»Ich war zu viel« Olaf Johannessen ist in seiner Heimat Dänemark ein vielfach ausgezeichneter Star. In Düsseldorf spielte er schon Ibsens »Peer Gynt«, in Bochum jetzt Gerhart Hauptmann. ANDREAS WILINK Ins Freie hinaus: Olaf Johannessen als Peer Gynt. Foto: Sebastian Hoppe In der Fernsehserie »Borgen« sehen wir, dass Dänemark ein sehr kleines Land ist. So klein, dass Regierung und Opposition, die Eliten und die Presse in ein Einfamilienhaus passen würden. Auch Olaf Johannessen spielte in einer Folge mit. Offenbar ist auch das heimatliche Schauspieler-Reservoir übersichtlich – andererseits ist Johannessen zuhause ein willkommener Star, nicht erst, seit er in der populären Krimiserie »Forbrydelsen« (»Kommissarin Lund«) den Ministerpräsidenten Kamper mit nicht zufälligen Ähnlichkeiten zu lebenden Politkern darstellte. Ebenso kennt man ihn durch seine Bühnenrollen. Dänemark und Theater, da liegt eine Verbindung nahe: Hamlet. Den Prinzen hat Olaf Johannessen auch schon gespielt, 1992. Ebenfalls die andere skandinavische Paraderolle: Norwegens Nationalcharakter Peer Gynt. Den jedoch am Düsseldorfer Schauspielhaus. Man war zunächst überaus erstaunt, wie blendend Johannessens Deutsch war, etwas weicher moduliert, vorsichtiger, überlegter vielleicht, aber dadurch wie gedanklich durchgearbeitet. Johannessen als Peer – schmal, blass, angeschärft, kalt glühend seine Elementarteilchen sortierend und mit einer lachhaft rammelnden Libido – entsprach in seiner »Gier im Kopf« dem Michael Fassbender in Steve McQueens »Shame«. Peer als Zuschauer seines Lebens und behaftet mit den Ich-Schwächen des modernen Menschen. Ein Fremder von heute. Mit ihm hatte Staffan Holms Inszenierung einen akuten Mittelpunkt. Ein imponierender Auftritt. Jemand, der auf angenehme Weise kein Aufhebens von sich machte. Das muss einmal anders gewesen sein. »Ich war ein merkwürdiger Mensch. Ich war zu viel«, sagt er über sein jüngeres Ich, als wir im Bochumer Schauspielhaus beieinander sitzen, wo er Gerhart Hauptmanns Drama »Rose Bernd« probt. Die frühe Absonderlichkeit führt er auf seine Herkunft zurück. Nicht darauf, dass er aus einer Theaterfamilie stammt (Vater – Regisseur, Mutter – Schauspielerin) und die Phasen von Abwehr und Identifikation mit dem Beruf durchmachte. Sondern geografisch. »Mein Temperament stammt NRW-Forum: Alain Bi Erika Kiffls Atelie ebers Ego Updates r-Besuche Kunst oder Klimbi m: Danh Võ in Köln Terminkalender: Ausstellungen un d Messen im Herb st 50 Der Ungar Adam Fi sc der Düsseldorfer Sy her wird Chef mphoniker Die junge Stimme der Rheinoper: Elena Sancho Pere g Festival- und Konz ert-Empfehlungen von den Faröer-Inseln«. Dort, zwischen Island und Skandinaviens Küste (nicht zu verwechseln mit dem schwedischen Farö, wo Ingmar Bergman einige Zeit lebte), wurde er 1961 geboren. Die Inselgruppe mit 50.000 Einwohnern ist weitgehend autonom, mit eigener Sprache, eigenem Parlament, allem Drum und Dran. Und einer »wilderen, offeneren, weniger reservierten« Art als die dänischen Brüder und Schwestern gegenüber. Also von wegen »freudlos und neutral«, wie es über eine der Hauptfiguren in Michel Houellebecqs Roman »Karte und Gebiet« heißt. In der Bühnenfassung von Falk Richter hat Johannessen 2011 erstmals in Düsseldorf gespielt: die Kunstfigur »Houellebecq, den Baudelaire des Supermarkts« mit Rotweinglas und Parka als sympathische Selbstparodie in schön schlichter Virtuosität und süffig verschmitzter Spiellust. Wo ist er also hin, der wilde junge Mann? Er habe sich »von zu viel hin zu wenig« entwickelt und zu Zeiten in Düsseldorf mit dem Kollegen und Freund Christoph Luser »oft über das Nicht-Spielen und Nichts-Tun auf der Bühne gesprochen, über das Echte und Lebendige« und wie es sich herstellt. Sich jedenfalls nicht ausstellt. »Vom Expressionismus zum Impressionismus«, nennt Johannessen diese Bewegung. Beide Male geht es um Ausdruck, nur unterschiedlich formuliert und aufgetragen. 