Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel Ein Studie zum Wahlverhalten in Deutschland lebender Muslime und über die Möglichkeiten einer islamischen Partei-Gründung Felix Struening Abrufbar unter: [http://europenews.dk/de/node/15453] Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 2 Inhalt Inhalt ...................................................................................................................................... 2 Abkürzungen ......................................................................................................................... 3 Einleitung .............................................................................................................................. 4 Fragestellung ..................................................................................................................... 5 Quellenlage ........................................................................................................................ 6 Definitionen ....................................................................................................................... 6 Islam, Islamismus, politischer Islam ............................................................................. 6 Politische Parteien, Parteisystem ................................................................................... 7 A. Islamische Wählerklientel und Abgeordnete .................................................................... 8 A.1. Islamische Wählerklientel und deutsche Parteien ..................................................... 8 A.1.1. Wahlpräferenzen von Muslimen ........................................................................ 9 A.1.1.1. Bundestagswahlen ..................................................................................... 10 A.1.1.2. Landtagswahlen ......................................................................................... 11 A.1.2. Islamische Organisationen und ihre Wahlprüfsteine ........................................ 13 A.1.2.1. Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. ............................................. 13 A.1.2.2. Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland ........................................... 14 A.1.2.3. Muslim Markt ............................................................................................ 15 A.1.2.4. Deutsche Muslim Liga e.V. ....................................................................... 16 A.1.2.5. Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. ......................... 17 A.1.2.6. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs ....................................................... 17 A.1.2.7. Vergleich: Wahlempfehlungen Christlicher Gruppierungen ..................... 18 A.2. Islamische Abgeordnete .......................................................................................... 19 B. Etablierung einer islamischen Partei in Deutschland...................................................... 20 B.1. Muslime in Deutschland – eine neue cleavage structure? ....................................... 20 B.2. Beispiel: Partei Bibeltreuer Christen ....................................................................... 21 B.3. Gedankenexperiment ............................................................................................... 22 Fazit ..................................................................................................................................... 23 Quellen: ............................................................................................................................... 24 Literatur ........................................................................................................................... 24 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel Abkürzungen BüSo CDU CM CSU DITIB DML EKD FDP IMGM IPD NRW PBC REMID REP SPD ZfT ZIA ZMD Bürgerrechtsbewegung Solidarität Christlich Demokratische Union Christliche Mitte Christlich-Soziale Union Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DİYANET İŞLERİ TÜRK İSLAM BİRLİĞİ) Deutsche Muslim Liga e.V. Evangelische Kirche in Deutschland Freie Demokratische Partei Islamische Gemeinschaft Milli Görüs Islamische Partei Deutschlands Nordrhein Westfalen Partei Bibeltreuer Christen Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V. Die Republikaner Sozialdemokratische Partei Deutschlands Zentrum für Türkeistudien Zentralinstitut Islam-Archiv Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. 3 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 4 Einleitung „Meine zentrale These lautet, dass Muslime schlicht neue Interessengruppen und ein neues Wählerreservoir darstellen, und dass die politischen Systeme in Europa sich als Folge dieser veränderten Prozesse der Repräsentation, Herausforderung und Kooperation ebenfalls verändern werden.“1 In ihrer umfassenden Studie zu den politischen Einstellungen muslimischer Eliten in Europa kommt die Politikwissenschaftlerin Jytte Klausen zu diesem nicht zu unterschätzenden Fazit. Es bedeutet, dass der – wie auch immer geartete – Einfluss der in Europa lebenden Muslime das europäische Parteiensystem verändert, wie es z.B. die Ökologiebewegung in den 80er Jahren getan hat. Ob diese These zu halten ist, bzw. in welchem Maße solche Veränderungen bereits stattfinden, soll diese Arbeit für Deutschland klären. In Europa leben mittlerweile über 15 Millionen Muslime, in Regionen mit starker – zum großen Teil illegaler – Zuwanderung steigt der Anteil der Menschen islamischen Glaubens rapide an.2 Die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime wird auf 3,4 Millionen geschätzt.3 Davon sind etwa 400.000 wahlberechtigt, das entspricht 0,7 Prozent aller Wahlberechtigten. Diese Quote wird mit Blick auf die sinkenden Geburtenraten bei von Geburt an Deutschen in den nächsten Jahren deutlich steigen.4 Aufgrund dieser Zahlen wird es für deutsche Parteien immer wichtiger, wie sie sich zu Muslimen und ihren Themen positionieren, insbesondere bei Kommunalwahlen in größeren Städten wie Berlin oder Köln, wo muslimischer Einwanderer in größeren Mengen wohnen. Denn das Wahlempfehlungen bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen wie z.B. religiöser Gemeinschaften entscheidend sein können, wird vor allem deutlich, wenn Bundestagswahlen so knapp ausgehen wie 2002.5 Ein weiterer wichtiger Faktor ist die seit dem 11. September 2001 steigende Einsicht der Muslime, dass sie am öffentlichen und politischen Leben partizipieren sollten.6 1 Jytte Klausen: Europas muslimische Eliten. Wer sie sind und was sie wollen, Frankfurt am Main 2006, S. 10 2 Ebd., S. 14f. 3 REMID: Islam, http://www.religion-online.info/islam/islam.html, 26.07.06 4 Andreas Wüst: Eingebürgerte und Muslime als Wähler, http://www.quantara.de/webcom/show_article.php?wc_c=4688wc_id=4038wc_p=1, 28.07.06. 