AMERIKA DIENST U n i l e d 5 3 2 0 Toi: S t a t e s Bad I n f o r m a t i o n G o d e s b e r g 6 0 1 - 3 2 4 0 I, S e r v i c e P o s t f a c h Telo 3 0 0 0 8-85432 VIETNAM Jg. XIX, Nr. 18 6. Hai 1966 POLITIK Wofür kämpfen die Vereinigten Staaten in Vietnam? Seite 1-6 Von Hubert H. Humphrey, Vizepräsident der Vereinigten Staaten (40 Zeilen) Südvietnam - die Sache vieler Nationen Südostasien ist die Front im Ringen um Sicherheit in der Welt Von Dean Rusk, Außenminister der Vereinigten Staaten (80 Zeilen) WIRTSCHAFT WIRTSCHAFT Mit der Automation leben Seite 7 - 9 Zum Bericht "Technik und die amerikanische Wirtschaft" Von Guy Sims Fitch (60 Zeilen) ERZIEHUNGSWESEN Bücher für gleiche Bildungschancen KULTUR Seite 10 - 11 (50 Zeilen) AUS DER MEDIZIN Neue Schwerpunkte der Medizin WISSENSCHAFT Seite 12 - 15 Künstliches Herz und Impfstoff gegen Krebs (90 Zeilen) Um Übersendung von Belegexemplaren wird gebeten. 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST" Die Artikel des AMERIKA DIENSTES sind honorarfrei und neben der Verwendung durch Rundfunk und Fernsehen ausschließlich zum Abdruck in Zeitungen und Zeitschriften und sonstigen Publikationen bestimmt, die sich direkt an den Leser wenden. VIETNAM WOFÜR KÄMPFEN DIE VEREINIGTEN STAATEN IN VIETNAM? Von Hubert H. Humphrey, Vizepräsident der Vereinigten Staaten (40 Zeilen) - (AD) - Die Vereinigten Staaten wollen in Vietnam kein Imperium aufbauen. Sie wollen keine dauernden Militärbasen errichten. Sie beabsichtigen auch nicht, anderen Völkern ihren Willen oder eine bestimmte Regierungsform aufzuzwingen. Was ist also der Grund, warum amerikanische Truppen heute in Südvietnam kämpfen? Die Vereinigten Staaten sind in Vietnam, um die Aggression der Kommunisten aus dem Norden abzuwehren, das Recht des südvietnamesischen Volkes auf Entscheidungsfreiheit zu bewahren, der Bevölkerung dieses Landes einen höheren Lebensstandard zu sichern - und um ein für allemal klarzustellen, daß die Aggression in unserer Zeit kein geeignetes Mittel zur Bereinigung internationaler Streitigkeiten oder zur Durchsetzung nationaler Ziele ist. Wenn wir die Gewaltanwendung ungestraft hinnehmen, besteht nur noch wenig Hoffnung für die Zukunft kleinerer Länder und für den Weltfrieden. Die Vietnamesen lebten jahrhundertelang unter der Gewalt der Mandarine. Dann kamen für zwei Generationen Kolonialherrschaft, gefolgt von einem seit 25 Jahren fast ununterbrochen andauernden Krieg. Die Korruption blühte, es gab so gut wie keinen Gemeinsinn und das all- - 1 - 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST" allgemeine Bildungsniveau war infolge des weitverbreiteten Analphabetentums äußerst niedrig. All das ist ein sehr steiniger Boden für die Entwicklung einer Demokratie. Die Menschen in Vietnam - und in ganz Asien - rebellieren gegen die Art des Lebens, das sie so lange führen mußten. Sie wollen endlich Sicherheit, Gerechtigkeit und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die Kommunisten versuchen in ihrem Machthunger natürlich, diese Hoffnungen auszuschlachten. Wenn ihnen das gelingt, ist der Kampf um die Freiheit in Vietnam verloren - mögen auch noch so viele Schlachten gewonnen werden. Die südvietnamesische Regierung sieht sich der schweren Aufgabe gegenüber, eine demokratische Gesellschaftsform aufzubauen und gleichzeitig gegen Gewalt und Terror der Kommunisten zu kämpfen. Darum forciert sie, unterstützt von den Vereinigten Staaten, "den anderen Krieg" - den Krieg gegen Armut, Hunger, Krankheit und Unwissenheit. Die Regierung in Saigon unternimmt jetzt ernsthafte Bemühungen, das Vertrauen und die Unterstützung der in den rund 14 000 Dörfern lebenden Landbevölkerung Südvietnams