EINE PHILOSOPHISCHE MANAGEMENT-ETHIK EIN PROBLEMORIENTIERTER ANSATZ AUF DER GRUNDLAGE DES KRITISCHEN RATIONALISMUS INAUGURALDISSERTATION DER PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT BERN ZUR ERLANGUNG DER DOKTORWÜRDE VORGELEGT VON JOSEF H. NAEF SCHENKON (LU) BUCHBINDEREI SCHLAPFER, LUZERN, 2009 Von der Philosophisch-historischen Fakultät auf Antrag von PD Dr. Martin Bondeli (Hauptgutachter) und Prof. Dr. Enno Rudolph (Zweitgutachter) angenommen. Bern, den 9. Oktober 2009 2 Die Dekanin: Prof. Dr. Karénina Kollmar-Paulenz Meinen Eltern 3 4 Vorwort Mit der vorliegenden Dissertation beende ich – zumindest vorläufig – die vor neun Jahren begonnene philosophische Ausbildung. Wenn man erst in der zweiten Lebenshälfte die Disziplin, die einem näher steht als jede andere, studieren kann, dann braucht dies einen starken Willen, klare Zielvorstellungen und eine gehörige Portion Mut – Letzteres wurde mir erst im Laufe der Jahre so richtig bewusst –, aber vor allem die Unterstützung anderer Menschen. Mein grosser Dank richtet sich an meinen Doktorvater Herrn PD Dr. Martin Bondeli. In mehreren Gesprächen auf der Grossen Schanze durfte ich viele kritische Hinweise entgegennehmen, die immer wieder eine veränderte Sichtweise und die Prüfung von alternativen Theoriekonstruktionen ermöglichten. Erst durch diese ausserordentlich angenehme und hervorragende Betreuung konnte meine Arbeit an Reife gewinnen. Ebenfalls einen grossen Dank möchte ich meinem Zweitbegutachter Herrn Prof. Dr. Enno Rudolph aussprechen. Dass die Freude an der Philosophie im Laufe des Studiums noch grösser und ich in meiner Einschätzung über den gesellschaftlichen Wert der Philosophie bestärkt wurde, ist in allererster Linie sein Verdienst. Darüber hinaus durfte ich in den vielen Seminaren immer wieder erfahren, wie spannend die für unsere Gesellschaft so wichtigen philosophischen Diskussionen geführt werden können. Schliesslich von unschätzbarem Wert ist die von meiner Ehefrau Irène erhaltene Unterstützung durch all die Jahre hindurch. Obschon sie aus ihrem Bekanntenkreis manchmal ein gewisses Unverständnis über meine neue berufliche Ausrichtung entgegennehmen musste, zweifelte sie nie an der Richtigkeit des gefällten Entscheides. Und nur weil ich von unzähligen Alltags-Aufgaben entlastet wurde, konnte ich mich überhaupt mit der nötigen Intensität meiner Dissertation widmen. Irène gehört der allergrösste Dank! Josef Naef 5 6 Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 Einleitung 11 Teil 1: Einblick in die Disziplin der Wirtschaftsethik 15 1 Über das Verständnis von Wirtschaftsethik 2 Eine Analyse wirtschaftsethischer Ansätze 2.1 Der diskursethische Ansatz von Peter Ulrich 2.1.1 Über die sichtbaren Zeichen des Ökonomismus 2.1.2 Über die vermeintlichen Sachzwänge und die Gemeinwohlfiktion 2.1.3 Vernünftiges Wirtschaften mit Blick auf die Lebenswelt 2.1.3.1 Die teleologisch-ethische Fragestellung 2.1.3.2 Die deontologisch-ethische Fragestellung 2.1.3.2.1 Das Moralprinzip als verallgemeinerte moralische Gegenseitigkeit 2.1.3.2.2 Über die moralischen Rechte einer jeden Person 2.1.3.2.3 Die moralischen Rechte in einer Bürgergesellschaft 2.1.3.3 Wirtschaftsethische Topologie 2.1.3.3.1 Wirtschaftsbürgerethik 2.1.3.3.2 Ordnungsethik 2.1.3.3.3 Unternehmensethik 2.2 Der ordnungstheoretische Ansatz von Karl Homann 2.2.1 Die methodologische Grundlegung 2.2.1.1 Die Auseinandersetzung mit Habermas und Luhmann 2.2.1.2 Über das Verhältnis von Ethik und Ökonomik 2.2.1.3 Die Dilemmastruktur als erstes methodologisches Kernelement 2.2.1.4 Der homo oeconomicus als zweites methodologisches Kernelement 2.2.1.5 Vertragstheorie als drittes methodologisches Kernelement 2.2.2 Wirtschafts- und Unternehmensethik 2.2.2.1 Wirtschaftsethik als Ordnungsethik 2.2.2.2 Unternehmensethik als Handlungsethik 2.3 Der konstruktivistische Ansatz von Horst Steinmann und Albert Löhr 2.3.1 Über die Gründe des nicht-ethischen Verhaltens der Unternehmen 2.3.2 Theoretische Weichenstellungen 2.3.2.1 Wissenschaftstheorie des Konstruktivismus als Grundlegung 2.3.2.2 Die Betriebswirtschaftslehre als technisch-normative Wissenschaft 2.3.3 Unternehmensethik als angewandte Ethik 2.3.4 Über die Implementation der angewandten Ethik 2.4 Der governance-ethische Ansatz von Josef Wieland 2.5 Der intentionalistische Ansatz von Peter A. French 2.6 Der sozioökonomische Ansatz von Amitai Etzioni 2.7 Der pragmatische Ansatz von Richard T. De George 2.8 Der sozialethische Ansatz von Oswald von Nell-Breuning und Arthur Rich 2.9 Der neoaristotelische Ansatz von Peter Koslowski und Günther Bien 2.10 Der stakeholder-orientierte Ansatz von Elisabeth Göbel und Joseph W. Weiss 2.11 Der neokantische Ansatz von Norman E. Bowie und Paul J. Borowski 2.12 Der kontraktualistische Ansatz von Thomas Donaldson/Thomas W. Dunfee 2.13 Der Ansatz von Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship 15 19 20 21 22 23 24 26 27 28 28 29 30 32 33 36 37 37 39 41 43 46 48 49 51 53 54 55 56 58 60 63 66 67 68 69 69 71 72 74 76 76 7 2.14 Wirtschaftsethische Ansätze lanciert durch Politik, Wirtschaft und NGO 2.15 Der Ansatz der angloamerikanischen Business Ethics 3 Klassifikationsversuch wirtschaftsethischer Ansätze 4 Das Desiderat im philosophisch-wirtschaftsethischen Diskurs 78 80 83 85 Teil 2: Philosophische Ethik als Grundlage für den problemorientierten Ansatz 89 5 Was ist Ethik? 6 Metaethische Kategorien 6.1 Kognitivismus versus Nonkognitivismus 6.2 Moralischer Realismus 6.3 Linear-deduktive, kohärentistische und reflexive Begründungsmuster 6.4 Universalismus versus Partikularismus 6.5 Prinzipienethik, Normenethik und Situationsethik 6.6 Teleologische versus deontologische Ethiken 7 Überlegungen zur Anthropologie 8 Überlegungen zur Motivation 9 Fünf Paradigmen normativer Ethiken 9.1 Das Paradigma des Utilitarismus 9.2 Das Paradigma der kantischen Deontologie 9.3 Das Paradigma des Kontraktualismus 9.4 Das individualrechtliche Paradigma des Libertarismus 9.5 Das tugendethische Paradigma 10 Das Orientierungswissen als ethisches Grundgerüst 89 91 91 94 97 100 101 102 104 105 108 108 112 113 119 121 123 Teil 3: Angewandte Ethik – eine philosophische Management-Ethik als problemorientierter Ansatz 125 11 Über das begriffliche Verständnis von angewandter Ethik 12 Management als Bereich für angewandte Ethik 13 Philosophische Grundlegung 13.1 Karl R. Popper als Begründer des Kritischen Rationalismus 13.2 Hans Alberts Weiterentwicklung des Kritischen Rationalismus 13.3 Der Kritische Rationalismus als Metaethik 13.4 Der Kritische Rationalismus als philosophische Grundlegung 14 Die problemorientierte philosophische Management-Ethik auf der Grundlage des Kritischen Rationalismus 14.1 Das Problem als Ausgangspunkt 14.1.1 Moralische Problemphänomene 14.1.1.1 Arbeitslosigkeit 14.1.1.2 Armut 14.1.1.3 Gesundheitsgefährdung 14.1.1.4 Umweltzerstörung 14.1.1.5 Politische Instabilität 14.1.1.6 Wirtschaftskriminalität 14.1.1.7 Anstrengungen der Neuroökonomie-Neuromarketing 14.1.1.8 Megafusionen 14.1.2 Soziologische Untersuchungen 14.1.2.1 Gesellschafts- bzw. Funktionssysteme 14.1.2.2 Organisationssysteme 14.1.2.3 Interaktionssysteme 8 125 126 127 128 134 139 145 147 147 148 148 149 150 151 151 152 154 155 156 157 161 162 14.1.3 Ein vorläufiges Problemverständnis 14.1.4 Erkenntnistheoretische Untersuchungen 14.1.4.1 Erkenntnis als Konstruktionsprozess 14.1.4.2 Der Konstruktionsprozesses ist nicht sichtbar 14.1.4.3 Die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes ist ohne systematischen Erkenntnisfortschritt 14.1.5 Akzentuierte Problemstellung als Aufgabe für das teleologische System 14.2 Das teleologische System als normativ-ethisches Element 14.2.1 Die metaethischen regulativen Ideen 14.2.2 Zur Legitimation der metaethischen regulativen Ideen 14.2.3 Die kritische Funktion des teleologischen Systems 14.3 Das deontologische System als normativ-ethisches Element 14.3.1 Corporate Social Responsibility 14.3.2 Zehn deontologische Prinzipien 14.3.2.1 Das erste ethische Prinzip 14.3.2.2 Das zweite ethische Prinzip 14.3.2.3 Das dritte ethische Prinzip 14.3.2.4 Das vierte ethische Prinzip 14.3.2.5 Das fünfte ethische Prinzip 14.3.2.6 Das sechste ethische Prinzip 14.3.2.7 Das siebte ethische Prinzip 14.3.2.8 Das achte ethische Prinzip 14.3.2.9 Das neunte ethische Prinzip 14.3.2.10 Das zehnte ethische Prinzip 14.4 Die kritische Methode als anthropologische Voraussetzung 14.4.1 Die kritische Methode gegen das anthropologische Erkenntnisproblem 14.4.2 Die Skizzierung der Institutionalisierung der kritischen Methode 14.4.2.1 Workshops und Coaching 14.4.2.2 Konstruktivistische Didaktik 14.4.2.3 Exemplarische Didaktik 14.4.2.4 Pragmatische Didaktik 14.4.2.5 Philosophische Didaktik 14.4.2.6 Die Entscheidung zur Annahme der kritischen Methode 14.4.3 Alle Menschen sind fähig zur kritischen Methode 14.5 Motivationale Wissensvermittlung 14.5.1 Work-Life-Balance seitens der Führungsleute 14.5.2 Stärkung der unternehmerischen Existenzfähigkeit 14.5.3 Schutz vor der Zerstörung des Wirtschaftssystems 14.5.4 Die Empfehlung an den Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat 14.6 Über das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie 14.7 Schematische Darstellung 164 165 166 170 172 175 177 177 179 183 184 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 196 197 198 198 200 202 203 204 205 205 206 207 208 208 209 211 Kritische Würdigung 213 Literaturverzeichnis Werke Lexika- und Handbücher Zeitschriften und Zeitungen Internet 219 219 237 239 242 Abbildungsverzeichnis 248 9 10 Einleitung Unternehmen tendieren dazu, Konsumenten, Mitarbeiter, Führungsleute und andere Wirtschaftsakteure in erster Linie als Anreizsysteme aufzufassen, die durch raffinierte Werbekampagnen, Bonuszahlungen und andere Incentives beinahe nach Belieben für die unternehmerischen Interessen gesteuert werden können. Die Werbung wird in Bezug auf moralische Aspekte zusehends fragwürdiger. Der TV-Werbespot für das Produkt actilife zeigt zum Beispiel, dass sich die Konsumenten durch den Konsum von actilife vor Unfällen schützen können, dafür jedoch andere Menschen in genau diese Unfälle verwickelt werden; Fahrzeuge werden für ihren Beitrag gegen die ökologische Gefährdung gelobt, obschon nachweislich gerade sie die Ökologie schädigen. Mittlerweile steht fest, dass die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt zu einem erheblichen Teil durch die Menschen bzw. durch das Wirtschaftssystem verursacht ist, dennoch hat sich nicht viel an der Richtung des Denkens, Entscheidens und Handelns seitens der Unternehmen geändert. So produzieren Unternehmen tagtäglich für die grösseren Schweizer Städte und für beinahe jeden Bahnsteig eine Flut von Gratiszeitungen, die nur wenige Stunden später mit viel Aufwand wieder entsorgt werden müssen – die Gratisabendzeitung ist bereits im Druck –, während gleichzeitig das ökologische Gleichgewicht durch die Abholzung der Regenwälder immer mehr gefährdet und dadurch möglicherweise die ganze Menschheit in ihrer Existenz bedroht ist. Wenn eine gesetzliche Übertretung den Unternehmensinteressen dient und die Gefahr einer möglichen Sanktion klein oder das Sanktionsausmass unbedeutend ist, dann steht illegalem Handeln oft nichts im Wege; die weltweit grassierende Korruption – ein Haupthindernis in der Armutsbekämpfung 1 – ist dabei bloss ein Beispiel für kriminelles Verhalten seitens der Wirtschaftsakteure. Unternehmen überschwemmen mit ihren, oft von der Konkurrenz kaum unterscheidbaren, Produkten und Dienstleistungen übersättigte Märkte, mit der Konsequenz, dass der grosse Wettbewerbsdruck von den Menschen in den Unternehmen immer mehr abverlangt. Unternehmen profitieren vom fehlgeleiteten Wirtschaftshandeln, indem sich gerade dadurch Opportunitäten für Geschäftsideen eröffnen. Anders gesagt: Die Unternehmen befriedigen mit ihren Produkten und Dienstleistungen keineswegs nur „echte“ Bedürfnisse, sondern lösen zunehmend (betriebswirtschaftlich überaus erfolgreich) Probleme, die überhaupt erst durch das depravierte Wirtschaftssystem entstehen – Psycho- und Neuro-Pharmaka, Functional Food, Energy Drinks oder Luxusprodukte mit exorbitanten Preisen können als Beispiele genannt werden. Unternehmensverantwortliche werden trotz miserabler Managementleistung fürstlich bezahlt, während gleichzeitig Tausende von Menschen wegen angeblich notwendigen Kosteneinsparungen entlassen werden. Nicht wenige Unternehmensführer sind der Hybris verfallen und beanspruchen für sich ein Gehalt, das beispielsweise das Vierhundertfache eines durchschnittlichen Salärs beträgt. Unter dem Deckmantel der Globalisierung formieren sich multinationale Unternehmen zu Giganten, wodurch sie den für die Konsumenten vorteilhaften Wettbewerbsdruck reduzieren und die für die Menschen nachteilige Wirtschaftsmacht, zum Beispiel für die Anheizung und Ausnützung des internationalen Standortwettbewerbs, steigern. Um die Menschen für spezifische Wirtschaftsbereiche fit zu machen, greifen Unternehmen in das Bildungssystem ein und finanzieren Lehrstühle an Fachhochschulen und Universitäten. Diese unsystematische Aufzählung, die beinahe beliebig verlängert werden könnte, zeigt in aller wünschenswerten Deutlichkeit die beträchtliche Gefahr, dass wichtige Errungenschaften, zum Beispiel die Möglichkeit der individuellen Lebensgestaltung, die Verringerung des menschlichen Leidens oder die Abschwächung der Armut, wieder zunichte gemacht werden. Und zwar durch Unternehmen und Führungspersonen, die sich hinsichtlich der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung sowie in Bezug auf gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte immer verwerflicher 1 Vgl. Ch. A. Weber-Berg: Mehrwert Ethik. Added Value in Wirtschaft und Management, Zürich 2007, S. 109 11 verhalten und Milton Friedmanns Diktum: „The social responsibility of business is to increase its profits“ 2 bzw. „für die Aktionäre ihrer Gesellschaften so viel Gewinn wie möglich zu erwirtschaften“ 3 ohne Wenn und Aber umsetzen. Es ist zwar eine Tatsache, dass sich die Bedingungen der Unternehmen in beachtenswerter Weise verändert haben. So bedeuten der stärkere Konkurrenzdruck, die gesättigten Märkte und der enorme technische Fortschritt zweifellos eine grosse Herausforderung für jedes Unternehmen, aber dennoch gibt es für das gravierende moralische Fehlverhalten vieler Managements keine Entschuldigung. Es drängt sich die Frage auf: Wo bleibt die Ethik in der Wirtschaft? Nach Josef Meran sind es in der Tat solche Phänomene, die zu einer Wiederentdeckung der philosophischen Wirtschaftsethik geführt haben. 4 Durch die Social Choice Theory 5 gelang in den letzten dreissig Jahren, vorab im angloamerikanischen Wirtschaftsbereich, die Reintegration der Philosophie in die wirtschaftswissenschaftliche Grundlagendebatte. 6 Mit einem bemerkenswerten Ergebnis: Gemäss einer Umfrage aus dem Jahre 1991 haben mehr als 90 Prozent der befragten amerikanischen Unternehmen eine Business Ethics institutionalisiert, wobei diese Entwicklung dadurch befördert wurde, dass politische Rahmenbedingungen strafmildernde Umstände bei illegalem Verhalten vorsehen, wenn die Unternehmen ein Engagement im Bereich Business Ethics nachweisen können. 7 Die angloamerikanischen Business Ethics-Programme sind mittlerweile in der Form von Codes of Ethics, Ethics Hotline, Ethics Training, Ethics Audit usf. in den Unternehmen derart fest verankert, dass einige Unternehmen allein in diesem Bereich mehrere Hundert Mitarbeiter beschäftigen. 8 Mit Interesse, aber auch einiger Skepsis, werden die amerikanischen Business-EthicsAnstrengungen im europäischen Raum verfolgt. Um Praktiker und Theoretiker aus Philosophie, Theologie, Volks- und Betriebswirtschaftslehre zu einem fachübergreifenden Gedankenaustausch zusammenzuführen, wurde im Jahre 1987 das European Business Ethics Network (EBEN) gegründet. 9 Diesem folgte 1993 das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE), welches sich als Mittler zwischen Praxis und Wissenschaft im deutschsprachigen Raum versteht. 10 Thomas Beschorner attestiert dem deutschsprachigen Diskurs in Wirtschafts- und Unternehmensethik einen beachtlichen Reifegrad mit einem breit gefächerten Spektrum an verschiedenen Ansätzen. 