Neue Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin - pro

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M E D I Z I N
Neue Entwicklungen in
der Reproduktionsmedizin
Klaus Diedrich1, Georg Griesinger1, Hermann M. Behre2
Ricardo Felberbaum1, Markus Montag3, Hans-Hermann van der Ven3
Thomas Strowitzki4, Sören von Otte1
Zusammenfassung
Seit der Geburt des ersten Kindes nach Invitro-Fertilisation und Embryonentransfer im
Jahre 1978 haben die Reproduktionsmedizin
und ihr wissenschaftliches Umfeld große Fortschritte in den Möglichkeiten der Behandlung
ungewollter Kinderlosigkeit gemacht. Deutschen Paaren mit Kinderwunsch ist die Partizipation an diesem Fortschritt durch die Restriktionen des deutschen Embryonenschutzgesetzes weitreichend verwehrt. Beispielhaft sei an
dieser Stelle das Verbot der Embryonenauswahl oder das Verbot der genetischen Testung
des Präimplantationsembryos angeführt. Trotzdem gilt es die Kinderwunschbehandlung zu
optimieren, mit dem Ziel, die Effizienz der Behandlung zu steigern, die Mehrlingsrate zu
senken, die Risiken der Eierstockstimulation
zu minimieren, sowie die Behandlungskosten
zu senken.
Schlüsselwörter: Reproduktionsmedizin, Invitro-Fertilisation, intrazytoplasmatische Spermieninjektion, Blastozyste, Polkörper, Eizelle
Summary
New Developments in Reproductive Medicine
Since the birth of the first test-tube baby in
1978, reproductive medicine and associated
scientific fields have evolved at fast pace. In
Germany, progress in this field is impeded by
the German Embryo Protection Act. Exemplary
are the prohibition of embryo selection or the
ban for genetical testing of the preimplantation embryo. Nevertheless, infertility treatment
outcome has to be optimized within the framework of the German law, with the aim of making treatment more efficient, lowering the incidence of multiple gestations, making ovarian
hyperstimulation safer, as well as reducing financial costs for the couple.
Key words: reproductive medicine, in vitro fertilization, intracytoplasmatic sperm injection,
blastocyst, polar body
1 Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Lübeck
2 Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
3 Universitätsfrauenklinik, Bonn
4 Universitätsklinikum, Heidelberg
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A
uf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin wurden in den letzten zehn Jahren viele Fortschritte
verzeichnet. Weitere Neuerungen werden schon bald in der Klinik angewendet. Ausgewählte, neuere Entwicklungen der Reproduktionsmedizin werden
im Folgenden dargestellt.
In-vitro-Maturation
von Eizellen
Im Rahmen konventioneller IVF (Invitro-Fertilisation) oder ICSI-Behandlungen (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) werden zur Induktion
multifollikulären Wachstums hochdosierte Gonadotropine appliziert, um die
Zahl befruchtungsfähiger Eizellen zu
erhöhen. Dieses Verfahren hat allerdings zahlreiche Nachteile. Die Risiken der Behandlung sind beispielsweise das ovarielle Überstimulationssyndrom (OHSS), welches im Gefolge
der Gonadotropinstimulation auftreten kann. Es ist gekennzeichnet durch
Verschiebung von Flüssigkeit in den
extravasalen Raum. Die Folge sind in
schweren Fällen Hämokonzentration
und Thromboseneigung, Aszites, Hydrothorax, Dyspnoe, Hyperkoagulabilität sowie eingeschränkte Nierenperfusion und -funktion. Die ovarielle
Hyperstimulation stellt keine Behandlungsoption bei schlechtem Ansprechen auf die exogene Gonadotropingabe dar. Die Behandlung ist häufig
ineffektiv bei geringer ovarieller Reserve wie zum Beispiel bei Patientinnen mit Kinderwunsch in späteren Abschnitten der reproduktiven Lebensphase. Darüber hinaus existiert bis
heute kein klinisch etabliertes Konzept zur Bewahrung des reproduktiven Potenzials präpubertärer Mädchen oder fertiler Frauen, die sich ei-
ner gonadotoxischen onkologischen
Behandlung (Chemotherapie, Strahlentherapie) unterziehen müssen. Eine Lösung dieser Probleme könnte die
Verlagerung follikulärer beziehungsweise oozytärer Reifungsprozesse von
der In-vivo- auf die In-vitro-Ebene
durch die Technik der In-vitro-Maturation darstellen: Im engeren Sinn bedeutet In-vitro-Maturation (IVM) die
in vitro induzierte meiotische Reifung
unreifer Oozyten im Germinalvesikelstadium zur befruchtungsfähigen Metaphase-II-Oozyte über wenige Stunden. Im weiteren Sinn beschreibt dieses Verfahren auch in vitro induzierte
Reifungsprozesse von unreifen Follikeln (so genannte Primordial- und
Präantralfollikeln), isoliert oder umgeben von ovariellem Gewebe (Biopsate, Ovarien), durch unterschiedliche
Varianten einer mehrwöchigen Follikelkultur. Die vollständige Substitution der Follikulogenese durch In-vitroMaturation ist aus verschiedenen Gründen mithilfe einer kontinuierlichen
Langzeitfollikelkultur bisher nur im
Mausmodell realisiert.
