahlen des Parlaments
ausgeübt, während die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Abstimmungen auf
Bundesebene jenseits von Art. 29 GG bislang keine Rolle spielen. Allerdings finden
sich im Landesverfassungsrecht zahlreiche plebiszitäre Elemente, etwa
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in NRW (Art. 67a, 68 Verf NW).
→
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist umstritten, richtigerweise aber zu
bejahen. Früher wurde teils argumentiert, die Verpflichtung auf Homogenität
aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG beschränke die demokratische Teilhabe in den
Ländern auf repräsentative Formen. Dies überzeugt aber schon deshalb nicht,
weil Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG explizit auch die Abstimmungen kennt. Aus
gleichem Grund wäre es auch mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar, auf
Bundesebene direktdemokratische Elemente einzuführen.
Demokratische Herrschaft entfaltet sich funktional gegliedert, was Art. 20 Abs. 2
Satz 2 GG unmittelbar zum Ausdruck bringt.
2.
Demokratische Wahlen (Bundestagswahl)
Der deutsche Bundestag (BT) ist nach dem GG das unmittelbar demokratisch
legitimierte Organ des Staates. Er ist Ort des politischen Streits und der
Kompromissbildung. Die Zusammensetzung des Bundestages beruht auf dem
geltenden Wahlrecht.
a)
Rechtsgrundlagen
Rechtsgrundlagen für die Wahl des BT sind Art. 38, 39 GG, das Bundeswahlgesetz
(BWahlG) und die Bundeswahlordnung (BWahlO). Das GG hat die Ausgestaltung des
Wahlsystems dem einfachen Gesetzgeber überlassen (Art. 38 Abs. 3 GG) und sich auf
die Normierung der Wahlrechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 Satz 1), das Mindestalter
für die Wahlberechtigung (Art. 38 Abs. 2 GG) und die Dauer der Wahlperiode
(Art. 39 GG) beschränkt. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gelten die
Wahlrechtsgrundsätze auch für die Landtags- und Kommunalwahlen.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
b)
4
Wahlrechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG)
Die Wahlrechtsgrundsätze stehen in engem Zusammenhang mit dem
Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Da Demokratie auf dem Prinzip
→ formaler Gleichheit gründet, stellen die Wahlrechtsgrundsätze sicher, dass alle
Bürger an der Wahl des zentralen demokratischen Organs, dem BT, teilnehmen
können. Die Wahlrechtsgrundsätze sind zumeist als Reaktion auf historische
Erfahrungen entstanden (Ausschluss von Frauen, Ständewahlrecht etc.). Die
Wahlrechtsgrundsätze können miteinander in Konflikt treten und sind dann
gegeneinander abzuwägen. (Bsp: Briefwahl fördert den Grundsatz der Allgemeinheit
der Wahl, schränkt aber den Grundsatz der geheimen Wahl ein.)

Allgemeine Wahl: Das Wahlrecht steht allen Bürgern unabhängig von
Geschlecht, Religion, politischer Anschauung, Abstammung etc. zu. Unvereinbar
mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl wäre deshalb z.B. ein StändeWahlrecht oder ein Ausschluss der Frauen von der Wahl. Eingeschränkt wird der
Grundsatz der allgemeinen Wahl durch die Festlegung der → Wahlberechtigung.
Verfassungsrechtlich vorgegeben ist das Wahlalter (Art. 38 Abs. 2 GG) sowie das
Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit („Volk“ in Art. 20 Abs. 2 GG
meint in Zusammenschau mit Art 1. Abs. 2, Art. 146 GG das deutsche Volk.).

Unmittelbare Wahl: Unmittelbarkeit bedeutet, dass zwischen der Wahl und der
Bestimmung der Abgeordneten keine weitere Instanz zwischengeschaltet werden
darf. Unvereinbar mit diesem Grundsatz wäre ein System mit Wahlmännern/frauen. → Problem: „Nachrücker“.

Freie Wahl: Die Freiheit der Wahl bedeutet, dass weder von staatlicher noch von
privater Seite aus Druck auf die Wähler ausgeübt werden darf.