11 Während in den USA die Lösung praktischer Probleme im Vordergrund steht und die Grundlagendiskussion eher vernachlässigt wird, besteht im deutschsprachigen Raum gerade die gegensätzliche Tendenz. Nach Beschorner ist das auch der Grund, weshalb die Vertreter der 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 M. Friedman: „The Social Responsibility of Business is to Increase Its Profits“, in: The New York Times Magazine, Ausgabe: 13.09.1970, S. 32ff M. Friedman: Kapitalismus und Freiheit, Übers. von P. C. Martin, 2. Auflage, München 2005, S. 165 Vgl. J. Meran, „Wirtschaftsethik. Über den Stand der Wiederentdeckung einer philosophischen Disziplin“, in: Wirtschaft und Ethik, Hrsg. von H. Lenk und M. Maring, Stuttgart 1992, S. 45 Die Soical Choice Theory bzw. Theorie der kollektiven Entscheidungen setzt sich mit den Gruppenentscheidungen durch Aggregation von individuellen Präferenzen auseinander. Das bedeutet, die Entscheidungen über das Problem des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden nicht von der Gesellschaft als Ganzem, sondern von den einzelnen Individuen her aufgerollt. (Vgl. G. Kirsch: Neue Politische Ökonomie, 5. Auflage, Stuttgart 2004, S. 19) Vgl. J. Meran, „Wirtschaftsethik. Über den Stand der Wiederentdeckung einer philosophischen Disziplin“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 48 Vgl. U. I. Meyer: Der philosophische Blick auf die Wirtschaft, Aachen 2002, S. 62 Vgl. B. Löhnert: „Die kulturellen Grundlagen amerikanischer Unternehmensethikprogramme. Eine interkulturelle Analyse“, in: Unternehmensethik in der Praxis. Impulse aus den USA, Deutschland und der Schweiz, Hrsg. von P. Ulrich und J. Wieland, Bern, Stuttgart und Wien 1998, S. 92f Vgl. L. Van Liedekerke: „Welcome“, eben. European Business Ethics Network [www.eben-net.org~, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. „Überblick zum DNWE“, Deutsches Netzwerk Wirtschaftsethik. Das Portal für Wirtschaftsethik im deutschsprachigen Raum [www.dnwe.de~, Aktualisiert: 22.11.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. T. Beschorner: Ökonomie als Handlungstheorie. Evolutorische Ökonomik, verstehende Soziologie und Überlegungen zu einer neuen Unternehmensethik, Marburg 2002, S. 17 deutschsprachigen Wirtschaftsethik gegenüber Anfragen von Unternehmen eher ratlos sind. 12 Dies ist umso bedenklicher, als empirische Umfragen, durchgeführt bei deutschen und schweizerischen Unternehmen, ein zwar langsam, aber immerhin kontinuierlich wachsendes Interesse für Ethikmassnahmen belegen. 13 Die aktuelle Situation im Wirtschaftsgeschehen, insbesondere die Art und Weise, wie viele Unternehmen durch Manager geführt werden, fordert den Verfasser dieser Arbeit als ausgebildeter Philosoph, Betriebsökonom und sowohl erfahrener wie auch erfolgreicher Unternehmer heraus, einen Beitrag gegen diese für die Gesellschaft im Grunde genommen dramatische Entwicklung – die überhaupt nicht als die Folge eines natürlichen Prozesses oder Laplace’schen Geistes 14 aufgefasst wird – zu leisten. Der angestrebte Beitrag zum deutschsprachigen Wirtschaftsethik-Diskurs lässt sich dabei wie folgt formulieren: Es soll aufgezeigt werden, wie Unternehmen mithilfe von konkreten philosophisch-ethischen Vorgaben geführt werden können, so dass gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte geschützt bleiben. Diesem Vorhaben liegen drei Prämissen zugrunde: Erstens: Die liberale, aber sozial gelenkte Marktwirtschaft eignet sich für die existenzielle Versorgung der Menschen, für die Steigerung des (materiellen) Wohlstandes sowie für die Pluralität von Lebensentwürfen besser als die Alternativen in der Form des Sozialismus und Kommunismus. Mit den Worten von Amartya Sen: „Generell gegen Märkte zu votieren wäre ungefähr so seltsam wie generell Gespräche zwischen Leuten abzulehnen – obschon manche Gespräche offensichtlich Schaden anrichten und anderen oder auch den Gesprächsteilnehmern selbst Probleme bereiten können.“ 15 Zweitens: Gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte können selbst mit einer sozial gelenkten Wirtschaftspolitik nicht ausreichend geschützt werden; Unternehmen sind deshalb gehalten, von sich aus, also freiwillig, moralische Anliegen in ihrem Denken, Entscheiden und Handeln zu berücksichtigen. Drittens: Die vielfach gehörte Ansicht, wonach Ethik bzw. Moral und Ökonomie nicht zusammenpassen, ist grundlegend falsch. Wie ist die Entwicklung der philosophisch-ethischen Vorgaben geplant? Die Arbeit wird in drei Teilen durchgeführt: Im ersten Teil geht es darum, einen Einblick in die wirtschaftsethische Diskussion zu erhalten, um die Erkenntnisse über den Forschungsstand der Wirtschaftsethik für die eigene Arbeit – im Allgemeinen gesehen – fruchtbar verwenden zu können. Im Besonderen soll das erarbeitete Wissen dazu benutzt werden, die Möglichkeit eines gezielten Beitrages zum wirtschaftsethischen Diskurs zu sondieren, so dass eine spezifische Leistung bestimmt und eine Forschungshypothese im Sinne eines roten Fadens für die weitere Arbeit formuliert werden können. Um diese Ziele zu erreichen, wird zunächst nach einem heuristischen Verständnis von Wirtschaftsethik gesucht, das dann mithilfe der Auseinandersetzung mit verschiedenen wirtschaftsethischen Ansätzen vertieft und erweitert werden kann. Als wichtiges Ergebnis wird sich dabei herausstellen, dass mit einem problemorientierten wirtschaftsethischen Ansatz ein Beitrag zur Beseitigung des Desiderats im wirtschaftsethischen Diskurs geleistet werden kann. Im zweiten 12 13 14 15 Vgl. a.a.O., S. 17f Vgl. P. Ulrich et al: „’Ethikmassnahmen’ in der Unternehmenspraxis. Zum Stand der Wahrnehmung und Institutionalisierung von Unternehmensethik in deutschen und schweizerischen Firmen – Ergebnisse einer Befragung“, in: Unternehmensethik in der Praxis, a.a.O., S. 177 Nach Ernst Cassirer hat der französische Mathematiker und Astronom Pierre-Simon Laplace das Bild eines allumfassenden Geistes gezeichnet, „der die vollständige Kenntnis eines bestimmten Weltzustandes in einem gegebenen Augenblick besäße und für den damit zugleich die Welt als Ganzes, in jedem Einzelzug ihres Daseins und Ablaufs, vollständig bestimmt wäre.“ (E. Cassirer: Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und Systematische Studien zum Kausalproblem, Bearb. von C. Rosenkranz, in: Gesammelte Schriften Hamburger Ausgabe, Hrsg. von B. Recki, Bd. 19, Hamburg 2004, S. 9) A. Sen: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, Übers. von Ch. Goldmann, München 2002, S. 17 13 Teil werden die über viele Jahrhunderte hinweg gewonnenen Grundlagen der Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie selektiv in den Blick genommen. Insbesondere geht es darum, hinsichtlich wichtiger ethischer und metaethischer Begriffe sowie der in der Tradition bedeutsamen ethischen Paradigmen ein Grundlagenwissen zu erarbeiten. Und zwar mit der Idee, aus diesem Grundlagenwissen mehrere ethische Grundfragen im Sinne eines Ethik-Grundgerüstes für die Entwicklung einer angewandten philosophischen Ethik ableiten zu können. Der dritte Teil – es ist der Hauptteil der Arbeit – besteht aus der Aufgabe, die angewandte problemorientierte philosophische Ethik zu entwickeln, und zwar unterstützt durch die gewonnenen Erkenntnisse aus den ersten beiden Teilen. Nachdem Management als der für die angewandte problemorientierte philosophische Ethik relevante Wirtschaftsbereich festgelegt ist, wird mit dem Kritischen Rationalismus der geeignete philosophische Standpunkt bestimmt. In einem engen Zusammenhang mit dieser Philosophie lassen sich dann moralische Problemfelder skizzieren, deren Lösung als die Kernaufgabe der problemorientierten philosophischen Management-Ethik gesehen werden kann. In diesem Sinne ist denn auch die Entwicklung der ethischen Regeln – als Lösung der skizzierten moralischen Problemfelder – das Kernstück dieses dritten Teils. In Anlehnung an die im zweiten Teil erarbeiteten Grundfragen und die im Rahmen der Problemanalyse durchgeführten soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen geht es im Weiteren darum, die anthropologischen Voraussetzungen hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeit der ethischen Regeln sowie die Motivationsbedingungen in Bezug auf die Akzeptanz der problemorientierten philosophischen Management-Ethik sicherzustellen. Abgeschlossen wird die hier vorliegende Arbeit mit einer kritischen Würdigung, in der die formulierte Forschungshypothese nochmals in den Vordergrund gerückt wird, und zwar mit der Absicht, die eigenen Vorgaben mit dem – der eigenen Ansicht nach – erreichten Resultat zu vergleichen. Obschon im dritten Teil dieser Arbeit sowohl die Anwendungsvoraussetzungen wie auch die Akzeptanzbedingungen erörtert werden, gehören die theoretischen Überlegungen, wie die philosophische Ethik bei den Unternehmen konkret eingeführt werden kann, nicht zur Aufgabe der Dissertation. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass diese Arbeiten nicht philosophischer Natur sind, sondern in erster Linie die Gebiete der Betriebswirtschaftslehre und Betriebspsychologie betreffen. Mit welchen Methoden wird das erläuterte Vorgehen durchgeführt? Da es sich um eine philosophische Arbeit handelt, stehen die Methoden der Philosophie im Vordergrund. Das heisst: Die Aufnahme von wirtschaftsethischen Positionen verdankt sich der hermeneutischen Methode, während moralische Probleme phänomenologisch gewonnen werden – der Begriff „phänomenologisch“ wird hier nicht im strengen Sinne der Phänomenologie als philosophische Richtung verstanden. Die grösste Bedeutung kommt jedoch der sprachlogischen Methode zu. Das bedeutet: Die Gedankengänge sind mithilfe der Logik stringent, kohärent und konsistent aufzuzeichnen, so dass sie von der lesenden Person den Gedanken des Verfassers entsprechend nachvollzogen werden können. Die Anwendung der philosophischen Methoden bedeutet im Übrigen, dass empirische Daten nicht zum eigentlichen Forschungsteil der Arbeit gehören, obschon sie den Anstoss für diese philosophische Arbeit gegeben haben und für die Überprüfung von philosophischen Standpunkten äusserst wertvoll sind. 14 Teil 1: Einblick in die Disziplin der Wirtschaftsethik Im Hinblick auf die Entwicklung einer philosophischen Ethik – als wirtschaftsethische Theorie – möchte der Verfasser dieser Arbeit in diesem ersten Teil die Statur der Disziplin der Wirtschaftsethik herausarbeiten. Dabei wird allerdings nicht der Versuch unternommen, einen umfassenden Stand der aktuellen wirtschaftsethischen Diskussion einzuholen. Bereits vor mehr als zehn Jahren stellte Georges Enderle fest, dass ein vollständiger Überblick über den wirtschaftsethischen Diskurs nicht mehr möglich ist: „It is undoubtedly fair to say that in the mid 1990s, nobody has a complete view of what is going on in the field of business ethics in North America and Europe.“ 16 Die Bemühungen richten sich deshalb vor allem auf die Gewinnung eines begrifflichen Verständnisses sowie eines Überblickes über die wichtigsten wirtschaftsethischen Ansätze, damit diese Erkenntnisse für die eigene wirtschaftsethische Theorie fruchtbar gemacht werden können. In diesem Sinne umfasst der erste Teil dieser Arbeit vier Kapitel: Zunächst wird ein begriffliches Verständnis über Wirtschaftsethik erarbeitet, danach werden verschiedene wirtschaftsethische Ansätze vorgestellt, so dass im dritten Kapitel, als Ergebnis dieser Explikation, der Versuch einer Klassifikation der verschiedenen wirtschaftsethischen Ansätze unternommen werden kann. Im vierten Kapitel geht es dann schliesslich darum, die Idee des eigenen wirtschaftsethischen Ansatzes zu präzisieren und dazu die Forschungsthese vorzustellen. 1 Über das Verständnis von Wirtschaftsethik 16 G. Enderle: „Focus: A Comparison of Business Ethics in North America and Continental Europe“, in: Business Ethics: A European Review, Bd. 5, Heft 1 (1996), S. 36 K. Homann: „Wirtschaftsethik“, in: Lexikon der Wirtschaftsethik, Hrsg. von G. Enderle et al., Freiburg i. B., Basel und Wien 1993, S. 1287 Als Ökonomik werden die Wirtschaftswissenschaften (Volks- und Betriebswirtschaftslehre) bezeichnet. (Vgl. K. Homann und A. Suchanek: Ökonomik: Eine Einführung, Tübingen 2000, S. 2ff). Sie ist im Grunde genommen das Pendant zur Ethik. Während die Ökonomik als Reflexionsdisziplin die Ökonomie bzw. die Wirtschaft zu ihrem Untersuchungsgegenstand hat, befasst sich die Ethik als Reflexionsdisziplin mit der Moral. Vgl. J. Gerlach: „Das Zuordnungsverhältnis von Ethik und Ökonomik als Grundproblem der Wirtschaftsethik. Die generelle Problematik der Zuordnung von Ethik und Ökonomik“, in: Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Hrsg. von W. Korff et al., Gütersloh 1999, S. 834f Nach Karl Homann lässt sich die moderne Wirtschaftsethik „als Reflex des wachsenden Verlangens verstehen, das wirtschaftliche Handeln wieder stärker an moralischen Idealen wie Humanität, Solidarität und Verantwortung zu orientieren.“ 17 Es versteht sich von selbst, dass es dabei verschiedene Auffassungen gibt, wie dies im Einzelnen geschehen soll, hingegen ist das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie bzw. Ethik und Ökonomik 18 für jede wirtschaftsethische Theorie von derart grundlegender Bedeutung, dass kein wirtschaftsethischer Standpunkt ohne eine explizite oder implizite Zuordnung dieser beiden Gebiete denkbar ist. 19 Dies kommt mitunter auch dadurch zum Ausdruck, dass jede Kritik eines wirtschaftsethischen Ansatzes immer zugleich eine Kritik des von diesem Ansatz gewählten Zuordnungsverhältnisses impliziert. Um einen Eindruck über mögliche Zuordnungsverhältnisse im Besonderen und ein Verständnis für den Begriff „Wirtschaftsethik“ im Allgemeinen zu erhalten, werden im Folgenden einige Auffassungen von Wirtschaftsethik vorgestellt – nicht beurteilt! -, ohne dabei auch nur im Geringsten den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Georges Enderle hat vor zwei Jahrzehnten drei mögliche Varianten des Verhältnisses zwischen der Ethik und den Wirtschaftswissenschaften bestimmt: Bei der ersten Variante nimmt die Ethik gegenüber den Wirtschaftswissenschaften einen dominanten Status ein, bei der zweiten beanspruchen die Wirtschaftswissenschaften den Primat gegenüber der Ethik und bei der dritten Variante sehen sich beide Disziplinen als gleichwertig, anerkennen also den je eigenständigen Status und bestimmen ein gegenseitiges Verhältnis, das im Extremfall keine Berührungspunkte 17 18 19 15 zulässt und im anderen Fall ein enges Zu- und Miteinander vorsieht. 20 Enderle betont, dass der Primat der Ethik in der Theoriegeschichte eine Vielzahl von Vertretern gefunden hat, während der Standpunkt, wonach der Ökonomik der Vorrang gehört, erst seit dem 20. Jahrhundert eingenommen wird. 21 Nach Enderle sprechen vor allem zwei Gründe dafür, Ethik und Wirtschaftswissenshaften als gleichwertig zu betrachten: 22 Erstens sei es nur dann möglich, prinzipielle Konflikte zwischen ethischen und ökonomischen Aspekten ins Auge zu fassen, zweitens würden die Vorzüge der jeweiligen Disziplinen für ein fruchtbares Miteinander erst durch ein gleichwertiges Verhältnis zur Geltung gebracht werden können. Im Übrigen betont Enderle, dass bei Ethik zwischen philosophischer und theologischer Ethik und bei den Wirtschaftswissenschaften zwischen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre zu unterscheiden sei, die Hauptproblematik indessen im Spannungsfeld der philosophischen Ethik und der Volkswirtschaftslehre liege. 23 Josef Meran versteht unter Wirtschaftsethik eine Disziplin, „die es sich zur Aufgabe macht, zunächst zu klären, in welcher Weise sowohl das wirtschaftliche Denken und Handeln als auch die institutionelle Ordnung der Wirtschaft einer moralischen Beurteilung unterliegen, sodann diejenigen Prinzipien und Normen der Moral aufzustellen und zu rechtfertigen, denen das wirtschaftliche Handeln und die Wirtschaftsordnung unterworfen werden sollen, schließlich in moralrelevanten unternehmerischen und wirtschaftspolitischen Entscheidungssituationen konkrete Handlungsempfehlungen auszusprechen.“ 24 Mit anderen Worten: Wirtschaftsethik beschäftigt sich mit drei Aufgaben: Sie reflektiert erstens, inwieweit das Wirtschaftssystem moralischen Gesichtspunkten unterliegt, zweitens bestimmt und begründet sie normativ-ethische Prinzipien und Normen und drittens leistet sie Hilfestellung zur Anwendung der vorgegebenen ethischen Regeln in Bezug auf konkrete Handlungssituationen. Meran weist darauf hin, dass das seit Mitte des 19. Jahrhunderts angehäufte theologische Schrifttum zur Wirtschaftsethik immens sei, während von einer eigentlichen Wiederentdeckung der philosophischen Wirtschaftsethik gesprochen werden müsse. 