Hype um den Davidstern

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Meike Wöhlert
Der Hype um den Davidstern
Zuerst erschienen in: Zitty (Juli 1998)
© Zitty Verlag GmbH, Berlin
Was als jüdisch gilt, ist schwer in Mode. Doch Normalität ist deshalb noch lange
nicht eingekehrt. Im Gegenteil.
Vor ein paar Wochen änderte sich etwas im Postvertrieb. Die jüdische Gemeinde zu
Berlin verschickt ihre Gemeindezeitung jetzt nicht mehr von einem Umschlag
verhüllt, sondern offen. Seitdem haben viele – vor allem ältere – Mitglieder das Blatt
abbestellt. Sie wollen nicht, daß ihre Nachbarn erfahren, daß sie Juden sind.
Verkehrte Welt? Judentum gilt in Berlin zur Zeit als schick: Im Scheunenviertel und
der Spandauer Vorstadt schießen jüdische Restaurants, Geschäfte, Vereine und
Kultureinrichtungen aus dem Boden. Bagels dürfen auf den Speisekarten der InCafés nicht fehlen, Stadtrundgänge durch das »jüdische Berlin« sind Dauerbrenner
und werden sogar auf englisch angeboten. [...]
Im Juni drängten sich die Besucher auf dem jüdischen Straßenfest in der
Rykestraße, im Oktober werden wieder viele Interessenten keinen Platz mehr in
den Hebräischkursen der Jüdischen Volkshochschule ergattern. Der Begriff
»Jüdisches Leben« haftet der Stadt an wie Döner und Bulette, gern ergänzt durch
»neue Blüte« oder »Wiedergeburt«.
Also alles dufte mit den Juden? »Was zur Zeit in Berlin passiert, hat mit den Juden
gar nichts zu tun«, sagt Julius Schoeps, Leiter des Potsdamer Moses-MendelssohnZentrums für europäisch-jüdische Studien, »es ist ein Resultat dessen, daß die
nichtjüdische Gesellschaft mit der Geschichte nicht fertig wird. Das ist das Gegenteil
einer Normalisierung. Es ist Folklore.«
Mit dieser Ansicht steht Schoeps nicht allein. Viele Juden finden das
überschäumende Interesse fragwürdig, bejubeln die Deutschen doch ein Judentum,
das es nicht mehr gibt. Hier wurden seine Wurzeln ausgerissen, und eben darum
wird das kleine, neue Pflänzchen jetzt im Übermaß gedüngt, gegossen und gehegt.
Der Hype sagt mehr über die Last der Nazi-Vergangenheit aus als über die jüdische
Gegenwart. Der in Berlin und Jerusalem lebende Publizist Henryk M. Broder bringt
es auf den Punkt: »Die Begeisterung für die jüdische Kultur ist umso größer, je
weniger reale Juden vorhanden sind«.
Vor dem Krieg gab es 160.000 Juden in Berlin, 1945 waren noch 5.000 übrig. Bis zur
Wiedervereinigung wuchs die Zahl in West-Berlin auf nicht mehr als 6.000 an, im
Ostteil lebten gerade mal 200. Seitdem hat sich ihre Zahl – vor allem durch die
Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion – auf rund 12.000 verdoppelt. [...]
Zwar sind das Holocaust-Mahnmal oder das Jüdische Museum tatsächlich zentrale
stadtpolitische Themen, die eine öffentliche Diskussion erfordern. Doch selbst als
die Leiterin der Jüdischen Volkshochschule vor ein paar Monaten wegen
gemeindeinterner Rangeleien erst ab- dann wieder eingesetzt wurde, nahm das
Thema in den Berliner Zeitungen mehr Platz als Senatsbeschlüsse ein. In London,
Paris, Amsterdam oder New York würde sich für so etwas kein Schwein
interessieren. Aber im Vergleich mit diesen Städten ist das vielbeschworene
jüdische Leben in Berlin auch nur ein dürftiges Rinnsal. Zur Entlastung unseres
Gewissens schreiben, geigen und essen wir es uns herbei.