5 Damals gewann die amtierende Rot-Grün-Regierung mit nur gut 6.000 Stimmen Vorsprung, also hätte es z.B. für einen Regierungswechsel gereicht, wenn ein Großteil der Wähler der Partei Bibeltreuer Christen (die PBC erreichte rund 101.000 Zweitstimmen) CDU/CSU gewählt hätte, siehe REMID: Bundestagswahl 2002, http://www.religion-online.info/christentum/themen/bundestagswahl2002.html, 26.07.06. 6 REMID: Muslime und Bundestagswahl 2002, http://www.religiononline.info/islam/themen/wahl2002.html, 14.07.06. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 5 Aber auch die deutschstämmige Bevölkerung will immer mehr über die politische Einstellung der Parteien gegenüber dem Islam wissen. Spätestens seit dem 11. September 2001 ist das Interesse am Islam in Deutschland und Europa massiv gewachsen. Viele Einwohner empfinden den Islam als Bedrohung und dies in steigender Tendenz.7 Also müssen sich die Parteien nicht nur zu innenpolitischen – meist die Integration betreffenden – Fragen äußern, sondern auch verstärkt zum Nah-Ost-Konflikt Stellung beziehen und ihre Unterstützung der USA im Krieg gegen den Terror bzw. gegen Afghanistan und den Irak bekunden oder verneinen. Nicht zuletzt bewegt die Frage eines möglichen EU-Beitrittes der Türkei die Gemüter der Deutschen, aber auch der hier lebenden Türken. Fragestellung Als Themen für diese Arbeit liegen folgende Fragen vor: Gehen die deutschen Parteien überhaupt explizit auf die muslimische Klientel ein oder z.B. nur auf eingebürgerte Migranten im Allgemeinen? Wissen Muslime in Deutschland über die politischen Ausrichtungen der Parteien bescheid und richten sie ihr Wahlverhalten danach? Gibt es bestimmte Parteien, die bevorzugt gewählt werden und weisen die Wähler islamischen Glaubens eine hohe Parteibindung auf? Haben einzelne Ereignisse wie z.B. die vermeintliche anti-jüdische Haltung der FDP bzw. die Möllemann-Affäre zu einer Erhöhung muslimischer Zuneigung/Stimmen geführt? Spielt die Stellungnahme der jeweiligen Partei zum EU-Beitritt der Türkei eine Rolle? Dazu wird sich diese Untersuchung mit den Wahlprüfsteinen diverser islamischer Organisationen beschäftigen, das reale Wahlverhalten der Muslime einschätzen sowie generelle Einstellungen der Parteien gegenüber Muslimen begutachten. An einigen geeigneten Stellen soll der Blick über die deutsche Perspektive hinaus auf das europäische Ausland gerichtet werden, um durch den Vergleich eine bessere Einschätzung der Lage in Deutschland zu gewährleisten. Ein Nebenthema sind islamische Abgeordnete in deutschen und europäischen Parteien. Dabei stellen sich folgende Fragen: Wie hoch ist die Chance für muslimische Abgeordnete, islamrelevante Themen in den politischen Diskurs einzubringen bzw. bei deren 7 Eine Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach im Auftrag der FAZ fand heraus, dass 65% der Deutschen glauben, dass es in Zukunft zu Konflikten zwischen der westlichen und der arabischmuslimischen Welt kommen wird, 60% meinen der Islam sei undemokratisch, 2004 waren nur 52% dieser Meinung. Die Frage, ob es auch in Deutschland zu Konflikten mit Muslimen kommen wird, bejahen 58% und 22% widersprechen, direkt nach den Attentaten vom 11.09.01 stimmten dem nur 49% zu und 43 verneinten, siehe Elisabeth Noelle/Thomas Peterson, Eine fremde, bedrohliche Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 17.05.06, Nr. 114, S.5. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 6 Aufkommen als Ansprechpartner zu gelten? Werden muslimische Abgeordnete speziell von einer muslimischen Wählerklientel gewählt? Kann eine Partei durch die Aufstellung eines muslimischen Kandidaten mehr muslimische Wähler mobilisieren bzw. für sich gewinnen? Abschließend wird die Möglichkeit eingeschätzt, inwieweit eine islamische Partei im deutschen Parteiensystem Fuß fassen könnte. Dazu erfolgt die Erörterung anhand der cleavage-These von Rokkan und Lipset zur generellen Chance der Etablierung einer neuen Partei, und der Vergleich mit ähnlich strukturierten Parteien in Deutschland – wie z.B. der Partei der bibeltreuen Christen. Quellenlage Die Quellenlage ist unsicher und Informationen sind nur mit Vorbehalt zu verwenden, da es sich z.T. um Selbstdarstellungen handelt. Insbesondere die Selbstdarstellungen islamischer Organisationen wie z.B. Milli Görüs sind schwer einzuschätzen, da dieser Verband vom Verfassungsschutz beobachtet und als extremistische Organisation eingestuft wird.8 Auch das islamische Prinzip der Taqiya darf bei zum Fundamentalismus neigenden Gruppierungen nicht unterschätzt werden.9 Die stichprobenartigen Erfassungen schränken die Möglichkeit zu verallgemeinernden Aussagen stark ein. Nur wenige Studien sind zu diesem Thema verfügbar und Umfragen der islamischen Organisationen entbehren oft systematischer Erhebungsmethoden und fast immer der Repräsentativität. Definitionen Islam, Islamismus, politischer Islam Seit dem 11. September 2001 wird oft vereinfachend von dem Islam, dem Islamismus oder dem politischen Islam gesprochen. Für diese Untersuchung muss jedoch genauer differenziert werden. Ist hier von dem Islam die Rede, dann ist die Religion als solche – unabhängig ihrer Ausprägung sunnitischer, schiitischer oder anderer Art – gemeint, Muslime bezeichnet Anhänger dieser Religion, unabhängig von ihrer ethnischen Zuordnung. 8 Bundesministerium des Inneren: Verfassungsschutzbericht 2003, Berlin 2004 Taqiya: arabisch für Vorsicht, Verstellung. Eine ausführliche Diskussion findet sich bei Hans-Peter Raddatz: Von Allah zum Terror? Der Djihad und die Deformierung des Westens, München 2002. 9 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 7 Die Bereiche Islamismus und fundamentalistischer Islam werden weitestgehend ausgeklammert, da es sich dabei um ablehnende Haltungen gegenüber „Demokratie, Individualisierung, Marktwirtschaft, Menschenrechte(n), Pluralismus und Säkularisierung“10 handelt. Auch wenn fundamentalistische Muslime ihre Ziele mit politischen Mitteln erreichen wollen, so stellen sie doch einen neuen politischen Totalitarismus dar, der oftmals die religiös begründete Scharia als Gesetz verlangt. 11 Somit kommen Anhänger dieser Ausprägungen des Islams für diese Untersuchung nicht primär in Frage, wenn sie auch gelegentlich eine Rolle spielen werden, wenn es z.B. um muslimische Organisationen geht. Der vor allem schiitisch geprägte Jihadismus bleibt gänzlich außen vor, da es sich hierbei um kriegerische Methoden zur Machtgewinnung handelt. Womit diese Arbeit also zu tun hat, ist eine Form des Islam, die keine religiös begründete Politik betreiben will, sondern bei politischen Entscheidungen die Besonderheiten muslimischer Gruppen beachtet wissen möchte. Dies kann z.B. die Einrichtung eines muslimischen Feiertages betreffen oder Sonderregelungen für muslimische Arbeitnehmer zu den Gebetszeiten und im Fastenmonat Ramadan. Insbesondere betrifft dies allerdings das Mitspracherecht muslimischer Vertreter/Organisationen und Anti- Diskriminierungsmaßnahmen. Vor allem die einheitliche Repräsentation der Muslime stellt sich als Problem dar, wie später noch zu zeigen ist. Politische Parteien, Parteisystem Unter Partei wird hier eine „auf Dauer angelegte Organisation politisch gleichgesinnter Menschen“12 verstanden, die nach politischen Ämtern strebt, Vollprogramme aufweist (im Gegensatz zu Vereinen, Interessensverbänden, etc.) und regelmäßig zu Wahlen antritt. Als Parteiensystem sollen für diese Arbeit analog zu Niedermayer die Parteien selbst und die jeweiligen Beziehungen untereinander gelten.13 10 Thomas Tartsch, Islamischer Fundamentalismus und Jihadismus – Bedrohung der inneren Sicherheit?, Bochum 2005, S. 12. 