Ebenen der Gewalt 1) indirekte strukturelle Gewalt 2) direkte personale Gewalt Gewaltrisiken – Substanzbezogen, Folgen und Motive Sucht – Risiko - Gewalt 33. Landestagung der Landesstelle für Suchtfragen 4. Juli 2013 Michael Berner Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Freiburg Rhein--Jura Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Rhein Bad Säckingen Aggressionsthermometer Potentiell lebensbedrohliche Gewalt Schlägereien/Kämpfen Gewaltandrohungen Handgreiflichkeiten/Rangeleien Gelegentliche Gewaltphantasien und -gedanken Aggressive Beziehungsgestaltung Verbal aggressives Verhalten Gelegentlich aggressive Gedanken Gelegentlich unhöfliches Benehmen Immer respektvoll und höflich a) physische Gewalt: mittels körperlicher Kraft gegenüber anderen Menschen (z. B. Schläge) oder Sachen (Vandalismus) b) psychische Gewalt: verbale Attacken (wie Beleidigung, Tyrannisieren, Schikanieren, Auslachen, Drohung) oder z. B. Vorenthaltung von Zuwendung, emotionale Erpressung, Abwendung 3) sexuelle Gewalt 4) fremdenfeindliche und rassistische Gewalt Warum sind wir nicht gewalttätig ? Wir sind so erzogen worden, worden, es entspricht der Konvention Wir haben Angst vor den Sanktionen Wir können die Situation korrekt einschätzen (die Gefahr für uns uns)) Wir sind empathiefähig, empathiefähig, d.h. d.h. leiden mit einem Opfer mit Eine Frage zum Einstieg Was ist der beste Prädiktor (Vorhersagevariable) für gewalttätiges Verhalten ? a. b. c. d. e. f. Vorherige Straffälligkeit Intoxikation Frühere Gewalttätigkeit Selbstwahrnehmung als “Opfer” Alle aufgeführten Variablen Keine der aufgeführten Variablen Richtig: f. Keine der aufgeführten Variablen Gewalt kann nicht vorausgesagt werden. Aber das RISIKO kann abgeschätzt werden. Gewaltrisiko-Abschätzung Jahrhundertflut 2002 + 2013 Gewalt ist (und bleibt) das Reich der Jugend • 18 – 29 • 30 – 44 • 45 – 64 • >65 7.34% 3.59% 1.22% <1% Epidemiological Catchment Area study (USA, 1993) Das GewaltGewalt- bzw bzw.. Aggressionsrisiko steigt, steigt, wenn existentielle Ressourcen bedroht sind Gewaltrisiko-Abschätzung Psychopathie als Prädiktor Psychopathen sind Menschen die zu keiner Empathie fähig sind und deshalb ein hohes Gewaltrisiko aufzeigen Gewalt = Spezifisches Individuum + Spezifische Situation Die Forschung konnte neurobiologische Defizite im Bereich der Emotionsregulation aufzeigen Es soll v.a v.a.. ein Übermaß an Dopamin und Serotonin in den entsprechnden Zentrenvorhanden sein Gewaltrisiko-Abschätzung Neurotransmitter - Wirkungen Noradrenalin Serotonin Aufmerksamkeit Modulation Präfrontaler Kortex Hinterer parietaler Kortex Gewaltanamnese ist der beste Prädiktor Was ist die gewalttätigste Tat, die Sie je begangen haben ? Was getan ?, warum ?, wen betraf es ?, Intoxikation ?, Welche Verletzungen ? Motivation Kriminalakten Antrieb Vorderes Aufmerksamkeitssystem Hinteres Aufmerksamkeitssystem Dopamin 11 • Alter der ersten Festnahme korrelliert hoch mit Kriminalität • Jede frühere Episode erhöht das Risiko • Bei vier Festnahmen ist das Risiko für die fünfte bei 80% Improving the clinical practice of violence risk assessment: Technology, guidelines, and training. Borum, R, American Psychologist, Vol 51(9), Sep 1996, 945-956 Gewaltrisiko-Abschätzung Dilemma der Risikoabschätzung Spezifische