Program as PDF - Staatskapelle Dresden

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30. Januar 2017
Semperoper
2. AUFFÜHRUNGSABEND
M O N TAG 3 0 .1.17 2 0 U H R
I SEMPEROPER DRESDEN
2. AUFFÜHRUNGSABEND
Thomas Sanderling
Dirigent
Andreas Kißling
Flöte
Jobst Schneiderat
Cembalo
Mieczysław Weinberg
(1919 -19 9 6)
Konzert für Flöte und Orchester
Nr. 2 op. 148
1. Allegro
2. Largo
3. Allegretto
Deutsche Erstaufführung
PAU S E
Mieczysław Weinberg
Symphonie Nr. 7 op. 81
für Streichorchester und Cembalo
1. Adagio sostenuto
2. Allegro
3. Andante
4. Adagio sostenuto
5. Allegro
Deutsche Erstaufführung
ZUM PROGRAMM
»Welt, frage nicht die Todentrissenen / wohin sie gehen, / sie gehen immer ihrem
Grabe zu«, schreibt Nelly Sachs in einem ihrer Gedichte und meint damit die stete
Gefährdung der noch einmal Entkommenen an der Trennlinie zwischen Leben und
Tod. Dem Sterben knapp entwichen, lauert schon die nächste Bedrohung. In seinen
jungen Jahren erfährt Mieczysław Weinberg das Leid der Flüchtenden am eigenen
Leib. 1919 in Warschau geboren, verlässt er mit dem Einmarsch Hitler-Deutschlands über Nacht seine Heimat und landet auf der Flucht vor der einen Diktatur
in einer anderen. Zu Fuß macht er sich auf in die Sowjetunion, mit dabei die zwei
Jahre jüngere Schwester, die sich nach wenigen Kilometern wundläuft und zu den
Eltern zurückkehrt. Weinberg wird sie nie mehr wiedersehen, auch seine Eltern
nicht. Das Verderben der Familie und die Rettung der eigenen Haut verfolgen ihn
sein Leben lang. Er gelangt zunächst ins weißrussische Minsk, wo er in einer vergleichsweise sicheren Existenz am dortigen Konservatorium studiert. Hier lernt er
zum ersten Mal die Musik von Schostakowitsch kennen, den bewunderten späteren
Freund und Kollegen. Doch bis ihn dieser 1943 nach Moskau holt, muss Weinberg,
Jude polnischer Abstammung, abermals fliehen, als Hitler 1941 die Sowjetunion
überfällt – nur wenige Stunden nach Weinbergs Abschlusskonzert mit Aushändigung des Diploms. Zum zweiten Mal auf der Flucht vor den Deutschen, sucht der
junge Komponist nun den Weg ins ferne Taschkent, eine Stadt mit freundlichem
Klima, die für Menschen, die wie er an spinaler Tuberkulose leiden, besonders
geeignet ist. Weinbergs schier immenser Werkkatalog umfasst sämtliche Genres.
Mit geradezu atemloser Geschwindigkeit komponiert er u. a. 22 (!) Symphonien,
17 Streichquartette und mehrere Opern, darunter »Die Passagierin«, die ab dem
24. Juni 2017 für vier Vorstellungen erstmals an die Semperoper kommt. Ausgehend von dem Terror im Konzentrationslager Auschwitz, tritt Weinberg hier gegen
das Vergessen ein. Die Erinnerung an die Ermordeten und ihre rückführende
Personalisierung aus einer entwürdigenden Nummernidentität lässt Weinbergs
Oper zu einem ergreifenden und aufwühlenden Dokument künstlerisch-ethischer
Durchdringung werden. Dieser Zugriff verbindet ihn mit Schostakowitsch. In Moskau kommen beide Komponisten regelmäßig zusammen. Gegenseitig spielen sie
sich ihre größeren Werke vor, bevor diese ihren Weg an die Öffentlichkeit antreten.