11 Ebd., S. 21. Eine ausführliche Diskussion des Islamismus als totalitäre Staatsform findet sich bei Wahied Wahdat-Hagh: Die islamische Republik Iran. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus, Münster 2003. 12 Klaus Schubert, Martina Klein: Das Politiklexikon, Bonn 2003 13 Oskar Niedermayer: Zur systematischen Analyse der Entwicklung von Parteiensystemen, in: Oscar W. Gabriel/Jürgen Falter (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Frankfurt am Main 1986, S. 20. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 8 A. Islamische Wählerklientel und Abgeordnete A.1. Islamische Wählerklientel und deutsche Parteien Bevor betrachtet wird, ob – und wenn auf welche Art und Weise – die Parteien auf die muslimische Klientel eingehen, stellt sich die Frage, inwieweit Parteien überhaupt auf einzelne programmatische Themen oder Themenfelder reagieren. Eine Untersuchung von Wahlprogrammen deutscher Parteien durch Klingemann und Volkens zeigt ein ausgewogenes Verhältnis der einzelnen Parteien zwischen Programmpartei und reiner Wettbewerbspartei. Letztere würde sich überwiegend an aktuellen – durch Umfragen gewonnenen – Themen orientieren und eine einheitliche politische Linie vernachlässigen. Programmparteien hingegen sind auf ihre Parteiwerte fixiert und passen sich nur langsam oder gar nicht aktuellen Belangen an. Klingemann und Volkens verorten die im deutschen Bundestag vertretenen Parteien alle als Mischform. So konnten z.B. die Grünen ab den 80er-Jahren aufgrund des aufkommenden Ökologiebewusstseins den etablierten Parteien CDU/CSU, SPD und FDP Stimmen abgewinnen, mussten aber relativ schnell mit einem Vollprogramm in den Wahlkämpfen agieren und spätestens mit Übernahme der Regierungsverantwortung 1998 zu allen politischen Themen Stellung beziehen. Damit einher ging die Aufgabe einiger Parteiideale der Anfangszeit, als sich die Grünen noch als Anti-Partei-Partei verstanden hatten. Aus dem Text Klingemanns und Volkens’ lässt sich außerdem ableiten, dass die deutsche Parteienlandschaft so differenziert ist, dass eine reine Programmpartei kaum die Chance hätte, sich zu etablieren.14 Der hohe Differenzierungsgrad des deutschen Parteiensystems spielt vor allem eine Rolle für die mögliche Neugründung einer Partei, wie z.B. einer islamischen Partei. Dies wird jedoch später thematisiert. Der Zugang der Parteien zur islamischen Wählerklientel ist keinesfalls ein leichter, auch nicht für die Parteien, die generell als migrantenfreundlich gelten. Nicht jedes Angebot der Politiker wird von den Muslimen angenommen, andere Vorschläge stoßen im Parteiensystem auf massiven Widerstand. Erinnert sei hier z.B. an Kritik und Spott der großen Parteien, als die Grünen 2004 vorschlugen, in Deutschland einen muslimischen Feiertag einzuführen.15 14 Hans-Dieter Klingemann/Andrea Volkens: Struktur und Entwicklung von Wahlprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1998, in: Oscar W. Gabriel/Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 2001, S. 507-527. 15 Grüne fordern gesetzlichen Feiertag für Muslime, in: Die Welt, 16.11.04, S. 1. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 9 Wie später noch zu zeigen ist, gibt es klare Parteipräferenzen bei den Muslimen. Generell schwer hat es die CDU/CSU aufgrund der für sich proklamierten christlichen Werte. Allerdings trägt die Partei auch immer wieder selbst dazu bei, bei muslimischen Wählern abgelehnt zu werden. Exemplarisch dafür stehe an dieser Stelle der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach: „[…] wir wollen nicht gezwungen werden, dem Islam entgegenzukommen“, Deutschland sei ein christliches Land.16 Dass Christdemokraten eigentlich sehr gut muslimische Wählerklientel aktivieren können, wenn sie das Christentum in ihrem Parteiprogramm nicht überbetonen, zeigt das Beispiel der niederländischen Christdemokraten.17 Die hohe Wichtigkeit traditioneller Werte könnte die CDU/CSU bei Muslimen unter diesen Vorraussetzungen durchaus beliebt machen. Die Wahlergebnisse in Deutschland zeigen aber, dass solche Versuche noch nicht genügend unternommen wurden bzw. nicht fruchteten. Interessant ist das zwiespältige Verhältnis linker Parteien zur muslimischen Wählerklientel. Einerseits wird von Untersuchungen eine zunehmende Ablehnung von Muslimen in vielen Linksparteien konstatiert.18 Andererseits versucht z.B. Oskar Lafontaine Gemeinsamkeiten des Islams und linker Politik zu finden. Der Islam würde Solidarität betonen und übertriebenen Individualismus ablehnen, Muslime würden wie Linke verpflichtet sein zu teilen bzw. Schwächeren zu helfen und das islamische Zinsverbot würde linken Vorstellungen der Wirtschaft gerecht.19 A.1.1. Wahlpräferenzen von Muslimen An dieser Stelle werden die Wahlpräferenzen von Muslimen in Deutschland anhand von Umfragen einiger Institute untersucht. Generell muss man natürlich zwischen InternetBefragungen, an denen alle Muslime teilnehmen können, und direkten Befragungen von Muslimen mit deutscher Staatsbürgerschaft (meist türkischer Herkunft) unterscheiden. Auch sind die Internetumfragen natürlich nicht repräsentativ. Dennoch vermitteln sie ein interessantes Stimmungsbild. 16 Andreas Tzortzis, Deutsche Welle, Bonn: 21.04.04, zitiert nach: Jytte Klausen: Europas muslimische Eliten. Wer sie sind und was sie wollen, Frankfurt am Main 2006, S. 20. 17 Ebd., S. 41. 18 Ebd., S. 39. 19 Henryk M. Broder: Wir kapitulieren!, in: Der Spiegel 33/2006, Hamburg 2006, S. 40. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 10 A.1.1.1. Bundestagswahlen Alle Befragungen und Umfragen zeigen eine deutliche Präferenz für die SPD und die Grünen. Vergleicht man eine Befragung des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) zur Bundestagswahl 1994 (Abbildung 1) mit der des Zentralinstitut Islam-Archiv zur Bundestagswahl 1998 (Abbildung 2), so ergibt sich lediglich eine mittelmäßige Verschiebung bei den beiden großen Parteien. Größere Schwankungen zeigen sich 2002. Im Juli befragte das ZfT 2000 Deutsche mit türkischer Herkunft (Abbildung 3). Ganz andere Werte weisen die Umfragen vom Zentralrat der Muslime (ZMD) auf www.islam.de auf (Abbildungen 4-6). Auffallend bei den Umfragen vom ZMD sind die hohen Werte der FDP. Dies ist höchstwahrscheinlich auf die vom FDP-Spitzenpolitiker initiierte Antisemitismusdebatte und insbesondere auf die Kritik am israelischen Vorgehen in den Palästinensergebieten zurückzuführen. Aber auch weitere Fakten könnten dafür eine Rolle gespielt haben. So äußerte sich die FDP z.B. gegen ein Kopftuchverbot.20 Die SPD ist immer die erste Wahl bei den Muslimen, Gründe dafür können in der Ausländer- und Migrantenpolitik der Partei gesehen werden, aber auch in der Gewerkschaftsnähe der SPD – die muslimischen Einwanderer sind vor allem in der Arbeiterschicht anzutreffen. Wen würden Sie wählen, wenn Sie das Wahlrecht hätten? Partei Prozent SPD 49 CDU/CSU 7 Bündnis 90/Die Grünen 11 FDP 10 Abb. 1: ZfT nach eigener Bearbeitung21 Wen würden Sie wählen, wenn Sie das Wahlrecht hätten? Partei Prozent SPD 37 CDU/CSU 19 Bündnis 90/Die Grünen 11 FDP 5 PDS 1 REP 1 k.A. 26 Abb. 2: ZIA, zitiert nach REMID22 20 REMID: Parteipräferenzen der Muslime/Umfragen, http://www.religiononline.info/islam/themen/umfrage2002.html, 14.07.06. 