Was bringt vegane Ernährung?

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Petra Horat Gutmann, www.gesundheitsjournalistin.ch
Der folgende Artikel erschien in der Schweizer Zeitschrift GesundheitsNachrichten (www.gesundheits-nachrichten.ch, März 2015). Der leicht
aktualisierte Text wird aus Copyright-Gründen ohne Fotos abgebildet.
Was bringt vegane
Ernährung?
Leben ohne Fleisch, Käse, Honig & Co. ist angesagt,
nicht nur in Hollywood. Auch in Büchern, Zeitschriften und Talkshows ist Veganismus ein
Dauerthema. Doch was bringt vegane Ernährung
tatsächlich? Das Phänomen des «Peacefood» unter
die Lupe genommen.
Keine Butter, keine Milch, keine Eier, kein Käse, kein
Fleisch, kein Fisch, kein Honig, keine Daunendecken,
kein Leder! Für die meisten Bewohner der Schweiz
und der umliegenden Länder klingt der Aufruf zum
Verzicht auf die genannten Produkte so fremd und
unverständlich wie eine Unterhaltung auf Kisuaheli.
«Die Veganer, ein Haufen von Verrückten!», denkt sich
so mancher.
Doch selbst «eingefleischte» Karnivoren werden
nachdenklich, wenn die Veganer mit der Massentierhaltung eines ihrer Hauptargumente ins Feld führen:
Dass Nutztiere in fabrikähnlichen Hallen leben, dass sie
auf Hochleistung getrimmt und viel zu jung geschlachtet werden, das wollen die wenigsten Fleischesser,
Käsefreunde und Kuhmilchtrinker. Genauso wenig wie
die klimaschädigende Wirkung der intensiven Viehund Landwirtschaft. Kein Wunder wird die vegane
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Kost von ihren Anhängern selbstbewusst als
«Peacefood» bezeichnet.
Pudding-Veganer? Besser nicht .
Die Crux dabei: Die meisten Menschen im Westen
betrachten Fleisch, Milch, Käse & Co. als
unverzichtbare Quellen für Kraft und
Leistungsfähigkeit.
Sind sie das tatsächlich? Einer, der sich seit vielen
Jahren mit dieser Frage beschäftigt, ist Prof. Claus
Leitzmann. Der Ernährungsforscher und Experte für
Vollwertkost sagt: «Vegane Ernährung ist ausreichend,
wenn man eine vielseitige pflanzliche Kost verzehrt
und Vitamin B12 zu sich nimmt. Aus gesundheitlicher
Sicht sollte diese Ernährungsform jedoch nur von
Menschen mit guten Ernährungskenntnissen
praktiziert werden.»
Das bedeutet: Wer vegan leben und dabei gesund
und leistungsfähig bleiben will, darf sich nicht wie
ein «Pudding-Veganer» aufführen, der den Verzicht
auf tierische Produkte mit dem Verzehr rauer Mengen
Brot, Teigwaren und Süssigkeiten kompensiert.
Unter einer «vielseitigen pflanzlichen Ernährung»
verstehen Experten wie Claus Leitzmann vielmehr
den täglichen Verzehr von unterschiedlichem Gemüse,
Salat, Obst, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten,
Nüssen und Samen.
Schutz durch Pflanzenstoffe
Eine vollwertig-vegane Kost liefert denn auch deutlich
mehr Ballaststoffe, Kalium, Magnesium, Vitamin
C, Vitamin E, Folsäure sowie sekundäre Pflanzenstoffe
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als die Mischkost aus pflanzlichen und tierischen
Quellen. Auch der verschwindend geringe
Cholesteringehalt der veganen Ernährungsweise
fällt positiv auf. Sogar die massvoll reduzierte
Aufnahme von Proteinen kann vorteilhaft sein, weil
die Basalmembranen der Kapillaren durch ein Zuviel
an tierischem Eiweiss genauso verdicken bzw.
«verschlacken» wie durch ein Zuviel an Cholesterin.
Somit profitieren vollwertig ernährte Veganer von
den gleichen Vorteilen wie gesundheitsbewusste
(Lakto-Ovo)-Vegetarier: einem vorbeugenden Effekt
gegen Übergewicht, Arteriosklerose, Bluthochdruck,
Typ-2-Diabetes, Gicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Von Interesse ist auch die komplementärmedizinische Beobachtung, dass manche Gesundheitsbeschwerden ausheilen, sobald tierische Produkte
wegfallen – besonders häufig Allergien, Hautkrankheiten und chronische Nebenhöhlenentzündungen.