Andrew Roth[, Mitautor des englischsprachigen Reiseführers Jewish Life in Berlin,]
denkt, daß »viele Leute in jüdische Restaurants gehen, um zu zeigen, daß sie die
›anderen‹ Deutschen sind.« Diejenigen, die »damals einen Juden im Keller gehabt
hätten.« [...]
Der Begeisterung für die Fassade des Judentums steht Hartmut Bomhoff besonders
skeptisch gegenüber: »Es ist leichter, im Tabuna essen zu gehen, als sich mit den
Großeltern über die vierziger Jahre zu unterhalten«. Und wenn die Leute »zu
Klezmerkonzerten rennen und ihre Kinder Sarah und David nennen, haben die
Juden auch nichts davon«. Bomhoff, der früher im jüdisch-christlichen Dialog sehr
aktiv war, zieht sich daraus zurück: »Je mehr das Jüdische vereinnahmt wird, desto
größer wird für mich die Kluft.«
Der Potsdamer Professor Schoeps geht noch einen Schritt weiter. Er hält die Mode
sogar für »ausgesprochen bedenklich«, weil er in ihr die Kehrseite des
Antisemitismus sieht. Zwar sei alles, was als jüdisch gilt, »im Moment positiv
besetzt, aber das kann schnell ins Gegenteil umschlagen. Das übertriebene
Bekenntnis zum Judentum entspricht der übertriebenen Ablehnung.« Und der Maler
und Meshulash-Mitbegründer Gabriel Heimler nennt die Besetzung des Judentums
mit gesellschaftlich genehmen Klischees sogar eine »kulturelle Shoah«. So hart fällt
nicht einmal das Urteil von Henryk M. Broder aus: »Klezmer ist so jüdisch wie
Lederhosen deutsch sind. Das ist okay, die Leute brauchen Symbole«. Trotzdem
findet er den Hype »teilweise unanständig.« [...]
Broder erlebe ständig Konvertiten, »die mir sagen, ich soll koscher essen und darf
am Samstag nicht ins Café gehen. Ich finde das teilweise sehr witzig, wenn diese
Leute mir sagen, was das richtige Judentum ist. Ich weiß, was das richtige Judentum
ist. Ich mußte meinen Vater immer wecken, wenn er vom KZ träumte.«
Auch in Berlin grassiert das Übertrittsfieber. Seit zwei Jahren lebt der New Yorker
Rabbiner Yehuda Tiechtel hier, und er ist davon immer wieder überrascht: »Ich war
in vielen Ländern und Kontinenten, aber nirgends sind mir so viele Leute begegnet,
die konvertieren wollen.« Die Gründe, so Tiechtel, fielen meist recht vage aus: »Sie
sagen, sie interessieren sich dafür. Manche sagen, sie wollen ein Teil des jüdischen
Volkes sein, vielleicht, weil sie Gemeinschaft suchen. Aber oft wissen die Leute gar
nicht, was Jüdischsein bedeutet.« Rabbi Tiechtel hat wenig Zeit für die Konvertiten –
mit den vorhandenen Juden ist er ausgelastet. [...]
Für Tiechtel hat Berlin eine ganz besondere Bedeutung: »Von dieser Stadt haben
Hitler und die Nazis versucht, das Judentum auszulöschen. Und hier bringen wir
jüdisches Wissen und Selbstbewußtsein zurück. Das ist die größte Rache, die wie an
Hitler üben können!«
Er sagt es erfreut, richtig begeistert. Daß er in seinem schwarzen Anzug auf der
Straße angestarrt und angesprochen wird, trägt er mit Gelassenheit: »In Berlin zu
leben, ist schon sehr viel anders als in New York oder Israel.« Aber er sei ein sehr
offener Mensch, »wenn mich Leute auf meine Kleidung ansprechen, dann erkläre ich
ihnen, wofür der Hut da ist oder die Bänder. Es ist doch gut, wenn die Leute
interessiert sind«. [...]