Bedrohung von/gegenüber jemand ist ein weiterer ernsthafter Risikofaktor Hochrisikopersonen verüben nicht immer Gewalttaten Spezifische Bedrohung + Gewaltanamnese sorgt für exponentiell gesteigertes Risiko Substanzen Personen, die Gewalttaten verüben sind oft keine Hochrisikopersonen Anteil der Straftaten unter Alkohol… an der Gesamtzahl der jeweiligen Straftaten Ein großer Teil der Beteiligten an Gewaltverbrechen sind unter Alkoholeinfluß zur Zeit des Verbrechens Stimulantien Kokain,, Amphetamine, PCP Kokain Enthemmung und Paranoia Kokain:: Männer werden zu Tätern, Kokain Tätern, Frauen zu Opfern Straftat 1994 1995 Gefährliche/schwere Körperverletzung 29,0% 27,5% Vergewaltigung 29,1% 32,4% Raubmord 32,0% 32,7% Sexualmord 33,0% 35,0% Körperverletzung mit tödlichem Ausgang 37,6% 38,0% Totschlag 39,2% 38,8% Gewaltkriminalität insgesamt 26,9% 25,0% Widerstand gegen die Staatsgewalt 57,9% 56,3% Quelle: Simon et al.: Suchtbericht Deutschland 1997 Neurotransmitter - Wirkungen Strukturen, die durch Alkohol beeinträchtigt werden Noradrenalin Serotonin Aufmerksamkeit Modulation Präfrontaler Kortex Hinterer parietaler Kortex Motivation Antrieb Vorderes Aufmerksamkeitssystem Hinteres Aufmerksamkeitssystem Dopamin Nach Tapert et al., 2005 Alkohol und das jugendliche Gehirn 18 Adoleszenz, Alkohol und Gewalt Riskanter Alkoholkonsum während der Jugend assoziiert mit: • neurokognitive Funktion • Junge Erwachsene erleben mehr Gewalt als andere Altersgruppen • Aufmerksamkeit, räumlich-visuelle Fähigkeiten • Anomalitäten bzw. Veränderungen in Gehirnstruktur und – funktion Hippocampus-Volumen weiße Substanz bei jungen Männern Gewalt vorwiegend in Bars und Diskotheken bei jungen Frauen Gewalt vorwiegend zu Hause • neurale Reaktionen während der Informationsverarbeitung • Gehirnaktivität in den Regionen, die für die Bearbeitung von Aufgaben zuständig sind, die Gedächtnisleistungen erfordern Quigley and Leonhard, 2005 Alkohol und Gewalt Adoleszenz, Alkohol und Gewalt Junge Erwachsene erleben mehr Gewalt als andere Altersgruppen bei jungen Männern Gewalt vorwiegend in Bars und Diskotheken • Nötig: besseres Verständnis der pharmakologischen Auswirkungen von Alkohol auf Entscheidungsprozesse, die in aggressiven Interaktionen zum Tragen kommen bei jungen Frauen Gewalt vorwiegend zu Hause 2 theoretische Grundmodelle • „Alkoholkurzsichtigkeit“: reduzierte Aufmerksamkeit auf Hinweise, die Aggressionen verhindern Grundthese: Intoxikation Konfliktsituation verschlechtert sich Bars mit freizügiger Atmosphäre betrunkene Aggressionen je mehr Alkohol konsumiert wird, desto wahrscheinlicher Schäden • Angst-Enthemmungs-Modell: Alkohol dämpft angstbesetzte Situationen/Hinweisreize Häusliche Gewalt: Alkoholkonsum des Mannes nur in konfliktreichen Ehen ein Prädiktor schwerer Gewaltdelikte Quigley and Leonhard, 2005 Quigley and Leonhard, 2005 Alkohol und Gewalt Freiburger Streettalk Wahl S, Kriston L, Berner M. Drinking before going out – A predictor of negative nightlife experiences in a German inner city area. International Journal of Drug Policy, 2010 23 24 Zusammenhang Alkoholkonsum – Gewalt Erlebte Gewalt /Kriminalität Haben Sie während der letzten 12 Monate Folgendes abends in der Innenstadt gesehen bzw. ist Ihnen selbst passiert (Angaben in %)? selbst erlebt