25 Auch nach Peter Koslowski hat sich die Philosophie hinsichtlich des wirtschaftlichen Geschehens merklich zurückgehalten; er fragt nicht nur nach der Wirtschaftsethik als Teil der Philosophie, sondern darüber hinaus nach der Disziplin Wirtschaftsphilosophie: „Man muß die Fragestellung erweitern zur Frage: ‚Wo bleibt eine Disziplin, die man Wirtschaftsphilosophie nennen könnte und von der die Wirtschaftsethik ein Teil ist?‘ Es gibt ein Analogon: die Rechtsphilosophie. Die Rechtsphilosophie wird von Rechtswissenschaftlern und von Philosophen betrieben. Sie hat eine lange Tradition in beiden Fächern. Wenn man die großen institutionellen Teilbereiche der bisherigen Sozialphilosophie, also Staat, Gesellschaft, Recht betrachtet, springt ins Auge, daß die Wirtschaft und so etwas wie eine Wirtschaftsphilosophie in der Philosophie des Sozialen heute weitgehend abwesend sind.“ 26 Diesen Ausführungen entsprechend schlägt Koslowski vor, zwischen Wirtschaftsethik und Ethischer Ökonomie zu unterscheiden. 27 Erstere sieht Koslowski als praktische Anwendungsdisziplin der Ethik: „Sie wendet die Ansätze, Instrumente und Entscheidungshilfen der ethischen Theorie auf Sachfragen der Wirtschafts- und Unternehmensentscheidung an.“ 28 Letztere schliesst Wirtschaftsethik mit 20 21 22 23 24 25 26 27 28 16 Vgl. G. Enderle: Wirtschaftsethik im Werden. Ansätze und Problembereich der Wirtschaftsethik, St. Gallen 1988, S. 19 Vgl. a.a.O., S. 21f Vgl. a.a.O., S. 28f Vgl. a.a.O., S. 29 J. Meran: „Wirtschaftsethik. Über den Stand der Wiederentdeckung einer philosophischen Disziplin“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 46f Vgl. a.a.O., S. 50f P. Koslowski: „Wirtschaftsethik - Wo ist die Philosophie? Warum die Philosophie die Ökonomie nicht nur den Ökonomen überlassen kann“, in: Wirtschaftsethik - Wo ist die Philosophie?, Hrsg. von P. Koslowski, Heidelberg 2001, S. 1f Vgl. a.a.O., S. 14f P. Koslowski: „Wirtschaftsethik - ein neues Paradigma der Wirtschaftswissenschaft und der Philosophie?“, in: Neuere Entwicklungen in der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie, Hrsg. von P. Koslowski, Heidelberg 1992, S. 10 ein, geht aber im Versuch, eine Synthese zwischen Ethik und Ökonomie herzustellen, über sie hinaus. Und zwar dergestalt, dass ethische Theoriebestandteile Eingang finden in der ökonomischen Theoriebildung, beispielsweise in den Überlegungen zum Preissystem, mit der Idee, die positive Ökonomik an ihre eigene (ethische) Tradition zurückzubinden. 29 Nach Koslowski ist Wirtschaftsethik bzw. Ethische Ökonomie kein Oxymoron, also kein „hölzernes Eisen“, „sondern die Anerkennung der Unterschiedenheit und Zusammengehörigkeit der stärksten und besten Antriebe im Menschen und der Entwurf von Regeln und Institutionen, die von beiden Antrieben Gebrauch machen.“ 30 Wolfang Kersting teilt Koslowskis Auffassung einer ethisch-ganzheitlichen Ökonomie, allerdings muss seiner Ansicht nach eine emanzipatorische Kontextualisierung sich darum bemühen, „die Wirtschaftsethik auf Modernitätshöhe zu bringen“ 31 und darf keinen Rückzug in vormoderne Traditionswelten antreten: „Es gibt kein gemeinsames Gutes, das nach aristotelischer Manier heute die Individuen und die gesellschaftlichen Funktionssysteme in eine umfassende Gesamtgesellschaft einbinden könnte; es gibt keine soziale Teleokratie, die Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu einer Textur sinnhaften allgemeinen Lebens verweben könnte.“ 32 Nach Kersting ist eine emanzipatorische Wirtschaftsethik denn auch mehr als nur eine Nebenwirkungsethik, „sie ist Hauptwirkungsethik, die wirtschaftliches Handeln den gesellschaftlichen Diskursen aussetzt. (…) Eine Wirtschaftsethik der kulturellen Modernisierung hat keine sittliche Integration im Sinn, will die Ökonomie nicht ethisieren; sie will die Ökonomie zur Vernunft bringen und setzt dabei auf Reflexion, Kritik und Öffentlichkeit und richtet sich gegen jeden Versuch, den emanzipationsgerichteten, also Abhängigkeitsverhältnisse durch Selbstverfügungsverhältnisse ersetzenden Prozeß der kulturellen Modernisierung durch die Anrufung der alten Traditionsmächte zu hemmen.“ 33 Eine so zur Vernunft gebrachte Ökonomie soll erkennen, dass ungehemmtes wirtschaftliches Handeln, welches sämtliche erkennbaren und absehbaren Risiken und Gefahren unbeachtet lässt, eine Beleidigung der Vernunft ist, Hinnahmebereitschaft, Gelassenheit und Leidensfähigkeit nicht als Tugenden entdeckt werden müssen, nur weil sich das blinde Wirtschaftsgeschehen hinter den Kategorien Sachzwang, Eigengesetzlichkeit oder Systemforderung verschanzen will. Nach Olaf J. Schumann kann aufgrund des Desiderats theoriegeschichtlicher Untersuchungen seitens der Wirtschaftsethik leicht der Eindruck aufkommen, dass die Bemühungen um die Klärung des Verhältnisses zwischen Ethik und Ökonomie eine Erfindung der 1980er Jahre sind. 34 Nach Schumann war die Ökonomie nicht nur über einen Zeitraum von 2000 Jahren ein Teilgebiet der philosophischen Ethik, sondern auch nach Adam Smiths Werk Der Wohlstand der Nationen ist sie die ethische Frage nicht losgeworden. 35 Letzteres zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ökonomische Theorien selbst dort von einer impliziten Ethik 36 durchzogen sind, wo strenge wissenschaftliche Massstäbe angelegt werden. Schumann plädiert für ein Ökonomieverständnis, das an den von Adam Smith unternommenen Versuch erinnert, die von 29 30 31 32 33 34 35 36 Vgl. a.a.O., S. 10 P. Koslowski: Prinzipien der Ethischen Ökonomie. Grundlegung der Wirtschaftsethik und der auf die Ökonomie bezogenen Ethik, Tübingen 1988, S. 19 W. Kersting: „Probleme der Wirtschaftsethik“, in: Ökonomie und Moral. Beiträge zur Theorie ökonomischer Rationalität, Hrsg. von K. R. Lohmann und B. P. Priddat, München 1997, S. 37 A.a.O., S. 37 A.a.O., S. 38 Vgl. O. J. Schumann: „Wirtschaftsethik und Politische Ökonomie in theoriegeschichtlicher Perspektive“, in: Das Ethische in der Ökonomie. Festschrift für Hans G. Nutzinger, Hrsg. von T. Beschorner und T. Eger, Marburg 2005, S. 109 Vgl. a.a.O., S. 109f Der Ausdruck „implizite Ethik“ stammt von Karl-Heinz Brodbeck. Nach Brodbeck müssen Wirtschaftswissenschaften aus einer inneren Notwendigkeit heraus die Form einer Ethik annehmen. Er plädiert deshalb dafür, die implizite Ethik aufzugeben „und wirtschaftliche Fragen als ethische Probleme offen zu diskutieren.“ (K.-H. Brodbeck: „Ökonomische Theorie als implizite Ethik. Erkenntniskritische Anmerkungen zur ′reinen Wirtschaftswissenschaft′“, in: Wirtschaftsethik als kritische Sozialwissenschaft, Hrsg. von M. Breuer et al., Bern 2003, S. 194) 17 Aristoteles entwickelte Trias Ökonomie – Politik – Ethik zur Integration zu bringen. 37 Denn – so Schumann – Ethik, Politik und Ökonomie hängen eng zusammen. „Sie gehen jedoch weder wechselseitig ineinander auf, noch sind sie in einem hierarchischen Verhältnis angeordnet. Sie stellen vielmehr gleichberechtigte, aber interdependente Systeme dar.“ 38 Schumann betont weiter, dass diese Trias in einer ständigen Bewegung sei, die Schnittmengen heute jedoch kleiner geworden seien und der Gedanke einer Politischen Ökonomie 39 als Integrationskraft allenfalls weiterhelfen könne. 40 Im Weiteren weist Schumann darauf hin, dass die Wirtschaftsethik in den Wirtschaftswissenschaften immer noch um Anerkennung kämpfen muss. 41 Seiner Ansicht nach hängt dies damit zusammen, dass der wissenschaftstheoretische Status der Wirtschaftsethik noch immer ungeklärt ist und die Frage nach wie vor im Raume steht, „ob Wirtschaftsethik überhaupt als wissenschaftliche Subdisziplin der Wirtschaftswissenschaften anerkannt werden kann.“ 42 Um dazu Anhaltspunkte zu finden, untersucht Schumann, inwieweit sich die Forschungsfelder der Wirtschaftsethik mit dem Kritischen Rationalismus stützen lassen. Gleichzeitig will er auf Missverständnisse hinsichtlich der Rezeption des Kritischen Rationalismus hinweisen und deutlich machen, dass Karl Homann „das kritische Potenzial dieser Wissenschaftstheorie bei weitem nicht ausnutzt und an Methoden und Prinzipien festhält, die im kritischen Rationalismus selbst – zumindest in der Version von Albert – keine Zustimmung finden“ 43, und dass Peter Ulrich, der im Kritischen Rationalismus kein akzeptables Modell sieht, „in vielen Punkten in Übereinstimmung mit kritisch rationalen Auffassungen steht“ 44. Schumann – er sieht sich nicht als Verfechter des Kritischen Rationalismus, sondern vertritt eher die Position des Radikalen Konstruktivismus, die, so Schumann, zwar Gemeinsamkeiten mit dem Kritischen Rationalismus aufweise, sich aber dennoch in wesentlichen Punkten unterscheide45 – kommt zum Ergebnis, dass die Wissenschaftstheorie des Kritischen Rationalismus die Tür zur Behandlung normativethischer Probleme in der Ökonomie öffnet, und zwar dergestalt, dass die normativen Grundlagen der Ökonomie herausgearbeitet und einer Kritik unterzogen werden können. 46 Im Weiteren können ökonomische Begriffe, Prinzipien und Konzeptionen hinsichtlich ihrer philosophischen und ethischen Dimension erschlossen und die implizite Wertdimension der ökonomischen Theorie systematisch erfasst werden, und zwar mit Schumanns Idee, die praktische Ökonomie im Sinne einer Politischen Ökonomie in die Trias Ethik – Politik – Ökonomie einzubetten und eine Alternative zum neoklassischen Programm zu entwickeln. 47 Nach Schumann ist Wirtschaftsethik im Sinne des Kritischen Rationalismus auch gegenüber der Praxis nicht sprachlos: „Es wurde unter Bezug auf Albert gezeigt, dass es aus Sicht des kritischen Rationalismus Brückenprinzipien gibt, die es der Wirtschaftsethik nicht nur erlauben, sondern sogar nahe legen, Sozialkritik zu betreiben – das wurde mit den Begriffen Aufklärung und Steuerung erläutert. In diesem Zusammenhang besteht ihre Aufgabe darin, ethisch-moralische Problemfelder zu lokalisieren, eine kritische Diskussion darüber zu initiieren und sie vor allen in einem interdisziplinären und methodisch offenen Diskurs zu führen.“ 48 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 18 Vgl. O. J. Schumann: „Wirtschaftsethik und Politische Ökonomie in theoriegeschichtlicher Perspektive“, in: Das Ethische in der Ökonomie, a.a.O., S. 132 A.a.O., S. 132 Bezugnehmend auf Adam Smith geht es der Politischen Ökonomie darum, die Ökonomie als eigenständigen Bereich zu etablieren, sie aber dennoch an die aristotelische Trias Ökonomie - Politik - Ethik anzubinden. (Vgl. O. J. Schumann: „Wirtschaftsethik und Politische Ökonomie in theoriegeschichtlicher Perspektive“, in: Das Ethische in der Ökonomie, a.a.O., S. 111f) Vgl. a.a.O., S. 132f Vgl. a.a.O., S. 109 O. J. Schumann: „Wirtschaftsethik und die Sphäre der Kritik. Eine wissenschaftstheoretische Betrachtung“, in: Wirtschaftsethik als kritische Sozialwissenschaft, a.a.O., S. 64 A.a.O., S. 63 A.a.O., S. 63 Vgl. a.a.O., S. 64 Vgl. a.a.O., S. 83 Vgl. a.a.O., S. 83 A.a.O., S. 84 Nach Walther Ch. Zimmerli und Michael S. Aßländer stellt sich für Wirtschaftsethik das gleiche Problem wie für jede andere angewandte Ethik, nämlich, „die formalen apriorisch entwickelten Überlegungen der Ethik auf konkrete Anwendungssituationen zu beziehen.“ 49 Weil der Anwendungsbereich jedoch eine dynamische Lebenswirklichkeit darstellt, muss der Gedanke, „es werde eine – woher auch immer stammende – reine Ethik auf irgendeinen Bereich nur appliziert, preisgegeben werden“ 50 – nach Zimmerli und Aßländer gilt es beispielsweise das unternehmerische Gewinnstreben oder die Sicherung der Marktposition als Sachzwang zu akzeptieren. 51 Dies führt nach Zimmerli und Aßländer zu schwerwiegenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen, denn damit „läßt sich auch die Trennung von Letztbegründung der Prinzipien einerseits und praxisnaher Umsetzung zur Lösung konkreter ethischer Einzelprobleme andererseits – wie sie etwa von der Transzendentalpragmatik propagiert wird – nicht mehr halten.“ 52 Zimmerli und Aßländer sehen die Wirtschaftsethik vor einer dreifachen Herausforderung: 53 Die erste besteht in der Wissensexplosion und Technologisierung, worauf die philosophische Ethik mit einer Verschiebung von der theoretischen zur praktischen Ausrichtung im Sinne einer problemorientierten Ethik zu reagieren hat, die zweite Herausforderung ergibt sich aus den unterschiedlichen koexistierenden, nicht mehr auf einen Konsens zurückführbaren Wertüberzeugungen, die eine Verschiebung ethischer Theorien von einer monistischen zu einer pluralistischen Ausrichtung nahelegt, und die dritte Herausforderung liegt schliesslich in der Erkenntnis, dass unser Dasein als Wirtschaftsakteure wissenschaftliche Fragen in Bezug auf die Natur und den Menschen aufwirft, die es bedingen, die Erkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften stärker in die ethische Theoriebildung einzubeziehen. Um diese Herausforderungen annehmen zu können, verfährt die Wirtschaftsethik – so Zimmerli und Aßländer – „sowohl deskriptiv, indem sie die Grundlagen ökonomischer Theoriebildung beschreibt und deren Aussagekraft hinterfragt, als auch normativ, indem sie Sollensansprüche formuliert, denen ökonomisches Handeln genügen muß, und diese Normen begründet.“ 54 2 Eine Analyse wirtschaftsethischer Ansätze Nach Zimmerli und Aßländer lassen sich die Ansätze der Wirtschaftsethik prinzipiell anhand zweier Kriterien ordnen, nämlich nach einer systembezogenen und einer akteurbezogenen Kategorisierung. 55 Mit dem systembezogenen Kriterium wird zwischen der Makroebene, der Mesoebene sowie der Mikroebene unterschieden. Auf der Makroebene untersucht die Wirtschaftsethik den Staat, das politische System, Wirtschaftssystem und die Gesamtgesellschaft – nach Zimmerli und Aßländer bezeichnet der Begriff „Wirtschaftsethik“ im engeren Sinn diesen Makrobereich 56. Auf der Mesoebene nimmt die Wirtschaftsethik moralische Probleme bei Unternehmen, Organisationen und Kooperationen in den Blick – Zimmerli und Aßländer betonen, dass sich hierfür der Begriff „Unternehmensethik“ etablieren konnte. 57 Und auf der Mikroebene schliesslich versucht die wirtschaftsethische Disziplin, „Fragen des individuellen richtigen Handelns innerhalb des ökonomischen Lebensbereichs zu beantworten.“ 58 Beim akteurbezogenen Unterscheidungskriterium steht nicht die systematische Einteilung des Untersuchungsgegenstandes im Vordergrund, sondern die Frage nach dem Handlungs- und 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung. Ein Handbuch, 2. Auflage, Hrsg. von J. Nida-Rümelin, Stuttgart 2005, S. 303 A.a.O., S. 303 Vgl. a.a.O., S. 304 A.a.O., S. 303 Vgl. a.a.O., S. 304 A.a.O., S. 305 Vgl. a.a.O., S. 322 Vgl. a.a.O., S. 322 Vgl. a.a.O., S. 322 A.a.O., S. 322 19 Verantwortungssubjekt. Dazu wird zwischen dem individualethischen und institutionenethischen Paradigma unterschieden. 59 Während beim individualethischen Paradigma die moralische Einstellung ausschliesslich die Sache der einzelnen Menschen ist, werden beim institutionenethischen Paradigma Wirtschaftsordnung, Organisationen, Unternehmen, Managements usf. als der Ort der Moral bestimmt. Schliesslich unterscheiden Zimmerli und Aßländer verschiedene wirtschaftsethische Ansätze. Um hierüber einen Überblick zu erhalten, werden im Folgenden der diskursethische, ordnungstheoretische, konstruktivistische, intentionalistische, sozialökonomische, pragmatische, sozialethische, neoaristotelische, governance-ethische, stakeholder-orientierte, neokantische sowie der kontraktualistische Ansatz vorgestellt. Bei den drei erstgenannten, im deutschsprachigen Raum bedeutendsten Ansätzen 60, geschieht dies ausführlich, während die übrigen wirtschaftsethischen Theorieansätze bloss hinsichtlich wichtiger Aspekte skizziert werden. Ergänzt werden diese Konzepte durch die neusten wirtschaftsethischen Ideen: Corporate Social Responsibility bzw. Corporate Citizenship, Global Compact, Social Accountability 8000, Global Reporting Initiative und Deutscher Corporate Governance Kodex. Als Abschluss des zweiten Kapitels werden einige Aspekte der angloamerikanischen Business Ethics vorgestellt, im Besonderen wird auf wichtige Unterschiede zur europäischen bzw. deutschsprachigen Wirtschaftsethik hingewiesen. 