Auslegungsspielräume des Embryonenschutzgesetzes PDF

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Auslegungsspielräume des
Embryonenschutzgesetzes
Monika Frommel
werden soll, widersprechen sich aber in den jeweiligen Begründungen erheblich, sodass eine sinnvolle Auslegung
des gegebenen Gesetzes noch am ehesten einen Konsens
ermöglicht.
Institut für Sanktionenrecht und Kriminologie der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, Kiel
Reviewer: Holger Eberlein, Berlin
und Klaus Bühler, Hannover
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Zusammenfassung
Das geltende Embryonenschutzgesetz erlaubt eine angemessene und internationalen Standards entsprechende
assistierte Reproduktionstechnik (ART). Es erlaubt Ärzten
zum Zeitpunkt der Befruchtung (das ist strafrechtlich gesehen die Weiterkultivierung von 2-PN-Stadien) eine individuelle Beurteilung der benötigten 2-PN-Zellen, um zum
Zeitpunkt des Transfers mindestens zwei entwicklungsfähige Embryonen zur Verfügung zu haben. Die Frau hat
dann immer noch das Recht, zu verlangen, dass nur ein
Embryo transferiert wird, also ein SET (»single embryo
transfer«) durchgeführt wird. In der Praxis empfiehlt sich
aber eine DET (»double embryo transfer«) wegen der höheren Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. Rechtlich
ist dabei die Kryokonservierung von überzähligen Embryonen, die von der Frau für den Transfer nicht gewünscht
werden, unproblematisch, wenn dies mit Zustimmung des
Paares, von dem der Embryo stammt, erfolgt.
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Auch ist eine PID Im Trophoblastenstadium erlaubt, da das
ESchG nur die Untersuchung totipotenter Zellen eines
Embryos verbietet. Sie werden nach § 8 ESchG als Embryo
fingiert, mit der Folge, dass § 2 ESchG deren Verwendung
verbietet. Aber ein Untersuchungsverbot von sicher pluripotenten Zellen enthält das ESchG nicht. Dies ist eine weit
verbreitete Annahme, die sich aber nicht auf das ESchG
stützen kann. Das ESchG verbietet demgegenüber aber
eine Eizellspende und es untersagt eine Leihmutterschaft.
Der Grund für diese Verbote ist die gesetzgeberische
Annahme, dass eine gespaltene Mutterschaft zu erheblich
mehr Komplikationen führen würde als eine gespaltene
Vaterschaft (heterologe Samenspende), welche erlaubt ist.
Insgesamt gesehen kann das ESchG daher als ein konservativ-liberales Gesetz bewertet werden, das die Autonomie
der Patientin weitgehend wahrt und die Reproduktionsfreiheit des Paares garantiert, allerdings nur im Rahmen
eines angemessenen Lebensschutzes. Weitergehende Ansichten, welche das Gesetz überdehnen, sind mittlerweile
überholt, da das deutsche Verfassungsrecht keinen absoluten Lebensschutz gebiete. Wäre dies der Fall, wären nämlich die 1995 neu kodifizierten Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs verfassungswidrig. Aber weitergehende
liberale Reformen stoßen zurzeit auf einen breiten weltanschaulichen Widerstand. Die einzelnen Gruppen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft sind sich zwar nur im
Ergebnis einig, dass das geltende ESchG nicht liberalisiert
I. Widersprüchliche Wahrnehmungen
Das 1991 erlassene Embryonenschutzgesetz (ESchG) wird
seit fast 20 Jahren höchst widersprüchlich kommentiert.
Einerseits klagen Mediziner, es sei zu streng und behindere
die deutsche Reproduktionsmedizin, andererseits ist es
Gegenstand kontroverser ethischer Debatten. Berichte aus
Rechtskulturen, in denen die Reproduktionsmedizin kaum
reguliert wird, lassen den Satz »man soll nicht alles technisch Machbare auch umsetzen« immer wieder aufs Neue
aktuell erscheinen, es kursieren Dammbruchargumente
und insbesondere ökologisch argumentierende Menschen
und auch einige Feministinnen meinen, es sei zu befürchten, dass sich Ärzte nicht an das (angeblich zu strenge)
Gesetz halten und überdies auch noch Frauen als Lieferantinnen von Eizellen, eines knappen Rohstoffs, missbrauchen wollten. Diese Wahrnehmung könnte sich nach dem
spektakulären Freispruch eines Berliner Arztes im Mai 2009
erneut verändern: Offenbar ist das ESchG gar nicht so
streng, wie bislang gedacht. Es bietet Auslegungsspielräume, welche Strafgerichte zu nutzen verstehen. Eine
angemessene Reproduktionsmedizin scheitert jedenfalls
bislang nicht an Justizjuristen, sondern wurde lediglich
durch Vorgaben der Bundesärztekammer erschwert.
Im Mai 2009 gab die Pressestelle des Berliner Landgerichtes
folgende Meldung bekannt: »Weder verbiete der Wortlaut
des Gesetzes die PID, noch ergebe sich ein Verbot der Handlungen des Arztes aus dessen Auslegung. Aus den Gesetzesmaterialien gehe vielmehr klar hervor, dass der Gesetzgeber im Jahre 1991 ein Verbot der Zucht von Embryonen zu
reinen Forschungszwecken beabsichtigte, nicht aber eine
»Selektion wegen erheblicher schwerster Schäden«. Dies
ergebe sich aus einer weiteren Norm des Embryonenschutzgesetzes, die zwar grundsätzlich die Geschlechterwahl sanktioniere, nicht aber dann, wenn bestimmte geschlechtsgebundene Erbkrankheiten drohten…« (http://www. berlin.de
/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20090514.1745.1279
43.html).
In diesem noch nicht rechtskräftigen Verfahren hatte der
Arzt Zellen des Trophoblasten im Blastozystenstadium
untersucht, also in einem Embryonalstadium am 5.–6. Tag
der In-vitro-Kultivierung, das bereits etwa 50 Zellen aufweist und sich schon allein deswegen fundamental von
einem 4–8-Zellstadium am Tag 2–3 der Kultivierung unterscheidet. Die angewandte Methode könnte sich als ethisch,
medizinisch und juristisch vorzugswürdig erweisen und die
internationale Praxis beeinflussen. Ethisch und juristisch
ist sie nämlich erheblich weniger bedenklich, weil die untersuchten Zellen sicher nicht mehr totipotent sind und damit
nicht mehr als Embryonen fingiert werden, die unter den
Frommel M. Auslegungsspielräume ... Gynakol Geburtsmed Gynakol Endokrinol 2010; 6(1): 16–29 publiziert 31.03.10 www.akademos.de/gyn © akademos Wissenschaftsverlag 2010 ISSN 1614-8533
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Schutz des ESchG fallen (so geregelt in § 8 ESchG). Die Zellen
eines Trophoblasten sind juristisch wie Körperzellen zu behandeln, es wäre widersinnig ein Untersuchungsverbot zu
konstruieren. Auch reproduktionsbiologisch hat eine Biopsie eines Trophoblasten Vorteile, denn die Chancen zur Einnistung des so untersuchten Embryos, nachdem er der Frau
übertragen worden ist, sind besser als bei der bisher üblichen genetischen Untersuchung in einem frühen Stadium
(Buchholz 2009), weil relativ gesehen im ersten Fall deutlich weniger Zellmasse entnommen und der Embryoblast
nicht angetastet wird, während bei einer früheren Untersuchung im 4–8-Zellstadium doch ein erheblicher Anteil
des Embryos selbst (Blastomeren) entnommen wird. Die
Trophoblastenbiopsie entspricht somit mit allen ihren Vorund Nachteilen einer frühen Pränataldiagnostik (PND),
etwa der Chorionzottenbiopsie. Die Berliner Entscheidung
reflektiert dies juristisch und behandelt PND und PID möglichst gleich, um Wertungswidersprüche zu beseitigen.
Sie ist aber auf der anderen Seite eine klare Absage an das
Konzept »Designerbaby«, da in diesem späten Stadium der
Behandlung nur noch ganz wenige Embryonen vorhanden
sind, die untersucht werden können. Die Methode ist daher
wenig anfällig für Missbrauch (http://www.uni-kiel.de/
isk/cgi-bin/files/frommel_wegweisende_Gerichtsentscheidung.pdf).
Spektakulär an dieser Entscheidung ist die Tatsache, dass
der – zum Glück unverbindlichen – Auslegung des ESchG
durch die Bundesärztekammer (BÄK) nicht gefolgt wird.
Nach der BÄK sei jeder Embryo, also bereits die Zygote im
Stadium nach der Kernverschmelzung wie »ein Mensch«
zu achten. Gerichte hingegen wägen umsichtig alle Interessen ab, die Gesundheit der Wunschmutter, das Wohl des
im Wege der künstlichen Befruchtung (assistierter reproduktiver Techniken, ART) gezeugten Babys und die Interessen der Allgemeinheit an einem angemessenen Lebensschutz in vivo und in vitro. Wertungswidersprüche zu den
§§ 218 ff. StGB sollen vermieden werden. Der Ton ist sehr
viel liberaler und pragmatischer als jener in den Richtlinien
der Bundesärztekammer. Richter bewerten vielmehr das
Ziel der Vermeidung von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften positiv und sehen auch die Verbesserung der
Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft als legitim an.
Sie setzen das ESchG in Bezug zu den Prinzipien bei einer
Abtreibung und betonen die individuellen personalen Interessen der Wunschmutter. Unter Lebensschutz verstehen
sie etwas sehr abstraktes, nämlich das Interesse der Allgemeinheit an einem angemessenen Umgang mit menschlichem Leben. Derartig abstrakte Prinzipien werden mit
den konkreten Gesichtspunkten konfrontiert, die sich während einer ART-Behandlung ergeben. Am Ende steht unverkennbar die Reproduktionsfreiheit der Frau im Vordergrund,
der Lebensschutz wird gewahrt, aber nicht zu Lasten einer
angemessenen IVF-Behandlung.
II. Liberales Strafrecht und hypertrophes Berufsrecht
Wie kam es zu den Differenzen zwischen liberalen
Strafjuristen und den konservativen Vorgaben der BÄK,
welche den Eindruck erweckt haben, das ESchG sei
ein Lebensschutzgesetz?
