der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Prof. Von Dr. Heiner Keupp Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden. Vortrag bei der GUT DRAUF-Jahrestagung 2011 am 21. November 2011 in Bad Blankenburg Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Einstiegsthese 1 Die Lebensphase Jugend soll Menschen die psychosoziale und qualifikatorische Basis für ein gelingendes Erwachsenenleben schaffen. Von einer sich dramatisch verändernden globalisierten kapitalistischen Gesellschaft ist auch das Aufwachsen betroffen. Es kommt vor allem im Bildungssystem (in Schule und Hochschule) zu einer Beschleunigung und Verdichtung der Jugendphase und zu einer Engführung durch das Ziel „employability“. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Einstiegsthese 2 Das marktradikale Menschenbild bestimmt zunehmend die Vorstellungen gelingenden Aufwachsens. Es ist die Botschaft der vom einzelnen geforderten geistigen, seelischen und körperlichen „Fitness“: Sei bereit, dich auf alles einzulassen! Aus diesem Diskurs werden Heranwachsende von der Botschaft erreicht, dass sie bislang gesetzte Grenzen überschreiten können, ja müssen, wenn sie er-folgreich an dem gesellschaftlichen Wettbewerb um Chancen und Macht beteiligt sein wollen. Wer diesen Erwartungen nicht entspricht, ist von Exklusion bedroht. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Einstiegsthese 3 Diese gesellschaftliche Entwicklung hat zunehmend die Spielräume für Experimentieren mit möglichen Identitätsentwürfen reduziert. Die wachsenden psychosoziale Problemen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigen uns die „Kostenseite“ dieser Entwicklung. Wir brauchen eine Kultur des Aufwachsens, die die Verwirklichungschancen für ein selbstbestimmtes Leben fördert – auch und gerade für Heranwachsende, die der Mainstreamnorm nicht entsprechen können oder wollen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Themenschritte ! ! ! ! ! Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Jugendliche Entwicklungsaufgaben heute Identitätsarbeit in der Spätmoderne Verwirklichungschancen für Jugendliche Förderung der Verwirklichungschancen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Themenschritte ! ! ! ! ! Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Jugendliche Entwicklungsaufgaben heute Identitätsarbeit in der Spätmoderne Verwirklichungschancen für Jugendliche Förderung der Verwirklichungschancen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Wir leben in einer Gesellschaft ! tief greifender kultureller, politischer und ökonomischer Umbrüche, die durch einen global agierenden Netzwerkkapitalismus bestimmt werden; ! dramatischer Beschleunigung und Verdichtung alltäglicher Abläufe; ! sich ändernder biographischer Schnittmuster, die immer weniger aus bislang bestimmenden normalbiographischen Vorstellungen bezogen werden können; ! des Wertewandels, der einerseits neue Lebenskonzepte stützt, der aber zugleich zu einem Verlust unbefragt als gültig angesehener Werte führt und mehr selbst begründete Wertentscheidungen verlangt; ! veränderter Geschlechterkonstruktionen, die gleichwohl untergründig wirksame patriarchale Normen und Familienmuster nicht überwunden haben; ! der Pluralisierung und Entstandardisierung familiärer Lebensmuster, deren Bestand immer weniger gesichert ist und von den beteiligten Personen hohe Eigenleistungen in der Beziehungsarbeit verlangt. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Wir leben in einer Gesellschaft ! wachsender Ungleichheit im Zugang der Menschen zu materiellem, sozialem und symbolischem Kapital, der gleichzeitig auch zu einer ungleichen Verteilung von Lebenschancen führt; ! zunehmender Migration und Erfahrungen mit kulturellen Differenzen und einem Patchwork der Verknüpfung dieser Differenzen zu neuen Hybriditäten, die aber von spezifischen Bevölkerungsgruppen als Bedrohung erlebt werden; ! wachsenden Einflusses der Medien, die nicht nur längst den Status einer zentralen Erziehungs- und Bildungsinstanz haben, sondern auch mit ihren Bilderwelten Identitätsangebote machen; ! hegemonialer Ansprüche, die die Mittel von Krieg und Terror einsetzen, um ihre jeweiligen ideologischen Vorstellungen einer Weltordnung jenseits demokrati-scher Legitimation durchzusetzen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Jugendspezifische Erfahrungswelten werden in einer Gesellschaft erheblich komplexer und risikoreicher, der zunehmend einheitliche Ziele und Werte abhanden kommen, die von der Pluralisierung der Lebensstile gekennzeichnet ist und in der sich die sozialstrukturell gegebenen objektiven Lebenschancen höchst unterschiedlich bieten. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Erwachsenwerden ist ein Projekt, das in eine Welt hineinführt, die zunehmend unlesbar geworden ist, für die unsere Erfahrungen und unsere Begriffe nicht ausreichen, um eine stimmige Interpretation oder eine verlässliche Prognose zu erreichen. Für diese Welt existiert kein Atlas, auf den Erwachsenen zurückgreifen könnten, um Heranwachsenden ihren möglichen Ort und den Weg dorthin erklären zu können. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden „Wir selbst sind Gegenstand einer Transformation, die auf geheimnisvolle Weise in uns wirkt. Die Verrücktheit der Außenwelt spiegelt sich in uns wider. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, sagte einst Theodor Adorno. Heute müsste man hinzufügen: Es gibt kein normales Leben in Zeiten sich auflösender Normalität. (…) Wir erleben in unserer Gegenwart nicht das Ende der einen und den Beginn einer anderen Normalität, sondern das Ende von Normalität.“ Quelle: Steingart, G. (2011). Das ist doch nicht normal. In: Der Spiegel 10/2011, S.136/137 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Richtig leben – Wie geht das? Normalitätskrise In dieser objektiven „Normalitätskrise“ wird uns das marktradikale „Employability“-Menschenbild des „unternehmerischen Selbst“ als neue Normalität ideologisch aufgenötigt und es bestimmt auch längst die Bildungs- und die Sozialpolitik. Hier ist ein kritischer Gegendiskurs erforderlich, der aufzeigt, dass viele psychosoziale Probleme von Heranwachsenden die Folge dieser „Normalität“ sind. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Themenschritte ! ! ! ! ! Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Jugendliche Entwicklungsaufgaben heute Identitätsarbeit in der Spätmoderne Verwirklichungschancen für Jugendliche Förderung der Verwirklichungschancen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Entwicklungsaufgaben ! ! ! ! ! ! ! Den Körper bewohnen lernen den Umgang mit Sexualität lernen den Umbau der sozialen Beziehungen den Umbau der Leistungsbereitschaft: Schule als Entwicklungsaufgabe die Berufswahl Bildung Identitätsarbeit Quelle: Helmut Fend (2001). Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Ein Lehrbuch für pädagogische und psychologische Berufe. Opladen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Identitätsrelevante Entwicklungsthemen 12- bis unter 18-Jährige: Körper spüren, Grenzen suchen, Identität finden Um eine stimmige Identität auszubilden, suchen und brauchen Jugendliche Herausforderungen und Grenzen. Sie benötigen genügend soziale Lern- und Erfahrungsräume auch jenseits von Schule und Elternhaus, in denen sie zum einen den eigenen Körper und die eigene Sexualität ausprobieren und spüren können, um so zu lernen, ihren Körper anzunehmen und zu „bewohnen“. Sie brauchen weiterhin genügend Möglichkeiten, um in ihrem Freundeskreis ihren jugendkulturellen Interessen und Praxen nachzugehen, die ihnen Abgrenzung und die Ausbildung von Eigenständigkeit ermöglichen, wobei dies auch Mädchen und Jungen mit Behinderungen mehr als bisher ermöglicht werden sollte. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Identitätsrelevante Entwicklungsthemen 12 - bis unter 18-Jährige: Körper spüren, Grenzen suchen, Identität finden Jugendliche bedürfen weiter der Unterstützung bei ihrer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich und medial vermittelten Botschaften des „Alles ist möglich“, denn Jugendliche in dieser Altersphase sind mit der unumgänglichen Herausforderung konfrontiert, eine für sie stimmige Balance zwischen ihren Vorstellungen und Bedürfnissen und den hierfür vorhandenen Möglichkeiten und Grenzen zu finden. Um mit den sich anbietenden riskanten Freiheiten zurechtzukommen, brauchen Jugendliche auch hier Lebenskompetenzen, die ihnen neben dem Elternhaus in Settings der (non-)formalen Bildung, z. B. in der Schule und in den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe, vermittelt werden können. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Elterneinschätzung: „Meinem Kind geht es sehr gut“ Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Psychosoziale Probleme und elterliche Einkommenssituation Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Übergewicht und elterliche Einkommenssituation Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Körperlich-sportliche Inaktivität (weniger als einmal pro Woche aktiv) Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Prekäre Lebenslagen Jugendlicher und Sucht als Bewältigungsversuch Prävalenz von Essstörungen bei 11- bis 17-Jährigen (Selbstauskunft) 11-13 Jahre 14-17 Jahre Insgesamt 20,6% 22,7% Geschlecht Mädchen: 23,5% Jungen: 17,8% Mädchen: 32,3% Jungen: 13,5% Mit MH: 30,1% Ohne MH: 18,5% Hoher ST: 13,2% Niedriger ST: 28,3% Mit MH: 30,4% Ohne MH: 21,2% Hoher ST: 17,2% Niedriger ST: 27,2% Migrationshintergrund Sozialer Status Quelle: KIGGS (2007) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « MH = Migrationshintergrund ST = Sozialstatus Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Themenschritte ! ! ! ! ! Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Jugendliche Entwicklungsaufgaben heute Identitätsarbeit in der Spätmoderne Verwirklichungschancen für Jugendliche Förderung der Verwirklichungschancen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Identitätsarbeit in der Spätmoderne In einer individualisierten Gesellschaft, in der die Menschen ihre Biographien immer weniger in den gesicherten Identitätsgehäusen der Berufsarbeit einrichten können, in der die traditionellen Geschlechterrollen ihre Facon verloren haben und in der Lebenssinn zur Eigenleistung der Subjekte wird, sind vermehrt Fähigkeiten zur Selbstorganisation in den sozialen Mikrowelten gefordert. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden These zur Identitätsarbeit heute Identitätsarbeit hat als Bedingung und als Ziel die Schaffung von Lebenskohärenz. In früheren gesellschaftlichen Epochen war die Bereitschaft zur Übernahme vorgefertigter Identitätspakete das zentrale Kriterium für Lebensbewältigung. Heute kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation, zum "Selbsttätigwerden" oder zur „Selbsteinbettung“. Das Gelingen dieser Identitätsarbeit bemisst sich für das Subjekt von Innen an dem Kriterium der Authentizität und von Außen am Kriterium der Anerkennung. Identitäten werden immer mehr zu Patchwork- oder Hybrididentitäten. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Identitätsangebote der Medien Erfahrungen in der Familie Erfahrungen in derSchule/Beruf + - - - + - + + + + + -+ + - + ++ Identitätsrelevantes -+ -+ Erfahrungsmuster + + + + + ++ zum Zeitpunkt X + Erfahrungen im + + Freundschaftsnetz + + Erfahrungen im - - + Engagement Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Biographische Kernnarrationen Ebene Metaidentität Wertorientierungen Dominierende Teilidentitäten Identitätsgefühl Authentizitäts- und Kohärenzgefühl Handeln Ebene Teilidentitäte n Geschlecht Unterhaltung/ Freizeit Beruf/Arbeit Konsum Politik Ebene situative Selbstthematisierungen (= Viele einzelne situative Selbsterfahrungen) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Identitätsprojekte Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Zwischenbilanz Kindheit und Jugend sind Altersphasen, die immer häufiger von einem pathogenetischen Verdacht diskursiv umkreist werden. Kinder und Jugendliche wachsen in Deutschland jedoch in ihrer großen Mehrheit gesund, selbstbewusst und kompetent auf. Sie dürfen nicht unter einer generalisierten Risikoperspektive gesehen werden. Notwendig sind vielmehr der Blick auf die positiven Entwicklungsbedingungen der nachwachsenden Generationen und Antworten auf die Frage, wie solche Bedingungen für alle Kinder und Jugendlichen gefördert werden können bzw. welcher unterstützender Strukturen und gesellschaftlicher Investitionen es dazu bedarf. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Themenschritte ! ! ! ! ! Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Jugendliche Entwicklungsaufgaben heute Identitätsarbeit in der Spätmoderne Verwirklichungschancen für Jugendliche Förderung der Verwirklichungschancen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Bezugspunkt: Ottawa Charta der WHO "Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen." Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Gesundheitsförderung zielt auf die Befähigung zu einer selbstbestimmten Lebensweise und darf nicht auf die Bereiche Ernährung und Bewegung reduziert werden, obgleich diese durchaus wichtige Zielbereiche von Prävention und Gesundheitsförderung sind. