Zusammenfassung Vortrag Herrsching Speisekartoffeln auf dem Rückzug: Braucht sie neuen Schwung oder ein anderes Image Dr. Falk Welzel, CMA 1. Marktentwicklung der letzten 10 Jahre Der Kartoffelanbau in Deutschland ist seit vielen Jahren rückläufig. Allein in den letzten 10 Jahren beläuft sich der Anbaurückgang auf ./. 10 %. Demgegenüber ist bei den Anbauflächen für Industriekartoffeln ein Anstieg festzustellen. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil Bayerns an der Kartoffelanbaufläche überproportional gesunken. Auch im Wachstumsmarkt Industriekartoffeln ist der bayerische Anteil etwas zurückgegangen. Bei den Kartoffelernten ist im 10-Jahresvergleich ein Rückgang um über 20 % in Deutschland eingetreten. Hier ist der bayerische Marktanteil von 19,7 % in 1993 dramatisch auf 15,5 % zurückgegangen. Die diesjährigen Ernteausfälle haben hier sicherlich eine besondere Rolle gespielt. Die Einfuhren an frischen Kartoffeln sind ebenfalls in den letzten Jahren mit über 22 % rückläufig. Gleichzeitig können stark steigende Einfuhren an Kartoffelzubereitungen festgestellt werden. Diese belaufen sich im Zeitraum von 8 Jahren auf fast 60 %. Die Verarbeitung von Kartoffeln in der Ernährungsindustrie hat in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung gewonnen. Die stärksten Zuwachsraten sind hier bei Tiefkühlprodukten eingetreten. Ohne diesen Einsatz von Kartoffeln als Rohstoff für die Verarbeitungsprodukte wären der Kartoffelanbau und die Verwendung sicherlich noch stärker rückläufig gewesen. Auch auf der Nachfrageseite ist mit einem rückläufigen Pro-Kopf-Verbrauch von Kartoffeln eine negative Entwicklung vorhanden. So ist der Verbrauch an frischen Speisekartoffeln in 10 Jahren um rd. 7 kg pro Kopf und Jahr gesunken. Der Verbrauch von Veredelungsprodukten ist im gleichen Zeitraum noch um rd. 2 kg pro Kopf angestiegen. Es ist abzusehen, daß in Kürze im Verarbeitungsbereich mehr Kartoffeln eingesetzt werden als frische Kartoffeln verzehrt werden. Am Inlandsverbrauch von tiefgefrorenen und gekühlten Kartoffeln, die beide hohe Zuwachsraten aufweisen, kann man feststellen, daß Importanteile von fast 50 % vorliegen. Hier geht der Rohstoffeinsatz aus deutschen Kartoffeln weitgehend verloren. Ob die Chancen für den Einsatz von deutschen Kartoffeln im Verarbeitungsbereich realistisch sind, ist eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Verarbeitungsindustrie. Für die regionale Betrachtung spielen hier auch Betriebsverlagerungen eine Rolle (siehe z.B. Pfanni). Aus Sicht der Fachleute werden folgende wesentliche Gründe für den langjährigen Verbrauchsrückgang bei Kartoffeln genannt: - Änderung des Verbraucherverhaltens durch Verzehr anderer, neuerer Lebensmittel - Trend zu höher veredelten Produkten - weiter sinkender Anteil der Einkellerungskartoffeln mit weniger „Verlusten“ in den Haushalten. Desgleichen Kauf von kleineren Packungseinheiten. - Zeitmangel der professionellen und privaten Köche und damit Verzicht auf frische Speisekartoffeln - auch Convenience-Produkte bedeuten weniger Abfall für die Verwender. 2. Verbrauchereinstellungen zu Kartoffeln Neben Obst und Gemüse sowie Brot werden Kartoffeln immer noch als sehr wichtiges bzw. als wichtiges Nahrungsmittel von den Verbrauchern bezeichnet (in der Summe 85 % aller Nennungen bzw. 43 % bezeichnen Kartoffeln als sehr wichtig). Der Abstand zu Reis und Nudeln als direkten Substitutionsprodukten beläuft sich auf 25 – 30 Prozentpunkte. Hinsichtlich der Altersgruppen wird jedoch deutlich, daß insbesondere die älteren Personen Kartoffeln als sehr wichtig (52 %) beurteilen, während in der Gruppe der 18 – 29 Jahre alten Personen nur noch 29 % dieses so sehen. Hier werden z.B. die Nudeln höher bewertet. Hinsichtlich des Verzehrs von Kartoffeln geben 73 % an, daß sie Kartoffeln mehrmals pro Woche verzehren, während Nudeln (35 %) und Reis (23 %) hier deutlich niedriger liegen. Die Betrachtung nach Altersgruppen ergibt auch hier eine geringere Verzehrsintensität bei den jüngeren Altersgruppen. So liegt