Geheime Wahl: Die Stimmabgabe muss geheim erfolgen.

Öffentlichkeit der Wahl: Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl wird aus
Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG abgeleitet. Der Wahlakt
(Stimmabgabe) ist geheim, aber die Wahl insgesamt, insbesondere die Feststellung
des Wahlergebnisses muss öffentlicher Kontrolle zugänglich sein. Dies dient auch
der öffentlichen Vertrauensbildung in die Korrektheit der Wahl. Der Einsatz von
Wahlcomputer ist auf Grund der potentiellen Manipulierbarkeit nur unter sehr
restriktiven Voraussetzungen zulässig. Siehe BVerfGE 123, 39 (71 ff.).

Gleichheit der Wahl: Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl fordert Zählwert(jede abgegebene Stimme besitzt denselben Wert) und Erfolgswertgleichheit
(jede Stimme beeinflusst die Zusammensetzung des BT gleich) jeder abgegebenen
Stimme. Die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl kann nur
im Zusammenhang mit dem jeweils geltenden Wahlsystem beurteilt werden.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
c)
Wahlsystem
aa)
Grundsätzliche Alternativen
bb)
5

Mehrheitswahlrecht: Die Wahl findet nur in Wahlkreisen statt. Gewählt wird nur
der Kandidat, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt (relative Mehrheit) bzw.
der, der die absolute Mehrheit der Stimmen erlangt (evtl. Stichwahl notwendig).
Alle anderen Stimmen „verfallen“ und wirken sich nicht auf die
Zusammensetzung des Parlaments aus, haben also keinen Erfolgswert.

Verhältniswahlrecht: Die Mandate für die Parteien werden nach dem
Stimmenverhältnis verteilt, d.h. es werden keine Personen gewählt, sondern eine
Liste. Auf diesem Wege wird das Stärkeverhältnis der Parteien im Parlament
genau abgebildet, es ist aber eine Zersplitterung des Parlaments möglich.
Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland
Die Wahl des BT beruht auf einer Verbindung von Mehrheitswahlrecht und
Verhältniswahlrecht zur sog. personalisierten Verhältniswahl, § 1 Abs. 1 Satz 2
BWahlG. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG besteht der BT aus 598 Abgeordneten. Die
Verbindung von Mehrheits- und Verhältniswahl spiegelt sich der Erst- und
Zweitstimme wider. Die Zweitstimme entscheidet über die prozentuale
Zusammensetzung des Parlamentes (Verhältniswahlrecht), § 1 Abs. 2, §§ 4, 6
BWahlG. Mit der Erststimme werden die Abgeordneten in den Wahlkreisen direkt
gewählt (Mehrheitswahlrecht).
Wahlberechtigt für die Wahl des BT sind alle mindestens 18-jährigen deutschen
Staatsbürger, Art. 39, 20 Abs. 2 GG. Bei Kommunalwahlen sind auch Unionsbürger
wahlberechtigt, Art. 20 AEUV.
-
Die Zusammensetzung des BT wird nach folgender Methode bestimmt.
Zunächst wird die Zahl der gültigen Zweitstimmen ermittelt (§ 6 Abs. 1 S. 1
BWahlG), sodann festgestellt, wie viel Prozent der Zweitstimmen jede Partei
errungen hat.
-
Parteien, die weniger als 5% der gültigen Zweitstimmen auf ihre
Landeslistenverbindung vereint haben, bleiben bei der Verteilung der Sitze
grundsätzlich unberücksichtigt. Hat eine Partei jedoch 3 Direktmandate in
Wahlkreisen über die Erststimme erzielt, so nimmt sie - auch wenn weniger als
5% der Zweitstimmen auf sie entfallen sind - an der Sitzverteilung teil (§ 6
Abs. 3 Satz 1 2. Var. BWahlG – sog. Grundmandatsklausel, durch die letzte
Wahlrechtsänderung reformuliert: jetzt alternativer Zugang und nicht mehr
Rückausnahme).
