Psychosomatische Grundversorgung G. Tuinmann 1 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung Literatur Empfehlungen „Blaue Reihe“ Insbesondere für Störungstheorie und Therapie spezifischer Störungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 2 Psychosomatische Grundversorgung • Hohe Inzidenz psychischer und psychosomatischer Erkrankungen in Haus- und Facharztpraxen • Mangelhafte Diagnostik und Behandlung • 30% akute behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen in der Allgemeinarztpraxis • Nur ca. 1/5 erhalten psychotherapeutische Behandlung UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 3 1 Psychosomatische Grundversorgung Die Bedeutung des ärztlichen Gespräches für Diagnostik und Therapie • 1/3 bis ½ der Arbeitszeit entfallen auf Gespräche mit Patient oder Angehörigen • Nach Anamnesegespräch können 70%, zusammen mit der körperlichen Untersuchung 90% aller Diagnosen richtig gestellt werden • Die Kooperation des Patienten und damit der Erfolg oder Misserfolg hängen in hohem Maß von der Qualität der Arzt-Patient-Kommunikation ab UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 4 Psychosomatische Grundversorgung Erstkontakt • Angenehme Atmosphäre • Ausreichend Zeit • Freundliche warmherzige Begrüßung • offene akzeptierende Haltung, aber dennoch ausreichende Distanz • Neugierde • Bewährte Einstellungen und Techniken – Innehalten, Geduld haben, abwarten – Zuhören (ungeteilte Aufmerksamkeit)( gleichzeitig beobachten) – Fragen – Die Person des Arztes als diagnostisches Instrument und – …Medikament – Von der subjektiven Wirklichkeit des Patienten zu einer gemeinsamen Wirklichkeit UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 5 Psychosomatische Grundversorgung Mängel und Fehler • Unterbrechungen von Schilderungen des Patienten (durchschnittlich nach 18 Sek) • Mangelnde Strukturierung des Gesprächs • Einengung des Patienten durch Suggestivfragen und geschlossene Fragen • Nichteingehen auf emotionale Äußerungen • Unklare und missverständliche Erklärungen zu Untersuchungsbefunden, Krankheitsdiagnosen und therapeutischen Empfehlungen • Vertikale Kommunikation • Zu rasche Psychologisierung des Problems bei fehlendem Psychosomatischen Krankheitsverständnis UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 6 2 Psychosomatische Grundversorgung Arztzentriert 1-3 min Patientenzentriert 3-1 min Arztzentriert 1-5 min Patientenzentrierte Kommunikation • Pausen (von mind.) drei Sekunden einhalten – Nur wenn sich Patient in Detail verliert, dann arztzentrierte Gesprächsführung: „Können Sie mir ihren Schwindel näher beschrieben“ oder „Sind die Schmerzen eher stechend oder stumpf?“ • Nonverbale und verbale Ermutigung zur Weiterrede • Zusammenfassen statt neue Fragen zu stellen (Passung Zwischen Patient und Arzt) • Nicht unbedingt zeitinteniver – viele Informationen werden generiert; diagnostische Umwege können vermieden, verstrauensbildende Massnahme 7 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung Arztzentriert 1-3 min Patientenzentriert 3-1 min Arztzentriert 1-5 min Arztzentrierte Kommunikation • • • • Zeitrahmen bestimmen Informationen thematisch gliedern Information verständlich mitteilen Themenwechsel ankündigen, Verständlich machen, warum gefragt wird • Auf mögliche Störungen hinweisen • Gesprächsende ankündigen • Rückfragen, ob alles richtig verstanden wurde UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 8 Psychosomatische Grundversorgung • „Liebling, das Bier ist alle“ Schulz von Thun entwickelte ein psychologisches Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation. Demnach enthält jede Mitteilung vier Botschaften gleichzeitig. Die vier Seiten einer Nachricht: UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 9 3 Psychosomatische Grundversorgung • „Liebling, das Bier ist alle“ UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 10 Psychosomatische Grundversorgung • „Liebling, das Bier ist alle“ • Selbstoffenbarung: ich habe das Bier getrunken und habe noch Durst (stellt sich selbst dar) • Sachverhalt: Die Bierflasche ist leer (teilt Sachinformation mit) • Beziehung: Ich erwarte, dass Du mich bedienst (Drückt das Verhältnis zum Empfänger aus) • Appell: Hole mir ein Bier (versucht den Empfänger zu beeinflussen) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 11 Psychosomatische Grundversorgung • „Liebling, das Bier ist alle“ UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 12 4 Psychosomatische Grundversorgung • „Liebling, das Bier ist alle“ • Selbstoffenbarungsohr: er ist noch durstig • Sachverhaltsohr: die Bierflasche ist leer • Beziehungsohr: er behandelt mich wie eine Sklavin – er nutzt mich aus • Appellohr: ich soll ihm ein Bier holen 13 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung • „Herr Doktor, Ihre Tabletten wirken nicht“ • Selbstoffenbarungsohr: er hat immer noch Beschwerden; er hat Angst vor Verschlechterung • Sachverhaltsohr: die Tabletten sind wirkungslos • Beziehungsohr: er hält mich für keinen guten Arzt • Appellohr: ich soll ihm andere Tabletten verschreiben 14 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung • Aktives Zuhören und Umgang mit Gefühlen • • • UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Offen ausgedrückte Emotionen direkt aufgreifen (Spiegeln) Nonverbal ausgedrückte Emotionen als Vorschlag anbieten Nicht klar ausgedrückte oder vermutete Emotionen ansprechen 15 5 Psychosomatische Grundversorgung Zusammenfassung • Eine gute Gesprächsführung in einer partnerschaftlichen ArztPatient-Beziehung besteht in einem ständigen Abstimmungsprozess • Grundhaltung ist eine respektvolle Neugier. • Folgende Gesprächstechniken sind hilfreich – Pausen – Parapharasieren – Zusammenfassen – Eingehen auf Gefühlsmäßige Äußerungen • Arzt ist für Strukturierung und Beendigung verantwortlich • Zusammenspiel von ärztlicher Grundhaltung und bewusst eingesetzter Techniken charakterisieren ein gutes ärztliches Gespräch UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 16 Psychosomatische Grundversorgung Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen • Somatoforme Störung • Angstkrankheiten • Essstörungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 17 Psychosomatische Grundversorgung Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen • Somatoforme Störung • Angstkrankheiten • Essstörungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 18 6 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Soma bedeutet Körper, Leib Erkrankungen, mit der Form körperlicher Erkrankungen, ohne Befund UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 19 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Häufigkeit organisch unerklärter Körperbeschwerden ”Normale” Körperbeschwerden: 90% innerhalb 1 Woche Hausärztliche Versorgung: 20-40% Fachärzte: zwischen 5 und 50% (Dermatologie → Gastroenterologie UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 20 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Bei 75% aller Patienten, die wegen Körperbeschwerden zum Hausarzt gehen, kommt es innerhalb von 2 Wochen zu Besserung/ Rückbildung Bestimmte Beschwerden chronifizieren und dann erfolgt erst nach 5-6 Jahren eine psychosomatischpsychotherapeutische Untersuchung/ Behandlung UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 21 7 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Der Patient ist durch körperliche Beschwerden belastet, für die keine ausreichende organische Ursache gefunden werden konnte Der Patient glaubt, dass diese körperlichen Beschwerden Ausdruck einer organischen Erkrankung sind Der Patient sucht Hilfe bei primär somatisch ausgebildeten Ärzten Die körperlichen Beschwerden stehen in Zusammenhang mit aktuellen oder zurück liegenden psychischen und sozialen Belastungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 22 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Somatisierungsstörung (F45.0) Undifferenzierte somatoforme Störung (F45.1) Hypochondrische Störung (F45.2) Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3x) z.B. Herzneurose, Magenneurose, Dysurie Anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.4 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 23 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Somatoforme Störungen sind häufig: ASS: 2-Jahreprävelenz 20-30% Somatoforme Störungen insgesamt: Lebenszeitprävalenz: 16% Somatisierungsstörung Lebenszeitprävelenz: 1% UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 24 8 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung a) Mind. 2 Jahre mit multiplen körperlichen Beschwerden, die durch keine diagnostizierbare körperliche Krankheit erklärt werden Können. b) Mehrfaches Aufsuchen medizinischer Einrichtungen aufgrund der ständigen Sorge um die Symptome c) Medizinische Feststellung, dass keine körperlichen Ursachen