zu gewinnen, indem sie versucht, eine solide wirtschaftliche und soziale Basis für eine gesunde Demokratie aufzubauen. Ein Vorbereitungskomitee, in dem sämtliche politischen Richtungen vertreten sind, beginnt jetzt damit, eine Verfassung und ein Wahlgesetz für freie Wahlen in Südvietnam auszuarbeiten. Der Kampf in Vietnam wird lang, schwer und manchmal enttäuschend sein. Aber die Vereinigten Staaten sind davon überzeugt, daß die überwältigende Mehrheit des südvietnamesischen Volkes nicht gewillt ist, unter dem Kommunismus zu leben. + - 2- "AMERIKA DIENST1' 6. Mai 1966 SÜDVIETNAM - DIE SACHE VIELER NATIONEN Südostasien Ist die Front im Ringen um Sicherheit in der Welt Von Dean Rusk, Außenminister der Vereinigten Staaten (80 Zeilen) - (AD) - Die Aggression der nordvietnamesischen Kommunisten in Südvietnam wurde vom Ministerrat der SEATO-Länder wiederholt als eine M flagrante Mißachtung der Genfer Vereinbarungen von 1954 und 1962" bezeichnet. Im Interesse der Sicherheit Südvietnams und ganz Südostasiens sei es notwendig, den kommunistischen Angriff niederzuschlagen. Diese von den Mitgliedstaaten der Südostasiatischen Verteidigungsgemeinschaft vertretene Meinung wird von den Regierungen vieler anderer Länder auf der ganzen Welt geteilt und in zum Teil sehr viel schärferem Ton gehaltenen Erklärungen voll unterstützt. Es ist an der Zeit, sich die Haltung dieser Staaten zum Vietnamkonflikt und zu dem Engagement der Vereinigten Staaten zu vergegenwärtigen. Der australische Außenminister, Faul Hasluck, erklärte: "Zweimal innerhalb einer Generation haben Australier in Europa Aggressionen bekämpft, weil wir erkannten, daß ein Krieg, der von Europa ausging, nicht nur diesen Kontinent, sondern die ganze Welt bedrohte. Heute sehen wir in der Aggression in Asien eine nicht minder große Gefahr für die ganze Welt, als diese unmittelbar für uns, die wir in Asien oder am Rande Asiens leben, tatsächlich besteht. Südostasien ist heute die Front im Ringen um Sicherheit in der Welt... Australien sieht in dem Engagement der Vereinigten Staaten in Asien die Bemühungen einer Weltmacht, ihre weltweite Verantwortung zu erfüllen. Wir honorieren diese Bemühungen, indem wir Amerika in Vietnam unterstützen." Australische 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST" Australische und neuseeländische Truppen kämpfen in Südvietnam an der Seite der Südvietnamesen und Amerikaner. Darüber hinaus unterstützt die australische Regierung die notwendigen Maßnahmen durch finanzielle Hilfe, die Ausbildung südvietnamesischer Offiziere und die Entsendung von Ärzteteams. Thanat Khoman, der thailändische Außenminister, erläuterte den Standpunkt seines Landes: "Der Friede ist nicht damit zu erkaufen, daß ein freies Land geopfert wird, sei es Südvietnam, Südostasien allgemein oder irgendein anderes Land auf der Welt. Im Gegenteil - die Chancen für einen dauerhaften Frieden steigen, wenn wir deutlich machen, daß eine Aggression, ob in offener oder verhüllter Form, sich nicht lohnt..." Thailändische Truppen helfen, das Kernstück der südostasiatischen Halbinsel und die Flanke Südvietnams zu sichern. Thailand bildet südvietnamesische Piloten aus und ist durch das SEATO-Abkommen generell an der Verteidigung Südostasiens beteiligt. + Die Bedeutung des Krieges in Vietnam wird auf den Philippinen sehr wohl verstanden. Präsident Marcos ersuchte den philippinischen Kongreß, Truppen in Stärke von 2000 Mann nach Südvietnam zu entsenden. + Der Premierminister von Malaysia, Tunku Abdul Rabman, erklärte: "Staaten, die die Charta der Vereinten Nationen anerkennen, sind verpflichtet, dem südvietnamesischen Volk zu helfen, die Aggression aus dem Norden abzuwehren." + Eine