-
Seit 2008 wird im Wege des „Sainte-Lague/Schepers“ (zu diesem und anderen
Berechnungsmethoden vertiefend www.wahlrecht.de) ermittelt, wie viele der
598 Mandate auf die einzelnen Parteien (Listenverbindungen) bundesweit
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
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entfallen (sog. Bundesproporz). Anschließend wird wieder ermittelt, wie viele
der von der Partei bundesweit erzielten Mandate auf die einzelnen,
unverbundenen Landeslisten entfallen (sog. Landesproporz). Die Einzelheiten
des komplizierten Verteilungsverfahrens sind in § 6 Abs. 2, Abs. 6 BWahlG
geregelt.
Von den so ermittelten Mandaten, die auf eine einzelne Landesliste entfallen,
werden die in dem Land in den Wahlkreisen erzielten Direktmandate
abgezogen (§ 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG). Die verbleibenden Mandate werden
nun in der Kandidatenreihenfolge der Landesliste besetzt (§ 6 Abs. 6 S. 4
BWahlG), wobei die Bewerber, die direkt gewählt sind, im Falle ihrer
Aufstellung auch auf der Landesliste unberücksichtigt bleiben (§ 6 Abs. 6 S. 5
BWahlG). Hat eine Partei in einem Bundesland (nicht: im Bundesgebiet) mehr
Direktmandate erzielt, als ihr Mandate nach dem Landesproporz in diesem
Land zustehen, so verbleiben ihr diese Direktmandate und wird die gesetzliche
Mitgliederzahl des Bundestages entsprechend erhöht (§ 6 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5
BWahlG; sog. Überhangmandate). Nach einer Neuregelung des Wahlrechts
(siehe unten) findet jedoch nunmehr ein vollständiger Listenausgleich statt, d.h.
auch andere Parteien erhalten proportional Sitze zugewiesen.
cc)
Probleme des geltenden Wahlrechts

Überhangmandate
sind
problematisch
im
Hinblick
auf
die
Erfolgswertgleichheit der Stimmen (Grundsatz der Gleichheit der Wahl). Der BT
entspricht nicht mehr dem Verhältnis der Zweitstimmen, sodass die
Wählerstimmen unterschiedliches Gewicht besitzen. BVerfGE 95, 335 hat in einer
4-4 Entscheidung die Entstehung von Überhangmandaten als verfassungsgemäß
angesehen. Im Jahr 2012 hat das BVerfG überraschend in einer einstimmigen
Entscheidung die Zahl der möglichen Überhangmandate begrenzt. In dem vom
Gesetzgeber geschaffenen System der mit der Personenwahl verbundenen
Verhältniswahl seien Überhangmandate (§ 6 Abs. 5 BWahlG) nur in einem
Umfang hinnehmbar, der den Grundcharakter der Wahl als einer Verhältniswahl
nicht aufhebt. Die Grundsätze der Gleichheit der Wahl sowie der
Chancengleichheit der Parteien sind bei einem Anfall von Überhangmandaten im
Umfang von mehr als etwa einer halben Fraktionsstärke verletzt, was in der Sache
15 Sitze ausmacht. Siehe BVerfGE 131, 316.
Der Gesetzgeber hat freilich als Resultat eines langen Aushandlungsprozesses
nunmehr keine – verfassungsrechtlich mögliche – Deckelung eingeführt, sondern
einen vollständigen proportionalen Ausgleich der Sitze. § 6 Abs. 5 BWahlG lautet
nunmehr:
„Die Zahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze wird so lange erhöht,
bis jede Partei bei der zweiten Verteilung der Sitze nach Absatz 6 Satz 1
mindestens die bei der ersten Verteilung nach den Absätzen 2 und 3 für sie
ermittelten zuzüglich der in den Wahlkreisen errungenen Sitze erhält, die nicht
nach Absatz 4 Satz 1 von der Zahl der für die Landesliste ermittelten Sitze
abgerechnet werden können. Die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) erhöht
sich um die Unterschiedszahl.“
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht

7
5% - Sperrklausel: Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 BWahlG bleiben Parteien unter 5%
der Zweitstimmen bei der Sitzverteilung unberücksichtigt. Die für diese Parteien
abgegebenen Stimmen haben also keinen Erfolgswert. Die Rechtsprechung
rechtfertigt die Einschränkung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl durch die
Wahrung der Funktionsfähigkeit der Parlamentes und die Sicherung der
Möglichkeit
der
Bildung
regierungsfähiger
Mehrheiten.