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Theoriebausteine für Gesundheitsförderung ! Theorie Salutogenese ! Capability approach ! Modell positiver (Jugend-)Entwicklung Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Erster Baustein: Salutogenese Aaron Antonovsky 1923 - 1994 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal oder Zufallsgenerator unterworfen ist. Der Kohärenzsinn beschreibt eine geistige Haltung: Meine Welt erscheint mir verständlich und stimmig; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehbarkeit). Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Handhabbarkeit). Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Bedeutsamkeit). Kohärenzfördernd sind die Widerstandsressourcen: Individuelle, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Ressourcen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Zweiter Baustein: Capability approach BegründerInnen des Befähigungs-(Capability)-Ansatzes: Amartya Sen und Martha C. Nussbaum Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Unter Verwirklichungschancen (capabilities) versteht Amartya Sen die Möglichkeit von Menschen, „bestimmte Dinge zu tun und über die Freiheit zu verfügen, ein von ihnen mit Gründen für erstrebenswert gehaltenes Leben zu führen.“ Amartya Sen (2000). Ökonomie für den Menschen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Dritter Baustein: Thriving Positive Jugendentwicklung: „Gedeihen“ (Thriving) von Richard M. Lerner und seinem Team Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Prekäre Lebenslagen Jugendlicher und Sucht als Bewältigungsversuch Verwirklichungschancen für Heranwachsende " " " " " " " " " Herstellung eines kohärenten Sinnzusammenhangs. Die Fähigkeit zum „boundary management“. Produktiver Umgang mit Ambiguität „Einbettende Kulturen“. Materielle Basissicherung. Erfahrung der Zugehörigkeit. Einen Kontext der Anerkennung. Eine demokratische Alltagskultur durch Partizipation Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Engagement Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Aus diesen Fragestellungen ergeben sich folgende Themenschritte ! ! ! ! ! Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Jugendliche Entwicklungsaufgaben heute Identitätsarbeit in der Spätmoderne Verwirklichungschancen für Jugendliche Förderung der Verwirklichungschancen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Die Förderung von „Befähigungsgerechtigkeit“ als zentrale Forderung 28.11.2011! Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Befähigungsgerechtigkeit ! Heranwachsende brauchen die Chance, Zugang zu den Ressourcen gewinnen, die sie zu einer souveränen Handlungsbefähigung benötigen. ! Die institutionellen Angebote des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystems müssen Heranwachsende in ihrer Handlungsbefähigung systematisch unterstützen. ! Es sind professionelle Empowerment-Strategien zu entwickeln, die auf dieses Ziel ausgerichtet sind. ! Heranwachsende müssen über Partizipationsmöglichkeiten in ihren Selbstwirksamkeitserfahrungen gefördert werden. ! Solche Erfahrungen sind vor allem auch dann zu unterstützen, wenn die eigene Handlungsfähigkeit durch Behinderung eingeschränkt ist. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 42 Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Empfehlungen Gesundheitsförderung im Schulalter ! Die steigenden gesundheitlichen Belastungen (Ernährungsprobleme, Überge-wicht, chronische Erkrankungen wie Allergien und psychosoziale Probleme wie ADHS) dürfen nicht medikalisiert werden. ! Weil in der Schule alle Kinder erreicht werden können, bedarf es einer verbesserten Kooperation von gesundheitsförderlichen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule durch den Ausbau der Schulsozialarbeit. ! Speziell in den Ganztagesangeboten ist die systematische Förderung von alters-spezifischen Gesundheitsthemen relevant. ! Förderung der Elternselbsthilfe (etwa durch Projekte wie Elterntalk) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 43 Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Erwerb von Methylphenidat (z.B. Ritalin) durch Apotheken Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM 2008 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 44 Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Quelle: DER SPIEGEL 34/2010, S. 132 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 45 Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Quelle: DIE ZEIT vom 30.07.2009 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 46 Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Empfehlungen Gesundheitsförderung im Jugendalter ! Dringend erforderlich ist eine stärkere fachliche (und politische) Aufmerksamkeit für die gesundheitlichen Herausforderungen und Risiken des Jugendalters (vor allem psychosoziale Probleme wie Sucht, Essstörungen, Depressionen). ! Notwendig ist die Unterstützung bei der Erarbeitung realistischer und erreichbarer Lebensziele und der identitären Grenzziehung. Diese sind Voraussetzung für Gewinnung von Lebenskohärenz. ! Unterstützung ist vor allem bei der Bewältigung von Übergängen (z.B. Schule – Beruf) relevant. ! Jugendliche in ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen zu Erziehung bedürfen einer genügend intensiven, aber an ihre Lebenswelt anschlussfähige, nicht ausgrenzende und mit dem Gesundheitssystem vernetzte Hilfen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 47 Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Empfehlungen Arbeitsfeldübergreifende Herausforderungen Verbindliche Netzwerkbildung ! Netzwerke für eine verbesserte Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitssystem und Eingliederungshilfe sind erforderlich. In diesen vernetzten Strukturen sind zielgenaue Handlungsstrategien bezogen auf den jeweiligen Sozialraum, die speziellen Problemkonstellationen und unter Berücksichtigung der Erfahrungen und Kompetenzen der beteiligten Systeme zu entwickeln, durchzuführen und zu evaluieren. Diese Netzwerke sind von besonderer Bedeutung in den Bereichen ! ! ! ! ! Frühe Förderung, Kindertagesbetreuung, Schnittstelle Schule – Kinder und Jugendhilfe, Jugendliche in belastenden Lebenslagen, Kinder und Jugendliche mit Behinderung. ! Die Koordination ist Aufgabe des Kinder- und Jugendhilfesystems und muss finanziert sein ! In einem Bundesmodellverbund ist diese Netzwerkförderung anzuschieben und zu evaluieren. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Maßnahmen zur Herstellung von Befähigungsgerechtigkeit " Gesundheitsförderung als fachlicher Standard in der Jugendhilfe " Ausrichtung der Fördermaßnahmen an den spezifischen Bedürfnissen Heranwachsender ausrichten (von der Anbieter- zur Nutzerperspektive) " Orientierung an lebenslaufspezifischen Entwicklungsthemen " Frühe Förderung von Familien und Kindern nicht als soziale Kontrolle " Hilfsangebote für Kinder chronisch und psychisch kranker Eltern verbessern " Mehr Aufmerksamkeit für traumatisierte Kinder („Traumasensibilität“) " Verbindliche Netzwerke für die Kooperation von Jugendhilfe, Gesundheitssystem und Behindertenhilfe " Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Schule " Gezielte Unterstützung alleinstehender junger schwangeren Frauen " Die Verringerung ungleicher Gesundheitschancen als politische Zielvorgabe Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Herausforderungen I " " " " " 28.11.2011! Die 2008 von der Bundesregierung vorgelegte „Strategie zur Förderung der Kindergesundheit“ sollte unter Einbeziehung der Empfehlungen des 13. KJB weiterentwickelt werden. Wir brauchen dringend ein Präventionsgesetz, besser noch ein Gesundheitsförderungsgesetz. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung muss intensiviert werden. Hier ist ein besonders dringlicher Ansatz für Gesundheitsförderung und gesundheitsbezogene Prävention (z.B. durch eine Kindergrundsicherung). In den Feldern der Jugendhilfe bedeutet Inklusion geschlechts-, herkunfts- und migrationssensibel zu arbeiten. Der Kinderschutz muss mit einer umfassenden Förderperspektive der frühen Entwicklungspotentiale verbunden werden. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Von der (Un-)Möglichkeit erwachsen zu werden Herausforderungen II " " " Da die gesundheitsrelevanten Belastungswerte im Schulalter besonders dramatisch sind, müssen gesundheitsförderliche Kooperationen der Kinder- und Jugendhilfe mit der Schule strukturell verbessert werden. Die gesellschaftliche und politische Ignoranz gegenüber den zunehmenden psychosozialen Problemen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss überwunden werden. Die Förderung verbindlicher kooperativer Netzwerkstrukturen zwischen den Systemen der Jugend-, Gesundheits- und Eingliederungshilfe bedürfen einer strukturellen Absicherung und Förderung. 28.11.2011! Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie «