Die Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum – Umkehr und Erneuerung von Pfarrer Michael Schankweiler am 23.11.2013 um 15.00 Uhr in der Friedenskirche zu Remagen zum Tag der Demokratie Aus der Ankündigung des Vortrages: Die Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum Das Verhältnis der Kirchen zum Judentum war jahrhunderte lang von Rivalität und Feindschaft geprägt. Der kirchliche Antijudaismus war auch Nährboden für den politischen und rassistischen Antisemitismus der Nazis. Darum leider gab es kaum Widerstand, als die Machthaber im Dritten Reich die jüdischen Bürger peu a peu immer stärker bedrängten bis hin zu der größten Menschheitskatastrophe des vergangenen Jahrhundert, dem millionenfachen Völkermord an den europäischen Juden. Mit großem Erschrecken mussten die Kirchen nach 1945 erkennen, dass sie nicht schuldlos waren am Holocaust. Zwar zu spät, aber zumindest nach dem Krieg begann in beiden großen Kirchen darum ein Umkehr –und Erneuerungsprozess im Verhältnis zum Judentum, das sich in Konzilstexten und dem berühmten Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980 niederschlug. Pfarrer Michael Schankweiler zeichnet in seinem Vortrag die Entwicklung des kirchlichen Antijudaismus nach bis zu der epochalen Umkehr in Theologie und Kirche. Sehr geehrte Damen und Herren! Der bayrische Kabarettist Gerhardt Polt erklärt folgendes in seinem Büchlein: Heute wegen Tod geschlossen, Dialoge von A nach B Wenn wir es nun hören, kann es einem das Gruseln lehren. Das anfängliche Lachen bleibt uns im Halse stecken. Und wir denken: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem es kroch, (Bert Brecht). Irgendwo, heute, an einem Stammtisch, vielleicht sogar im Münchner Hofbräuhaus. Wer weiß? Jubiläum A: Und, weißt´schon? B: Was is? A: Heut is a Jubiläum. B: Was für a Jubiläum? A: Ja, weißt denn du das nicht, schaust du denn nicht fern? B: Freilich schau ich fern. A: Ja, dann musst du doch wissen, dass heute a Jubiläum ist. B: Was für a Jubiläum? A: Ja, der Holocaust. Es ist jetzt siebzge Jahre her, wo mir die Juden vergast haben. B: A geh – ist des schon wieder so lang her! Die Grundthese meiner Ausführungen lautet: Die feindliche Haltung der Kirchen gegenüber dem Judentum, sprich - der christliche Antijudaismus - hat dem Judenmord der Naziverbrecher mit den Boden bereitet! Und weiter: Es hat wenig Sinn, wenn wir uns etwa kopfschüttelnd oder zornig abwehrend von den antijüdischen Greultaten der Nazis distanzieren, jedoch ganz vergessen, dass die Wurzeln dieser Judenfeindschaft auch im christlichen Boden liegen und gerade auch der christliche Antijudaismus den Naziverbrechern Nahrung gegeben hat. Ich sage, die Kirche hat mit den Boden bereitet und auch Nahrung gegeben. Auch und Mit. Sie war nicht allein. 1 Es gab auch andere Verantwortliche wie die Philosophie oder spinnige Rassetheoretiker. Aber – die Kirche trägt einen großen Anteil daran, den es aufzuzeigen und zu verantworten gilt. Die Synodalerklärung der Evangelischen Kirche von 1980 zur Umkehr und Erneuerung des Verhältnisses der Kirche zum Judentum spricht ausdrücklich von Mitverantwortung und Schuld der Kirche. Schuld ist ein großes und schwerwiegendes Wort. Dennoch meine ich, wurde es zu Recht gebraucht und gesagt und bekannt. Viel zu spät. Schuld ist immer persönlich. Es gab und gibt wirkliche Täter und wirkliche Opfer, aber auch die schweigende Masse, die etwas wusste, aber zum Unrecht schwieg. Darum ist Schuld auch kollektiv. Fragte man die damals Lebenden meiner Eltern und Großelterngeneration, was sie vom Judenmord wussten, kam einhellig: Davon haben wir nichts gewusst. Und das mag so stimmen. Fragte man jedoch nach: Habt ihr nicht mitbekommen den Boykott jüdischer Geschäfte am 1.April 1933, den Synagogenbrand, dass jüdische Mitschüler fehlten, dass