GIST Forschung - das Lebenshaus

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WissensWert
„Erkenntnisse über die Entstehung von GISTs
machen die Entdeckung neuer Therapien möglich.“
Von Sebastian Bauer und Jonathan Fletcher
Fast jeder von uns hat irgendwo am Körper
Muttermale. Kleine oder größere, bräunli­
che oder schwärzlich-pigmentierte, gut­
artige Hauttumoren. Dass ein Muttermal,
oder Nävus, entartet und zu einem bös­
artigen Tumor wird, ist allerdings außer­
ordentlich selten. Was Viele nicht wissen,
ist, dass man GISTs auch als die Muttermale
des Magens bezeichnen könnte. Bei ver­
mutlich jedem dritten Menschen findet sich
im Magen ein winziger GIST, so dass die
Häufigkeit von GIST unter den Lesern des
„WissensWert“ sich nicht wesentlich von
der Häufigkeit von GIST bei Lesern der
„Sportbild“ unterscheiden dürfte. Dieses
Wissen verdanken wir (teilweise) dem Fleiß
der Pathologen Kaori Kawanowa, Shinji
Sakurai und ihren Kollegen aus verschiede­
nen medizinischen Zentren in Japan. Sie
hatten sich die Zeit genommen, die Mägen
von 100 Patienten zu untersuchen, deren
Magen allerdings nicht wegen einer GISTErkrankung entfernt worden war. Die
durchschnittliche Länge des Magens eines
Erwachsenen beträgt 25 Zentimeter und
Dr. Kawanowa und Kollegen fertigten von
diesen Mägen Schnitte in fünf MillimeterAbständen an. Diese müssen sich zu Tausen­
den von Schnittpräparaten summiert haben,
die allesamt mikroskopisch durchmustert
wurden. Zur allgemeinen Überraschung
fand die Arbeitsgruppe in 35 Mägen ins­
gesamt 50 kleine GISTs, von denen keinem
ein Krankheitswert zugerechnet wurde1.
Was für an GIST erkrankten Patienten von
Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass eine
erhebliche Anzahl dieser harmlosen kleinen
GISTs (GISTlets) Mutationen von KIToder PDGFRA-Genen zeigen, d.h. genau
die Mutationen, die zum ungesteuerten
Wachstum bei malignen, bösartigen GIST
führen 2. Glücklicherweise löst eine einzige
Genmutation im KIT- oder PDGFRA-Gen
bei einer normalen Darmwand-Zelle keinen
bösartigen GIST aus - sonst gäbe es auf der
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Welt 2 Milliarden GIST-Patienten. Dies ist
auch keine Überraschung, gibt es doch
überzeugende epidemiologische und
experi­mentelle Beweise dafür, dass Krebs
nur durch Mutationen in mehr als einem
Gen entstehen kann. Diese Auffassung
wurde der Allgemeinheit erstmals von
Dr. Carl Nordling aus Finnland vorgestellt,
einem Architekten und Historiker, der
einen großen Teil seiner Zeit damit ver­
brachte, über Probleme jenseits seines be­
ruf lichen Fachgebiets nachzudenken. 1953
veröffentlichte er eine Multi-MutationsTheorie, die die Zunahme der Häufigkeit
von Krebserkrankungen mit fortschreiten­
dem Alter mit der Zahl der Mutationen in
Verbindung brachte3. Er stellte die Hypo­
these auf, dass die meisten Krebsarten sechs
aufeinander folgende Mutationen benötigen
und es deshalb häufig erst in höherem Alter
aus einer Präkanzerose, einer Krebsvorstufe,
ein bösartiger Tumor wird. Diese Theorie
wurde später von Dr. Alfred Knudson wei­
terentwickelt, der davon ausging, dass bei
den meisten Karzinomen mindestens zwei
ausschlaggebende Mutationen nötig sind4.
Dr. Brian Rubin von der Cleveland Clinic,
ein Mitglied des Forscherteams der „Life
Raft Group“, machte mit seinen GISTMausmodellen ähnliche Beobachtungen. Er
entwickelte ein Modell, bei dem einer Maus
künstlich ein mutiertes KIT-Gen „einge­
impft“ wird, in der Hoffnung, dass sich
dadurch die Entstehung von GIST nach­
vollziehen ließe. Diese Technik nennt sich
„Knock-in“5. Interessanterweise entwickel­
ten Dr. Rubins Mäuse keinen typischen,
bösartigen GIST, sondern größtenteils nur
eine Hyperplasie (ein vermehrtes Wachstum
eines spezifischen Zelltyps) der Schritt­
macher-Zellen des Darms, die das gesunde
Pendant zu GIST darstellen. Zu ähnlichen
Beobachtungen kam auch Dr. Peter Besmer
am Memorial Sloan Kettering Cancer
Center, Entdecker des KIT-Gens, der ein
ähnliches Modell mit einer anderen KITMutation hergestellt hatte 6. Kürzlich fand
Dr. Rubin heraus, dass die Kreuzung seiner
KIT-Mäuse mit Mäusen, die eine andere
krebsfördernde Mutation aufweisen, zu
bösartigen GIST führte. Damit lässt sich
zumindest im Mausmodell die KnudsonHypothese auch auf GIST nachvollziehen.
