Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 3] 22 3. Der Klimawandel als Brennpunkt neuer Gerechtigkeitskonflikte Vorbemerkung: Klimaschutz als neue Dimension der Gerechtigkeit „Der Klimawandel stellt gegenwärtig die wohl umfassendste Gefährdung der Lebensgrundlagen der heutigen und der kommenden Generationen sowie der außermenschlichen Natur dar“ (DBK 2008, Nr. 1). Langfristig und global ist die Sicherung menschenwürdiger Existenz heute ohne Klimaschutz nicht möglich. Er fordert in wesentlichen Bereichen eine Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise. Nie zuvor hat die Menschheit so tief, mit so großer räumlicher und zeitlicher Reichweite in die Biosphäre eingegriffen. Der Klimawandel ist also kein Schicksal, sondern zum größten Teil durch Menschen verursacht (anthropogen). Damit ist er ethisch betrachtet eine Frage der Gerechtigkeit. Die Deutsche Bischofskonferenz kennzeichnet den Klimawandel als „Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit“ (DBK 2007). Da die Armen weit überproportional von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen sind, erzeugt er neue Gerechtigkeitsanforderungen im Umgang mit Energie und Wasser sowie in der solidarischen Bewältigung von Risiken und Schäden, denen vor allem die Menschen ausgesetzt sind, die selbst am wenigsten dazu beigetragen haben. Hinsichtlich der notwendigen Ausweitung des Gerechtigkeitskonzeptes auf die Beziehung zu künftigen Generationen und zu Menschen in anderen Erdteilen besteht theoretisch weit gehend Konsens. Ob man den Begriff der Gerechtigkeit sinnvoll auch auf das Verhältnis zur Natur anwenden kann, ist sozialethisch jedoch umstritten. Was „ökologischer Gerechtigkeit“ genau bedeutet, was also die Maßstäbe für unsere Pflichten gegenüber der Natur sind und wie sie zu zwischenmenschlichen Solidaritätspflichten und ökonomischen Interessen zu gewichten sind, ist Gegenstand unserer Diskussion. Gerade weil sich damit viele offene Fragen verbinden, die unser Selbstverständnis und die Grundwert der gesellschaftlichen Ordnung betreffen, ist der Klimawandel auch philosophisch, ethisch und theologisch ein spannendes Thema. 1. Zum Forschungsstand über Klimaänderungen Fakten, Prognosen und Hypothesen Der Klimawandel ist ein komplexes Phänomen, das seit Ende der achtziger Jahre intensiver Gegenstand weltweiter Forschung ist.1 Die Gewichtung einzelner Faktoren und Ursachen sowie die Abschätzung regionalspezifischer ökologischer Risiken und sozialer Folgen unterliegen wegen der Komplexität der Wirkungszusammenhänge vielfältigen Unsicherheiten. Anthropogene Einflussfaktoren (z.B. Co2-Ausstoß) und naturale Faktoren (z.B. Sonnenflecken) überlagern sich wechselseitig. Einzelereignisse wie etwa der Hurrikan Katrina vom Sommer 2005 können nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Insgesamt kann der Klimawandel heute jedoch nicht mehr als bloße Hypothese abgetan werden. Die Fülle von bereits beobachtbaren Extremereignissen (Stürme, Trockenheiten, Hitzwellen etc.) entspricht signifikant den aus klimatologischen Modellrechnungen abgeleiteten Erwartungen. Der Klimawandel 1 Signifikant hierfür ist die 1988 durch die „Weltorganisation für Meteorologie“ (WMO) und das „Umweltprogramm der Vereinten Nationen“ (UNEP/United Nations Environment Programme) erfolgte Gründung des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) mit Sitz in Genf. Vgl. IPCC, Climate Change, Paris 2007; oder: http://www.ipcc.ch oder www.d-ipcc.de. Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 3] 23 ist eine Tatsache. Seine Ausmaße sind dramatisch und stellen eine sozialethische Herausforderungen ersten Ranges dar. Folgende Phänomene und Begleiterscheinungen sind dabei wesentlich: (1) Globaler Temperaturanstieg: Seit 1900 vollzieht sich ein deutlicher Anstieg der globalen Mitteltemperaturen (bisher um 0,74 Grad Celsius).2 Die Erhöhung der globalen Temperatur in den letzten 30 Jahren muss mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% auf menschliche Eingriffe zurückgeführt werden. Nach Schätzungen des Intergovernmental Panel on Climate Change wird sich die Atmosphäre bis zum Jahr 2100 um 1,1 bis 6,4 Grad Celsius erwärmen. Die Folgen sind nicht nur Dürrekatastrophen und Extremniederschläge, sondern auch ein Anstieg des Meeresspiegels und eine Verschiebung der Klimazonen. (2) Hitzewellen: Die Häufung von Perioden extremer Hitze und Trockenheit in bestimmten Regionen ist signifikant. So war der August 2003 in Deutschland bei weitem der wärmste seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen. Andere Regionen, wie etwa das südliche Afrika sind noch extremer betroffen. Klimaexperten gehen davon aus, dass in Zukunft solche Hitzeperioden häufiger und intensiver werden. (3) Anstieg des Meeresspiegels: Der globale mittlere Meeresspiegel ist im vergangenen Jahrhundert um 10 bis 20 Zentimeter angestiegen. Bis zum Jahr 2100 wird ein Anstieg um weitere 18 bis 59 cm erwartet, was die Bevölkerung in tief liegenden Küstengebieten – darunter zahllose Städte – sowie auf kleineren Inseln massiv bedroht. Die Möglichkeit eines Anstiegs des Meeresspiegels um mehrere Meter kann nicht ausgeschlossen werden. (4) Niederschläge und Überschwemmungen: Die Erwärmung bodennaher Temperaturen geht Hand in Hand mit der Abkühlung höherer Atmosphärenschichten, was insgesamt zu einer Veränderung der großräumigen Zirkulationssysteme und Niederschlagsverteilungen führt. In tropischen und subtropischen Gebieten zeichnen sich Niederschlagsabnahmen ab, während in mittleren und höheren Breitengraden die Menge und Heftigkeit von Niederschlägen zunimmt. Diesem Erwartungsmuster entsprechen in Mitteleuropa etwa die Starkregen in den Wintern 1993/94 und 1994/95, die zu Jahrhunderthochwässern in der Rheinregion führten, die extremen Sommerniederschläge der Jahre 2002 und 2005, die katastrophalen Überschwemmungen im Bereich der Elbe (2002) und der Nordalpen (2005) auslösten.3 2. Soziale Folgeprobleme (1) Gefährdung von Ernährungssicherheit und Wasserversorgung: Die Bewältigung von klimabedingten Ernteverlusten und die Anpassung der Viehwirtschaft an neue klimatische Verhältnisse sind mit Kosten verbunden, die nicht von allen Staaten oder landwirtschaftlichen Betrieben aufgebracht werden können. In einigen Regionen der Erde führt die Klimaveränderung zu einer massiven Beeinträchtigung der Ernährungssicherheit. Dazu kommt, dass infolge von Erwärmung und Überschwemmungen der Parasitenbefall zunehmen und entsprechende Ernteausfälle verursachen wird. Zudem leiden nach Prognosen des Milleniumsberichtes der UNO im 2 3 Vgl. zum Folgenden: IPCC 2007 (Anmerkung 1), bes. Bericht der Arbeitsgruppe 1: Zusammenfassung für Entscheidungsträger. S. a. ausführlich unter http://www.awi.de/de/aktuelles und_presse/ . Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 3] 24 Jahr 2025 bis zu zwei Drittel der Menschheit unter Wasserknappheit, wobei der Klimawandel zentrale Ursache ist.4 (2) Ausbreitung von Krankheiten: Durch die Klimaveränderungen, so Prognosen von IPCC und die WHO, werden eine Reihe schwerer Krankheiten häufiger auftreten und sich schneller ausbreiten, besonders vektorübertragene Krankheiten5. Ferner werden vermehrt Menschen an Hitzestress sterben. (3) Kriegs- und Fluchtursache Klimawandel: Insbesondere in Entwicklungsländern werden zahllose Menschen auf der Flucht vor Überschwemmungen, Stürmen, Dürre, Hunger oder Hygieneproblemen aufgrund mangelnder Wasserversorgung ihren Lebensraum verlassen müssen. „Besondere Aufmerksamkeit verdient die Wasserversorgung. Fachleute befürchten, künftige Kriege würden nicht mehr nur um Öl, sondern um Wasser geführt.“6 Die Zerstörung von Lebensräumen könnte bald mehrere hundert Millionen Menschen in die Migration treiben. Migrationen, klimabedingte Destabilisierung von Gesellschaften und der Kampf um den Zugang zu Ressourcen werden ins Zentrum der Sicherheitsprobleme des 21. Jahrhunderts rücken. „Das größte Marktversagen der Geschichte“ Der so genannte „Stern-Review“, der im Oktober 2006 im Auftrag der Britischen Regierung veröffentlicht wurde, schätzt die Folgen des Klimawandels bei Nichthandeln auf 5 – 20 % des globalen Bruttosozialproduktes. Das wären bis zu 5.500 Mrd. Euro im Jahr und überträfe die monetären Kosten der beiden Weltkriege zusammen. Stern spricht vom „größten Marktversagen in der bisherigen Geschichte“.7 Stern belässt es nicht dabei, ein Katastrophenszenario zu entwerfen, sondern berechnet gleichzeitig, dass bei raschem Handeln die schlimmsten Folgen mit vergleichbar geringem Aufwand bewältigt werden können (ca. 300 Mrd./Jahr sind 1% des BIP). Schon heute erreichen die Schäden durch die heftiger und häufiger werdenden Stürme und Überflutungen astronomische Höhen – allein für den Hurrikan Katrina werden sie von der amerikanischen Regierung mit 200 Mrd. US-Dollar beziffert. In Deutschland haben die Überflutungen an Rhein, Elbe und Loisach enorme Kosten verursacht. In den armen Regionen der Erde sind die monetär messbaren Schäden geringer, nicht jedoch die Belastungen durch Trockenheiten, Ernteausfälle, Stürme und Überschwemmungen. Die Zeit drängt – nach Stern und anderen Experten bleibt uns ein Zeitfenster von zehn bis fünfzehn Jahren für grundlegende Änderungen, wenn wir den Klimawandel ohne eskalierende Kosten und Konflikte bewältigen wollen. Gründe für die Zeitknappheit sind vor allem: (a) Die Destabilisierung von Lebensräumen durch den Klimawandel, die aufgrund der Trägheit des Systems nur bei raschem Wandel der anthropogenen Belastungsfaktoren gebremst werden können. (b) Die Gefahr ökologischer Kippschalter im Klimasystem, die nach gegenwärtigen Analysen rapide steigt, wenn der Klimawandel 2° übersteigt. (c) Sich anbahnende Konflikte um die knapper werdenden Ressourcen, besonders Wasser und Öl. (c) Die Trägheit der gesellschaftlichen Systeme, deren weltweiter Wachstum mit den Anforderungen des Klimaschutzes kollidiert, deren Umgestaltung im nötigen Maß jedoch mehrere Jahrzehnte in Anspruch nimmt. 4 5 6 7 UNEP, Global Environmental Outlook 2000, Nairobi/London 1999, 24-51. Durch Organismen, meist Insekten, verbreitete Krankheiten wie z.B. Malaria, Dengue-Fieber, Gelbfieber und verschiedene Arten von Hirnhautentzündung. Die deutschen Bischöfe: Gerechter Friede (Die deutschen Bischöfe 66), Bonn 2000, Ziffer 96. N. Stern: The Economics of Climate Change, London 2006, II. Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 3] 25 Zentraler Grund für das Marktversagen angesichts des Klimawandels ist die Externalisierung (Auslagerung) der Kosten für fossile Energien: Wir benutzen die Atmosphäre als Müllhalde und verbrennen die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Weitere Gründe sind die Sprunghaftigkeit, Politikabhängigkeit, und internationale Unberechenbarkeit von Energiepreisen sowie die Langfristigkeit technischer Entwicklungen und Investitionszyklen, die auch im Grundlagenbereich notwendig sind und sich häufig auf betriebswirtschaftlicher Ebene nicht rechnen. Ein hoher Ölpreis führt nicht automatisch zu geringerem Verbrauch, da entsprechend mehr in die Exploration von Ölfeldern, die Nutzung von Ölschiefer und Ölsanden sowie in die Verflüssigung von Kohle investiert wird. Deshalb ist ein Strukturwandel der Energieversorgung wesentlich eine Frage politischer und damit auch moralischer Entscheidungen und nicht ein Selbstläufer marktwirtschaftlicher Anpassungen.8 Bei aller berechtigten Kritik an der Dominanz von wirtschaftlichem Denken gegenüber der Politik, sollte nicht übersehen werden, dass sich Klimaschutz nicht gegen die Märkte durchsetzen lässt. In vieler Hinsicht können Märkte effektive und Freiheit fördernde Steuerungsinstrumente sein. Jedoch brauchen sie neue Rahmenbedingungen, Grenzen und eine Kultur der Verantwortung und Fairness, ohne die auch der marktwirtschaftliche Wettbewerb nicht mit einer humanen Gesellschaft vereinbar ist.9 Die Ordnungsidee der Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft, für die sich die Kirchen 1985, vor den politischen Parteien, ausgesprochen haben,10 könnte die politische Leitidee Europas im Klimawandel sein. Sie ist jedoch auch ethisch eine höchst anspruchsvolle Idee. Moralische Standards in der Gesellschaft sind ein unterschätzter Wirtschaftsfaktor. Märkte funktionieren auf Dauer nur auf der Basis einer Kultur der Fairness. 3. Die Besonderheit der ethischen Probleme des Klimawandels Die Besonderheit der ethischen Probleme des Klimawandels liegt in der großen Distanz von Verursachern und Leidtragenden: (a) Unsere heutige Lebensweise, die zu Klimaänderungen führt, ist eine Hypothek auf die Zukunft und wird vor allem die kommenden Generationen belasten. (b) Die armen Länder des Südens sind nur zu einem geringen Anteil an der Verursachung beteiligt und können sich den Veränderungen kaum anpassen, während die Industriestaaten die Emission der klimaschädigenden Treibhausgase verursachen und bessere Chancen haben, sich gegen Folgen des Klimawandels abzusichern. (c) Der Klimawandel beeinträchtigt in grundlegender Weise die Lebensräume von Fauna und Flora und berührt damit das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Vor diesem Hintergrund ist die gegenwärtige Form der Energieversorgung, die der Motor des Klimawandels und zugleich die Basis unseres bisherigen Wohlstandsmodells ist, weder ethisch zu rechtfertigen noch wirtschaftlich vernünftig. Klimawandel fordert eine zeitliche und räumliche Ausweitung von Solidarität, was nur dann nicht in eine Überforderung und Verflachung mündet, wenn es gelingt, die damit 8 9 10 vgl. Vogt, Notwendiger Strukturwandel. Neue Wege für die Energieversorgung, in: Herder Korrespondenz 54 (2000), 296-301. vgl. Vogt, Markt und Moral 2008. EKD/DBK 1985, Nr. 79-87. Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 3] 26 verbundenen Ansprüche und Pflichten zu präzisieren, akteursspezifisch einzugrenzen, freiheitlich zu pluralisieren und strukturell zu verankern. Der durch den Klimawandel ausgelöste Kooperationsdruck liegt quer zu bestehenden Gemeinschaften und fordert, sich auf ferne Not einzulassen. „Diese Art von Solidarität setzt Selbstüberwindung und Selbstüberschreitung voraus."11 Da das Klima ein kollektives Gut ist, dessen Schädigung alle gemeinsam tragen müssen und dessen Nutzen sich kaum individualisieren lässt, ist die Blockade von Veränderungsbewegungen durch Trägheit und Trittbrettfahrermentalität nicht verwunderlich. Investitionen für Klimaschutz sind leicht ausbeutbar und bedürfen eines spezifischen institutionellen Schutzes. 4. Herausforderungen für einen neuen global deal zum Klimaschutz In der bisherigen Klimaforschung gibt es eine Diskrepanz zwischen der intensiven Sammlung und Analyse naturwissenschaftlicher Daten und der kaum vorhandenen Beschäftigung mit damit verbundenen Gerechtigkeitskonflikten. Klimaschutz wird nur auf der Grundlage eines „global deal“ gelingen. Dessen Kern ist CO2-Gerechtigkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel vertritt die Position, dass der Maßstab hierfür eine ProKopf-Berechnung sein muss: CO2-Gerechtigkeit ist gewahrt, wenn jeder Mensch auf dieser Erde nicht mehr Kohlendioxid produziert als er anderen zu produzieren zubilligt. Eine Nebenbedingung hierfür ist, dass die insgesamt erzeugte Menge an Treibhausgasen die globale Tragekapazität nicht überschreiten darf, was derzeit durch das Ziel konkretisiert wird, dass die Erwärmung 2° C nicht übersteigen darf. Die Berechnung pro Kopf, und nicht wie bisher üblich pro Land, ist vom menschenrechtlichen Ansatz her konsequent. Sie stößt allerdings angesichts der Tatsache, dass ein Nordamerikaner derzeit ca. 100mal so viel CO2 emittiert wie ein Mensch in Südindien oder Westafrika, auf erbitterte Widerstände. Um keinen falschen Anreiz für Bevölkerungswachstum zu setzen, sollte man für die Berechnung der Bevölkerungszahl ein Basisjahr festlegen. Zwar ist absolute Gleichbehandlung in zweifacher Hinsicht problematisch: Die geografischen und kulturellen Differenzen erzeugen einen unterschiedlichen Bedarf. Ein gewisser Ausgleich findet dadurch statt, dass die nördlichen Länder, die höhere Kapazitäten haben, in energetische Effizienz- und Substitutionsstrategien zu investieren, eine historische CO2-Schuld abzutragen haben. Bezogen auf das Kriterium der Leistungsgerechtigkeit müssen die Industrieländer einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten.12 Hierbei kann auch eine Rolle spielen, dass die Industrieländer aufgrund ihres höheren Standards technischer Entwicklung mit der gleichen Menge des Ausstoßes an klimarelevanten Gasen höhere Nutzeneffekte erziehen können. Auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit spricht für einen höheren Beitrag der Industrieländer bzw. der Eliten in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Hier geht es nicht um das Überleben, sondern um Wohlstandsverluste weit jenseits des Existenzminimums. Nach dem Kriterium des Verursacherprinzips müssten die Industrieländer, die in den letzten 150 Jahren ca. 90% der klimarelevanten Gase ausgestoßen haben, den Großteil des Klimaschutzes bewältigen. Hier stellt sich die 11 12 Baumgartner 2004 (Anm. 9), 284. Vgl.: Baer:The Right to Development in a Climate Constrained World (2007). Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 3] 27 Frage, welches Gewicht der Vergangenheit für die Konzeption von Gerechtigkeit zugebilligt wird. Die enormen Steigerungsraten und Unterschiede in den Entwicklungsund Schwellenländern sollten nicht übersehen werden. Es gibt eine Fülle sehr unterschiedlicher Gesichtspunkte, die gerechtigkeitstheoretisch zu berücksichtigen sind, so dass die Gleichbehandlung pro Kopf als Maßstab der CO2Gerechtigkeit, trotz aller Problematik durchaus als akzeptable Annäherung erscheint. Dies sollte zumindest so lange für die politische Ethik als Orientierung gelten, als sich in der ethisch-philosophischen Diskussion und in der Erhebung entsprechender empirischer Daten über die Verteilung von Lasten und Kosten des Klimawandels und Klimaschutzes kein belastungsfähiger Konsens über andere Berechungen herausschält. Zugleich bedarf es gerechtigkeitstheoretischer Forschung, um die Kriterien und die Verteilung von Pflichten im Klimaschutz zu klären. CO2- Gerechtigkeit erfordert nach aktuellem Verhandlungsstand, dass der Ausstoß klimarelevanter Gase in Europa bis 2020 um 20% (gegenüber 1990), wenn nichteuropäische Länder mitziehen um 30% reduziert wird. Deutschland will mit einer 40%igen Reduktion vorangehen, was dem oberen Rand des in Bali verhandelten Korridors entspricht (25-40% Reduktion bis 2020 in den Industrienationen). Bis zum Ende des Jahrhunderts sollte der CO2-Ausstoß um 80–90% reduziert werden. Diese Ziele sind nur durch eine neue industrielle Revolution zu erreichen. Ein Anfang ist bereits gemacht: Deutschland ist in der Entkoppelung von Energieverbrauch und Wirtschaftsentwicklung seit zwanzig Jahren erfolgreich und hätte genügend technische Möglichkeiten dies ohne Wohlstandsverluste entsprechend weiter auszubauen. Die Schließung der Gerechtigkeitslücken in der Steuer- und Finanzreform und der zahlreichen Ausnahmeregelungen, die deren Lenkungswirkung teilweise zerstören, wären Wege zu einer weiteren Verbesserung der deutschen CO2-Bilanz. Notwendig für den global deal ist eine stärkere Einbeziehung der Entwicklungsländer in die Reduktionsziele. Auch in den Industrieländern dominiert bisher trotz der KyotoVerpflichtungen eine erhebliche Zunahme des CO2-Ausstoßes.13 Der ethisch am meisten diskutierte Aspekt des global deal ist der Handel mit Emissionszertifikaten. Dazu kommen Fragen der flexiblen Mechanismen der Klimapolitik (Joint Implementation und Clean Development Mechanism). Diese Mechanismen bieten große Allokationsvorteile (effektiverer Einsatz der begrenzten Mittel), was nicht nur ein ökonomisches Argument ist, sondern vor allem aufgrund der drängenden Zeit auch ethisch von hohem Wert sein kann. Emissionshandel braucht jedoch funktionierende Märkte, was nur in begrenzten Territorien wie z.B. der EU der Fall ist. Oft sind die Zuteilungsregeln unklar (in Deutschland umsonst). Der Erwerb von Zertifikaten darf nicht zur Ersatzhandlung für Strukturreformen im eigenen Land oder Unternehmen werden. Der globale Gesellschaftsvertrag zum Klimaschutz fordert eine differenzierte Abgrenzung von responsibilities und capabilities, von gemeinsamer und geteilter Verantwortung. Klimaschutz wird nur dann zustande kommen, wenn die Lasten global gerecht verteilt und durch Rahmenbedingungen Anreize für klimafreundliches Wirtschaften strukturell verankert sind. 13 Zahlen für 2005: USA haben ihren CO2-auisstoß um 16,3 % erhöht, Dänemark um 14 %, Portugal um 15,8 %, Australien um 17,65 %, Italien um 18,6 %, Spanien um 38,3 % Kanada um 31,3 %: Vgl. unfccc.int/ghg_emissions_data/ghg_data_from_unfccc/time_series_annex_i/items/3841.php [Februar 2008].