Repertorium zur Vorlesung Musikgeschichte von der frühen Neuzeit bis zur Aufklärung Oper und Oratorium von ca. 1600 bis 1800 Opera buffa Das deutsche Singspiel W.A. Mozart Die Zauberflöte Opera buffa Der Terminus „Opera buffa“ stellt eine Sammelbezeichnung für das komische italienische Musiktheater des beginnenden 18. Jh. und reicht bis in die ersten Dezennien des 19. Jh. Weitere Bezeichnungen sind „commedia per musica“, „dramma giocoso per musica“, „dramma giocoso per musica“ u. a. Opera buffa - Komische Elemente können im 17. Jh. auch in Opern mit heroischem Sujet integriert sein - Zu Anfang des 18. Jh. beginnt sich in Neapel die Opera buffa als eigene Gattung zu etablieren - Die komischen Elemente werden im folgenden aus den ernsten Opern eliminiert, die Gattungen scheiden sich Opera buffa - Von den ersten Opere buffe der neapolitanischen Oper sind nur die Librettodrucke überliefert - Als erste Opera buffa gilt die „comedia in musica“ La Cilla, deren Libretto von Franceso Antonio Tullio, die Musik von Michelangelo Faggioli (1666-1733) stammt - Die UA dürfte um die Jahreswende 1707/08 erfolgt sein Opera buffa - Auch die neue Gattung der Opera buffa fand schnell den Weg von den Palästen des Adels in die kommerziellen Opernhäuser - Die Opera buffa wird zunächst nur von Komponisten des zweiten Ranges bedient - Ab 1718 findet sie auch unter den erstrangigen Komponisten Beachtung Opera buffa - So findet 1718 die UA von Alessandro Scarlattis Il trionfo dell‘onore statt - Weitere bedeutende Komponisten der Opera buffa sind Leonardo Vinci (1690-1730) ab 1719 Johan Adolf Hasse (1699-1783) ab 1729 Giovanni Battista Pergolesi (17101736) Opera buffa - Ursprünglich ist die Opera buffa ein Kind der neapolitanischen Oper - Die Libretti sind zumeist stark durch den neapolitanischen Dialekt geprägt - Dies ändert sich 1729, als ein neapolitanisches Gastspiel in Rom die Ewige Stadt in Kürze zu einem neuen Zentrum der Opera buffa werden lässt - Im selben Zug wird der neapolitanische Dialektanteil deutlich zurückgedrängt Opera buffa - Mit ihrer Etablierung in Rom beginnt der Siegeszug der Opera buffa - In den 1730er Jahren etabliert sich die Opera buffa auch in Venedig - Von hier aus beginnt ihre Verbreitung in Norditalien und im übrigen Europa - Lediglich Frankreich übernimmt die Opera buffa nicht Opera buffa - Als 1752-54 eine Buffa-Truppe unter Eustachio Bambini an der Opéra de Paris ein Gastspiel gibt, entbrennt ein heftiger Streit zwischen den Gegnern und Befürwortern der italienischen Oper, die sog. „Querelle des bouffons“ - Ausgangspunkt des Streits war G. B. Pergolesis berühmte Opera buffa La serva pardrona Opera buffa - Ihren Fundus an Stoffen und Figuren entnimmt die Opera buffa der Komödie des Sprechtheaters - Beide greifen auf den Fundus der Commedia dell‘arte zurück - Der Beginn der Oper ist i.d.R. nicht als (dialogisches) Rezitativ, sondern als musikalische Nummer komponiert (Lied, Arie, Introduktion mit Handlung) Opera buffa - Die Aktschlüsse sind i.d.R. als Ensembles konstruiert, um die sich überstürzenden Ereignisse der Handlung musikalisch darstellen zu können - Die Arien dienen vielfach der ironischen Brechung bzw. Distanzierung und Karikierung - Die Tendenz geht zur zweiteiligen Arie im Gegensatz zur da-capo-Arie der Seria Opera buffa - Anstatt kantablen Linien wird das schnelle Parlando bevorzugt - Bisweilen können neapol. Volkslieder als Melodien Verwendung finden - Diese fördern die Entwicklung kleingliedrig-wendiger Motive - Von besonderer Bedeutung sind die komödiantischen Fähigkeiten der Sänger/Schauspieler Opera buffa Weitere bedeutende Komponisten sind - Baldassare Galuppi (1706-1785), Venedig - Domenico Cimarosa (1749-1801) Neapel/Venedig - Giovanni Paisiello (1740-1816), Neapel