Einführung in die genomische Medizin Thomas D. Szucs Universität Basel & Klinik Hirslanden Übersicht Molekular-genetische Grundlagen Potential der genomischen Medizin Herausforderungen und Einschränkungen Rechtliche und ethische Aspekte 2 Einstieg in das Thema 3 Hippokrates (466-377 v. Chr.) „Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat.“ 4 Akzeptieren der Variabiliät „Variability is the law of life, and as no two faces are the same, so no two bodies are alike, and no two individuals react alike and behave alike under the abnormal conditions which we know as disease.“ - William Osler 1865: Gregor Mendel 6 1909: Archibald Garrod 7 1953: Watson & Crick entdecken die Doppelhelix 88 1968: Nobel Preis für Nirenberg für die Entdeckung des genetischen Codes 9 2003: Human Genom Projekt beendet Weitere genomische Highlights 2013 2014 2015 11 Genomik trifft klinische Praxis Neue genetische Tests werden im KVG aufgenommen Patient fragt wegen Gentest über welchen die Medien berichten Patient kommt mit Internet DNA Testergebnisse in die Praxis Besuch einer Fortbildung – umfangreiche Information über molekulare Mechanismen 12 KLINISCHE FALLBEISPIELE 13 Fall W.S. 19-j. junge Frau Keine Vorerkrankungen Kommt in Notfallstation mit Atemnot und raschem, unregelmässigem Puls (110/min) Blutdruck 100/60 mmHG Auf Notfallstation plötzlich rasante Kopfschmerzen mit plötzlichen Sprachstörungen Herzstillstand und Reanimation 14 Fall W.S. Teil 2 Was geht hier vor? 15 Fall H.A. Teil 1 65-jähriger Mann Koronare Herzkrankheit Verschlechterung und Notwendigkeit einer Herzkathetheruntersuchung 4-fache Stents Plavix 75 mg pro Tag zur Hemmung eines Verschlusses 16 Fall H.A. Teil 2 Nach 30 Tage Wiedereinweisung bei starken Brustschmerzen 2. Herzkatheteruntersuchung Massiver Stentverschluss Bypassoperation notwendig Was geht hier vor? 17 Fall R.H. Teil 1 40-jähriger Mann Neue Diagnose HIV Erhält Triple Therapie Wechsel einer Komponente neu auf Abacavir Innerhalb von 6 h nach Einnahme schwerste allergische Reaktion an Haut und Leber Folge: musste Medikament absetzen; Aufflackern der Infektion; Tod durch Pilzinfektion Was geht hier vor? 18 Auflösung der 3 Fälle Frau W.S.: angeborener Defekt der Blut Gerinnung = Faktor V Leiden Mutation/APC Resistenz (erhöhtes Thrombose-Risiko) Erhöhtes Risiko: 3 -5 % der Patienten Herr H.A.: vererbte Resistenz gegenüber Clopidogrel (Medikament wirkt nicht) Erhöhtes Risiko: 20 – 30 % der Patienten Herr R.H.: genetische-bedingte Unverträglichkeit gegenüber Abacavir (Medikament führt zu schwerster Nebenwirkung) Erhöhtes Risiko: 5-7 % der Patienten 19 Übersicht Molekular-genetische Grundlagen Potential der genomischen Medizin Herausforderungen und Einschränkungen Rechtliche und ethische Aspekte 20 DNA = genomische Blaupause 3 Mia Basenpaare 46 Chromosomen 30‘000 Gene in 2 Kopien 2-3 Mio Unterschiede zwischen individuellen Genomen 300 Mia Zellteilungen/Tag 40‘000 Schäden pro Zelle/Tag 21 Zentrales Dogma der Molekularbiologie DNA Transkription RNA Translation Protein 22 Entkräften des zentrales Dogmas der Molekularbiologie DNA Transkription RNA Translation Protein Reverse Transkriptase Entkräftet durch David Baltimore (1975): Entdeckung der reversen Transkriptase 23 Spontane DNA Schäden („decay“/“Zerfall“) Schadenstyp Einzelstrangbrüche Depurinierung Deaminierung Oxidation Alkylierung Vernetzungen Doppelstrangbrüche Tainer JA 2005 