2004 beschloss Johannessen, frei zu arbeiten: »Skuespilleren, der blev sat fri« (der Schauspieler, der freigesetzt wurde), titelte ein Zeitungsartikel über ihn. Er wollte nicht mehr Mitglied am Königlich Dänischen Theater in Kopenhagen sein, wo es ihm zu »altmodisch und langweilig« wurde. Seither, neu motiviert von »Lust und Neugierde«, hat er an die zehn Auszeichnungen erhalten, darunter eine Nominierung für den deutschen Theaterpreis »Faust« und die dänischen Film- und Theatertrophäen »Robert« und »Reumert«. Prämiert u.a. für zwei Rollen, die sich wiederum mit Deutschland verbinden: Hendrik Höfgen in Klaus Manns »Mephisto« und den SS-Obersturmbannführer und Schreibtischtäter Adolf Eichmann. Für den schillernden Karrieristen im Schatten der braunen Macht habe er im Spiel weit ausgeholt, ohne dabei zu brandauern, bei der »grauen Eminenz« OKTOBER BIS DEZEMBER 2015 EINE AUSWAHL U. A. MIT FABRICE MAZLIAH & TÄNZERN DER FORSYTHE COMPANY ›IN ACT AND THOUGHT‹ »ROsE BERnD«, schAUspiElhAUs BOchUm, pREmiERE: 4. OkTOBER; vORsTEllUnGEn: TICKETS: WWW.PACT-ZOLLVEREIN.DE [email protected] UND AN DER ABENDKASSE 10., 18., 29. OkTOBER 2015. Choreographisches Zentrum NRW GmbH wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW und der Stadt Essen. Tanzlandschaft Ruhr ist ein Projekt der Kultur Ruhr GmbH und wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW. kUnsT kUnsTsTAmmlUnG nRW, k21, DüssElDORF »ThE pROBlEm OF GOD« Bis 24. JAn. 2016 TEl.: 0221 8381 204 k.west 10/ 15 Sie sind das Volk oberflächlich das auch sein mag: Ihre Haltung ist die erträglichste Form der Katharsis an diesem Abend. Denn nach dem vielversprechenden Anfang schrumpft der sonst oft so großartige Forced-Entertainment-Gründer Etchells in »In Terms of Time« überraschend zum Pina-Epigonen, inszeniert so manches Tanztheater-Mätzchen, charmant, aber ohne Biss. Zeitweilig ist der Boden mit durchsichtigen Plastikbechern zugemüllt, die knisternd und krachend zerbersten – ironische Reminiszenz an die wahnwitzigen Tanzböden in den Stücken von Pina Bausch. Den langlebigen Party-Schrott müssen die Tänzer selbst mit Besen beseitigen. Kehraus im Tanztheater. Nur: Was kommt dann? In dieser ersten Post-Pina-Schau nicht so viel. NIS NOÉ SOULIER ESZTER SALAMON BEN J. RIEPE 16 ben hat. Büchler beließ es jedoch nicht bei der Lupe, sondern verwendete sie als Projektionsfläche für das spiegelverkehrt lesbare Wort INVISIBLE. Das Unsichtbare, das Nicht-Darstellbare entzieht sich der Anwesenheit. Folgt man Jean-Luc Nancy in seinen Überlegungen zur »Dekonstruktion des Christentums« (2008), zeichnet sich der Glaube gerade durch den Rückzug Gottes aus, da »das Universelle nicht die Form einer Anwesenheit haben« kann. »A Royal Night« – Ein Herz und eine Krone Ditta Miranda Jasjfi. Foto: Bo Lahola UND URAUFFÜHRUNGEN VON In den Schluchten des Balkan Ungleiche Schwestern: Elizabeth und Margaret. Foto: Concorde Das 20. Jahrhundert wird endgültig erst dann zu Ende sein, wenn es sie eines Tages nicht mehr gibt: Queen Elizabeth II., keine Königin der Herzen, aber eine des Gemüts und des Gewissens. Auch sie war einmal jung, und in Julian Jarrolds Film ähnelt sie (Sarah Gadon) der bezaubernden Audrey Hepburn in William Wylers »Roman Holiday – Ein Herz und eine Krone«. Nur britischer und ein bisschen mehr like Emma Thompson. »A Royal Night« bilanziert die ganz besondere Nacht des 8. Mai 1945, als die Welt und auch London den hart erstrittenen Sieg über HitlerDeutschland feiert. Auch die Königliche Familie in Buckingham Palace, die wir schon aus »A King’s Speech« in ihrer vorbildlichen Haltung kennen. Während George VI. (Rupert Everett) und seine Gattin (Emily Watson) die Ansprache proben, wollen die Prinzessinnen Lillibet und Margaret nicht steif auf dem Balkon stehen und winken, sondern unters Volk. Feiern, tanzen, flirten. Einen präparierten Ausflug ins Ritz mit zwei Anstands-Offizieren erlaubt die Etikette gerade noch. Aber es kommt anders. Die Schwestern machen sich dünne. Von »P 2« Margaret (Bel Powley) ist es nicht anders zu erwarten, aufsässig, vergnügungssüchtig, wie