Einführung in die genomische Medizin

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Einführung in die
genomische Medizin
Thomas D. Szucs
Universität Basel & Klinik Hirslanden
Übersicht
 Molekular-genetische



Grundlagen
Potential der
genomischen Medizin
Herausforderungen und
Einschränkungen
Rechtliche und ethische
Aspekte
2
Einstieg in das Thema
3
Hippokrates
(466-377 v. Chr.)
„Es ist wichtiger zu
wissen, welche
Person eine Krankheit
hat, als zu wissen,
welche Krankheit eine
Person hat.“
4
Akzeptieren der Variabiliät
„Variability is the law of
life, and as no two faces
are the same, so no two
bodies are alike, and no
two individuals react
alike and behave alike
under the abnormal
conditions which we
know as disease.“
- William Osler
1865: Gregor Mendel
6
1909: Archibald Garrod
7
1953: Watson & Crick entdecken
die Doppelhelix
88
1968: Nobel Preis für Nirenberg für die
Entdeckung des genetischen Codes
9
2003: Human Genom Projekt beendet
Weitere genomische Highlights
2013
2014
2015
11
Genomik trifft klinische Praxis
 Neue genetische Tests werden im KVG



aufgenommen
Patient fragt wegen Gentest über welchen die
Medien berichten
Patient kommt mit Internet DNA Testergebnisse in
die Praxis
Besuch einer Fortbildung – umfangreiche
Information über molekulare Mechanismen
12
KLINISCHE
FALLBEISPIELE
13
Fall W.S.
 19-j. junge Frau
 Keine Vorerkrankungen
 Kommt in Notfallstation mit
Atemnot und raschem,
unregelmässigem Puls
(110/min)
 Blutdruck 100/60 mmHG
 Auf Notfallstation plötzlich
rasante Kopfschmerzen mit
plötzlichen Sprachstörungen
 Herzstillstand und
Reanimation
14
Fall W.S. Teil 2
Was geht hier vor?
15
Fall H.A. Teil 1
 65-jähriger Mann
 Koronare Herzkrankheit
 Verschlechterung und


Notwendigkeit einer
Herzkathetheruntersuchung
4-fache Stents
Plavix 75 mg pro Tag zur
Hemmung eines
Verschlusses
16
Fall H.A. Teil 2
 Nach 30 Tage



Wiedereinweisung bei
starken
Brustschmerzen
2. Herzkatheteruntersuchung
Massiver
Stentverschluss
Bypassoperation
notwendig
Was geht hier vor?
17
Fall R.H. Teil 1




40-jähriger Mann
Neue Diagnose HIV
Erhält Triple Therapie
Wechsel einer Komponente
neu auf Abacavir
 Innerhalb von 6 h nach
Einnahme schwerste
allergische Reaktion an
Haut und Leber
 Folge: musste Medikament
absetzen; Aufflackern der
Infektion; Tod durch
Pilzinfektion
Was geht hier vor?
18
Auflösung der 3 Fälle
Frau W.S.: angeborener Defekt der Blut Gerinnung = Faktor V
Leiden Mutation/APC Resistenz (erhöhtes Thrombose-Risiko)
Erhöhtes Risiko: 3 -5 % der Patienten
Herr H.A.: vererbte Resistenz gegenüber Clopidogrel
(Medikament wirkt nicht)
Erhöhtes Risiko: 20 – 30 % der Patienten
Herr R.H.: genetische-bedingte Unverträglichkeit gegenüber
Abacavir (Medikament führt zu schwerster Nebenwirkung)
Erhöhtes Risiko: 5-7 % der Patienten
19
Übersicht
 Molekular-genetische



Grundlagen
Potential der
genomischen Medizin
Herausforderungen und
Einschränkungen
Rechtliche und ethische
Aspekte
20
DNA = genomische Blaupause






