Stammzellen 1. Was ist eine Stammzelle? Stammzellen haben die Fähigkeit, sich in Zellkulturen unendlich oft zu teilen und sich zu spezialisierten Zellen weiterzuentwickeln. Am besten kann man die Natur der Stammzellen verstehen, wenn man sich die Entwicklung des menschlichen Embryos ansieht. Mit der Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium entsteht eine einzige Zelle, welche das Potential hat, einen vollständigen Organismus zu bilden. Diese befruchtete Eizelle ist totipotent dh. ihr Potential ist total. In den folgenden Stunden teilt sich diese Zelle in mehrere identische ebenfalls totipotente Zellen. Würde man nun irgendeine dieser Zellen in einen Uterus implantieren, könnte sich daraus ein Fetus entwickeln. In der Tat, bei der Entstehung von eineiigen Zwillingen teilen sich totipotente Zellen auf, womit zwei genetisch identische Menschen entstehen. Etwa 4 Tage nach der Befruchtung und einigen Zellteilungszyklen beginnen sich diese totipotenten Zellen zu spezialisieren und bilden eine hohle (äussere) Zellmasse, welche eine Ansammlung von Zellen an einer Stelle im Innern aufweist (den Blastozysten). Die äussere Zellmasse wird die Plazenta und andere zur Versorgung des Feten wichtige Strukturen bilden, während die innere Zellmasse sich zu den verschiedenen Körpergeweben des Feten ausbilden wird. Die innere Zellmasse kann sich zwar in jede erdenkliche Körperzelle weiterdifferenzieren, sie ist aber nicht in der Lage, einen Organismus zu bilden, da sie keine Plazenta bilden kann, welche die Voraussetzung für eine erfolgreiche intrauterine Entwicklung darstellt. Diese innere Zellmasse ist nur noch pluripotent dh. sie kann sich zwar zu allen Zelltypen des menschlichen Körpers ausdifferenzieren, nicht aber zu den Geweben, welche für eine erfolgreiche Schwangerschaft notwendig sind. Weil ihr Potential nicht total ist, sind sie nicht totipotent und Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 2 würden sich auch nicht zu einem Fetus weiterentwickeln, wenn man sie in einen Uterus einsetzen würde. Die pluripotenten Stammzellen spezialisieren sich weiter zu Stammzellen, aus welchen sich ganz bestimmte Zelllinien weiterentwickeln können, welche eine spezifische Funktion haben. So entwickeln sich zB. Blut-Stammzellen in rote und weisse Blutkörperchen sowie Thrombozyten weiter, während sich Haut-Stammzellen sich in die verschiedenen Anteile der Haut weiterentwickeln können. Diese mehr spezialisierten Stammzellen nennt man multipotent. Multipotente Stammzellen finden sich aber auch bei erwachsenen Menschen. So finden sich im Knochenmark des erwachsenen Menschen Blut-Stammzellen, welche sogar vereinzelt im Blut zu finden sind. Diese Blut-Stammzellen haben die Aufgabe, immer wieder neue Ec, Lc und Tc zu bilden, welche im Laufe des Lebens ersetzt werden müssen. Ohne Blut-Stammzellen könnte ein Mensch nicht überleben. Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 3 2. Wie werden pluripotente Stammzellen gewonnen? Zur Zeit werden pluripotente Stammzellen auf 2 Arten gewonnen: • Direkte Isolation dieser Zellen aus der inneren Zellmasse von Blastozysten, welche im Rahmen einer IVF-Therapie als Überschuss wegfielen. Diese Embryonen wurden in der Absicht der Reproduktion und nicht als Forschungsobjekte erzeugt, die Eltern gaben ihre Zustimmung. • Isolation pluripotenter Stammzellen aus fetalem Gewebe (Testes, Ovarien) bei Abtreibungen, wiederum mit Zustimmung der Frau und unabhängig vom Entscheid zur Interruptio. Eine weitere Möglichkeit besteht im somatischen Zellkern Transfer (SCNT), bei welchem aus einer mütterlichen Eizelle der Zellkern entfernt und durch einen Zellkern aus einer somatischen Zelle (dh. nicht dem Kern einer Eizelle oder eines Spermiums) ersetzt wird. Das Zytoplasma der Eizelle enthält alle Stoffe und Voraussetzungen, um sich zu einem Embryo weiterzuentwickeln. Diese Zellen und ihre Nachkommen werden als totipotent betrachtet. Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 4 3. Potentieller Anwendungsbereich von pluripotenten Stammzellen Es gibt verschiedene Gründe, warum die Isolation von pluripotenten Stammzellen für die Wissenschaft und den medizinischen Fortschritt so wichtig ist. • Pluripotente Stammzellen helfen uns im Verständnis der Abläufe menschlicher Entwicklung, wobei insbesondere Aspekte der Zellteilung und Differenzierung in bestimmte Gewebe von Interesse ist. Die Erforschung von Faktoren, welche entscheiden, ob gewisse Gene ein- oder ausgeschaltet werden, steht im Zentrum der Forschung. So hofft man, in Zukunft Krebs oder kindliche Missbildungen an der Wurzel bekämpfen zu können. • Die Testung neuer Pharmaka an menschlichen Stammzelllinien oder Geweben, welche sich aus Stammzellen entwickelt haben, könnte die Sicherheit neuer Substanzen erhöhten und den Prozess der Medikamententestung verkürzen. Nur die Substanzen, welche diese Test bestanden haben, würden weiter am Tier und später am Menschen geprüft. • Der grösste Gewinn aus pluripotenten Stammzellen ist die Erzeugung von Zellen und Geweben, welche für "Zell-Therapien" genutzt werden können. Viele Krankheiten führen zur Schwächung oder Zerstörung von Organen, die Organtransplantation ist oft die letzte Möglichkeit. Pluripotente Stammzellen - so stimuliert, dass sich diese in bestimmte Gewebe entwickeln - können so eine stetig erneuerbaren Quelle von Ersatzzellen und gewebe darstellen, welche zur Behandlung vieler Krankheiten eingesetzt werden kann. Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 5 Krankheiten, deren Behandlung mit einer Stammzell-Therapie denkbar ist, umfassen: - Parkinson - Alzheimer - Rückenmarksverletzungen und Querschnittlähmung - Hirnschlag - Verbrennungen - Herzerkrankungen inkl. Herzinfarkt - Diabetes - Osteoarthritis - Rheumatoide Arthritis. Es gibt kaum ein Gebiet in der Medizin, welches nicht auf irgendeine Weise von Stammzellen profitieren könnte. Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 6 Beispiele: Transplantation gesunder Herzmuskelzellen bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz, um die Funktion des Herzens wieder zu verbessern. In Tierversuchen ist es gelungen, kranke Herzen mit gesunden Herzmuskelzellen zu besiedeln, welche mit den Wirtszellen zusammen gearbeitet haben. Bei Patientin mit Typ-I-Diabetes, bei denen die Inselzellen im Pankreas geschädigt sind, kann der Insulinbedarf verringert werden durch eine Transplantation von Inselzellen. Inselzellen, welche aus pluripotenten Stammzellen abgeleitet wurden, können nicht nur zur Diabetesforschung, sondern auch zur Therapie von Diabetes-Patienten verwendet werden. Während diese Forschung ein ausserordentliches Versprechen für die Zukunft mit sich bringt, sind noch viele technische Hürden zu überwinden. Dies erscheint aber möglich. Zuerst muss die Grundlagenforschung die Mechanismen enthüllen, welche die Spezialisierung von Stammzellen in bestimmte Zelllinien steuern, damit die gewünschten Gewebe gezielt hergestellt werden können. Weiters muss das Problem der Immun-Abstossung gelöst werden, indem humane pluripotente Stammzellen modifiziert werden, um die Gewebeunverträglichkeit zu vermindern oder indem entsprechende Datenbanken geschaffen werden, um Spender und Empfänger zusammenbringen zu können. Eine weitere Möglichkeit ist der somatische Kernzell Transfer (SCNT), bei welchem der Kern einer Zelle des Patienten mit einer Spender-Eizelle fusioniert wird. Aus der so entstandenen Blastozyste werden aus der inneren Zellmasse pluripotente Stammzellen entnommen, aus welchen das gewünschte Gewebe gebildet wird. Nachdem die genetischen Informationen im Zellkern gespeichert sind, entwickelt sich ein Gewebe, welches mit dem Empfänger verträglich ist bzw. keine Abstossungsreaktion hervorruft. 