Häufigkeit/Tag/Zelle 50‘000 10‘000 600 2‘000 5‘000 10 10 24 DNA – ein Wundermolekül 25 1 g DNA kann mindestens 5.5 Petabytes speichern (= 700 TByte)* George Church speicherte: Martin Luther King Jr.'s "I Have a Dream" Rede Ein Photo Kopie des Papers von Francis Crick und James Watson „Double Helix“ von 1953 Alle 154 Shakespeare Sonetten Daten konnten mit 99.99% Genauigkeit zurückgelesen werden *3.7 mio DVDs 26 Chromosom 27 Genkarten (gene mapping) Genetische Karten Physikalische Karten 28 Dimensionen von Basenpaaren Burj Khalifa Dubai ca. 1.8 km ca. 200'000 km ca. 400'000 km Mond 1m 1m Genom Grösse des Menschen (3.27*109 bp) Grösse eines Gens beim Menschen (30'000 bp) 29 Der genetische Code Aminosäuren Eiweisse Signale 30 Merksätze für Stopcodons UGA - U („you“) Go Away UAA – U Are Away UAG – U Are Gone 31 Was ist ein Gen? Genom Gesamtheit des genetischen Materials (24 Chromosomen und mitochondriale DNA) Gen Funktionelle Einheit im Genom, welche die Information für ein bestimmtes Genprodukt (Polypetid, RNA) enthält. RNA Gen Gen, dessen Transkript nicht zur Synthese eines Proteins dient, sondern als nichtkodierende RNA (ncRNA) andere (oft regulatorische) Funktionen erfüllt Pseudogen DNA Sequenzen, die all Charakteristika einer potentiell kodierenden Transkriptionseinheit aufweisen, aber kein funktionelles Protein kodieren 32 Was ist relevanter: Translation oder Transkription? Li JJ 2015, Li JJ 2014, Jovanovic M 2015, Battle A 2015 33 Anatomie eines Proteinkodierenden Gens I = Intron E = Exon 34 Einige wichtige Begriffe Allel Bezeichnet eine mögliche Zustandsform eines Gens, das sich an einem bestimmten Ort (Locus) auf einem Chromosom befindet. Haplotyp Eine Variante einer Nukleotidsequenz auf ein und demselben Chromosom im Genom Abgrenzung zum Genotyp Besitzt ein diploider Organismus bezüglich zweier Gene A und B den Genotyp AaBb, so können dem die Haplotypen AB|ab oder Ab|aB zugrunde liegen. Im ersteren Fall besitzt ein Chromosom die Allele A und B, das andere a und b. Im letzteren Fall besitzt ein Chromosom die Allele A und b, das andere a und B. 35 Alternatives Splicing 36 Horizontaler Gentransfer (HGT) im humanen Genom 145 Gene aus einfachen Organismen 17 durch HGT Mechanismen: • Aufnahme nackter DNA (Transformation) • Transfer via Plamide (Konjugation) • Transfer via Viren (Transduktion) 37 Unterschied zwischen 2 Individuen Δ = 0.4% 24 mio Basenpaare 38 Genomische Variation Es gibt keine „normale“ humane Genomsequenz * Normal-/Wild-Typ = häufigste Variante Wir sind alle Mutanten 39 Genomische Variation Ursachen PunktMutationen Insertionen und Deletionen Strukturelle ReArrangements 40 Was ist eine Mutation? Mutationen sind vererbbare Veränderungen des Erbgutes Somatische Mutationen Treten plötzlich und ohne erkennbare Ursachen auf Nur in einer oder einer begrenzten Anzahl von Körperzellen Werden nicht innerhalb einer Familie vererbt Keimbahn Mutationen Liegen in allen Körperzellen vor Werden innerhalb einer Familie vererbt 41 Mutationsrate Average mutation rate is estimated to be ≈ 2.5 x 108 mutations per nucleotide site or 175 mutations per diploid genome per generation. 