3 Mia Basenpaare
46 Chromosomen
30‘000 Gene in 2 Kopien
2-3 Mio Unterschiede
zwischen individuellen
Genomen
300 Mia
Zellteilungen/Tag
40‘000 Schäden pro
Zelle/Tag
21
Zentrales Dogma der Molekularbiologie
DNA
Transkription
RNA
Translation
Protein
22
Entkräften des zentrales Dogmas
der Molekularbiologie
DNA
Transkription
RNA
Translation
Protein
Reverse
Transkriptase
Entkräftet durch
David Baltimore (1975):
Entdeckung der reversen Transkriptase
23
Spontane DNA Schäden
(„decay“/“Zerfall“)
Schadenstyp
Einzelstrangbrüche
Depurinierung
Deaminierung
Oxidation
Alkylierung
Vernetzungen
Doppelstrangbrüche
Tainer JA 2005
Häufigkeit/Tag/Zelle
50‘000
10‘000
600
2‘000
5‘000
10
10
24
DNA – ein Wundermolekül
25
1 g DNA kann mindestens 5.5
Petabytes speichern (= 700 TByte)*
George Church speicherte:




Martin Luther King Jr.'s "I Have a
Dream" Rede
Ein Photo
Kopie des Papers von Francis
Crick und James Watson
„Double Helix“ von 1953
Alle 154 Shakespeare Sonetten
 Daten konnten mit 99.99%
Genauigkeit zurückgelesen
werden
*3.7 mio DVDs
26
Chromosom
27
Genkarten (gene mapping)
 Genetische Karten
 Physikalische Karten
28
Dimensionen von Basenpaaren
Burj Khalifa Dubai
ca. 1.8 km
ca. 200'000 km
ca. 400'000 km
Mond
1m
1m
Genom Grösse des
Menschen (3.27*109 bp)
Grösse eines Gens beim
Menschen (30'000 bp)
29
Der genetische Code
Aminosäuren
Eiweisse
Signale
30
Merksätze für Stopcodons
 UGA - U („you“) Go
Away
 UAA – U Are Away
 UAG – U Are Gone
31
Was ist ein Gen?
 Genom
Gesamtheit des genetischen Materials (24 Chromosomen und
mitochondriale DNA)
 Gen
Funktionelle Einheit im Genom, welche die Information für ein
bestimmtes Genprodukt (Polypetid, RNA) enthält.
 RNA Gen
Gen, dessen Transkript nicht zur Synthese eines Proteins
dient, sondern als nichtkodierende RNA (ncRNA) andere (oft
regulatorische) Funktionen erfüllt
 Pseudogen
DNA Sequenzen, die all Charakteristika einer potentiell
kodierenden Transkriptionseinheit aufweisen, aber kein
funktionelles Protein kodieren
32
Was ist relevanter: Translation
oder Transkription?
Li JJ 2015, Li JJ 2014, Jovanovic M 2015, Battle A 2015
33
Anatomie eines Proteinkodierenden Gens
I = Intron
E = Exon
34
Einige wichtige Begriffe
 Allel
Bezeichnet eine mögliche Zustandsform eines Gens, das sich
an einem bestimmten Ort (Locus) auf einem Chromosom
befindet.
 Haplotyp
Eine Variante einer Nukleotidsequenz auf ein und demselben
Chromosom im Genom
 Abgrenzung zum Genotyp