In-vitro-Kultur primordialer Follikel
Der ovarielle Kortex einer erwachsenen Frau enthält hunderte primordialer und primärer Follikel pro Quadratmillimeter. Aktuelle Untersuchungen
zeigen, dass sich diese Stadien lange
und effektiv kryokonservieren lassen.
Jedoch stellt die Kultur primordialer
Follikel nach bisheriger Kenntnis aufgrund der extremen Unreife und erforderlichen langen Kulturdauer die
größte Herausforderung der Follikelreifung in vitro dar. Es wurden verschiedene Kultursysteme vorgeschlagen (11, 12, 21). Unterschiedliche Ansätze wurden verfolgt: Die Kultur
ganzer Ovarien von Eppig und O'Bri-
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en, 1996, im Gegensatz zu Baker et al.,
1974, die versuchten kleinere ovarielle
Biopsate zu kultivieren. Die Arbeitsgruppe um Oktay beschäftigte sich mit
der Technik isolierter primordialer
Follikel (18). Eine weitere Alternative
ist die Transplantation ovariellen Gewebes als Auto- oder Xenotransplantation. Jüngst erst wurde über die erste
Schwangerschaft und Geburt nach Autotransplantation krykonservierten Gewebes berichtet. (6).
In-vitro-Kultur präantraler
und antraler Follikel
Antrale Follikel lassen sich im Gegensatz zu primordialen Follikeln einzeln
kultivieren. Dies lässt für die Grundlagenforschung wichtige morphologische
und biochemische Charakterisierungen
der Wachstums- und Differenzierungsprozesse zu.
In Tiermodellen wurden in Abhängigkeit von der Zielsetzung Kulturvarianten für unterschiedliche Wachstumsmuster präantraler oder antraler Follikel
etabliert: Zur Untersuchung follikulärer
Interaktionsmechanismen durch Charakterisierung lokal-biochemischer und
parakriner Regulationen (zum Beispiel
Atresie- und Selektionsprozesse) dienen Kulturen ganzer Follikelgruppen in
Agar oder Kollagengelen, die durch direkten Kontakt oder durch Diffusion
in Verbindung stehen. Dem gegenüber
eröffnet die Variante der Einzelkultur
die Möglichkeit, die Auswirkungen von
Veränderungen des Kulturmilieus (zum
Beispiel FSH-Zusatz) auf Follikel- und
Eizellqualität in größerem Maßstab zu
untersuchen.
In-vitro-Maturation isolierter unreifer
Eizellen aus antralen Follikeln
Im Gegensatz zur komplexeren Follikelkultur liegen zahlreiche Daten zur nur
mehrstündigen extrakorporalen Nachreifung unreifer Oozyten aus präantralen Follikeln vor (4). Bereits Robert
Edwards experimentierte 1965 (8) mit
extrakorporalen Reifungsverfahren. Im
Rahmen der modernen klinischen IVF
werden im Follikellumen frei flottierende Eizellen durch transvaginale Aspiration der Follikelflüssigkeiten gewonnen. Da die Reifung der gonadotro-
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pinabhängig rekrutierten Follikelkohorte nicht gleichmäßig, sondern asynchron erfolgt, lassen sich unterschiedliche Reifegrade aspirierter Oozyten
nachweisen. 85 bis 90 Prozent der gewonnenen Oozyten haben bereits das
fertilisierbare Metaphase-II-Stadium erreicht, während 10 bis 15 Prozent
sich noch im unreifen Germinalvesikelbeziehungsweise Metaphase-I-Stadium
befinden. Diese sind aber in der Lage,
die noch ausstehenden Reifungsprozesse in vitro nachzuholen und anschließend die Fertilisationskaskade zu durchlaufen.