Mehrere
Landesverfassungsgerichte haben zwischenzeitlich die Sperrklausel für
Kommunalwahlen als verfassungswidrig angesehen, da keine Hinweise
Bestünden, dass ohne Sperrklausel die Funktionsfähigkeit des Rates beeinträchtigt
werde (VerfGH NW, DVBl. 1999, 1271 (Kommunalwahl in NRW); BVerfGE
120, 92 (Kommunalwahl in Schleswig-Holstein).
→ Hinsichtlich der Europawahl hat das BVerfG demgegenüber die parallele
Sperrklausel des § 2 Abs. 7 EurWahlG zunächst für 5 % und dann für 3 %
(gemessen an Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG!) für verfassungswidrig
erachtet und dies damit begründet, dass die politische Mechanik des
Europaparlaments eine grundsätzlich andere sei, namentlich nicht auf stabilen
Regierungsmehrheiten beruhe. Siehe BVerfGE 129, 300; BVerfG, Urt. v. 26.
2. 2014, 2 BvE 2/13.

d)
Negatives Stimmgewicht: Das Verfahren der Mandatsverteilung nach dem
BWahlG kann zu dem paradoxen Ergebnis führen, dass eine höhere Anzahl von
Zweitstimmen die Sitzzahl einer Partei im BT nicht erhöht, sondern verringert.
Nach dem BVerfG (BVerfGE 121, 266) verstößt das geltende Wahlrecht deshalb
gegen den Grundsatz der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl. Es hat den
Gesetzgeber beauftragt, bis zum 30.6.2011 das BWahlG zu ändern. Zu möglichen
Änderungen des BWahlG vgl. Hettlage, ZRP 2011, 1, 3 f. Dies ist erfolgt, wurde
freilich wieder kassiert, BVerfGE 131, 316.
Wahlprüfungsverfahren
Rechtsgrundlagen für das Wahlprüfungsverfahren sind Art. 41 GG, § 48 BVerfGG, §
49 BWahlG, WahlprüfG. Das Wahlprüfungsverfahren ist ein objektives
Beanstandungsverfahren, es ist deshalb keine Verletzung des Antragstellers in
eigenen Rechten erforderlich. Gegenstand des Verfahrens ist die Überprüfung der
Gültigkeit einer Wahl, d.h. die Einhaltung des geltenden Wahlrechts, nicht aber die
Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Wahlrechts (→ abstrakte
Normenkontrolle).
Antragsteller müssen zunächst Einspruch gegen die Gültigkeit einer Wahl beim BT
einlegen. Wenn dieser den Einspruch ablehnt, kann die Wahlprüfungsbeschwerde
vor dem BVerfG erhoben werden. Ein relevanter Wahlfehler liegt nur dann vor, wenn
die Nichteinhaltung des Wahlrechts Mandatsrelevanz hatte, sich also tatsächlich auf
die Zusammensetzung des BT ausgewirkt hat. Grundsätzlich besteht ein
Bestandsschutz der gewählten Volksvertretung, sodass für die Erklärung der
Ungültigkeit einer Wahl hohe Hürden bestehen.
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3.
Parteien in der Demokratie
a)
Funktion der Parteien
8
Nach Art. 21 Abs. 1 GG wirken Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes
mit. Sie haben also eine Mittlerfunktion: Parteien sind einerseits gesellschaftliche
Gliederungen, die außerhalb der Staatsorganisation stehen, verfolgen aber
andererseits das Ziel, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken und
hierdurch über Wahlen auf die Staatswillensbildung Einfluss zu nehmen.