sie ist, vom Swing halb-toll und am Ende so betrunken, dass sie in der Schubkarre transportiert werden muss. Lillibet indes ist reif, verantwortungsvoll und einverstanden mit ihrer Rolle (»Unser Leben gehört uns nicht«), die sie jedoch einen Moment lang in Frage stellt. Im Angesicht wogender Menschenmassen und durch den hilfsbereiten, störrischen, grundguten, von seinen Kriegserfahrungen schlimm berührten Royal Air Force-Soldaten Jack Hodges (Jack Reynor), der ihr durch die Nacht hilft. Die melancholische Komödie der Irrungen hat kein Happy End. Oder doch? Die Queen kann erst durch dieses Erlebnis die sein, die sie wurde. Man zehrt ein Leben lang von solchen Begegnungen und solchen Nächten. »A Perfect Day« von Fernando Léon de Aranoa KINOSAISON Sie haben oder nehmen sich ein robustes Mandat, die Mitarbeiter der Organisation Aid Across Borders. Tatsächlich stehen sie damit zwischen den Grenzen, zwischen UNO-Truppen, Bürokratie, Serben und Bosniern – 1995 irgendwo im Balkan, wo der verhandelte Frieden mehr als labil ist. Der Südamerikaner Mambrú (Benicio del Toro) und der US-Amerikaner B (Tim Robbins) sind Männer, wie es früher die Trapper bei Karl May waren, der ja auch im Land der Skipetaren und in den Schluchten des Balkan unterwegs war. Männer: eigenbrötlerisch, beherzt, unsentimental, manchmal zynisch, ehrliche Häute, sture Knochen, raue Schale usw. Ein Brunnen wurde vergiftet (mit einer Leiche), Minen blockieren Straßen, Kinder fuchteln mit Revolvern, Seile werden zum Aufknüpfen unschuldiger Menschen missbraucht, Häuser und ganze Ortschaften sind niedergebrannt und zerbombt. Auf Gräbern stehen frische Blumen – das ist das Lebendigste. Dennoch kommt in Fernando Léon de Aranoas Balkan-Blues mit KusturicaFeeling der Humor nicht zu kurz, der offenbar – wie der Joghurt – zum Grundnahrungsmittel dieser Gegend gehört. Dass aber unbedingt eine Liebesgeschichte eingebaut werden und neben der kess-kumpelhaften Blonden eine brünett-coole Schönheit namens Katya (Olga Kurylenko) für kratzbürstige Situationen sorgen musste, stört erheblich. THE ROYAL BALLET VISCERA/ AFTERNOON OF A FAUN/ TCHAIKOVSKY PAS DE DEUX/ CARMEN LIAM SCARLETT/JEROME ROBBINS/GEORGE BALANCHINE/CARLOS ACOSTA 12. NOVEMBER 2015 THE ROYAL BALLET RHAPSODY/ THE TWO PIGEONS FREDERICK ASHTON 26. JANUAR 2016 THE ROYAL OPERA LA TRAVIATA GIUSEPPE VERDI 4. FEBRUAR 2016 THE ROYAL OPERA BORIS GODUNOV THE ROYAL OPERA CAVALLERIA RUSTICANA/ PAGLIACCI MODEST MUSSORGSKY 21. MÄRZ 2016 THE ROYAL BALLET PIETRO MASCAGNI/ RUGGERO LEONCAVALLO 10. DEZEMBER 2015 GISELLE MARIUS PETIPA 6. APRIL 2016 THE ROYAL BALLET DER NUSSKNACKER PETER WRIGHT AFTER LEV IVANOV 16. DEZEMBER 2015 THE ROYAL OPERA LUCIA DI LAMMERMOOR GAETANO DONIZETTI 25. APRIL 2016 Das Royal Opera House live auf der großen Kinoleinwand Jetzt Lieblingsplätze sichern! »A pERFEcT DAy«, REGiE UnD DREhBUch: FERnAnDO léOn DE ARAnOA, spAniEn 2015, 106 min., sTART: 22. OkTOBER 2015. »A ROyAl niGhT«, REGiE: JUliAn JARROlD, GB 2015, 97 min., sTART: 1. OkTOBER 2015. Mehr Infos zu allen Terminen 2015 & 2016 und Tickets unter www.UCI-KINOWELT.de oder über die UCI Apps Tief ist der Brunnen des Balkans. Foto: X Verleih BühnE dem monochromen Grund im schneidenden Licht, vertieft in Gedanken und gehüllt in weiße, schwarze, braune Kutten, die sich in wunderbaren Falten um den Körper legen. Leicht oder schwer, grob oder geschmeidig – fast meint man beim Betrachten die taktile Beschaffenheit spüren zu können. Daneben stehen biblische Historien, die sich allerdings jeder Dramatik enthalten. Wenn Zurabarán etwa das Abendmahl in Emmaus auf die Leinwand bringt, zeigt er keine Zweifler, keine Überraschung, keine heftigen Emotionen. Seine 1639 gemalte Version, die auch nach Düsseldorf kam, lässt drei Männer sehen, die ganz bei sich sind, still und ergriffen. Völlig anders Caravaggio, der bald 40 Jahre zuvor dieselbe Szene mit wilden Gesten und erstaunten Gesichtern inszeniert hatte. Der Italiener setzte alles daran, die Fassungslosigkeit