Depressionen: Tödliche Traurigkeit | ZEIT ONLINE

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GESUNDHEIT
DEPRESSIONEN
Tödliche Traurigkeit
Die häufigste Ursache für einen Suizid sind Depressionen. Die
ausgedehnten Phasen zwischen Verzweiflung und Traurigkeit
sind behandelbar. Doch ein Risiko bleibt.
VON Hartmut
Wewetzer | 12. November 2009 - 00:00 Uhr
© rowan/photocase
Wer unter Depressionen leidet, dem erscheint die Welt trist und leblos
Es ist eine Tat, die für viele Menschen unbegreiflich ist. Warum bringt sich ein prominenter
und gefeierter Sportler wie Robert Enke im Alter von 32 Jahren um? Zumindest ein wenig
verständlich wird Enkes Handeln durch die Tatsache, dass er an Depressionen litt. Sie
waren es, die ihn schließlich in den Tod trieben.
Depressionen, also ausgedehnte Phasen von Verzweiflung und Traurigkeit, sind die
Hauptursache für eine Selbsttötung, einen Suizid, sagt die Charité-Psychiaterin Isabella
Heuser . "Noch immer gilt die Depression als typisch 'weibliche' Erkrankung", sagt Heuser.
"Als junger, erfolgreicher Mann hat man nicht depressiv zu sein, erst recht nicht in einem
Machosport wie Fußball." Enke habe offenbar im Verborgenen gelitten und ganz für sich
den Entschluss zum Suizid gefasst.
Ein Suizid ist in der Regel kein Kurzschlussakt, sondern häufig geplant. Menschen, die eine
Selbsttötung vorhaben, wirken paradoxer Weise für ihre Umwelt oft besonders gelöst, ja
heiter. "Das ist die Ruhe vor dem Sturm", erläutert die Psychiaterin Heuser. "Wenn jemand,
der an Depressionen leidet, schlagartig fröhlich ist, dann ist das für uns ein Alarmzeichen."
Der Entschluss, zu sterben, hat eine scheinbar befreiende Wirkung. Eine echte Besserung
der Depression erfolgt dagegen allmählich.
Hirnforscher wie Florian Holsboer vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie
nehmen an, dass bei Depressionen Umwelt und Anlage zusammenspielen. Körperlicher
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oder seelischer Stress und eine sensible Natur kommen zusammen und bahnen einer
depressiven Störung den Weg. Oft gelinge es dabei nicht, die Depression an einem
"Melancholie-Gen" oder einem einzigen belastenden Lebensereignis festzumachen. Es ist
die "konzertierte Aktion" vieler subtiler genetischer Varianten und äußerer Ereignisse, die
mit der Zeit überhandnehmen und den Organismus überfordern.
Holsboer glaubt, dass jedes Lebewesen nach einem inneren Gleichgewicht strebt. Diese
Balance wird durch "Stressoren" herausgefordert, bestimmte körperliche und seelische
Ereignisse wie Krankheiten oder belastende Lebenssituationen, etwa ein Trauerfall und
Versagen im Beruf. Die Stressoren versetzen den Körper in Alarm, Stresshormone wie
Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet. Eine zunächst ganz normale Situation – aber
ein verletzlicher Organismus bekommt die Situation nicht in den Griff und befindet sich
schließlich in einem Daueralarm, der auf die Stimmung drückt und Symptome wie Angst
und Niedergeschlagenheit auslöst.
"Die Depression ist die wichtigste stressbezogene Erkrankung", sagt die CharitéPsychiaterin Heuser. Noch kommen auf einen männlichen zwei weibliche Patienten. Aber
mittlerweile nimmt die Zahl der behandelten männlichen Depressionspatienten zu, die
Erkrankten werden immer jünger. "Woran das liegt, wissen wir nicht", sagt Heuser.
Depressionen oder depressive Verstimmungen sind sehr häufig – statistisch gesehen hat
jeder zweite bis dritte Mensch irgendwann im Leben mit ihnen zu kämpfen. Das wiederum
hat Wissenschaftler auf den Plan gerufen, die sich fragen, ob sich hinter einer Depression
nicht mehr verbirgt als "nur" ein krankhaftes Geschehen. Könnte sie einen versteckten
evolutionären Sinn haben? Warum sonst sind depressive Störungen so weit verbreitet?
Die US-Psychologen Paul Andrews und Anderson Thomson vertreten diese Ansicht. Sie
glauben, dass ein depressiver Gemütszustand Menschen helfen kann, intensiv und ohne
Ablenkung von außen über Probleme nachzudenken. Das kann sehr produktiv sein, glauben
die Forscher. Aber solche Produktivität hat ihren Preis – ein sinnvolles Insichgekehrtsein
kann sich in eine schwere psychische Krankheit verwandeln.
Eine Depression bleibt nur selten unentdeckt. Denn wer depressiv ist, dessen Persönlichkeit
verändert sich. "Man redet weniger, zieht sich zurück, hat selbst am Essen kein Freude
und lächelt nicht mehr", sagt Heuser. Angehörige und Freunde sollten in dieser Situation
nicht lockerlassen und weder gute Ratschläge geben à la "das wird schon wieder" noch sich
von den Betroffenen abweisen lassen. "Depressive dürfen nicht in Ruhe gelassen werden",
rät sie, professionelle Hilfe durch einen guten Hausarzt oder Psychiater sei oft dringend
erforderlich.
Rund 9000 Suizide werden jedes Jahr in Deutschland verzeichnet, Depressionen gelten
dabei in mindestens neun von zehn Fällen als Ursache. Seit 1980 hat sich die Zahl der
Selbsttötungen jedoch mehr als halbiert. Isabella Heuser führt das vor allem auf bessere
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Medikamente zurück. Früher seien die Mittel wegen erheblicher Nebenwirkungen oft nicht
ausreichend dosiert worden.
Antidepressiv wirkende Medikamente sind aus Heusers Sicht meist unerlässlich. Die häufig
geäußerte Kritik an ihnen findet die Ärztin und Psychotherapeutin überzogen und nicht
ungefährlich, weil eine unzureichende Behandlung mit Medikamenten das Suizidrisiko
nachweislich erhöht. Zweites Standbein ist eine Psychotherapie. Nur in leichten Fällen von
Depression sei es möglich, ganz auf Arzneimittel zu verzichten.
Trotz aller therapeutischen Erfolge ist es noch immer trauriger Alltag, dass sich Depressive
das Leben nehmen. Der tragische Tod Robert Enkes ruft das ins Gedächtnis.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 12.11.2009)
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ADRESSE: http://www.zeit.de/wissen/2009-11/depressionen-enke
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