die Juden gen Osten transportiert wurden, dann kam nach und nach heraus, dass man es eben doch wusste aber schwieg, wohl ahnte, dass es Unrecht war. Aber für Menschen, die auf den Unwert von Ungeziefer herabdekliniert wurden, gab es kein Erbarmen, sondern Zyklon B. Schon beim Boykott der jüdischen Geschäfte hätte die Kirche die Gelegenheit gehabt für die Juden zu schreien. Stattdessen zollte der rheinische Generalsuperintendent Stoltenhoff in Koblenz in einem Briefwechsel mit einem Kölner Pfarrer vollstes Verständnis und sein Wohlwollen für den Boykott am 1. April 1933: „. ….dass man es doch verstehen müsse, dass sich der Ärger über die Juden mal ordentlich Luft mache.“ Also: Im ersten Teil meiner Ausführungen werde ich Ihnen belegen, wie sehr auch die Kirchen mit ihrer Judenfeindschaft über Jahrhunderte die Köpfe der Menschen vergiftete und Schuld und Mitverantwortung am Holocaust trägt. Im zweiten Teil werde ich aufzeigen, wie diese große Menschheitskatastrophe ein radikales Umdenken und Neubesinnen, eine Umkehr und Erneuerung des Verhältnisses der Kirchen zum Judentum eröffnete. (Wobei ich mich schon so oft gefragt habe, warum es immer erst zu wirklichen Katastrophen kommen muss, ehe die Menschen aufwachen und von ihren bösen Wegen abkehren? Und wobei ich mich frage, inwieweit diese Umkehr und Erneuerung wirklich die Gemeindebasis erreicht hat??) Ich spreche nicht von Antisemitismus. Der Begriff Semitismus meint ursprünglich eine Sprachkategorie, d.h. zu der semitischen Sprachfamilie gehörende Menschengruppen, die arabischen Völker und andere längst vergangene Volksgruppen wie Hethiter und Assyrer. Der Begriff Semitismus und dann der Begriff Antisemitismus sind ja erst spät, eigentlich erst im 19. Jahrhundert zum Rassebegriff geworden. Der Antisemit ist ja, wie wir wissen gar nicht Gegner aller Semiten schlechthin, sondern eben doch nur der Juden, so dass man treffender von Judenfeindschaft reden sollte. Ich spreche also von Antijudaismus und meine damit die judenfeindliche Haltung, die es schon in der Antike gab, eigentlich seit den Anfängen des jüdischen Volkes als Religion und Volksgemeinschaft. Schon in der Antike kam es bisweilen zu Massenaufwiegelungen gegen die Juden, die außer in Palästina im ganzen Mittelmeerraum und im Mittleren Osten siedelten. Wenn irgendetwas geschehen war, für das man einen Schuldigen suchte, waren es gerne auch da schon die Juden. Die Judenfeindschaft der Christlichen Kirchen Die Judenfeindschaft der christlichen Gemeinden ist das Ergebnis eines Entfremdungsprozesses, ja eines Trennungsprozesses zwischen Juden, Judenchristen und Heidenchristen. Die erste christliche Gemeinde, nennen wir sie vereinfachend die Urgemeinde, war eine Gruppe messianischer Jüdinnen und Juden innerhalb des Judentums, die Jesus als den gekommenen Messias ansahen, ihn verehrten und an seine Auferweckung durch Gott glaubten. Die ersten Christen waren und blieben Juden. Petrus und Paulus. Alle neutestamentlichen Schriften sind jüdische Schriften. 2 Die Hoffnung auf den Messias, auf seine Wiederkunft, der Glaube an eine Auferstehung der Toten, das sind alles jüdische Themen, die niemanden vom Judentum trennte, der oder die es glaubte und bekannte. Die Apostelgeschichte berichtet, wie die Mitglieder der Jerusalemer Urgemeinde ganz selbstverständlich zum Gebet und Opferdienst in den Tempel gingen (2,46) und wie sie sich wie jede jüdische Familie in ihren Häusern zusätzlich zu Studium, Gebet und gemeinsamer Mahlzeit trafen. Die Urgemeinde war eine Gruppe innerhalb des vielschichtigen und lebendigen Judentums im Palästina des 1. Jahrhunderts neben Pharisäern, Sadduzäern, Essenern, Qumranleuten, der Priesteraristokratie und anderer Gruppen. Ein erster Konflikt innerhalb der christlichen Urgemeinde trat da auf, als auch Menschen, die