1 2013 WissensWert „Erkenntnisse über die Entstehung von GISTs machen die Entdeckung neuer Therapien möglich.“ Von Sebastian Bauer und Jonathan Fletcher Fast jeder von uns hat irgendwo am Körper Muttermale. Kleine oder größere, bräunli­ che oder schwärzlich-pigmentierte, gut­ artige Hauttumoren. Dass ein Muttermal, oder Nävus, entartet und zu einem bös­ artigen Tumor wird, ist allerdings außer­ ordentlich selten. Was Viele nicht wissen, ist, dass man GISTs auch als die Muttermale des Magens bezeichnen könnte. Bei ver­ mutlich jedem dritten Menschen findet sich im Magen ein winziger GIST, so dass die Häufigkeit von GIST unter den Lesern des „WissensWert“ sich nicht wesentlich von der Häufigkeit von GIST bei Lesern der „Sportbild“ unterscheiden dürfte. Dieses Wissen verdanken wir (teilweise) dem Fleiß der Pathologen Kaori Kawanowa, Shinji Sakurai und ihren Kollegen aus verschiede­ nen medizinischen Zentren in Japan. Sie hatten sich die Zeit genommen, die Mägen von 100 Patienten zu untersuchen, deren Magen allerdings nicht wegen einer GISTErkrankung entfernt worden war. Die durchschnittliche Länge des Magens eines Erwachsenen beträgt 25 Zentimeter und Dr. Kawanowa und Kollegen fertigten von diesen Mägen Schnitte in fünf MillimeterAbständen an. Diese müssen sich zu Tausen­ den von Schnittpräparaten summiert haben, die allesamt mikroskopisch durchmustert wurden. Zur allgemeinen Überraschung fand die Arbeitsgruppe in 35 Mägen ins­ gesamt 50 kleine GISTs, von denen keinem ein Krankheitswert zugerechnet wurde1. Was für an GIST erkrankten Patienten von Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass eine erhebliche Anzahl dieser harmlosen kleinen GISTs (GISTlets) Mutationen von KIToder PDGFRA-Genen zeigen, d.h. genau die Mutationen, die zum ungesteuerten Wachstum bei malignen, bösartigen GIST führen 2. Glücklicherweise löst eine einzige Genmutation im KIT- oder PDGFRA-Gen bei einer normalen Darmwand-Zelle keinen bösartigen GIST aus - sonst gäbe es auf der 12 Welt 2 Milliarden GIST-Patienten. Dies ist auch keine Überraschung, gibt es doch überzeugende epidemiologische und experi­mentelle Beweise dafür, dass Krebs nur durch Mutationen in mehr als einem Gen entstehen kann. Diese Auffassung wurde der Allgemeinheit erstmals von Dr. Carl Nordling aus Finnland vorgestellt, einem Architekten und Historiker, der einen großen Teil seiner Zeit damit ver­ brachte, über Probleme jenseits seines be­ ruf lichen Fachgebiets nachzudenken. 1953 veröffentlichte er eine Multi-MutationsTheorie, die die Zunahme der Häufigkeit von Krebserkrankungen mit fortschreiten­ dem Alter mit der Zahl der Mutationen in Verbindung brachte3. Er stellte die Hypo­ these auf, dass die meisten Krebsarten sechs aufeinander folgende Mutationen benötigen und es deshalb häufig erst in höherem Alter aus einer Präkanzerose, einer Krebsvorstufe, ein bösartiger Tumor wird. Diese Theorie wurde später von Dr. Alfred Knudson wei­ terentwickelt, der davon ausging, dass bei den meisten Karzinomen mindestens zwei ausschlaggebende Mutationen nötig sind4. Dr. Brian Rubin von der Cleveland Clinic, ein Mitglied des Forscherteams der „Life Raft Group“, machte mit seinen GISTMausmodellen ähnliche Beobachtungen. Er entwickelte ein Modell, bei dem einer Maus künstlich ein mutiertes KIT-Gen „einge­ impft“ wird, in der Hoffnung, dass sich dadurch die Entstehung von GIST nach­ vollziehen ließe. Diese Technik nennt sich „Knock-in“5. Interessanterweise entwickel­ ten Dr. Rubins Mäuse keinen typischen, bösartigen GIST, sondern größtenteils nur eine Hyperplasie (ein vermehrtes Wachstum eines spezifischen Zelltyps) der Schritt­ macher-Zellen des Darms, die das gesunde Pendant zu GIST darstellen. Zu ähnlichen Beobachtungen kam auch Dr. Peter Besmer am Memorial Sloan Kettering Cancer Center, Entdecker des