Ärztliches Handeln ist durch eine Fülle von rechtlichen Regeln normiert: ESchG, BGB, Gewebetransplantationsgesetz,
Berufsrecht. Im Mai 2009 ist noch das Gendiagnostikgesetz
hinzugekommen, das nicht nur in der Schwangerschaft,
sondern grundsätzlich alle genetischen Untersuchungen
eng begrenzt und damit für die gesamte Medizin eugenische Gesichtspunkte zurückdrängt. Immer besser wird
auch das Grundrecht der Kinder implementiert, die eigene
genetische Herkunft zu erfahren. Näher als Strafrecht, das
nur als Ultima Ratio eingreift, ist für Reproduktionsmediziner das Berufsrecht. Daher lesen sie das ESchG in erster
Linie durch die Brille ihres Standesrechts, den der Richtlinien der Bundesärztekammer. Leider sind diese 1998 und
auch 2006 bei der Novellierung so eng gefasst worden,
dass Günther in der 2008 erschienenen 2. Auflage des
ESchG-Kommentars sarkastisch bemerkt: »Letztlich zwingt
deshalb nicht das ESchG, sondern erst die Bundesärztekammer mit ihrer fragwürdigen Auslegung die deutsche
Reproduktionsmedizin dazu, aus vermeintlichen Rechtsgründen ihre Patientinnen schlechter zu behandeln, als es
die Regeln der ärztlichen Heilkunst zulassen« (Günther,
Kommentar zum ESchG, § 1 I Nr. 5 Rdn. 11).
Verbindlich sind diese Richtlinien zwar nur, wenn sie höherrangigem Recht nicht widersprechen und wenn sie durch
die Landesärztekammern (LÄK) umgesetzt werden. Letzteres ist (bis auf eine Ausnahme) nicht geschehen. Ratlose
Mediziner fragten daher im Jahre 2003 bei den jeweiligen
LÄK an und erhielten am Ende einen listigen Brief vom
bayerischen Justizministerium und dem Bundesgesundheitsministerium, dass dies ausschließlich eine Frage von
§ 1 I Nr. 5 ESchG und der Auslegung durch Strafgerichte sei,
berufsrechtlich bestünden keine Einschränkungen.
Daraufhin klärte der neu gegründete Dachverband der
reproduktionsmedizinischen Zentren die Rechtslage in
interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppen
(Geisthövel et al. 2004), bis ein Zufall im Jahre 2008 zu
einer klärenden Gerichtsentscheidung führte, allerdings an
einem eher unerwarteten Ort: einer Auseinandersetzung
über das Honorar (AG Wolfratshausen vom 30.04.2008
Az 6 C 677/06). Über diese Entscheidung wird später noch
genauer zu berichten sein. Bemerkenswert ist, dass das
Amtsgericht sich nicht wie andere Gerichte, die ebenfalls
zur Klärung des Honoraranspruchs angerufen worden waren, auf die Beantwortung einer mittlerweile unstrittigen
Rechtsfrage beschränkt hat, sondern auch spätere Behandlungsstadien abgeklärt hat. Unstrittig dürfen Ärzte bis zum
Pronukleus(PN)-Stadium auf Vorrat Eizellen imprägnieren.
Sie dürfen auch auswählen. Strittig ist lediglich die
Weiterkultivierung. Hierzu wurde und wird immer wieder
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ausgeführt, dass innerhalb eines Behandlungszyklus nicht
mehr als drei Embryonen generiert werden dürfen. Aber
was soll das bedeuten? Juristen gehen zunächst einmal
wie alle Laien davon aus, dass aus einer 2-PN-Zelle in der
Tendenz ein Embryo entstehen dürfte. Erklärt man ihnen,
dass dies wesentlich komplizierter sei, müssen sie die Regelungen des ESchG genauer auslegen, um zu sehen, ob es
Spielräume bietet oder nicht. Ohne durch die vorgelegte
Rechtsfrage dazu gezwungen zu sein, leistete sich das AG
Wolfratshausen den Luxus genauer hinzuschauen, andere
Gerichte1 hingegen stellten schlicht fest, dass jedenfalls im
2-PN-Stadium eine Auswahl zulässig sei. Sucht man in den
üblichen Rechtsprechungsdateien ( juris) zu § 1 Abs. 1 Nr. 5
ESchG einschlägige Entscheidungen, wird diese Entscheidung des AG Wolfratshausen angegeben (mit Widerspruch
seitens sog. Lebensschützer). Es ist somit die einzige Entscheidung, welche die hier interessierende Rechtsfrage
ausführlich erörtert, was aber zumindest bedeutet, dass
die hier mehrfach noch zu erwähnende liberale Auslegung
des Embryonenschutzgesetzes gerichtlich bestätigt wurde.
Betroffene haben eine erhebliche Rechtssicherheit; denn
mit dieser Entscheidung kippte die Praxis in die Richtung
der liberalen Auslegung.
Verstärkt wird dieser Trend mittlerweile auch durch die
Tatsache, dass sich auch innerhalb der Kommentarliteratur
eine herrschende Meinung gebildet hatte, wonach das
ESchG Ausbildungsspielräume bietet, die es zu nutzen gilt2.
Die gut vernetzten Reproduktionsmediziner nutzen mittlerweile diese liberale Auslegung, zunächst in Süddeutschland, mittlerweile bundesweit. Denn wenn sie die Empfehlungen der Bundesärztekammer umgesetzt hätten, wären
ihre Schwangerschaftsraten zu niedrig und das Mehrlingsrisiko für die Patientinnen zu hoch gewesen.
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Zur Wahl stehen drei Vorgehensweisen, die im Folgenden
kurz erörtert werden:
1. Beginnen wir mit der von der BÄK 1998 und 2006
empfohlenen herkömmlichen Methode oder der sog.
Dreierregel. Danach dürfen drei 2-PN-Zellen weiterkultiviert und drei Embryonen transferiert werden. Sie basiert
auf der normativen Prämisse, dass es nach dem ESchG
geboten sei, alle entwicklungsfähigen Embryonen zurückzusetzen. Unverkennbar widerspricht diese auch
medizinisch obsolete Annahme dem in § 4 ESchG normierten Prinzip, wonach die Frau entscheidet, ob sie einen
oder zwei bis drei Embryonen transferiert bekommen
möchte. Selbst wenn also eine LÄK diese Richtlinie umgesetzt haben sollte, ist sie nichtig, da das ESchG keine
Pflicht des Arztes enthält, Embryonen zu erhalten. Außerdem greift sie mittelbar in das reproduktive Grundrecht
der Frau und des Paares ein und ist auch deshalb nichtig.
2. Insbesondere süddeutsche Reproduktionsmediziner
verfahren mittlerweile nach dem sog. deutschen Mittelweg, dem DET-Verfahren (»double embryo transfer«) und
folgen der sog. liberalen Auslegung des § 1 I Nr. 5 ESchG3).
Danach können sie im Einzelfall, abhängig von der
individuellen Ausgangssituation des Patientenpaares,
prognostizieren, wie viele 2-PN-Zellen sie weiter entwickeln müssen, um höchstens zwei entwicklungsfähige
Embryonen zu erhalten, die dann transferiert werden.
Ihre Vorgehensweise erklären sie in entsprechenden Aufklärungsbögen, die sie nach Klärung der Rechtslage in
Absprache mit den Kollegen und mit Wissen der jeweiligen Landesärztekammer entwickelt haben4. Die Krankenkassen bezahlen diese Behandlungen. In einem Fall kam
es zu einer gerichtlichen Klärung. Eine Beamtenkrankenkasse wollte das Honorar eines DET nicht bezahlen und
stützte sich auf die entsprechende Passage der – allerdings für Bayern nicht verbindlichen – Richtlinien der
BÄK, welche das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen missachtet und an der sog. herkömmlichen Methode
(Dreierregel) festhält. Die Beklagte wurde verurteilt, das
Honorar zu bezahlen, da § 1 I Nr. 3 und 5 ESchG teleologisch im Sinne des sog. deutschen Mittelwegs auszulegen sei (AG Wolfratshausen vom 30.04.2008 Az 6 C
677/06).
3. In Schleswig-Holstein hingegen vertreten die praktizierenden Mediziner den Standpunkt, dass sie wie ihre ausländischen Kollegen einen eSET (»elective single embryo
transfer«) anstreben5. Bei dieser im Ausland gebräuchlichen Methode wird mittels Analogieschlüssen aus einer
Reihe von Indikatoren (Teilungsgeschwindigkeit, Symmetrie) nach dem Embryo gesucht, der das beste Implantationspotenzial hat (sog. »Top«-Embryo). Sinn macht
diese Methode nur, wenn man eine ausreichende Zahl
von Embryonen für die Auswahl (»election«) zur Verfügung hat, was bedeutet, dass unabhängig von der individuellen Situation des Paares zuvor eine beliebig hohe
Zahl von 2-PN-Zellen weiterkultiviert worden ist. Der
Sache nach erfolgt also eine beabsichtigte Auswahl zwischen mehreren entwicklungsfähigen Embryonen. Ob
dies mit dem ESchG konform geht oder aber eine Gesetzesänderung verlangt, ist höchst umstritten. Zulässig sei
das Verfahren nicht, teilte 2007 das Justizministerium
mit, das aber nur gefragt worden war, ob der international übliche eSET mit dem ESchG vereinbar sei. Nur dieses
wurde verneint6. Zwar sei das Embryoscoring (morphologische Untersuchung, um Rückschlüsse auf das Potenzial
eines Embryo zu ziehen) erlaubt, aber das geltende ESchG
verbiete eine Embryonenauswahl zwischen entwicklungsfähigen Embryonen. Die Schleswig-Holsteiner
Reproduktionsmediziner schlossen daraus, dass sie nun
doch gezwungen seien alle entwicklungsfähigen Embryonen zurückzusetzen und tendieren zu der Meinung,
dass dann auch die Auslegung der Autoren, welche den
deutschen Mittelweg vertreten (Geisthoevel 20067 ), mit
dem ESchG nicht vereinbar sei. Jene übersehen dabei
aber, dass beim DET keine Auswahl geplant ist, sondern
lediglich eine Identifizierung entwicklungsfähiger Embryonen und sie übersehen zudem, dass hierzu eine positive Entscheidung eines Gerichts vorliegt, während die
Stellungnahme des Justizministeriums SchleswigHolsteins nur eine vorsichtige erste Antwort auf eine
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ungenau gestellte Frage war (ungenau, weil pauschal
gefragt worden war, ob eine Embryonenauswahl nach
dem ESchG erlaubt sei). Wenn beim DET-Verfahren eine
Auswahl erfolgt, dann nur deswegen, weil planwidrig
überzählige Embryonen entstanden sind. Dieser Fall ist
selten, da nicht entwicklungsfähige Embryonen nicht
unter den Schutz des ESchG (Rückschluss aus § 8 ESchG)
fallen und weil bei DET eine Punktlandung geplant wird.