Die erste humane Schwangerschaft
nach IVM mit Fertilisation und nachfolgender Schwangerschaft wurde von
Veeck (1983) unter den Bedingungen
einer konventionellen IVF berichtet.
Durch Modifikation und Optimierung
der Kulturbedingungen werden in jüngeren Arbeiten Fertilisationsraten bis
70 Prozent unter Anwendung der ICSI
berichtet, Schwangerschaften werden
in bis zu 10 Prozent der Fälle angegeben (14).
Perspektiven der In-vitro-Maturation
Bei menschlichen Eizellen ist die Vision der In-vitro-Reifung nur ansatzweise erreicht, allerdings zeigt die Datenlage, dass das Konzept der IVM längst
keine rein hypothetische Vision mehr
ist. Tierexperimentelle Daten und erste
präliminare Daten aus Experimenten
mit menschlichem Gewebe demonstrieren deren grundsätzliche Machbarkeit. Bei weiterer Etablierung der
Systeme und Übertragung auf den
Menschen könnte die IVM langfristig
die konventionelle ovarielle Stimulation ersetzten und die gängige IVF-Praxis revolutionieren.
Ovarielle Stimulation
Als Standardstimulationsprotokoll zur
kontrollierten Überstimulation hat sich
in Deutschland das so genannte lange
GnRH-Agonisten Protokoll unter Verwendung von rekombinantem FSH
oder humanem menopausalem Gonadotropin etabliert. Hierbei wird vor
dem Start der Eierstockstimulation erst
die Desensitivierung der Hypophyse
durch Verabreichung eines GnRHAgonisten ab der mittleren Lutealphase angestrebt. Sobald die endogenen
LH-Werte < 10 = mI.U./mL und die
E2-Werte < 50 pg/mL sind und durch
eine Transvaginalsonographie ovarielle
Zysten ausgeschlossen wurden, kann
mit der Eierstockstimulation begonnen
werden. Humanes menopausales Gonadotropin (HMG) oder follikelstimulierendes Hormon (FSH) wird dann solange verabreicht, bis eine definierte
Zahl an Follikeln bestimmter Größe
vorliegt, sodass die finale Eizellreifung
(übertritt der Eizellen in die Metaphase
II der ersten Reifeteilung) durch Verabreichung von humanem Chorion-Gonadotropin induziert werden kann. Die Eizellentnahme durch transvaginale Punktion erfolgt dann etwa 34 bis 36 Stunden
später. 66 Prozent aller Eierstockstimulationen werden so durchgeführt (Deutsches IVF-Register 2002).
Alternativ werden auch das so genannte kurze agonistische Protokoll,
oder GnRH-Antagonisten zur Verhinderung der spontanen Ovulation im
Rahmen der Eierstockstimulation eingesetzt.
Durch die Einführung der GnRHAntagonisten wurde eine Vereinfachung und Risikominimierung der kontrollierten ovariellen Überstimulation
ermöglicht (5). Der klinische Vorteil der
GnRH-Antagonisten besteht in dem
vergleichsweise geringeren Risiko der
Entwicklung eines ovariellen Überstimulationssyndroms. Die durchschnittliche Inzidenz des schweren ovariellen Überstimulationssyndroms liegt bei
Verwendung von GnRH-Antagonisten
bei 0,47 Prozent und somit vergleichsweise niedriger als bei Verwendung
des „langen Protokolls“ mit 0,85 Prozent.
Weitere Vorteile sind die zyklussynchrone Verabreichung der Gonadotropine und die Vermeidung von Nebenwirkungen, die nach Verabreichung von
GnRH-Agonisten im „langen Protokoll“
auftreten können, im Besonderen die
Östrogenentzugssymptomatik, die sich
in postmenopausalen Beschwerden wie
beispielsweise Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen oder Stimmungsschwankungen äußert, sowie einer Zystenbildung am Eierstock. Im
Vergleich zur herkömmlichen Stimula Jg. 102
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tion unter Verwendung eines
GnRH-Agonisten im „langen
Protokoll“ sind darüber hinaus
die Gesamtdauer der Stimulation und der Gesamtverbrauch
an Gonadotropinen bei Verwendung antagonistischer Protokolle geringer. Die Schwangerschaftsrate im Agonistenund Antagonistenprotokoll ist
vergleichbar.