Besitzt ein diploider Organismus bezüglich zweier Gene A
und B den Genotyp AaBb, so können dem die Haplotypen
AB|ab oder Ab|aB zugrunde liegen.
Im ersteren Fall besitzt ein Chromosom die Allele A und B,
das andere a und b.
Im letzteren Fall besitzt ein Chromosom die Allele A und b,
das andere a und B.
35
Alternatives Splicing
36
Horizontaler Gentransfer (HGT) im
humanen Genom
145 Gene
aus einfachen
Organismen
17 durch
HGT
Mechanismen:
• Aufnahme nackter DNA (Transformation)
• Transfer via Plamide (Konjugation)
• Transfer via Viren (Transduktion)
37
Unterschied zwischen 2 Individuen
Δ = 0.4%
24 mio Basenpaare
38
Genomische Variation
Es gibt keine
„normale“ humane
Genomsequenz
* Normal-/Wild-Typ = häufigste Variante
Wir sind
alle
Mutanten
39
Genomische Variation
Ursachen
PunktMutationen
Insertionen und
Deletionen
Strukturelle
ReArrangements
40
Was ist eine Mutation?
Mutationen sind vererbbare Veränderungen des
Erbgutes
 Somatische Mutationen
 Treten plötzlich und ohne erkennbare Ursachen auf
 Nur in einer oder einer begrenzten Anzahl von
Körperzellen
 Werden nicht innerhalb einer Familie vererbt
 Keimbahn Mutationen
 Liegen in allen Körperzellen vor
 Werden innerhalb einer Familie vererbt
41
Mutationsrate
Average mutation rate is estimated to be
≈ 2.5 x 108 mutations per nucleotide site
or 175 mutations per diploid genome per
generation.
42
Zum Verständnis einer Mutation
ICH HAB MUT UND DAS IST GUT
Mis-sense Mutation Veränderung einer Aminosäure
ICH HAB GUT UND DAS IST GUT
Non-sense Mutation (Abbruch)
ICH HAB MUT UND DAS IST XXX
Frameshift Mutation (z.B. Insertion einer Base)
ICH HAB MUU TUN DDA SIS TGU
In-frame Mutation (z.B. Deletion von 3 Nukleotiden)
ICH HAB MUT ... DAS IST GUT
43
Punktmutationen -1
Normale Sequenz
Stille Mutation
Konservative missense Mutation
44
Punktmutationen - 2
Nicht-konservative missense Mutation
Nonsense Mutation
Leseraster-Verschiebungs Mutation
45
Veränderungen eines einzelnen
Basenpaars
Beispiel: Sichelzellanämie,
AT im β-Hämoglobin Gen
46
Insertionen und Deletionen
Beispiel: Zystische Fibrose, Deletion 3 Basenpaare,
CTT, im humanen CTFR Gen
Beispiel: okulokutaner Albinismus, Insertion eines
Basen-paares, TA
47
Mutation Nomenklatur
 Mutationen: Human Genome Variation Society www.hgvs.org
 Gene: Human Genome Nomenclature Committee (kursiv)
 Ebene der Mutation:





Genom: g.
Kodierende Sequenz: c.
Mitochondriale Sequenz: m.
RNA Sequenz: r.
Protein Sequenz: p.
 DNA sollte die Referenzsequenz Datenbank berücksichtigen
(www.ncbi.nlm.nih.gov/RefSeq)
 DNS: Nukleotide in Grossbuchstaben
 RNA: Nukleotide in Kleinbuchstaben
 Proteine: 3-Buchstaben Abkürzung der Aminosäuren
48
Mutation Nomenklatur - 2
Zeichen Variation
Beispiel
Erklärung
>
Substitution in DNA
g.1346A>C
del
Deletion
Austausch von A nach C an der
Position 1346 in der
genomischen Sequenz
dup
Duplikation
c.745delT
ins
Insertion
inv
Inversion
Deletion von T an der Position
745 in der kodierenden
Sequenz
g.1567_1568delAT
Deletion von AT an den
Positionen 1567-1568 in der
genomischen Sequenz
c.145+1T
Wechsel des Splice Donors
(erste Position des Introns
nach der Base 145 des
vorangehenden Exons) nach T
p.Arg54Gly
Austausch des Arginin im
Codon 54 mit Glycin
SNP Nomenklatur
Beispiel
 VKORC1 1173 C>T
 ABCB1 3435 C>T
Erklärung
 Erste Buchstaben = Name des Gens (e.g. VKORC1, ABCB1)
 Nummern nach Gen (e.g. 1173, 3435) = Position des Nukleotids
im Gen
 Erster Buchstabe (e.g. C) = Wild-Type (normal) Nukleotid
 Zweiter Buchstabe (e.g. T) = Verändertes Nukleotid (i.e. SNP)
50
Einteilung von Mutationen
 Somatische Mutation