nicht jüdisch waren, die nicht zum Volk Israel gehörten, die zu den Völkern gehörten, Christen sein wollten. Wir unterscheiden diese von den Judenchristen mit der Bezeichnung Heidenchristen. Und der Konflikt bestand darin, ob die, die vorher heidnisch waren, erst auch Juden werden müssen, um Christen zu sein. Sprich: Ob sie, wenn sie Männer waren, beschnitten werden müssen, ob sie alle 613 Ge- und Verbote einhalten müssen und auch ob sie sich an die Speisegebote des Judentums halten müssen? Mit einem ersten Konzil, das uns in Apostelgeschichte 15 überliefert ist, traf man eine für das Zusammenbleiben von Juden und Christen folgenreiche Entscheidung: Man entschied: Heiden, die Christen werden wollen, brauchen nicht die Beschneidung, nicht die vollen Speisegebote und nicht die Einhaltung aller Gebote. Damit war fürs erste das Zusammenbleiben zwischen Judenchristen und Heidenchristen gerettet, aber zum Judentum war hiermit eine erste große Schranke aufgebaut worden. Und weil die Beschneidung und die Reinheits –und Speisegebote für das Judentum so wesentlich waren und sind, war letztlich die Trennung von Christen und Judentum auch schon vorprogrammiert. Judenchristen und Heidenchristen blieben zwar zusammen, aber gegenüber dieser Aufweichung jüdischer Normen, gab es im Judentum enormen Widerstand. Und auch die Streitfrage, ob Jesus von Nazareth wirklich der Messias, der Christus ist, wird nicht unerheblich gewesen sein hinsichtlich der Trennung von Judentum und Christentum. Als dann im Jahre 70 nach Christus die Römer den Tempel zerstörten und bis 135 nach Christus verschiedene Aufstände das Land verheerten, kam es zum wirklichen Bruch zwischen Judentum und christlicher Urgemeinde. Das Judentum konstituierte sich neu in Javne, einem kleinen Ort in der Nähe des Mittelmeeres. Mit der Neuorientierung fand auch eine Neubestimmung statt, wer denn zum Judentum gehöre und was jüdisch sei. Die christliche Urgemeinde aus Judenchristen und Heidenchristengehörte ab da ganz offiziell nicht mehr zum Judentum und galt als Sekte. Auch sie, die christliche Gemeinde litt unter der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Auch sie konstituierte sich neu und überlebte in Paella, einem Ort östlich des Jordan. Judentum und Christentum gingen aber von da an getrennte Wege. Zwar mahnte der zum Christen gewordene Rabbiner Paulus in seinem Römerbrief die Heidenchristen in der Weltstadt davor, ihr jüdisches Erbe und ihre Verwurzelung im Judentum nicht gering zu achten oder zu vergessen, „Nicht Du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt Dich!“Röm11,18. Dennoch, die christliche Gemeinde mit einem immer geringer werdenden Anteil an messianischen Jüdinnen und Juden und einem immer stärker anwachsenden Anteil an Gemeindegliedern aus den Völkern, vergaß nach und nach ihre Verbundenheit mit dem Judentum und ihre Verwurzelung in ihr. Die gemeinsam erlebte und durchlittene Katastrophe, nämlich die Zerstörung des Tempels im Jahre 70, wurde so auch im Zuge des Vergessens nicht mehr als gemeinsames Unglück betrachtet, sondern mehr und mehr von den Heidenchristen als Strafe für die Juden angesehen, als Strafe dafür, dass sie an der Kreuzigung des Jesus von Nazareth beteiligt waren. Das historische Israel war nun nach Meinung der Kirche untergegangen und durch sie selbst, das wahre Israel…..“das Israel rechter Art!