Als man Weinberg im Februar 1953 ins Gefängnis wirft, ist es Schostakowitsch,
der einen Brief an den gefürchteten Chef des Geheimdienstes schreibt. Nur Stalins
Tod rettet Weinberg vor dem Untergang. Dabei liegt es in seiner Natur, sich nie als
ein vom Schicksal Heimgesuchter zu verstehen. Vielmehr vertieft er sich in eine
pantheistisch gefärbte Religiosität: »Ich sagte mir selbst, dass Gott überall ist. Seit
meiner ersten Symphonie wandert eine Art Choral in mir umher.« Weinberg – ein
Wanderer, dessen Blick auf ostjüdische Musizierweisen, auf russische, armenische
und polnische Volkslieder die wache Auseinandersetzung mit einer oftmals bedrohlich aufziehenden Gegenwart einschließt. Warum ist seine Musik bis heute
nicht hinreichend bekannt, trotz einiger Weinberg-Schwerpunkte etwa bei den
Internationalen Schostakowitsch Tagen in Gohrisch 2012 und in diesem Jahr? Der
russische Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov erklärt das u. a. mit
Weinbergs besonderen Lebensumständen: Sein eigentliches musikalisches Idiom
entstammte »der polnisch-jüdischen Kultur, die für das sowjetische Musikleben
aus verschiedenen Gründen nicht existent war. Diese Kultur war nicht nur tatsächlich physisch vernichtet worden. In der Sowjetunion wurde darüber hinaus
alles Jüdische grundsätzlich tabuisiert.« Mit seiner siebten Symphonie komponiert
Weinberg 1964 eine Kammersymphonie für Streicher und Cembalo, bestehend
aus fünf ineinander übergehenden Sätzen. Ein Cembalosolo, statuarisch in neuhändelschem Sarabandenstil, eröffnet das Adagio sostenuto. Die Einleitung erinnert an die Klavierintroduktion zu Weinbergs Liederzyklus »Jenseits der Schwelle
vergangener Tage« von 1951 und offeriert eine damals in der sowjetischen Musik
ungewöhnliche Klangfarbe, die an Schlüsselstellen im zweiten und fünften Satz
wiederkehrt. Der zweite Satz (Allegro) mit seiner repetitiven Tonstruktur vereint
Elemente aus einem russischen Volkslied und -tanz, bevor die Tonwiederholungen
im dritten Satz lyrisch verbreitert werden. Im Finale spielt das Cembalo anfangs
schnell ausgeführte Tonwiederholungen, später werden die Motive der Symphonie
nochmals gebündelt. Die Uraufführung erfolgt am 18. November 1964 in Moskau
durch das Moskauer Kammerorchester, gewidmet ist sie Rudolf Barschaj, dem
Gründer und damaligen Leiter des Moskauer Kammerorchesters. 1987, neun Jahre
vor seinem Tod, komponiert Weinberg sein zweites Flötenkonzert. Das Werk atmet
klassische Reinheit. Schlicht und pastoral – im eigentlichen Sinne »schön« – klingt
der Beginn. Im zweiten Teil des Finales zitiert der Komponist aus beliebten Stücken
des Repertoires für das Soloinstrument. Er verwendet Motive aus dem »Reigen der
seligen Geister« von Glucks »Orfeo ed Euridice« sowie der Badinerie aus Bachs
Ouvertüre (Orchestersuite) Nr. 2 h-Moll BWV 1067, wobei der charakteristische
Rhythmus der Badinerie deutlicher hervortritt als Glucks Reigen, der sich hinter
einem Schleier verbirgt. Für den Flötisten Andreas Kißling besteht das Konzert
»aus zwei langsamen und einem sehr langsamen Satz. Auf den zweiten Blick zeigt
sich, dass der erzählerische Aspekt das eigentlich Virtuose an diesem Werk ist.«
Folgt man Kißling, so unternimmt Weinberg hier den Versuch, »zwar das große
Chaos zu erzählen, gleichzeitig aber immer auch wunderschöne Inseln der Unbeschwertheit einzubauen, auf denen sich die Seele ausruhen kann.« Unbeirrt vom
großen Chaos zu erzählen, durchaus eindringlich und anrührend – darin liegt
Weinbergs grundlegendes kompositorisches Bedürfnis. Es ist geprägt von den Erfahrungen einer Zeit, in der »eine Sehnsucht an die Welt pocht, an der wir sterben
müssen« (Else Lasker-Schüler).