Tritt nach Konzeption in einer Körperzelle auf.
Kann zur Krankheits-Entstehung beitragen
Nicht von den Eltern geerbt
Wird nicht weitervererbt
 Keimzellmutation




Nach der Konzeption in der Keimbahn entstanden
Nicht von den Eltern gerbt
Verursacht in der Regel keine klinischen Symptome
Kann an Kinder weitervererbt werden
 Konstitutionelle Mutation



Von Eltern vererbt
Liegt in allen Zellen vor
Wird weitervererbt
51
Mutation oder Polymorphismus?
Mutation
 Sowohl das konkrete

Ereignis einer
genetischen
Veränderung, als auch
das Produkt einer
solchen Veränderung
Klinisch oft als
Variante bezeichnet
Polymorphismus
 Sowohl häufige

Varianten, als auch
Varianten ohne
klinische Bedeutung
bezeichnet
In der Regel > 1%
(minor allel frequency)
Kopienzahl Variation
Ca. 28‘000 pro Genom
53
Genvariationen und Nukleotide
Molekulargenetische
Veränderungen
Zytogenetische
Veränderungen
54
Strukturelle chromosomale
Rearrangements
Beispiel: chronisch myeloische Leukämie, Translokation von
Chromosomen 9 und 22 , BCR-ABL Genfusion
55
Tautomerisation
G-C



A-C
Nukleinbasen können in 2 Strukturformen
vorkommen, Guanin und Thymin in der
häufigeren Keto- oder der selteneren
Enolform, Adenin und Cytosin in Amino- und
Imino-Form.
Mit der Enol-Form von Guanin paart sich
aber nicht Cytosin sondern Thymin,
entsprechend paart sich Thymin mit Guanin,
Adenin mit Cytosin und Cytosin mit Adenin
Wird der Fehler vor der nächsten DNSReplikation nicht behoben, können die
Tochterzellen den Fehler als bleibende
Mutation übernehmen.
56
Chromosomenveränderungen
57
RNA Interferenz
58
Craig Mello (geb. 18.10.1960) und
Andrew Z. Fire (geb. 27.4.1961)
Nobel Prize 2006
"for their discovery of
RNA interference gene silencing by
double-stranded RNA"
Nature 1998; 391: 806
Drei Genetiken
Nukleäre DNA
Mitochondriale
DNA
Mikrobiom
60
Fragen?
61
Genetik und Krankheit
Chromosomenstörungen
Down Syndrom
Monogene
Erkrankungen
Bluterkrankheit
Multifaktorielle
Erkrankungen
Zuckerkrankheit
Liegt alles in den Genen? – Nein:
Epigenetik genauso wichtig!
Epigenetik
64
Epigenetik
Infektionen
Genom
Rauchen
Altern
Epigenom
Ernährung
Phänotyp
Schadstoffe
65
Ernährungs-Epigenetik
Man ist nicht nur was man isst,
sondern was die Ahnen gegessen haben
66
Verhaltens-Epigenetik
67
Träger monogener Erkrankungen
sind nicht so selten
Spinale
Muskelatrophie
1:35
Zystische Fibrose
1:40
Fragile X Syndrom
1:125
68
68
Genetische Häufigkeiten
Häufig (common)
>1:20
Selten
(low frequency)
1:1‘000 – 1:20
Sehr selten
(very rare)
< 1:1‘000
69
Genetische Varianten, welche die
Gesundheit beeinflussen
Varianten
Häufige Varianten
in einer
Bevölkerung
Seltene Varianten in
der Bevölkerung
Nur kleiner Effekt
auf die
Gesundheit
Dramatische
Zunahme einer
gesundheitlichen
Störung
Geringer
Nutzen
Hoher
Nutzen
MMWR 2013; 62: 817-819
Genotyp ≠ Phänotyp
 Träger einer Mendel‘schen Mutation in einer