KIT-Gens, der ein ähnliches Modell mit einer anderen KITMutation hergestellt hatte 6. Kürzlich fand Dr. Rubin heraus, dass die Kreuzung seiner KIT-Mäuse mit Mäusen, die eine andere krebsfördernde Mutation aufweisen, zu bösartigen GIST führte. Damit lässt sich zumindest im Mausmodell die KnudsonHypothese auch auf GIST nachvollziehen. Die Bedeutung der vorher erwähnten winzigen GISTs („Mikro-GIST“) besteht darin, dass sie als Ausgangspunkt dienen können, Genmutationen zu identifizieren, die für die Entstehung maligner GIST ent­ scheidend sind. Wir wissen inzwischen, dass nahezu alle Mikro-GISTs kleine gutartige Tumoren bleiben oder sich von alleine zu­ rückbilden, aufgrund natürlicher Barrieren gegen die Entstehung von Krebs. Die meis­ ten Leser wissen auch, dass Patienten mit metastasiertem GIST viele Jahre auf Imati­ nib ansprechen können, diese Behandlung aber im Allgemeinen die Krankheit nicht ausheilt. Selbst in Anbetracht einer wirk­ samen KIT-/PDGFRA-Hemmung weisen bösartige GIST-Zellen demnach zusätzliche Mechanismen auf, die das Überleben der Zellen sicherstellen. Die Identifikation die­ 2013 1 GIST ser zusätzlichen genetischen Veränderungen könnte daher helfen, neuartige Angriffs­ ziele für die GIST-Therapie zu finden. Einige solcher Mutationen sind bereits mit Hilfe einer der ältesten genetischen Unter­ suchungsmethoden identifiziert worden, durch die Erstellung von „Karyotypen“ (Kerntypisierung). Dabei werden GIST- Zellen, die durch chirurgische Biopsien gewonnen wurden, zunächst im Labor ge­ züchtet. Anschließend werden die Chromo­ somen der Zellen durch spezielle Färbe­ methoden identifiziert und unter dem Mik­ roskop sortiert. Bei der Kerntypisierung kommt die gleiche Methode zur Anwen­ dung, die vielen von uns von der Frucht­ wasseruntersuchung vertraut ist, mit deren Hilfe die Chromosomen der fetalen Zellen untersucht werden. Damit lässt sich z.B. das Geschlecht des Fötus bestimmen. Eine normale Zelle besitzt 23 paarige Chromo­ somen, jedoch zeigt die Kerntypisierung bei vielen GISTs den Verlust bestimmter Chro­ mosomenanteile. Durch diese wiederholt auftretenden, abnormen Chromosomenver­ änderungen lassen sich Rückschlüsse auf Gene ziehen, die z.B. für das Wachstum der GIST-Zellen verantwortlich sein könnten. Verschiedene Forscher haben festgestellt, dass der Verlust eines Teils von Chromosom 9 sehr häufig bei malignen HochrisikoGISTs nachweisbar ist. Das Gen, das von diesen Chromosomenverlusten betroffen ist, nennt sich CDKN2A7, 8 und spielt eine wichtige Aufgabe bei der Regulation des Zellzyklus. Patienten deren GIST einen Verlust von CDKN2A zeigt, haben ein wesentlich höheres Risiko, eine metastasie­ rende Erkrankung zu entwickeln, als jene ohne diesen Verlust. Als Teil der Forschungs­initiative der Life Raft Group wurde eine Anzahl von GISTs nicht nur nach dem Erscheinungsbild der Chromo­ somen, sondern mit Hilfe einer Sequen­ zierung jedes Gens analysiert (whole exome analyse). Diese Untersuchungen legen nahe, dass bei nahezu allen GISTs für die Progres­ sion eines Niederrisiko-GIST zum Hoch­ risiko-GIST eine oder mehrere Mutationen, die den Zellzyklus stören, erforderlich sind. Mit Hilfe weiterer Untersuchungen werden in den nächsten Monaten diese vorläufigen Ergebnisse an einer großen Zahl von GISTTumoren weiter überprüft. Bemerkens­ werterweise scheinen diese Mutationen die Empfindlichkeit von GIST-Zellen gegen­ über KIT-/PDGFRA-Inhibitoren, wie z. B. Imatinib, nicht zu beeinträchtigen. Die nächsten Monate werden in diesem Zusammenhang zeigen, ob sich das Wissen um diese Gendefekte für zusätzliche Therapien nutzen lässt. INFO In 2007 startete die amerikanische GIST-Patientengruppe “The Life Raft Group” - mit einer großzügigen Finanzhilfe von Novartis - ein mehrjähriges GISTForschungsprogramm. Ziele sind z.B. Antworten zu finden auf das Problem der „Behandlungs­ resistenzen“ um hoffentlich mittel- bis langfristig eine Heilung für GIST zu finden. Alles begann mit der Entwicklung eines 5-Jahresplans und der Identifizierung von Personen, Prioritäten und Projekten. Die LRG brachte international renommierte GIST-Forscher in diesem Programm zusammen und initiierte hierbei Kooperation, Koordination und Verantwort­ lich­keiten für die wichtigsten Bausteine. Zwei Mitglieder des globalen Forschungsteams sind Dr. Jonathan Fletcher aus Boston und Dr. Sebastian Bauer aus Essen. 