21 Zentrum für Türkeistudien: Bundestagswahl September 1998: 160.000 eingebürgerte Türken als neue Wähler, http://www.zft-online.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/1998/d_pm-1998-03-06.html, 29.07.06. 22 REMID: Parteipräferenzen der Muslime/Umfragen, http://www.religiononline.info/islam/themen/umfrage2002.html, 14.07.06. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel Wahlabsicht Bundestagswahl 2002 Partei Prozent SPD 60 CDU/CSU 12 Bündnis 90/Die Grünen 17 FDP 5 PDS 5 andere/k.A. 1 Abb. 3: ZfT, zitiert nach REMID23 Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002 (August) Partei Prozent SPD 35,2 CDU/CSU 12,4 Bündnis 90/Die Grünen 11,8 FDP 30,7 PDS 10,0 Abb. 5: ZMD, zitiert nach REMID25 11 Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002 (Mai) Partei Prozent SPD 30 CDU/CSU 22,4 Bündnis 90/Die Grünen 13 FDP 22,5 PDS 11,8 Abb. 4: ZMD, zitiert nach REMID24 Wahlabsicht zur Bundestagswahl 2002 (September) Partei Prozent SPD 53,4 CDU/CSU 13,8 Bündnis 90/Die Grünen 9,7 FDP 15,5 PDS 7,5 Abb. 1: ZMD, zitiert nach REMID26 A.1.1.2. Landtagswahlen Betrachtet man nun exemplarisch die Landtagswahl 2000 in Hessen so ist zunächst das Wahlkampfthema der doppelten Staatsbürgerschaft zu beachten. Die Landes-CDU machte gegen die Regierungspläne Stimmung und forderte von den Ausländern eine Anpassung an die deutsche Leitkultur, eine Begriffsbildung, die die nächste Debatte auslöste. Deutlich abzulesen ist dies am niedrigen Stimmenwert der Muslime für die CDU/CSU bei einer Befragung des Zentralinstituts Islam-Archiv (Abbildung 7). Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IMGM) veranstaltete zur Landtagswahl 2005 in Nordrhein Westfalen auf ihrer Webseite eine Wahlbefragung. Dass IMGM diesbezüglich ein kritisch zu sehender Faktor ist, dazu siehe weiter unten. Die insgesamt 601 abgegebenen Stimmen gewährleisten natürlich keinerlei Repräsentativität. Außerdem fehlen folgende Angaben: Dauer (lediglich das Ende mitgeteilt: 13.05.05, 13 Uhr), Verhinderung wiederholter Stimmabgabe, Stimme aus NRW oder nicht, Muslim oder nicht (Abbildung 8). 23 Ebd. Ebd. 25 Ebd. 26 Ebd. 24 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel Wen würden Sie wählen, wenn Sie das Wahlrecht hätten? (2000) Partei Prozent SPD 56,8 CDU/CSU 0 Bündnis 90/Die Grünen 4,5 FDP 9,1 PDS 0 REP 0 k.A. 29,5 Abb. 7: ZIA, zitiert nach REMID 12 Wen würden Sie wählen, wenn Sie das Wahlrecht hätten? (2005) Partei Prozent SPD 32 CDU/CSU 9 Bündnis 90/Die Grünen 33 FDP 4 andere 6 keine 13 Abb. 8: IMGM, mit eigener Bearbeitung28 27 Generell kann man den Umfragen zu Landes- und Bundestagswahlen ablesen, dass Muslime 1. ihre Parteiwahl vorwiegend nach Aussagen zu für Muslime relevanten Themen, wie Einbürgerung, Kopftuchstreit, EU-Beitritt der Türkei, richten und Themen wie Wirtschafts- oder Finanzpolitik eher hintergründig sind, und 2. eine hohe Parteibindung an die SPD und die Grünen aufweisen. Dies bestätigt auch die Studie von Wüst, der das Wahlverhalten eingebürgerter Personen in Deutschland untersucht hat.29 Dabei konnte er aufzeigen, dass eingebürgerte Türken nicht nur die höchste Parteiidentifikation mit der SPD (31%) und den Grünen (9%) angeben, sondern auch entsprechend wählen (SPD: 62%, Grüne 22%). Die CDU/CSU hingegen erreicht bei den Türken mit 4% Parteiidentifikation und 11% Stimmen nur schlechte Ergebnisse.30 Beim generellen politischen Interesse schneiden eingebürgerte Türken nicht sehr gut ab, weisen aber im Verhältnis zu anderen Migrantengruppen einen relativ hohen Kenntnisstand über die deutschen Parteinen auf.31 27 Ebd. IGMG: Umfragen, http://www.igmg.de/index.php?module=advanced_polls&func=display&pollid=4, 28.07.06. 29 Andreas M. Wüst,: Das Wahlverhalten eingebürgerter Personen in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B52/2003, Bonn 2003 30 Nicht alle Migranten bewerten die CDU/CSU so schlecht, bei den so genannten Aussiedlern genießt die Union sogar sehr hohen Zuspruch, siehe ebd., S.36. 31 Ebd., S. 34. 28 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 13 A.1.2. Islamische Organisationen und ihre Wahlprüfsteine Die europäischen Mehrparteiensysteme reagieren hochempfindlich auf minimale Verschiebungen der Wählerbindungen. Ausländerfeindliche Parteien, die derzeit in den meisten Ländern zwischen fünf und 15 Prozent der Stimmen erhalten, beschränken den Handlungsspielraum der großen Parteien, auf die Belange der Muslime zu reagieren. Die Bemühungen der großen Parteien, die an ausländerfeindliche Parteien verlorenen Stimmen zurückzugewinnen, führen nicht selten zu verbalen Bekenntnissen, gegenüber den Muslimen eine <harte Linie> vertreten zu wollen.“32 Diese Feststellung von Jytte Klausen zeigt eine Sichtweise, die sich bei vielen muslimischen Organisationen wieder findet. Auch dort wird der Vorwurf erhoben, die Parteien würden auf Kosten der Migranten mit Populismus Stimmen zu gewinnen suchen, markantes Thema ist dabei z.B. der EU-Beitritt der Türkei. Eine große Rolle für die Wahlentscheidung von Muslimen spielen die islamischen Organisationen in Deutschland. Dabei ist der hohe Differenzierungsgrad der muslimischen Glaubensgemeinschaft mehrfach relevant. Zunächst stellt sich das Problem eines fehlenden einheitlichen islamischen Ansprechpartners für Regierung, Verbände und Parteien, so wie es z.B. der Zentralrat der Juden, die Bischofskonferenz oder die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für ihre jeweilige Religion gewährleisten. Außerdem ist für die Muslime in Deutschland keine allgemein-verbindliche Instanz vorhanden (weder religiös noch kulturell), was z.B. auch die Gründung einer eigenen islamischen Partei erschwert, wie später noch zu zeigen sein wird. Die Ausrichtungen der islamischen Organisationen und Dachverbände zwischen gemäßigt-säkularem und fundamentalistischem Islam sind ein weiteres Problem.33 An dieser Stelle sollen lediglich die Positionierungen zu demokratischen Wahlen und den politischen Parteien in Deutschland besprochen werden. Besondere Beachtung finden dabei – soweit vorhanden – die Wahlprüfsteine. A.1.2.1. Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) versucht nach dem Modell des Zentralrates der Juden als islamischer Ansprechpartner anerkannt zu werden. In seiner 32 Jytte Klausen, Europas muslimische Eliten. Wer sie sind und was sie wollen, Frankfurt am Main 2006, S. 81. 33 Zur Diskussion über islamische Organisationen in Deutschland siehe: Thomas Lemmen: Islamische Organisationen in Deutschland, Bonn 2000, Ursula Spuler-Stegemann: Muslime in Deutschland. Organisationen und Gruppierungen, in: Der Bürger im Staat, Heft 4/2001, Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg, Stuttgart 2001, S. 221 bis 225. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 14 Islamischen Charta bezeichnet er sich als parteipolitisch neutral und bestätigt, keinen klerikalen Gottesstaat anzustreben.34 In Bezug auf die Wahlprüfsteine und konkrete Wahlempfehlungen gibt der ZMD an: „Der Zentralrat ist parteipolitisch neutral. Die wahlberechtigten Muslime werden für diejenigen Kandidaten stimmen, welche sich für ihre Rechte und Ziele am stärksten einsetzen und für den Islam das größte Verständnis zeigen.“35 Die Wahlempfehlungen bleiben allgemein, Parteien die die muslimischen Belange in Europa und Deutschland unterstützen würden, sollten gewählt werden. Insbesondere wird hier die Befürwortung eines EU-Beitrittes der Türkei genannt. Die Wahlaufrufe des ZMD betrafen sowohl die Bundestagswahlen seit 1998, als auch die Europaratswahlen 2004. 36 In weiteren Pressemitteilungen wies der ZMD darauf hin, dass beim als äußerst knapp prognostizierten Wahlausgang bei der Bundestagswahl 2005 die ca. 450.000 Stimmen der Muslime durchaus von Bedeutung wären, vor allem die Zweitstimmen würden bei einer deutschen Wahlbeteiligung von 80 Prozent ca. 1 Prozent der Stimmen ausmachen.37 2002 legte der ZMD allen im Bundestag vertretenen Parteien Wahlprüfsteine vor, die auch alle beantwortet wurden, was die Anerkennung des ZMD durch die Parteien verdeutlicht.38 Generell ist der ZMD in seinen Äußerungen wesentlich unpolemischer als z.B. IMGM, wenn auch die ablehnende Haltung gegenüber CDU/CSU immer wieder durchklingt. 39 A.1.2.2. Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland Vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland sind keine Wahlempfehlungen oder Wahlprüfsteine bekannt. In einer Stellungsnahme vom 15.06.1999 zur Anhörung der CDU/CSU-Fraktion auf dem Forum Islam in Deutschland macht er aber die Unterstützung des deutschen Parteiensystems deutlich: 34 Nadeem Elyas: Der Zentralrat stellt eine Grundsatzerklärung zum deutschen Staat und zur hiesigen Gesellschaft vor, http://www.islam.de/2616.php, 26.07.06. 35 ZMD: Auszug aus der Islamischen Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V., http://zentralrat.de/3035.php, 26.07.06. 36 ZMD: Wahlaufruf an die muslimischen Staatsbürger, http://zentralrat.de/include.php?site=zmd/archiv&di=pmold/pm17neu.htm, 26.07.06, und ZMD: Zentralrat ruft zur Stimmabgabe der Muslime bei den Europawahlen auf, http://www.islam.de/2661.php, 26.07.06. 37 Nadeem Elyas: Deutsche Muslime sollten sich daran beteiligen, die Geschicke dieses Landes mitzubestimmen, denn wer nicht wählt, überlässt die Wahl und Entscheidung anderen, http://www.islam.de/919.php, 28.07.06. 38 REMID: Islamische Wahlprüfsteine 2002, http://www.religiononline.info/islam/themen/parteien2002.html, 14.07.06. 39 ZMD: Unionspolitiker fordern, dass im Wahlkampf das Türkei-Thema zugespitzt werden soll, http://www.islam.de/3340.php, 28.07.06 und Hany Jung: Was die Muslime wählen sollen – Kommt es zu einem Patt zwischen den großen politischen Lagern?, http://www.islam.de/3433.php, 28.07.06. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 15 Sie laden die Muslime ein, in den politischen Parteien mitzuwirken. Auch der Islamrat hat den Muslimen in Deutschland immer empfohlen, in den bereits vorhandenen demokratischen Parteien hier mitzuarbeiten und damit den muslimischen Belangen Geltung zu verleihen. Wir sehen die Gründung einer eigenen islamischen Partei als überflüssig und als den Interessen der Muslime nicht förderlich an. Die Parteien sind zwar immer gerne bereit, neue muslimische Mitglieder aufzunehmen. Gleichzeitig haben sie noch nicht die Möglichkeit zu nennenswerten politischen Karrieren gehabt. Vereinzelt sind uns auch Fälle bekannt, daß muslimische Mitbürger mit der Begründung einer gleichzeitig bestehenden Mitgliedschaft bei einer islamischen Vereinigung aus einer Partei ausgeschlossen wurden.40 Für letzteres ist tatsächlich das Beispiel der Jungen Union Berlin bekannt. Hier muss auf dem Mitgliedschaftsantragsformular eine Mitgliedschaft bei der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs verneint werden.41 A.1.2.3. Muslim Markt Der Muslim Markt ist zwar keine islamische Organisation, hat aber als Internetplattform zum Thema Muslime und muslimisches Leben in Deutschland größere Bedeutung erlangt. Der Betreiber Dr. Yavuz Özoguz arbeitete an der Universität Bremen als Ingenieur, bis ihn die Debatte um einen Mordaufruf des Muslim Marktes gegen den Islamwissenschaftler Hans-Peter Raddatz zum Rücktritt zwang. Schon vorher war Özoguz gerichtlich wegen des Tatbestandes der Volksverhetzung belangt worden.42 Aufgrund seiner Bedeutung als Informationsmedium für Muslime in Deutschland muss der Muslim Markt trotz dieser Fragwürdigkeit untersucht werden. Sowohl zu den Bundestagswahlen 2002 und 2005, als auch zu den Landtagswahlen in NRW 2005 legte der Muslim Markt Wahlprüfsteine an die ihm bekannten zur Wahl stehenden Parteien vor. Inhaltlich unterscheiden sich die Fragen zu den Wahlen nicht sonderlich, außer das bei den Wahlen in NRW natürlich nur innenpolitische Fragen gestellt wurden. Generell sind vor allem religiöse Themen abgefragt, wie Standpunkte zum Kopftuchstreit, getrennten Schwimmunterricht, Israel-Palästina-Konflikt, EU-Beitritt der Türkei oder dem islamischen Religionsunterricht. Interessant ist, dass vor der Bundestagswahl 2002 noch acht Parteien antworteten, unter ihnen auch die SPD. Die Antwort Grünen belief sich hingegen auf eine ablehnende Position gegen den Muslim Markt. Bemerkenswert auch die Reaktion der REP, die sich durch ihre ausländer- und migrantenfeindliche Stellungnahme 40 Ghulam-D. Totakhyl: Stellungnahme des Islamrats für die BRD, http://www.islamrat.de/stellungnahme/1999/forum-islam.htm, 26.07.06. 41 IMGM: Junge Union beschließt Unvereinbarkeit mit Milli Görüs, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&func=display&ceid=940&itmid=1, 28.07.06. 42 Ulrich Neumann,Fritz Schmaldienst: Wie ein Islamismuskritiker bedroht wird: Mordaufruf im Internet, http://www.hagalil.com/archiv/2005/10/raddatz-0.htm, 30.07.06. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 16 für die muslimische Wählerschaft selbst ausschloss.43 Zur Bundestagswahl 2005 bezogen lediglich die Linkspartei.PDS und die FDP Stellung zu den Wahlprüfsteinen. Eine angestrebte Profilierung der beiden Parteien bei der muslimischen Wählerschaft ist nur allzu deutlich den Antworten abzulesen.44 Bei den Landtagswahlen 2005 in NRW antworteten sechs Parteien 45, unter ihnen dieses Mal auch die Grünen in ausführlicher Form. Interessanter Weise reagierte sogar die CDU, gab aber sehr ausweichende Antworten und schob die jeweilige politische Zuständigkeit auf andere Gremien und Organe ab.46 Auch die Aussagen der REP schlossen letztere praktisch als nicht wählbar aus, wenn die Begründung der Parteiinteressen auch nicht wie auf Bundesebene christlich, sondern kulturell-säkular begründet wurde.47 Auch hier nutzten kleinere Parteien wie die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) die Möglichkeit, sich einer potenziellen muslimischen Wählerschaft regelrecht anzubiedern. Die gegebenen Antworten sind größtenteils unbegründet und unkommentiert und dienen lediglich dem Stimmengewinn.48 Insgesamt gibt der Muslim Markt zuzüglich zu seinen Wahlprüfsteinen keine Wahlempfehlungen und lässt die Antworten der Parteien (weitestgehend) unkommentiert. Insofern ist die Rolle der Internetplattform auf die Wahlen bezogen durchaus als demokratisch einzustufen, wenn auch die geringe Anzahl der Antworten zur Bundestagswahl 2005 nicht gerade eine große Wahlhilfe darstellt. Zugleich kann die ausbleibende Antwort vieler Parteien als Ablehnung gegenüber dem Muslim Markt angesehen werden. A.1.2.4. Deutsche Muslim Liga e.V. Die Deutsche Muslim Liga (DML) ist eine der ältesten islamischen Vereinigungen in Deutschland. Zur Bundestagswahl 2005 legte auch sie Wahlprüfsteine vor, es konnten jedoch keinerlei Antworten der Parteien ausfindig gemacht werden. In ihren Wahlaufrufen wies die DML vor allem auf die 2005 – bedingt durch vermehrte Einbürgerung – sehr hohe 43 Muslim Markt: Die Antworten der Parteien, http://www.muslim-markt.de/demokratie/wahlen.htm, 26.07.06. 44 Muslim Markt: Wahlbefragung Bundestagswahlen 2005, http://www.muslimmarkt.de/demokratie/bundestag2005/wahlbefragung.htm, 26.07.06. 45 Muslim Markt: Landtagswahlen 2005 in NRW, http://www.muslimmarkt.de/demokratie/landtagNRW2005.htm, 26.07.06. 46 Muslim Markt: Antworten der CDU, http://www.muslim-markt.de/demokratie/NRW2005/cdu.htm, 26.07.06. 47 Muslim Markt: Antworten der REP, http://www.muslim-markt.de/demokratie/NRW2005/rep.htm, 26.07.06. 48 Muslim Markt: Antworten der BüSo http://www.muslim-markt.de/demokratie/NRW2005/bueso.htm, 26.07.06. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 17 Anzahl wahlberechtigter Muslime in Deutschland hin und bezifferte die „muslimische Stimme“ auf rund 600.000.49 Vor allem in den Ballungsräumen Berlin und Köln könnte das muslimische Wahlverhalten Auswirkungen haben. Eine konkrete Wahlempfehlung wurde nicht gegeben.50 A.1.2.5. Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. Die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) ist eine vom türkischen Ministerium für Religionsangelegenheiten gesteuerte Organisation. Es konnten keinerlei Wahlempfehlungen oder Wahlprüfsteine dieser Organisationen gefunden werden, aber sie bekennt sich deutlich zu dem demokratischen Werten Deutschlands. Als Zweck sind die „Verfolgung von Zielen, die ausschließlich mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Einklang stehen [genannt]. Wir bekennen uns zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung.“ Außerdem versteht sie sich als „Überparteiliche Organisation und [verhängt ein] Verbot jeglicher parteipolitischer Aktivitäten in den Vereinsräumen.“51 A.1.2.6. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs Ein schwieriger Fall ist die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IMGM). Sie ist die größte islamische Vereinigung in Deutschland und dient den Muslimen türkischer Herkunft als Organisation. Die IMGM ist sehr gut organisiert und deckt mit ihren Dienstleistungen einen großen Teil des täglichen Lebens ihrer Anhänger ab. Vom Verfassungsschutz wurde sie mehrfach als „desintegrativ […], antidemokratisch und antiwestlich“52 eingestuft. Die Aufnahme der IMGM in die Liste der extremistischen Organisationen hat zur Folge, dass Regierungsbehörden keinerlei Kontakt zu der Organisation haben dürfen. Die IMGM bekennt sich nur eingeschränkt zum deutschen Grundgesetz, indem sie zwar annimmt, das dieses mit islamischen Regeln vereinbar sei, einen endgültigen Beschluss aber aufschiebt und Muslimen rät, bis zu einer Klärung des Sachverhaltes keine Zusagen zu machen.53 Andererseits forderte die IMGM sowohl 200254 49 DML: Wahlaufruf zur Bundestagswahl Sep. 05, http://www.muslim-liga.de/1126899245_ja.htm, 28.07.06. DML: Bundestagswahl 2005, http://www.muslim-liga.de/index.php?seite=1126080077&stopper=ja, 28.07.06. 51 Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion: Grundsätze, http://www.diyanet.org/de/grundsatz/index.php, 29.07.06. 52 Bundesministerium des Inneren: Verfassungsschutzbericht 2003, Berlin: 2004 53 IGMG: Bekenntnis zum Grundgesetz bei der Einbürgerung mit den Lehren des Islam vereinbar, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&func=display&ceid=672&itmid=1, 28.07.06. 50 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 18 als auch 200555 alle wahlberechtigten Muslime zu Bundestagswahl in Deutschland auf, wählen zu gehen, damit die muslimische Stimme gehört würde. Eine eindeutige Wahlempfehlung wurde nicht ausgesprochen, aber mit der Abstrafung durch die Wähler denjenigen gedroht, die mit ausländerfeindlichen Tönen (2002) und der Gegnerschaft gegen den EU-Beitritt der Türkei (2005) Wahlkampf machen würden. Unschwer ist hier zu erkennen, dass CDU/CSU gemeint sind. Außerdem forderte Milli Görüs bereits 1998 das Wahlrecht für Muslime ohne deutsche Staatsbürgerschaft, mit dem Hinweis, dass es dringend notwendig sei, „das demokratische Lager durch die Zuführung der muslimischen Wähler“ 56 gegen rechtsextreme Parteien zu stärken. Generell ist eine ablehnende Haltung der CDU/CSU gegenüber zu beobachten, so wird dem bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber vorgeworfen, den Verfassungsschutz gegen IGMG zu missbrauchen57 und in Kommentaren zur Bundestagswahl 2005 die antimuslimische „dumpfe Polemik“58 der Union für deren schlechtes Abschneiden mitverantwortlich gemacht. Auch bezüglich der Landtagswahl in Berlin 2006 griff IMGM die CDU und ihren Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger an.59 A.1.2.7. Vergleich: Wahlempfehlungen Christlicher Gruppierungen Zum Vergleich sollen die Wahlempfehlungen christlicher Gruppierungen herangezogen werden, hier liegen für diese Arbeit allerdings nur Daten von der Bundestagswahl 2002 vor. So rief die Deutsche Bischofskonferenz mehr oder weniger direkt zur Wahl von CDU/CSU auf, die Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) gaben keine einheitliche Empfehlung, lediglich Einzelpersonen und einige Landeskirchen gaben ihre Favorisierung der amtierenden Rot-Grün-Regierung bekannt. Hingegen sprach sich die Deutsche Evangelische Allianz für eine Wahl von CDU/CSU oder der Partei Bibeltreuer Christen (PBC) aus60. 54 IGMG: Wahlaufruf der IMGM an alle stimmberechtigten MigrantInnen, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&func=display&ceid=699&itmid=1, 28.07.06. 