Es sollen möglichst zwei entwicklungsfähige Embryonen
generiert werden, die dann auch transferiert werden
können, falls die Patientin nicht widerspricht. Es wird
also nicht von Anfang an geplant, mehr entwicklungsfähige Embryonen zur Entstehung kommen zu lassen, als
später transferiert werden sollen8. Dass ein Wandel in
der Implementation eines Gesetzes mit so feinsinnigen
Argumenten eingeleitet wird, ist erklärungsbedürftig
und hängt in erster Linie mit der Gesetzestechnik zusammen, welche dem ESchG zugrunde liegt.
Die feinen Unterschiede zwischen einem eher problematischen eSET und einem sicher erlaubten DET überfordern
nicht nur Mediziner und Journalisten. Sie sind auch für
Juristen schwer zu begreifen9. Die Gründe für diese feinen
Unterscheidungen sollen daher dargelegt werden.
1 Etwa LG Saarbrücken, Urteil v. 16.12.2008 – 14 S 15/07 (Berufungsent-
scheidung); LG München I, Urteil v. 03.03.09 – 20 S 8001/07; LG Köln,
nicht rechtskräftige Urteile vom 18.03.09 – 23 O 51/08, 23 O 331/08,
23 0 384/07. Die genannten Gerichte bestätigen – ebenso wie das AG
Wolfratshausen– die freie Selektierbarkeit der 2-PN-Stadien. Auch
dieses Ergebnis ergibt sich nicht unmittelbar aus § 1 Abs. 2 ESchG,
sondern muss erst durch Auslegung gewonnen werden. Die genannten Gerichte bevorzugten das Argument, dass später eine solche Auswahl nicht mehr ohne Weiteres möglich sei. Auch die Verfasserin dieses Aufsatzes geht davon aus, dass das ESchG im 2-PN-Stadium mehr
erlaubt als nach der Zellkernverschmelzung. Daher ist es auch nach
der hier vertretenen Ansicht wohl verboten (eine Gegenmeinung ist
vertretbar, aber riskant), planvoll mehr als drei (in der Regel sogar nur
zwei) Embryonen zu generieren. Dies bedeutet, dass nicht der Arzt von
Anfang an eine Auswahl anstreben darf, sondern nur die Frau den
Transfer eines Embryos verweigern kann und damit indirekt eine Auswahl erzwingen darf (geregelt in § 4 ESchG, aber derartige Fragen
waren nicht Gegenstand der hier zitierten Entscheidungen).
2 Nur angedeutet
in der 1. Aufl., aber klar formuliert in der aktuellen
Ausgabe des Kommentars zum ESchG (Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG
Kommentar, 2. Aufl. 2008). Günther folgt in § 1 I Nr. 5 Rdnr. 11 Fn 27 der
liberalen Sicht, mit Verweis auf Frommel, Ethische, verfassungsrechtliche und strafrechtliche Problematik, Sonderheft »Recht der Fortpflanzungsmedizin im 21. Jahrhundert«, Reproduktionsmedizin 4/2002,
Springer: 158–182. Vgl. dieselbe im unveröffentlichten ausführliche
Gutachten für alle bayerischen Zentren zur Vorlage an die Bayerische
Ärztekammer vom 24.11.2003.
Präzisiert wurde diese bereits 2002 vorgeschlagene und fast allen
Landesärztekammern bekannte Auslegung des ESchG in Frommel,
Auslegungsspielräume, J Reproduktionsmed Endokrinol 2/2004,
S. 104–111 und dies., Deutscher Mittelweg, J Reproduktionsmed
Endokrinol 1/2007, S. 1–7 – alle Artikel sind als Download verfügbar
unter http://www.uni-kiel.de/isk/cgi-bin/index.php.
3 Geisthoevel hat
einen Aufklärungsbogen entwickelt, der beim Dachverband Reproduktionsbiologie und -medizin e.V. erhältlich ist. Er ist
verglichen mit den Verträgen, welche Berufsverbände ansonsten empfehlen, etwa der BRZ (Bundesverband Reproduktionsmedizinischer
Zentren Deutschlands e.V.), genauer und garantiert ein transparentes
ausgewogenes Therapiekonzept.
4 Explizit
geäußert hat sich nur die bayerische Landesärztekammer.
Entsprechende juristische Gutachten haben aber zahlreiche LÄK mit
Schweigen beredt nicht kommentiert. Dies hängt damit zusammen,
dass die Richtlinien der BÄK von den LÄK, die angeschrieben worden
sind, nicht umgesetzt worden waren. Die »Dreierregel« war daher
weitgehend eine unverbindliche Empfehlung geblieben, die nur
durch die Legende, sie entspreche dem ESchG, praktische Bedeutung
erlangt hatte.
5 Sie wechseln die Ebene, verteufeln das geltende ESchG, ignorieren die
Widersprüche der Empfehlungen der BÄK und hoffen auf eine Änderung des ESchG. Da aber nur die FDP für eine Gesetzesänderung zu
gewinnen wäre, erscheint diese Strategie wenig sinnvoll, schon gar
nicht verbessert sie die gegenwärtige Lage der Reproduktionsmediziner, welche diesen Weg gehen: Diedrich, Felberbaum, Griesinger,
Hepp, Kreß, Riedel, Reproduktionsmedizin im internationalen Vergleich.
Wissenschaftlicher Sachstand, medizinische Versorgung und gesetzlicher Regelungsbedarf. Gutachten im Auftrag der Friedrich-EbertStiftung, 2008.
6 Günther in § 1 I Nr. 5 Rdnr. 11 Fn 28 macht
deutlich, dass er den DET für
gesetzeskonform hält, den eSET aber nur de lege ferenda empfehlen
kann. Dem ist zuzustimmen.
7 Der hier abgedruckte Algorithmus ist
das Ergebnis der seit knapp
10 Jahren praktizierten interdisziplinäre Zusammenarbeit von
Geisthoevel, Ochsner und Frommel.
8 Unrichtig dargestellt
von Ulrike Riedel, Reproduktionsmedizin im
internationalen Vergleich. Wissenschaftlicher Sachstand, medizinische Versorgung und gesetzlicher Regelungsbedarf, 2008, S.111. Die
Verfasserin meint, dass alle deutschen Reproduktionsmediziner einen
eSET anstreben. Dies entspricht nicht den Tatsachen, da die überwiegende Zahl der in Deutschland praktizierenden Mediziner den mit
dem ESchG konformen DET anstrebt. In einer weltanschaulich so aufgeladenen Debatte wäre es mehr als unvernünftig, wenn die Protagonisten eines rechtlichen Wandels sich in eine rechtliche Grauzone
begeben würden. Sie haben daher eine Lösung gesucht, welche klar
mit dem ESchG konform jede Vorratsbefruchtung vermeidet. Die Erfahrung zeigt, dass dies medizinisch auch praktikabel ist.
9 Dietrich etwa meint, man solle § 1 I Nr. 5 ESchG de lege ferenda wie
folgt fassen: strafbar ist, »wer es unternimmt, innerhalb eines Zyklus
mehr Eizellen zu befruchten, als zum Zweck einer erfolgreichen Behandlung unter Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften nach
dem Stand der Wissenschaft erforderlich ist« (Deutsches Ärzteblatt Jg.
105 Heft 43, vom 24.10.2008). Die Formulierung zeigt das Dilemma
19
überdeutlich. Wieso soll man etwas in ein Gesetz schreiben, was jetzt
schon erlaubt ist: die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften
unter Beachtung des Verbots der Vorratsbefruchtung. Bislang haben
zwar Anwälte vor meiner »Einzelmeinung« gewarnt, aber kein Strafgericht hat sich die Auslegung, welche die BÄK gewählt hat, zu eigen
gemacht.
III. Die Gesetzestechnik des ESchG und seine Folgen
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Was ist verboten?
Das ESchG verbietet die missbräuchliche Anwendung von
Fortpflanzungstechniken und die missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen. Es verbietet
1. die Eizellspende10,
2. die Leihmutterschaft,
3. die Verwendung der Samen eines bereits verstorbenen
Mannes und es verbietet
4. die verbrauchende Embryonenforschung.
5. Auch die in der Praxis eher unbedeutenden, moralisch
aber umso plastischeren Verbote wie das der Chimärenund Hybridbildung schützen nicht nur das menschliche
Leben, sie dienen auch dem Tierschutz und richten sich
gegen Personen, die Missbrauch im Sinn haben.
Alle Verbote setzen sehr früh an, da das ESchG Unternehmensdelikte enthält und damit die Vollendungsstrafbarkeit ins Versuchsstadium vorverlagert11.
Was ist erlaubt?
Erlaubt ist eine angemessene ART. Alle verfügbaren Eizellen
der Patientin dürfen mit den Samenzellen des Partners
oder Samenspenders verbunden werden. Erst wenn es sich
um 2-PN-Zellen handelt, beschränkt das ESchG die Weiterkultivierung, da es eine unbegrenzte Vorratsbefruchtung
verbietet. Die PID von pluripotenten Zellen und eine von
der Frau gewünschte Embryonenauswahl vor dem Transfer
sind erlaubt.