komplette Kampfdivision und ein Regiment Armeepioniere schickte die südkoreanische Regierung nach Südvietnam. Das ist eine Truppenbeteiligung, die - gemessen an der Bevölkerungszahl Koreas - beinahe höher liegt i - 4- 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST" liegt als die der Vereinigten Staaten. + Die japanische Regierung hat vollstes Verständnis für die amerikanische Vietnampolitik. Japan versuchte wiederholt, Hanoi an den Verhandlungstisch zu bringen, und unterstützt die Regierung Südvietnams seit Jahren politisch und wirtschaftlich. Auch die meisten blockfreien Staaten Asiens haben erkannt, welch große Bedeutung der Ausgang des Vietnamkonflikts für sie hat. + Die Rolle der Vereinigten Staaten in Vietnam wird also von den meisten ihrer Verbündeten auf der ganzen Welt gutgeheißen. Das gilt mit ganz wenigen Ausnahmen - auch für die Regierungen Westeuropas. So unterhält Großbritannien eine große Anzahl von Soldaten im südostasiatischen Raum - die meisten zur Verteidigung Malaysias. Auf nichtmilitärischem Gebiet leistet die Bundesrepublik Deutschland bedeutende Hilfe an Südvietnam. "Die Bundesregierung hat immer die Ansicht vertreten, daß die Verteidigung der Freiheit in Vietnam durch die Vereinigten Staaten von größter Bedeutung für die ganze freie Welt ist", wurde in einer Stellungnahme der Bundesregierung versichert. Manlio Brosio, Generalsekretär der NATO, erklärte: "Ein Rückschlag der Amerikaner in Asien, beispielsweise in Vietnam, wäre gleichzeitig ein schwerer Rückschlag für den Westen. Nicht nur das - ein Rückzug Amerikas oder ein demütigender Kompromiß in Vietnam würde die Verpflichtungen der Vereinigten Staaten in Asien nicht beenden, sondern vielmehr auf weite Gebiete Asiens, von Thailand bis zu den Philippinen, ausdehnen. Paul-Henri Spaak verglich die gegenwärtige Situation mit der Bedrohung Europas durch die Sowjets nach dem zweiten Weltkrieg. "Damals waren die meisten von uns froh, die Amerikaner zu Hilfe kommen zu sehen", er- - 5- 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST" erklärte der profilierte europäische Politiker. "Will vielleicht noch jemand behaupten, daß die freien Völker Asiens nicht durch den chinesischen Imperialismus bedroht sind? Die weltweite Verantwortung der Vereinigten Staaten verlangt, daß sie heute in Asien die gleiche Haltung einnehmen wie zuvor in Europa. Ich verstehe nicht, daß es Menschen gibt, die nicht erkennen, daß im Vietnamkrieg viel mehr auf dem Spiel steht als die Unabhängigkeit Südvietnams. Es waren nicht die Amerikaner, die den Krieg wollten. Heute sind sie es, die den Frieden unter annehmbaren Bedingungen anbieten, und es sind ihre Gegner, die diesen Frieden verweigern." - 6- * "AMERIKA DIENST" 6. Mai 1966 Die Artikel des AMERIKA DIENSTES sind honorarfrei und neben der Verwendung durch Rundfunk und Fernsehen ausschließlich zum Abdruck in Zeitungen und Zeitschriften und sonstigen Publikationen bestimmt, die sich direkt an den Leser wenden. WIRTSCHAFT MIT DER AUTOMATION LEBEN Zum Bericht "Technik und die amerikanische Wirtschaft" Von Guy Sims Fitch (60 Zeilen) WASHINGTON - (AD) - Wissenschaft und Technik gehören zu den bedeutsamsten Kräften, die die Welt von heute verändern. Sie sind auch die Triebkraft für eine gesunde Weiterentwicklung der Wirtschaft. Die Befürchtungen, daß die Technik über kurz oder lang den Menschen als Arbeitskraft aus dem Feld schlagen würde, sind jedoch unberechtigt. Durch verschiedene Untersuchungen ist man bereits zu diesem Resultat gekommen, und es stellt auch eine der wichtigsten Schlußfolgerungen des amerikanischen Berichts "Technik und die amerikanische Wirtschaft" dar. Dieser Bericht wurde nach einjähriger