Grafik
Polkörperdiagnostik in
Deutschland
Die Möglichkeit, im Rahmen
eines Verfahrens der assistierten Reproduktion Einblick in
die genetische Konstitution
der entstehenden Embryonen
zu erhalten, wurde von
Robert Edwards bereits in
den Anfängen der IVF prognostiziert. Real wurde diese
Prognose im Jahr 1990, als nahezu zeitgleich die Verfahren
der Präimplantationsdiagnostik (10) am Embryo und
der Präfertilisationsdiagnostik (20) an der Eizelle im Vorkernstadium vorgestellt wurden. Für Deutschland einzig Vorgehensweise bei der Polkörperdiagnostik. Mit freundlicher Genehmigung: Wort & Bild Verlag/Apotheken Umnach dem Embryonenschutz- schau
gesetz zulässig ist die Präfertilisationsdiagnostik, welche
methodisch die Biopsie des ersten und gegebenenfalls zweiten Polkörperchens erfordert
(Abbildung). Die anschließenden humangenetischen Untersuchungen müssen, bedingt
durch den vorgegebenen Zeitrahmen noch vor der Entstehung eines Embryos, das heißt
vor der Verschmelzung des
männlichen und weiblichen
Vorkerns, erfolgen und abgeschlossen sein. Damit stellt die Ein Polkörper wird einer murinen Eizelle entnommen
Polkörperdiagnostik (PKD)
ein Verfahren dar, das hohe
logistische Anforderungen stellt und de 2001 die PKD in Deutschland erstnur durch das enge Zusammenwirken mals erfolgreich klinisch durchgeführt
der beteiligten Reproduktionsmedizi- (19). Die PKD erfährt seither ein stänner, Reproduktionsbiologen und Hu- dig zunehmendes Interesse von Patienman-/Molekulargenetiker erfolgreich tenseite und von IVF-Zentren, die diese
eingesetzt werden kann. Gestützt auf Methode in ihr Behandlungsspektrum
umfangreiche Voruntersuchungen wur- aufnehmen wollen.
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Möglichkeiten der PKD
Grundsätzlich eignet sich die PKD zum
Nachweis chromosomaler Fehlverteilungen, zur Detektion monogener Erkrankungen und zur Diagnostik von
chromosomalen Translokationen. Hier
sind jedoch Einschränkungen zu beachten. So eignet sich die PKD zur Detektion von Translokationen in Eizellen nur
dann, wenn eine maternale, balancierte
Translokation vorliegt. Im Fall von monogenen Erkrankungen, kann mithilfe
der PKD die Segregation von Krankheitsallelen in der Meiose, das heißt der
Verbleib des Krankheitsallels in der Eizelle oder seine „Ausschleusung“ in den
Polkörpern untersucht werden (Grafik). Der Einsatz der PKD für diese
Indikation ist jedoch sehr kritisch zu
bewerten, da die Diagnose mittels
der Polymerasekettenreaktion an einer,
besser zwei, Einzelzellen (erster und gegebenenfalls zweiter Polkörper) erhoben werden muss. Dies ist technisch,
methodisch und zeitlich aufgrund des
im Embryonenschutzgesetz vorgegebenen Zeitfensters sehr anspruchsvoll,
zumal keine Überprüfung des Analyseergebnisses möglich ist. Die PKD bei
maternalen monogenetischen Erkrankungen wird daher auch künftig nur in
wenigen, hoch spezialisierten Zentren
angeboten werden können.
Das größte klinische Einsatzspektrum
der PKD ist die Untersuchung von Chromosomen-Fehlverteilungen, so genannten Aneuploidien. Diese entwickeln sich
altersabhängig und die vorliegenden Untersuchungsdaten zur PKD mit großen
Fallzahlen belegen, dass bei Frauen über
40 Jahren bereits weit über die Hälfte der
Eizellen bezüglich der häufig untersuchten Chromosomen (Chromosomennummern: 13, 16, 18, 21, 22) auffällig sind (15,
17). Da gerade bei der Kinderwunschbehandlung das Eingangsalter der Frauen
in den letzten 20 Jahren gestiegen ist
und selbst bei Patientinnen unter 35
Jahren bereits 30 bis 40 Prozent der
Eizellen aneuploid sein können, wird
hier ein großes Potenzial für den Einsatz der PKD gesehen, verknüpft mit
dem Argument, dass die PKD zu höheren Schwangerschaftsraten und niedrigeren Abortraten als die herkömmliche IVF-Therapie führt. Die bisher aus
Deutschland vorgestellten Zahlen bele-
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gen dies allerdings nicht (9, 17). Auch
unter Berücksichtigung der internationalen Datenlage muss die breite Anwendung der Methode kritisch betrachtet werden. Es gibt bisher keine prospektiven Daten, die einen Vorteil der
Aneuploidie-Diagnostik statistisch belegen.