Als bed. Librettist bzw. Komödiendichter ist Carlo Goldoni (1707, Venedig-1793, Paris) zu nennen: z.B. Der Diener zweier Herren 1745 Opera buffa Beispiel Giovanni Battista Pergolesi La serva padrona Pergolesi – La serva padrona Libretto: ? Musik: Giovanni Battista Pergolesi UA: 28. August 1733 zum Geburtstag v. Kaiserin Elisabeth Christine in Neapel als Zwischenaktmusik der ernsten Oper Il Prigionier Superbo von Pergolesi im Teatro San Bartolomeo Pergolesi – La serva padrona - Zwei Akte 3 Arien + Duett || 2 Arien + Duett jeweils durch dialogische Rezitative vermittelt - Nur drei Personen: Uberto, Bass, Junggeselle Serpina, Sopran, seine Magd Vespone, stumme Rolle, sein Diener Pergolesi – La serva padrona - Sehr einfacher Handlung: Die Dienerin Serpina schafft es durch Hartnäckigkeit und List die Frau von Uberto und damit „Herrin“ zu werden, was sie de facto im Haushalt ohnehin schon ist - Karikierend werden Stereotypen der bürgerlichen Gesellschaft des Italiens um 1730 aufs Korn genommen Pergolesi – La serva padrona Arie Stizzoso mio stizzoso (Serpina) - Da capo-Arie - Bis auf den Schluss des B-Teils keine Ritornelle - Der A-Teil steht in A-Dur, der B-Teil weicht nur kurz über D-Dur nach G/g aus - Einfacher motivischer Bau - Vielfach Motivwiederholungen Pergolesi – La serva padrona - Keine Melismen, Singstimme ist syllabisch gehalten - Einfacher, eingängiger Melodiebau - Kurze Taktglieder - Die Orchesterbegleitung ist einfach strukturiert, bietet die musikalische „Folie“ der Singstimme - Bühnenwirksam wird die Arie letztlich durch die komödiantische Begabung der Sängerin Das deutsche Singspiel Das Singspiel - Der Terminus „Singspiel“ bezeichnet eine deutschsprachige Oper mit gesprochenen Dialogen und einem komischen oder empfindsamen Plot - In dieser engen Definition findet der Begriff jedoch erst seit dem 19. Jh. seine Verwendung - Die zeitgenössische Terminologie ist wesentlich farbiger: „Lustspiel mit Gesang“, Schauspiel mit Gesang“, „Operette“, „Komische Operette“ u. a. Das Singspiel - Als führender Komponist des Singspiels ist Johann Adam Hiller (1728-1804), weiterhin Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) zu nennen - Der führende Librettist war Christian Felix Weiße (1726-1804), weiterhin wäre Christoph Martin Wieland (17331813) zu nennen - Eines der erfolgreichsten Singspiele war Die Liebe auf dem Lande (1768) von Weiße und Hiller Das Singspiel Als Vorbild für das deutsche Singspiel nennt Weiße - die Beggars Opera (UA London 1728) von John Gay (Libretto) und Johann Christoph Pepusch? (Musik) - J. J. Rousseaus Le Devin de Village (Der Dorfwahrsager), einaktige Oper (UA Fontaniebleau 1752) - Pergolesis La serva padrona (Neapel 1733) Das Singspiel Merkmale des Singspiels - Drei Akte - Einfache Handlung - Zumeist auf dem Land oder Dorf angesiedelt - Ein- oder zweiteilige, liedhafte Arien bzw. Duette/Terzette - Für hochgestellte Persönlichkeiten können seria-Arien verwendet werden - Ggf. Vaudevilles am Aktende „Alles unser Bemühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die ‚Entführung aus dem Serail‘ schlug alles nieder.“ J. W. v. Goethe, Italienische Reise, Bericht Nov. 1787, Hamburger Ausg. Bd. 11, S. 437. Beispiel Wolfgang Amadeus Mozart Die Zauberflöte Mozart – Die Zauberflöte Musik: W. A. Mozart Libretto: Emanuel Schikaneder UA: 30. September 1791 im Theater auf der Wieden in Wien Mozart – Die Zauberflöte - Das Werk ist auf dem originalen Theaterzettel als „Eine grosse Oper in 2 Akten“ bezeichnet - Dennoch übernimmt die Zauberflöte eine Mehrzahl von verschiedenen Traditionen, so dass sie als „mixtum compositum“ (Stefan Kunze) bezeichnet werden kann Mozart – Die Zauberflöte Einflüsse und Traditionen - Singspiel: gesprochene Dialoge, einfach gehaltene, liedhafte