gründlicher Vorarbeit vom Präsidialausschuß für Technik, Automation und wirtschaftlichen Fortschritt zusammengestellt. Hervorragende Vertreter der Gewerkschaften, der Wirtschaft und der Wissenschaft haben an dem 210 Seiten umfassenden Dokument mitgearbeitet. Es behandelt in aller Nüchternheit und Offenheit die Vielzahl der Probleme, die der Alltag heute jedem einzelnen und der Allgemeinheit stellt. Das bedeutsamste Ergebnis sind wohl die Feststellungen zur Rolle der Automation. Sie sind geeignet, die Furcht gründlich zu zerstören, daß die Maschine den Menschen verdrängen, ja ersetzen werde. Nach - 7 - 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST Nach Ansicht der Mitglieder der Kommission ist dies ein Mythos. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sich in den nächsten zehn Jahren die Technik schneller entwickeln werde als im vorangegangenen Jahrzehnt. Genauso wie bisher werden auch in Zukunft die negativen Auswirkungen der durch den technischen Fortschritt bewirkten Strukturänderungen durch eine erhöhte Nachfrage nach neuen Erzeugnissen und Dienstleistungen mehr als kompensiert. Die Voraussetzung dafür - und das wird ganz besonders betont - sei allerdings, daß auch in Zukunft soziale und wirtschaftliche Fragen mit Aufgeschlossenheit und neuen Ideen angepackt würden. Im weiteren Sinne hat dieser Bericht nicht nur Geltung für die Vereinigten Staaten - denen die Fähigkeit, mit den wirtschaftlich-technischen Problemen fertig zu werden, vorbehaltlos attestiert wird - sondern auch für die Entwicklungsländer, die in absehbarer Zeit vor den gleichen Problemen stehen werden. Bemerkenswerterweise kommt die Analyse der Präsidialkommission zu einem Zeitpunkt, zu dem die amerikanische Wirtschaft von Monat zu Monat neue Rekorde aufstellt. Seit sechs Jahren hält die Wirtschaftsexpansion unvermindert an; im Februar dieses Jahres wurden 3,7 Prozent Arbeitslose registriert - der niedrigste Stand seit 12 Jahren. Mitten in dieser Prosperität befaßt sich jedoch die Regierung mit möglichen Problemen und Fakten der künftigen Entwicklung, um für Situationen jeder Art gerüstet zu sein. Der Präsident ist nicht verpflichtet, nach den Empfehlungen der Kommission zu handeln. Der besondere Wert des Berichts wird aber darin erkannt, daß er zusätzliches Material zur Frage des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels liefert. In dem Bericht 'Technik und die amerikanische Wirtschaft'1 wird ein 2-Milliarden-Dollar-Programm zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten für 500 000 Erwerbslose empfohlen, die bisher nicht unterzubringen waren. Umschulungsprogramme sollen fortgesetzt und erweitert werden; jedoch mußten darüber hinaus für diejenigen, die nicht zu vermitteln sind, auf dem Wege über Regierungsmaßnahmen Beschäftigungsmöglichkeiten in Krankenhäusern, Schulen und in Erholungs- - 8 - "AMERIKA DIENST" 6. Mai 1966 Erholungsgebieten gefunden werden, wo aus finanziellen Gründen bisher manche Arbeit ungetan blieb. Die Kommission empfiehlt u.a., ein Mindesteinkommen für Familien zu garantieren. Alle Absolventen der Oberschulen sollen zwei Jahre lang kostenfrei ein College besuchen können. Für Neger ist ein Sonderprogramm vorgesehen, das ihnen bessere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten sichert. Die Umschulung Arbeitsloser mit dem Ziel, sie in freie Arbeitsplätze zu vermitteln, soll intensiviert werden. Nicht überall durften die Empfehlungen, von denen manche jetzt schon realisierbar wären, gutgeheißen werden. Alles in allem bietet jedoch der Bericht genügend Stoff, um die Diskussion anzuregen, neue Überlegungen anzustellen und weitere konstruktive Maßnahmen auszuarbeiten. