Impfstoff-Egoismus mit Folgen

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Nr. 22 • 20. Januar 2011
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Impfstoff-Egoismus mit Folgen
Neue Studie über unerwartete Auswirkung der Hepatitis-B-Impfung im New
England Journal of Medicine veröffentlicht – Gießener Virologen beteiligt
Ein internationales Forscherteam, darunter die Virusforscher Ulrike Wend und Wolfram
Gerlich der Justus-Liebig-Universität Gießen, hat neue Erkenntnisse zu einer
unerwarteten Auswirkung der Hepatitis-B-Impfung bei Blutspendern gewonnen. Die
Ergebnisse der Studie erscheinen heute in der weltweit führenden
medizinwissenschaftlichen Zeitschrift New England Journal of Medicine.
Hepatitis B ist eine Form der infektiösen, häufig chronischen, Leberentzündung. Sie führt
weltweit zu etwa 600.000 Todesfällen pro Jahr aufgrund der Spätfolgen Leberzirrhose
und Leberkrebs. Der Erreger, das Hepatitis-B-Virus (HBV), liegt oft unerkannt im Blut
vor. Ohne gezielte Gegenmaßnahmen würde dies bei Bluttransfusionen ein großes
Problem darstellen. Entschärft wird diese Gefahr in Deutschland durch drei aufwändige
labordiagnostische Untersuchungen der Blutspenden auf das genetische Material des
Virus (HBV-DNA), das Hüllprotein des Virus (HBsAg) und den Antikörper gegen HBV
(Anti-HBc). Dennoch bleibt ein kleines Restrisiko für eine infektiöse Spende von etwa
1:300.000. In der Frühphase der Infektion liegen diese Merkmale nämlich noch in zu
geringer Menge vor, um nachweisbar zu sein, während die Menge der Viren schon für
eine Infektion der Empfänger der Blutprodukte ausreicht.
Schon seit 1995 ist die sehr gut schützende und nebenwirkungsarme Impfung gegen
Hepatitis B in Deutschland für alle Kleinkinder und Jugendlichen empfohlen. Blutspender
werden bislang nicht gezielt geimpft, obwohl man vermuten könnte, dass dadurch das
Restrisiko auf unter 1:1.000.000 gedrückt werden könnte. Die neuen Erkenntnisse
deuten darauf hin, dass die Zurückhaltung, Blutspender zu impfen, eher genutzt als
geschadet hat.
Die Impfung begünstigt nämlich die Entstehung von okkulten HBV-Infektionen; das heißt,
dass die Infektion nicht durch den üblichen Test auf HBsAg sondern nur durch HBV DNA
nachgewiesen werden kann. Entsprechende Ergebnisse an 6 von 3,7 Millionen
untersuchten amerikanischen Blutspendern sind in der erwähnten Arbeit dargestellt. Man
muss von der Infektiosität solcher Spenden für die Empfänger ausgehen, auch wenn
diese zurzeit nicht erwiesen ist. Anders als in Deutschland wurde bislang das
Spenderblut in den USA wegen der hohen Kosten nicht auf HBV-DNA untersucht. Die
neuen Ergebnisse könnten zu einem Umdenken führen.
Die okkulten Infektionen der geimpften Spender verliefen völlig harmlos ohne Symptome
einer Leberschädigung. Nach ein bis drei Monaten verschwanden die Viren im Blut und
der durch Impfung erzeugte Schutz war danach aufgefrischt. In dieser Hinsicht spricht
Herausgegeben von der Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen • Postfach 11 14 40 • 35359 Gießen
Ludwigstraße 23 • 35390 Gießen • Telefon: 0641 99-12048 • Fax: 0641 99-12049
Redaktion: Christina Lott • E-Mail: [email protected][email protected]
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Justus-Liebig-Universität Gießen
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also nichts gegen die Impfung. Die Daten zeigten dennoch klare Defizite des bisherigen
Impfstoffkonzepts auf.
Von HBV sind neun Genotypen bekannt. Bislang setzten die meisten Fachleute
stillschweigend voraus, dass die Impfung mit einem Genotyp gegen alle Genotypen
gleich gut schützt. Es zeigte sich aber, dass bei den geimpften und dennoch infizierten
Personen vorwiegend andere Genotypen als im Impfstoff auftraten. Der Schutz dagegen
war etwa zehnmal schwächer. Weltweit hat nur ein Prozent der HBV-Infizierten den
Genotyp des Impfstoffs. Der Egoismus sich trotz der weltweiten Anwendung des
Impfstoffs auf den eigenen regionalen HBV-Genotyp zu beschränken, fällt nun auf diese
Länder zurück. Die HBV-Infektionen gehen eben auch in den USA oder Deutschland
sehr oft von Menschen aus fernen Ländern mit anderen Genotypen aus.
Bei einer umfassenderen Schutzwirkung wäre es möglich, HBV im Lauf von Jahrzehnten
ganz auszurotten. Dazu müsste allerdings der bisherige Impfstoff deutlich verbessert
werden. Naheliegend wäre es, die weltweit vorherrschenden Genotypen B bis F mit
einzubeziehen. Aber auch innovativere Konzepte wären zu erwägen. Studien am
Gießener Institut für Medizinische Virologie zeigten, dass die schützende Komponente
des Impfstoffs, das HBsAg, bei den verschiedenen Genotypen sehr unterschiedlich sein
kann. Auch die gefürchteten Escape-Mutanten des Virus, die in Gegenwart des
schützenden Antikörpers entstehen, sind dort oft stark verändert. Sinnvoller wäre es,
Bestandteile des Virus als Impfstoff zu verwenden, die das Virus nicht durch Mutation
verändern kann, ohne seine Vermehrungsfähigkeit zu verlieren. Dies ist insbesondere
das PräS-Antigen des Virus, dessen schützende Wirkung ein weiterer Forscher am
Institut für Medizinische Virologie, Dieter Glebe mit seinen Mitarbeitern, erst kürzlich
nachgewiesen hat (Bremer et al. J Hepatol 2010 Nov 28 [Epub ahead of print]
doi:10.1016/j.jhep.2010.10.019). Leider besteht in der Pharmaindustrie bislang wenig
Neigung, sich für eine Weiterentwicklung des Hepatitis B Impfstoffs zu interessieren.
Vielleicht ändert sich dies mit den erwähnten Studien aus der Gießener Universität.
Publikation
Fotos
Kontakt
Susan L. Stramer, Ulrike Wend, Daniel Candotti, Gregory A. Foster, F. Blaine Hollinger,
Roger Y. Dodd, Jean-Pierre Allain, Wolfram Gerlich (2011). Nucleic acid testing to detect
HBV infection in blood donors. New Engl J Med 364:236-247
1.) Ulrike Wend (Foto: privat), 2.) Prof. Dr. Wolfram Gerlich (Foto: privat)
Prof. i. R. Dr. W. H. Gerlich, Institut für Medizinische Virologie
Frankfurter Straße 107, 35392 Gießen
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