4. Adulte Stammzellen Auch beim erwachsenen Menschen finden sich an verschiedenen Orten Stammzellen, welche den Nachschub zum Ersatz verbrauchter Zellen sicherzustellen. Als Beispiel wurde die BlutStammzelle bereits erwähnt. Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 7 Es wurden nicht in allen Geweben Stammzellen gefunden, doch die Forschung entdeckt immer wieder neue Orte, an denen Stammzellen vorkommen. Bis vor kurzem herrschte die Meinung, dass das Nervensystem keine Stammzellen besitzt bzw. sich nicht regenerieren kann. Doch aus dem Nervensystem von Ratten und Mäusen konnten neuronale Stammzellen isoliert werden und es gibt Hinweise, dass solche Stammzellen auch im menschlichen Nervensystem vorkommen, womit diese Meinung bald revidiert werden muss. 5. Haben adulte Stammzellen das gleiche Potential wie pluripotente Stammzellen? Bis vor kurzem glaubte man, dass es nicht möglich ist, dass multipotente Stammzellen wie BlutStammzellen sich zu anderen Zellen wie Leberzellen, Hautzellen oder irgendwelche andere Zellen um-differenzieren könnten. Die neuere Forschung hat aber gezeigt, dass es möglich ist, Stammzellen umzupolen und in eine andere Zelllinie zu überführen. In Tierversuchen mit Mäusen wurde neuronale Stammzellen ins Knochenmark implantiert, wo diese sich umwandelten und Blut zu produzieren begannen. Bei Ratten liessen sich Stammzellen aus dem Knochenmark dazu bringen, Leberzellen zu produzieren. 6. Warum kann die Forschung nicht alleine mit adulten Stammzellen betrieben werden? Wenn wir adulte Stammzellen eines Patienten gewinnen könnten, diese zur Teilung in Richtung einer gewünschten Zelllinie bringen könnten und diese dem Patienten wieder implantierten, würde das Problem der Abstossung gelöst sein. Dies würde auch das ethische Problem lösen, welche gewisse Kreise mit der Stammzellgewinnung aus fetalem oder embryonalen Gewebe haben. Trotzdem gibt es gewisse Probleme mit adulten Stammzellen. Bisher wurden nicht für alle Gewebetypen adulte Stammzellen gefunden, insbesondere nicht adulte Herzmuskel-Stammzellen oder adulte Pankreas-Inselzell-Stammzellen. Adulte Stammzellen sind oft nur in minimalen Mengen vorhanden und deren Isolation und Reinigung ist entsprechend aufwendig, zudem müssen diese kulturell gezüchtet werden. Für gewisse akute Erkrankungen reicht die Zeit nicht. Bei anderen genetisch vererbten Krankheiten haben die Stammzellen den gleichen Defekt, weshalb diese für eine Transplantation ungeeignet sind. Dann haben adulte Stammzellen auch ein geringeres Wachstumspotential als jüngere Stammzellen. Zuletzt haben adulte Stammzellen einen höheren Grad an DNAVerunreinigungen, welche durch Sonnenbestrahlung, Toxine, Virusinfektionen und Fehler bei der Zellteilung entstanden sind. Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001 Stammzellen Seite 8 Die Erforschung sehr früher Entwicklungsstadien der Zellspezialisierung ist nicht möglich, da adulte Stammzellen bereits weiter ausdifferenziert sind als pluripotente Stammzellen. Ein adulte Stammzelle kann vielleicht 3 oder 4 Gewebetypen bilden, doch ist es heute noch unklar, ob diese wirklich pluripotent sind. 7. Zusammenfassung Aufgrund des enormen Potentials der Stammzellen ist es notwendig, die Forschung auf allen Ebenen voranzutreiben. Die Entwicklung von Stammzelllinien - sowohl pluripotent wie multipotent - welche verschiedene Gewebe des menschlichen Körpers bilden können, ist ein Meilenstein in der medizinischen Entwicklung und man darf sagen, dass Stammzellen das Potential haben die Medizin zu revolutionieren und die Qualität und Länge des menschlichen Lebens zu verbessern. Quelle: Stem Cells, A Primer (National Institute of Health, May 2000) Hebammenschule am KSSG • Dr. P. Böhi 12.7.2001