Ausblick und Grenzen der PKD
Die PKD ist kein Verfahren zur Diagnostik paternal vererbter monogener
oder chromosomaler Erkrankungen.
Im Zusammenhang mit der Aneuploidie-Testung für ältere Patientinnen
kann die aktuelle, kontrovers geführte
Diskussion über die Wertigkeit der
PKD und deren mögliche Vorteile
letztlich nur unter dem Aspekt der evidenzbasierten Medizin zu einem befriedigenden Ende geführt werden. Hierzu
ist derzeit eine multizentrische prospektive Studie in Planung sowie begleitende retrospektive Auswertungen
unter Einbeziehung der prospektiv erfassten Daten des Deutschen IVF Registers (DIR). Bis zum Vorliegen dieser
Daten müssen die Patienten darüber
aufgeklärt werden, dass ein Vorteil der
PKD nur bei strenger Indikationsstellung erwartet werden kann. Die PKD
erfordert höchste Qualitätsstandards
der reproduktionsbiologischen und genetischen Labore und muss zurzeit
noch als ein Verfahren in der Erprobung angesehen werden. Die PKD wird
sicherlich kein IVF-Routineverfahren
werden.
Der Stand der ICSI in
Deutschland
Nach den neuesten Daten des DIR wurden im Jahr 2002 insgesamt 37 692 von
62 306, also etwa 60 Prozent aller Follikelpunktionen aufgrund von ICSI-Behandlungszyklen durchgeführt (13). Die
Ergebnisse nach ICSI-Therapie zeigen
unter Berücksichtigung der Einschränkungen durch das deutsche Embryonenschutzgesetz seit mehreren Jahren
konstant hohe Schwangerschaftsraten.
Nach DIR-Jahrbuch 2002 kam es bei
95,0 Prozent der ICSI-Zyklen zu einem
Embryotransfer und bei 25,7 Prozent
der ICSI-Zyklen zu einer klinischen
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Kasten
Postulierte Vorteile der Blastozystenkultur
> bessere Beurteilbarkeit der embryonalen Entwicklung in vitro und damit der Implantationschancen des Embryos
> Beurteilung nach der Aktivierung des embryonalen Genoms
> der Zeitpunkt des Embryotransfer nach Blastozystenkultur soll dem Zeitpunkt höchster Rezeptivität des Endometriums entsprechen
> langer Zeitraum der Embryonalkultur vereinfacht den Einsatz zeitaufwendiger Techniken,
wie beispielsweise der Präimplantationsdiagnostik
> Verringerung der Zahl der zu transferierenden
Embryonen aufgrund der hohen Implantationsrate von Blastozysten und dadurch eine Verringerung des Mehrlingsrisikos
Schwangerschaft. Für 776 ICSI-Zyklen
wurden Spermien nach der testikulären
Spermienextraktion (TESE) aus frischem oder kryokonserviertem Hodengewebe verwendet. Bei 90,9 Prozent der
Zyklen konnte ein Embryotransfer
durchgeführt werden, und 21,9 Prozent
der Behandlungszyklen führten zu einer
klinischen Schwangerschaft. Bei Verwendung kryokonservierter Spermien
werden vergleichbar hohe Schwangerschaftsraten erzielt wie bei Verwendung
frischer Samenzellen.