“ wie Luther das später ausdrückte – ersetzt worden. Juden wurden nun – pauschal und kollektiv – als Gottesmörder diffamiert und beschuldigt. Dazu trat sehr früh eine Geschichtsideologie, nach der die von Gott verworfenen und zerstreuten Juden ihre Heimatlosigkeit als verdiente Strafe empfinden sollten, und dass der Fluch der auf ihnen 3 lastete, sich eben auch darin erweise, dass sie zahlreiche Leiden auf sich nehmen müssten und dass Gott es in seinem unerforschlichen Ratschluss wohl auch so füge, mitunter die Christen als Vollstrecker seines Zorns zu benutzen. Selbst der von mir so sehr geschätzte und verehrte Dietrich Bonhoeffer, der im Jahre 1933 einen Aufsatz schrieb mit dem Titel: Die Kirche vor der Judenfrage – Die Evangelische Kirche übernahm für ihren Bereich kurzer Hand und ohne theologischen Nachdenkens den Arierparagraphen für ihre Pfarrer und Kirchenbeamten – schrieb Bonhoeffer, noch die alten antijüdischen Gedankenmuster aufnehmend: „ Die staatlichen Maßnahmen gegen das Judentum stehen für die Kirche aber noch in einem ganz besonderen Zusammenhang. Niemals ist in der Kirche Christi der Gedanke verloren gegangen, dass das „auserwählte Volk“, das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug, in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Tuns tragen muss.“ D. Bonhoeffer. Die Kirche vor der Judenfrage, GS Bd. II S. 49 . Bonhoeffer sah wohl das Unrecht, dass diesen Menschen angetan wurde, aber er selbst war da noch blind für den Segen, mit dem die Kirche durch Israel gesegnet ist und die theologische Würde des zeitgenössischen Judentums. Erst viele Jahre später kommt er für sich zu einer Neubewertung des Judentums, davon zum Schluss. Doch zurück – nun ins Mittelalter. Während noch in den ersten Jahrhunderten Juden und Christen wie zum Beispiel im syrischen Antiochien schiedlich friedlich nebeneinander existieren konnten, sich sogar gegenseitig besuchten– nur die christlichen Theologen regten sich darüber auf, dass man samstags in die Synagoge und des Sonntags in die Kirche ging – verschlechterte sich die Lage der jüdischen Gemeinden im Mittelalter in Europa. Die Kreuzzüge und Kreuzzugsstimmungen entfachten einen regelrechten Judenhass, der sich in einer Reihe von Pogromen entlud. Allein in Mainz wurden im März 1096 über 1000 Juden hingeschlachtet. Das alles geschah weithin unter Billigung, wenn nicht gar Förderung der kirchlichen Stellen. In Trier erwiderte der um Hilfe angegangene Erzbischof: “Ha, jetzt sind über euch Elende eure Sünden gekommen, weil ihr den Sohn Gottes verwerft und seine Mutter schmäht; bekehrt euch, so gebe ich euch Frieden und ruhigem Genuss eurer Güter. Bleibt ihr aber verstockt, so wird mit eurem Leib auch eure Seele untergehen.“ Mit der vierten Lateransynode von 1215 erreichte das Hochmittelalter seinen Scheitelpunkt. Papst Innocenz der III. bezeichnete die Juden als gottverdammte Sklaven, sie sollten unter das Joch dauernder Knechtschaft gebeugt werden und es wurden auf diesem Konzil Bestimmungen über die Kleidung der Juden festgelegt. Sie sollten „vor den Augen der Öffentlichkeit ein Merkmal tragen“, einen gelben Ring und einen spitzen Hut. Und auch die auf dieser Synode verabschiedete Transsubstantiationslehre und Erhebung zum Dogma, das heißt die Wandlung der Elemente des Abendmahls Brot und Wein zur Gegenwart des Leibes Christi hatte nicht wenige Auswirkungen auf das Judentum. Dunkelste Gerüchte über die Juden kamen in Umlauf und wurden mit einem Schuss Aberglaube genährt, dass sie Hostien aufstachen, das daraus fließende Blut für ihre Mazzenbäckerei verwendeten und weiteres mehr. Im südlich von uns gelegenen Bacharach am Rhein kam es deswegen zu einem fürchterlichen Pogrom und zur Misshandlung der dort ansässigen jüdischen Mitbewohner. Auch für die Pestzeiten, die in Wellen über die Menschen mit Schrecken hereinbrachen, hatte man alsbald den Schuldigen gefunden. Die Juden. War es doch sonderbar, dass in den Häusern der Juden viel weniger Menschen an der Epidemie starben. Dass allein die hygienischen Bestimmungen wie das Händewaschen oder die regelmäßigen Tauchbäder den jüdischen Familien mehr Schutz vor Ansteckung boten, darauf kamen die Menschen damals noch nicht. Selbst der Papst in Avingnon ließ große Feuer um seinen Thron brennen, weil er dachte, die Mal – Aria, übersetzt, die schlechte Luft, sei für die Ansteckung verantwortlich. Dass es sich um einen Krankheitskeim handelte, der von Ratten und deren Flöhen übertragen wurde, wusste damals niemand. 