bei der Altersgruppe 18 – 29 Jahre der Anteil der Intensivverwender von Kartoffeln bei 47 %, während der Anteil bei Nudeln 51 % erreicht. Während Frischkartoffeln noch verhältnismäßig intensiv verwendet werden, folgen die verschiedenen Kartoffelverarbeitungsprodukte in großem Abstand, wobei die Pommes Frites mit 33 % noch verhältnismäßig regelmäßig, d.h. mind. einmal pro Monat verzehrt werden. Bei den anderen Kartoffelverarbeitungsprodukten liegen die Anteile der regelmäßigen Verwender stets unter 25 % und die der Nichtverwender deutlich über 50 %. Die Kartoffelverarbeitungsprodukte werden häufiger von jüngeren Haushaltsführenden verwendet. Insbesondere für Pommes Frites ist bei Jüngeren ein wesentlich höherer Anteil regelmäßiger Verwender zu beobachten. Mittels eines Assoziationstestes, d.h. durch die Vorgabe der Begriffe für die drei Nahrungsmittel Kartoffeln, Nudeln und Reis werden neben den inneren Bildern, die die Befragten mit den Nahrungsmitteln verbinden, indirekt auch die Stärken und Schwächen der Nahrungsmittel identifiziert. Bei Kartoffeln denken die Befragten in aller Regel an die Frischkartoffeln. Sie werden primär als ein Nahrungsmittel angesehen, welches sehr stark durch Tradition, Arbeit, Natur/Umwelt und Gesundheit geprägt ist. In geringerem Umfang werden noch die Vielfalt in der Zubereitung und der Genußaspekt bei ihrem Verzehr gesehen. Der Begriff Bequemlichkeit wird bei Kartoffeln am wenigsten assoziiert. Dies hat mit dem Aufwand beim Schälen frischer Kartoffeln, dem Problem der Lagerung und der relativ schnellen Verderblichkeit zu tun. Darüber hinaus werden sie weniger mit Spaß, Fitneß, Urlaub und Sport in Verbindung gebracht. Auch werden Sie weniger von Kindern favorisiert. Bei der jüngeren Altersgruppe liegen die Bewertungen der einzelnen Begriffe meistens niedriger als bei den beiden älteren Gruppen. Kartoffeln werden weniger als modernes Nahrungsmittel betrachtet, sondern als ein Produkt, das Arbeit bereitet und einen Mangel an Bequemlichkeit aufweist. So passen sie nicht zu dem Megatrend bei der Essenzubereitung, der Convenience – als der bequemen und schnellen Zubereitung. Das Image von Frischkartoffeln ist wesentlich positiver ausgeprägt als das Image der einzelnen Kartoffelverarbeitungsprodukte. Eine Ausnahme bildet der Aspekt der leichten Zubereitung und der Lagerung. Frischkartoffeln werden primär als gesundes, vollwertiges und natürliches Nahrungsmittel angesehen. Durch seinen Geschmack, seine Abwechslungsmöglichkeiten in der Zubereitung und seinen hohen Sättigungsgrad ist es als Bestandteil einer modernen und zeitgemäßen Ernährung nicht wegzudenken. Aus den Analysen ergeben sich für Frischkartoffeln vier grundlegende Imagedimensionen: - Gesundheit Geschmack Convenience Kalorien / Fettgehalt Das Frischkartoffelimage hängt sehr stark vom Alter ab. Es ist umso positiver je älter die Befragten sind. In der jungen Altersgruppe werden Frischkartoffeln wesentlich kritischer bewertet. Insbesondere die einfache Zubereitung wird deutlich kritischer als bei den älteren Personen gesehen. Außerdem haben Sie das Image, weniger fett- und kalorienarm zu sein. Kartoffelverarbeitungsprodukte wie z.B. Pommes Frites werden klar als Convenience-Produkte angesehen. Dies gilt für Einkauf, Lagerung und Zubereitung. Dieser Gesichtspunkt der Bequemlichkeit überlagert alle anderen Dimensionen. Bei Pommes Frites spielt auch der gute Geschmack und teilweise die Preiswürdigkeit noch eine wichtige Rolle. Andererseits wird – mehr rational – angegeben, daß Pommes Frites ein relativ fettes und ungesundes Produkt sind, welches nicht als vollwertiges Nahrungsmittel eingeschätzt wird. 3. Mögliche Konsequenzen aus der Analyse Der jahrelang rückläufige Verzehr von frischen Speisekartoffeln wird sich weiter fortsetzen. Die aufgeführten Gründe für den Rückgang lassen sich nicht kurzfristig verändern. So ist das Verbraucherverhalten nur langfristig beeinflussbar. Die Megatrends der letzten Jahre, Convenience und Fast Food, erfassen immer breitere Bevölkerungskreise