Freitag abend. Vor dem Portal der Synagoge an der Rykestraße steht ein Mann in
grüner Uniform. Ein anderer versperrt den Eingang, einen lupenförmigen
Metalldetektor in der Hand, wie man ihn von Flughäfen kennt. Einmal
Ganzkörperkontrolle, einmal Handtasche ausräumen. Warum er das macht? Der
Mann guckt verständnislos. »Weil das hier eine Synagoge ist«, sagt er
kopfschüttelnd.
»Normalität? Vor dem Gemeindehaus in der Fasanenstraße sieht es doch aus wie bei
den Stammheim-Prozessen! Das haben Sie in keinem anderen Land«, sagt der
Professor für jüdisch-europäische Studien, Julius Schoeps. Hetz- und Drohbriefe in
seiner Post sind für ihn Alltag, genau wie für Andreas Nachama, den Vorsitzenden
der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sie machen den größten Teil der rund 100
antisemitischen Straftaten in Berlin pro Jahr aus – neben Sachbeschädigungen,
Landfriedensbruch, Störung der Totenruhe und anderen Delikten. Für sie ist nicht
die »normale« Kriminalpolizei zuständig, sondern der Staatsschutz. Abteilungsleiter
Peter-Michael Haeberer erklärt, warum: »Der Staat ist nicht dadurch gefährdet, daß
der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde ein Schmähschreiben bekommt. Die
Gefährdung kommt durch die Existenz des Gedankengutes. Man sollte ja davon
ausgehen, daß das 50 Jahre danach mal langsam aufhört. Aber es hört nicht auf.«
Wie viele andere Gemeindemitglieder fand Meshulash-Mitglied Hartmut Bomhoff
am 8. Mai 1995 das »Deutsche Manifest« in seinem Briefkasten. Es war der 50.
Jahrestag des Kriegsendes. Zitat: »Wenn du bis 9. Mai nicht ausgewandert bist, geht
es dir an den Kragen«. Er blieb und ließ sich aus dem Telefonbuch streichen. [...]
Nicola Galliner, die Leiterin der Jüdischen Volkshochschule, gibt sich Fremden
gegenüber nicht immer als Jüdin zu erkennen: »Wenn ich meine Ruhe haben will,
sage ich lieber nichts. Sobald die Leute Bescheid wissen, behandeln sie einen
anders«. Oder wie Michael Blumenthal, der zukünftige Direktor des Jüdischen
Museums, es in Newsweek gesagt hat: »Bei jedem Deutschlandbesuch komme ich
als Amerikaner an und reise als Jude ab«. Das Phänomen, anders behandelt zu
werden: Es ist eine ambivalente Mischung aus Ablehnung, Gehemmtheit,
schwärmerischer Bewunderung und Erklärungszwang. [...]
Nur, was sollen junge Deutsche machen, deren Interesse nicht mit einem Biß in
einen Bagel zu befriedigen ist – wenn nicht fragen? Sie konnten jüdisches Leben im
Straßenbild nicht kennenlernen, dafür haben ihre Großeltern gesorgt. Und in der
Schule haben sie zwar viel über tote, aber nicht über lebende Juden erfahren. Gerade
in einem Wissensvakuum können sich Stereotypen hervorragend ausbreiten.
Für November ’98 plant die Künstlergruppe Meshulash eine Ausstellung mit dem
Titel »Jüdisches Leben in Berlin – Traditionen und Visionen«. In der
Projektbeschreibung heißt es: »Wir laden Künstler und Künstlerinnen ... ein, uns
ihre Vorstellungen zu präsentieren: zukunftsgewandt, ohne falsches Pathos und
folkloristischen Touch.«
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