4 Mit der Reformation schien es zunächst, dass sich das Verhältnis der Kirche zum Judentum zum Positiven hätte verändern können. Der Bibelprofessor und Reformator Martin Luther kam im Anfang zu einer freundlichen Einschätzung der Juden. In seiner Schrift von 1523:“Dass Jesus ein geborener Jude sei!“ schrieb der junge Reformator: „Wenn die Apostel, die auch Juden waren mit uns heyden gehandelt, wie wir heyden mit den Juden, es wäre nie kein Christ unter den heyden geworden. Haben sie denn mit uns heyden so bruderlich gehandelt, so sollen wir wieder bruderlich mit den Juden handeln….“ Aus Dank dafür haben ihm die Juden in Sachsen eine Ausfertigung des 130. Psalms in deutscher Sprache in hebräischen Lettern geschenkt: “Aus tiefer Not schrei ich zu dir.“ Und dennoch, der Ausblick auf ein brüderliches bzw. geschwisterliches Miteinander hielt nicht an. Denn deren Rufschrei aus tiefer Not hörte der ältere Luther schon nicht mehr. Bei Luther finden wir die verheerende Schrift, die eine schwere Last im Erbe der Reformationskirchen darstellt. Luther, wohl erbost darüber, dass sich die Juden nicht zu Christus und seiner Reformation bekehrten, schrieb die Schreckensschrift: „Von den Juden und ihren Lügen!“ Eine Schrift, die sogar seine Schriften gegen die Bauern an Schärfe und Brutalität übertreffen. Für die modernen Antisemiten war sie natürlich eine Fundgrube. Was soll man auch sagen, wenn man liest, dass Martin Luther fast programmatisch empfahl, wie man die Juden behandeln müsse. 1. man solle ihre Synagogen verbrennen 2. Ihnen ihre Talmudim, ihre Gebetbüchlein wegnehmen, sie 3. Deportieren und sie zu Zwangsarbeiten heranziehen. Dieses Erbe Luthers war ein dunkler Fleck und lastete schwer auf dem sonst so strahlenden Stern. Und tatsächlich, im Jahre 1938, als wirklich die Synagogen in Deutschland brannten, lobte und dankte der evangelische Landesbischof Thüringens Gott dafür, dass nun endlich der Heilige Wille Martin Luthers erfüllt sei. Als 1945/46 vor dem Nürnberger Tribunal unter anderem auch der Herausgeber des größten antisemitischen Hetzblattes Julius Streicher stand und sich wegen seines Antisemitismus zu verantworten hatte, sagte er, dass statt seiner eigentlich Luther hier als Angeklagter zu stehen hätte; denn dieser habe lange vor ihm alles gesagt und noch um vieles schärfer, dessen er jetzt angeklagt sei. Wir sehen also in der Tat, wie die kirchliche und christliche Judenfeindschaft über Jahrhunderte die Köpfe der Menschen vergiftete und dem Holocaust mit den Boden bereitete. Die Nazis mussten nur die bösen Früchte auflesen, die vom Baum der Kirche ihnen vor die Füße kullerten. Viele christliche Gemeinden machten dann nur zu gerne den Judenhass der Nazis im Dritten Reich zu ihrer eigenen Sache und forderten die völlige Entjudung ihrer gottesdienstlichen Sprache. Um nur ein Beispiel zu nennen: Aus dem Antrag der Deutschen Christen an das Presbyterium der Gemeinde Dortmund-Wickede vom Juli 1934: “Durchdrungen von der göttlichen Sendung des deutschen Volkes und der Überzeugung von der rassischen Minderwertigkeit des Judentums, …….stellen wir den Antrag:“ Alle Lieder und liturgischen Stellen mit den Namen und Ausdrücken wie Gott-Zebaoth, Hosianna, Abrahams Samen, Jehova, Jakobs Heil, Tochter Zion, Amen und Hallelujah werden im Gottesdienst nicht mehr gesungen….