42 Zum Verständnis einer Mutation ICH HAB MUT UND DAS IST GUT Mis-sense Mutation Veränderung einer Aminosäure ICH HAB GUT UND DAS IST GUT Non-sense Mutation (Abbruch) ICH HAB MUT UND DAS IST XXX Frameshift Mutation (z.B. Insertion einer Base) ICH HAB MUU TUN DDA SIS TGU In-frame Mutation (z.B. Deletion von 3 Nukleotiden) ICH HAB MUT ... DAS IST GUT 43 Punktmutationen -1 Normale Sequenz Stille Mutation Konservative missense Mutation 44 Punktmutationen - 2 Nicht-konservative missense Mutation Nonsense Mutation Leseraster-Verschiebungs Mutation 45 Veränderungen eines einzelnen Basenpaars Beispiel: Sichelzellanämie, AT im β-Hämoglobin Gen 46 Insertionen und Deletionen Beispiel: Zystische Fibrose, Deletion 3 Basenpaare, CTT, im humanen CTFR Gen Beispiel: okulokutaner Albinismus, Insertion eines Basen-paares, TA 47 Mutation Nomenklatur Mutationen: Human Genome Variation Society www.hgvs.org Gene: Human Genome Nomenclature Committee (kursiv) Ebene der Mutation: Genom: g. Kodierende Sequenz: c. Mitochondriale Sequenz: m. RNA Sequenz: r. Protein Sequenz: p. DNA sollte die Referenzsequenz Datenbank berücksichtigen (www.ncbi.nlm.nih.gov/RefSeq) DNS: Nukleotide in Grossbuchstaben RNA: Nukleotide in Kleinbuchstaben Proteine: 3-Buchstaben Abkürzung der Aminosäuren 48 Mutation Nomenklatur - 2 Zeichen Variation Beispiel Erklärung > Substitution in DNA g.1346A>C del Deletion Austausch von A nach C an der Position 1346 in der genomischen Sequenz dup Duplikation c.745delT ins Insertion inv Inversion Deletion von T an der Position 745 in der kodierenden Sequenz g.1567_1568delAT Deletion von AT an den Positionen 1567-1568 in der genomischen Sequenz c.145+1T Wechsel des Splice Donors (erste Position des Introns nach der Base 145 des vorangehenden Exons) nach T p.Arg54Gly Austausch des Arginin im Codon 54 mit Glycin SNP Nomenklatur Beispiel VKORC1 1173 C>T ABCB1 3435 C>T Erklärung Erste Buchstaben = Name des Gens (e.g. VKORC1, ABCB1) Nummern nach Gen (e.g. 1173, 3435) = Position des Nukleotids im Gen Erster Buchstabe (e.g. C) = Wild-Type (normal) Nukleotid Zweiter Buchstabe (e.g. T) = Verändertes Nukleotid (i.e. SNP) 50 Einteilung von Mutationen Somatische Mutation Tritt nach Konzeption in einer Körperzelle auf. Kann zur Krankheits-Entstehung beitragen Nicht von den Eltern geerbt Wird nicht weitervererbt Keimzellmutation Nach der Konzeption in der Keimbahn entstanden Nicht von den Eltern gerbt Verursacht in der Regel keine klinischen Symptome Kann an Kinder weitervererbt werden Konstitutionelle Mutation Von Eltern vererbt Liegt in allen Zellen vor Wird weitervererbt 51 Mutation oder Polymorphismus? Mutation Sowohl das konkrete Ereignis einer genetischen Veränderung, als auch das Produkt einer solchen Veränderung Klinisch oft als Variante bezeichnet Polymorphismus Sowohl häufige Varianten, als auch Varianten ohne klinische Bedeutung bezeichnet In der Regel > 1% (minor allel frequency) Kopienzahl Variation Ca. 28‘000 pro Genom 53 Genvariationen und Nukleotide Molekulargenetische Veränderungen Zytogenetische Veränderungen 54 Strukturelle chromosomale Rearrangements Beispiel: chronisch myeloische Leukämie, Translokation von Chromosomen 9 und 22 , BCR-ABL Genfusion 55 Tautomerisation G-C A-C Nukleinbasen können in 2 Strukturformen vorkommen, Guanin und Thymin in der häufigeren Keto- oder der selteneren Enolform, Adenin und Cytosin in Amino- und Imino-Form. Mit der Enol-Form von Guanin paart sich aber nicht Cytosin sondern Thymin, entsprechend paart sich Thymin mit Guanin, Adenin mit Cytosin und Cytosin mit Adenin Wird der Fehler vor der nächsten DNSReplikation nicht behoben, können die Tochterzellen den Fehler als bleibende Mutation übernehmen. 