der Jünger nachzuempfinden, just in dem Moment, da sie den Auferstandenen erkennen. Bei Zurbarán dagegen: Gelassenheit, unerschütterlicher Glaube und tiefe Beseeltheit. Bloß keine Aufregung. Angesichts der Andacht und Askese mag man zunächst etwas überrascht vor einer Gruppe opulent kostümierter junger Damen stehen. Bis klar wird, dass auch diesmal Heilige gemeint sind. Katherina, Lucia, Marina, Casilda … – lauter schöne, stolze, junge Frauen, die Zurbarán zum Anlass nahm für seine Schwelgereien im Textilen. Die eine wurde für ihren Glauben enthauptet, eine andere gerädert, die dritte mit heißem Öl übergossen und von einem Schwert durchbohrt. Doch die blutigen Legenden interessieren den Maler wenig, umso mehr die kostbaren Stoffe und ihr wogendes Spiel. Seide und Brokat in Hülle und Fülle: faltig, zerknittert, gebauscht, verschlungen und besetzt mit Bordüren und Applikationen. Wobei Zurbarán die von der Kirche aufgestellten Regeln der Schicklichkeit und des Anstands bei der Darstellung von Heiligen stets im Blick behielt. Er gehorchte und eckte nicht an beim Klerus. Als Maler des militanten Katholizismus illustrierte Zurbarán auf eigene überzeugende Art die zeitgenössischen Bibelauslegungen. Die Wunder der Schöpfung – unscheinbare wie überwältigende – erfasste er D ER FO TO G R AF W A lk ER Ev Ans in B O TT R O p Über redenAsyl Ei Verlag sbeilag e 22 kUnsT k.west 10/ 15 PAC15_Anz_K-West_1509_03RZ.indd 1 k.west 10/ 15 16.09.15 15:42 BühnE 53 mige Statur und dicke Muskelbeine zeichnen ihn eher als derben Bauern denn als Heroen aus. Die Heiligen liegen ihm einfach mehr – auch die sparsam bekleideten. Ein junger Johannes, der mit Pfeilen gespickte Sebastian. Und Christus – an der Geißelsäule, mit einem weißen Tuch um die Lenden. Oder am Kreuz – die Ausstellung überrascht mit einer sehr eigentümlichen, wenn nicht einmaligen Sicht auf Golgatha. Da stehen nicht Maria und Johannes zu Füßen des toten Heilands, sondern ein betagter Maler. Die Rechte hat er ans Herz gelegt, mit der Linken hält er Pinsel und Palette. Wer könnte das sein? Dazu gibt es unterschiedliche Hypothesen. Eine recht naheliegende erkennt Zurbarán in dem älteren Herrn. Wenn das stimmt, spricht daraus nicht nur Zurbaráns gesundes Selbstbewusstsein. Sondern auch allerhand Hintersinn, den man dem frommen Maler vielleicht nicht zugetraut hätte. Denn es sieht danach aus, als hätte der Künstler im Bild den Heiland eben gerade selbst dorthin gemalt und als stünde er nun andächtig vor dem eigenen Werk – ergriffen vom Schicksal Jesu? Oder doch mehr von der eigenen Kunst? Vielleicht hatte Salvador Dalí Recht mit seinem Ausruf: »Achtung! Zurbarán wird uns jeden Tag ein wenig moderner vorkommen.« 66 Film k.west 10/ 15 Fragt man die Leiterin der Folkwang-Bibliothek Viola Springer nach ihrem Lieblingsplatz im Gebäude, führt sie einen ins Souterrain, wo die Taschenpartituren aufbewahrt werden. In dem schlichten schmalen Raum tritt die Architektur in den Hintergrund. »Ich mag diese Reihen der gelben Bändchen in den schwarzen Systemregalen einfach sehr«, gesteht Springer. Hier unten genießt sie die Anwesenheit des puren Buches, was nicht bedeutet, dass sie Max Dudlers Architektur der Bibliothek nicht schätzen würde. Im Gegenteil, so betont sie immer wieder: Es sei ein großes Glück, mit einem Architekten gearbeitet zu haben, der bereits Erfahrung mit dieser Bauaufgabe in Berlin und Münster gesammelt hatte. »Ich musste gar nicht viel zur Funktionalität erklären.