Wahrscheinlich ist laut Studien zudem ein geringeres
Risiko für bestimmte Krebsarten, vor allem der
Verdauungsorgane.
Hier viel, dort wenig
Das klingt gut. Wenn die Sache doch nur nicht einen
Haken hätte! Wie Studien zeigen, wird vegane
Ernährung im Alltag oft suboptimal umgesetzt:
Besonders vegane Kinder sind mitunter zu eiweissarm
ernährt, ihr Kalzium- und Zinkspiegel ist tendenziell
zu tief – gleiches wurde bei vegan lebenden
Schwangeren, Stillenden und älteren Menschen
beobachtet. Viele gut informierte Veganer schlucken
deshalb Supplemente. Eine sinnvolle Massnahme –
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ganz besonders im Hinblick auf Vitamin B12. Denn:
«Die meisten Pflanzen enthalten B12-Vitamere, die für
den Menschen nicht oder nur sehr begrenzt
verwertbar sind, ja sogar die Aufnahme des für den
Menschen wirksamen Vitamin B12 behindern», erklärt
Ernährungsforscher Leitzmann.
Daraus folgt: Die oft beworbenen «B12-Lieferanten»
Bierhefe, Gerstengras, Getreidekeimlinge, Sauerkraut,
Sojaprodukte wie Miso, Tempeh und Tamari sowie die
meisten Mikroalgen sind für den Menschen keine
ausreichend zuverlässigen Vitamin- B12-Quellen.
Knowhow ist wichtig
Laut Professor Leitzmann sind es denn auch die
«unzureichend beratenen Leute, die den teilweise
schlechten Ruf der Veganer verursachen, wenn sie mit
ihren Kindern beim Arzt wegen Mangelerscheinungen
vorstellig werden.» Glücklicherweise seien solche Fälle
aber selten und würden davon ablenken, «dass täglich
Tausende von Fleischessern an ernährungsbedingten
Krankheiten sterben.»
Mit anderen Worten: Wer sich langfristig vegan
ernähren will, sollte sich gründlich informieren und
die gewonnenen Kenntnisse im Alltag konsequent
umsetzen. Dazu gehören Kenntnisse der Referenzwerte für die tägliche Nährstoffzufuhr, des Nährund
Vitalstoffgehalts häufig verzehrter Lebensmittel
sowie bestimmter Wechselwirkungen zwischen den
Lebensmitteln bzw. deren Inhaltsstoffen. So lässt sich
beispielsweise die Resorption von Eisen durch Vitamin
C um bis zu 300 Prozent steigern.
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Von fad bis fein
In Reformhäusern, Bio-Läden und im Internet gibt
es eine riesige Auswahl an veganen Produkten.
Deren Qualität reicht von «gummiartig-künstlich»
schmeckenden Fleisch- und Wurstersatzprodukten
bis hin zu richtig schmackhaften Kreationen, etwa
Bio-Butter aus Kokos- und Palmfett oder Milch und
Sahne aus Getreide, Reis und Mandeln. Das Angebot
wird laut Leitzmann weiter wachsen, beispielsweise
bei Produkten aus der europäischen Süsslupine, die
mit 40 Prozent hochwertigem Eiweiss eine vielversprechende Alternative zur Sojabohne darstellt.*
Oder beim Hanf, «dessen Samen in puncto Proteingehalt und Bioverfügbarkeit zwischen Milch und
Fleisch liegen».
Erfreulich ist auch, dass vegane Profiköche in der
Regel keine (teuren) Convenience-Produkte
empfehlen, sondern mit vielfältigen «Rohmaterialien»
in Bioqualität arbeiten. Für kochinteressierte Mischköstler ist es eine Bereicherung, wie phantasievoll in
der veganen Küche frische Kräuter, Gewürze,
einheimische und fremdländische Getreide, Tofu,
bekannte und fast vergessene Hülsenfrüchte, Gemüse,
Obst, Nüsse, Nussmus und Samen variiert werden.
Moralin, charmant verpackt
Das wachsende Interesse an veganer Ernährung
hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass immer
mehr vegane Köche bodenständig, mit viel
Begeisterung und ohne moralingeprägten Habitus
auftreten. Zu ihnen zählt etwa der Hamburger
Physikstudent Attila Hildmann, ehemals leidenschaftlicher Fleischesser, der sich das Kochen selbst
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beibrachte und mit Hilfe der vegetarisch-veganen
Ernährung 25 Kilo abspeckte. Die Bücher Hildmanns
und weiterer veganer Sympathieträger sind Bestseller,
ihre Kochshows werden auf «YouTube» und im Fernsehen von Hunderttausenden verfolgt.