Unter Berücksichtigung der Aborte
und extrauterinen Graviditäten liegt
die so genannte „baby take home“-Rate, also die Anzahl der Geburten (nicht
der geborenen Kinder) pro Anzahl
durchgeführter Behandlungen mit bekanntem
Schwangerschaftsausgang,
nach ICSI-Therapie bei 18,4 Prozent
(neueste Daten aus dem Deutschen
IVF-Register, Jahrbuch 2002). In der
„Deutschen ICSI-Follow-Up-Studie“
wurden bundesweit prospektiv im Zeitraum von August 1998 bis August
2000 2 687 Schwangerschaften ab der
16. Schwangerschaftswoche nach einer
ICSI-Therapie verfolgt und die nach
diesen Schwangerschaften 3 372 geborenen Kinder aktiv auf Fehlbildungen
gemäß des EUROCAT-Katalogs (European Registry of Congenital Anomalies and Twins) untersucht (16). Im Vergleich zu einem nach gleicher Methodik untersuchten Kontrollkollektiv nach
spontaner Konzeption geborener Kinder betrug das relative Risiko für eine
entsprechend definierte größere Fehlbildung 1,25 (95-prozentiges Konfidenzintervall: 1,11 bis 1,40). Systematisch durchgeführte Pränataluntersuchungen weisen darauf hin, dass der
Anteil von De-novo-Chromosomenanomalien bei Schwangerschaften nach
einer ICSI-Therapie mit Spermien von
Männern mit einer Spermienkonzentrationen von weniger als 20 Mio/mL
signifikant höher ist als mit Spermien
von Männern mit einer normalen Spermienkonzentration (3). Inwieweit nach
einer ICSI-Therapie vermehrt mögliche
Störungen des genomischen Imprinting
auftreten, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden (7). Trotz
der noch offenen Fragen zeigen die bisherigen großen Untersuchungen, dass
Schwangerschaften nach einer ICSITherapie größtenteils normal verlaufen
und der weitaus größte Anteil der geborenen Kinder gesund ist, wobei die
Nachuntersuchungszeit aufgrund der
ersten Geburt im Jahr 1992 heute nicht
über 12 Jahre hinausgehen kann.Vor einer ICSI-Therapie sollten jedoch die
betroffenen Paare über die bekannten
Risiken individuell und umfassend aufgeklärt werden.
Blastozystenkultur
Unter Blastozystenkultur versteht man
die verlängerte In-vitro-Kultur von Embryonen bis zu fünf Tagen nach Eizellgewinnung, um das Blastozystenstadium der embryonalen Entwicklung zu
erreichen. Im Standardverfahren der
In-vitro-Fertilisation erfolgt der Embryotransfer dagegen bereits nach zwei
bis drei Tagen im Vier- bis Achtzellstadium. Die Blastozystenkultur bietet
theoretisch mehrere mögliche Vorteile
(Kasten). Hauptargument ist die Möglichkeit, möglichst vitale Embryonen
mit guter Teilungsrate in vitro für den
Embryotransfer auswählen zu können.
Technik
Die Technik der In-vitro-Kultur von
Embryonen bis in das Blastozystenstadium ist heute weltweit standardisiert.
Ab Tag 3 der Kultur wird die Zusammensetzung des Kulturmediums grundlegend geändert. Gewichtigstes Argu Jg. 102
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ment für den Wechsel des Mediums ist
die Anpassung an die physiologischen
Bedingungen des Tubenmilieus als Ort
der frühen embryonalen Teilungsstadien im Vergleich zum uterinen Milieu als
Ort der Implantation. In den frühen
Stadien benötigt der Embryo reichlich
Glucose und wenig Pyruvat, ab Tag 3
nimmt der Bedarf an Glucose dagegen
ab und der an Pyruvat zu.
Ergebnisse
Unter diesen Bedingungen erreichen
ungefähr 50 Prozent der weiter kultivierten 2PN-Stadien das Blastozystenstadium. Zumindest ein Embryo im Blastozystenstadium kann bei immerhin 93 Prozent der Patientinnen erzielt werden.
Die Implantationsrate pro Blastozyste
wird zwischen 10 und 45 Prozent angegeben und ist direkt abhängig von der morphologischen Entwicklung. Die anfänglichen optimistischen Ergebnisse, die
möglicherweise nicht nur auf die Blastozystenkultur und die damit verbundene
Selektion, sondern auch auf die Gesamtqualität der Laborarbeit zurückgeführt
werden könnten, sind vielfach nicht
nachvollziehbar gewesen. Die meisten
vorliegenden Daten sind retrospektiven
Analysen entnommen, prospektiv randomisierte Studien konnten keinen eindeutigen Vorteil der Blastozystenkultur
belegen. In einer Cochrane-Analyse
wurden zehn randomisierte Studien
identifiziert. Es konnten keine signifikanten Unterschiede bezüglich Schwangerschaftsrate, Lebendgeburtrate oder
Implantationsrate pro Embryo gefunden werden (1). Möglicherweise lassen
sich jedoch höhere Implantationsraten
durch selektive Verwendung von sequenziellen Medien erzielen. Die höhere
Abbruchrate von Behandlungszyklen
mit Blastozystentransfer sowie schlechtere Ergebnisse nach Kryokonservierung führten jedoch dazu, den Blastozystentransfer nicht als überlegen zu empfehlen.