« Nur das Raumprogramm wurde auf ihren Hinweis geändert, als sie 2006 in die bereits begonnenen Planungen einstieg: Die gedachten Büros für die Musikwissenschaft mussten weichen, da sonst nicht genug Platz für die Bücher gewesen wäre. Insgesamt 190.000 Medien beherbergt die Bibliothek. Mehrere Einzelbestände aus dem Ruhrgebiet wurden zusammengeführt, so dass sich nun eine der größten musikwissenschaftlichen Sammlungen Deutschlands in Essen findet. Der Schweizer Max Dudler, der Büros in Berlin, Frankfurt und Zürich unterhält, ist ein Meister der Rasterfassade. In seinen gelungenen Entwürfen wird die klassizistische Strenge durch perfekte Proportion und den detailverliebten Einsatz hochwertiger Materialien lebendig. Die Fassade der Folkwang-Bibliothek ist da beinahe verspielt. Zwar folgt die Vollverglasung ebenfalls einem durchgehenden Raster, das jedoch durch Fotografien aus einem Steinbruch bei Regensburg von Stefan Müller belebt wird. In einem speziellen Verfahren wurden die zwölf Motive – dem Emaille ähnlich – direkt aufs Glas aufgedruckt, so dass sie beidseitig ihre Brillanz entfalten und dennoch luzide bleiben. Das Bauvolumen gliedert sich in die symmetrische Anlage der Folkwang-Hochschule ein und ersetzt den 1969 abgerissenen Lazarett-Trakt aus dem 19. Jahrhundert. viola springer im strengen Raster des lesesaals der Bibliothek. FOlkWAnG BiBliOThEk, klEmEnsBORn 39, 45239 EssEn WWW.FOlkWAnG-Uni.DE/BiBliOThEk nach Maßgabe der großen mystischen Schriftsteller Spaniens, die empfahlen »Gott in allen Dingen zu finden« und diese Dinge realistisch und greifbar darzustellen. Das Lammfell ebenso wie den perlenbesetzten Rocksaum der Heiligen Casilda. Während Zurbarán bei den kirchlichen Auftraggebern glänzend ankam, tat er sich am Hofe eher schwer. Philipp IV. zog die Eleganz eines Velázquez vor. Warum hatte Zurbarán das Nachsehen? Als mögliche Antwort zeigt die Schau Beispiele aus der Werkgruppe zu den »Heldentaten des Herkules«, die Zurbarán 1634 für den kunstinnigen König schuf. Ohne Spur von idealem Ebenmaß. Der heidnische Halbgott erscheint als gewöhnlicher Mann aus Fleisch und Blut. Schnurrbart, gesunde Sonnenbräune, stämk.WEsT 10/ 15 mUsik 67 Lesen erhellt Francisco de Zurbarán: Fray Pedro de Oña, um 1630. Colección Municipal. Ayuntamiento de Sevilla. © Colección Municipal, Ayuntamiento de Sevilla. k.west 10/ 15 Film k.west 10/ 15 23 44 ARchiTEkTUR k.west 10/ 15 Über dem Lesesaal im Innern der Bibliothek erstreckt sich ein Luftraum über die gesamte Höhe des Gebäudes, der eine natürliche Belichtung erlaubt. Manche Besucher, erzählt Springer, fühlten sich schon an die Bibliothek in Cambridge erinnert. Das auch hier dominierende rechtwinklige Raster und die Farbe des Holzes der kanadischen Schwarzkirsche mögen solche Assoziationen verantworten. Viel wichtiger ist aber, dass sich die konzentrierte Formensprache auch auf die Studierenden überträgt, denen das Lernen in dieser Atmosphäre wohl bekommt. Bei Dunkelheit leuchtet das »Schmuckkästchen«, wie Max Dudler den Bau nannte, von innen heraus. Das gefällt allerdings nicht jedem. Viola Springer: »Es gab schon Beschwerden von den unmittelbaren Anwohnern, wir seien zu hell.« Alan Sonfist während der Aktion Autobiography (Dialog mit Tieren) im Aachener Tierpark 1977, Foto: Wolfgang Becker ACTION! Videoarchiv Angesichts der Kamera Plattform Aachen Aktionskunst seit 1964 Ab 20.09.15 Ludwig Forum Aachen www.ludwigforum.de ARchiTEkTUR k.west 10/ 15 45 Raketenmänner Frank goosen Uraufführung // Regie Peter Carp // Premiere 25. September 2015 Taxigeschichten Amir Reza Koohestani Uraufführung // Regie Amir Reza Koohestani // Premiere 30. Oktober 2015 Pinocchio Carlo Collodi TIP 6+ // Regie Martin Kindervater // Premiere 22. November 2015 Lulu. Eine Mörderballade The Tiger Lillies nach Frank Wedekind Stadtgeschichten Düsseldorfer Schauspielhaus: »Königsallee« & »Mephisto« Er ist nicht schmeichelhaft für Düsseldorf, dieser Blick auf die Stadt und ihre Repräsentanten, die das Wirtschaftswunder bequem gemacht hat. Hans Pleschinskis Roman »Königsallee« (seit 29. 