für die Symptome vorliegen, werden nicht akzeptiert Somatisierungsstörung (F45.0) d) Insgesamt mind. 6 weitere Symptome aus mindestens 2 verschiedenen der folgenden Gruppen: Gastrointestinale Symptome Kardiovaskuläre Symptome Urogenitale Symptome Haut- und Schmerzsymptome e) Ausschlusskriterium: Störung tritt nicht ausschließlich während einer Schizophrenie oder einer verwandten Störung (F2), einer affektiven Störung (F3) oder einer Panikstörung (F41.0) auf. UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 25 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung a) Mind. 6 Monate anhaltende Überzeugung an schwerer körperlichen Krankheit zu leiden oder anhaltende Beschäftigung mit einer vom Betroffenen angenommenen Entstellung oder Missbildung Hypochondrische Störung (F45.2) b) Sorge verursacht andauerndes Leid oder eine Störung des alltäglichen Lebens und veranlasst den Patienten, um medizinische Behandlungen oder Untersuchungen nachzusuchen c) Medizinische Feststellung, dass keine körperlichen Ursachen für die Symptome vorliegen werden nicht akzeptiert d) Ausschlusskriterium: s. Ausschlusskriterium F45.0 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 26 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3) a) Symptome der autonomen (vegetativen) Erregung, die von den Patienten einer körperlichen Krankheit in einem oder mehreren der folgenden Systeme oder Organe zugeordnet werden: Herz und kardiovaskuläres System Oberer/unterer Gastrointestinaltrakt Respiratorisches System Urogenitalsystem b) Zwei oder mehr der folgenden vegetativen Symptome Palpitationen Schweißausbrüche Mundtrockenheit Hitzewallungen oder Erröten Druckgefühl im Epigastrium, Kribbeln/Unruhe im Bauch UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 27 9 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3) c) Eines oder mehr der folgenden Symptome Brustschmerzen/Druckgefühl in der Herzgegend Dyspnoe oder Hyperventilation Außergewöhnliche Ermüdbarkeit bei leichter Anstrengung Aerophagie, Singultus oder brennendes Gefühl im Brustkorb oder im Epigastrium Bericht über häufigen Stuhlgang Erhöhte Miktionsfrequenz oder Dysurie Gefühl der Überblähung oder Völlegefühl d) Kein Nachweis einer Störung von Struktur oder Funktion der Organe oder Systeme, über die die Patienten klagen e) Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Symptome treten nicht ausschließlich im Zusammenhang mit einer phobischen (F40.0F40.3) oder einer Panikstörung (F41.0) auf UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 28 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) a) Mindestens 6 Monate kontinuierlicher, an den meisten Tagen anhaltender, schwerer und belastender Schmerz in einem Körperteil, der nicht adäquat durch den Nachweis eines physiologischen Prozesses oder einer körperlichen Störung erklärt werden kann, und der anhaltend der Hauptfokus für die Aufmerksamkeit der Patienten ist. b) Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Störung tritt nicht während einer Schizophrenie oder einer verwandten Störung (F20-F29) auf oder ausschließlich während einer affektiven Störung (F30F39), einer Somatisierungsstörung (F45.0), einer undifferenzierten somatoformen Störung (F45.1) oder einer hypochondrischen Störung (F45.2) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 29 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Chronische Schmerzen mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) Im Vordergrund des klinischen Bildes stehen seit mindestens 6 Monaten bestehende Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben. Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn. Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Der Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht. Schmerzstörungen insbesondere im Zusammenhang mit einer affektiven, Angst-, Somatisierungsoder psychotischen Störung sollen hier nicht berücksichtigt werden. UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 30 10 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Rene Descartes 1640: ...Schmerz als unidirektionales, nozizeptives ReizReaktionsmuster... UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 31 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 32 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Biologisch Stoffwechselstörungen (z.B. Serotonin, Dopamin, Cortisol) Erhöhte physiologische Reaktionsbereitschaft, somatosensorische