“ (man vergleiche im Gesangbuch 316, V5 – 317, V5) Kommen wir zum zweiten Teil: Umkehr und Erneuerung Als sich zu Kriegsende 1945 die Tore der Konzentrationslager öffnete boten sich den Befreiern Bilder des Schreckens. Etwas, was sich niemand hat vorstellen können und was an Grausamkeit und Menschenverachtung seinesgleichen sucht, hatte stattgefunden: Die fabrikmäßige Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden, Kindern und alten Menschen, auch von Homosexuellen, Widerstandskämpfern, Sinti und Roma. 5 Für den Holocaust oder die Schoa (hebr. Die Katastrophe) finden sich bis heute kaum Worte, die die Furchtbarkeit dessen ausdrücken können, was im Namen des deutschen Volkes verübt wurde. (Jad VaSchem) Die Philosophin Hanna Arendt schrieb: „Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist!“ Im Sommer 1945 sprachen Repräsentanten der Ev. Kirche gegenüber Besuchern aus der weltweiten Ökumene ihre Mitschuld am Entstehen und den Folgen der Nazidiktatur aus, darunter Martin Niemöller als Vertreter der Bekennenden Kirche, der über Jahre in Haft und KZ war. Sie äußerten sich so: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden…..wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und brennender geliebt haben!“ Das größte Verbrechen aber, das am jüdischen Volk, wurde hier nicht ausdrücklich erwähnt. Erst 1950, bei der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Weißensse, hieß es: „Wir sprechen aus, dass wir durch Unterlassen und Schwiegen vor Gott dem Barmherzigen, mitschuldig geworden sind an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist.“ Und danach? Es legte sich ein Mantel des Schweigens und Verdrängens über das, was die Deutschen den Juden angetan hatten. Und in der Kirche? Und in den Kirchen? Es gab da diese tiefe Wunde im Leib Christi, die nicht heilen wollte, ein böses Geschwür, nämlich die eigene Judenfeindschaft. Sie galt es nun zu benennen. Von ihr galt es Abstand zu nehmen. Sie als Irrlehre zu verwerfen. Ihr galt es eine Absage zu erteilen. Einige nachdenkliche Christinnen und Christen in den verschiedenen Kirchen spürten auch, dass in Auschwitz nicht das Judentum gestorben war, sondern das Christentum. Es war sinnlos geworden an den Tagen, da es zu dem Unrecht schwieg. Oder wie es der Theologe Hans Iwand nach dem Krieg sagte: „Jetzt erst haben wir begriffen, dass wir aufhörten Kirche Jesu Christi zu sein, als wir Israel preisgaben. Denn Israel ist die Wurzel, die uns alle trägt.“ (Iwand, Seim, S. 238) Zur Kirche gehört Israel hinzu und nicht weg! Karl Barth: „Eine ökumenische Versammlung, aus der die Juden ausgeschlossen sind, wäre keine christliche, sondern eine heidnische Versammlung!“ Wie beschämend, ja bestürzend muss es für die, die sich in den Kirchen der Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Israel stellten, gewesen sein, als sie erkannten, dass nicht irgendwelche bösen Nazis, nein, sondern sie selber und ihre Kirchen der Judenfeindschaft über Jahrhunderte Tür und Tor öffneten. Ein neues und noch genaueres Lesen der Bibel öffnete die Augen, dass nicht Unheil, sondern das Heil von den Juden kommt. Es war wie eine beginnende Blindenheilung. Das Neue Testament zum Beispiel sprach ganz anders von den Juden und dem jüdischen Volk, von seiner Verheißung und von seiner Bedeutung in der Welt als es die Kirchen über Jahrhunderte glauben machen wollten. So bestätigt der Apostel Paulus:“ Gott hat sein Volk nicht verstoßen!“ Römer 11,2 Im Johannesevangelium heißt es: „Das Heil kommt von den Juden!“ Joh.4,22 Mit dem II. Vaticanum begann auch in der Römisch-katholischen Kirche ein Erneuerungsprozess im Verhältnis zum Judentum. Der großartige Johannes XXIII. hatte ein Gespür für die Notwenigkeit der christlichen Judenfeindschaft eine endgültige Absage zu erteilen. Ihm wird folgendes Gebet zugeschrieben, in dem er die Geschichte von Kain und Abel aufnimmt. Kain, der seinen Bruder erschlägt. „Wir erkennen nun, dass viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen bedeckt haben, so dass wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wieder erkennen. Wir erkennen, dass das Kainszeichen auf unserer Stirn steht. Jahrhundertlang hat Abel daniedergelegen in Blut und Tränen, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns die Verfluchung, die wir zu Unrecht aussprachen über dem Namen der Juden. Vergib uns, dass wir Dich in ihrem Fleisch zum zweiten Mal kreuzigten….Denn wir wussten nicht, was wir taten!