2.1 Der diskursethische Ansatz von Peter Ulrich „Man kann die Entwicklung der ökonomischen Theorie – von der Vorklassik und der liberalen Klassik (Adam Smith) zur Neoklassik und zur reinen Ökonomie – als theoretische Spiegelung dessen verstehen, was in der Gesellschaft seit über 200 Jahren tatsächlich tendenziell vorgeht, nämlich eine fortschreitende, institutionell ‚entfesselte‘ und normativ ‚enthemmte‘ Ökonomisierung aller Lebensbereiche, der ganzen Welt (‚Globalisierung‘, ‚Deregulierung‘) und sogar des Denkens (ökonomischer Imperialismus).“ 61 Nach Peter Ulrich ist die Marktwirtschaft immer weniger in die Grundsätze einer sozialen Gesellschaft freier und gleichberechtigter Menschen eingebunden, sondern vielmehr ist der gesellschaftliche Sozialzusammenhang zunehmend umgekehrt das Abbild des freien Marktes bzw. des nur auf den eigenen Vorteil bedachten, machthungrigen homo oeconomicus. 62 Als strukturelles Kernproblem wird dies durch die drohende oder bereits bestehende Tyrannei des Arbeitsmarktes sichtbar. Im Rekurs auf Michael Walzer bezeichnet Ulrich mit dieser Vokabel eine Situation, in der vom Erfolg bzw. Misserfolg im Wettbewerb um gute Arbeitsplätze mehr oder weniger die gesamte Lebenslage einer Person abhängt. 63 Unsere als Moderne bezeichnete Zeit, die einher geht mit einer Kolonialisierung der Lebenswelt 64 und in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften bereits eine Pathologisierung der Lebenswelt erreicht hat, kann unter diesen Aspekten lediglich als Frühmoderne verstanden werden. 65 Die Kritik muss beim zentralen Problem ansetzen: dem Ökonomismus als Grossideologie der Gegenwart. 66 Der 59 60 61 62 63 64 65 66 20 Vgl. a.a.O., S. 322 Vgl. J. C. Pech: Bedeutung der Wirtschaftsethik für die marktorientierte Unternehmensführung, Wiesbaden 2007, S. 62; Vgl. J. Hütte: Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik, München und Mering 2001, S. 101; Vgl. C. Friske et al.: Einführung in die Unternehmensethik: Erste theoretische, normative und praktische Aspekte. Lehrbuch für Studium und Praxis, München und Mehring 2005, S. 37 P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken. Ein Überblick über den St. Galler Ansatz der Integrativen Wirtschaftsethik, Beiträge und Berichte des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, Bd. 96, St. Gallen 2002, S. 5 Vgl. a.a.O., S. 5 Vgl. P. Ulrich: „Arbeitspolitik für alle - eine Einführung aus wirtschaftsethischer Sicht“, in: Arbeitspolitik für alle. Eine Debatte zur Zukunft der Arbeit, Hrsg. von P. Ulrich et al, Bern, Stuttgart und Wien 2000, S. 11 Die Begriffe Kolonialisierung der Lebenswelt bzw. Pathologisierung der Lebenswelt gehen zurück auf Jürgen Habermas und bezeichnen die Übergriffe des ökonomischen Systems auf die Lebenswelt. (Vgl. J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1995, S. 229ff, S. 483ff) Vgl. P. Ulrich: Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft, Bern und Stuttgart 1986, S. 85-87 Vgl. P. Ulrich: Zivilisierte Marktwirtschaft. Eine wirtschaftsethische Orientierung, Freiburg, Basel und Wien 2005, S. 35 Begriff „Ökonomismus“ bezeichnet eine ökonomische Rationalität, die ihre Postulate für die Gestaltung des Wirtschaftslebens immanent, also nach der Logik des Wirtschaftsdenkens, wählt. Im Folgenden werden zunächst die von Ulrich konstatierten sichtbaren Zeichen des Ökonomismus aufgezeigt, danach wird Ulrichs Kritik an den vermeintlichen Sachzwängen und an der Gemeinwohlfiktion dargestellt, bevor dann – im Hauptteil – Ulrichs Konzeption einer Integrativen Wirtschaftsethik expliziert wird. 2.1.1 Über die sichtbaren Zeichen des Ökonomismus Während der technische Fortschritt die grössten Triumphe feiert, zeigen sich immer gravierendere soziale und ökologische Probleme wie Welthunger, Entwicklungsgefälle, Weltunordnung, kriegerische Auseinandersetzung, atomare Selbstvernichtung, Umweltzerstörung und Gefährdung der ganzheitlichen Lebensqualität. Fortschritt – aber wohin? Es zeigt sich, dass in den wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern der Absatz des zuviel Produzierten oft das eigentliche Problem ist. Dessen ungeachtet arbeiten viele Menschen heute mehr denn je zuvor, nicht zuletzt aus Angst, nicht mehr mithalten zu können und vom Markt die „rote Karte“ gezeigt zu bekommen. Ulrichs Fazit diesbezüglich lautet: „Von einer Kulturgesellschaft der befreiten Zeit ist trotz des atemberaubenden Produktivitätsfortschritts und Wirtschaftswachstums seit 1930, also seit Keynes seine Prognose formulierte, wenig zu sehen.“ 67 Die den Wirtschaftssubjekten noch gebliebene Freiheit ist der Wille, besser bzw. erfolgreicher zu sein als die Konkurrenten. Je mehr der Markt mit seiner eigensinnigen Funktionslogik herrscht bzw. dereguliert ist, desto weniger können die Individuen ihm entrinnen und einen eigenen Lebensentwurf wählen. 68 Ulrich erwähnt, dass Max Weber dies kurz und bündig die herrenlose Sklaverei genannt habe. 69 Die Arbeit hat ihren bereichernden Eigenwert der sozialen Integration, aber auch im Aufzeigen der individuellen Nützlichkeit verloren; sie ist lediglich noch Mittel zum Zweck der Produktion und letztlich des Konsums. Ulrich gibt weiter zu bedenken, dass das Wirtschaftswachstum teilweise auf strukturbedingten, nicht authentischen Konsumbedürfnissen basiere und deshalb das Versorgungsniveau keineswegs unbedingt verbessere. 70 Indem beispielsweise beide Elternteile zum Haushalteinkommen beitragen müssen, fallen Kosten für ein zweites Auto oder für den Aufenthalt und die Erziehung der Kinder an. Im Übrigen können ohnehin nicht alle vom fortschreitenden Wirtschaftswachstum profitieren. Ulrich rekurriert auf die von Ivan Illich im Werk Entschuldung der Gesellschaft beschriebene Modernisierung der Armut, wonach besonders Menschen mit tieferen Einkommen komplexe Veränderungen in ihrer Lebenssituation erleiden. 71 Nach Ulrich hängt dies, wie der Ökonom Fred Hirsch in seinem Werk Die sozialen Grenzen des Wachstums aufgezeigt habe, unmittelbar mit der ökonomischen Logik zusammen. 72 Güter, die nicht ohne Weiteres reproduziert werden können (positionale Güter), beispielsweise Häuser oder Wohnungen mit Seesicht, können in der Folge des fortschreitenden Wirtschaftswachstums von immer weniger Menschen erworben werden. Eine Situation, die, ungeachtet des absoluten Einkommens und Wohlstandes, eine immer grössere Unzufriedenheit vieler Menschen zu evozieren vermag. Die Durchökonomisierung der Lebenswelt zeigt sich aber auch in den Städten. Die horrenden Mietpreise haben dazu geführt, dass viele kleinere Gewerbebetriebe und gemütliche Restaurants – letztere Orte der öffentlichen und freien Kommunikation – keine Daseinsberechtigung mehr haben. Selbst die Politik ist immer öfter 67 68 69 70 71 72 A.a.O., S. 68 Vgl. a.a.O., S. 38 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, 3. Auflage, Bern, Stuttgart und Wien 2001, S. 141 Vgl. P. Ulrich: Transformation der ökonomischen Vernunft, a.a.O., S. 115f Vgl. a.a.O., S. 118 Vgl. a.a.O., S. 118 21 durch die Eigensinnigkeit des Marktes instrumentalisiert. 73 Die drastischen Eingriffe des ökonomischen Systems in die Lebenswelt stellen die Politik vor immer komplexere Probleme und die Gemeinschaft vor immer höhere Kosten. Oft ist die Höhe des Wirtschaftswachstums für die Wiederwahl der hochrangigen Politiker zur entscheidenden Frage über „Sein oder NichtSein“ geworden, so dass es nicht weiter erstaunen kann, wenn Politiker im höchsten Rang uns zum Konsum mahnen. Mit anderen Worten: Das Wirtschaftswachstum wird höher eingestuft als das lebensdienliche Verhalten der einzelnen Menschen. Wenn man nun davon ausgeht, dass hochrangige Politiker (im eigenen Interesse) das Gemeinwohl ins Zentrum ihrer Bemühungen stellen, dann fragt sich doch, weshalb der unpersönlichen Marktlogik der Primat eingeräumt wird. 2.1.2 Über die vermeintlichen Sachzwänge und die Gemeinwohlfiktion Nach Ulrich beinhaltet eine unverkürzt definierte ökonomische Rationalität immer eine ethische und eine technische Perspektive. 74 Von daher sei es auch leicht verständlich, wenn die Politische Ökonomie – als klassische Lehre des Wirtschaftens von Aristoteles bis Adam Smith – als Teil der Moralphilosophie aufgefasst worden sei. 75 Denn einerseits geht es um ethisch vernünftige bzw. legitime Zwecke und Grundsätze des Wirtschaftens, andererseits gilt es, in Anbetracht knapper Ressourcen und alternativer Nutzungsmöglichkeiten, diese festgelegten Zwecke mittels Effizienzüberlegungen zu befriedigen. Ulrich bezieht sich auf die herausragenden Untersuchungen von Max Weber im Werk Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, wonach sich die moderne Marktwirtschaft erst durch einen tief greifenden religions- und kulturgeschichtlichen Umbruch herausbilden konnte. 76 Mit Max Webers Worten: „Einer der konstitutiven Bestandteile des modernen kapitalistischen Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee, ist – das sollten diese Darlegungen erweisen – geboren aus dem Geist der christlichen Askese.“ 77 In der religiösen Fundierung, den materiellen Erfolg durch unermüdliche Arbeit als ein mögliches Zeichen der Auserwählung zu deuten, hat somit die unpersönliche ökonomische Sachlogik ihren legitimierenden und zugleich motivierenden normativen Grund gefunden. 78 Anders gesagt: Durch die religiöse Verankerung wurde die Reflexion über den Sinn und die Legitimation des wirtschaftlichen Handelns obsolet und gerade dadurch konnte sich der geistige Nährboden für eine verselbständigte und von der Ethik befreite ökonomische Rationalität bilden. 79 Unterstützt durch die Orientierung an den beschreibenden Naturwissenschaften wurde dadurch der Weg einer vermeintlich wertfreien Ökonomik erstmals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Neoklassik 80, sichtbar. Nach Ulrich zeigen sich nun die Konsequenzen der „halbierten“ ökonomischen Vernunft im Ökonomismus bzw. in der Zwei-Welten-Konzeption, in der die „reine“ Ökonomik durch die Effizienz im instrumentellen Zweck-Mittel-Denken geleitet ist und sachfremd der Ethik gegenübersteht. 81 73 74 75 76 77 78 79 80 81 22 Vgl. P. Ulrich und T. Maak: „Lebensdienliches Wirtschaften in einer Gesellschaft freier Bürger - Eine Perspektive für das 21. Jahrhundert“, in: Die Wirtschaft in der Gesellschaft. Perspektiven an der Schwelle zum 3. Jahrtausend, Hrsg. von P. Ulrich und T. Maak, Bern, Stuttgart und Wien 2000, S. 15 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 106 Vgl. a.a.O., S. 106 Vgl. a.a.O., S. 133-136 M. Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, 7. Auflage, Tübingen 1978, S. 202 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 136 Vgl. a.a.O., S. 136 Der Begriff Neoklassik steht für eine Familie von Theorien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die klassische, von Adam Smith begründete Nationalökonomie ablösten. Die auf vollkommenen Märkten, vollständigen Informationen, homogenen Gütern und rationalen Wirtschaftssubjekten (homines oeconomici) basierende Neoklassik ist die bis heute standardmässige Lehrbuchökonomie. (Vgl. Ch. Butterwegge et al.: Kritik des Neoliberalismus, 2. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 28) Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 106 Ulrich konstatiert, dass die Verteidigung des Ökonomismus durch zwei unterschiedliche Argumentationsmuster erfolgt: 82 Während im ökonomischen Determinismus die Unmöglichkeit eines wirtschaftsethischen Standpunktes mit bestehenden Sachzwängen begründet wird, ist nach dem ökonomischen Reduktionismus Wirtschaftsethik schon gar nicht nötig, weil der Markt als solcher moralisch ist und für das Gemeinwohl sorgt. Will man am freien menschlichen Willen allerdings festhalten, dann zeigen sich Sachzwänge zuallererst als das Ergebnis von Denkzwängen. Nur wer die Einkommens- und Gewinnmaximierung als fraglose Norm voraussetzt, sieht sich mit einem Sachzwang in der Form des Zweck-Mittel-Denkens konfrontiert. Damit entpuppt sich das Sachzwangargument als ein normatives Problem, „nämlich als der Konflikt verschiedener normativer Geltungsansprüche.“ 83 In der Argumentation, dass ethische Bedürfnisse am besten durch die ökonomische Rationalität befriedigt werden, zeigen sich nach Ulrich die Nachwirkungen des tief verankerten, unbewussten religiösen Wirtschaftsethos, wonach die Eigensinnigkeit des Marktes letztlich zum Vorteil aller diene: „Diese marktmetaphysische Gemeinwohlfiktion, die in der Wirtschaftstheorie bis heute in immer wieder neuen Varianten ihr Unwesen treibt, ermöglicht auch dann noch einen ökonomistischen Reflexionsstopp vor dem ethischen Problem der Begründung der Zwecke und Grundsätze des Wirtschaftens, wenn die Unhaltbarkeit des ökonomischen Determinismus (Sachzwangargument) eingesehen ist.“ 84 Ulrich beschreibt drei Entwicklungsstufen dieser Gemeinwohlfiktion und betrachtet sie allesamt als gescheitert: 85 Weder die metaphysisch-naturrechtlich unterbaute Klassik noch die utilitaristische Neoklassik und schon gar nicht die auf dem theoretischen Konstrukt des Homo oeconomicus basierende „reine“ Ökonomik konnten eine in der Binnenlogik des Marktes eingebaute ethisch gehaltvolle Gemeinwohlorientierung aufweisen. Dagegen formuliert Ulrich seine Vorstellungen einer Integrativen Wirtschaftsethik in aller wünschenswerten Klarheit: „Es geht demgegenüber in einer modernen Wirtschaftsethik darum, beharrlich den vernunftethisch gebotenen Primat der Ethik – auch und insbesondere der politischen Ethik – vor der Logik des Marktes argumentativ stark zu machen; im vollen Bewusstsein dafür, dass Vernunft immer nur die Macht des besseren Arguments, nicht die realpolitische Macht hat.“ 86 2.1.3 Vernünftiges Wirtschaften mit Blick auf die Lebenswelt Die Wirtschaftsethik ist als angewandte Ethik nach Ulrich aus zwei Gründen nicht geeignet: Erstens ist die vermeintlich reine Ökonomik normativ bereits besetzt 87 und zweitens definiert Letztere sich nicht mehr bereichsbezogen als Theorie des Wirtschaftens, sondern aspektbezogen als allgemeine Theorie des menschlichen Verhaltens. 88 Von daher drängt sich für Ulrich eine grundlagenkritische Wirtschaftsethik auf, die den impliziten normativen Gehalt der wirkungsmächtigen und universalistisch auftretenden ökonomischen Rationalität erhellt: „Es kommt darauf an, die ökonomische Rationalität überall dort, wo sie in normativer Absicht geltend gemacht wird, ‚zur Vernunft‘ zu bringen.“ 89 Aber was ist diese (ganzheitliche) Vernunft? 82 83 84 85 86 87 88 89 Vgl. a.a.O., S. 129f A.a.O., S. 158 A.a.O., S. 167 Vgl. a.a.O., S. 201f P. Ulrich: Zivilisierte Marktwirtschaft, a.a.O., S. 31 Ulrich schreibt, dass es in der Tat erstaunlich und erklärungsbedürftig sei, weshalb die moderne Ökonomik gleichwohl an der normativen Begründung der Handlungsorientierung festgehalten habe, obschon sie doch als Realwissenschaft empirische Zusammenhänge zu erklären versuche. (Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 107). Die Frage, weshalb die „reine“ Ökonomie ihr normatives Element nicht losgeworden ist, gibt Ulrich an anderer Stelle indessen gleich selbst, und zwar dahingehend, dass die Ökonomik notwendigerweise von einer regulativen Idee, wie man vernünftigerweise handeln soll, geleitet sein müsse: „Reine Ökonomik ist im Kern stets normative Ökonomik!“ (P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken, a.a.O., S. 2) Vgl. P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken, a.a.O., S. 1 A.a.O., S. 3 23 „Vernünftiges Wirtschaften aus ganzheitlicher, lebenspraktischer Sicht orientiert sich dementsprechend – das scheint in der Natur der Sache zu liegen – an ihrer Lebensdienlichkeit. Was aber ist lebensdienlich? An diesem Punkt kommt, ob uns das bewusst ist oder nicht, die Ethik ins Spiel. Denn jede mögliche Antwort auf diese elementare Frage impliziert immer schon zwei ethische Orientierungsideen: eine Idee vom guten Leben und eine Idee vom gerechten Zusammenleben der Menschen.“ 90 Ulrich möchte seine Vorstellungen von einem vernünftigen und lebensdienlichen Wirtschaften als „dritten Weg“ 91, jenseits von Links und Rechts im herkömmlichen Sinne, verstanden wissen. In den weiteren Ausführungen geht es nun darum, diese Gedanken in drei Teilen zu explizieren: Erstes wird die Idee des guten Lebens, die teleologischethische Fragestellung, erläutert und zweitens Ulrichs Antwort auf die deontologisch-ethische Frage nach dem gerechten Zusammenleben vorgestellt. Drittens werden dann die verschiedenen Orte der Moral mit ihren Besonderheiten expliziert. 