Familie: Einige sind erkrankt, andere nicht
(Penetranz)
Individuen mit demselben Mendel‘schen Genotyp
zeigen unterschiedliche Ausprägung des
Phänotyps (Expressivität)
Ein Gen, mehrere Phänotypen (Pleiotropie)
71
Beispiel Pleiotropie
Α-Untereinheit des Voltage-gated
Natriumkanals (SCN5A)
Long QT Syndrom
Typ 3
Brugada Syndrom
(rechts präkardiale ST
Erhebung und
erhöhtes Risiko für
ventrikuläre
Arrythmien)
Wong 1995, Chen 1998, McNair 2004, Schott 1999
Cardiac conduction
system disease
Dilatative
Kardiomyopathie
72
Beispiel Expressivität
Marfan Syndrom
Skelett
Augen
Kardiovaskulär
73
Beispiel Penetranz
Stammbaum mit fam.
Hypercholesterinämie wegen
Punktmutation am LDL Rezeptor
(18 Heterozygote)
Hohes Cholesterin
12 Personen
Sehr niedriges
Cholesterin (<28.
Perzentile
6 Personen
Ursache: modifizierende Gene oder Umwelteinflüsse
Hobbs 1989
74
Genetische Epidemiologie
Studien
Hoch Risiko
Allele
Mittel Risiko
Allele
FamilienStudien mit
vielen Fällen
Auswahl von Fällen
auf Basis Familien
Anamnese
KopplungsAnalysen
(Linkage
Analysis)
Niedrig Risiko
Allele
Grosse
Populationsbasierte Studien
Assoziations
- Studien
75
Welche Gene interessieren?
Keimbahn Genome
Tumor Genome
Infektionserreger
Genome
Mikrobiome
76
Nicht jede Genvariante
macht krank
Penetranz
Jeder wird krank
Definitives
KrankheitsGen
Hochpenetrantes
Krankheits-Gen
Moderat penetrante
Gen-Variante
Schwach prädiktive Gen-Varianten
Die meisten werden
nicht krank
77
Erblichkeit (heritability)
Erblichkeit
Beispiele
Sehr hoch (>90%)
Bipolare Störungen
Autismus
Körperfettanteil
Fingerabdrücke
Idiopathische Epilepsie
Körpergrösse
Hoch (>65%)
Ankylosierende Spondylitis
Asthma
Body mass index
Kiefer-Lippen-Gaumenspalten
Pylorus Stenose
Schizophrenie
Spina Bifida
Mittlere
Alkoholismus
Blutdruck
Klumpfuss
IQ
Multiple Sklerose
Myokardinfarkt (Frauen)
Niedrig (<35%)
Myokardinfarkt (Männer)
Peptische Ulzera
Sehr niedrig (<10%)
Übertragbare Krankheiten
78
78
Durch GWAS erklärbare Erblichkeit
Erkrankung
Anzahl assoziierte
Loci
Erblichkeit durch Loci
erklärbar
Typ 2 Diabetes
76
10
Body Mass Index
36
10
Lipide
157
30
Brustkrebs
67
14
Körpergrösse
180
10
Typ 1 Diabetes
40
60
Rheumatoide Arthritis
48
51
Entzündliche
Darmkrankheiten (IBD)
163
14
Schizophrenie
108
3-7
Bipolare Störung
56
2
Visscher PM 2012, Milani L 2015
79
Definition Penetranz
 Hoch penetrant