Amplifizierung Periphere und zentrale Sensibilisierung, Verlust der körpereigenen Schmerzhemmung Symptomgedächtnis UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 33 11 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Mit Hilfe des PET-Verfahrens kann man sichtbar machen, dass sich bei Patienten mit chronischen Schmerzen das komplizierte System der Botenstoffe und ihrer Bindungsstellen in jenen Hirnregionen verändert hat, die Schmerzsignale aus dem Körper verarbeiten (Thalamus, Kortex und Hirnstamm). Die Aufnahmen zeigen Messungen bei Gesunden (links) sowie bei Patienten mit chronischen Schmerzen (rechts): In der Hirnrinde wird die veränderte Bindung von Opioiden anhand der unterschiedlichen Einfärbung deutlich (rot: normale Bindung; gelb: verminderte Bindung). neuropathischer Schmerz > Veränderung der Neuroplastizität > Ausbildung eines Schmerzgedächtnis > Chronifizierung Aus: BMBF, Informationsbroschüre chronischer Schmerz, 2005 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 34 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Genetische Prädisposition Chronische Erkrankungen in der Familie: häufig gleiches Geschlecht, gleiche Lokalisation UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 35 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Bevavioral • elterliche Modelle • Klassische und operante Konditionierung • Primärer/Sekundärer Krankheitsgewinn • Somatosensory amplification • Schonverhalten UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 36 12 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Körperliche Veränderungen Missempfindungen, Körperreaktionen Auslöser, Trigger Wahrnehmung Krankheitsverhaltensweisen Checking behaviour; erhöhte Wahrnehmung Arztbesuche; Doktorshopping Medikamenteneinnahme Schonungsverhalten Übermäßige Gesundheitssorgen Symptomverstärkung Erhöhte Aufmerksamkeit Fehlinterpretation 37 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Schmerz/Aktivitätsintoleranz Überlastung Gelenke Bindegewebe Muskelatrophie Haltungsverfall Schonung Bewegungsstörung Abbau aktiver Kompensationsmechanismen Rief & Hiller 1998 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 38 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Prädisponierende Persönlichkeitstypen (Alexithymie, interozeptiver Wahrnehmungsstil d.h. Neigung zur Selbstbeobachtung, unsichere, ängstlichvermeidende Bindungsstile) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 39 13 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Kognitionen eingeengter Gesundheitsbegriff Falsche Kontrollüberzeugungen und Kausalattribuierungen, Katastrophisieren, Bagatellisieren Fear avoidance beliefs Aufmerksamkeit Geringe Selbstwirksamkeitserwartung UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 40 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Psychosozial Lebensereignisse (Verlusterlebnisse, Gewalt, sexueller Missbrauch, späteres Trauma, Lebensabschnitte, Immigration) Der Körper vergißt nicht, sagt van der Kolk, und die Seele auch nicht, sie verdrängt höchstens oder leitet ihre Erregung in den Körper um UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 41 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Psychosozial UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 42 14 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Psychosozial Lebensereignisse (Verlusterlebnisse, Gewalt, sexueller Missbrauch, späteres Trauma, Lebensabschnitte, Immigration) Soziale Faktoren (schlechte sozio-ökonomische Lage, soziokulturelle Prägung, Familienmitglieder mit Substanzmissbrauch und/oder soziopathischen Zügen) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 43 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Iatrogen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 44 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Risikofaktoren Iatrogen Vorschnelle Mitteilung organischer Verdachtsdiagnosen (z.B. vor Abschluss der Untersuchungen) Fehlinterpretation von Bagatell- und Zufallsbefunden Verschreibung von Medikation trotz zweifelhafter Diagnose Ausschließlich negative Erklärung der Beschwerden („Sie haben nichts“) Widerspruch zwischen Beruhigung und Medikation Mangelnde Kommunikation mit anderen Behandlern UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 45 15 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 46 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Therapie – allgemein (n. Rief, 2007) Entgegennehmen der Symptomklage, Begleiten und Bestätigen der Glaubhaftigkeit der Beschwerden Hohe Ansprüche relativieren, Bewältigung statt Heilung Vollständige Exploration der körperlichen und möglichen psychischen Ursachen sowie der Einschränkung durch die Beschwerden sowie von Bewältigungsversuchen Ursachenüberzeugung des Patienten erfragen; Erfahrungen mit Vorbehandlungen und Entwicklung von Krankheitsmodellen Initialer Verzicht auf Deutung von Zusammenhängen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 47 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Therapie – allgemein (n. Rief, 2007) Frühzeitiges Besprechen einer möglichen Störung der Wahrnehmung von Körperprozessen als Ursache der Beschwerden Geplante, nicht redundante, zeitlich geraffte Diagnostik Besprechen von geplanten Schritten und ihren Konsequenzen Besprechen im Vorwege, wann die Diagnostik beendet wird Vermeidung von unnötigen Eingriffen und Bagatelldiagnosen Diagnose stellen und dem Patient mitteilen Aktiv Informationen geben über somatoforme Zusammenhänge UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 48 16 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Therapie – allgemein (n. Rief, 2007) Motivation zur Psychotherapie nicht als Bringschuld des Patienten, sondern als Ziel der Anfangsphase Medikamente kontrolliert einsetzen Struktur vorgeben und Zeitstruktur einhalten (Termine nicht länger als geplant) Regelmäßige Termine vergeben (zeit- vs. symptomkontingent) Motivation zu Stressabbau sowie körperlicher Bewegung. Inadäquatem Schonverhalten sollte vorgebeugt werden. Kooperation mit anderen Behandlern UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 49 Psychosomatische Grundversorgung Somatoforme Störung Therapie – speziell Psychotherapie Kognitive Verhaltenstherapie Entspannung Bewegung Kreativtherapien (Musik-, Kunst- Bewegungstherapie) Medikamentöse Therapie (Ernährung) (Physikalische Therapie) (Physiotherapie) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 50 Psychosomatische Grundversorgung Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen • Somatoforme Störung • Angstkrankheiten • Essstörungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 51 17 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Angst ist sinnvoll und notwendig als: – – – – Alarmsignal auf bedrohliche Ereignisse Vorbereitung des Körpers auf schnelles Handeln Bereitschaftszustand für Flucht und Vermeidung Angst ist ein normaler und notwendiger Teil unseres Lebens (insbesondere Schwellensituationen) – Angst äußert sich im Verhalten, in den Gedanken, in den Gefühlen und in körperlichen Reaktionen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 52 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Angst wird dann zur Krankheit, wenn: – – – – – – sie unangemessen stark ist Sie zu häufig und zu lange auftritt man die Kontrolle über sie verliert man Angstsituationen meiden muss sie zur Einschränkung des täglichen Lebens führt man stark unter ihr leidet. UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 53 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Ursachen: – Biologisch: erhöhtes physiologisches Erregungsniveau selektive Aufmerksamkeit für bedrohnungsrelevante Stimuli – Neurobiologisch: Über Verbindungen zum Hirnstamm und Hypothalamus scheint die Amygdala Stressreaktionen, das autonome Nervensystem und das Verhalten zu beeinflussen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 54 18 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Ursachen: – Klassische und operante Konditionierung, Zwei-Faktoren-Theorie nach Mowrer (Neutraler Reiz>Traumatisches Ereignis> konditionierten Reiz>Vermeidung>Reduktion der Angst) – Bei Panikstörung: interozeptive Konditionierung: Erfahrung eigener körperliche Erfahrungen oder schwerwiegende Krankheiten in der Familie. UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 55 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Ursachen: – Kognitive Theorien: • (n. Beck): frühere negative Erfahrungen führen zu ungünstigen kognitiven Schemata oder Grundüberzeugungen: – z.B. bei Angststörungen; unrealistische Bewertungen von Bedrohungsreizen; Vermeidung verhindert Änderung dysfunktionaler Überzeugungen – „Das Leben ist voller Gefahren“, „Jederzeit kann mich ein Schicksalsschlag heimsuchen“ – Automatische Gedanken: „Mein Herz klopft merkwürdig, es könnte