8.) ist als Zeitporträt ein wenig so klischeehaft wie die Straße, von dem es handelt; das Raffinement besteht vielmehr in der literarisierend-psychologischen Sicht auf die Figuren dieser Thomas-Mann-Fantasie und die ironisch-pikante, nachsichtige Ausformung der Charaktere und Gefühlshaushalte. Der ins Exil vertriebene Nobelpreisträger kommt 1954 in Begleitung von Frau Katia, Tochter Erika und Sohn Golo in den Breidenbacher Hof. Parallel logiert Klaus Heuser, der als Kaufmann in den dreißiger Jahren nach Shanghai und Hongkong auswanderte, mit seinem Lebensgefährten Anwar Quartier im Hotel an der Kö: der »Herzensschatz«, den TM 1927 auf Sylt kennengelernt hatte. Der Dichter des »Tod in Venedig« fand Gefallen an dem Sohn von Mira und Werner Heuser, dem Düsseldorfer Akademie-Präsidenten. So trat der Jüngling ins Werk: verwandelt in den biblischen Götter-Liebling Joseph und anteilig in den Rheinländer Felix Krull. Die Episode wird TM im Tagebuch resümieren: »Es war da, auch ich hatte es, ich werde es mir sagen können, wenn ich sterbe.« So viel Wahrheit. So viel Dichtung. Pleschinski reichert historisch Verbürgtes und Recherchiertes um eigene Zutaten an, überführt Wirklichkeit ins Poetische sowie umgekehrt. Ein Stück deutscher Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Der von Leistungs-Ethos und Leidens-Pathos durchdrungene TM pariert den Angriff der Triebkräfte und transformiert sie. Der Roman kann so nur in Düsseldorf auf die Bühne kommen, die Olaf Altmann gestaltet. Wolfgang Engel, der schon sichere Hand bei Thomas Manns »Joseph« bewies, inszeniert »Königsallee« im Großen Haus. Moi non plus Albert Ostermaier Uraufführung // Regie Peter Carp // Premiere 04. September 2015 Deutschsprachige Erstaufführung // TIP 16+ // Regie Stef Lernous // Premiere 15. Januar 2016 Hedda Gabler Henrik Ibsen TIP 16+ // Regie Lena Kitsopoulou // Premiere 19. Februar 2016 Oostende Thomas Hürlimann Uraufführung // Regie Peter Carp // Premiere 08. April 2016 Imitation of Life kornél mundruczó / Proton Theater Uraufführung // Regie Kornél Mundruczó // Premiere 03. Juni 2016 –– Vom Vater zum Sohn – Politik und Erotik, die Synthese von Moral und Ästhetik bleiben Koordinaten. Ein Künstlerroman auch dies, aber als satirische Abrechnung mit einem Phänotyp: dem Mitläufer und Opportunisten. So sieht Klaus Mann seinen einst beneideten, begehrten und verachteten Schwager Gustaf Gründgens. In seinem von Skandal umwitterten, 1936 im Amsterdamer Exilverlag Querido erschienenen, in der Bundesrepublik bis 1981 verbotenen »Mephisto – Roman einer Karriere« (ab 5.9.) nennt er ihn Hendrik Höfgen und verfolgt dessen Weg als Schauspieler zum Staatstheaterintendanten im braunen Berlin und Günstling des Reichsmarschalls. Klaus Mann zeigt Höfgen als sadomasochistisch veranlagten Tänzer auf dem Vulkan, schillernd, aasig, neurotisch, erfolgsverwöhnt, begabt, gefährdet, von Minderwertigkeitsgefühl und Hybris bestimmt. Als Film von Istvan Szábo mit Brandauer und als Bühnenbearbeitung von Ariane Mnouchkine Welterfolge, nun ein neuer Angang. Der lokale Bezug ist wiederum gegeben: Der gebürtige Düsseldorfer GG war Herr über das Schauspielhaus von 1947 bis 1955. A W I The Hilariously, Hysterically, Horribly Funny Demons of Fleet Street Uraufführung // Ruhrtriennale / Unter Welten // Regie Johannes Ender // 12. und 13. September 2015 Alice juliane kann nach Lewis carroll TIP 12+ // Uraufführung // Regie Juliane Kann // Premiere 02. Oktober 2015 Überwintern lars norén Deutschsprachige Erstaufführung // Regie Bastian Kabuth // Premiere 13. November 2015 Nichts. Was im Leben wichtig ist Janne Teller TIP 14+ // Bürgerbühne // Regie/Leitung Michaela Kuczinna // Premiere 11. März 2016 Smoke josep maria miró i coromina Deutschsprachige Erstaufführung // Regie Bram Jansen // Premiere 22. April 2016 Actopolis – Die Kunst zu handeln Konzept Angelika Fitz // Ein Projekt zur Zukunft der Stadtgesellschaft Ein bericht für eine akademie Franz Kafka TIP 15+ // Regie Tim Lucas // Premiere 02. Juli 2015 im Deutschen Pavillon der Expo 2015 in Mailand Lone Twin Stadtprojekt // Premiere im Mai / Juni 2016 in Oberhausen Heute Abend Zirkus des Jahrhunderts – mit Bär! Linard Bardill TIP 4+ // Uraufführung // Mobile Produktion bilder deiner großen liebe wolfgang herrndorf TIP 14+ // Mobile Produktion 10 BÜHNE Premieren TE R vOn in n En Großes Haus h ä U sE 51 »Neue Stücke 2015« vom Tanztheater Wuppertal (ENTSTANDEN IM JUNI 