Mann-Whitney-U-Test: 1957.0**, p=.000 beobachtet männlich weiblich alle männlich weiblich alle (n=178) (n=121) (n=299) (n=180) (n=121) (n=301) Schlägerei in Kneipe (beteiligt vs. beobachtet) 11.2 0.8 7.0 50.0 42.1 46.8 Schlägerei auf Straße (beteiligt vs. beobachtet) 29.7 6.6 19.7 62.6 55.6 59.9 Sexuelle Belästigung 4.0 24.0 12.1 22.2 28.9 24.9 zu betrunken sein um zu laufen 29.8 19.0 25.4 91.1 86.0 89.0 Beleidigung 65.6 33.1 46.5 81.1 78.5 80.1 6.9 5.0 6.1 12.8 14.0 13.3 Heimlich Alkohol in Getränk Wahl et al., 2010 Spezielle Aspekte Militarische Vergangenheit und Arbeitsstellen Desertion Häufige Kündigungen Gekündigte Personen 66-fach höheres Risiko für gewalttätiges Verhalten als in Arbeit befindliche Personen, die im letzten Jahr an mindestens einer Schlägerei beteiligt waren, trinken an einem normalen Abend hochsignifikant mehr Alkohol als die übrige Gruppe. Wahl et al. , 2010 Gewalt und Psychische Störung Gewalt mit akuter Symptomatik assoziiert Schizophrenie hat niedrigere Raten als Depression oder Bipolare Störungen Substanzmißbrauch > Psychische Störung Monahan,, 1997 Actuarial support for the clinical assessment of violence risk. International Review of Monahan psychiatry 176:312176:312-319. Niedrige Intelligenz Niedrige Intelligenz erhöht das Risiko für gewalttätiges Verhalten mäßig Leichte Retardierung Gewaltrisiko Männer 5-fach erhöht Gewaltrisiko Frauen 2525-fach erhöht Je weniger Bildung desto höher das Risiko Depression Schlägt aus Verzweiflung/ Verzweiflung/Ohnmacht Depressive Mütter, Mütter, die ihre Kinder töten Häufigste Diagnose beim Mord Mord--Suizid • Erweiterter Suizid • Bei Paaren in Verbindung mit Eifersucht und Besitzgier Resnick (1969) Child murder by parents: a psychiatric review of filicide. Am J Psych 126 (3): 325-334; Rosenbaum (1990) The role of depression in couples involved in murder-suicide and homicide. Am J Psych 147 (8): 1036-1039 Hodgins (1992) Arch of Gen Psych 49 (6):476 (6):476--483 Gewalt und Psychische Störung Häusliche Gewalt PTSD bei Kriegsveteranen Halluzinationen bei Schizophrenie (niedrig) niedrig) Erstmanifestation Schizophrenie Wahn (Eifersucht) Eifersucht) Manie bei Bipolarer Störung (häufig, häufig, aber selten schwer, schwer, je mehr Restriktion, Restriktion, desto mehr Gewalt) Gewalt) Persönlichkeitsstörungen (emotional instabil, instabil, dissozial) dissozial) Monahan, 1997 Actuarial support for the clinical assessment of violence risk. International Review of psychiatry 176:312176:312-319. Wesentliche Risikofaktoren: Männer, die als Kinder die Erfahrung von Gewalt gemacht haben Niedriger Bildungsstand, niedriges Einkommen Alkoholmißbrauch Die Hälfte aller Männer, die ihre Frauen schlagen, schlagen auch ihre Kinder Kindsmißbrauch Existenzielle-Faktoren: Jugend, alleinerziehend, arm Mikrosystemebene: Partnerprobleme Ökonomische Faktoren: Arbeitsprobleme, Mangel an sozialer Unterstützung Makrosystemebene: Kulturelle Faktoren und Einstellungen, Eigene Erfahrungen Heise, Ellsberg, Gottenmoller Ending violence against women, 1998 S. Tschöpe-Schäffler, 5 Säulen der Erziehung, Monographie Affekt Ärger und Mangel an Empathie Selbstwahrnehmung als Opfer Risiko Medienkonsum 1. Die Beschäftigung mit Medien wie Fernsehen, Computer und Internet dominiert das Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen. 2. Der Konsum von Gewaltmedien steht in enger Beziehung mit dem eigenen Gewaltverhalten. Dieser Einfluss ist unabhängig von möglichen anderen Belastungsfaktoren. Zur Jugendgewalt Sowohl aus Opfer- wie aus Tätersicht zeigen die Daten zur selbstberichteten Jugendgewalt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger Gewalttaten begehen als deutsche Jugendliche. Der stärkste Einfluss auf Jugendgewalt geht von der Zahl der delinquenten Freunde aus, mit denen die Jugendlichen in ihrem so zialen Netzwerk verbunden sind. 3. Handy und Internet werden auch als Mittel der Belästigung eingesetzt. 4. Insbesondere männliche Jugendliche geraten nicht selten in suchtartiges Computerspielen. Dirk Baier, Christian Pfeiffer, Julia Simonson & Susann Rabold: Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt ; Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht ; Nr. 107). Risiko - Resilienz Sowohl der Querschnittsvergleich der bundesweiten Schülerbefr agung 2007/2008 als auch die Längsschnittanalyse der vom KFN seit 1998 in Großstädten durchgeführten Schülerbefragungen belegen, dass sich die Verbesserung von Bildungschancen präventiv auswirkt. Dirk Baier, Christian Pfeiffer, Julia Simonson & Susann Rabold: Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt ; Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht ; Nr. 107). Risiko-Resilienz Studie von Gentile & Bushman (2012): Untersucht 430 3.-4. Klässler Risiko- & Resilienz-Modell - 6 Risiko/Schutzfaktoren: 1. 2. 3. 4. Gewalthaltiger Medienkonsum (TV, Filme, Videospiele), selbst Opfer von Gewalt gewesen (z.B. Mobbing), Geschlecht (m/w) hostiler Attributionsfehler (andere fälschlicherweise als feindselig wahrnehmen), 5. Elterliche Kontrolle, 6. vorheriges aggressives Verhalten Reassessing media violence effects using a risk and resilience approach to understanding aggression. Gentile, Douglas A.; Bushman, Brad J. Psychology of Popular Media Culture, Vol 1(3), Jul 2012, 138-151. Reassessing media violence effects using a risk and resilience approach to understanding aggression. Gentile, Douglas A.; Bushman, Brad J. Psychology of Popular Media Culture, Vol 1(3), Jul 2012, 138-151. Risiko-Resilienz Varianz einzelner Faktoren: Der beste Prädiktor für Aggression ist zuvor gezeigtes aggressives Verhalten mit einem Varianzanteil von 29.0%. der zweitbeste Prädiktor ist gewalthaltiger Medienkonsum mit 8.1% Varianzanteil die Dauer des Medienkonsums erklärt nur 0.9% der Gesamtvarianz Fazit • • • • • • • • Neurobiologie Biographie Substanzen Beziehungen Psychische Störungen Persönlichkeit Ökonomischer Status Gesellschaftliche Ordung • Ziel ist Risikoabschätzung und -minimierung • Prävention ist wichtig – wie ? Reassessing media violence effects using a risk and resilience approach to understanding aggression. Gentile, Douglas A.; Bushman, Brad J. Psychology of Popular Media Culture, Vol 1(3), Jul 2012, 138-151. Was tun ? S. Tschöpe-Schäffler, 5 Säulen der Erziehung Gewaltrisiken – Substanzbezogen, Folgen und Motive Sucht – Risiko - Gewalt 33. Landestagung der Landesstelle für Suchtfragen 4. Juli 2013 Michael Berner Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Freiburg Rhein--Jura Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Rhein Bad Säckingen