56 Chromosomenveränderungen 57 RNA Interferenz 58 Craig Mello (geb. 18.10.1960) und Andrew Z. Fire (geb. 27.4.1961) Nobel Prize 2006 "for their discovery of RNA interference gene silencing by double-stranded RNA" Nature 1998; 391: 806 Drei Genetiken Nukleäre DNA Mitochondriale DNA Mikrobiom 60 Fragen? 61 Genetik und Krankheit Chromosomenstörungen Down Syndrom Monogene Erkrankungen Bluterkrankheit Multifaktorielle Erkrankungen Zuckerkrankheit Liegt alles in den Genen? – Nein: Epigenetik genauso wichtig! Epigenetik 64 Epigenetik Infektionen Genom Rauchen Altern Epigenom Ernährung Phänotyp Schadstoffe 65 Ernährungs-Epigenetik Man ist nicht nur was man isst, sondern was die Ahnen gegessen haben 66 Verhaltens-Epigenetik 67 Träger monogener Erkrankungen sind nicht so selten Spinale Muskelatrophie 1:35 Zystische Fibrose 1:40 Fragile X Syndrom 1:125 68 68 Genetische Häufigkeiten Häufig (common) >1:20 Selten (low frequency) 1:1‘000 – 1:20 Sehr selten (very rare) < 1:1‘000 69 Genetische Varianten, welche die Gesundheit beeinflussen Varianten Häufige Varianten in einer Bevölkerung Seltene Varianten in der Bevölkerung Nur kleiner Effekt auf die Gesundheit Dramatische Zunahme einer gesundheitlichen Störung Geringer Nutzen Hoher Nutzen MMWR 2013; 62: 817-819 Genotyp ≠ Phänotyp Träger einer Mendel‘schen Mutation in einer Familie: Einige sind erkrankt, andere nicht (Penetranz) Individuen mit demselben Mendel‘schen Genotyp zeigen unterschiedliche Ausprägung des Phänotyps (Expressivität) Ein Gen, mehrere Phänotypen (Pleiotropie) 71 Beispiel Pleiotropie Α-Untereinheit des Voltage-gated Natriumkanals (SCN5A) Long QT Syndrom Typ 3 Brugada Syndrom (rechts präkardiale ST Erhebung und erhöhtes Risiko für ventrikuläre Arrythmien) Wong 1995, Chen 1998, McNair 2004, Schott 1999 Cardiac conduction system disease Dilatative Kardiomyopathie 72 Beispiel Expressivität Marfan Syndrom Skelett Augen Kardiovaskulär 73 Beispiel Penetranz Stammbaum mit fam. Hypercholesterinämie wegen Punktmutation am LDL Rezeptor (18 Heterozygote) Hohes Cholesterin 12 Personen Sehr niedriges Cholesterin (<28. Perzentile 6 Personen Ursache: modifizierende Gene oder Umwelteinflüsse Hobbs 1989 74 Genetische Epidemiologie Studien Hoch Risiko Allele Mittel Risiko Allele FamilienStudien mit vielen Fällen Auswahl von Fällen auf Basis Familien Anamnese KopplungsAnalysen (Linkage Analysis) Niedrig Risiko Allele Grosse Populationsbasierte Studien Assoziations - Studien 75 Welche Gene interessieren? Keimbahn Genome Tumor Genome Infektionserreger Genome Mikrobiome 76 Nicht jede Genvariante macht krank Penetranz Jeder wird krank Definitives KrankheitsGen Hochpenetrantes Krankheits-Gen Moderat penetrante Gen-Variante Schwach prädiktive Gen-Varianten Die meisten werden nicht krank 77 Erblichkeit (heritability) Erblichkeit Beispiele Sehr hoch (>90%) Bipolare Störungen Autismus Körperfettanteil Fingerabdrücke Idiopathische Epilepsie Körpergrösse Hoch (>65%) Ankylosierende Spondylitis Asthma Body mass index Kiefer-Lippen-Gaumenspalten Pylorus Stenose Schizophrenie Spina Bifida Mittlere Alkoholismus Blutdruck Klumpfuss IQ Multiple Sklerose Myokardinfarkt (Frauen) Niedrig (<35%) Myokardinfarkt (Männer) Peptische Ulzera Sehr niedrig (<10%) Übertragbare Krankheiten 78 78 Durch GWAS erklärbare Erblichkeit Erkrankung Anzahl assoziierte Loci Erblichkeit durch Loci erklärbar Typ 2 Diabetes 76 10 Body Mass