20
Sinnvoll ist es, den hier verwendeten Begriff der »Befruchtung« zu erklären. Unstrittig ist ein Imprägnieren noch
keine Befruchtung12. § 8 ESchG definiert nämlich den strafrechtlichen Begriff der Befruchtung. Sie ist dann gegeben,
wenn das ärztliche Handeln unmittelbar zu einer Kernverschmelzung führt. Dies ist beim Vorkernstadium sicher
noch nicht gegeben, da 2-PN-Zellen keine Embryonen im
Sinne von § 8 ESchG sind. Verboten ist daher allenfalls die
Weiterkultivierung von 2-PN-Zellen, und auch dies nur,
wenn dies auf Vorrat erfolgt, d. h. wenn die dann gewonnenen Embryonen nicht auf die Frau, von der die Eizellen
stammen, übertragen werden sollen, sondern gezielt zu
anderen Zwecken erzeugt werden (Vorverlagerung der
Strafbarkeit des Verbotes der Eizellspende, der Leihmutterschaft und des Forschungsverbotes). 2-PN Zellen hingegen
können auf Vorrat generiert werden.
Wie sieht es nun mit der Weiterkultivierung der 2-PN-Zellen aus? Ärzte können so viele Embryonen generieren, wie
aus ihrer ärztlichen Sicht voraussichtlich nötig sind, um
im jeweiligen Einzelfall eine Behandlung durchzuführen,
die sich eignet, um eine Schwangerschaft der Patientin
herbeizuführen. Sie können auch planwidrig entstandene
überzählige Embryonen mit Zustimmung des Paares kryokonservieren und sie können vor dem Transfer sicher pluripotente Embryonen genetisch untersuchen, wenn die Frau
dies wünscht und nur dann einem Transfer zustimmt.
Denn über den Transfer bestimmt die Frau, ihr reproduktives Grundrecht ist zu wahren. Man kann also etwa fünf
Entscheidungsebenen mit je unterschiedlichen medizinischen Prognosen unterscheiden. Eine Embryonenauswahl
zwischen entwicklungsfähigen Embryonen darf zwar nicht
von Anfang an vom Arzt geplant werden, aber sie kann von
der Frau vor dem Transfer verlangt werden. Das ESchG ist
also streng, es zwingt zu einer sorgfältigen Beratung, aber
es verhindert keine angemessene Behandlung nach
internationalen Standards.
Die hier dargestellte Interpretation des ESchG ist das Ergebnis einer bereits in Heft 4 der Zeitschrift »Reproduktionsmedizin« 2002 vorgestellten interdisziplinären Zusammenarbeit. Autoren sind Montag (Reproduktionsbiologie) und
Frommel, moderiert wurde die Diskussion von Geisthoevel.
Danach gibt es in Deutschland ebenso wie in Österreich,
aber im Unterschied zur Schweiz13, keine strafrechtlich gebotene Dreierregel dergestalt, dass nur drei Embryonen
erzeugt werden dürften. Verboten ist lediglich der Transfer
von mehr als drei Embryonen. De lege artis ist es aber geboten, keine vermeidbaren Mehrlingsschwangerschaften
zu riskieren, also in der Regel weniger als drei Embryonen
zu transferieren. Unstrittig ist hingegen, dass alle verfügbaren Eizellen einer Frau, die eine ART-Behandlung wünscht,
imprägniert werden dürfen. Ansonsten würde in die körperliche Integrität der Patientin eingegriffen werden, ohne
dass dies nach der ärztlichen Kunst gerechtfertigt wäre.
Mehrfache Behandlungen wären demnach strafbare Körperverletzungen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, dem
historischem und teleologischem Gesetzeszweck und der
systematischen Auslegung des § 1 Abs. 2 ESchG. Verboten
ist danach lediglich eine Handlungsweise, die geeignet ist,
die biologische und die genetische Mutterschaft zu spalten, also imprägnierte Eizellen zu erhalten, die nicht auf
die Frau zurück übertragen werden sollen, von der die
Eizellen stammen (eine Vorverlagerung des Verbots der
Leihmutterschaft).
Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die erlaubte Vorgehensweise bei der ART.
Frommel M. Auslegungsspielräume ... Gynakol Geburtsmed Gynakol Endokrinol 2010; 6(1): 16–29 publiziert 31.03.10 www.akademos.de/gyn © akademos Wissenschaftsverlag 2010 ISSN 1614-8533
Tabelle 1: Anleitung (Algorithmus) des ART-Verlaufes
(Geisthoevel, Ochsner, Frommel)
Download am 26.04.2010 um 11:29 von cme.akademos.de-Benutzer PNS-5566
Ebene
I
Gameten
Eizelle und Samenzelle (IVF: keine besondere Auswahl; ICSI/IVF: bewegliche, normal
geformte Samenfäden) § 1 Abs. 2 ESchG
II
imprägnierte Eizelle (kein Embryo, da noch
keine Kernverschmelzung)
keine zahlenmäßige Begrenzung, aber
Verbot der Erzeugung zum Zweck einer
Leihmutterschaft
keine Spaltung der genetischen und
biologischen Mutterschaft (biologisches
Kriterium ist die Geburt)
2-PN-Zelle
Weiterkultivieren einer begrenzten Zahl ist
erlaubt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5), schon der Befruchtungsversuch unterfällt dem ESchG (Unternehmensdelikt)
Befruchtungsversuch = erst beim Weiterkultivieren von 2-PN-Zellen; dies ist aber
nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG erlaubt unter
Beachtung von § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG)
III
Zygote oder Embryo
Zygoten dürfen weiterkultiviert werden
Definition der Befruchtung = Syngamie
Legaldefinition in § 8 ESchG Kernverschmelzung/Entwicklungsfähigkeit
IV
kein Verbot der morphologischen
Untersuchung
genetische Untersuchung ist nur bei totipotenten Zellen = Embryonen i. S. von §§ 2
und 8 ESchG verboten
Blastozyste
bei differenzierten Zellen der Blastozyste
ist auch eine genetische Untersuchung
erlaubt – Trophoblastenbiopsie
V
Transfer
ein Transfer ist nur erlaubt mit Einwilligung
und nach einem Beratungsgespräch mit
der Frau unter Beachtung von § 1 Abs. 1 Nr. 3
ESchG. Dabei gilt aber die ärztliche Regel
nur einen oder zwei Embryonen zu transferieren, um höhergradige Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden.
Embryonenauswahl ist also in diesem
Stadium erlaubt und im Einzelfall sogar
ärztlich geboten
ART: assistierte Reproduktionstechniken IVF, ICSI-IVF etc.; 2-PN-Z:
2-Pronuclei-Zelle = Eizelle im Befruchtungsstadium vor Vereinigung
der beiden Vorkerne von Frau und Mann
Wieso empfehlen Juristen die Methode des DET?
Die Methode des DET (zur reproduktionsmedizinischen
Seite vgl. die Tabelle von Geisthoevel in Frommel 2007)
geht von folgenden Überlegungen aus: Eine ART-Behandlung folgt einem strengen zeitlichen Schema und einem
Algorithmus, der zeigt, welche Handlung aufgrund welcher
Prognose im ART-Verlauf ansteht. Die jeweiligen Zeitfenster
sind klein. Beabsichtigt ein Arzt eine Schwangerschaft der
Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, wirkt sich
die Gesetzestechnik des Unternehmensdelikts zu seinen
Gunsten aus, da eine Handlung nur dann tatbestandsmäßig ist, wenn sie aus der Perspektive des Arztes zum Tatzeitpunkt missbräuchlich ist. Wann ist der Zeitpunkt der
Befruchtung? Nach § 8 ESchG ist die Befruchtung mit der
Kernverschmelzung abgeschlossen. Da aber das ESchG
Unternehmensdelikte enthält, ist auf den Befruchtungsversuch abzustellen. Dieser beginnt nach der Logik des
ESchG mit der letzten Handlung, welche unmittelbar zur
Kernverschmelzung führen wird. Dies ist gegeben, wenn
eine 2-PN-Zelle (eine mit dem Samen des Mannes imprägnierte Eizelle mit noch zwei getrennt voneinander liegenden Vorkernen, der maternalen und paternalen Erbinformation) weiterkultiviert wird14. Die Befruchtung beginnt
also – aus juristischer Sicht – nicht schon damit, dass der
Arzt oder die Ärztin bewirkt, dass eine Samenzelle in die
menschliche Eizelle eindringt, denn dies wird in § 1 II Nr. 1
ESchG geregelt15, sondern erst in dem Moment, in dem der
Arzt oder die Ärztin sich entschließt, die 2-Vorkernzelle weiterzukultivieren, was dann zu einer Kernverschmelzung
und damit zu einem Embryo führen kann (es genügt bei
Unternehmensdelikten der Versuch). Ärzte können also die
Kulturen abwartend beobachten bis zu diesem Zeitpunkt
und dann prognostizieren (Alter der Frau, Gesundheitszustand, Zahl der fehlgeschlagenen Behandlungen etc.),
wie viele 2-Vorkernzellen weiter kultiviert werden müssen,
um voraussichtlich zwei transferierbare Embryonen zu erhalten. Verfährt er so, fehlt ihm das subjektive Tatbestandsmerkmal der beabsichtigten oder mit dolus eventualis
herbeigeführten missbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken. Unerwünscht, aber nicht strafbar ist
also die Tatsache, dass im Einzelfall ungeplant mehr als
zwei entwicklungsfähige Embryonen entstehen können,
denn dies kann ein Arzt nicht vermeiden, weil die menschliche Natur nur bedingt planbar ist. DET ist also keine riskante Verschiebung der Strafbarkeitsgrenzen, sondern eine
sicher erlaubte Anwendung von Fortpflanzungstechniken.
Die strafrechtliche Sicht weicht vom Sprachgebrauch der
Reproduktionsbiologie und Reproduktionsmedizin ab,
welche eher von einer Befruchtungskaskade reden würden,
welche mit der Imprägnierung der Eizellen beginnt und mit
einem entwicklungsfähigen Embryo endet. Aber § 1 Abs. 1
Nr. 5 ESchG schafft nun einmal einen relevanten Tatzeitpunkt und verbietet eine geplante Vorratsbefruchtung.
»Befruchtungsbeginn« im Sinne dieser Vorschrift ist also
das Weiterentwickeln einer 2-PN-Zelle.
21
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Beim eSET hingegen legt es die Ärztin oder der Arzt systematisch auf eine Auswahl an. Entwickelt wird eine gewisse
Zahl von entwicklungsfähigen Embryonen, um den besten
vor dem Transfer auszusuchen. Es liegt auf der Hand, dass
Gerichte hierin eine verbotene Vorratsbefruchtung sehen
könnten (§ 1 I Nr. 5 ESchG). Daher wird in einer weltanschaulich so umstrittenen Frage kein vernünftiger anwaltlicher
Rat dahingehen, einen eSET zu empfehlen. Problematisch
ist dabei nicht so sehr das Zurücksetzen nur eines Embryos.