→
b)
Kein Teil der Staatsorganisation, aber verfassungsrechtliche Institution
Parteibegriff
Funktional auf die Mitwirkung auf Wahlen bezogen. Wahlen sind Parlamentswahlen
in Bund und Ländern, keine bloßen Kommunalwahlen („Rathauspartei“ ist keine
Partei iSd Art. 21 GG). Die Rechtsprechung nimmt hierbei eine Überprüfung der
Ernsthaftigkeit vor, was ernsthafte Zielsetzungen und eine hinreichend stabile
Organisation voraussetzt. Bloße „Bürgerinitiativen“ oder ad hoc gebildete Protestbzw. Aktionsbündnisse sind keine Parteien. Parteien müssen zudem organisatorisch
und inhaltlich von anderen Verbänden (etwa Unternehmen, Kirchen, Gewerkschaften)
verselbstständigt sein, also ihren inneren Willen selbstständig und nicht als
„Marionette“ bilden.
Aus Art. 21 Abs. 2 GG folgt, dass es auf eine inhaltliche Ausrichtung nicht
ankommt; auch die verfassungsfeindliche Partei ist Partei.
Eine einfachgesetzliche Ausformung des Parteienbegriffs findet sich in § 2 PartG.
„(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für
den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß
nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem
Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der
Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine
ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder
einer Partei können nur natürliche Personen sein.“
§ 21 Abs. 1 Satz 2 PartG stellt hierbei sicher, dass Parteien an die einzelnen
Staatsbürger angebunden bleiben und nicht verlängerter Arm einer anderen
Organisation ist.
„(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre
lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen
Wahlvorschlägen teilgenommen hat.“
§ 2 Abs. 2 PartG stellt die spezifische politische Zielsetzung einer Partei sicher, die es
zugleich rechtfertigt, Parteien mit staatlichen Mitteln zu finanzieren.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
9
„(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn
1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit
Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses
Gesetzes befindet.“
In § 2 Abs. 3 PartG taucht erneut der Konnex zu Parlamentswahlen auf, die deutschen
Staatsangehörigen vorbehalten sind.
c)
Staatsferne und Chancengleichheit
Art. 21 Abs. 1 GG
Gleichbehandlung.
gewährleistet
Parteien
sowohl
Freiheit
als
auch
•
Staatliche Eingriffe in die Betätigung der Parteien sind grundsätzlich
unzulässig. Als gesellschaftliche Kräfte können sie sich im Rahmen des Art. 19
Abs. 3 GG zudem auf alle Grundrechte berufen.
•
Chancengleichheit bedeutet formale Gleichbehandlung und Inhaltsneutralität,
also z. B. Wahlkampfkostenerstattung nach Maßnahme der erlangen
Wählerstimmen, nicht nach Maßgabe der politischen Zielsetzung. Beim
Zugang zu öffentlichen Einrichtungen kann die Chancengleichheit das
staatliche Ermessen auf Null reduzieren, wenn auch andere Parteien Zugang
gewährt worden ist. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die
Chancengleichheit zu beachten und muss z. B. bei der Wahlwerbung
proportional gleichen Zugang gewähren, wobei eine quantitative Abstufung
nach Maßgabe der bisherigen Wahlerfolge zulässig ist. Eine einfachgesetzliche
Konkretisierung enthält § 5 Abs. 1 PartG:
„Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur
Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt, sollen alle
Parteien gleichbehandelt werden. Der Umfang der Gewährung kann nach der
Bedeutung der Parteien bis zu dem für die Erreichung ihres Zweckes
erforderlichen Mindestmaß abgestuft werden. Die Bedeutung der Parteien
bemißt sich insbesondere auch nach den Ergebnissen vorausgegangener
Wahlen zu Volksvertretungen. Für eine Partei, die im Bundestag in
Fraktionsstärke vertreten ist, muß der Umfang der Gewährung mindestens
halb so groß wie für jede andere Partei sein.“
Eine Zugangsverweigerung ist allerdings möglich, sofern sachliche Gründe
vorliegen, die sich nicht auf die Verfassungsfeindlichkeit der Partei beziehen,
sondern gegen allgemeine Gefahren (z. B. Verletzung von Strafgesetzen,
sittenwidrige Handlungen) gerichtet sind.