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als das Schicksal der nächsten Generation, das weitgehend durch die künftige wirtschaftliche und soziale Entwicklung bestimmt wird. + + + + 4- 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST» Die Artikel des AMERIKA DIENSTES sind honorarfrei und neben der Verwendung durch Rundfunk und Fernsehen ausschließlich zum Abdruck in Zeitungen und Zeitschriften und sonstigen Publikationen bestimmt, die sich direkt an den Leser wenden. ERZIEHUNGSWESEN BÜCHER FÜR GLEICHE BILDUNGSCHANCEN (50 Zeilen) WASHINGTON - (AD) - Der Kampf der Farbigen in den Vereinigten Staaten um volle Gleichberechtigung kann, wie Präsident Johnson und andere führende amerikanische Politiker wiederholt betont haben, nicht ausschließlich mit gesetzlichen Mitteln gewonnen werden. Natürlich tragen die neuen Bürgerrechtsgesetze, der Krieg gegen die Armut und die staatliche Bildungsförderung viel zur endgültigen Emanzipation der Neger bei. Aber das Ringen ist in eine neue Phase getreten. Es genügt längst nicht mehr, die Gleichberechtigung gesetzlich zu garantieren - es müssen vielmehr die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß diese Gleichberechtigung von allen wahrgenommen wird. Die Erkenntnis, daß die Farbigen ihre Fähigkeiten und Talente ohne ausreichende Bildung nicht voll entfalten können, setzt sich immer mehr durch. In diesem neuen Stadium treten zahlreiche private Gruppen und Einzelpersonen auf den Plan: Bürgerrechtsorganisationen, Geschäftsleute, Pädagogen, Geistliche - und vor allem die Studenten der amerikanischen Hochschulen. Ein Beispiel der von dieser letzten Gruppe entfalteten Aktivität ist die in jüngster Zeit vom amerikanischen Studentenverband (U.S. National Student Association) durchgeführte Büchersammelaktion "Books forEqual Education" - Bücher, die jedem eine gleiche Bildungschänce sichern sollen. Unter der Leitung des Erziehers Frank Millspaugh sammelten die Mitglieder des Studentenverbandes und anderer Hilfsorganisationen Hunderttausende Lehrbücher bei Verlagen, Büchereien und vor allem bei Studenten in allen Teilen der Vereinigten Staaten. Angestrebtes Jahresziel: 1,5 Millionen Exemplare. „, , Tausende - 10 - 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST» Tausende der gesammelten Bücher wurden bereits an minderbemittelte farbige Studenten in den Südstaaten verteilt. Allein das Tuskegee-Institut der kleinen Stadt Tuskegee in Alabama erhielt 15 000 Bände aus dieser Sammlung. Die Studenten dieser Anstalt wollen mit den Büchern eine Fahrbücherei einrichten, die regelmäßig die entlegenen ländlichen Gebiete besucht und der dort lebenden Bevölkerung Gelegenheit geben wird, Bücher auszuleihen. Weitere Tausende von Büchern wurden den in den Südstaaten aus privater Initiative entstandenen "Freedom Schools" zur Verfügung gestellt - Schulen, an denen Studenten freiwillig und'kostenlos Unterricht an minderbemittelte Farbige erteilen, die ihre oft lückenhafte Grundschulbildung ergänzen wollen. Außer der Büchersammelaktion plant die Studentenorganisation in diesem Jahr erstmals, in Slumgegenden, Indianer-Reservationen und Wohnlagern von Saisonarbeitern an der amerikanischen Westküste Lehrseminare zu veranstalten. Daneben soll ein spezieller Lehrstoff für Jugendliche ausgearbeitet werden, die infolge äußerer Umstände auf einer niedrigen Bildungsstufe stehen geblieben bzw. erziehungsmäßig benachteiligt sind. Frank Millspaugh hat die Erfahrung gemacht, daß die meisten aus diesem Milieu stammenden Kinder den normal dargebotenen Lehrstoff nicht aufnehmen können. Man will daher Lehrbücher in Form von Comic Strips entwickeln - mit einem Vokabular und Personen, die den