Das macht neugierig und weckt die Hoffnung, bei
minimalem Lustverzicht etwas für Umwelt und Tiere
zu tun – nach dem Motto «Besser ab und zu vegan als
gar nicht!»
Bücher - Website - Bezugsquellen
Claus Leitzmann und Markus Keller:
«Vegetarische Ernährung»
Ulmer Verlag, 3. Auflage 2013, 380 S.
Uli P. Burgerstein, Hugo Schurgast, Michael
Zimmermann: «Burgerstein Handbuch
Nährstoffe», Trias Verlag 2012, 656 S.
Webseite: Die D-A-CH-Referenzwerte für die
tägliche Nährstoffzufuhr: www.dge.de (Rubrik
Wissenschaft/Referenzwerte anklicken).
Eine grosse Auswahl an veganen Produkten
und Rohstoffen gibt es z.B. bei larada.ch und
vegan-leben.de.
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Nähr- und VitalstoffCheck für Veganer
Eiweiss/Proteine: Der Eiweissbedarf für
Erwachsene beträgt bei leichter körperlicher
Anstrengung 0,8 Gramm pro Kilo Körpergewicht
und Tag. Wichtig ist: Eine vollwertig-vegane
Ernährung mit viel Getreide, Hülsenfrüchten,
Nüssen, Samen, Früchten und Gemüse kann den
täglichen Proteinbedarf decken.
Vitamin B12: ist in bioverfügbarer Form
ausschliesslich in tierischen Lebensmitteln und
einigen wenigen Algen (Nori, Chlorella) vorhanden.
Die veganen Fachgesellschaften empfehlen deshalb,
Vitamin B12 zu supplementieren, zumal ein Mangel
gravierende Beschwerden verursachen kann, wie
zum Beispiel Nervenschäden, Konzentrationsund Gedächtnisstörungen sowie Wachstumsund Entwicklungsschäden bei Kindern.
Vitamin B2 und B6: Veganer sollten
ausreichend Lebensmittel verzehren, die reich an den
Vitaminen B2 und B6 sind. Für B2 sind dies zum
Beispiel: Sojabohnen, Linsen, Erbsen, Steinpilze,
Pfifferlinge, Grün-/Federkohl, Brokkoli u.a. Für B6:
Linsen, Kichererbsen, weisse Bohnen, Walnüsse,
Sonnenblumenkerne, Erdnüsse, Spinat u.a.
Eisen: Vielfältige pflanzliche Eisenquellen sind für
Veganer wichtig, also z.B. Kürbiskerne, Sesamsamen,
Linsen, Mungbohnen, Amaranth, Quinoa, Hirse, Hafer,
Aprikosen, Pfirsiche, Spinat, Portulak und Fenchel.
Vitamin C (Zitronensaft, Orangensaft, Grünkohl u.a.)
steigert die Aufnahme von Eisen beträchtlich.
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Der Zink-Status ist bei v egan lebenden
Risikogruppen mitunter zu niedrig: Kinder,
Jugendliche, Schwangere, Stillende und ältere
Menschen sollten besonders regelmässig zinkhaltige
Lebensmittel verzehren, also z.B. Sojaprodukte,
Haferflocken, Paranüsse, Linsen und Erdnüsse.
Kalzium: Eine befriedigende Zufuhr an Kalzium
ist möglich, wenn täglich kalziumreiche Lebensmittel
verzehrt werden wie Sesammus, Mandeln, Nüsse,
Vollkorn-Getreide, Grün- und Weisskohl, Feigen u.a.
Auch die Einnahme von angereicherten Getreideflocken oder eines Nahrungsergänzungsmittels sind
zu erwägen.
Vegane Ernährung führt dem Körper nur wenige
langkettige Omega-3-Fettsäuren zu. Der
Bedarf an diesen Fettsäuren lässt sich durch die
tägliche Einnahme eines Esslöffels Leinöl oder mit
50 Gramm Walnüssen decken. Für stillende
Veganerinnen kann die Einnahme eines Nahrungsergänzungsmittels sinnvoll sein.
Wie die meisten Menschen in Deutschland und der
Schweiz sollten auch Veganer jodiertes Speiseoder Meersalz verwenden und in lichtarmen
Wintermonaten eventuell Vitamin D einnehmen,
um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Bei Säuglingen
und Kleinkindern empfiehlt die Vegane Gesellschaft
Schweiz für Vitamin D im ersten Lebensjahr eine
tägliche Supplementierung.
Quelle: Claus Leitzmann/Markus Keller: Vegetarische
Ernährung, UTB 2013. Vegane Gesellschaft Schweiz
2014/vegan.ch
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