Letzteres muss erlaubt sein, da ja ansonsten das Recht der
Patientin nach § 4 I Nr. 2 und Nr. 3 ESchG leerliefe. Sie entscheidet schließlich, ob sie schwanger werden will und
wenn ja, welches Risiko sie tragen möchte, ob sie also eine
Zwillingsschwangerschaft in Kauf nehmen will oder nicht.
Aber dem Arzt ist es verboten, eine Situation planvoll herbeizuführen, die systematisch zu einer Vorratsbefruchtung
führt und deswegen nicht mit § 1 I Nr. 5 ESchG konform
geht. Ärzte, die einen eSET durchführen, werden in ihren
Dokumentationen immer zu viele Embryonen generieren.
Sie bieten somit einer Staatsanwaltschaft, die verfolgen
will und die Unterlagen beschlagnahmt, reiches Material
für strafrechtliche Zweifel. Daher kann man vom eSET
nur abraten.
Es soll hier aber nicht verschwiegen werden, dass ein Verteidiger in einem solchen Fall, den ich durch klugen Rat
gerne vermieden sehen möchte, durchaus gute Argumente
hat, einen Arzt, der den eSET systematisch praktiziert hat,
als gesetzeskonform darzustellen; denn es spricht vieles
dafür, dass das überwiegende Interesse der Gesundheitsschutz der Frau ist und ihr Wunsch keine Zwillinge zu bekommen. Aber es gibt Frauen, die Zwillinge nicht ablehnen.
Das Risiko einer Strafverfolgung ist also zu groß, wenn Ärzte
systematisch einen eSET praktizieren.
Was die Forderung nach einer Gesetzesänderung betrifft,
fehlt es an Daten, die belegen, dass nur der eSET, nicht auch
ein DET die Induktion von Drillingsschwangerschaften
vermeidet und dennoch sehr gute Schwangerschaftsraten
ermöglicht. Die Schwangerschaftsraten ausgesuchter
Zentren, die einen DET praktizieren, gleichen sich den internationalen Standards an (dies kann belegt werden). Naturgemäß sind bei diesen Zentren Zwillingsschwangerschaften häufiger als in ausländischen Zentren, welche einen
eSET durchführen.
22
Rechtspolitisch gibt es aber noch weitere Unterschiede, die
zu bedenken sind. Bislang gibt es keine klaren Auskünfte
darüber, was mit der relativ hohen Zahl von überzähligen
entwicklungsfähigen Embryonen geschieht, ein Folgeproblem des eSET. In vielen Ländern gibt es Verträge, die
zeitlich sehr eng festgelegte Konservierungspflichten vorsehen, mit der Folge, dass sowohl frische als auch kryokonservierte Embryonen verworfen werden. Es ist zweifelhaft,
ob im Einzelfall für die betroffenen Paare die Transparenz
besteht, die bei einer so heiklen Frage notwendig ist. Zwar
ist es auch nach dem deutschen ESchG erlaubt, Embryonen,
die nicht mehr benötigt werden, zu verwerfen. Aber der
deutsche Mittelweg begrenzt deren Zahl und legt es überdies nahe, nur solche Verträge zu schließen, welche bei der
Kryokonservierung darauf achten, möglichst moderat mit
entwicklungsfähigen Embryonen zu verfahren, sie also
nur dann zu verwerfen, wenn sie auch für eine Behandlung
in einem weiteren Zyklus nicht mehr verwendet werden
können, und möglichst nicht zu kurze Fristen und ein zu
rigides Verfahren vorsehen. Das moderate ESchG begünstigt also ein Therapiekonzept, das beides optimiert: eine
erfolgreiche Behandlung, den Gesundheitsschutz der Frau
und die Achtung vor dem menschlichen Leben durch
angemessene Verträge.
10 Mittlerweile ist
auch dieses Verbot unter Ärzten umstritten.
Ich klammere diese Frage hier aber aus, da es nicht erkennbar ist,
dass die Gesetzgebung dieses Verbot aufheben wird.
11 Was bei der Auslegung der jeweiligen Begriffe beachtet werden sollte,
welche die Tathandlung umschreiben, etwa den der Befruchtung.
12 Man könnte zwar meinen, es sei bereits ein Befruchtungsversuch,
aber auch dies ist nicht der Fall, da der Arzt/die Ärztin den Vorgang
noch stoppen kann und es zu diesem Zeitpunkt noch in der Hand hat,
ob es zu einer Kernverschmelzung kommt oder nicht. Erst wenn Ärzte
die Kernverschmelzung nicht mehr kontrollieren können, liegt juristisch gesehen der entscheidende Zeitpunkt eines ggf. strafbaren
Befruchtungsversuches vor, d. h. mit der Weiterkultivierung der 2-PNZelle wird eine neue Entscheidungsebene erreicht (vgl. den hier abgedruckten Algorithmus).
13 Dort
lautet die entsprechende Norm: »...wer es unternimmt, mehr
Eizellen zu befruchten, als innerhalb eines Zyklus übertragen werden
sollen, höchstens aber drei«. Der Zusatz »höchstens aber drei« unterscheidet das Deutsche vom Schweizer Recht. Er ist in Art. 119 Abs. 2 b
der Schweizer Bundesverfassung i.V. m. Art. 17 Abs. 1 des Schweizer
FMedG enthalten. Der deutsche Gesetzgeber hingegen wählte 1990
bewusst eine offene Formulierung.
14 Günther § 1 I Nr. 1 ESchG Rdn. 10 möchte den Beginn des Befruchtens
objektiv mit dem Imprägnieren einer Eizelle ansetzen und dann den
Vorsatz ablehnen, wenn der Vorgang vor der Zellteilung gestoppt
werden soll. Dies ist wenig praktikabel, da Ärzte den ART-Verlauf planen, mit der Patientin besprechen und auf jeder Ebene überlegen, wie
sie vorgehen werden. Da sie alle verfügbaren Eizellen imprägnieren
dürfen und die 2-PN-Stadien kryokonservieren, stellt sich die Frage der
Gewinnung von Embryonen und der Prüfung, wie viele entwicklungsfähige sind, in jeweils unterschiedlichen Stadien des ART-Verlaufs. Vgl.
hierzu die präzise Tabelle von Franz Geisthoevel, abgedruckt bei
Frommel, Deutscher Mittelweg (wie Fn. 2), 2007, S. 6, m. w. Nachw.
15 Das ESchG erlaubt
in § 1 II Nr.1 das Imprägnieren auf Vorrat, ist aber
bei der Befruchtung streng und verbietet eine Vorratsbefruchtung.
Das Gesetz unterscheidet also sprachlich zwischen »Bewirken des
Eindringens der Samenzellen in eine Eizelle« und »Befruchten einer
Eizelle«. Schon der Wortlaut des Gesetzes verbiete es also, den Befruchtungsbeginn juristisch gesehen zu früh anzusetzen.
Frommel M. Auslegungsspielräume ... Gynakol Geburtsmed Gynakol Endokrinol 2010; 6(1): 16–29 publiziert 31.03.10 www.akademos.de/gyn © akademos Wissenschaftsverlag 2010 ISSN 1614-8533
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IV. Reproduktive Rechte – die Position der ART-Patientin
Nach § 4 I Nr. 1 und Nr. 2 ESchG macht sich ein Arzt strafbar,
der eine ART-Behandlung durchführt ohne Einwilligung
der Patientin. Dies bedeutet, dass er sich auch dann strafbar macht, wenn er wider besseres Wissen die Frau unzureichend aufklärt und deshalb ihre Einwilligung in eine
unzureichende Behandlung erschleicht. Folgt ein Arzt der
von der BÄK empfohlenen herkömmlichen Auslegung des
ESchG und erzeugt eine vermeidbare höhergradige Mehrlingsschwangerschaft; dann schützt ihn zurzeit nur noch
der widerlegbare Glaube, dass diese unzureichende Behandlung vom ESchG erzwungen werde. Im oben geschilderten Interview mit dem ZEIT-Journalisten Martin Spiewak
äußert sich Klaus Diedrich aus Lübeck (S. 30 linke Spalte
unten) dahingehend und stützt sich dabei auf die Juristin
Ulrike Riedel (bis 2001 Abteilungsleiterin im Gesundheitsministerium unter der damaligen Ministerin Fischer). Sie
propagieren die Contra-legem-Fabel und behaupten, jede
adäquate reproduktionsmedizinische Behandlung setze
eine Änderung des ESchG voraus. Geschickt wird dabei
unterstellt, dass eine nach internationalen Standards adäquate Behandlung nur dann vorliege, wenn ein eSET von
Anfang an geplant wird, was verboten sei. Neben den bereits genannten Einwänden wird verschwiegen, dass auch
ein DET zu adäquaten Ergebnissen führt und in Einzelfällen
nach Beratung der Frau auch nur ein Embryo transferiert
werden kann. Letzteres ist insbesondere dann der Fall,
wenn die Frau eine Zwillingsschwangerschaft möglichst
vermeiden will.
darf alle verfügbaren Eizellen imprägnieren (so geregelt
in § 1 II ESchG), aber nicht bei allen die volle Befruchtungskaskade ablaufen lassen (also insbesondere nicht die Vorkernstadien bis zur Kernverschmelzung weiterkultivieren).
