1- 1. Gedächtnispsychologische Grundlagen des Lernens Mit dem Begriff „Gedächtnis“ wird die Fähigkeit bezeichnet, Informationen zu speichern und später wieder abzurufen. Diese Fähigkeit ist eine unentbehrliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernen. 1. Das Dreispeichermodell des Gedächtnisses Die gedächtnispsychologische Forschung brachte eine Vielzahl an Forschungsansätzen und Gedächtnismodellen hervor. Das einflussreichste und am häufigsten verwendete Modell ist das so genannte „Dreispeichermodell“ des Gedächtnisses. Dieses Modell postuliert, dass das Gedächtnis aus drei miteinander verbundenen Speicherstufen aufgebaut ist: dem Ultrakurzzeitgedächtnis (sensorischer Speicher), dem Kurzzeitgedächtnis und dem Langzeitgedächtnis. Das Ultrakurzzeitgedächtnis (sensorischer Speicher) Durch die Sinnesorgane aufgenommene Information gelangt zunächst in das Ultrakurzzeitgedächtnis. • • • • • Speichert die Informationen der Sinne (z.B. Ohr, Auge) Extrem kurze Speicherdauer (einige Sekundenbruchteile) Die gespeicherten Informationen werden überwiegend nicht bewusst Hohe gespeicherte Informationsmenge Informationen, denen keine Aufmerksamkeit zugewandt wird, gehen verloren. Das Kurzzeitgedächtnis Wird der Information genügend Aufmerksamkeit zugewandt, gelangt diese in das Kurzzeitgedächtnis. • • • • Speichert die Information in Form von elektrophysiologischen Erregungskreisen Begrenzte Speicherkapazität (7 +/- 2 Informationseinheiten; z.B. Ziffern, Wörter) Je nach Vorwissen und Integration der Information kann die gespeicherte Informationsmenge deutlich gesteigert werden o Prinzip der „reduktiven Kodierung“: die Menge der neuen Informationen wird so auf bereits bestehende Wissensstrukturen bezogen, dass die Gesamtmenge der zu speichernden Informationen verringert wird o Werden z.B. mehrere Informationen (z.B. Zahlen) zusammengefasst, können sie als ein „chunk“ gespeichert werden (z.B. als vierstellige Zahlengruppe, als Jahreszahl); damit wird die zu speichernde Information verringert und es bleibt mehr Speicherkapazität für weitere Informationen frei Kurze Speicherdauer (ca. 30 Sekunden) Das Langzeitgedächtnis Wird der neue Gedächtnisinhalt gut geordnet, mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft und ggf. mehrfach Psychologische Hochschule Berlin (PHB) Trägergesellschaft Psychologische Hochschule Berlin gGmbH Am Köllnischen Park 2 10179 Berlin Tel.: +49(0)30/ 20 91 66 – 200 Fax: +49(0)30/ 20 91 66 – 17 Geschäftsführer: Dr. Günter Koch Amtsgericht Berlin Charlottenburg Registernummer: HRB 114366 B Mail : [email protected] www.psychologische-hochschule.de 1 wiederholt, kann er in das Langzeitgedächtnis übergehen. • • • • Nahezu unbegrenztes Aufnahmevermögen Lange Speicherdauer (Jahre, Jahrzehnte) Schwierigkeiten bestehen weniger in der Speicherung, sondern eher im Abrufen der Information Ob Informationen in relevanten Situationen abgerufen werden können, hängt weitgehend von der Art der Speicherung des Wissens ab o Prinzip der „elaborativen Kodierung“: um die Informationen an die Anforderungen des Langzeitgedächtnisses anzupassen, muss die Information elaborativ kodiert werden o D.h. der Information wird etwas hinzugefügt, um ihr einen Sinn zu geben und sie so besser in das Langzeitgedächtnis