2015) Ame sehenrika Ausg zeichnewohneet p R Ei sG n Ek R ö n Spätestens in Stück drei, vom Performance-Künstles Tim Etchells, weiß auch der letzte Zuschauer, welcher Art von Event er beiwohnt: einer Geistervertreibung. Etchells beginnt mit einem wunderbaren Einfall: Ein Tänzer kommt mit einem blauen Müllbeutel, schwenkt ihn wie eine Friedensfahne, verschließt den prall mit Luft gefüllten Abfallentsorgungsartikel. Was hat er da wohl eingefangen? Das zu interpretieren, bleibt natürlich jedem selbst überlassen, aber vermutlich denken viele das Gleiche: Pinas Geist spukt halt noch hartnäckig durchs Wuppertaler Opernhaus. So hat wohl alle Choreografen, die diesen Neustart leisten, die nämliche Frage beschäftigt: Wie den Geist loswerden für die kleine Weile einer neuen Aufführung? Versuch eins: Theo Clinkard aus Großbritannien probiert es pädagogisch. Zwei Bühnenarbeiter pusten mit einer Nebelmaschine ein Wölkchen gen Himmel – ein watteweißes »Pina-Bausch«? Während das Schäfchen aus Äther sich langsam verzieht, legen sich neun Tänzer sanft die Hände auf die Brust oder reihen sich zur Kuschel-Schlange. Heilsam wie ein tanztherapeutischer Trauma-Kurs. Aber hat sich für das kollektive Trauern das Ensemble nicht ohnehin den Luxus eines sechsjährigen Sabbaticals gegeben? Etwas besser, Versuch zwei, nach der ästhetischen Kollisions-Methode. Das aus Frankreich kommende Duo Cecilia Bengolea & François Chaignaud schickt in »The Lighters Dancehall Polyphonie« elf Tänzer in Outfits wie für eine Queer-Parade auf den Dancefloor. Dort präsentieren sie ebenso lyrisches Ballett wie den totgetanzten Sexappeal von Pop-Choreografien, singen dazu schön-traurige Madrigale von John Wilbye und verzwirbeln alles Unmögliche – das funzt. Vor allem die Neuzugänge der Kompanie dürfen sich austoben im Halloween gegen den Totenkult. Wie GERhART hAUpTmAnn, 52 n E sp R U n D D A c h –k R iT ik iE D ER Fl G Es c h ic h TE üc B EW EG h Tl in G s- U n G En GeisterAustreibung Eichmann, dem Organisator des Judenmords, der auf der Wannseekonferenz beschlossen wurde, verbot sich derlei prunkende Gebärde. Zu Eichmanns banalem Wesen gehört, nicht viel herzumachen. Johannessen musste das Phänomen des Peniblen und Alltäglichen ausforschen und ausformen. Autor des Eichmann-Stücks »Gespräch vor dem Tod«, für das Johannessen 2014 zum Schauspieler des Jahres gekürt wurde, ist Adam Price, der auch der Drehbuchautor von »Borgen« ist. Dänemark, das kleine Land! Was auch etwas bedeutet für das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. »In Dänemark und seiner Gesellschaft der flachen Hierarchien duzen sich alle, bis auf die Königin, zu der wird Sie gesagt«. Am Theater sagt man sowieso Du. In Bochum habe er sich mit Intendant Anselm Weber darüber unterhalten, dass es einen Unterschied macht, ob jemand Du oder Sie sagt, weil sich Person und Funktion, je nachdem, dann nicht mehr klar trennen ließen. Was unterscheidet die Strukturen am Theater in beiden Ländern? Die in Deutschland sei »streng«, die in Dänemark »locker«, sagt Johannessen. Er nimmt deutsche Schauspieler als »fleißiger«, besser vorbereitet und sehr zuverlässig wahr. »Ich finde, man muss mit etwas zur Arbeit kommen.« Olaf Johannessen arbeitet erstmals als Gast am Bochumer Schauspielhaus. Die Kontaktstelle war Regisseur Roger Vontobel, bei dem er kürzlich in Kopenhagen den John Proctor in Arthur Millers »Hexenjagd« gespielt hat. Nun ist er Vontobels Christoph Flimm in Hauptmanns »Rose Bernd« – neben Jana Schulz in der Titelrolle. Nimmt man die erwähnten Rollen – Höfgen, Eichmann, Proctor und Flamm, den unglücklich verheirateten Dorfschulzen, der sich in die junge Rose verliebt und nicht verhindert, dass sie in ihrer stummen Hilflosigkeit zur Totmacherin wird –, so eint sie ein Begriff: Verantwortung. Verleugnete, verratene, getragene und fahrlässig vernachlässigte Verantwortung. Wenn Johannessen Flamms Charakter beschreibt, sagt er Sätze wie: »Alles muss ein großes Fest sein. Flamm will raus, ins Freie, voller Sehnsucht nach Liebe und nach der Natur.