Die Bedeutung der vorher erwähnten
winzigen GISTs („Mikro-GIST“) besteht
darin, dass sie als Ausgangspunkt dienen
können, Genmutationen zu identifizieren,
die für die Entstehung maligner GIST ent­
scheidend sind. Wir wissen inzwischen, dass
nahezu alle Mikro-GISTs kleine gutartige
Tumoren bleiben oder sich von alleine zu­
rückbilden, aufgrund natürlicher Barrieren
gegen die Entstehung von Krebs. Die meis­
ten Leser wissen auch, dass Patienten mit
metastasiertem GIST viele Jahre auf Imati­
nib ansprechen können, diese Behandlung
aber im Allgemeinen die Krankheit nicht
ausheilt. Selbst in Anbetracht einer wirk­
samen KIT-/PDGFRA-Hemmung weisen
bösartige GIST-Zellen demnach zusätzliche
Mechanismen auf, die das Überleben der
Zellen sicherstellen. Die Identifikation die­
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GIST
ser zusätzlichen genetischen Veränderungen
könnte daher helfen, neuartige Angriffs­
ziele für die GIST-Therapie zu finden.
Einige solcher Mutationen sind bereits mit
Hilfe einer der ältesten genetischen Unter­
suchungsmethoden identifiziert worden,
durch die Erstellung von „Karyotypen“
(Kerntypisierung). Dabei werden GIST-
Zellen, die durch chirurgische Biopsien
gewonnen wurden, zunächst im Labor ge­
züchtet. Anschließend werden die Chromo­
somen der Zellen durch spezielle Färbe­
methoden identifiziert und unter dem Mik­
roskop sortiert. Bei der Kerntypisierung
kommt die gleiche Methode zur Anwen­
dung, die vielen von uns von der Frucht­
wasseruntersuchung vertraut ist, mit deren
Hilfe die Chromosomen der fetalen Zellen
untersucht werden. Damit lässt sich z.B. das
Geschlecht des Fötus bestimmen. Eine
normale Zelle besitzt 23 paarige Chromo­
somen, jedoch zeigt die Kerntypisierung bei
vielen GISTs den Verlust bestimmter Chro­
mosomenanteile. Durch diese wiederholt
auftretenden, abnormen Chromosomenver­
änderungen lassen sich Rückschlüsse auf
Gene ziehen, die z.B. für das Wachstum der
GIST-Zellen verantwortlich sein könnten.
Verschiedene Forscher haben festgestellt,
dass der Verlust eines Teils von Chromosom
9 sehr häufig bei malignen HochrisikoGISTs nachweisbar ist. Das Gen, das von
diesen Chromosomenverlusten betroffen ist,
nennt sich CDKN2A7, 8 und spielt eine
wichtige Aufgabe bei der Regulation des
Zellzyklus. Patienten deren GIST einen
Verlust von CDKN2A zeigt, haben ein
wesentlich höheres Risiko, eine metastasie­
rende Erkrankung zu entwickeln, als jene
ohne diesen Verlust. Als Teil der
Forschungs­initiative der Life Raft Group
wurde eine Anzahl von GISTs nicht nur
nach dem Erscheinungsbild der Chromo­
somen, sondern mit Hilfe einer Sequen­
zierung jedes Gens analysiert (whole exome
analyse). Diese Untersuchungen legen nahe,
dass bei nahezu allen GISTs für die Progres­
sion eines Niederrisiko-GIST zum Hoch­
risiko-GIST eine oder mehrere Mutationen,
die den Zellzyklus stören, erforderlich sind.
Mit Hilfe weiterer Untersuchungen werden
in den nächsten Monaten diese vorläufigen
Ergebnisse an einer großen Zahl von GISTTumoren weiter überprüft. Bemerkens­
werterweise scheinen diese Mutationen die
Empfindlichkeit von GIST-Zellen gegen­
über KIT-/PDGFRA-Inhibitoren, wie
z. B. Imatinib, nicht zu beeinträchtigen.
Die nächsten Monate werden in diesem
Zusammenhang zeigen, ob sich das Wissen
um diese Gendefekte für zusätzliche
Therapien nutzen lässt.