13 1 2013 WissensWert Einige Defekte des GIST-Zellzyklus haben die Hemmung eines Proteins zur Folge, das als Hauptregulator des Zellzyklus betrachtet wird - p53. Viele Biologen, die an der Ent­ deckung neuer Gene beteiligt waren, hatten Freude daran, diesen Proteinen ungewöhn­ liche und fantasievolle Namen zu geben. Interessante Beispiele verschiedener Gene sind Merlin, Teashirt, Spätzle, Van Gogh, Brainiac, Hamlet und INDY (bedeutet: I’m not dead yet [noch bin ich nicht tot], ein Gen, das im mutierten Zustand das Leben von Fruchtf liegen verlängert). Im Vergleich dazu hat „p53“ (auch bekannt als TP53) eine bürokratisch klingende und weniger provokante Bezeichnung, die sich auf das Gewicht des Proteins auf einer Kilodalton-Skala bezieht. Man könnte argumentieren, dass das äußerst wichtige p53-Gen einen Namen wie Cerberus oder Erzengel (Namen auf die schon einige weniger erforschte Gene Anspruch erheben) rechtfertigen würde, da p53 sehr oft darü­ ber entscheidet, ob eine genetische Störung repariert wird oder ob die Zelle stirbt (in Apoptose übergeht). Die Behandlung von GIST-Zellen mit Ima­ tinib in Kombination mit Medikamenten, die diesen Wachhund p53 aus der „Versen­ kung“ holen, verbessert in Laborversuchen das Therapieansprechen von Imatinib deut­ lich9. Dabei muss allerdings bedacht wer­ den, dass eine Manipulation von p53 auch normalen Zellen schaden kann. Aktuelle klinische Studien untersuchen sehr sorg­ fältig, ob solche Therapien auch sicher bei Patienten angewendet werden können. Wir hoffen, dass in den kommenden Jahren die genetischen Unterschiede zwischen den „leberf leckartigen“ Mikro-GISTs und dem malignen GIST weiter aufgeklärt werden können und uns damit dem ultimativen Ziel der Heilung von GIST näher bringt. 14 Literatur 1. Kawanowa K, Sakuma Y, Sakurai S, et al.: High incidence of microscopic gast­ rointestinal stromal tumors in the sto­ mach. Hum Pathol 37:1527-1535, 2006 2. Corless CL, McGreevey L, Haley A, et al.: KIT mutations are common in inci­ dental gastrointestinal stromal tumors one centimeter or less in size. Am J Pa­ thol 160:1567-1572, 2002 3. NORDLING CO: A new theory on cancer-inducing mechanism. Br J Can­ cer 7:68-72, 1953 4. Knudson AG, Jr.: Mutation and cancer: statistical study of retinoblastoma. Proc Natl Acad Sci U S A 68:820-823, 1971 5. Rubin BP, Antonescu CR, ScottBrowne JP, et al.: A knock-in mouse model of gastrointestinal stromal tumor harboring kit K641E. Cancer Res 65:6631-6639, 2005 6. Sommer G, Agosti V, Ehlers I, et al.: Gastrointestinal stromal tumors in a mouse model by targeted mutation of the Kit receptor tyrosine kinase. Proc Natl Acad Sci U S A 100:6706-6711, 2003 7. Schneider-Stock R, Boltze C, Lasota J, et al.: High prognostic value of p16INK4 alterations in gastrointestinal stromal tumors. J Clin Oncol 21:16881697, 2003 8. Lagarde P, Perot G, Kauffmann A, et al.: Mitotic checkpoints and chromo­ some instability are strong predictors of clinical outcome in gastrointestinal stro­ mal tumors. Clin Cancer Res 18:826838, 2012 9. Henze J, Muhlenberg T, Simon S, et al.: p53 modulation as a therapeutic strategy in gastrointestinal stromal tumors. PLoS One 7:e37776, 2012 Die Autoren Dr. Jonathan Fletcher PD Dr. Sebastian Bauer