Er muss also mit der Entscheidung zur Weiterkultivierung
von Vorkernzellen prognostizieren, wie viele er weiterkultivieren sollte, um bei dieser Patientin eine hohe Schwangerschaftswahrscheinlichkeit zu erzielen und dennoch das
Verbot der Vorratsbefruchtung nicht zu übergehen. Dabei
hat er einen Beurteilungsspielraum. Die von mir beratenen
Reproduktionsmediziner wählen die Methode des DET,
klären die Patientin auf und planen einen Transfer von
höchstens zwei Embryonen (schöpfen also die Erlaubnis
des § 1 I Nr. 3 – drei Embryonen) nicht aus. Dies unterscheidet sich von der von Anfang an geplanten Embryonenauswahl eines eSET. Sie wählen keinen »Top«-Embryo aus, da
sie hierzu zu viele Embryonen generieren müssten, sondern
warten ab und überlassen es dem Zufall, dass am Ende eine
oder zwei sehr gute, gut entwickelte oder auch nur ausreichende Blastozysten übrig bleiben. Will die Frau nur einen
Embryo, dann darf der zweite kryokonserviert werden,
wenn das Paar dies wünscht. Die Frau allein bestimmt aber
über den Transfer. Kein Arzt ist also verpflichtet, Embryonen
zu erhalten, welche die Frau nicht transferiert haben
möchte. Das Paar kann aber verlangen, dass die Embryonen
kryokonserviert werden. Entsprechende Verträge müssten
die Berufsvereinigungen daher vorhalten. Ist das noch
nicht geschehen, sollte es eingefordert werden.
16 Dies ist
Im Unterschied zum Schwangerschaftsabbruch hat die
IVR-Patientin nicht nur ein De-facto-Recht, sondern das
volle Selbstbestimmungsrecht über ihre Reproduktion.
Solange der Embryo in vitro in der Petrischale ruht und sich
teilt, kann sie jederzeit die Behandlung abbrechen. Sie kann
auch bestimmen, dass sie keinesfalls das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft eingehen möchte, was eher selten
ist, da Zwillinge von Kinderwunschpaaren durchaus gewollt
werden. Aber selbstverständlich kann sie auch dann, wenn
sie zunächst das Zwillingsrisiko in Kauf genommen hat,
vor dem Transfer vom Arzt verlangen, dass er nur einen entwicklungsfähigen oder allenfalls zwei transferiert. Überzählige Embryonen sind unerwünscht, aber das ESchG verlangt vom Arzt nicht, dass er sie am Leben erhält16. Das
schlichte Verwerfen (unabhängig von der Frage, ob durch
aktives Tun oder Unterlassen) ist also mit Zustimmung des
Paares erlaubt, da sie darüber entscheiden, was mit dem
Embryo passieren soll.
Wie alle dem Recht unterworfenen Bürger und Bürgerinnen
muss sich die Frau aber den strafrechtlichen Schranken
beugen. Zwar ist in § 1 I Nr. 3 und 5 ESchG unstreitig die Vorratsbefruchtung verboten, also kann sie diese nicht verlangen. Da sie aber über den Transfer bestimmt, weil ihre
Reproduktionsfreiheit nur aus Gründen eines Allgemeininteresses, dessen Legitimation wir noch erörtern werden,
begrenzt wird, darf der Arzt einen Single-Embryo-Transfer
durchführen. Er muss nur gesetzeskonform vorgehen. Er
im Übrigen unstreitig, nur die logischen Konsequenzen werden aus dieser Erkenntnis von manchen juristischen Diskussionsteilnehmern nicht gezogen. Denkt man diesen Gedanken konsequent zu
Ende, ergibt sich Folgendes: Embryonen dürfen verworfen werden,
wenn das Paar dem zustimmt. Bei einem so praxisrelevanten Problem
hätte man erwarten können, dass genauer argumentiert wird. Auch
Günther behandelt das Problem des Verwerfens von nicht mehr transferierbaren Embryonen nicht ganz einheitlich. Er stellt klar, dass Ärzte
keine Lebenserhaltungspflicht haben (Kommentierung zu § 1 I Nr. 5
ESchG). Aber beim Stichwort PID belässt er es bei einer früheren Kommentierung, vgl. § 2 Rdn. 56: Günther erörtert die Frage der Zulässigkeit der PID in einem späten Stadium, bejaht die Zulässigkeit der Untersuchung, weicht dann aber auf das Verwerfen der nicht transferierten
Embryonen aus. Dadurch entsteht der Eindruck, der Arzt dürfe Embryonen nie aktiv verwerfen, weil dies ein »Verwenden« sein könnte. Abgesehen davon, dass Ärzte Embryonen nicht aktiv verwerfen, sondern
liegen lassen, ist auch eine solche Auslegung mit dem Wortlaut nicht
vereinbar. Verwenden bedeutet eine zielgerichtete Nutzung von
Embryonen. Selbstverständlich ist das verboten. Aber selbst ein Verwerfen = Nichtnutzen ist keine »Verwendung«. Es liegt somit eine
Überschreitung des Wortsinns zu Lasten des Beschuldigten vor. Dies
ist im Strafrecht aber unzulässig. Die hier geschilderte Kommentierung wird daher zutreffend kritisiert von Schroth, JuristenZeitung
2009, 223–238.
23
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24
V. Wieso dauerte es so lang, bis das ESchG angemessen
ausgelegt wurde?
Vordergründig könnte man nun meinen, es sei die Informationspolitik der BÄK gewesen, welche die in Deutschland zu
beobachtende Aufregung geprägt hat. Zu einem kleinen
Teil stimmt diese Diagnose, sie überschätzt aber deren
Bedeutung für die Medien. Zwar ist eines richtig:Wer den
Zweck des ESchG mit im Schutz der »Menschenwürde und
des Lebensrechts des Embryo« sieht, kann schwerlich zugleich das für diesen Berufsstand nahe liegende Interesse
an einer optimalen Behandlung der Patientin und des
Paares beachten. Selbst die Vermeidung höhergradiger
Mehrlingsschwangerschaften kann unter diesem Gesichtspunkt nicht als ein herausragendes Ziel der Standespolitik
ausgegeben werden. Stattdessen wird postuliert, dass Ärzte
eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Erhaltung von Embryonen in vitro hätten, selbst dann, wenn das ESchG selbst
diese Pflicht nicht normiert; eine bizarre Position17. Aber
diese Position hätte sich nicht bis heute gehalten, gäbe es
nicht eine zweite mächtige Strömung innerhalb der deutschen Rechtskultur, welche diesen ultrakonservativen
Standpunkt auf eine scheinbar moderne Weise stützt.
Paradigmatisch ist ein Verständnis von Menschenwürde,
das nicht am Abwehrrecht des Embryos ansetzt, sondern
am Interesse der Menschheit an einem angemessenen
Umgang mit menschlichem Leben. Wäre diese Haltung an
einem Ausgleich aller Interessen, der individuellen wie der
überindividuellen interessiert, wäre es unschädlich, dass
plötzlich die Ebene gewechselt wird und mit »Mensch« die
»Menschheit« und nicht ein Individuum gemeint ist. Aber
dieser Standpunkt wird in Deutschland eher in einer fundamentalistischen Lesart vertreten und er tritt insgesamt
gesehen Frauen mit Kinderwunsch skeptisch gegenüber,
oder sieht sie gar als (naive) Opfer eines medizinischen
Fortschrittsglaubens und rät ihnen zur Adoption. An einer
angemessenen Reproduktionsmedizin besteht wenig
Interesse. Kathrin Braun18 hat die Prinzipien einer solchen
fundamentalistischen Haltung philosophisch formuliert.
Regina Kollek19 sekundiert als feministische Medizinsoziologin, ein sich feministisch definierender Zusammenschluss
von Gegnerinnen der Reproduktionsmedizin und der PND,
unter dem Stichwort »ReproKult« im Internet gut platziert,
politisiert diesen Standpunkt und sorgt durch eine gute
mediale Vernetzung dafür, dass die Abneigung gegen eine
nicht natürliche, sondern »künstliche« Befruchtung immer
wieder neu politisiert wird. Sie haben nicht die Rechte der
Frau im Auge, schon gar nicht das Anliegen einer Frau mit
Kinderwunsch, sondern die Verhinderung von Fortpflanzungstechnologien, die in ihren Augen bedenklich sind20.
Selbst der Ärztinnenbund hat Probleme, die Interessen
der Frauen mit einem klaren Kinderwunsch offen zu
thematisieren21.
Demgegenüber folgt das ESchG einer gemäßigt konservativen bis liberalen Haltung. Es verbietet Missbrauch, privilegiert aber die ART und lässt genügend Spielraum für
eine angemessene Behandlung. Die Reproduktionsfreiheit
wird beachtet, aber nur in einer Form zugelassen, die Achtung und Respekt vor dem menschlichen Leben auch in
seiner Frühform zeigt. Vergleicht man das ESchG mit ausländischen Regelungen, welche dem Staat verwehren, die
Reproduktion zu regulieren, dann springt das Verbot der
Leihmutterschaft und der Eizellspende ins Auge. Aber mit
Lebensschutz haben auch diese Verbote nichts zu tun, im
Gegenteil, sie erfolgen aus Gründen, welche auf einer ganz
anderen Ebene liegen. Vermieden werden soll das massenhafte Auftreten gespaltener Mutterschaften. In § 1591 BGB
wird die Zuordnung eines Kindes zu seiner Mutter definiert.
Es ist die Frau, welche das Kind geboren hat. Wegen dieser
Regelung definiert das ESchG alle IVF-Behandlungen als
missbräuchlich, welche den Status der Mutter gezielt manipulieren und damit diese Regel in Frage stellen. Man kann
darüber streiten, ob dies angemessen ist. Schließlich verbietet das ESchG nicht die Embryonenspende. Aus der Perspektive von Patientinnen mag dies hart sein. Aber aus der
Perspektive der Gesellschaft und der so entstandenen Kinder sieht die Sache anders aus. Aus einer Embryonenspende
entstanden zu sein, ist rechtskulturell einer Adoption vergleichbar. Aber wenn ein Kind aus einer Eizell- und einer
Samenspende entstanden ist, dann stammt es aus dem
»Nichts«. Man kann über diese Gefühle streiten. Man kann
dem Gesetzgeber eine andere Regelung nahe legen. Aber
es ist jedenfalls eine vertretbare gesetzgeberische Entscheidung. Sie bedeutet, dass die deutsche Rechtskultur
Reproduktion sehr viel stärker als die angelsächsische oder
skandinavische Kultur als ein geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Vorgang definiert und eine strikte Gleichbehandlung der Geschlechter und eine Gleichsetzung der
Samen- und Eizellspenden ablehnt.
Bürger und Bürgerinnen können mit dem geltenden Recht
der Fortpflanzungsmedizin auch dann leben, wenn sie persönlich andere Werte in den Vordergrund stellen würden.