einpassen zu können (siehe Text 1-6 „Grundlegende Lernaktivitäten - Reduktion und Elaboration“) 2. Wenn uns das Gedächtnis im Stich lässt Nicht selten lässt uns unser Gedächtnis im Stich. Dies kann verschiedene Gründe haben: • • der Lernstoff ist gar nicht erst ins Langzeitgedächtnis gelangt oder der Lernstoff ist im Langzeitgedächtnis abgespeichert, kann jedoch nicht abgerufen werden Am meisten vergessen wird direkt nach einem Lernprozess • • Schon Hermann Ebbinghaus (1885) konnte zeigen, dass die Lernleistung (Wiedererkennensleistung und Leistung der freien Wiedergabe) mit zunehmendem Zeitintervall nach dem ursprünglichen Lernen abnimmt. Daher ist es entscheidend, nach dem ersten Aneignen von Informationen diese sofort zu wiederholen und dieses Abruftraining dann in immer größeren Abständen durchzuführen. Verschiedene Faktoren können am Vergessen beteiligt sein; z.B.: • • • • • • Mangelnde Wiederholung (siehe Text 1-17 „Hinweise für effektives Üben und Lernkontrolle“) Voraus- und rückwirkende Gedächtnishemmungen: treten auf, wenn Lernstoff zu dicht gedrängt gelernt wird o Vorauswirkende Hemmung: zuerst gelernte Informationseinheiten beeinträchtigen die Erinnerung der nachfolgenden gelernten Informationen o Rückwirkende Hemmung: die später gelernten Stoffeinheiten stören die Erinnerung der zuerst gelernten Informationen Hier sind Lernpausen eine wirksame Prophylaxe (siehe Text 1-4 „Lernpausen“) Affektive Gedächtnishemmungen: treten auf, wenn starke emotionale Erregungen (z.B. Missstimmungen) die Speicherung und den Abruf von Lernstoff hemmen Hier sollte man warten, bis man sich wieder in einer positiven Lernstimmung befindet Ähnlichkeitshemmungen: entstehen, wenn ähnlicher Lernstoff hintereinander gelernt wird Hier sind ebenfalls Lernpausen als Prophylaxe sinnvoll oder Abwechslung mit deutlich unterschiedlichen Lernstoffen (siehe Text 1-4 „Lernpausen“) Gleichzeitigkeitshemmung: das Gedächtnis wird gehemmt, wenn während eines Lernprozesses die Aufmerksamkeit gleichzeitig anderen Inhalten (z.B. Radio, Fernsehen) zugewandt wird Einkanaliges Lernen (z.B. nur über den Lernkanal „Lesen“ lernen) anstatt mehrere Kanäle gleichzeitig zu nutzen, z.B. laut lesen, die Lippen beim Lesen bewegen, sich Notizen machen Psychologische Hochschule Berlin (PHB) Trägergesellschaft Psychologische Hochschule Berlin gGmbH Am Köllnischen Park 2 10179 Berlin Tel.: +49(0)30/ 20 91 66 – 200 Fax: +49(0)30/ 20 91 66 – 17 Geschäftsführer: Dr. Günter Koch Amtsgericht Berlin Charlottenburg Registernummer: HRB 114366 B Mail : [email protected] www.psychologische-hochschule.de 2 • Kein Einsatz von elaborativen Techniken beim Lernen (siehe Text 1-6 „Grundlegende LernaktivitätenReduktion und Elaboration“) Bearbeiter: Vera Onckels und Siegfried Preiser Literaturhinweise: Keller, G. (2005). Lerntechniken von A bis Z. Bern: Hans Huber. Metzig, W. & Schuster, M. (2000). Lernen zu lernen. Heidelberg, Berlin: Springer. Psychologische Hochschule Berlin (PHB) Trägergesellschaft Psychologische Hochschule Berlin gGmbH Am Köllnischen Park 2 10179 Berlin Tel.: +49(0)30/ 20 91 66 – 200 Fax: +49(0)30/ 20 91 66 – 17 Geschäftsführer: Dr. Günter Koch Amtsgericht Berlin Charlottenburg Registernummer: HRB 114366 B Mail : [email protected] www.psychologische-hochschule.de 3