2.1.3.1 Die teleologisch-ethische Fragestellung „Sinn ist als eine fundamentale Kategorie des Menschseins zu begreifen.“ 92 Mit anderen Worten: Unsere Möglichkeit, aber auch Notwendigkeit, intentionale Handlungen vollziehen zu können, ist nur deshalb gegeben, weil die menschliche Sinnorientierung von apriorischem Charakter ist und unserem Denken und Handeln schon immer vorausgeht. Was wir vom Leben erwarten bzw. was wir mit unserem Leben anfangen wollen, hängt demnach von unseren teleologischen Sinnstrukturen ab, in diesen wurzeln die wirklich starken Motive. 93 Da der individuelle Lebensentwurf die Privatsache der einzelnen Menschen ist, darf eine moderne Wirtschaftsethik, die sich als universalistische Vernunftethik versteht, nicht prätendieren, allgemeingültige Aussagen zu einem „richtigen“ Lebensentwurf vorgeben zu können. 94 Allerdings gehört es zu ihrer Aufgabe, über die grundlegende Sinnfrage des Wirtschaftens aufzuklären und zu untersuchen, inwieweit die Menschen dem Gang eines guten Lebens auch wirklich zu folgen vermögen. Wenn wir vom Sinn oder Zweck einer Handlung sprechen, dann meinen wir den letzten, nicht mehr instrumentellen Zweck, „den humanen Eigenwert des guten Lebens.“ 95 Die Frage, welche Werte die Wirtschaft schaffen soll, betrifft also letztlich direkt oder indirekt ausnahmslos das gute Leben: „Die Wirtschaft ist stets nur Mittel im Dienste höherer, buchstäblich vitaler Zwecke.“ 96 In Anbetracht dessen, dass die Ökonomie mit einem unabweisbaren konstanten anthropologischen Lebensbezug verbunden ist, können, mit Blick auf das gute Leben, zwei Ebenen unterschieden werden: 97 die Ökonomie des Lebensnotwendigen und die Ökonomie der Lebensfülle. Mit Blick auf die unzweifelhaften physischen und psychischen menschlichen Bedürfnisse, beispielsweise Nahrung, Kleider, Schlaf, Sicherheit oder Gesundheit, liegt der grundlegende Sinn der Ökonomie des Lebensnotwendigen in der Versorgung aller Menschen mit den lebensnotwendigen Gütern. 98 Die Ökonomie der Lebensfülle hingegen ist getragen von der Idee, nicht den Markt, sondern die Menschen für die wichtigen Dinge des Lebens frei zu machen. „Sie 90 91 92 93 94 95 96 97 98 24 P. Ulrich: Zivilisierte Marktwirtschaft, a.a.O., S. 27 Auf die Möglichkeit eines dritten Weges hat bereits Franz Oppenheimer im Jahre 1933 in seinem Aufsatz: „Weder so - noch so. Der Dritte Weg“ hingewiesen. (Vgl. F. Oppenheimer: Gesammelte Schriften. Schriften zur Demokratie und sozialen Marktwirtschaft, Bd. 2: Politische Schriften, Hrsg. von J. H. Schoeps et al., Berlin 1996). Etwas später hat Alexander Rüstow, der Mitbegründer des Neoliberalismus - als Ordoliberalismus -, seine ordoliberale Idee als dritten Weg bezeichnet. (Vgl. A. Rüstow: Die Religion der Marktwirtschaft, 2. Auflage, Münster 2004, S. 43ff) P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 207 Vgl. a.a.O., S. 207 Vgl. a.a.O., S. 208 A.a.O., S. 207 A.a.O., S. 208 Vgl. a.a.O., S. 209 Vgl. a.a.O., S. 210 beruht auf der ganzheitlichen Lebenskunst des Genug-haben-Könnens.“ 99 Je grösser die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung werden, umso wichtiger erscheint die Selbstbegrenzung. Diese verschafft den Menschen eine neue Lebensqualität; ihre Arbeit ist nun nicht mehr nur Mittel der notwendigen Selbstversorgung, sondern sie kann sich als nützlicher Dienst in der Gemeinschaft erweisen. Im Gegensatz zum Ökonomisten erfährt der Mensch als Selbstbegrenzer Freiheit, Gelassenheit und eine tief greifende Persönlichkeitsentwicklung jenseits aller ökonomischen Kategorien. Damit steht fest, welche Aufgaben der Wirtschaft zugewiesen sind und in wessen Diensten sie steht. Und wie sieht die Wirklichkeit aus? Nach Ulrich zeigt sich selbst in den hoch entwickelten Industrienationen eine wachsende Armut. 100 Zwar besteht die formale Freiheit, sich durch Arbeit selbst zu helfen; wie aber soll dies gelingen, wenn Jobs gar nicht mehr zur Verfügung stehen? Aber auch Menschen, die die lebensnotwendigen Bedürfnisse befriedigen konnten und aus diesem Grunde sich partiell von der Wirtschaft emanzipieren möchten, sehen sich mit einem beinahe unüberwindbaren Hindernis konfrontiert. Ihr Lebensentwurf wird vom Markt nicht nachgefragt, sie „gehören demnach von vornherein zu den Verlierern.“ 101 Entweder sie steigen aus oder unterwerfen sich bedingungslos den Gesetzen des freien Marktes. Eine lebensdienliche Wirtschaftsform bedarf somit bestimmter struktureller Voraussetzungen, die ordnungspolitisch durchgesetzt werden müssen. 102 Dies wiederum kann aber nur gelingen, „wenn die Mehrzahl der Menschen eine solche kultivierte Wirtschaftsform und die zugehörigen Rahmenbedingungen wirklich wollen.“ 103 Ulrich fordert eine neue emanzipatorische Zeitpolitik, eine neue emanzipatorische Arbeitspolitik sowie eine neue emanzipatorische Sozialpolitik. 104 Durch die emanzipatorische Zeitpolitik soll die Lebensarbeitszeit allgemein verkürzt werden. Damit wir selbst unsere Arbeit auf die Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensphasen aufteilen können, soll den Menschen eine weitgehende Zeitsouveränität eingeräumt werden. In Bezug auf die Arbeitspolitik postuliert Ulrich eine Abkehr von der aktuell dominierenden, da diese sich in den Dienst des Marktes stelle und bestenfalls darauf abziele, möglichst viele Menschen für den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu machen. 105 In der emanzipatorischen Arbeitspolitik sollen demgegenüber alle erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, „damit die Erwerbsarbeit im Leben aller Individuen einen sinnvollen Platz einnehmen kann (Erwirtschaftung der nötigen Kaufkraft, Persönlichkeitsentfaltung, Sozialintegration)“ 106. Die wichtigsten und fundamentalsten Forderungen stellt Ulrich in der emanzipatorischen Sozialpolitik, die er allerdings von den beiden anderen Bereichen nicht streng unterscheidet. Alle erwerbsfähigen Menschen sollen durch Gewährung von Arbeits- und Einkommensrechten, Allgemeinbildung und realen Arbeitsangeboten präventiv für die wirtschaftliche Selbstbehauptung befähigt und ermächtigt werden. 107 Es gibt zwar zu wenig Erwerbsarbeit, was jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Mangel an sinnvollen Tätigkeiten verstanden werden sollte. Es gilt deshalb, die Arbeits- und Einkommensverteilung entsprechend zu reorganisieren, „dass entweder jedermann oder aber speziell diejenigen, die eine nichterwerbswirtschaftliche Tätigkeitsform (‚Bürgerarbeit‘) bevorzugen, vom Zwang, ihre Existenz durch Erwerbsarbeit zu sichern, in genügendem Umfang freigestellt werden, um diese sinnvolle, aber nicht rentable und daher nicht ‚marktfähige‘ gesellschaftliche Arbeit zu leisten.“ 108 Die 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 A.a.O., S. 215 Vgl. a.a.O., S. 212 A.a.O., S. 227 Vgl. a.a.O., S. 209 A.a.O., S. 209 Vgl. a.a.O., S. 231f Vgl. P. Ulrich: „Arbeitspolitik für alle - eine Einführung aus wirtschaftsethischer Sicht“, in: Arbeitspolitik für alle, a.a.O., S. 14 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 231 Vgl. a.a.O., S. 213 P. Ulrich: „Arbeitspolitik für alle - eine Einführung aus wirtschaftsethischer Sicht“, in: Arbeitspolitik für alle, a.a.O., S. 18 25 genannten Postulate sollen durch die liberale Leitidee, allgemeine Wirtschaftsbürgerrechte zu schaffen, eine wirtschaftsethische Grundlage erhalten. 109 2.1.3.2 Die deontologisch-ethische Fragestellung Wirtschaften ist ein sozialer Prozess, durch den die Menschen versuchen, ihre je eigene Sicht eines guten Lebens zu verfolgen. Aber unter welchen Bedingungen dürfen sie dies tun, wann sind die Handlungen legitim? Sowohl der arbeitsteilige Wertschöpfungsprozess wie auch die interpersonelle Verteilung der aus diesem Prozess resultierenden Güter und Kosten stehen im Brennpunkt gesellschaftlicher Konflikte. Solche können entweder durch die Macht des Stärkeren oder aber durch ein Moralprinzip, das den Anspruch der Gerechtigkeit erhebt, entschieden werden. 110 Wie auch immer der Begriff Gerechtigkeit definiert wird, nach Ulrich thematisiert er als moralische Kategorie die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen bzw. sozialen Verhältnisse in Bezug auf die moralischen Rechte aller Menschen. 111 Der Begriff Legitimität stellt gemäss Ulrich eine Beziehung zwischen erhobenen Ansprüchen durch beispielsweise eine beabsichtigte Handlung einerseits und den moralischen Rechten 112 aller betroffenen Personen andererseits her. 113 Als legitim kann eine Handlung bzw. ein Anspruch dann bezeichnet werden, wenn sämtliche erkennbaren Folgen die moralischen Rechte aller betroffenen Menschen nicht verletzen. 114 Solche Handlungsfolgen können dann den Status verantwortbar bzw. zumutbar für sich in Anspruch nehmen. Ulrich erwähnt, dass gerade für die Rechtfertigung des privatwirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnstrebens die Legitimitätsbedingung konstitutiv sei, denn die Frage, was in einer Gesellschaft als Privatangelegenheiten betrachtet werden könne, bedürfe schon immer der öffentlichen Regelung und Rechtfertigung. 115 Für die Legitimität privater Handlungsweisen und die Gerechtigkeit der sozialen Verhältnisse nennt Ulrich zwei Voraussetzungen: 116 Erstens braucht es moralische Personen mit einem Gerechtigkeitssinn und guten Willen, denn erst dann können die berechtigten Ansprüche anderer Menschen überhaupt verstanden und die Gerechtigkeit zur Richtlinie des eigenen Handelns gemacht werden. Weil jedoch die moralischen Individuen bald überfordert und zermürbt wären, wenn sie ihre eigene moralische Gesinnung in ihrer Gesellschaft nicht verankert sehen könnten, setzt es zweitens eine wohlgeordnete Gesellschaft 117 mit gerechten und öffentlich anerkannten Institutionen voraus. In dieser wohlgeordneten Gesellschaft sind die positiven Gesetze durch die moralischen Rechte fundiert, wobei Letztere in Ersteren aber nie restlos aufgehoben sein können bzw. Gesetzeserlasse sogar gegen moralische Rechte verstossen können. 118 Nach Ulrich tragen die Wirtschaftssubjekte grundsätzlich die moralische Verantwortung für eine wohlgeordnete Gesellschaft; sie tun dies, indem sie ihr Handeln stets nach den Kriterien der Legitimität ausrichten. 119 Mit den folgenden Ausführungen sollen nun die beiden Voraussetzungen (moralische Personen sowie wohlgeordnete 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 26 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 232 Vgl. a.a.O., S. 235 Vgl. a.a.O., S. 235 Der Ausdruck „moralische Rechte“ kann nach William K. Frankena als die Kehrseite der Theorie der moralischen Pflichten aufgefasst werden. Das heisst: Wenn eine Person X gegenüber einer anderen Person Y eine moralische Pflicht hat, dann besteht ein moralisches Recht seitens der Person Y gegenüber der Person X. (Vgl. W. K. Frankena: Ethics, Second Edition, New Jersey 1973, S. 59) Vgl. a.a.O., S. 235 Vgl. a.a.O., S. 235 Vgl. a.a.O., S. 236 Vgl. a.a.O., S. 236f Ulrich bezieht sich mit dem Ausdruck „wohlgeordnete Gesellschaft“ auf den amerikanischen Moralphilosophen John Rawls und dessen bedeutendes Werk zur gesellschaftlichen Gerechtigkeit. (Vgl. J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Übers. von H. Vetter, Frankfurt a. M. 1979, S. 493f) Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 237 Vgl. a.a.O., S. 237 Gesellschaft) etwas näher erläutert werden. Zunächst wird allerdings Ulrichs Moralprinzip expliziert. 2.1.3.2.1 Das Moralprinzip als verallgemeinerte moralische Gegenseitigkeit Für Ulrich stellt sich die Aufgabe, ein nicht metaphysisches Moralprinzip zu begründen, dessen universale Gültigkeit kulturübergreifend von jedermann nachvollzogen und argumentativ von niemandem bestritten werden kann. 120 Der gesuchte vernunftethische Standpunkt der Moral lässt sich in der Reflexion auf die allgemeine normative Logik der Zwischenmenschlichkeit gewinnen; auf diese haben wir uns schon immer eingelassen, sie ist ein Teil der kulturinvarianten conditio humana. 121 Ulrich schreibt, dass im Laufe unserer gelingenden Sozialisation der kulturell gebildete gute Wille Teil unserer personalen Identität werde, und zwar bevor wir für gute Gründe, weshalb wir in einer bestimmten Situation moralisch handeln sollen, überhaupt ansprechbar sind. 122 Unsere moralische Urteilsfähigkeit beruht auf diesem guten Willen, „d.h. auf dem Willen, einer moralischen Gemeinschaft anzugehören, uns in die entsprechenden Verpflichtungen der Zwischenmenschlichkeit einbinden zu lassen und so im Sinne der geltenden Moral dieser Gemeinschaft ein guter Mensch zu sein.“ 123 Aus dieser Logik der Zwischenmenschlichkeit lassen sich vier eng zusammenhängende, universale und rational nicht bestreitbare Grundbestimmungen einsehen: 124 erstens das Prinzip der gleichen Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit aller Menschen, zweitens die gleiche Fähigkeit aller Menschen, sich gedanklich in andere hinein versetzen zu können, drittens die daraus resultierende Reziprozität legitimer moralischer Ansprüche bzw. Rechte und viertens die moralische Reziprozität als rational verallgemeinertes Universalisierungsprinzip. Damit konnte ein für alle Menschen vernünftig begründbarer moralischer Standpunkt (moral point of view) elaboriert werden: „Mit dem Prinzip der verallgemeinerten moralischen Gegenseitigkeit (Universalisierungsprinzip) ist das gesuchte, grundlegende und universale Moralprinzip gefunden.“ 125 Es gilt nun, das phänomenologisch gewonnene Moralprinzip anwendbar zu machen und dazu bedarf es einer ethischen Theorie, die Ulrich in der von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas entwickelten Diskurstheorie denn auch findet: „Die Diskursethik bietet die bisher elaborierteste Explikation des vernunftethischen Standpunkts als der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit.“ 126 Anders gesagt: Die vier Grundsätze, die in der Reflexion auf die normative Logik der Zwischenmenschlichkeit gewonnen werden konnten, sind in der Diskurstheorie am besten abgebildet. „Das Universalisierungsprinzip (die regulative Idee des universellen Rollentausches zur Klärung legitimer moralischer «Ansprüche» ) kommt in der Diskursethik in der Weise zur Geltung, dass in der vorgestellten unbegrenzten Argumentationsgemeinschaft aller mündigen Personen guten Willens normative Geltungsansprüche gegenüber jedermann argumentativ begründbar und insofern konsensfähig sein sollen.“ 127 Indem die Diskursethik die Folgenorientierung mit einbezieht und gleichzeitig die Konsensfähigkeit zum Kriterium einer moralisch gültigen Norm erhebt, vermag sie sowohl die teleologisch-ethische wie auch die deontologisch-ethische Perspektive miteinander zu verknüpfen. Ulrich sieht zwischen einem realen Diskurs und einer gedanklichen Selbstverständigung keinen prinzipiellen Unterschied. 128 Kann der reale Diskurs aus prinzipiellen oder pragmatischen Gründen nicht vollzogen werden, tritt an seine Stelle der einsame, in verantwortungsethischer Absicht geführte gedankliche Rollentausch. 120 121 122 123 124 125 126 127 128 Vgl. a.a.O., S. 44 Vgl. a.a.O., S. 44 Vgl. a.a.O., S. 26-28 A.a.O., S. 28 Vgl. a.a.O., S. 44-49 A.a.O., S. 48 A.a.O., S. 94 A.a.O., S. 80f Vgl. a.a.O., S. 90 27 2.1.3.2.2 Über die moralischen Rechte einer jeden Person Die moralischen Ansprüche einer Person sind nicht gleichbedeutend mit deren moralischen Rechten; denn im Gegensatz zu Letzteren sind Erstere ungeprüft und deshalb noch nicht legitim. Wird aber ein moralischer Anspruch als berechtigt bzw. legitim anerkannt, dann begründet dies die Verpflichtung der Beachtung und Einhaltung durch alle anderen natürlichen und juristischen Personen. 129 Aber was sind moralische Rechte? Ulrich bestimmt die universalen Menschenrechte als die Grundrechte bzw. moralischen Rechte, deren Wahrung für jede Gerechtigkeitskonzeption als Minimalbedingung unabdingbar ist. 130 Die Idee der allgemeinen Menschenrechte beruht genau auf jenem vernunftethischen Standpunkt der Moral, der in der Reflexion auf die normative Logik der Zwischenmenschlichkeit gewonnen und von dem das allgemeingültige Moralprinzip entwickelt werden konnte. 