Eine Ausnahme sei aber benannt und eine Reform vorgeschlagen. Sie betrifft den im BGB geregelten Status des
Samenspenders im heterologen System (bzw. des Mannes,
von dem eine Embryonenspende stammt). In einer Zeit, in
der ART-Kinder ein effektiv durchsetzbares Recht haben,
ihre genetische Herkunft zu erfahren, ist zu erwarten,
dass sie dies auch verstärkt tun werden. Aber dann sollten
Unterhaltsansprüche und Erbrecht auf der einen Seite und
das Recht auf Kenntnis der eigenen Wurzeln auf der anderen systematisch getrennt werden, um Wunschväter zu
schützen, Samenspender gerecht zu behandeln und
dennoch das Persönlichkeitsrecht des Kindes zu wahren.
Zurzeit arbeiten wir noch mit Behelfskonstruktionen, die
Intransparenz erzeugen. Es ist nicht Ziel dieses Artikels
politische Vorschläge zu machen, aber wenn es de lege
ferenda ein Problem gibt, dann ein besserer Schutz der
Samenspender22. Wir benachteiligen Männer, die nicht so
genau wissen, welche Folgen es haben kann, genetisch
der Vater eines Kindes zu werden. Wüssten sie, was in den
jeweiligen gesetzlichen Regelungen steht, sie würden nicht
spenden. Die Erzeugung von Intransparenz aber kann nicht
der Sinn von Gesetzen sein.
Frommel M. Auslegungsspielräume ... Gynakol Geburtsmed Gynakol Endokrinol 2010; 6(1): 16–29 publiziert 31.03.10 www.akademos.de/gyn © akademos Wissenschaftsverlag 2010 ISSN 1614-8533
Download am 26.04.2010 um 11:29 von cme.akademos.de-Benutzer PNS-5566
17 Klassisch die Popularisierung dieses Gedankens beim berühmten
logien. Wir fordern ein Innehalten und eine breite öffentliche Debatte
über die Voraussetzungen und sozialen Wirkungen dieser Technologien«.
Arztrechtler Laufs, Arztrecht, 1993, Rdnr. 370. Er hat die Debatte vor und
nach Erlass des ESchG in den 1990er Jahren geprägt. Bemerkenswert
ist, dass Laufs im Jahre 2000 anlässlich einer Tagung des Gesundheitsministeriums zu diesem Problemkreis weder den aktuellem Streitstand
zu § 218 StGB noch den zum ESchG darlegte, sondern die frühere
Debatte wiederholte und sich außerdem nicht auf eine Grundrechtstheorie stützte, sondern lediglich seine Position aus der Tradition der
Biopolitik von Lebensschützern und der in diesem Kontext üblichen
Gleichsetzung des Embryo in vitro mit dem Fötus in vivo schöpfte. Als
moralische Position ist eine solche Aussage repräsentativ, aber es ist
keine repräsentative juristische Rekonstruktion der Probleme.
sich in der bioethischen
Debatte sogar bei hochbelasteten Patientinnen gegen eine PID bei
monogenen Erkrankungen oder Chromosomenstörungen ausgesprochen. Allerdings war damals die Trophoblastenbiopsie noch kein
öffentliches Thema. Vgl. die Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik (PID/PGD). Deutscher Ärztinnenbund. Ausschuss für Ethikfragen/Vorsitz Prof. Dr. R. Nolte. Deutscher Ärztinnenbund, HerbertLewin-Platz 1, 10623 Berlin. Köln, 21.2.2001.
18 Kathrin Braun, Menschenwürde und Biomedizin, zum philosophi-
22 Entsprechende Forderungen erhebt
schen Diskurs der Bioethik, Campus 2000. Die Verfasserin sieht sich in
der Tradition einer kritischen Theorie und rezipiert Foucault. Daneben
reformuliert sie auch noch eine ziemlich überholte naturrechtliche
Kant-Rezeption, der sie die Hoffnung zuschreibt, der Verfügbarkeit
der menschlichen Natur absolute Grenzen zu setzen. Sie will nicht
abwägen, sondern das Instrumentalisierungsverbot absolut, also auch
gegen eine Patientin, die ein Kind will, durchsetzen. Der unerfüllte
Kinderwunsch wird sozusagen als »falsches Bewusstsein« entlarvt
und deshalb ignoriert. Die Arbeit hat deutlich kompilatorische Züge,
drückt aber einen Wunsch aus, den andere teilen und der sich offenbar
politisch Raum verschaffen will.
19 Präimplantationsdiagnostik, Embryonenselektion, weibliche Auto-
nomie und Recht, 2000, S. 210 f.
20 Feministinnen sind gespalten in dieser Frage. Amerikanische und
französische Feministinnen sind eher liberal und sehen die Reproduktionsmedizin positiv, da sie den Freiheitsspielraum von Frauen erheblich erweitert. Deutsche Feministinnen sind gespalten. In der Schweiz
gilt dominiert ein biopolitischer Diskurs, in dem geradezu fundamentalistisch die »Natürlichkeit« der Fortpflanzung beschworen wird und
nicht der Nutzen, sondern nur die Gefahren der neuen Technologien
betont werden. Vgl. hierzu die diskurstheoretische Analyse von
Heidi Hoffmann, Feministische Diskurse über moderne Reproduktionstechnologien, in: Siegrid Graumann, Ingrid Schneider (Hrsg.),Verkörperte Technik – Entkörperte Frau. Biopolitik und Geschlecht, 2003.
Kritisch zum Widerspruch zur widersprüchlichen Haltung einiger
feministischen Politikerinnen: Monika Frommel,Taugt das Embryonenschutzgesetz als ethisches Minimum gegen Versuche der Menschenzüchtung? Kritische Justiz 3 (2000), S. 341 ff. Interessant ist auch der
Sammelband, herausgegeben von Siegrid Graumann, Ingrid Schneider,
Verkörperte Technik – Entkörperte Frau. Biopolitik und Geschlecht,
2003. Einige Autorinnen gehören zu ReproKult, was leicht zu finden
ist, da sie im Internet sehr sichtbar sind. Das Netzwerk stellt sich wie
folgt vor: »Die gesellschaftliche Debatte kreist vor allem um technische
Machbarkeiten. Frauen bleiben aus diesen Diskussionen oft ausgeblendet. Sie sollen die begehrten Rohstoffe wie Ei und Embryo liefern
und werden für »gesunde« Kinder verantwortlich gemacht. Frauen
sind aber auch Nutzerinnen der biomedizinischen Angebote, die vorgeblich im Interesse ihrer Bedürfnisse angeboten werden. Der Diskurs
über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen dieser Technologien
wird stellvertretend für die Betroffenen geführt. Forschung,Wirtschaft
und Teile der Ärzteschaft drängen auf die Anwendung neuer Techno-
21 Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) hat
auch der Arbeitskreis für donogene Insemination:Thomas Katzorke, Donogene Insemination, Gynäkologie 10/2007, S. 807–810. Anregungen finden sich bei Eva Maria
Rütz, Heterologe Insemination – Die rechtliche Stellung des Samenspenders, 2008.
Summary
Implantation of the German Embryo Protection Act
The Embryo Protection Act (ESchG) can be and is already
by many physicans für reproductive medicine at a high
standard with internationally comparable pregnancy rates
witch is in accordance with the current ruling and the legal
options of the ESchG. Laws are constructed so that technical progress (e. g. blastocast transfer and trophoblast
biopsy) does not require a revision of the law, but new circumstances lead to new legal options.
CME Prakt Fortbild Gynakol Geburtsmed Gynakol
Endokrinol 2010; 6(1): 16–29
Keywords
Embryo protection act, preimplantation genetic diagnosis
(PID), blastocyst transfer, prenatal diagnosis, professional
law, criminal law
Literaturverzeichnis
Buchholz T. Polkörperdiagnostik (PKD) – Pro. J Reproduktionsmed Endokrinol 2009; 6(Sonderheft 1): 13–4.
Geisthövel F, Frommel M, Ludwig M. Aufklärung und Vereinbarungen für die In-vitro-Fertilisations-Therapie und die
Kryokonservierung von Embryonen – ein Diskussionsbeitrag. J Reproduktionsmed Endokrinol 2004; 1(4): 289–94.
25
Prof. Dr. Monika Frommel
Download am 26.04.2010 um 11:29 von cme.akademos.de-Benutzer PNS-5566
Institut für Sanktionenrecht und Kriminologie
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Olshausenstraße 75
24098 Kiel
Monika Frommel, geboren am 16.9.1946 in Karlsruhe,
studierte Rechtswissenschaft in Tübingen und München,
promovierte 1979 und habilitierte sich 1986 in München
(Venia für Strafrecht, Rechtsphilosophie, neuere Rechtsgeschichte und Kriminologie). 1988–1992 Professorin für
Rechtsphilosophie und Strafrecht in Frankfurt, seit 1992
Direktorin des Kriminologischen Instituts der CAU zu Kiel.
Zahlreiche Publikationen zu Fragen der Kriminalpolitik,
etwa der Reform des Sexualstrafrechts, der Verbesserung
des Opferschutzes in Strafverfahren und zum Spannungsverhältnis zwischen reproduktiven Rechten und dem Lebensschutz von Embryonen in vivo und in vitro. Angestrebt
wird ein in sich stimmiges System, das Wertungswidersprüche zwischen § 218 StGB und dem Embryonenschutzgesetz vermeidet.
Die Verfasserin hat eine Langfassung dieses Artikels dem
Bundesverfassungsrichter a. D. Winfried Hassemer gewidmet, welche 2010 erscheinen wird.
Interessenkonflikt
Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne
der Richtlinien des International Committee of Medical
Journal Editors (ICMJE; www.icmje.org) besteht.
