Fragiles–X in der Familie: Vererbung, FXS, FXTAS, FXPOI Andreas Dufke, 04.10.2014 Version PDF Vererbung J Neurol Psychiatry-1943-Martin-154-7 Geschlechtsgebundene Vererbung • Was sind die Besonderheiten beim Fragilen-X- Syndrom? • Woher kommt der Name? • Spielt das Geschlecht des betroffenen Elternteils / Kindes eine Rolle? • Wann und für wen sind genetische Untersuchungen möglich / sinnvoll / notwendig? Die Chromosomen des Menschen 46,XY 46,XX Die Chromosomen sind die Träger der Erbanlagen Keimzellbildung 46,XX 23,X 23,X 23,X 23,Y 46,XX 46,XY ♀ ♂ ♀ 46,XY ♂ Fragile (brüchige) Stelle in folsäurearmen Medium American Journal of Human Genetics, 1969 Fragiles-X-Syndrom • häufigste geschlechtsgebundene Form geistiger Behinderung • bis zu 25% aller Familien mit geschlechtsgebundener Vererbung und ca. 2% bei sporadischen männlichen Patienten • 1 in 3000 - 4000 Knaben • Hohe Dunkelziffer bei Mädchen Der X-chromosomale Erbgang: Abweichungen bei FraX • Väter können die Erkrankung nicht an Söhne vererben • nur Jungs erkranken • Die Erkrankung bleibt über die Generationen konstant Die Besonderheit beim fragilen-X-Syndrom liegt in der genetischen Veränderung: Trinukleotid-Repeat-Erkrankung (99%) CGGn FMR1-Gen Üblich: 6 – 44 Wiederholungen des CGG-Motivs CGGn FMR1-Gen Prämutation: 55 – 200 Wiederholungen des CGG-Motivs CGGn FMR1-Gen Vollmutation: > 200 Wiederholungen des CGG-Motivs Verlängerung über mehrere Generationen möglich Funktion des FMR1-Genproduktes • Kommt bei Wirbeltieren vor • Reguliert die Bildung von Eiweißen (Proteine) anderer Gene (Nervenzellen, Gehirn, Hoden, …) • bei FXS Überproduktion von Proteinen • Überreaktion auf Stimulierung von Rezeptoren (mGluR5) • keine strukturellen Hirnveränderungen, aber Vernetzung der Nervenzellen (Synapsen) Ein Gen (FMR1) - Drei Erkrankungen Hagerman et al. Pediatrics 123:378-90, 2009 Trägerinnen der Prämutation können eine Prämature Ovarialinsuffizienz entwickeln Die Prämutation ist ein Risikofaktor für die Entwicklung einer spätmanifesten neurologischen Bewegungsstörung (FXTAS) Fachübergreifende Betreuung der Familien notwendig FMR1-Gen CGG-Repeat-Expansion Prämutation 59-220 (gesund; FXPOI; FXTAS) Vollmutation >220 (FXS) Vollmutation ausschließlich mütterlich vererbt - aus einer Prämutation kann nur eine Vollmutation entstehen, wenn sie über eine Eizelle weitergegeben wird - nur Frauen geben die Vollmutation weiter XpY Xp=Prämutation Xv=Vollmutation XX XY XpX XY Weitergabe in dieser Linie nicht möglich XY XX XpY XpX XvY XvX Weitergabe in dieser Linie nicht möglich FXTAS FXPOI FXS mgl. XvY obligates FXS XvX XY XX Zusammenfassung Erbgang • Keine Weitergabe von Väter an Söhne, aber durch gesunde Väter an Töchter, denn • Männer mit Prämutation geben diese stabil weiter (kein FXS bei Nachkommen) • Frauen mit Prämutation können diese als Prä- oder Vollmutation weitergeben • Mädchen mit Vollmutation können gesund sein oder ein FXS entwickeln, haben aber kein Risiko für FXTAS / FXPOI • Jungen mit Vollmutation haben ein FXS, aber kein FXTAS Genetische Diagnostik / Beratung bei FraX • Die Diagnose bei einem Indexpatienten hat auch einen vorhersagenden Charakter bei Familienangehörigen • Wechsel der klinischen Symptome über die Generationen möglich (Antizipation) • weitere Anlageträger/innen in der (entfernten) Familie mit • Fehldiagnosen (Parkinson, Sterilität, Lernstörungen bei Mädchen) • Prognose / Therapie / Untersuchungen gezielt / Akzeptanz • Kinderwunsch • Erbprognose • Anbindung an spezialisierte interdisziplinäre Betreuung • Zugang zu Interessengemeinschaften • Zugang zu Studien Genetische Beratung • Kassenärztliche Leistung • Anmeldung durch Ratsuchende / Patienten / Arzt • Dauer i.d. Regel > 1 Stunde • bei Bedarf Nachberatungsgespräch(e) • Zusammenfassung der Beratungsinhalte in einem ausführlichen Brief, der an die Ratsuchenden (und den Arzt) geht Genetische Beratung Inhalte • Diagnose, Prognose, Therapie: Krankheitsbild • Ätiologie, Stammbaum, Wiederholung: Erbprognose • Optionen bei erhöhter Wiederholung: Alternativen • Hilfe bei Entscheidungen: Post-, Pränatale Diagnose • Einstellung zur Erkrankung: Krankheitswert Direktive Beratung Aktive Beratung • Genetische Beratung, nicht Ratschlag • Nur Patienten/Probanden/Ratsuchende, die freiwillig in unsere Sprechstunde kommen, dürfen beraten werden Die Bedeutung des GenDG • Erschwert die Diagnoseweitergabe zwischen Ärzten bei interdisziplinärer Betreuung • Schützt genetische Anlageträger vor Stigmatisierung und sichert die Rechte der untersuchten Personen