Heterozygote Mutationen in einem Gen, die mit einer >
50%igen Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens zur
Erkrankung führen.
Moderat penetrant
Heterozygote Varianten in einem Gen, die mit einem
Wahrscheinlichkeit von ca. 25-50% im Laufe des Lebens
zur Erkrankung führen.
Niedrigrisiko Varianten
DNA-Polymorphismen, die heterozygot vorliegend mit
einer Wahrscheinlichkeit von unter 25% im Laufe des
Lebens zur Erkrankung führen (das HintergrundsErkrankungsrisiko von 10-12% wird meist nur um ca. 0,52,5% erhöht).
80
Genotypen und CFTRFunktionsstörung
81
DNA Triplets und neurologische
Erkrankungen
5’
(CGG) 10-50
5’
Fragile x
Syndrom
3’
M. Huntington
3’
(CAG)
5’
6-26
Myotonische
Dystrophie
3’
(CTG) 5-30
82
Interpretation von (CAG)n bei
Morbus Huntington
Anzahl
Interpretation Phänotyp
≤ 26
Normal
27 - 35
Normal, aber Risiko der Erkrankung beim
Nachwuchs
36 - 39
M. Huntington, aber mit geringer klinischer
Ausprägung
≥ 40
M. Huntington
Heterozygoten-Vorteil - Definition
Phänomen, dass Individuen, die von einem
Gen zwei verschiedene Versionen aufweisen,
einen besseren Fortpflanzungserfolg als
homozygote Träger haben
84
Heterozygoten-Vorteil
 Hämochromatose
(HFE) bei Wikingern
für kriegerischen
Blutverlust
 Sichelzellanämie
und Malaria
85
UNTERSUCHUNGSMETHODEN
86
Trotz molekularer Methoden ist die
Familienanamnese unersetzlich
87
Stammbaum europäischer
Fürstenhäuser mit Bluterkrankheit
Russische Zarenfamilie Romanow
(1913)
Zwillingsstudien
Wie findet man Krankheitsgene?
Genom-weite Linkage
Lokus Sequenzierung
Genom-weite Assoziation
Direkte Strategien
(Exom- oder Genomsequenzierung)
Lokus Sequenzierung
Kandidaten Gen
Genetische Replikation in
unabhängigen Stichproben
Funktionelle Validierung
In vitro, in vivo
91
92
Genetische Testung
Anwendungsgebiet
Diagnostisch
Friedreich‘sche
Ataxie
Prädiktiv, ohne
Behandlung
M. Huntington
Prädiktive, mit
Behandlung
Familiäre
adenomatöse
Polypose
(FAP)
Prädispositionell
BRCA1
Träger Testung
M. Tay-Sachs
Pränatal
Zystische
Fibrose
93
Ion Proton™ System
94
Ion Proton™ System
95
2 wichtige klinische Axiome vorweg
 Niemals Test bestellen, wenn man nicht weiss, was

man mit den Ergebnissen anfängt
Wenn man 20 Tests bestellt, jede mit einer Spezifität
von 95%, erhält man mindestens einen falschpositiven Befund
 Auch wenn die Sequenzierung 99.9999% akkurat ist,
wird eine volle diploide Sequenz mindestens 6‘000
Fehler aufweisen
96
Hypothese zur Erklärung von
komplexen, genetischen Erkrankungen
Monogen
Allel Penetranz
Hoch
Intermediär
Komplex
Niedrig
Selten
Allel
Frequenz
Häufig
Heute sind die intermediären Varianten wegen des Designs von
Assoziationsstudien nicht detektierbar. Künftig jedoch möglich durch WGS.
97
Problem von GWAS
 SNP’s detektieren nur kleine Effekte mit Odds




Ratios <5
SNP’s können surrogate Marker für Kontrollregionen
des Genoms sein (i.a.w. GWAS ist indirekter Ansatz)
Nur bekannte SNP’s werden getestet (WGS –>
unbiased Ansatz)
GWAS messen Gen-Gen-Interaktion sowie GenUmweltinteraktion nicht
Bisher fast alle Studien in Kaukasiern?
98
GWAS und Statistik
 P-Wert Threshold in


der Regel 5 x 10-8
Reflektiert
Zufallsergebnis 1:20
1 mio unabhängige
Tests
99
Multiples Testen
 Ein Seil hat 20 Knoten,