und werden sich so noch verstärken. Aus Sicht eines vernünftigen Marketings kann man nicht dagegen ankämpfen, sondern muß diese Trends für seinen Produktbereich nutzen. Das bedeutet zukünftig die Entwicklung weiterer, hochveredelter Kartoffelverarbeitungsprodukte. Die Verarbeitungsindustrie wird die Imageschwächen der bisherigen Produkte in Richtung Gesundheit und Vollwertigkeit durch veränderte Zutaten und gesündere Fette (Stichwort Olivenöl und Rapsöl) korrigieren. Die deutsche Landwirtschaft muß an der Erhaltung und Stärkung einer heimischen Kartoffelverarbeitungsindustrie interessiert sein und mittels Vertragsanbau ein partnerschaftliches Verhältnis anstreben.Für die frischen Speisekartoffeln geht es darum, den Rückgang möglichst gering zu halten. Auf Seiten der Anbieter geht es um Qualitätssicherung und Bereitstel lung ausreichend großer, einheitlicher Partien. Unica und das QS-System können hier zukünftig Lösungen entwickeln Es wird auch Auswirkungen auf die Vermarktungsstrukturen geben. Das zentral-regionale Marketing der CMA kann hier Hilfestellung leisten Für die Kommunikation der Anbieter wäre eine Konzentration auf die Imagedimensionen Gesundheit und Geschmack sinnvoll, um wenigstens die Zielgruppen der Familien und älteren Haushalte zu sichern, die z.T. auch aus Kostengründen die preiswerten Frischkartoffeln verwenden. Die Kartoffelverarbeitungsindustrie wird ihrerseits sicherlich wesentlich aktiver Kommunikation in Richtung der jüngeren Zielgruppe und der Singlehaushalte betreiben. Das Gemeinschaftsmarketing der CMA orientiert sich an den Marktverhältnissen und betreibt auf Veranlassung der wichtigsten Marktbeteiligten ihre Kommunikationsmaßnahmen sowohl für frische Speisekartoffeln als auch für Verarbeitungsprodukte. Finanziell entfallen jeweils 50 % auf beide Produktangebote. Als Ziel steht die Imagepflege im Vordergrund. Bei frischen Speisekartoffeln werden bereits die Imagedimensionen Gesundheit, Geschmack und Vielfalt der Sorten und der Verwendungsmöglichkeiten herausgestellt. Als Instrumente werden die Öffentlichkeitsarbeit durch Pressemeldungen, Veranstaltungen, Exklusivvereinbarungen mit Zeitschriften und Fernsehsendungen usw. und in geringerem Umfang die Durchführung von Verkaufsförderungsaktionen speziell für Speisefrühkartoffeln mit dem Lebensmittelhandel eingesetzt. Für Direktvermarkter wird Werbe- und Informationsmaterial bereitgestellt. Eine Konzentration der vergleichsweise geringen Finanzmittel auf die frischen Speisekartoffeln macht keinen Sinn und ist auch nicht im Produktausschuß durchsetzbar. Die Acrylamidproblematik im vergangenen Jahr hat gezeigt, daß die negative öffentliche Diskussion über eine mögliche gesundheitliche Belastung beim Verzehr von Kartoffelverarbeitungsprodukten wie Chips oder Pommes Frites zu starken Umsatzrückgängen (-30 %) führte, die natürlich auch negative mengenmäßige Auswirkungen auf die Rohware Kartoffeln hatte. Daher ist eine permanente Aufklärung auch zu Verarbeitungsprodukten angebracht. Zum Abschluß kann die Frage: „Speisekartoffeln auf dem Rückzug: Braucht sie neuen Schwung oder ein anderes Image?“ dahingehend beantwortet werden: -Das Image der Speisekartoffel ist bei den meisten Verbrauchern, besondere den älteren Personen noch gut. Hier müßte es eigentlich neuem Schwung“ erhalten und fortgeführt werden. -- ins„mit Die jüngeren Zielgruppen sind dagegen leichter für die Verarbeitungsprodukte zu gewinnen -Für den „neuen Schwung“ werden jedoch erhebliche Finanzmittel nötigt, die leider nicht zur Verfügung stehen. be- So wie das Durchschwimmen eines Flusses leichter mit als gegen die Strömung möglich ist, so kann auch im Marketing ein Ziel leichter unter Nutzung eines bestehenden Trends erreicht werden als gegen diesen Trend. Bei finanziell „schwachen Kassen“ ist alles andere Illusion und so wie der stromaufwärts sich bewegende Schwimmer seine Kräfte vergeudet und ertrinken kann, so geht der Marketingmann, der sich gegen den Trend stemmt, häufig mit seinem Produkt unter. Bonn, 10.11.03