« Spürt man da nicht wieder das Ungebärdige der Faröer-Inseln! RUBRIK K.west 10/ 15 Recht bekannt sind die Heiligenfiguren von Katharina Fritsch. Mit Abgüssen christlicher Motive und Figuren wie »Selbstklebendes Kreuz«, »Engel« und »Madonna«, denen sie eine monochrome, grelle Farbigkeit gibt und die sie an ungewöhnlichen Orten aufstellt, erinnert die Düsseldorferin daran, dass selbst eine Madonnenfigur reproduzierbar ist und trotz ihrer vertrauten Formgebung fremd sein kann. Nachdem Fritsch während der Skulptur Projekte Münster 1987 mit ihrer überlebensgroßen, neonfarbigen Maria für Provokation sorgte, machte sie später die Nippesfigur des »Heiligen Michael« (2008) zum farbigen Kunstobjekt aus Polyester. So führt sie einen Dialog zwischen Vertrautheit und Fremdheit, Realität und Transzendenz. Humorvollen Umgang mit Religion offenbart die zum Titel der Ausstellung gewordene Arbeit »The Problem of God« (2007) von Pavel Büchler. Sein Werk besteht aus einem gefundenen Buch, zwischen dessen Seiten er ein altes Vergrößerungsglas gescho- Malersaal 09 504504 4 196376 504504 4 196376 k.west 10/ 15 einandersetzen. Sakrale Kunst im herkömmlichen Sinn wird dabei zur Randerscheinung. Der Blick richtet sich vielmehr auf Arbeiten, die zwar christliche Symbole und Religiöses aufgreifen, sie jedoch kritisch reflektieren und in neue Zusammenhänge überführen. Die vielleicht eindrucksvollsten Arbeiten stammen von der Belgierin Berlinde de Bruyckere. Geprägt durch die mediale Bilderflut vom Leid der Menschen durch Krieg, Folter und Verfolgung, schafft sie lebensgroße wächserne Körper voller Verletzungen und Trauer. Nicht nur Nachrichtenbilder haben sie inspiriert. Antike Mythologie und eben die christliche Ikonografie dienen als visuelle Motivquellen. Insbesondere in der Passion und deren Verbildlichung durch Maler wie Matthias Grünewald, Mantegna, Jusepe de Ribera und Caravaggio findet sie Stoff, um diesen zu humanisieren. In der Serie der »Schmerzensmänner« von 2006 (ausgestellt sind die Fassungen IV und V) ist der Bezug zum Leiden Christi schon im Titel angelegt. Die Figuren sind auf meterhohe Eisenpfeiler montiert und assoziieren die Kreuzigung. Durch das Weglassen der Querstreben und das Fehlen der Köpfe und Arme sieht de Bruyckere ihre Figuren im Hier und Jetzt: als bewegende Metaphern menschlichen Leids. Weitere Werke der Leidens-Erfahrung stammen von Francis Bacon, Hermann Nitsch und Paloma Varga Weisz. Auch Bill Viola gehört dazu mit seiner eindrucksvollen Videoprojektion »The Quintet of the Astonished« aus einem umfangreichen Projekt zur Passion. Angeregt durch den Getty-Workshop »The Representation of the Passion« befasste sich Viola mit Hieronymus Boschs Tafelbild der »Dornenkrönung Christi«, aus dessen Komposition er ein fünfzehnminütiges Video entwickelte. In halbfigürlicher Anordnung sind fünf Personen in zeitgenössischer Kleidung zu sehen, die sich langsam bewegen und auf unterschiedliche Weise trauern. Violas Inszenierung traditioneller Pathosgesten schließt sich an die Vorstellung Leon Battista Albertis an, nach der sich die innere Bewegung einer Figur durch deren äußere Bewegung ausdrückt. Bei Michaël Borremans geht es um christliche Rituale und deren Bedeutung. In dem Film »The Bread« (2012) führt eine junge Frau ein Stück Brot zum Mund. Durch ihre stille Handlung und Konzentration kann dies mit der Eucharistie in Verbindung gebracht werden. Es wäre jedoch keine Arbeit von Borremans, wäre die Deutung nicht vielfach gebrochen: So scheint der Oberkörper auf der Tischplatte zu schweben, und die Frau erweckt den Eindruck einer Schaufensterpuppe – an die Stelle von Eucharistie und Glauben treten Künstlichkeit und Effekt. Extras 09 VERLAG SBEILAG E BühnE Boris Mikhailov: Case History – Requiem, 1997/98. Courtesy the artist und Galerie Barbara Weiss, Berlin. © Boris Mikhailov. Photo ›IN ACT AND THOUGHT‹: © Sylvio Dittrich TEXT K.WEST 09/ 15 www.theater-oberhausen.de und 0208/8578-184