Lesehinweis: BVerfG-K, NVwZ-RR 2006, 369; OVG Koblenz, NJW 2005, 3593:
Menschenunwürdige Wahlwerbung (Anarchistische Pogo Partei Deutschlands).
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
•
10
Verfassungsprozess: Soweit Parteien in ihrer Rolle als Institution des
Verfassungslebens betroffen sind, sind sie nach ständiger Rechtsprechung als
„andere Beteiligte“ im Organstreit beteiligtenfähig (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG,
§§ 63 ff. BVerfGG). Voraussetzung ist allerdings, dass auch der Antragsgegner
organstreitfähig ist. Im Übrigen können Parteien gegenüber sonstigen
Beteiligten (z. B. Kommunen) oder außerhalb ihrer verfassungsunmittelbaren
Funktionen ihre Grundrechte im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend
machen. Für innerparteiliche Streitigkeiten ist der ordentliche Rechtsweg
eröffnet (Zivilrechtsstreitigkeit).
Die relative „Staatsnähe“ der Parteien ist auch immer dort zu beachten, wo die
Verfassung (namentlich die Grundrechte) eine „Staatsferne“ garantieren, etwa im
Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Medienbeteiligungen von Parteien an
Rundfunkunternehmen müssen daher nach dem BVerfG einerseits in Relation zu
anderen gesellschaftlichen Kräften stark begrenzt sein, um einen mit Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG unvereinbaren „Staatsrundfunk“ über die Hintertür zu vermeiden. Ein
vollständiges Verbot der Beteiligung sei allerdings unverhältnismäßig
(→ BVerfGE 121, 30).
Auch die staatliche Parteienfinanzierung muss die Chancengleichheit wahren.
Einerseits ist eine unmittelbare Förderung von Parteien durch den Staat zulässig, schon
um Parteien nicht in die Abhängigkeit von finanzstarken Interessengruppen zu treiben.
Nach der Rechtsprechung darf es sich jedoch lediglich um eine staatliche
Teilfinanzierung handeln, während die Initiative bei den Bürgern verbleibt.
d)
•
Finanzierung nach Wahlerfolg (vgl. § 18 PartG: „Wahlkampfkostenerstattung“), da eine erfolgsunabhängige Basisfinanzierung mit Recht als
verfassungswidrig erachtet wird.
•
Spendenfinanzierung: Der Staat darf Parteispenden steuerlich privilegieren,
allerdings nur bis zu einer Höhe, die ein Durchschnittsverdiener theoretisch
noch aufbringen kann, um den gleichheitswidrigen Einfluss finanzmächtiger
Interessengruppen auf Parteien zu begrenzen. Vgl. im Einzelnen § 10b Abs. 2
EStG: Abzugsfähigkeit bis zu 1650 Euro pro Person.
Demokratische Binnenstruktur
Die innere Ordnung der Parteien muss demokratischen Grundsätzen entsprechen,
sprich: es muss eine Willensbildung von unten nach oben stattfinden.
e)
Verfassungsfeindliche Parteien und Parteiverbot
Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG legt die materiellen Maßstäbe der Qualifikation einer Partei
als verfassungsfeindlich fest und bestimmt die Rechtsfolge: „Parteien, die nach ihren
Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand
der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Das
Grundgesetz hat sich insoweit für das Konzept der wehrhaften Demokratie
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
11
entschieden, die ihre eigenen elementaren Wirkungsbedingungen auch gegenüber
Umstürzen im demokratischen Prozess schützt. Art. 21 Abs. 2 GG steht insoweit in
einem Funktionszusammenhang mit Art. 79 Abs. 3 GG.