131 „Der normative Kern der Idee universaler Menschenrechte selbst ergibt sich unmittelbar aus dem elementaren humanistischen Sinn des Moralprinzips“ 132. Aber welches ist die Instanz, die über moralische Rechte entscheiden kann? In der Moderne ist dies die unbegrenzte Öffentlichkeit: „Es sind demnach alle moralischen Personen selbst, die sich wechselseitig ihre gleichen Rechte als Mitglieder der moralischen Gemeinschaft zusprechen und anerkennen, sei dies die universale Gemeinschaft aller Menschen überhaupt (Menschenrechte), oder sei es die begrenzte Gemeinschaft der Mitglieder eines staatlich oder auch sub- bzw. suprastaatlich verfassten «Gemeinwesens», die sich wechselseitig die gleichen moralischen Rechte der Partizipation an der Res publica zusprechen (Bürgerrechte).“ 133 Somit steht fest, dass die konkreten moralischen Rechte aus dem in der Diskursethik zur konkreten Anwendung gelangenden Moralprinzip hervorgehen. Ulrich nennt drei Gruppen von Grundrechten, die allgemein anerkannt und in den Menschenrechtskonventionen des 20. Jahrhunderts auch erfasst seien: 134 Es sind erstens die Grundrechte der unantastbaren personalen Meinungs-, Glaubens- und Handlungsfreiheit, zweitens die Grundrechte auf Mitsprache und Mitwirkung in der demokratischen politischen Willensbildung und drittens die Grundrechte auf ein Mindestmass an Schutz vor existenzieller Not und sozialer Benachteiligung. Bei der ersten Gruppe (unantastbare Persönlichkeitsrechte) weist Ulrich auf zwei aktuelle Entwicklungstendenzen hin: 135 Es gilt die Persönlichkeitsrechte vermehrt zu respektieren, und zwar einerseits hinsichtlich einer selbst bestimmten kulturellen Identität und Gruppenzugehörigkeit in der multikulturellen Gesellschaft und andererseits in Bezug auf ökologische Menschenrechte 136 wie den Zugang zu den lebensnotwendigen natürlichen Ressourcen (Trinkwasser, unverseuchte Lebensmittel, saubere Luft usw.). Für jede wohlgeordnete Gesellschaft besteht die Aufgabe, diese drei Gruppen universaler Grundrechte in den entsprechenden Rechtskategorien wie Persönlichkeitsrechten, Staatsbürgerrechten und Wirtschaftsbürgerrechten zu verankern, damit durch Sanktionsmöglichkeiten gerechten sozialen Verhältnissen sowie der Legitimität privater Handlungsweisen Nachdruck verschafft bzw. eine moralische Überforderung der Menschen verhindert werden kann. 2.1.3.2.3 Die moralischen Rechte in einer Bürgergesellschaft Ulrich konstatiert: „Nicht der ‚freie‘ Markt, sondern starke allgemeine Bürgerrechte sind die Grundlage realer Freiheit für alle, unabhängig von ihrer Kaufkraft und Wettbewerbsfähigkeit im 129 130 131 132 133 134 135 136 28 Vgl. a.a.O., S. 239 Vgl. a.a.O., S. 240 Vgl. a.a.O., S. 239 A.a.O., S. 243 A.a.O., S. 242 Vgl. a.a.O., S. 244 Vgl. a.a.O., S. 246 Im Jahre 1982 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Weltcharta für die Natur verabschiedet. Diese fordert einen schonungsvollen Umgang mit der Natur und Umwelt, damit das Leben sowohl der gegenwärtigen wie auch der zukünftigen Generationen sichergestellt werden kann. (Vgl. A. Barthel: Die Menschenrechte der dritten Generation, Aachen 1991, Dissertation Technische Hochschule Aachen, S. 107f) Markt.“ 137 Noch sind längst nicht alle wichtigen Bürgerrechte erreicht, insbesondere gilt es, neue Wirtschaftsbürgerrechte zu entwickeln, die die Menschen wirklich zur selbständigen Lebensführung frei machen und vor der strukturellen Ohnmacht befreien. 138 Das liberale Gedankengut soll weiterentwickelt werden, und zwar „in Richtung einer vollentwickelten civil society, einer Bürgergesellschaft.“ 139 Ihre Grundmerkmale können in drei Leitideen zusammengefasst werden: 140 Erstens sollen die Menschen einen umfassenden Bürgerstatus erhalten, damit sie ihren eigenen Lebensentwurf wählen und diese Möglichkeit ebenso allen anderen Menschen einräumen können. Auch soll der soziale Status unabhängig von sozialökonomischen Faktoren sein. Zweitens soll die Gesellschaft aus einem Netzwerk egalitärer Bürgervereinigungen bestehen. Die Bürger sollen nicht danach fragen, was der Staat für sie tun könne, sondern die Regelung der Art und Weise des Zusammenlebens als ihre Angelegenheit betrachten. Drittens soll der Markt und der Staat zivilisiert werden. Die Menschen sollen nicht nur negative Freiheiten 141 erhalten, sondern über konkrete Handlungsoptionen verfügen. Die positive Freiheit darf nicht durch die Frage der Caritas bzw. einer bevormundenden Fürsorge des Staates abhängen. 2.1.3.3 Wirtschaftsethische Topologie In der Klärung der teleologisch-ethischen Sinnfrage bzw. der deontologisch-ethischen Legitimationsfrage konnten die grundsätzlichen Voraussetzungen für lebensdienliches Wirtschaften aufgezeigt werden. Es ist nun die eigentliche Aufgabe der Integrativen Wirtschaftsethik, Orte zu bestimmen, die der Leitidee einer wohlgeordneten Gesellschaft zur Durchsetzung verhelfen können. Ulrich ist gar der Ansicht, dass sich wirtschaftsethische Positionen weniger durch ihre ethischen Konzeptionen unterscheiden, als durch divergierende Vorstellungen über den richtigen Ort der Moral. 142 Als topologische Grundfrage der Wirtschaftsethik bestimmt er das Verhältnis zwischen Individual- und Institutionenethik. 143 Erstere untersucht die Frage, welche moralische Verantwortung unmittelbar durch die Wirtschaftssubjekte wahrzunehmen ist, Letztere hingegen legt die politischen bzw. organisationsweiten ethischen Rahmenbedingungen fest, damit die einzelnen Wirtschaftssubjekte mittels Anreizen für moralisches Handeln motiviert werden. Dabei kommt es Ulrich vor allem auf die wechselseitige Unterstützung an; denn wirtschaftsethische Konzepte, die die Wirtschaftssubjekte entweder von der Moral restlos entlasten oder aber ihnen die alleinige 137 138 139 140 141 142 143 P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken, a.a.O., S. 15 Vgl. a.a.O., S. 15 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 260 Vgl. a.a.O., S. 261-264 Nach Jean-Claude Wolf geschieht es selten, dass – wie bei Isaiah Berlin – verschiedene Freiheitskonzepte distinkt unterschieden und nicht auf einen einzigen Freiheitsbegriff zurückgeführt werden. (Vgl. J.-C. Wolf: Freiheit – Analyse und Bewertung, Wien 1995, S. 13f) Für Isaiah Berlin haben die negative und die positive Freiheit eine zentrale Bedeutung, und zwar sowohl in der vergangenen wie auch in der zukünftigen Menschengeschichte. Bei der negativen Freiheit geht es um die Frage: „››In welchem Bereich muß (oder soll) man das Subjekt – einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen – sein und tun lassen, wozu es imstande ist, ohne daß sich andere Menschen einmischen?‹‹“ (I. Berlin: Freiheit. Vier Versuche, Übers. von R. Kaiser, Frankfurt a. M. 2006, S. 201) Und die positive Freiheit versucht eine Antwort auf die Frage zu geben: „››Von was oder von wem geht die Kontrolle oder die Einmischung aus, die jemanden dazu bringen kann, dieses zu tun oder zu sein und nicht jenes andere?‹‹“ (I. Berlin: Freiheit, a.a.O., S. 201) Während die positive Bedeutung sich aus dem Wunsch des Individuums ableitet, sein eigener Herr zu sein, ist der Mensch nach der negativen Bedeutung dann frei, wenn er von anderen Menschen nicht daran gehindert wird, seine Ziele zu erreichen. Nach Wolf ist Berlins Analyse zum Freiheitsbegriff unbefriedigend, und zwar deshalb, weil sie zunächst begriffsanalytisch eingeführt, dann aber anschliessend mit zahlreichen anderen Unterscheidungen verknüpft wird. Insbesondere ist nach Wolf Berlins Plädoyer für den negativen Freiheitsbegriff so parteiisch, „daß damit seine ursprüngliche Unterscheidung zweier legitimer Begriffe untergraben wird.“ (J.-C. Wolf: Freiheit – Analyse und Bewertung, a.a.O., S. 71) Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 285 Vgl. a.a.O., S. 285 29 moralische Selbstbegrenzung auferlegen, sind alle beide unzureichend. 144 Es kommt also auf die Balance zwischen einer Individualethik und den „positivierten“ ethischen Grundsätzen an. Ulrichs Vorstellungen des Zusammenspiels zwischen Wirtschaftsbürgerethik, Ordnungsethik sowie Unternehmensethik soll in den nächsten Ausführungen dargelegt werden. 2.1.3.3.1 Wirtschaftsbürgerethik Eine Wirtschaftsbürgerethik, die nicht die Befolgung von Partikulärinteressen, sondern die Gleichheit aller Bürger fordert, die Wirtschaft in den Dienste der Menschen stellt und die gemeinsame Bestimmung der Res publica vorsieht, kann nicht durch den Liberalismus fundiert werden. 145 In Anlehnung an den Republikanismus einerseits und an die von John Rawls entwickelten Gedanken vom Ideal eines guten Bürgers nach der Idee des politischen Liberalismus anderseits will sich Ulrich sowohl vom Neoliberalismus wie auch vom Kommunitarismus durch seine Konzeption eines republikanischen Liberalismus abgrenzen. 146 Woraus besteht der Kern dieser Synthese? „Der republikanische Liberalismus erkennt die Essenz einer freiheitlichen Gesellschaft in der Verbindung gleicher unantastbarer Bürgerrechte aller mit dem republikanisch-ethischen Tugendmoment des Bürgersinns.“ 147 Dabei ist für Ulrich die wechselseitige Beziehung der eigentliche Kern: „Diese notwendige dialektische Wechselwirkung zwischen der minimalen, aber unverzichtbaren Bürgertugend einerseits (Individualethik) und einer freiheitlichen und gerechten Verfassung andererseits (Institutionenethik) als ethisch-politische Orientierungsidee geklärt zu haben und sie konzeptionell durchzuhalten, ist die eigentliche Pointe des republikanischen Liberalismus.“ 148 Im republikanischen Liberalismus hat die Begründung und Gewährleistung der grösstmöglichen gleichen Bürgerrechte, aber auch die Auferlegung von allgemeinen Bürgerpflichten, den Vorrang vor allen privaten Interessen. 149 Die minimalen Tugendzumutungen an moderne Wirtschaftsbürger lassen sich an zwei Orten der Moral feststellen: 150 Erstens im republikanisch orientierten politischen Prozess und zweitens im wirtschaftsbürgerlichen Berufs- und Privatleben. Diese zwei Orte werden in den weiteren Ausführungen näher erläutert. Zunächst scheint es allerdings sinnvoll, die Kernelemente des eigentlichen Willensbildungsprozesses aufzuzeigen. • Eine deliberative Politik als Konzept des politischen Prozesses Die in der Diskursethik festgelegte regulative Idee einer idealen Kommunikationsgemeinschaft von freien, mündigen und gleichberechtigten Staatsbürgern ist die oberste Instanz der republikanischen Politik, „in der die aktiv anteilnehmenden, staatsbürgerliche Mitverantwortung tragenden Bürger die öffentlichen Angelegenheiten ihres gerechten Zusammenlebens argumentativ debattieren und regeln.“ 151 Dieses herrschaftsfreie Publikum ist der Ort der Moral sowohl in Bezug auf die Rechtfertigung des öffentlich relevanten Handelns als auch hinsichtlich der Selbstaufklärung freier Bürger. Das Gesellschaftsverständnis ist nicht als Marktzusammenhang, sondern zuallererst als wohlgeordneter Rechts- und Solidaritätszusammenhang aufzufassen. 152 Die deliberative 144 Vgl. P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken, a.a.O., S. 16 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 290 Vgl. a.a.O., S. 295 P. Ulrich: Republikanischer Liberalismus und Corporate Citizenship. Von der ökonomischen Gemeinwohlfiktion zur republikanisch-ethischen Selbstbindung wirtschaftlicher Akteure, Beiträge und Berichte des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, Bd. 88, St. Gallen 2000, S. 13 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 302 Vgl. a.a.O., S. 303 Vgl. a.a.O., S. 292 A.a.O., S. 305 Vgl. P. Ulrich: Republikanischer Liberalismus und Corporate Citizenship, a.a.O., S. 13 145 146 147 148 149 150 151 152 30 Konzeption ist durch vier Leitgedanken getragen: 153 Nach der argumentativen Präferenzerklärung sollen erstens die politischen Einstellungen den Bürgern nicht exogen vorgegeben, sondern im öffentlichen Beratungsprozess endogen erzeugt werden. Zweitens dürfen in einer deliberativen Verfahrenslegitimation die Entscheidungen nicht sprachlos zustande kommen, sondern müssen das diskursive Ergebnis des öffentlichen Willensbildungsprozesses markieren. Weil die deliberative Demokratie in der Frage nach dem guten Leben nicht von einer allgemeinen inhaltlichen Wertorientierung ausgehen kann, braucht es drittens eine konsensbasierte Dissensregelung. Der vierte Leitgedanke ist die öffentliche Konstitution des Privaten. Das heisst: Es gibt solange keine Privatsphäre, als die Öffentlichkeit diese nicht als solche für legitim erklärt hat. • Über die republikanische Bürgertugend für eine deliberative Politik Grundsätzlich bleibt die inhaltliche Festlegung von individualethischen Verbindlichkeiten dem öffentlichen Diskurs vorbehalten. Gerade aber das Konzept der deliberativen Politik impliziert vier Gesichtspunkte, die gleichsam als formale Minimalansprüche an die republikanische Staatsbürgertugend betrachtet werden müssen: 154 Als erste Voraussetzung gilt eine grundsätzliche Reflexionsbereitschaft und Offenheit gegenüber den eigenen Präferenzen und Einstellungen. Zweitens braucht es den guten Willen für die grundlegende Verständnisbereitschaft zwecks unparteilicher, fairer Grundsätze und Verfahrensregeln im deliberativen Prozess. Drittens ist die dauerhafte wechselseitige Respektierung von eingeschränkter Uneinigkeit für die Kompromissbereitschaft im Dissensbereich unerlässlich. Der vierte Gesichtspunkt bezeichnet die Legitimationsbereitschaft, das heisst die Bereitschaft, sich der Legitimität des eigenen privaten Handelns vorbehaltlos zu vergewissern und auf eine apriorische Privatsphäre zu verzichten. 155 Für eine gerechte, freiheitliche Verfassung bedarf es zwar eines bestimmten Masses an Gemeinsinn, allerdings darf der gute Wille zum verantwortlichen Handeln auch nicht überfordert, sondern muss durch institutionelle Grundlagen konstitutiv unterstützt werden. 156 Solche sind etwa die rechtsstaatliche Neutralisierung von wirtschaftlicher Macht im Deliberationsprozess, die staatsbürgerliche Bildung auf allen Schulstufen, die Schaffung von geeigneten Foren und Arenen für das öffentliche Bürgergespräch sowie die rechtstaatliche Ausstattung der Bürger mit Wirtschaftsbürgerrechten. 157 Durch Letztere werden die Menschen überhaupt erst in die Lage versetzt, als real freie, gleichberechtigte und sachkundige Bürger an öffentlichen Debatten teilnehmen zu können. • Über die wirtschaftsbürgerliche Selbstbindung im Berufs- und Privatleben „Der Wirtschaftsbürger ist im Ganzen kein «Privatbürger», wie wir oben gesehen haben – aber er hat selbstverständlich Anrecht auf ein Privatleben, das nicht im Scheinwerferlicht der kritischen Öffentlichkeit steht, soweit es den allgemeinen Legitimitätsbedingungen genügt.“ 158 Der Wirtschaftsbürger hat also vorbehaltlos, im Rahmen des deliberativen Prozesses, seine Ziele, Zwecke und Präferenzen auf deren Legitimität hin abzuklären. Dadurch resultiert als unmittelbare Konsequenz die moralische Pflicht zum Verzicht auf private Eigennutzenmaximierung. 159 Für den Wirtschaftsbürger als Organisationsbürger, reflektierenden Konsumenten und kritischen Kapitalanleger nennt Ulrich einige ethische 153 154 155 156 157 158 159 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 313-315 Vgl. a.a.O., S. 316 Vgl. a.a.O., S. 316 Vgl. P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken, a.a.O., S. 16 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik a.a.O., S. 319 A.a.O., S. 320 Vgl. a.a.O., S. 321 31 Grundsätze: 160 Vom Organisationsbürger bzw. vom Wirtschaftsbürger im Dienste einer Organisation wird beispielsweise eine kritische Loyalität und Zivilcourage erwartet; denn nicht immer verträgt sich die Rolle im Unternehmen mit der republikanischen Mitverantwortung für das Gemeinwohl. Als Konsument entzieht sich der republikanische Wirtschaftsbürger der endlosen ökonomistischen Bedürfnisspirale und befriedigt seine Bedürfnisse mit Blick auf ein gutes Leben. Der republikanisch gesinnte Konsument reflektiert seine Bedürfnisse aber auch hinsichtlich deren Legitimität in sozialer und ökologischer Hinsicht und stellt sich der Verallgemeinerungsfrage. Der Wirtschaftsbürger als Kapitalanleger verhält sich nicht als Spekulant, vielmehr wird er sein Renditestreben selbst begrenzen und darauf achten, nur in solche Werte zu investieren, die ethischen Grundsätzen zu genügen vermögen. Aber weshalb sollen Menschen ihre unabweisbar auch vorhandenen eigennützigen Neigungen dem Moralprinzip eines gerechten Zusammenlebens unterordnen? Nach Ulrich hat die Motivation viel mit der Selbstachtung bzw. mit der angemessenen Beachtung der Würde der eigenen Person zu tun. Ulrich bezieht sich auf Adam Smith und erwähnt, dass die Selbstachtung auf dem moralischen Selbstverständnis einer integren Person beruhe, die sich mithilfe eines gedanklichen Rollentausches161 als der moralischen Gemeinschaft würdig und zugehörig erkenne. Dabei ist der Wunsch, die Sympathie anderer Menschen zu geniessen, gar nicht so klein und deshalb auch gar kein so schwaches Motiv. 