Index 36 10 Lipide 157 30 Brustkrebs 67 14 Körpergrösse 180 10 Typ 1 Diabetes 40 60 Rheumatoide Arthritis 48 51 Entzündliche Darmkrankheiten (IBD) 163 14 Schizophrenie 108 3-7 Bipolare Störung 56 2 Visscher PM 2012, Milani L 2015 79 Definition Penetranz Hoch penetrant Heterozygote Mutationen in einem Gen, die mit einer > 50%igen Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens zur Erkrankung führen. Moderat penetrant Heterozygote Varianten in einem Gen, die mit einem Wahrscheinlichkeit von ca. 25-50% im Laufe des Lebens zur Erkrankung führen. Niedrigrisiko Varianten DNA-Polymorphismen, die heterozygot vorliegend mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 25% im Laufe des Lebens zur Erkrankung führen (das HintergrundsErkrankungsrisiko von 10-12% wird meist nur um ca. 0,52,5% erhöht). 80 Genotypen und CFTRFunktionsstörung 81 DNA Triplets und neurologische Erkrankungen 5’ (CGG) 10-50 5’ Fragile x Syndrom 3’ M. Huntington 3’ (CAG) 5’ 6-26 Myotonische Dystrophie 3’ (CTG) 5-30 82 Interpretation von (CAG)n bei Morbus Huntington Anzahl Interpretation Phänotyp ≤ 26 Normal 27 - 35 Normal, aber Risiko der Erkrankung beim Nachwuchs 36 - 39 M. Huntington, aber mit geringer klinischer Ausprägung ≥ 40 M. Huntington Heterozygoten-Vorteil - Definition Phänomen, dass Individuen, die von einem Gen zwei verschiedene Versionen aufweisen, einen besseren Fortpflanzungserfolg als homozygote Träger haben 84 Heterozygoten-Vorteil Hämochromatose (HFE) bei Wikingern für kriegerischen Blutverlust Sichelzellanämie und Malaria 85 UNTERSUCHUNGSMETHODEN 86 Trotz molekularer Methoden ist die Familienanamnese unersetzlich 87 Stammbaum europäischer Fürstenhäuser mit Bluterkrankheit Russische Zarenfamilie Romanow (1913) Zwillingsstudien Wie findet man Krankheitsgene? Genom-weite Linkage Lokus Sequenzierung Genom-weite Assoziation Direkte Strategien (Exom- oder Genomsequenzierung) Lokus Sequenzierung Kandidaten Gen Genetische Replikation in unabhängigen Stichproben Funktionelle Validierung In vitro, in vivo 91 92 Genetische Testung Anwendungsgebiet Diagnostisch Friedreich‘sche Ataxie Prädiktiv, ohne Behandlung M. Huntington Prädiktive, mit Behandlung Familiäre adenomatöse Polypose (FAP) Prädispositionell BRCA1 Träger Testung M. Tay-Sachs Pränatal Zystische Fibrose 93 Ion Proton™ System 94 Ion Proton™ System 95 2 wichtige klinische Axiome vorweg Niemals Test bestellen, wenn man nicht weiss, was man mit den Ergebnissen anfängt Wenn man 20 Tests bestellt, jede mit einer Spezifität von 95%, erhält man mindestens einen falschpositiven Befund Auch wenn die Sequenzierung 99.9999% akkurat ist, wird eine volle diploide Sequenz mindestens 6‘000 Fehler aufweisen 96 Hypothese zur Erklärung von komplexen, genetischen Erkrankungen Monogen Allel Penetranz Hoch Intermediär Komplex Niedrig Selten Allel Frequenz Häufig Heute sind die intermediären Varianten wegen des Designs von Assoziationsstudien nicht detektierbar. Künftig jedoch möglich durch WGS. 97 Problem von GWAS SNP’s detektieren nur kleine Effekte mit Odds Ratios <5 SNP’s können surrogate Marker für Kontrollregionen des Genoms sein (i.a.w. GWAS ist indirekter Ansatz) Nur bekannte SNP’s werden getestet (WGS –> unbiased Ansatz) GWAS messen Gen-Gen-Interaktion sowie GenUmweltinteraktion nicht Bisher fast alle Studien in Kaukasiern? 