Freiheitliche demokratische Grundordnung:
-
Kernbestand an Menschenrechten (Menschenwürdekern nach Art. 1 Abs. 1
GG);
-
Staatsorganisation: die in Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 GG niedergelegten
Grundsätze;
-
Politische
Willensbildung
nach
demokratischen
Mehrparteiensystem, Chancengleichheit, Opposition.
-
Bestand der Bundesrepublik Deutschland: Existenz als unabhängiger Staat
im Sinne des Völkerrechts
Grundsätzen:
Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG enthält demgegenüber eine prozessuale Anforderung: Über
die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das
BVerfG verfügt also über ein Verbotsmonopol. Solange eine Partei nicht verboten
wurde, lässt sich ihr also ihre materielle Verfassungswidrigkeit nicht entgegenhalten.
So muss z. B. auch einer materiell verfassungswidrigen Partei gleicher Zugang zu
öffentlichen Einrichtungen gewährt werden und proportional zu ihrer Bedeutung
gleiche Sendezeiten für Zwecke des Wahlkampfes eingeräumt werden.
Art. 21 Abs. 2 GG verbietet es jedoch nicht, an Beamte und Beschäftigte im
öffentlichen Dienst weitergehende Anforderungen an die Verfassungstreue zu stellen.
Der Pflicht des Beamten zur objektiv neutralen und unparteiischen Amtsführung sowie
der Gehorsamspflicht korrespondiert nämlich eine allgemeine politische
Treuepflicht, die unmittelbar aus Art. 33 Abs. 5 GG abzuleiten ist. Diese verpflichtet
den Beamten, sich in seinem ganzen Verhalten zur freiheitlichen demokratischen
Grundordnung zu bekennen und sich mit der Verfassung zu identifizieren. Dies
bedeutet ein positives Bekenntnis, nicht lediglich eine Hinnahme in Passivität oder
ein bloßen Unterlassen verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Die politische
Treupflicht erstreckt sich auch auf das außerdienstliche Verhalten des Beamten. Die
Treupflicht wird etwa verletzt, wenn sich der Beamte in verfassungsfeindlichen
Parteien betätigt, und zwar unabhängig davon, ob diese gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 2
GG verboten wurden oder nicht. Aus Art. 33 V GG folgen insoweit weiterreichende
Pflichten für Beamte als aus Art. 21 GG, der den politischen Meinungskampf in der
Gesellschaft (sprich: außerhalb der organisierten Staatlichkeit) betrifft. Bewerber auf
ein Amt, die nicht die hinreichende Gewähr für die politische Treue bieten, sind
ungeeignet im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG und können daher abgelehnt werden.
Eine Verletzung der politischen Treuepflicht ist ein Dienstvergehen, das im Extremfall
zur Entfernung aus dem Dienst führen kann.
II.
Demokratische Staatsorganisation
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). Nach der
Rechtsprechung des BVerfG erfordert jede Ausübung von Staatsgewalt demokratische
Legitimation. Staatsgewalt als Legitimationsobjekt muss also auf das Volk als
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Legitimationssubjekt rückführbar sein. Ausübung von Staatsgewalt meint amtliches
Handeln mit Entscheidungscharakter
BVerfGE 83, 60 (73); 93, 37 (68).
Dies ist mehr als lediglich die außenwirksame Wahrnehmung von Hoheitsrechten,
sondern erfasst darüber hinaus auch demokratisch wesentliche Entscheidungen im
Bereich der inneren Organisation der Verwaltung. Die Legitimationsbedürftigkeit
ist hierbei unabhängig von der gewählten Organisations- oder Handlungsform, kann
also auch privatrechtliche Formen staatlichen Handelns einschließen.
Die Vermittlung demokratischer Legitimation verläuft über unterschiedliche Stränge.