Risiken
Es ist derzeit unklar, ob die verlängerte Kultur sich negativ auf die spätere Entwicklung auswirkt. HCG-Serumspiegel in der Frühschwangerschaft sind nach Blastozystentransfer
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im Vergleich zu einem Transfer nach
drei Tagen signifikant erniedrigt. Die
Rate monozygoter Zwillingsbildung
nach Blastozystentransfer wird in retrospektiven Studien mit 4,3 Prozent
höher angegeben als nach frühem
Transfer und wird in der Kombination
mit der Eröffnung der Zona pellucida
bei der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion auf mehr als 5 Prozent erhöht. Vergleichende prospektive Studien zu kürzeren Kulturen über
maximal drei Tage liegen allerdings
nicht vor.
Blastozystenkultur in Deutschland
Der wesentliche Vorteil für die
Schwangerschaftsrate nach Blastozystenkultur liegt in der möglichen Embryonen-Auswahl. Das im deutschen
Embryonenschutzgesetz festgelegte Verbot der Selektion und Schaffung überzähliger Embryonen führt dazu, dass
in Deutschland die Auswahl für die
weitere Embryokultur noch im Stadium der unbefruchteten Eizelle erfolgen muss.
Die Schwangerschaftsraten nach
der Auswahl im Vorkernstadium sind
allerdings unabhängig vom Tag des gewählten Transfers. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass unter In-vitroBedingungen keine der im Vorkernstadium ausgewählten Zellen das Blastozystenstadium erreicht. Unter den
in Deutschland gegebenen Bedingungen beschränkt sich die Zahl der
Zyklen, in denen dann nach Blastozystenkultur wenigstens eine Blastozyste zum Transfer zur Verfügung steht,
auf 20 bis 40 Prozent, eine Steigerung
der Schwangerschaftsrate ist nicht möglich (22).
Zusammenfassend stellt die Blastozystenkultur eine wichtige Möglichkeit zur Beurteilung der embryonalen
Entwicklung in vitro dar. Eine Verbesserung der Schwangerschaftsrate pro
Zyklus basiert weniger auf einer Verbesserung der embryonalen Reifung
im Vergleich zu früheren Transfers,
vielmehr auf der besseren Möglichkeit, das embryonale Entwicklungspotenzial abschätzen zu können. Der Erfolg ist damit fast ausschließlich von
der Auswahl der „besten“ Embryonen
abhängig.
Fazit
Gerade auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin ist in den letzten zehn Jahren
Vieles entwickelt worden. Eine Reihe
weiterer Neuerungen werden schon bald
Eingang in die klinische Anwendung finden. Entscheidende Beiträge zu dieser
Entwicklung aus Deutschland wird man
auch in Zukunft vermissen und deutsche
Sonderwege, wie den der Polkörperdiagnostik als Substitut der Präimplantationsdiagnostik, entsprechen dem Bemühen deutscher Ärzte und Wissenschaftler am Fortschritt, nicht zuletzt
zum Nutzen der Paare mit Kinderwunsch, zu partizipieren. Das ESchG
wurde 1991 mit dem Ziel verabschiedet,
den Embryo zu schützen und den Missbrauch der In-vitro-Fertilisation zu
verhindern. Die Auflagen des ESchG
bedeuten jedoch in praxi eine Benachteiligung deutscher Patientinnen, die erwarten, dass neue gesicherte Erkenntnisse schnell in medizinische Maßnahmen einfließen. Die gesetzliche Ausgestaltung des Spannungsfeldes zwischen
ethisch erforderlicher Grenzziehung in
der Reproduktionsmedizin und einer
optimalen Gesundheitsfürsorge der infertilen Frau ist für Deutschland dringend zu überdenken.
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht
Manuskript eingereicht: 8. 7. 2004, revidierte Fassung
angenommen: 13. 9. 2004
❚ Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 587–591 [Heft 9]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet
unter www.aerzteblatt.de/lit0905 abrufbar ist.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Klaus Diedrich
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
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Literaturverzeichnis Heft 9/2005:
Neue Entwicklungen in
der Reproduktionsmedizin
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