“ 6 Das erneuerte Verhältnis zum Judentum schlug sich dann auch in einer neuen Liturgiesprache nieder. Wurde früher im römischen Messbuch am Karfreitag für die „ungläubigen Juden gebetet, heißt es nun: „Lasset uns beten für die Juden, zu denen Gott zuerst gesprochen hat, dass sie seinen Namen immer mehr lieben und in Treue fortschreiten auf dem Weg, den sein Bund ihnen gewiesen hat.“ Wir hören eine deutliche Veränderung. Nicht Bekehrung von Ungläubigen, sondern die Anerkennung eigener religiöser Dignität und die Wertschätzung der Besonderheit des jüdischen Volkes und Glaubens. Nicht wir bringen das Heil zu den Juden, nein, es kommt zu uns von ihnen! Im Jahr 1980 hat dann die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland in Bad Neuenahr den viel beachteten Beschluss zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden gefasst und darin unter anderem erklärt: 1. Die Mitverantwortung und Schuld am Holocaust 2. Die Gemeinsamkeit an den Schriften, dem Alten Testament 3. Die bleibende Erwählung Israels 4. Den Verzicht auf Judenmission zugunsten des jeweiligen Zeugnisses von Juden und Christen vor der Welt 5. Die Gemeinsamkeit mit Israel im Glauben an den Schöpfer und in der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. 1995 hat meine Kirche sogar den Grundartikel ihrer Kirchenordnung um folgenden Satz ergänzt: Sie – die Kirche – bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ Damit ist meiner Kirche ins Stammbuch geschrieben, dass das Bekenntnis zu Jesus Christus die Verbundenheit zu Jüdinnen und Juden, die Absage an Judenfeindschaft und das Bejahen der Treue Gottes zu seinem Volk mit einschließen. Bei allem Stolz über diese Erklärung – ohne sie könnte ich heute nicht Pfarrer sein in dieses Kirche – weiß ich dennoch – und das macht mich auch bis heute traurig…..Für viele viele unschuldige Menschen kam sie zu spät! Auch gibt es in allen Kirchen bis heute Menschen, die sich entweder mit der Problematik christlicher Judenfeindschaft und deren Auswirkungen bisher nicht beschäftigt haben oder an Bekehrung der Juden und Judenmission weiter festhalten wollen. Dazu zahlen evangelikale Gruppen im protestantischen Lager, sei es in Deutschland oder in den USA. Eine nicht unerhebliche Verschlechterung des Verhältnisses von Christen und Juden in den letzten Jahren ging auf das Konto von Benedikt XVI. Bei aller Wertschätzung vor dessen Lebensleistung und Wissen muss man leider sagen, dass dieser Papst wirklich jedes Fettnäpfchen im Bereich anderer Religionen und Kirchen treffsicher fand, hinein trat und immer wieder heftige Irritationen auslöste. In seiner Anbiederung an die rechten Piusbrüder (Erzbischof Williams) erlaubte er die Feier der lateinischen Messe nach dem tridentinischen Ritus. Benedikt selber war klar, dass er die dortige Karfreitagsbitte in ihrer scharfen antijüdischen Aussage so nicht stehen lassen konnte. Er selber – höchstpersönlich formulierte sie neu. Es ist insofern interessant, weil wir diesem Papst in sein theologisches Hirn und Herz sehen dürfen. Und er formulierte so, dass die Juden nun doch wieder erleuchtet werden müssen. Zwar seien sie, die „treulosen Juden“ nicht in „Finsternis“, aber – und so formulierte Benedikt, „Gott möge ihre Herzen erleuchten, dass sie Christus erkennen!