Kindern wohlvertraut sind. Sowie das Kind Fortschritte erzielt, wird der Textteil erweitert und die Zahl der Bilder entsprechend verringert. Millspaugh hofft, die Kinder auf diese Art zum Lesen und Lernen erziehen zu können. Angesichts solcher massiver Bemühungen von privater und staatlicher Seite und der Hingabe, mit der die junge Generation Amerikas den Kampf um die Gleichheit der farbigen Bürger vorantreibt, gilt es als sicher, daß dieses lange und harte Ringen in ihrem Sinne beendet werden kann und beendet werden wird. + ++++ - 11 - "AMERIKA DIENST" 6. Mai 1966 Die Artikel des AMERIKA DIENSTES sind honorarfrei und neben der Verwendung durch Rundfunk und Fernsehen ausschließlich zum Abdruck in Zeitungen und Zeitschriften und sonstigen Publikationen bestimmt, die sich direkt an den Leser wenden. AUS DER MEDIZIN NEUE SCHWERPUNKTE DER MEDIZIN Künstliches Herz und Impfstoff gegen Krebs (90 Zeilen) - (AD) - Die Implantation einer mechanischen "Pumpe", die vorübergehend die Funktion der linken Herzkammer bei einem 65jährigen Patienten übernehmen sollte, war der Versuch eines sich seiner Verantwortung und seines Könnens bewußten Arztes, einem Menschen das Leben zu erhalten. Dr. Michael DeBakey, ein Pionier auf dem Gebiet der Gefäß- und Herzchirurgie, hatte erstmals ein Gerät zur Verfügung, mit dem nach menschlichem Ermessen die Zeit bis zu einer möglichen Regeneration der geschädigten natürlichen Organpartie des Todkranken würde überbrückt werden können. Angesichts der Lage dieses Falles blieben dem Arzt keine anderen therapeutischen Möglichkeiten mehr. Ungeachtet des tragischen Ausgangs des Versuchs - der Patient Marcel DeRudder starb vier Tage nach der Operation an einem Lungenriß - wird Prof. DeBakey seine intensiven Bemühungen um die Entwicklung einer Apparatur, die in hoffnungslosen Fällen die Herzarbeit übernehmen kann, fortsetzen. Fernziel dieses Programms, in das neben Dr. DeBakey und seinen Mitarbeitern von der BaylorUniversität in Houston (Texas) eine Reihe anderer amerikanischer Wissenschaftler eingeschaltet sind, ist die Schaffung eines für eine Implantation geeigneten "künstlichen Herzens", das unabhängig von einer äußeren Apparatur funktioniert. Es würde seine Impulse von einem winzigen Motor erhalten, der, wie die Batterien für die sogenannten Herzschrittmacher, unter die Bauchhaut implantiert wird. Die - 12 - "AMERIKA DIENST1» 6. Mai 1966 Die Fachleute schätzen, daß mindestens noch fünf, wahrscheinlich aber zehn Jahre vergehen werden, ehe die Medizin solche Geräte anwenden kann. Der stark publizierte Fall des 65jährigen ehemaligen Bergmanns Marcel DeRudder brachte der Öffentlichkeit kaum zum Bewußtsein, was es bedeutet, daß jetzt schon derartige Prognosen möglich sind. Denn erst seit wenig mehr als zwei Jahrzehnten wagt sich die Chirurgie überhaupt an das menschliche Herz heran. Die nahezu abergläubische Furcht vor einem Eingriff am Herzen wurde eigentlich erst im Verlauf des zweiten Weltkrieges überwunden, als bei Verwundeten Versuche notwendig wurden, Splitter aus dem Herzmuskel zu entfernen. Im Jahr 1944 unternahm dann der Amerikaner Dr. Alfred Blalock in enger Zusammenarbeit mit Dr. Helen Taussig, der jetzigen Präsidentin der Amerikanischen Gesellschaft für Herzforschung, die erste Operation an einem Blausucht-Kind. Heute ist es bereits möglich, 20 der 35 bisher bekannten verschiedenen Formen angeborener Herzmißbildungen, von denen einige auch die Ursache der Blausucht sind, operativ zu beseitigen. Ein geschickter Arzt vermag heute beispielsweise eine Herzklappe zu ersetzen oder eine Fehlschaltung in der Herztätigkeit zu korrigieren. Die vorübergehende oder dauernde Übernahme der Funktion