162 2.1.3.3.2 Ordnungsethik „In einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft ist es die vorrangige und vornehmste Aufgabe der Ordnungspolitik, den latent eigensinnigen Marktprozess in lebensdienliche und faire Spielregeln einer wohlgeordneten civil society einzubinden und ihn so zu «zivilisieren».“ 163 Aber worin besteht dann die Aufgabe der Ethik? „Die entsprechenden Orientierungsprobleme zu klären ist Aufgabe der Ordnungsethik. Diese leistet die kritisch-normative Grundlagenreflexion im Hinblick auf ethisch-vernünftig begründete Ordnungspolitik.“ 164 In Anlehnung an Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow versteht Ulrich die Ordnungspolitik als Vitalpolitik im Sinne des Ordoliberalismus165. „Mit dem ordoliberalen Primat der Vitalpolitik vor der Wettbewerbspolitik ist die neoliberale Ideologie, der gemäss ‚mehr Markt‘ im Prinzip immer gut sei, ethisch-politisch durchbrochen: Wo die Effizienz des Marktes mit ‚vitalen‘ Gesichtspunkten des guten Lebens und gerechten Zusammenlebens in Konflikt gerät, sind die Marktkräfte mittels einer ihnen ‚widergelagerten Gesellschaftspolitik‘ in Schranken zu weisen.“ 166 Der systematische Ort des ordnungsethischen Diskurses ist kein anderer als die bereits vorgestellte deliberative Politik in der unbegrenzten öffentlichen Kommunikationsgemeinschaft. „Mit anderen Worten: republikanischer Wirtschaftsbürgersinn ist unverzichtbar, wenn die Rahmenordnung des Marktes je zum Ort der Moral(-durchsetzung) werden soll. Der wahre «Ort» der Moral sind und bleiben eben diese 160 161 162 163 164 165 166 32 Vgl. a.a.O., S. 324-332 Adam Smith hat - ähnlich zu Immanuel Kant - auf die grosse Bedeutung des Gedankenexperiments bzw. des Rollentausches und damit auf den Vernunftstandpunkt der Moral aufmerksam gemacht. (Vgl. A. Smith: Theorie der ethischen Gefühle, Übers. von W. Eckstein, Hamburg 2004, S. 167) Vgl. P. Ulrich: Zivilisierte Marktwirtschaft, a.a.O., S. 104 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 335 A.a.O., S. 333 Der Ordoliberalismus kann als die deutsche Variante des Neoliberalismus bezeichnet werden. Der sich am mittelalterlichen Ordo-Gedanken orientierende Ordoliberalismus befasst sich seit den 30er Jahren mit der Frage, unter welchen Rahmenbedingungen die Wirtschaft zu gestalten sei. Da die Marktwirtschaft nicht mehr als natürliche Ordnung betrachtet wird, verlangt der Ordoliberalismus Markteinschränkungen, das heisst einen starken Staat, der den Wettbewerb als Aufgabe im Sinne einer „staatlichen Veranstaltung“ auffasst. (Vgl. G. Kolb: Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Dogmenhistorische Positionen des ökonomischen Denkens, München 2004, S. 166f) P. Ulrich: Zivilisierte Marktwirtschaft, a.a.O., S. 174 republikanisch gesinnten Wirtschafts- und Staatsbürger.“ 167 Obschon die Bestimmung, was in einer Gesellschaft als ethisch-ökonomische Vernunft betrachtet werden soll, letztlich durch die deliberative Politik hervorgeht, sieht Ulrich mindestens drei Arten von vitalpolitisch konstitutiven Normierungsaufgaben: 168 Es müssen erstens die subjektiven Rechte aller Wirtschaftsbürger im Marktprozess sichergestellt werden. Eigentums-, Unternehmer-, Arbeitnehmer-, Konsumenten-, Miet- und anderen subjektiven oder persönlichkeitsbezogenen Rechten kommt für die Rahmenordnung des Marktes konstitutive Bedeutung zu. Zweitens gilt es Rechnungsnormen für wirkungsvolle vitalpolitische Anreize zu schaffen. Damit kann sichergestellt werden, dass die durch den Wirtschaftsprozess anfallenden Kosten nicht durch Dritte bezahlt, sondern nach dem Verursacherprinzip in die Kalküle der Wirtschaftssubjekte internalisiert werden müssen. Drittens geht es darum, Randnormen zu entwickeln, die dem Markt nach humanitären, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten Grenzwerte setzen. Anders gesagt: Mit den Randnormen sollen Lebenssphären geschaffen werden, die vor der Ökonomisierung geschützt sind, wo der Wettbewerb also explizit nicht herrschen soll. Als solche Randnormen können die Arbeits- und Ladenöffnungszeiten, die Höhe von Mindesteinkommen, ökologische Emissions- und Immissionsgrenzwerte, Zulassungsnormen für Leistungsanbieter in spezifischen Märkten, Qualitätsvoraussetzungen für bestimmte Produkte usw. aufgefasst werden. Welchen Einfluss hat die Globalisierung auf die Gestaltung einer Vitalpolitik? Für Ulrich besteht kein Zweifel, dass der internationale Wettbewerb um Standorte und politische Rahmenbedingungen nur eine Bedeutung haben können, nämlich eine unheilvolle vitalpolitische Abwärtsspirale: „Die vitalpolitische Einbindung des Marktes in einem Staat ist unter den Umständen der Globalisierung folglich nicht mehr möglich.“ 169 Um den ordnungsethischen Ansatz durchhalten zu können, müssen die offenen Märkte mit den vitalpolitischen Räumen deckungsgleich sein. Da eine globale Vitalpolitik in absehbarer Zeit wohl kaum als realistisch eingeschätzt werden darf, muss in der Form von ordnungspolitisch beherrschbaren multinationalen Grossregionen wie EU, ASEAN oder NAFTA eine Zwischenebene geschaffen werden. 170 Dabei wird es jedoch wichtig sein, den Einzelstaaten kein Vetorecht einzuräumen, ansonsten die vitalpolitischen Bemühungen sogleich wieder unterminiert werden können. 171 Hinsichtlich der Normierungsaufgaben gelten die gleichen Aspekte und Bedingungen wie für die nationalstaatliche Ordnungspolitik. Das wichtigste aber ist die Voraussetzung von solidarischen Weltbürgern, die gemeinsam, im Sinne einer moralischen Instanz, als kritische Weltöffentlichkeit wirken. 2.1.3.3.3 Unternehmensethik „Integrative Unternehmensethik versteht sich als permanenter Prozess der vorbehaltlosen kritischen Reflexion und Gestaltung tragfähiger normativer Bedingungen der Möglichkeit lebensdienlichen unternehmerischen Wirtschaftens.“ 172 Dabei nimmt die Bedeutung von Unternehmensethik in dem Masse zu, wie sich Unternehmen der rechtsstaatlichen Ordnungspolitik zu entziehen vermögen. 173 Nach Ulrich entscheidet sich die Möglichkeit und Ausgestaltung einer Unternehmensethik am Verhältnis zwischen den ethischen Ansprüchen an die Unternehmung und dem betriebswirtschaftlichen Gewinnprinzip. 174 Die diesbezüglich vielleicht wichtigste Botschaft für eine ideologiefreie und rationale Unternehmensethik sieht Ulrich darin, dass die Gewinnmaximierung grundsätzlich 167 168 169 170 171 172 173 174 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 367 Vgl. a.a.O., S. 370-376 A.a.O., S. 387 Vgl. a.a.O., S. 389 Vgl. a.a.O., S. 389 A.a.O., S. 428 Vgl. P. Ulrich: Ethische Vernunft und ökonomische Rationalität zusammendenken, a.a.O., S. 19 Vgl. P. Ulrich: Unternehmensethik und "Gewinnprinzip". Versuch der Klärung eines unerledigten wirtschaftsethischen Grundproblems, Beiträge und Berichte des Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, Bd. 70, St. Gallen 1995, S. V 33 keine legitime unternehmerische Handlungsorientierung sein kann: „Es gibt letztlich nur ein Prinzip: das (vernunftethisch begriffene) Moralprinzip, in dessen Lichte überhaupt erst mit konfligierenden spezifischen Wertgesichtspunkten vernünftig umgegangen werden kann – auch mit jenen der Markt- und Erfolgslogik.“ 175 Auch das oft genannte Sachzwangargument hat keine Gültigkeit; denn ein solches stellt sich erst dann ein, wenn man die Gewinnmaximierung als Prinzip auffasst. Folglich eröffnet sich der Handlungsspielraum eines Unternehmers mehr im Kopf als durch den Markt. 176 Als allgemeine Grundnorm der integralen Unternehmensethik nennt Ulrich die Geschäftsintegrität, die dann ihren Härtetest erfährt, wenn ein aussichtsreicher unternehmerischer Erfolg nicht auf einem ethisch tragfähigen Fundament basiert und deshalb auf diesen verzichtet werden soll. 177 Die Unternehmensethik ist zweistufig konzipiert: 178 Als erste Stufe fungiert die Geschäftsethik; diese sorgt für die normativen Vorgaben einer integren Geschäftspolitik. Die zweite Stufe betrifft die republikanisch-politische Mitverantwortung auf Unternehmens- und Verbandsebene. Das dritte Element, das die beiden Stufen in gewisser Weise umfasst und als die eingeschriebene bzw. verankerte Unternehmensethik betrachtet werden kann, ist das Ethikprogramm im Unternehmen. • Die Geschäftsethik Die durch das Unternehmen geschaffenen Werte sollen im Hinblick auf die Lebensdienlichkeit sinnvoll sein. Diese Werte erfüllen ihren Dienst entweder auf der Ebene der menschlichen Lebensgrundlagen oder aber leisten einen erwünschten Beitrag darüber hinaus, nämlich hinsichtlich der durch die Menschen selbst zu begrenzenden Lebensfülle. 179 Nun ist von den wirtschaftlichen Leistungen und Aktivitäten eines Unternehmens eine Vielzahl von Bezugsgruppen in ihrem Leben und ihren Existenzbedingungen betroffen, sodass „vor allem grössere Unternehmen längst zu quasi-öffentlichen Institutionen geworden“ 180 sind. Es bleibt zwar Aufgabe der Unternehmensleitung, eine sinnvolle Wertschöpfungskonzeption vorzuschlagen, doch zur Sicherung ihrer Legitimität und Wahrung der Geschäftsintegrität braucht es den vorbehaltlosen diskursethischen deliberativen Prozess. 181 „Mit anderen Worten: Die unbegrenzte Öffentlichkeit aller mündiger Bürger ist auch in der Unternehmensethik der systematische ‚Ort‘ der Moral. Unternehmensethik lässt sich also nicht in eine ‚Privatmoral‘ der Unternehmensleitung einschliessen.“ 182 In der diskursethischen Fassung des Moralprinzips kann die Frage nach den Stakeholdern leicht beantwortet werden: „Stakeholder ist, wer gegenüber dem Unternehmen Ansprüche hat, die als legitim ausgewiesen sind.“ 183 Damit ist auch angedeutet, dass Ansprüche nicht nur als wirtschaftlich kausale Zusammenhänge zu verstehen sind, sondern ebenso vom Gedanken der Solidarität mit hilfsbedürftigen Menschen getragen sein können. 184 Es ist leicht nachvollziehbar, dass es nicht die geschäftsstrategische Klugheit ist, die zur Wahrung der Geschäftsintegrität mahnt und motiviert, sondern der gute Wille des republikanisch gesinnten Wirtschaftsbürgers. Ulrich gibt allerdings zu bedenken, dass einem konsequenten erfolgsstrategischen und gewinnorientierten Handel so lange nichts im Wege stehe, als die Legitimitätsbedingung diskursethisch verantwortet werden könne. 185 175 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 415 Vgl. P. Ulrich: Wofür sind Unternehmen verantwortlich?, Beiträge und Berichte des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, Bd. 80, St. Gallen 1998, S. 17 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 428f Vgl. a.a.O., S. 429 Vgl. a.a.O., S. 430 A.a.O., S. 438 Vgl. a.a.O., S. 439 P. Ulrich: Republikanischer Liberalismus und Corporate Citizenship, a.a.O., S. 15 P. Ulrich: Wofür sind Unternehmen verantwortlich?, a.a.O., S. 13 Vgl. a.a.O., S. 13 Vgl. P. Ulrich: Unternehmensethik und "Gewinnprinzip", a.a.O., S. 9 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 34 • Die Republikanisch-politische Mitverantwortung Genauso wie es zum republikanischen Bürgerethos gehört, für die gute Ordnung der Res publica Mitverantwortung zu übernehmen, verlangt die republikanisch-politische Mitverantwortung ein aktives Engagement in der kollektiven Selbstbindung an ethische Grundsätze auf Verbands- und Branchenebene. 186 Durch Vereinbarungen von ethischen Branchenstandards und wirksamen gesetzlichen Bestimmungen lässt sich das Problem des moral free-riding (Trittbrettfahrers) zwar nicht restlos beseitigen, immerhin aber wirkungsvoll eindämmen. Auch fordert Ulrich die Unterstützung von lebensdienlichen ordnungspolitischen Reformen selbst dann, wenn diese für das eigene Unternehmen oder die eigene Branche mit Nachteilen verbunden sind.187 • Das Ethikprogramm im Unternehmen Damit die genannten ethischen Grundsätze in jedem Bereich und auf jeder hierarchischen Stufe zu einem Selbstverständnis werden, müssen entsprechende strukturelle und unternehmenskulturelle Voraussetzungen geschaffen werden. Analog zur Ordnungsethik sind solche Normierungen als institutionelle „Rückenstützen“ zu betrachten. „Es gilt Anreizstrukturen durchgängig so zu gestalten, dass ethisch verantwortungsvolles Handeln belohnt und rücksichtsloses, allein an persönlichen Bereicherungs- oder Karrierezielen orientiertes Verhalten demotiviert wird statt umgekehrt.“ 188 Ebenso ist es wichtig, dass keine Ambiguitäten oder Unklarheiten in Bezug auf Wertmassstäbe im Handeln bestehen. Genauer gesagt: Nie sollen den Mitarbeitern nur einseitig Leistungs- und Erfolgsziele ohne ethische Prämissen und Randbedingungen vorgegeben werden. 189 Ulrich weist darauf hin, dass die Bemühungen zu einer Integritäts- und Verantwortungskultur selbst wieder vor der Gesamtheit aller Organisationsbürger zu verantworten und zur Disposition zu stellen sind. 190 Dabei ist von eminenter Bedeutung, dass diskursethisch weder unerwünschte Handlungsoptionen einseitig autoritativ geschlossen noch ethisch-kritische Kommunikationsfreiräume einseitig offen gehalten werden. „Auf die Balance zwischen (diskurs-) öffnenden und (options-) schliessenden «Ethikmassnahmen» kommt es also entscheidend an.“ 191 Gemäss Ulrich hat sich in der Praxis noch kein konzeptioneller Standard für ein Ethikprogramm etabliert. Im Rahmen der republikanischen Unternehmensethik würde ein solches idealerweise folgende Bausteine umfassen: 192 • • • • • • Sinngebende unternehmerische Wertschöpfungsaufgabe Bindende Geschäftsgrundsätze Gewährleistete Stakeholderrechte Diskursive Infrastruktur Ethische Kompetenzbildung Ethisch konsistente Führungssysteme Es besteht für Ulrich kein Zweifel, dass dieser Weg anspruchsvoll und als Lernprozess aufzufassen ist. 193 Die Antwort auf die Frage, ob es sich lohnt, diesen Weg zu gehen, hängt nach Ulrich letztlich davon ab, welche Vorstellungen die Menschen von den Unternehmen haben, in 186 187 188 189 190 191 192 193 Vgl. P. Ulrich: Republikanischer Liberalismus und Corporate Citizenship, a.a.O., S. 18 Vgl. a.a.O., S. 18 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 457 Vgl. a.a.O., S. 458 Vgl. a.a.O., S. 459 A.a.O., S. 461 Vgl. a.a.O., S. 461f Vgl. a.a.O., S. 462 35 denen sie arbeiten möchten. 194 „Der skizzierte Weg ist der richtige, wenn sich eine Firma konsequent als ein guter Corporate Citizen verstehen und profilieren will, d.h. als ein «guter Bürger», der sich durch seine integre und wahrhaft «wertschaffende» Geschäftstätigkeit seinen wirtschaftlichen Erfolg und sein öffentliches Ansehen am Ende verdient hat.“ 195 2.2 Der ordnungstheoretische Ansatz von Karl Homann Die westliche Welt wird trotz ihres welthistorischen Sieges über den Sozialismus nicht froh. Es scheint eher so, dass die ungelösten Probleme der Gegenwart wie Hunger und Armut in der Dritten und auch schon in der Zweiten Welt, Bevölkerungsexplosion, Armutsmigration, fortgesetzte Umweltzerstörung, neue Kriege, Drogenkonsum, Arbeitslosigkeit oder organisierte Kriminalität unser Bewusstsein überhaupt erst dadurch deutlich erreichen konnten. Für Karl Homann sind diese ungelösten Probleme der Ausdruck und die aktuelle gesellschaftspolitische Auseinandersetzung die Folge eines ungeklärten Problems: „Welche Rolle kann Normativität, können moralische Ideale von Humanität und Solidarität unter Bedingungen der Eigengesetzlichkeit von Subsystemen und der positiven Einzelwissenschaften als zugehöriger Reflexionsform überhaupt noch spielen?“ 196 Nach Homann et al. sind die einzelnen gesellschaftlichen Subsysteme zwar in der Lage, ihre Probleme mit sehr hoher Selektivität zu bearbeiten – was denn auch in einer vielfach gesteigerten Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt -, für Ganzheitssemantiken, wie sie der Philosophie und Religion eigen sind, sind sie hingegen kaum mehr ansprechbar. 197 Dies hat für die Lösung von gesellschaftlichen Problemen gravierende Konsequenzen, Homann und seine Mitstreiter sehen hier gar die eigentliche Crux der Moderne. 