Besetzung Konzert für Flöte und Orchester Nr. 2 op. 148: Solo-Flöte, Oboe, 4 Klarinetten,
2 Fagotte, 3 Hörner, Pauken, Schlagzeug, Harfe und Streicher // Dauer: ca. 21 Minuten
Besetzung Symphonie Nr. 7 op. 81: Cembalo und Streicher // Dauer: ca. 24 Minuten
Thomas Sanderling Dirigent
wuchs in St. Petersburg auf, wo sein Vater Kurt
Sanderling Dirigent der dortigen Philharmonie war.
Mit nur 24 Jahren wurde er Musikalischer Leiter
des Opernhauses Halle. Schon damals war er häufig
Gast bei führenden Orchestern. Nachdem Schos­
takowitsch Konzerte Thomas Sanderlings gehört
hatte, bat ihn der Komponist, die deutschen Erstaufführungen seiner 13. Symphonie sowie der 14. Symphonie zu dirigieren, an die sich die Uraufführung
des letzten Orchesterwerks von Schostakowitsch,
die »Michelangelo-Suite«, anschloss. Im Juni 2017
gastiert Thomas Sanderling in Gohrisch.
Andreas Kißling Flöte
erhielt seinen ersten Querflötenunterricht mit
9 Jahren an der Musikschule in Göppingen. Sein
Studium absolvierte er an der Universität der
Künste in Berlin bei Roswitha Staege und Karlheinz Zoeller. 2006 erhielt er den Dritten Preis
beim Aurèle-Nicolet-Wettbewerb in Peking. Schon
während des Studiums spielte er als Soloflötist bei
den Stuttgarter Philharmonikern und der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern sowie als Stellvertretender Soloflötist
an der Staatsoper Stuttgart. Seit 2011 ist er Soloflötist der Sächsischen Staatskapelle.
Jobst Schneiderat Cembalo
Nach seinem Studium an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden folgte ein
Engagement an das Landestheater Halle, bevor er
1986 als Solorepetitor an die Semperoper verpflichtet wurde. Seit seiner »Ring«-Einstudierung unter
Sinopoli 2000 arbeitet er als musikalischer Assistent
bei den Bayreuther Festspielen. Liederabende mit
namhaften Sängern ließen ihn zu einem gefragten
Begleiter werden. Zudem arbeitet er als Cembalist
und Organist mit Musikern der Sächsischen Staatskapelle, den Dresdner Kapellsolisten sowie dem
Philharmonischen Kammerorchester.
VORSCHAU
Klavierrezital des
Capell-Virtuosen
M I T T WO C H 8 . 2 .17 2 0 U H R
S E M P ER O P E R D R E S D E N
Daniil Trifonov Klavier
Robert Schumann
Kinderszenen« op. 15
Toccata op. 7
»Kreisleriana« op. 16
Dmitri Schostakowitsch
Auswahl aus den 24 Präludien
und Fugen op. 87
Igor Strawinsky
Drei Sätze aus »Petruschka«
Kammermusik der Sächsischen
Staatskapelle Dresden
Gegründet 1854 als TonkünstlerVerein zu Dresden
Verantwortlich:
Friedwart Christian Dittmann,
Ulrike Scobel und Christoph Bechstein
IMPRESSUM
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2016 | 2017
H E R AU S G E B E R
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© Januar 2017
R E DA K T I O N
André Podschun
TEXT
Der Einführungstext von André Podschun ist
ein Originalbeitrag für dieses Programmheft.
8. Internationale
Schostakowitsch Tage Gohrisch
2 3. – 2 5 . J U N I 2 017
B I L D N AC H W E I S E
Thomas Sanderling: Michael Vaneev
Andreas Kißling und Jobst Schneiderat:
Matthias Creutziger
G E S TA LT U N G U N D S AT Z
Thomas Sanderling, Alexander Melnikov,
Dmitri Sitkovetsky, Viktoria Postnikova,
Linus Roth, Elisaveta Blumina,
Raschèr Saxophone Quartet,
Staatskapelle Dresden u.v.a.
Weitere Informationen und
Kartenbestellung ab dem
16. Februar 2017 unter:
www.schostakowitsch-tage.de
In Kooperation mit der
Sächsischen Staatskapelle Dresden
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
DRUCK
Union Druckerei Dresden GmbH
Private Bild- und Tonaufnahmen
sind aus urheberrechtlichen Gründen
nicht gestattet.
W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E
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