“ Das bedeutete einen tatsächlichen Rückschritt zu der Formulierung des römischen Messbuches von 1970. Bei Benedikt führt der Weg für Jüdinnen und Juden zu Gott nur über Christus und nicht, wie die Neufassung von 1970 in ihrer Weite und Anerkennung des eigenständigen jüdischen Erbes betonte, auf einem eigenen Bundesweg mit Gott. Nun ist und bleibt der tridentinische Ritus eine Ausnahmeliturgie in Latein, dennoch löste diese „Rolle Rückwärts“ Benedikts im Judentum nicht wenige Ängste vor neuer Missionierung und Bekehrung wach. 7 Es gab Proteste dagegen unter den deutschen und amerikanischen Katholiken. Juden sagten: Seht her, der Panther behält doch seine Flecken bzw. um es in die deutsche Märchensprache übersetzt: Da mag der Wolf noch soviel Kreide fressen und seine Pfoten weiß anmalen, am Ende wollen sie uns doch mit Haut und Haaren vernichten. Neues, mühsam erworbenes gegenseitiges Vertrauen wurde somit aufs Spiel gesetzt. Aber ich schaue nicht nur kritisch auf die Römisch-katholische Kirche in dieser Frage, sondern auch auf die eigene Kirche. Als Landessynodaler und Mitglied unseres Kirchenparlamentes habe ich beinahe einen Föhn bekommen, als sich unsere Evangelische Kirche im Rheinland jüngst das Etikett „missionarisch Volkskirche sein“ anheftete. Ich habe in den Ausschusssitzungen, in den Plenarsitzungen nachgefragt, gemahnt, interveniert, getobt, ob dies denn wirklich sein könnte. Und auf dem Hintergrund meiner heutigen Ausführungen, ob wir uns wirklich als missionarisch verstehen wollen? Und was dieser Begriff wohl bei den Mitbürgern und Angehörigen anderer Religionen auslöst? Jawohl, habe ich gesagt, intern, da sollten wir missionarisch sein, da gibt es nämlich an uns einige schwerwiegende Ansichten zu verändern, nämlich die immer noch latent und undurchsichtig und bösartige und gar nicht so leicht zu entdeckende Judenfeindschaft und Fremdenfeindlichkeit in den eigenen Reihen. Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen: Ich habe aufzuzeigen versucht, dass tatsächlich der christliche Antijudaismus dem Nazigreul und der Judenvernichtung mit den Boden bereitet hat. Die Kirchen haben nach der Schoah begonnen, erst langsam, aber immerhin dann Schritt für Schritt ein neues Verhältnis zum Judentum aufzubauen und sich von einem schlimmen, menschenverachtenden Erbe zu lösen. Das Judentum ist für das Christentum nicht eine Religion wie jede andere, sondern die lebendige Wurzel des gemeinsamen Glaubens an den Schöpfer des Himmels und der Erden oder wie es Johannes Paul II. bei seinem Besuch 1982 in der wunderschönen römischen Synagoge am Tiberufer sagte: „Das Judentum unserer älteren Brüder (-und Schwestern) ist nicht etwas Äußeres, sondern gehört zum inneren Kern unseres eigenen Glaubens!“ Dietrich Bonhoeffer schrieb in seinem Ethikentwurf von 1940: „Weil aber Jesus Christus der verheißene Messias des jüdischen Volkes ist, muss eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland….die Verstoßung Christi nach sich ziehen, denn Jesus Christus war Jude.“ Die Vertreibung und Vernichtung der Juden war, wenn ich Bonhoeffer richtig verstehe, ein immenser Seelenschaden an der christlichen Kirche selbst. Wo Juden nicht bleiben können, werden am Ende auch Christen nicht mehr sein. Um Jesu willen gehören wir zusammen. Das Schweigen, Dulden und Billigen der Kirche an der Judenvernichtung ist neben anderem ein Glaubwürdigkeitsverlust, der als Kainsmahl uns weiter begleiten wird. Lernen wir daraus, dass wir die Menschen, die heute zu uns kommen, als Flüchtlinge, als Menschen aus anderen Kulturen, mit einem anderen Glauben, einem anderen Lebenshintergrund, einer anderen Philosophie oder Weltanschauung nie mehr als Bürger unter Vorbehalt ansehen, nie mehr sie im Status des Fremden belassen, ihnen keine Chance gebend, sondern ihnen Hand, Heimat und Hoffnung anbieten, sie ansehen durch ihr Sosein als Bereicherung des gemeinsamen Lebens in einer gemeinsamen Welt. 8