Arien; Ensembles - Opera buffa: komödiantische Elemente, bes. Papageno, Papagena; Ensembles - Opera seria: virtuose da-capo-Arien wie „Der Hölle Rache“ der Königin der Nacht bzw. „O zittre nicht“ mit Recitativo accompagnato Mozart – Die Zauberflöte - Opera seria: Hohes Paar (Tamino, Pamina), tiefes Paar (Papageno/a), Königin bzw. Herrschergestalt - Ältere musikalische Schichten: Fuge in der Ouverture als Reminiszenz an die franz. Ouverture, Choralbearbeitung im Gesang der Geharnischten - Wiener Volkstheater (Commedia dell‘arte): Hanswurst (Papageno) Mozart – Die Zauberflöte - Maschinen-Komödie: Flugwerk der drei Knaben - Märchen: Zauberflöte, Glockenspiel, Schlange, drei Knaben usw. - Ägypten-Mode: Isis und Osiris, Priester - Freimaurer-Symbolik: Prüfungssituation für Tamino und Pamino, die Eingeweihten als Geheimbund - Aufklärungsethos: Tugend, Vernunft ... Mozart – Die Zauberflöte - Die Handlung ist einfach aufgebaut, ohne Nebenhandlung - Sie beruht auf einer klaren Dichotomie von Gut und Böse, verkörpert durch Sarastro und die Königin der Nacht - Tamino ist der Wahrheitssucher, geprägt von aufklärerischem und freimaurerischem Ethos - Seine Gegenfigur ist Papageno, dem es letztlich nur um sinnlichen Genuss geht Mozart – Die Zauberflöte Papagenos Auftrittsarie - Der Text besteht aus regelmäßigen Strophen à vier Versen im jambischen Metrum -> Volksliedstrophe - Der Reim ist regelmäßig aa bb cc etc. - Füllworte wie „heißa hopsasa“ betonen die Volkstümlichkeit des Textes - Text in einfacher Erzählhaltung Mozart – Die Zauberflöte - Im Textbuch und im Autograph fehlt die 3. Strophe „Wenn alle Mädchen“, so dass ursprünglich der wiederholte erste Vierzeiler „Der Vogelfänger bin ich ja“ Refrainfunktion bekommt - Bemerkenswert ist, dass der Refrain am Liedanfang steht - Damit erhalten die jeweils zweiten Vierzeiler das Achtergewicht Mozart – Die Zauberflöte Die Arie ist vordergründig „einfach“ gebaut: - Liedhafte Melodik, weitgehend in Sekundschritten - Die Melodie könnte auch ohne Begleitung gesungen werden - Syllabisch durchdeklamiert, keine Melismen - Die regelmäßigen Versakzente werden in der Vertonung exakt übernommen Mozart – Die Zauberflöte - Die Harmonik bewegt sich weithin im I-V-I-Rahmen - Mollausweichungen werden vermieden - Zur Arienmitte am Ende des ersten Vierzeilers wird über die Doppeldom. die V. Stufe D-Dur angesteuert - Das Vorspiel nimmt die Arie vorweg -> Zusammenfassend ergeben diese Elemente eine Sphäre des Volksliedhaften Mozart – Die Zauberflöte Dennoch ist die Arie kunstvoll gebaut: Im Orchester finden sich drei Schichten: 1. Violine 1 als Melodiestimme + Singst. 2. Begleitstimmen in regelmäßigen 16teln durchlaufend, überspielt Pausen der Singstimme 3. Bass (+Hörner) abtaktig, die 2-TaktGruppen markierend Mozart – Die Zauberflöte Jeder Zweitakter ist anders gestaltet: T. 27 28 8tel-16tel drei 8tel+Halbschluss: offen Sekundschritte um g als Achse T. 29 30 Punktierung drei 8tel+Ganzschluss Oktavsprung Sekundschritte abw. etc. Mozart – Die Zauberflöte - Der zweite Vierzeiler wird in T. 40 durch eine Generalpause unterbrochen - Dazu bildet der Bass erstmals einen geschlossenen Zweitakter mit Vierteln -> Abschnittsbildung! - Dadurch ergibt sich die Folge von 8+2+4+2+4+4 Damit wird jeweils die finale Aussage des letzten Verses hervorgehoben Mozart – Die Zauberflöte - Die für den Kadenzverlauf wichtige IV. Stufe C-Dur wird auf den Schluss aufgehoben und mit dem Hochton e‘ in T. 44 verknüpft - Die Arie bildet also keineswegs eine einfache, regelmäßige Liedform aus - So einfach die Auftritts-Arie des Papageno auf den ersten Blick auch zu sein scheint, zeigt sie doch bei näherem Zusehen einen kunstvoll durchkonstruierten Bau Mozart – Die Zauberflöte Die Bildnisarie - Taminos