98 GWAS und Statistik P-Wert Threshold in der Regel 5 x 10-8 Reflektiert Zufallsergebnis 1:20 1 mio unabhängige Tests 99 Multiples Testen Ein Seil hat 20 Knoten, welche eine Reissfestigkeit von 95% haben Frage: Wie gross ist das Absturzrisiko? Antwort: 64% Formel: P = 1 – (1 – p)n 100 Genomische Untersuchungsmethoden Methoden KopplungsAnalyse Seltene Varianten mit grossem Effekt GWAS Häufige Varianten WES Seltene, neue oder de novo Varianten WGS Häufige oder seltene Varianten mit mittelgrossen oder grossen Effekten 101 Wichtige genomische Datenbanken 102 OMIM Phänotypen deren molekulare Ursache bekannt ist Vererbungsmuster Autosomal X-linked Y-linked Mitochondrial Total Koboldt DC 2013 Januar 2007 1851 169 2 26 2048 Juli 2013 3525 277 4 28 3848 103 103 Beispiel einer Sequenzanalyse (Faktor VIII Gen) Mutter: CAA Sohn: TAA (Stop codon) 104 Befunde von Sequenzanalysen fallen in eine der 3 Kategorien Befund Auffällig Unauffällig Unklar (VUS) 105 Fragen? 106 Übersicht Molekular-genetische Grundlagen Potential der genomischen Medizin Herausforderungen und Einschränkungen Rechtliche und ethische Aspekte 107 Warum war bisher die Diffusion der genomischen Technologien langsam? Kosten Qualität Geschwindigkeit Miniaturisierung 108 Repositionierungen: Labor = Computer (in silico) 109 Unsere Riesenchance Elite controllers Super heroes Exceptional responders 110 Herzkrankheit und APOC3 Genotyp (Heterozygot für R19X, IVS2+1GA oder A43T) Ca.5% der Amish in Pennsylvania haben seltene genetische Mutation die sie weniger anfällig für Herzkreislaufkrankheiten machen 5% haben keine zweite Kopie eines Gens welches den Abbau von gefährlichen Fetten und Triglyzeriden hemmt Forscher erhoffen sich daraus , 111 gezielte Therapieansätze Integrierter Prozess der Translation genomischer Medizin Biobank Profilierung Funktionelle Genomik Validierung Translation Experimentelle Medizin/ klinische Forschung 112 Übersicht Molekular-genetische Grundlagen Potential der genomischen Medizin Herausforderungen und Einschränkungen Rechtliche und ethische Aspekte 113 Checkliste Gentests: Welche Fragen muss man sich stellen? Fragen, die vor der Entscheidung für einen Gentest geklärt werden müssen: Welches Erkrankungsrisiko ist mit einer Genmutation verbunden? Wer in der Familie sollte zuerst getestet werden? Welches sind die möglichen Resultate eines Gentestes? Welche Bedeutung haben die Resultate für das Individiuum und Familie? Was sind die Grenzen dieses Gentestes? Welches sind die möglichen Vorteile dieses Gentestes? Welches sind die möglichen Risiken dieses Gentestes? Was muss vor einem Gentest noch unternommen werden? Welches sind die Möglichkeiten, das Erkrankungsrisiko zu reduzieren im Falle eines positiven Testresultates? 114 Genomische Testung ist komplexer Nicht notwendigerweise Normalwerte Einsatz für multiple Fragestellungen Benötigt zusätzliche Unterstützung (genetische Beratung) Technologie kontinuierlich in Entwicklung 115 Indikation von klinischer Genomund Exom-Sequenzierung (KG) Seltene Varianten Phänotypen die mit Verdacht auf monogene Generkrankung Nach Ausschluss bekannter monogener Kandidaten Häufig bei Kindern 116 Übersicht Molekular-genetische Grundlagen Potential der genomischen Medizin Herausforderungen und Einschränkungen Rechtliche und ethische Aspekte 117 ELSI + genetische Testung DNA Test Somatische Zelle Keimbahn Diagnostik Keimbahn Screening Keimbahn Prädiktion niedrig ELSI Implikation hoch 118 Ethische Problemfelder bei der Generierung