ein gefährlicher Herzinfarkt drohen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 56 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Ursachen: – Psychobiologischer Teufelskreis UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 57 19 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Ursachen: – Psychosoziale Disposition: • Gestörte emotionale Entwicklung und Affektabstimmung (Fremdeln; Individuations-Seperationsphase; Trotzalter; Geschlechtsunterschiede; Schule, Pubertät) • Häufig unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten; Rollenmodell (selbstunsichere Mutter); schlecht integrierte/instabile Selbst- und Objektrepräsentanzen – Belastende Lebensereignisse • Verluste: Trennung, Scheidung, Tod, Krankheit, Job • Chronische Belastungssituationen (Arbeitsplatz, Familie, Partnerschaft) • Veränderung der Lebenssituation, Neue Anforderungen, Innere Konflikte 58 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Epidemiologie und Diagnostik: – Angstkrankheiten zählen zu den häufigsten psychischen Störungen (Lebenszeitprävalenz ca. 30%) • • • • Spezifische Phobie (4-9%) Soziale Phobie (13%) Agoraphobie (5%) Panikstörung (2-3%) F41.0: Plötzlich auftretende Angst, kein eindeutiger Auslöse • Generalisierte Angststörung (8,5%): oft monatelang andauernde Ängste, Sorgen, Befürchtungen, Schlafstörungen, vielfältige körperliche Symptome 59 UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Therapie: Selbstsichere, mütterlichfürsorgliche Arzt versucht dem Patienten Schutz, Geborgenheit und Wärme zu geben Cave: Autonomiegefährdung Kein stabiles inneres Objekt Kein Gefühl der Sicherheit Angepasstes Verhalten, hohe Erwartungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 60 20 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Therapie: Kein stabiles inneres Objekt Kein Gefühl der Sicherheit Angepasstes Verhalten, hohe Erwartungen; nach Beruhigung fordernd; klammernd Selbstunsichere Arzt mit depressiven Persönlichkeitsanteilen möchte den Patienten eher loswerden; vermeidet sich in die Hilflosigkeit einzufühlen; ist von anklammernden, fordernden Patienten irritiert Besser: Vermeidung von Überfürsorglichkeit , ohne den Patienten alleine zu lassen oder ihn zu überfordern UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 61 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Therapie: • Allgemein: Kontakthunger und Bedürfnis nach Sicherheit ertragen; Konstanz und Sicherheit vermitteln; Idealisierung abbauen; kein Therapeutischer Aktionismus, Realistische Behandlungsziele; gemeinsame Behandlungsplanung • Autonomie, d.h. Selbstständigkeit und Eigenverantwortung stärken (Ressourcenaktivierung) • Entspannungsverfahren (auch Atemtherapie) • Durchbrechung des Teufelskreises (Konfrontation, Korrektur der Fehlwahrnehmung und Fehlinterpretation) UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 62 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Therapie: • Abbau von Vermeidungsverhalten • Medikation: – Benzodiazepine nur sehr kurzfristig – Hopfen- oder Baldriankombinationen, Lasea – AD (Wirkungseintritt 2-4 Wochen; Behandlung mindestens 4-6 Monate) • Imipramin 50-150mg/Tag • SSRI, (SNRI) • Pregabalin bei gen. Angststörung UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 63 21 Psychosomatische Grundversorgung Angstkrankheiten • Therapie: Spezifische verhaltenstherapeutische Therapieverfahren bei unterschiedlichen Angststörungen (n. Margraf u. Schneider 1990) Panikstörung Reattribution körperliche und Psychischer Symptome, Konfrontation mit internen Reizen (z.B. Herzklopfen) Agoraphobie Konfrontation in vivo mit angstauslösenden Situationen Soziale Phobie Gruppentherapie Konfrontation in vivo und in sensu, Reattribution von Verhaltensweisen anderer; Training sozialer Kompetenz Spezifische Phobie Konfrontation mit angstauslösenden Reizen, evtl. systematische Desensibilisierung Generalisierte Angststörung Angstbewältigungstraining, Entspannungstraining, Grübelkonfrontation UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 64 Psychosomatische Grundversorgung Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen Spezielle Krankheitsbilder - Interventionen • somatoforme Störung • Angstkrankheiten • Essstörungen UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 65 Essstörungen Essstörungen • Internistische und psychosomatische Aspekte UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN 66 22