Bildnisarie ist bereits im Text aufwändiger angelegt, als die Auftrittsarie des Papageno - Der Text ist als Sonett angelegt mit 4+4+3+3 Versen - Reimschema aabb ccdd eef ggf - Unreiner Reim - Die Strophen folgen einem inhaltlich stringenten Aufbau / Fortgang: Mozart – Die Zauberflöte I Beschreibung der Schönheit d. Bildes Erste Affektregung II Erkennen des Affekts als Liebe III Sehnsucht nach Pamina IV Entschluss zum Handeln - Anders als in Papagenos Arie hat die Bildnisarie reflexive Momente im Text - Das Handlungsmoment ist gestärkt und auf die beiden Terzette konzentriert Mozart – Die Zauberflöte - Den vier Textabschnitten entsprechen vier musikalische Abschnitte: I T. 1-15 Es-Dur Tonika II T. 16-34 B-Dur Dominante III T. 35-44 B-Orgelpunkt->B7 GP IV T. 45-63 Es-Dur Tonika - Auch hier ist der harmonische Aufbau klar und übersichtlich Mozart – Die Zauberflöte Merkmale der Arie - Die Singstimme ist weithin syllabisch, keine Melismen - Einzelne Worte werden dadurch umso stärker durch Verzierungen hervorgehoben: „Herz“ T. 10, 13; „Empfindung“ T. 24 etc. - Die melodische Linie ist penibel austariert: Mozart – Die Zauberflöte - T. 3ff Sextsprung zum Hochton g‘ -> Ausruf (Dramaturgie!) - Verbunden mit dem zentralen Wort „Bildnis“ - Hervorgehoben durch Punktierung - Ausgleichen des Sprungs durch die in Sekunden absteigende Septimlinie - Wiederholung des Zweitakters einen Ton tiefer (Dominante) Mozart – Die Zauberflöte - T. 7ff Quart- bzw. Quintfall anstatt Sprung - Betonung durch Vorhalt - Textausdruck: „ich fühl‘ es“ - Überbietung des bisherigen Sprungs mit kleiner Sexte durch die große Sexte bei „Götterbild“ mit neuem Hochton as‘ -> Steigerung: Bild -> Götterbild Mozart – Die Zauberflöte - Nach dem bislang deklamatorischen Charakter der Singstimme gerät sie mit dem Text „Mein Herz mit neuer Regung füllt“ cantabler - Das Orchester ist in diesem Abschnitt eher zurückhaltend: - Nur Einleitungsakkorde im piano - Überbrückende, auftaktige Einwürfe in den Pausen der Singstimme Mozart – Die Zauberflöte - Bestärken der Vorhaltsmotivik -> Empfindung - Betonung des Hochtons bei „Götterbild“ mit sfp - Mit der cantableren Melodie ab T. 10 kommt auch der Orchestersatz „in Bewegung“ - Der gezielte Einsatz diese „einfachen Mittel“ unterstützt die Singstimme bzw. den Textausdruck nachhaltig Mozart – Die Zauberflöte - In den folgenden Strophen verfährt Mozart analog, wobei die Orchesterbegleitung zusehends subtiler wird - Mit zunehmender Empfindung wird auch die Begleitung bewegter: T. 28, dann eine weitere Stufe ab T. 34 - Dabei zunehmende Dynamik und zunehmende Diversifizierung der Notenwerte sowie der Schichten im Orchester Mozart – Die Zauberflöte - Nach der dramaturgisch geschickt eingebauten, die Reflexion spiegelnden Generalpause drücken besonders der 16tel-Orgelpunkt im Bass und die 32stel in der Viola die aufwallende Empfindung Taminos wieder, noch bevor er sie ausspricht - Die Singstimme folgt auch in den Teilen II bis IV deutlich dem Ausdrucksgehalt des Textes Mozart – Die Zauberflöte - Bemerkenswert ist, dass die Singstimme im ersten Terzett „O wenn ich sie nur finden könnte“ mit einem Septimaufgang in Sekunden beginnt, auf den ein durch die Terz unterteilter Quintfall folgt - Damit ist „könnte!“, somit der Wunsch Taminos betont - Zugleich ein Bezug zum Arienbeginn geschaffen: Sprung-Sekundgang = Sekundgang-Spr. Mozart – Die Zauberflöte - Obgleich die Bildnisarie beim Hörer einen relativ „schlichten“ Eindruck hinterlässt, ist die Arie höchst kunstvoll durchgestaltet - Die Mittel sind gezielt und ganz entlang der Dramaturgie des Textes eingesetzt - Durch seinen gezielten, den Ausdruck unterstützenden, bisweilen gestischen Einsatz der Mittel schafft er eine musikalische Bühnenrealität ersten Ranges