INFO
In 2007 startete die amerikanische GIST-Patientengruppe
“The Life Raft Group” - mit einer
großzügigen Finanzhilfe von
Novartis - ein mehrjähriges GISTForschungsprogramm. Ziele sind
z.B. Antworten zu finden auf das
Problem der „Behandlungs­
resistenzen“ um hoffentlich
mittel- bis langfristig eine Heilung für GIST zu finden. Alles
begann mit der Entwicklung
eines 5-Jahresplans und der Identifizierung von Personen, Prioritäten und Projekten. Die LRG
brachte international renommierte GIST-Forscher in diesem
Programm zusammen und
initiierte hierbei Kooperation,
Koordination und Verantwort­
lich­keiten für die wichtigsten
Bausteine. Zwei Mitglieder des
globalen Forschungsteams sind
Dr. Jonathan Fletcher aus Boston
und Dr. Sebastian Bauer aus
Essen.
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WissensWert
Einige Defekte des GIST-Zellzyklus haben
die Hemmung eines Proteins zur Folge, das
als Hauptregulator des Zellzyklus betrachtet
wird - p53. Viele Biologen, die an der Ent­
deckung neuer Gene beteiligt waren, hatten
Freude daran, diesen Proteinen ungewöhn­
liche und fantasievolle Namen zu geben.
Interessante Beispiele verschiedener Gene
sind Merlin, Teashirt, Spätzle, Van Gogh,
Brainiac, Hamlet und INDY (bedeutet:
I’m not dead yet [noch bin ich nicht tot],
ein Gen, das im mutierten Zustand das
Leben von Fruchtf liegen verlängert). Im
Vergleich dazu hat „p53“ (auch bekannt als
TP53) eine bürokratisch klingende und
weniger provokante Bezeichnung, die sich
auf das Gewicht des Proteins auf einer
Kilodalton-Skala bezieht. Man könnte
argumentieren, dass das äußerst wichtige
p53-Gen einen Namen wie Cerberus oder
Erzengel (Namen auf die schon einige
weniger erforschte Gene Anspruch erheben)
rechtfertigen würde, da p53 sehr oft darü­
ber entscheidet, ob eine genetische Störung
repariert wird oder ob die Zelle stirbt
(in Apoptose übergeht).
Die Behandlung von GIST-Zellen mit Ima­
tinib in Kombination mit Medikamenten,
die diesen Wachhund p53 aus der „Versen­
kung“ holen, verbessert in Laborversuchen
das Therapieansprechen von Imatinib deut­
lich9. Dabei muss allerdings bedacht wer­
den, dass eine Manipulation von p53 auch
normalen Zellen schaden kann. Aktuelle
klinische Studien untersuchen sehr sorg­
fältig, ob solche Therapien auch sicher bei
Patienten angewendet werden können.
Wir hoffen, dass in den kommenden Jahren
die genetischen Unterschiede zwischen den
„leberf leckartigen“ Mikro-GISTs und dem
malignen GIST weiter aufgeklärt werden
können und uns damit dem ultimativen
Ziel der Heilung von GIST näher bringt.
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Literatur
1. Kawanowa K, Sakuma Y, Sakurai S, et
al.: High incidence of microscopic gast­
rointestinal stromal tumors in the sto­
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one centimeter or less in size. Am J Pa­
thol 160:1567-1572, 2002
3. NORDLING CO: A new theory on
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cer 7:68-72, 1953
4. Knudson AG, Jr.: Mutation and cancer:
statistical study of retinoblastoma. Proc
Natl Acad Sci U S A 68:820-823, 1971
5. Rubin BP, Antonescu CR, ScottBrowne JP, et al.: A knock-in mouse
model of gastrointestinal stromal tumor
harboring kit K641E. Cancer Res
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Gastrointestinal stromal tumors in a
mouse model by targeted mutation of
the Kit receptor tyrosine kinase. Proc
Natl Acad Sci U S A 100:6706-6711,
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7. Schneider-Stock R, Boltze C, Lasota J,
et al.: High prognostic value of
p16INK4 alterations in gastrointestinal
stromal tumors. J Clin Oncol 21:16881697, 2003
8. Lagarde P, Perot G, Kauffmann A, et
al.: Mitotic checkpoints and chromo­
some instability are strong predictors of
clinical outcome in gastrointestinal stro­
mal tumors. Clin Cancer Res 18:826838, 2012
9. Henze J, Muhlenberg T, Simon S, et al.:
p53 modulation as a therapeutic strategy
in gastrointestinal stromal tumors. PLoS
One 7:e37776, 2012
Die Autoren
Dr. Jonathan Fletcher
PD Dr. Sebastian Bauer
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