Der Verfassungsgeber selbst hat zunächst die im Grundgesetz näher ausgeformten
Träger staatlicher Funktionen als demokratisch konstituiert, also demokratische
Legitimation abstrakt institutionalisiert (funktionelle bzw. institutionelle
Legitimation). Alle drei Staatsgewalten sind hiernach unter Beachtung
funktionsspezifischer Unterschiede in der Form der Legitimationsmittlung
demokratisch legitimiert. Dies gilt namentlich auch für die Exekutive (Art. 20 Abs. 2
Satz 2 GG) und die Judikative (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, 92 GG). Allein die
institutionelle Legitimation der jeweiligen Gewalt im organisatorischen Sinne bleibt
abstrakt und vermittelt indes noch keine spezifische Legitimation auch für einzelne
Entscheidungen, denn anderenfalls könnten sich einmal konstituierte Organe aus
demokratischen Bindungen im Wesentlichen verselbstständigen.
Die organisatorisch-personelle Legitimation wird durch eine ununterbrochene
Legitimationskette vom Volk bis zum entscheidenden Organ hergestellt. Das
Parlament wird durch demokratische Wahlen konstituiert. Dieses vermittelt wiederum
der Exekutive Legitimation durch einen Wahlakt. Die Exekutive kann diese
Legitimation wiederum weitervermitteln, indem jeder Amtsträger nur dadurch in sein
Amt berufen wird, dass er seinen amtlichen Status auf die amtliche Handlung eines
seinerseits (mittelbar) vom Volk legitimierten Amtswalters zurückführen kann. Hier
zeigt sich unmittelbar die Konnexität von Ämterhierarchie und demokratischer
Herrschaftsform. Die beamtenrechtliche Ernennung vermittelt die notwendige
organisatorisch-personelle Legitimation.
Analoges gilt für den Richter, der daher notwendigerweise ebenfalls durch ein
demokratisch legitimiertes Organ der Exekutive oder einen demokratisch eingesetzten
Richterwahlausschuss (vgl. Art. 98 Abs. 4 GG) ausgewählt und durch die
Justizverwaltung als Teil der vollziehenden Gewalt ernannt wird. Auch Angestellte im
öffentlichen Dienst sind im Übrigen notwendig demokratisch legitimiert; die
Legitimation wird hier dadurch hergestellt, dass die Personalauswahl und
arbeitsrechtliche Anstellung nur durch demokratisch legitimiertes Personal vermittelt
wird.
Konkrete Legitimation muss zudem darauf gerichtet sein, die Ausübung von
Staatsgewalt auch ihrem Inhalt nach auf das Volk zurückzuführen (sachlichinhaltliche Legitimation). Wichtigste Form inhaltlicher Determination der Exekutive
und Judikative ist die Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3, 97 GG). Das vom Parlament
beschlossene demokratische Gesetz verleiht staatlichem Handeln erst die notwendigen
Ziele, Bindungen und Grenzen. Ergänzt wird die Gesetzesbindung im Fall der
Exekutive durch die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament.
Diese Verantwortlichkeit wird „nach unten“ durch ununterbrochene Weisungsketten
vom verantwortlichen Ressortminister zum entscheidenden Amtswalter
weitervermittelt. Die Weisungsgebundenheit des Beamten (vgl. etwa § 35
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Beamtenstatutsgesetz) ist daher unmittelbarer Ausdruck einer demokratischen
Staatsorganisation. Die hiervon abweichende Weisungsfreiheit des Richters folgt aus
der spezifischen Funktion unabhängiger Rechtsprechung (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG) und
ist daher institutionell durch die Verfassung abgesichert.
Nach ständiger Rechtsprechung ist es grundsätzlich erforderlich, dass die Ausübung
von Staatsgewalt sowohl organisatorisch-personell als auch sachlich-inhaltlich
demokratisch hinreichend legitimiert ist. Die Verdünnung eines Legitimationsstranges
lässt sich hierbei in Grenzen dadurch kompensieren, dass ein anderer
Legitimationsstrang umso dichtere Bindungen vermittelt. Erforderlich ist ein
insgesamt hinreichendes Legitimationsniveau.
Siehe BVerfGE 93, 37 (67); 119, 331 (366); RhPfVerfGH, NVwZ-RR 1994, 665 (668);
BerlVerfGH, NVwZ 2000, 794.
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