wichtiger Teile des Herzens, beispielsweise der muskelstarken linken Kammer, durch eine künstliche "Pumpe" ist jetzt eines der großen Ziele der Wiederherstellungschirurgie. Nach Dr. DeBakey wäre es dann kaum mehr ein Problem, die Herzfunktion voll und ganz von einer Apparatur ausführen zu lassen. Die von den medizinischen Bundesforschungsanstalten der Vereinigten Staaten finanziell stark geförderte Entwicklung konzentriert sich z.Zt. auf druckluftbetriebene Pumpmechanismen aus Kunststoff. In gleichmäßigem Rhythmus wird in einem kugelförmigen Gehäuse, das zur Hälfte implantiert ist, eine Membrane in Bewegung gehalten, die beim Anpressen nach innen sauerstoffreiches Blut in die aufsteigende Aorta drückt und beim Auswölben Blut, das in der Lunge mit Sauerstoff angereichert wurde, ansaugt. Die Aorta und die Lungenarterie sind durch Schläuche, an deren Einmündung in die Hohlkammer den Herzklappen entsprechende Ventile sitzen, mit der - 13 - 6. Mai 1966 "AMERIKA DIENST" der künstlichen "Pumpe" fest verbunden. Die Komplikation der Thrombenbildung im Blut beim Durchströmen der Kunststoff-Apparatur versucht man dadurch zu verhindern, daß die Innenseite spiegelglatt gehalten wird. Sicherlich ist es noch ein weiter Weg bis zur Entwicklung eines gut funktionsfähigen und den so komplizierten physiologischen Mechanismen angepaßten '"künstlichen Herzens". Jedoch wurde durch Pioniertaten wie die Dr. DeBakeys und anderer Wissenschaftler der Weg vorgezeichnet, den Technik und Medizin zu gehen haben. Ähnlich wie die Herz- und Gefäßkrankheiten sind auch die verschiedenen Formen von Krebs ein Hauptproblem der Medizin. Ungeachtet der großen Fortschritte, die in der Früherkennung und Behandlung von Krebs in den letzten Jahrzehnten bereits gemacht wurden, sind noch unendlich viele Fragen unbeantwortet. Eine davon ist die, ob und inwieweit körpereigene Abwehrkräfte gegen Krebs mobilisiert werden können. Auf ihr basiert der Versuch, Impfstoffe gegen Krebs zu entwickeln. Vereinzelt wird über Erfolge berichtet, so kürzlich von der Wayne State University in Michigan und dem Institute of Cancer Research in Detroit. In den letzten vier Jahren konnte man dort bei einer kleinen Gruppe von Krebskranken gewisse Erfolge durch Impfungen mit einem Vakzin erzielen, das im wesentlichen aus körpereigenen Tumorzellen der betreffenden Patienten und aus Kaninchenblut bestand. Das Gemisch wird vom Körper als "Fremdstoff" empfunden, so daß er Abwehrkörper dagegen produziert. Der Organismus wird dabei überlistet, auch die eigenen Krebszellen als Fremdgewebe zu empfinden. Insgesamt wurden 20 Patienten, deren Zustand hoffnungslos war, mit einem solchen Impfstoff behandelt. 10 von ihnen starben trotzdem, zwei scheinen völlig geheilt zu sein, bei acht entwickelte sich nach den Angaben der Forscher eine Stabilisierung bzw. eine Rückbildung der Tumore. Ein Sprecher der amerikanischen Gesellschaft für Krebsforschung bezeichnete die Ergebnisse als ermutigend, wies jedoch auf ihren vorläufigen Charakter hin. Sie sind verheißungsvoll, geben jedoch nicht den geringsten - 14 - »AMERIKA DIENST" 6. Mai 1966 geringsten Anlaß, von einem Sieg der Medizin zu sprechen. Dieser könnte, falls der eingeschlagene Weg richtig ist, erst nach unzähligen weiteren Experimenten errungen werden. Für die Krebsforschung werden in den Vereinigten Staaten jährlich etwa 313 Millionen Dollar aufgewandt, von denen 224 Millionen aus Regierungsmitteln kommen. Die Skala der Forschungsprojekte reicht unendlich weit - von der Grundlagenforschung über die Natur der Zelle bis zur Virusforschung, von der Radiologie bis zur Immunologie, unter die Beispielsweise das Experiment von Detroit fällt. i + ++++ 15 -