welche eine Reissfestigkeit von 95% haben
Frage: Wie gross ist das
Absturzrisiko?
Antwort: 64%
Formel: P = 1 – (1 – p)n
100
Genomische Untersuchungsmethoden
Methoden
KopplungsAnalyse
Seltene Varianten mit
grossem Effekt
GWAS
Häufige Varianten
WES
Seltene, neue oder de
novo Varianten
WGS
Häufige oder seltene
Varianten mit
mittelgrossen oder
grossen Effekten
101
Wichtige genomische Datenbanken
102
OMIM Phänotypen deren
molekulare Ursache bekannt ist
Vererbungsmuster
Autosomal
X-linked
Y-linked
Mitochondrial
Total
Koboldt DC 2013
Januar 2007
1851
169
2
26
2048
Juli 2013
3525
277
4
28
3848
103
103
Beispiel einer Sequenzanalyse
(Faktor VIII Gen)
Mutter:
CAA
Sohn:
TAA
(Stop codon)
104
Befunde von Sequenzanalysen
fallen in eine der 3 Kategorien
Befund
Auffällig
Unauffällig
Unklar (VUS)
105
Fragen?
106
Übersicht
 Molekular-genetische



Grundlagen
Potential der
genomischen Medizin
Herausforderungen und
Einschränkungen
Rechtliche und ethische
Aspekte
107
Warum war bisher die Diffusion der
genomischen Technologien langsam?
 Kosten
 Qualität
 Geschwindigkeit
 Miniaturisierung
108
Repositionierungen: Labor =
Computer (in silico)
109
Unsere Riesenchance
Elite controllers
Super heroes
Exceptional responders
110
Herzkrankheit und APOC3 Genotyp
(Heterozygot für R19X, IVS2+1GA oder A43T)
 Ca.5% der Amish in Pennsylvania


haben seltene genetische Mutation
die sie weniger anfällig für
Herzkreislaufkrankheiten machen
5% haben keine zweite Kopie eines
Gens welches den Abbau von
gefährlichen Fetten und
Triglyzeriden hemmt
Forscher erhoffen sich daraus ,
111
gezielte Therapieansätze
Integrierter Prozess der
Translation genomischer Medizin
Biobank
Profilierung
Funktionelle
Genomik
Validierung
Translation
Experimentelle
Medizin/
klinische
Forschung
112
Übersicht
 Molekular-genetische



Grundlagen
Potential der
genomischen Medizin
Herausforderungen und
Einschränkungen
Rechtliche und ethische
Aspekte
113
Checkliste Gentests: Welche
Fragen muss man sich stellen?
Fragen, die vor der Entscheidung für einen Gentest
geklärt werden müssen:
 Welches Erkrankungsrisiko ist mit einer Genmutation








verbunden?
Wer in der Familie sollte zuerst getestet werden?
Welches sind die möglichen Resultate eines Gentestes?
Welche Bedeutung haben die Resultate für das Individiuum
und Familie?
Was sind die Grenzen dieses Gentestes?
Welches sind die möglichen Vorteile dieses Gentestes?
Welches sind die möglichen Risiken dieses Gentestes?
Was muss vor einem Gentest noch unternommen werden?
Welches sind die Möglichkeiten, das Erkrankungsrisiko zu
reduzieren im Falle eines positiven Testresultates?
114
Genomische Testung ist komplexer
 Nicht notwendigerweise



Normalwerte
Einsatz für multiple
Fragestellungen
Benötigt zusätzliche
Unterstützung
(genetische Beratung)
Technologie
kontinuierlich in
Entwicklung
115
Indikation von klinischer Genomund Exom-Sequenzierung (KG)
 Seltene Varianten
 Phänotypen die mit


Verdacht auf
monogene
Generkrankung
Nach Ausschluss
bekannter monogener
Kandidaten
Häufig bei Kindern
116
Übersicht
 Molekular-genetische