genetischer Daten 119 Ethische Anforderungen an die genetische Diagnostik Nach Beauchamp & Childless 120 Umgang mit dem Inzidentalom 121 Genes with actionable variants Dorschner MO 2013 122 Was geben die „1000 Exome“ her? These data can provide an estimate of the frequency (~3.4% for European descent and ~1.2% for African descent) of the high-penetrance actionable pathogenic or likely pathogenic variants in adults. Folgende Inzidentalome sollten kommuniziert werden Hereditary breast and ovarian cancer Li–Fraumeni syndrome Peutz-Jeghers Syndrome Lynch syndrome Familial adenomatous polyposis MYH-associated polyposis; adenomas, multiple colorectal, FAP type 2; colorectal adenomatous polyposis, autosomal recessive, with pilomatricomas Von Hippel–Lindau syndrome Multiple endocrine neoplasia type 1 Multiple endocrine neoplasia type 2 Familial medullary thyroid cancer PTEN hamartoma tumor syndrome Retinoblastoma Hereditary paraganglioma– pheochromocytoma syndrome Green RC, Genet Med 2013 Tuberous sclerosis complex WT1-related Wilms tumor Neurofibromatosis type 2 Ehlers–Danlos syndrome, vascular type Marfan syndrome, Loeys–Dietz syndromes, and familial thoracic aortic aneurysms and dissections Hypertrophic cardiomyopathy, dilated cardiomyopathy Catecholaminergic polymorphic ventricular tachycardia Arrhythmogenic right-ventricular cardiomyopathy Romano–Ward long QT syndrome 192500 types 1, 2, and 3, Brugada 613688 syndrome Familial hypercholesterolemia Malignant hyperthermia 145600 susceptibility Regulatorische Widersprüche „Es gibt ein wichtiges Gen“ „Der Gentest wird nicht erstattet“ 125 Regulatorische Inkongruenz: Potentielle Haftpflichfolgen (Beispiel Lapatinib) Bei Trägerinnen der HLA-Allele DQA1*02:01 und DRB1*07:01 besteht ein erhöhtes Risiko Lapatinib-assoziierter Hepatotoxizität. In einer gross angelegten, randomisierten klinischen Studie zur LapatinibMonotherapie (n= 1'194) lag das Gesamtrisiko hochgradiger Leberschäden bei 2% (1:50); bei Trägerinnen der Allele DQA1*02:01 und DRB1*07:01 betrug das Risiko 8% (1:12) und bei Nicht-Trägerinnen 0,5% (1:200). Bei kaukasischen, asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Populationen treten die HLA-Risikoallele häufig auf (15 bis 25%), bei japanischen Populationen dagegen seltener (1%). Präemptive HLA Testung nicht erstattet Konsequenz: Verantwortung beim Arzt, nicht beim Hersteller 126 126 CRISPR Revolution NATURE, 26.3.2015 SCIENCE, 19.3.2015 127 Patentrechtliche Aspekte Was ist patentierbar? Wer hält die Rechte? Forschungsprivileg? 128 Ärztliches Haftungsrecht Patient kommt zum Arzt mit genetischen Informationen/ Analysen Fragen: Haftung Kein Recht auf Nicht-Wissen 129 Wer soll Gentests in Auftrag geben? Mediziner UND/ODER Laien? 130 Gentestung – Die „neue Normalität“ 132 Länder mit nationalen Genomstrategien (public health genomics) 133 Gesundheit 2020 (Wo sind die Gene?) Bei den Handlungsspielräumen und Entscheidungskompetenzen in verschiedenen Bereichen (etwa der Fortpflanzungsmedizin oder der Genetik) ist auf eine ausgewogene Balance zwischen öffentlichen Interessen und individuellen Rechten zu achten. 134 Das gesamte Land sequenziert 135 GENOMISCHE MEDIZIN UND ASSEKURANZ – STRATEGISCHE IMPLIKATIONEN Fragen? 137 Kontakte Prof. Dr. med. Thomas D. Szucs Institut für Pharmazeutische Medizin Universität Basel Klingelbergstrasse 61 CH-4056 Basel T +41 61 267 19 50 E [email protected]