55 IGMG: Wahlaufruf der IMGM an alle stimmberechtigten MigrantInnen, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&func=display&ceid=1842&itmid=1, 28.07.06. 56 IGMG: Islamische Gemeinschaft fordert erneut Wahlrecht für Muslime, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&func=display&ceid=931&itmid=1, 28.07.06. 57 IGMG: Stoibers Spiel mit dem Feuer, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&func=display&ceid=919&meid=&itmid=1, 28.07.06. 58 IGMG: Der deutsche Wähler hat gesprochen! Nur was hat er wohl gesagt?, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&itmid=1&func=display&ceid=2035, 28.07.06. 59 IGMG: Gute Nacht, Rechtstaat! Das Zehn-Punkte-Papier der Berliner CDU zur Integration, http://www.igmg.de/index.php?module=ContentExpress&itmid=1&func=display&ceid=2221, 28.07.06. 60 REMID: Bundestagswahl 2002, http://www.religiononline.info/christentum/themen/bundestagswahl2002.html, 26.07.06 Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 19 Also kann vergleichend gesagt werden, dass die genannten christlichen Gruppierungen durchaus direkt Parteien empfehlen, während islamische Organisationen eher versuchen, bestimmte Parteien als Wahlmöglichkeit auszuschließen. A.2. Islamische Abgeordnete Leider ist die Quellenlage zum Thema muslimischer Abgeordneter sehr schlecht. Fragen zu Einflussmöglichkeiten und Wahlerfolgen müssen leider unbeantwortet bleiben. Lediglich einige quantitative Merkmale sind zu nennen: So saßen im Zeitraum 2003 bis 2005 weniger als 30 muslimische Abgeordnete in den europäischen Parlamenten. 61 Zwei Frauen islamischen Glaubens hatten Sitze im Deutschen Bundestag (Legislaturperiode 2002-2005), in den Stadträten größerer Städte finden sich mittlerweile viele Muslime.62 So z.B. im Berliner Abgeordnetenhaus mit zwei muslimischen Vertretern bei den Grünen und einem bei der PDS. Außerdem kann festgestellt werden, dass politisch aktive Muslime in Europa vorwiegend Immigranten mit politischer Erfahrung aus ihren Herkunftsländern sind. Nur selten finden sich Nachkommen von Arbeitsmigranten, die sich durch Anpassung an europäische Gesellschaftssysteme hochgearbeitet haben.63 61 Jytte Klausen: Europas muslimische Eliten. Wer sie sind und was sie wollen, Frankfurt am Main 2006, S. 32 62 Ebd., S. 34f. 63 Ebd., S. 27. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 20 B. Etablierung einer islamischen Partei in Deutschland B.1. Muslime in Deutschland – eine neue cleavage structure? Aus den vorhergehenden Betrachtungen ist deutlich zu schließen, dass die islamische Bevölkerung in Deutschland (und in Europa allgemein) immer mehr politische Partizipation anstrebt. Dadurch kommt natürlich die Frage auf, inwieweit es sich bei muslimischen Gruppierungen um so von den einheimischen verschieden strukturierte handelt, dass eine neue cleavage structure entsteht. Lipset und Rokkan, die mit ihrem Modell der cleavage structures die wesentlichen Konfliktlinien innerhalb einer Gesellschaft aufzeigen konnten64, sind hier durchaus weiterdenkbar. So wie die Entstehung der Grünen mit einem bei Lipset/Rokkan noch ungenannten cleavage des Postmaterialismus in Verbindung gebracht werden kann, so könnte man einen neuen cleavage zwischen einheimischer Bevölkerung und Migranten im allgemeinen und muslimischen Migranten im besonderen denken. Denn folgt man der – durchaus umstrittenen – These Samuel Huntingtons vom Clash of Civilizations65, so liegt eine generelle Unvereinbarkeit der westlichen Gesellschaften mit dem Islam vor. Betrachtet man also die muslimischen Gruppen in Deutschland als neue cleavage structure, dann müssten sie nach Niedermayer folgende Kriterien erfüllen: Sie müssten 1. sozialstrukturell verankert sein; 2. sich ihrer kollektiven Identität bewusst sein und 3. einen organisatorischen Ausdruck finden66. Diese Kriterien werden nur teilweise erfüllt. Wie bereits erwähnt, scheint es besonders schwer zu sein, eine einheitliche muslimische Organisation zu bilden, vor allem bedingt durch die kulturellen und ethnischen Differenzen. Eine kollektive Identität wird also nur religiös erreicht. Ob dies als Grund für ein gemeinsames politisches Engagement in Form einer Partei in einer säkularen Demokratie hinreicht, ist zu bezweifeln. Eine sozialstrukturelle Verankerung kann im Gegensatz zu den zwei anderen Punkten bejaht werden, es liegt ein Organisationsgrad der muslimischen Bevölkerung in Deutschland vor, der nahezu alle Lebensbereiche abdeckt. Die auch als Parallelwelten bezeichneten Strukturen sind allerdings nicht gerade für eine Integration in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess zuträglich. 64 Seymour Martin Lipset, Stein Rokkan: Cleavage Structures, Party Systems, and Voter Alignments, in: Peter Mair (Hrsg.): The West European Party Systems, Oxford, S. 91-138. 65 Samuel Huntington, Clash of Civilizations, New York, 1996 66 Oskar Niedermayer: Zur systematischen Analyse der Entwicklung von Parteiensystemen, in: Oscar W. Gabriel/Jürgen Falter (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Frankfurt am Main 1986, S. 34. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 21 Die Muslime (oder allgemein Migranten) als eine neue cleavage structure zu bezeichnen, ist also nicht wirklich sinnvoll. Der Versuch einer Islamischen Partei Deutschlands (IPD) ist in der Vergangenheit auch bereits gescheitert, genauere Angaben zu Gründen konnten für diese Arbeit nicht ermittelt werden.67 Sollten sich allerdings die Zugangsbedingungen für die Wahlberechtigung in Deutschland ändern, wäre es fraglich, ob die islamischen Organisationen bei ihrer Empfehlung bleiben, die etablierten Parteien zu wählen. B.2. Beispiel: Partei Bibeltreuer Christen Einen geeigneten Vergleich kann man zur Partei Bibeltreuer Christen (PBC) ziehen. Diese ist neben der Partei Christliche Mitte (CM) und der Naturgesetzpartei die einzige, die eine religiös motivierte Politik vertritt68. Auch wenn die Wahlergebnisse der PBC keine oder nur minimale Einflussmöglichkeiten ergeben, ist der Fall doch beachtenswert. Immerhin ist die PBC seit 2004 mit je einem Sitz in zwei deutschen Kreistagen und einem Stadtrat vertreten. Und während in elf Bundesländern, in denen die PBC zu Landtagswahlen antrat, die Werte auf gleichem Niveau meist 0,1 bis 0,2 Prozent der Stimmen bleiben, ist ein enormer Zuwachs in Sachsen zu beobachten.69 Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Bundestagswahlen, hier errang die PBC 1994 und 1998 je 0,1 Prozent, 2002 schon 0,2Prozent und 2005 0,23 Prozent. Auch bei den Europawahlen ist dieser Trend zu beobachten: 1994 und 1999 0,3 Prozent, 2004 0,4 Prozent.70 Diese Werte sind natürlich für die politische Entscheidungsfindung irrelevant, ganz zu schweigen von der Regierungsbildung. Dennoch ist es beachtenswert, das eine Partei, die sich der vollständigen Rückbesinnung auf christliche Werte verschrieben hat und die mittels Gebet und der Verbindlichkeit biblischer Gebote Frieden und Schutz gewährleisten will, steigende Wahlergebnisse vorweisen kann.71 Ein interessanter Vergleich zu einer potentiellen islamischen Partei ist außerdem die Mitgliederstruktur der PBC. Die Anhänger setzen sich nämlich vorwiegend aus 67 REMID: Muslime und Bundestagswahl 2002, http://www.religiononline.info/islam/themen/wahl2002.html, 11.07.06 68 REMID: Die Partei Bibeltreuer Christen, http://www.remid.de/redmi_publikationen_partei.html, 26.07.06. 69 Bei den Landtagswahlen in Sachsen erzielte die PBC 1999 0,3%, 2004 0,7% der Stimmen. Eine weitere Ausnahme bildet Baden Württemberg, wo der Stimmenanteil zwischen 0,5% und 0,7% schwankt, siehe: Wikipedia, Artikel: Partei Bibeltreuer Christen, http://de.wikipedia.org/wiki/Partei_Bibeltreuer_Christen, 26.07.06. 70 Ebd. 71 Die Bedeutung dessen ist nicht zu unterschätzen, immerhin will die PBC den Staat dem religiösen Gesetz unterordnen, siehe:REMID: Die Partei Bibeltreuer Christen http://ww.remid.de/redmi_publikationen_partei.htm, 26.07.06. Interessanter Weise will die PBC mit den genannten Werten auch vor Überfremdung schützen, siehe: Wikipedia, Artikel: Partei Bibeltreuer Christen http://de.wikipedia.org/wiki/Partei_Bibeltreuer_Christen, 26.07.06. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 22 Freikirchen und evangelischen Landeskirchen zusammen72, entspringen also keiner einheitlichen organisatorischen oder theologischen Gruppierung. Ein sehr ähnliches Bild liegt wie bereits oben betrachtet in der muslimischen Bevölkerung in Deutschland vor. B.3. Gedankenexperiment Um die maximal möglichen Auswirkungen der Gründung einer islamischen Partei in Deutschland einschätzen zu können, soll ein Gedankenexperiment durchgeführt werden: Angenommen allen muslimischen Einwanderern und Migranten wird zur nächsten Bundestagswahl das volle Wahlrecht zuerkannt. Desweiteren wird von hoch angesehenen muslimischen Eliten eine Partei gegründet, die „Islamische Partei Deutschlands“ (im Folgenden: IPD). Angenommen wird auch, dass die vielfältigen muslimischen Richtungen in Deutschland sich alle von dieser Partei vertreten fühlen können und alle entsprechenden Verbände (z.B. „Zentralrat der Muslime“, „Islamrat“, „Milli Görüs“) empfehlen ihren jeweiligen Anhängern, diese Partei zu wählen. Dies hätte zur Folge, dass ca. 2,55 Millionen muslimische Wahlberechtigte73 diese Partei wählen könnten. Wiederum angenommen alle Anhänger des Islams würden dies tun, so könnte die IPD mit 2,55 Millionen Erststimmen 3,9 Prozent erhalten, wenn die allgemeine Wahlbeteiligung bei 100 Prozent läge. Gerechnet mit der Wahlbeteiligung der Bundestagswahl von 2005 und einer hundertprozentigen der Muslime würde die IPD 5,31 Prozent erhalten. Damit würde die Fünf-Prozent-Hürde überwunden und die IPD wäre im Parlament vertreten! Natürlich ist dieses Gedankenexperiment hinfällig, da z.B. eine Wahlbeteiligung von 100 Prozent mehr als unwahrscheinlich ist. Dennoch verdeutlicht es sehr gut, dass das muslimische Wählerpotenzial nicht unterschätzt werden sollte und durch die wachsende Zahl immer größeren Einfluss gewinnen wird. 72 Wikipedia, Artikel: Partei Bibeltreuer Christen, http://de.wikipedia.org/wiki/Partei_Bibeltreuer_Christen, 26.07.06. 73 Schätzungen gehen von ca. 3,4 Mio. Muslimen in Deutschland aus, siehe: REMID: Islam, http://www.religion-online.info/islam/islam.html, 26.07.06, davon wären bei gleicher Struktur wie bei deutschen Staatsbürgern (61 Mio. Wahlberechtigte bei 82 Mio. Einwohnern, siehe: Statistisches Bundesamt, http://www.destatis.de/download/d/bevoe/bevoe_nach_bundeslaendern04.pdf, 19.08.06 und Bundeswahlleiter, http://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahl2005/ergebnisse/bundesergebnisse/b_tabelle_99.html, 19.08.06) 75 Prozent bzw. 2,55 Mio. wahlberechtigt, obwohl anzunehmen ist, dass die Zahl etwas geringer ausfällt, da die muslimischen Milieus eine wesentlich höhere Geburtenrate aufweisen und somit der Anteil Minderjähriger höher ist als bei deutschen Staatsbürgern. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 23 Fazit Wie bereits erwähnt, kann aufgrund der Quellenlage der Teil zu muslimischen Abgeordneten in deutschen/europäischen Parteien nicht befriedigend beantwortet werden. Umso interessantere Ergebnisse ergaben die beiden anderen Bereiche dieser Arbeit. So hat das Gedankenexperiment zur möglichen Gründung einer islamischen Partei deren potenziellen Einfluss verdeutlicht. Allerdings mit der Einschränkung, dass die muslimischen Migranten in Deutschland – zumindest derzeit – noch keine neue cleavage structure im Sinne Lipsets/Rokkans darstellen. Wie deswegen zu erwarten, empfehlen die relevanten islamischen Organisationen ihren eingebürgerten Anhängern auch die Wahl der schon bestehenden Parteien. Islamfreundliche Parteien seien zu bevorzugen, indirekt wird z.B. die CDU/CSU wiederholt aufgrund ihrer Ausländer-/Islampolitik abgelehnt. Wie viele gesellschaftliche Organisationen und Verbände legen einige islamische Organisationen als Wahlhilfe für ihre Anhänger den Parteien Wahlprüfsteine vor und veröffentlichen die Antworten. Inhaltlich kann dabei ein Schwerpunkt religiöser (Muslim Markt) und islamisch-kultureller (ZMD) Fragen festgestellt werden. Aktuelle Belange wie die Möllemann-Affäre, der EU-Beitritt der Türkei oder der Kopftuchstreit spielen eine nicht unerhebliche Rolle, Themen zu Wirtschaft und ähnlichem sind weniger relevant. Die Studie von Wüst hingegen zeigt, dass langfristige Parteibindungen die größte Rolle bei der Wahlentscheidung spielen, SPD und die Grünen liegen hier eindeutig vorne. Die Gemeinsamkeit der Betonung traditioneller Werte bei muslimischen Migranten und Eingebürgerten scheint hingegen kaum eine Bindung an die CDU/CSU zu verursachen. Grund ist hauptsächlich die erwähnte ablehnende Haltung der Union gegenüber Ausländern und dem Islam. Die deutschen Parteien scheinen allgemein die Bedeutung der islamischen Wählerklientel immer mehr zu erkennen. Kleinere Parteien versuchen gezielt muslimische Wähler zu rekrutieren, indem sie sich als besonders ausländerfreundlich oder tolerant darstellen. Die dabei propagierte Politik wäre allerdings im Regierungsalltag oft nicht umsetzbar. Andere Parteien, wie vor allem die CDU/CSU und Parteien des rechten Flügels versuchen im Gegenzug dazu, mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Muslimen, Islam und Islamismus deutsche Wähler zu gewinnen. Generell ist durch wachsende Anzahl der Muslime in Deutschland eine ansteigende Bedeutung ihrer Wahlpräferenzen zu erwarten. Deutsche Parteien und islamische Wählerklientel 24 Quellen: Literatur BRODER, Henryk M., Wir kapitulieren!, in: Der Spiegel 33/2006, Hamburg 2006 BUNDESMINISTERIUM DES INNEREN, Verfassungsschutzbericht 2003, Berlin 2004 BUNDESWAHLLEITER, www.bundeswahlleiter.de, 26.07.06 DITIB, www.diyanet.org, 28.07.06 HAGALIL, Forum für Judentum und Antisemitismus, www.hagalil.com, 30.07.06 HUNTINGTON, Samuel P.: The Clash of Civilization, New York 1996 INFORMATIONSPLATTFORM RELIGION, Religionswissenschaftlicher MedienInformationsdienst e.V. 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