Grundlagen
Potential der
genomischen Medizin
Herausforderungen und
Einschränkungen
Rechtliche und ethische
Aspekte
117
ELSI + genetische Testung
DNA Test
Somatische
Zelle
Keimbahn
Diagnostik
Keimbahn
Screening
Keimbahn
Prädiktion
niedrig
ELSI Implikation
hoch
118
Ethische Problemfelder bei der
Generierung genetischer Daten
119
Ethische Anforderungen an die
genetische Diagnostik
Nach Beauchamp & Childless
120
Umgang mit dem Inzidentalom
121
Genes with actionable variants
Dorschner MO 2013
122
Was geben die „1000 Exome“ her?
These data can provide an estimate of the frequency (~3.4% for European descent and ~1.2% for African descent) of the high-penetrance
actionable pathogenic or likely pathogenic variants in adults.
Folgende Inzidentalome sollten kommuniziert
werden
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Hereditary breast and ovarian cancer
Li–Fraumeni syndrome
Peutz-Jeghers Syndrome
Lynch syndrome
Familial adenomatous polyposis
MYH-associated polyposis;
adenomas, multiple colorectal,
FAP type 2; colorectal adenomatous
polyposis, autosomal recessive, with
pilomatricomas
Von Hippel–Lindau syndrome
Multiple endocrine neoplasia type 1
Multiple endocrine neoplasia type 2
Familial medullary thyroid cancer
PTEN hamartoma tumor syndrome
Retinoblastoma
Hereditary paraganglioma–
pheochromocytoma syndrome
Green RC, Genet Med 2013
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Tuberous sclerosis complex
WT1-related Wilms tumor
Neurofibromatosis type 2
Ehlers–Danlos syndrome, vascular
type
Marfan syndrome, Loeys–Dietz
syndromes, and familial thoracic
aortic aneurysms and dissections
Hypertrophic cardiomyopathy, dilated
cardiomyopathy
Catecholaminergic polymorphic
ventricular tachycardia
Arrhythmogenic right-ventricular
cardiomyopathy
Romano–Ward long QT syndrome
192500 types 1, 2, and 3, Brugada
613688 syndrome
Familial hypercholesterolemia
Malignant hyperthermia 145600
susceptibility
Regulatorische Widersprüche
„Es gibt ein wichtiges Gen“
„Der Gentest wird nicht erstattet“
125
Regulatorische Inkongruenz: Potentielle
Haftpflichfolgen (Beispiel Lapatinib)
Bei Trägerinnen der HLA-Allele DQA1*02:01 und DRB1*07:01 besteht ein erhöhtes
Risiko Lapatinib-assoziierter Hepatotoxizität.
In einer gross angelegten, randomisierten klinischen Studie zur LapatinibMonotherapie (n= 1'194) lag das Gesamtrisiko hochgradiger Leberschäden bei 2%
(1:50); bei Trägerinnen der Allele DQA1*02:01 und DRB1*07:01 betrug das Risiko 8%
(1:12) und bei Nicht-Trägerinnen 0,5% (1:200).
Bei kaukasischen, asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Populationen
treten die HLA-Risikoallele häufig auf (15 bis 25%), bei japanischen Populationen
dagegen seltener (1%).
Präemptive HLA Testung nicht erstattet
Konsequenz: Verantwortung beim Arzt, nicht beim Hersteller
126
126
CRISPR Revolution
NATURE, 26.3.2015
SCIENCE, 19.3.2015
127
Patentrechtliche Aspekte
 Was ist


patentierbar?
Wer hält die
Rechte?
Forschungsprivileg?
128
Ärztliches Haftungsrecht
 Patient kommt
zum Arzt mit
genetischen
Informationen/
Analysen
 Fragen:
 Haftung
 Kein Recht auf
Nicht-Wissen
129
Wer soll Gentests in Auftrag geben?
Mediziner UND/ODER Laien?
130
Gentestung – Die „neue Normalität“
132
Länder mit nationalen Genomstrategien
(public health genomics)
133
Gesundheit 2020 (Wo sind die Gene?)
Bei den Handlungsspielräumen
und Entscheidungskompetenzen
in verschiedenen Bereichen (etwa
der Fortpflanzungsmedizin oder
der Genetik) ist auf eine
ausgewogene Balance zwischen
öffentlichen Interessen und
individuellen Rechten zu achten.
134
Das gesamte Land sequenziert
135
GENOMISCHE MEDIZIN UND
ASSEKURANZ
– STRATEGISCHE IMPLIKATIONEN
Fragen?
137
Kontakte
Prof. Dr. med. Thomas D. Szucs
Institut für Pharmazeutische Medizin
Universität Basel
Klingelbergstrasse 61
CH-4056 Basel
T +41 61 267 19 50
E [email protected]
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