Manuskriptdaten
Datum der Einreichung: 25.11.2009
Datum der Annahme: 29.12.2009
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Frommel M. Auslegungsspielräume ... Gynakol Geburtsmed Gynakol Endokrinol 2010; 6(1): 16–29 publiziert 31.03.10 www.akademos.de/gyn © akademos Wissenschaftsverlag 2010 ISSN 1614-8533
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Auslegungsspielräume des Embryonenschutzgesetzes
Frage 1
Gilt nach dem deutschen ESchG die sog. Dreierregel,
wonach nur drei Embryonen generiert und transferiert werden dürfen?
a. Nach den Richtlinien der BÄK scheint dies so
zu sein. Diese Richtlinie ist aber nur in einem
Bundesland umgesetzt worden. Auch dort widerspricht die berufsrechtliche Einschränkung dem
ESchG und ist daher nichtig.
b. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 5 ESchG.
c. Berufsrechtlich ist dies so gefordert. Ärzte müssen
sich an das Berufsrecht halten.
d. Dies ist nur dann verbindlich, wenn die LÄK
die Richtlinie der BÄK umgesetzt hat (also in
Nordrhein).
e. Für Ärzte geht das Berufsrecht vor, sie müssen sich
also an berufsrechtliche Vorgaben halten, auch
wenn diese dem ESchG widersprechen sollten.
Frage 2
Müssen alle Embryonen transferiert werden?
a. Nein, das ESchG gibt nur eine Obergrenze vor.
Die Patientin entscheidet nach § 4 ESchG, wie
viele Embryonen transferiert werden.
b. Ja, da Embryonen nach der Kernverschmelzung
nach der Legaldefinition des § 8 ESchG als »Menschen« gelten, sind sie absolut geschützt und
dürfen deshalb auch nicht verworfen werden.
c. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 5 ESchG (striktes
Verbot der Vorratsbefruchtung).
d. Dies folgt aus den Richtlinien der BÄK, ist also es
berufsrechtlich geboten, selbst wenn das ESchG
etwas anderes normieren sollte.
e. Das ESchG will überzählige Embryonen verhindern und verpflichtet deshalb Ärzte dazu, alle
Embryonen zu transferieren (Obergrenze: drei).
Frage 3
Ist PID in Deutschland generell verboten oder gibt
es Ausnahmen?
a. Verboten ist nach herrschender Meinung nur die
Untersuchung von totipotenten Zellen. Erlaubt ist
aber eine Trophoblastbiopsie.
b. Die Richtlinien der BÄK gehen vom Verbot der PID
in Deutschland aus, also ist die PID berufsrechtlich
untersagt. Ärzte müssen sich an das Berufsrecht
halten, auch wenn das ESchG etwas anderes normieren sollte.
c. Eine Untersuchung ist ein »Verwenden«.
Verwenden ist nach § 2 ESchG verboten, also ist
PID verboten.
d. PID ist nur dann erlaubt, wenn die Untersuchung
in einem Land durchgeführt worden ist, das PID
erlaubt (straflose Auslandstat).
e. PID ist nur erlaubt, wenn eine Ethikkommission
den Fall geprüft hat und ausnahmsweise einer
solchen Untersuchung zustimmt.
Frage 4
Warum ist die Leihmutterschaft in
Deutschland verboten?
a. Als Mutter gilt die Frau, die das Kind geboren hat.
Sie kann aber vor der Geburt das Kind zur Adoption frei geben. Ein solcher Vertrag fällt nicht unter
das Verbot der Leihmutterschaft, ist also zulässig.
b. Ein solcher Vertrag ist unter allen Umständen
sittenwidrig und wird durch das ESchG selbst
dann verboten, wenn die »Leihmutter« in einer
engen Beziehung zur sozialen Mutter steht.
c. Das Kind soll nicht gezwungen werden, die
Mutterschaft der sozialen Mutter anzufechten
und seine biologische Abstammung klären zu
lassen. Deshalb verbietet das ESchG solche
Verträge.
d. Das Verbot der Leihmutterschaft greift unangemessen in das Reproduktionsrecht von Paaren ein
und ist deshalb verfassungswidrig.
e. Durch eine Leihmutterschaft würden die strengen
Regeln des Adoptionsrechts umgangen werden.
Deshalb verbietet das ESchG solche Verträge.
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Frage 5
Wieso ist in Deutschland die Eizellspende verboten?
a. Dies folgt aus dem Gedanken des Kindeswohls.
Kinder sollen nicht gezwungen werden, die genetische Mutterschaft der Frau, die sie geboren hat,
anzufechten.
b. Dies hat ideologische Gründe. Die Regelung ist
verfassungswidrig, da sie unverhältnismäßig in
die reproduktiven Rechte einer Frau, die keine
eigenen Eizellen bilden kann, eingreift.
c. Dieses Verbot ist verfassungswidrig, da es Frauen
und Männer ungleich behandelt, schließlich ist ja
auch die Samenspende erlaubt.
d. Das deutsche Recht verbietet es, eine gespaltene
Mutterschaft planvoll herzustellen und definiert
die Frau als Mutter, die das Kind geboren hat.
e. Eine Eizellspende unterläuft das Verbot der Leihmutterschaft und ist eine Vorfeldstrafbarkeit.
Frage 6
Dürfen alle 2-PN-Zellen weiterkultiviert werden
oder ist das eine verbotene Vorratsbefruchtung?
a. Nur so viele 2-PN-Zellen dürfen weiterkultiviert
werden (Befruchtung), als notwendig sind, um
eine angemessene Schwangerschaftsrate zu
erzielen. Ärzte dürfen also eine individuelle Prognose vornehmen.
b. Nur drei 2-PN-Zellen dürfen weiterkultiviert und
transferiert werden.
c. Nur so viele 2-PN-Zellen dürfen weiterkultiviert
werden, wie transferiert werden sollen, also in der
Regel nur zwei.
d. Alle 2-PN-Zellen dürfen weiterkultiviert werden,
wenn die Frau dies wünscht (§ 4 ESchG).
e. Erlaubt ist das Imprägnieren von allen Eizellen,
die gewonnen werden können.
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Frage 7
Gibt es einen Wertungswiderspruch zwischen dem
ESchG und den §§ 218 ff. StGB?
a. In § 218 StGB wird der Fötus bis zur 12. Woche
geopfert, wenn die Frau dies will und sich beraten
lässt. Nach § 8 ESchG gilt das Prinzip, dass bereits
eine Zygote wie ein Mensch zu schützen ist, dies
ist widersprüchlich.
b. Ja, das ESchG schützt den Embryo sehr früh, nämlich schon im Stadium einer Zygote (§ 8 ESchG),
während § 218 StGB erst nach der Nidation einsetzt, also sehr spät. Das ist ein Wertungswiderspruch.
c. Ja, die ungewollt Schwangere kann de facto einen
Schwangerschaftsabbruch verlangen, während
eine IVF-Patientin nicht einmal den Transfer eines
genetisch schwer erkrankten Embryos ablehnen
kann.
d. Ja. Eine Schwangere kann im Wege der medizinischen Indikation ein behindertes Kind bis kurz vor
der Geburt abtreiben lassen, während bei einer
IVF-Patientin eine PID sogar im Anfangsstadium
der embryonalen Entwicklung verboten ist.
e. Nein. Das ESchG setzt zwar früher ein, berücksichtigt aber die Reproduktionsfreiheit der Frau und
des Paares stärker als die §§ 218 ff. StGB. Diese Bestimmungen greifen stärker in das Persönlichkeitsrecht der ungewollt Schwangeren ein und
bürden ihr die Pflicht zum Austragen der Leibesfrucht unter normalen Umständen auf, welche
nur nach Beratung oder bei einer Indikation neutralisiert wird.
Frage 8
Ist das ESchG ein Lebensschutzgesetz?
a. Das ESchG verhindert eine angemessene Behandlung von Kinderwunschpaaren, um Embryonen
zu schützen. So gesehen ist es ein Lebensschutzgesetz.
b. Das ESchG schränkt die Reproduktionsfreiheit der
Betroffenen ein und ist deshalb verfassungswidrig.
c. Ja, das ESchG greift in Rechte mit einem sehr
hohen Rang ein. Es normiert also das Leben des
Embryos als höchsten Wert und verpflichtet alle
Beteiligten dieses Leben zu erhalten.
d. Das ESchG ist ein Lebensschutzgesetz, aber das
Prinzip des Lebensschutzes gilt nicht absolut.
Dies erklärt auch die erheblichen Auslegungsspielräume des ESchG.
e. Ja, deshalb ist ja auch die PID grundsätzlich
verboten.
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Frage 9
Wie ist die Rechtsstellung des Samenspenders bei
einer heterologen Insemination?
a. Rechtlich gilt der Mann als Vater, der mit der
Mutter zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet ist
oder der die Vaterschaft anerkannt hat. Das Kind,
nicht das Paar, das die ART hat durchführen
lassen, kann aber die Vaterschaft des Wunschvaters gerichtlich anfechten. Dann ist der genetische Erzeuger mit Rechtskraft des Urteils Vater
des Kindes mit allen Rechten und Pflichten. Nur
de lege ferenda kann diese Konsequenz einer
wirksamen Anfechtung durch das Kind gemildert
werden. De lege lata bleibt dies aber ein Risiko
der heterologischen Insemination und der
Embryonenspende.
b. Bei Ehepaaren ist der Ehemann der Mutter auch
der Vater des im Wege der einverständlich durchgeführten ART entstandenen Kindes, das Kind hat
nur das Recht, den Samenspender kennenzulernen, wenn es volljährig ist (rechtsfolgenlose
Vaterschaftsfeststellung).
c. Bei nicht verheirateten Paaren bleibt der Samenspender als genetischer Erzeuger rechtlich gesehen der Vater des Kindes, auch wenn der Partner der Mutter die Vaterschaft anerkannt hat.
d. Der Samenspender kann die Vaterschaft des
Wunschvaters anfechten und seine Vaterschaft
gerichtlich klären lassen.
e. Der Ehemann der Mutter kann seine Vaterschaft
auch dann anfechten, wenn er der ART zugestimmt hat.
Frage 10
Kann eine Frau, die der Spende ihrer Eizelle zugestimmt hat, die Mutterschaft der Frau, die das Kind
geboren hat, anfechten?
a. Nein, als Mutter gilt die Frau, die das Kind
geboren hat.
b. Ja, dann hat das Kind zwei Mütter. Gerichte
können dies feststellen lassen.
c. Nein, weil die Eizellspende nach dem ESchG
verboten ist.
d. Ja, da sie die genetische Mutter des Kindes ist.
Es gilt nach dem Personenstandsrecht im BGB das
Prinzip der Abstammungsehrlichkeit.
e. Nein, da sie ihr Anfechtungsrecht durch die zuvor
erklärte Zustimmung verwirkt hat.
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