198 Wenn moralische Ideen für die soziale Ordnung als unentbehrlich aufgefasst werden, die grosse Schwierigkeit indessen darin gesehen wird, wie sie in der modernen Gesellschaft zur Geltung gebracht werden können, dann rückt unweigerlich die Frage der Implementation in den Vordergrund. Für Homann et al. steht deshalb fest: „Es geht also vorrangig um das andere zentrale Problem der Ethik, um die Implementation.“ 199 Diese Fokussierung hat für das Verständnis von Ethik grundlegende Konsequenzen: Weil die Implementationsfrage in der ausdifferenzierten Gesellschaft nicht mehr durch die Ethik selbst beantwortet werden kann, bedarf es der Zusammenarbeit mit einer empirischen Wissenschaft. Als Partner bestimmt Homann die Ökonomik, „liefert sie doch Erkenntnisse für die Ethik, von denen sich die philosophische Ethik, gefangen in ihrem auf vormoderne Bedingungen zugeschnittenen Paradigma, nicht träumen ließ.“ 200 Allerdings erfordert diese Wahl sowohl eine Neubewertung des individuellen Vorteilsstrebens als auch eine grundlegende Revision des Verhältnisses zwischen Moral und Ökonomie bzw. Ethik und Ökonomik. Mit Rekurs auf Adam Smith weist Homann darauf hin, dass seine Theoriestrategie keineswegs neu ist, sondern vor mehr als zweihundert Jahren durch den Moralphilosophen Smith erkannt worden sei. 201 Homanns theoretischem Ansatz, sich nicht mit moralischen Appellen zu begnügen, sondern aufzeigen zu wollen, wie in der modernen Gesellschaft moralische Intentionen zur Anwendung gelangen können, steht – dem entsprechend 194 195 196 197 198 199 200 201 36 Vgl. a.a.O., S. 462 A.a.O., S. 462 K. Homann: Vorteile und Anreize. Zur Grundlegung einer Ethik für die Zukunft, Hrsg. von Ch. Lütge, Tübingen 2002, S. 139 Vgl. K. und R. Homann: „Glaube und Moderne: Ganzheit und Denken in Verfassungen“, in: Welt-Heuristik des Glaubens, Hrsg. von K. Homann und I. Riedel-Spangenberger, Gütersloh 1997, S. 112 Vgl. a.a.O., S. 112 K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992, S. 16 K. Homann: Anreize und Moral. Gesellschaftstheorie - Ethik - Anwendungen, Hrsg. von Chr. Lütge, Münster 2003, S. 195 Vgl. K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 177 – die Theorie von Adam Smith Pate. 202 Im Folgenden geht es darum, den methodologischen Standpunkt von Homann et al. vorzustellen. 2.2.1 Die methodologische Grundlegung In Anlehnung an Kants berühmtes epistemologisches Diktum: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ 203 formulieren Homann et al.: „Ganzheitliche Sozialund Denkstrukturen ohne Inkulturation in die völlig anders geschnittenen Strukturen der Moderne sind »leer«, moderne Sozial- und Denkstrukturen ohne Ganzheitsorientierung aber sind »blind«.“ 204 Das heisst: Die ausdifferenzierten Systeme wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Sport usw. verstehen wegen ihrer starken Fokussierung die die gesamte Wirklichkeit umfassenden Begriffe der Philosophie nicht mehr, sie sind aber gerade deshalb in ihrem Streben letztlich orientierungslos. Um den Gewinn zu steigern, entlassen Unternehmen nicht selten relativ bedenkenlos viele Mitarbeiter, obwohl in Bezug auf die soziale Ordnung oder eigene Reputation dadurch viele neue Probleme entstehen; Sportler nehmen Dopingpräparate zu sich, obschon hinlänglich bekannt ist, dass sie dadurch ihr Leben gefährden. Das bedeutet: Obschon die unerwünschten Folgen bekannt sind, können sie nicht durch die Logik der Systeme bearbeitet werden. Es ist von daher eine Ethikkonzeption zu fordern, die einerseits zu normativen Vorgaben fähig ist, andererseits über ein Instrumentarium verfügt, um deren Implementationsfähigkeit sorgfältig prüfen zu können. Eine systematische Integration ist nach Homann et al. dann geglückt, wenn aus normativen Intentionen, die im Rahmen von positiven Analysen zu prüfen sind, im Sinne eines praktischen Syllogismus Gestaltungsmöglichkeiten abgeleitet werden können. 205 Bei der Darlegung des methodologischen Standpunktes von Homann wird zunächst auf der Basis der beiden divergierenden Theorien von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann eine soziologische Ausgangslage skizziert, die als Grundlage für das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomik verwendet werden kann. Danach werden die methodologischen Kernelemente Dilemmastrukturen, homo oeconomicus sowie Vertragstheorie vorgestellt. 2.2.1.1 Die Auseinandersetzung mit Habermas und Luhmann Nach Homann et al. sucht Habermas seit seinen Anfängen nach einer positiven Theorie, um regulative Ideen wie Freiheit, Emanzipation, Solidarität und Demokratie zur Geltung bringen zu können. 206 Um die Pathologien der Moderne zu erfassen, unterscheidet Habermas zwischen System und Lebenswelt, wobei Letztere von den Systemimperativen geschützt werden muss. Dazu Habermas: „Es geht darum, Lebensbereiche, die funktional notwendig auf eine soziale Integration über Werte, Normen und Verständigungsprozesse angewiesen sind, davor zu bewahren, den Systemimperativen der eigendynamisch wachsenden Subsystemen Wirtschaft und Verwaltung zu verfallen und über das Steuerungsmedium Recht auf ein Prinzip der Vergesellschaftung umgestellt zu werden, das für sie dysfunktional ist.“ 207 Dieses Paradigma verbietet somit, Systemleistungen zur Befolgung normativer Ziele fruchtbar zu machen. Mit 202 203 204 205 206 207 Vgl. K. Homann und I. Pies: „Replik. Wie ist Wirtschaftsethik als Wissenschaft möglich? Zur Theoriestrategie einer modernen Wirtschaftsethik“, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 5, Heft 1 (1994), S. 106 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Hrsg. von R. Schmidt, Hamburg 1956, A 51/B 75 K. und R. Homann: „Glaube und Moderne: Ganzheit und Denken in Verfassungen“, in: Welt-Heuristik des Glaubens, a.a.O., S. 124 Vgl. K. Homann und I. Pies: „Wirtschaftsethik in der Moderne: Zur ökonomischen Theorie der Moral“, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 5, Heft 1 (1994), S. 4 Vgl. a.a.O., S. 4 J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, a.a.O., S. 547 37 anderen Worten: Weil die Normen den Zweck haben, das Handeln einzuschränken, muss ihre Gestaltung methodisch unabhängig vom Handeln konzipiert werden, was schliesslich zu einer strikten Trennung zwischen der Geltung moralischer Normen und deren Implementation führt. Homann et al. sehen bei dieser Theorieanlage die Gefahr einer realitätsfremden Normensetzung: „Die Frage, wie sich Menschen verhalten sollen, wird bei ihm [Habermas, JN] unabhängig davon beantwortet, wie sie sich tatsächlich verhalten und warum sie dies tun.“ 208 Nach Homann et al. vermag Habermas mit seiner Theoriestrategie zwar bestimmte Entwicklungen der Moderne als Kolonialisierung der Lebenswelt zu beschreiben, man handelt mit ihr jedoch Probleme ein, sobald man zugesteht, dass beträchtliche Fortschritte gerade durch Systemleistungen erreicht wurden. 209 Die Dichotomie zwischen Lebenswelt und System bzw. kommunikativem und strategischem Handeln verliert nämlich dann ihre analytische Trennschärfe für normative Zwecke und lässt keine einhellige Bewertung mehr zu. Darüber hinaus besteht nach Homann die Gefahr, dass sich die theoretische Schwäche auch an anderer Stelle zeigt: Eine Theorie, die zwecks Befolgung moralischer Normen an die Vernunft und den guten Willen appelliert, kann leicht zu einer moralischen Überforderung 210 führen und dadurch einen demoralisierenden Effekt haben, und zwar dann, wenn von den Menschen etwas abverlangt wird, das für sie unmittelbar nachteilig ist. 211 In der soziologischen Systemtheorie von Niklas Luhmann, der die Gesellschaft als ein System ausdifferenzierter Subsysteme auffasst, die zur Umwelt zwar offen, operativ aber geschlossen sind und nur nach ihrem je eigenen Code funktionieren, kann Homann eine klarere Konzeption erkennen als bei Habermas. 212 Denn – im Gegensatz zur Theorie von Habermas – erkennt diese, dass die einzelnen gesellschaftlichen Subsysteme nicht mehr durch Moral in ein gesellschaftliches Gesamtsystem eingebunden werden können und von daher moralische Appelle in Subsystemen wirkungslos bleiben bzw. lediglich als ein unverständliches Rauschen wahrgenommen werden 213. Homann et al. sehen in Luhmanns Theorie allerdings auch Schwächen, und zwar im normativen Bereich: „Statt einer systematischen Integration positiver und normativer Analyse verfügt sein sozialwissenschaftlicher Ansatz über keine ausgeprägte normative Stoßrichtung und ist stattdessen weitgehend auf die Analyse bloßer Faktizität reduziert, deren Orientierung dann willkürlich zu werden droht.“ 214 Nach Homann et al. schlägt das Desiderat im normativen Bereich auf die positive Theorie durch und manifestiert sich in zwei verkürzten Auffassungen von Moral und Ökonomie bzw. Ethik und Ökonomik. 215 Luhmanns Pointen gegen ethische Donquichotterie sind nämlich nur dann berechtigt, wenn man Moral als Steuerungsinstanz der Gesellschaft mit dem personalen System verknüpft bzw. wenn man Moral als eine Kommunikationsart auffasst, die Hinweise auf Achtung und Missachtung mitführt 216. Mit 208 209 210 211 212 213 214 215 216 38 K. Homann und I. Pies: „Wirtschaftsethik in der Moderne“, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 5, Heft 1 (1994), S. 4 Vgl. a.a.O., S. 4 Wenn eine ethische Theorie sich am faktischen Verhalten der Menschen orientieren soll, dann impliziert dies tendenziell die Verneinung der Möglichkeit, dass Menschen in der Lage sind, sich anders zu verhalten, als sie es de facto tun. Ethische Forderungen, die Veränderungen im Handeln postulieren (beispielsweise auf den eigenen Vorteil zugunsten des Kollektivs zu verzichten), müssen dann konsequenterweise als Überforderung abgewehrt werden. Habermas theoretischer Konzeption muss zugutegehalten werden, dass sie gerade zwischen deskriptiver und normativer Theorie zu unterscheiden vermag, was bei Homanns methodologischem Standpunkt in problematischer Weise verwischt wird. Vgl. K. Homann: „Wirtschaftsethik. Die Funktion der Moral in der modernen Wirtschaft“, in: Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, Hrsg. von J. Wieland, Frankfurt a. M. 1993, S. 33 Vgl. K. Homann und I. Pies: „Wirtschaftsethik in der Moderne“, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 5, Heft 1 (1994), S. 5 Vgl. N. Luhmann: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, 3. Auflage, Opladen 1990, S. 65 K. Homann und I. Pies: „Wirtschaftsethik in der Moderne“, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 5, Heft 1 (1994), S. 6 Vgl. a.a.O., S. 6 Vgl. N. Luhmann: Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral, Rede anläßlich der Verleihung des HegelPreises 1989, Frankfurt a. M. 1990, S. 18 anderen Worten: Die Durchsetzung von ethischen Anliegen ist nur dann wenig aussichtsreich, wenn sie in der Form von Interaktionen bzw. moralischen Appellen versucht wird. Nach Homann et al. werden aber gerade dadurch die Leistungen von Adam Smith unterboten, der die Einsicht hatte, dass in der modernen Gesellschaft moralische Intentionen nicht unmittelbar durch die Handlungen der einzelnen Menschen, sondern lediglich indirekt über geeignete Strukturen realisiert werden können. 217 Natürlich bedeutet die Trennung von Handlungsmotiv und -Ergebnis einen Paradigmawechsel; allerdings – so Homann et al. – ist kaum einzusehen, weshalb Moral so eng gefasst werden muss und nicht auf Systemleistungen bezogen werden kann. 218 Eng verbunden mit Luhmanns Auffassung von Moral zeigt sich nach Homann et al. eine weitere Schwäche in dessen Theorie: „Die Definition des Subsystems ‚Wirtschaft‘ bei Luhmann durch das Medium ‚Geld‘ bzw. den Code ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ entspricht nicht dem modernen Verständnis von Ökonomik, hinter deren Standards Luhmann zurückbleibt.“ 219 Wissenschaftler, Politiker, Sportler oder Wirtschaftsakteure handeln in Situationen grundsätzlich in derselben Weise rational. Mit dem binären Code können zwar „Nutzen“ und „Kosten“ bestimmt werden, nicht aber das basale rationale Verhalten. 220 Anders gesagt: Die durchdringende Kraft der Systemlogik mit den verschiedenen binären Codes (z.B. „Zahlung/Nicht-Zahlung“) impliziert, dass Menschen grundsätzlich so handeln, wie es für die eigenen Interessen von Vorteil ist. Demnach ist das nicht explizit herausgehobene Fundament der Systemtheorie der eigeninteressierte Mensch. Und dadurch zeigt sich nun für Homann et al. eine Möglichkeit, die Eigenlogik der Subsysteme für systemfremde Zwecke nutzbar zu machen, und zwar auch hinsichtlich der Moral, denn immerhin „bietet diese Perspektive die Aussicht, moralische Anliegen durch eine entsprechende Gestaltung der institutionellen Arrangements so zu übersetzen, dass sie in den jeweiligen Subsystemen in der Form situativer Handlungsanreize wirksam werden können.“ 221 Homann et al. resümieren, dass sowohl Jürgen Habermas wie auch Niklas Luhmann die systematische Integration einer positiven und normativen Theorie nicht gelungen ist. 222 Trotzdem setzen beide Theorien Standards, die eine moderne Wirtschaftsethik nicht unterschreiten sollte. Während Habermas die Notwendigkeit normativer Inputs zeigt, ohne die die positive Forschung orientierungslos bleiben muss, kann von Luhmann übernommen werden, dass es keine Direttissima vom vernünftigen Sollen zur Realisierung von moralischen Ideen gibt. Nur indem „Können angemessen berücksichtigt wird, kann eine durch positive Wissenschaft informierte Ethik als Heuristik die Implementation moralischer Ideen anleiten.“ 223 2.2.1.2 Über das Verhältnis von Ethik und Ökonomik Homann konstatiert ein konzeptionelles Grundproblem in der Wirtschaftsethik; dieses besteht darin, dass die empirisch feststellbare Diskrepanz zwischen Moral und Wirtschaft als Paradigma für die Theoriebildung verwendet wird. 224 Dadurch entsteht ein unversöhnlicher Dualismus zwischen Ethik und Ökonomik bzw. Moral und Ökonomie, der folgenreich in den Begriffspaaren Menschengerechtes vs. Sachgerechtes, Altruismus vs. Egoismus oder Gemeinwohl vs. Eigennutz zum Ausdruck kommt. In den meisten Konzeptionen dominiert dann die Ethik über die Ökonomik bzw. moralischen Forderungen wird gegenüber den 217 218 219 220 221 222 223 224 K. Homann und I. Pies: „Wirtschaftsethik in der Moderne“, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 5, Heft 1 (1994), S. 6 Vgl. a.a.O., S. 6 A.a.O., S. 6 Vgl. a.a.O., S. 6 A.a.O., S. 6 Vgl. a.a.O., S. 7 A.a.O., S. 7 Vgl. K. Homann: „Ethik von Ökonomik. Zur Theoriestrategie der Wirtschaftsethik“, in: Wirtschaftsethische Perspektiven I. Theorie, Ordnungsfragen, Internationale Institutionen, Hrsg. von K. Homann, Berlin 1994, S. 10 39 ökonomischen Anliegen der Primat eingeräumt. Mit Verweis auf Adam Smith, insbesondere auf dessen Werk Der Wohlstand der Nationen, will Homann dieser Dichotomie entgegentreten und die Identität der aus einer ursprünglichen Einheit abgeleiteten Moral und Ökonomie unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen wieder herstellen: Der Wohlstand der Nationen bzw. The Wealth of Nations ist nicht als Ergänzung zum früheren Werk Theorie der ethischen Gefühle bzw. Theory of Moral Sentiments aufzufassen 225, sondern als dessen Einlösung unter den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. 226 Mit anderen Worten: Moralische Gefühle, ethische Ideale und Werte büssten ihre gesellschaftliche Steuerungsfunktion ein, weil sie unter Bedingungen gerieten, aus denen unmittelbare Handlungsanleitungen nicht mehr abgeleitet werden konnten. Adam Smith reagierte auf diese Probleme: Er stellt für die Moderne eine andere Diagnose als es die Philosophie im Allgemeinen tat und verabreichte ihr dem entsprechend auch eine andere Therapie: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen- sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“ 227 Das Besondere bei Smith besteht aber darin, „dass er als Ökonom, zu dem er jetzt mutiert, Moralphilosoph bleibt, dass er lediglich die Moralphilosophie von ihrem neben der Begründung zweiten zentralen Thema, der Implementierung des Sollens, aufzieht.“ 228 Damit ergibt sich für die Ökonomik folgende Aufgabe: „Ökonomik ist systematisch die Fortsetzung der Ethik mit anderen, mit besseren Mitteln, mit Mitteln, die präzise auf die Frage der Implementation von Normen unter Bedingungen moderner Gesellschaften zugeschnitten sind.“ 229 Mit Bezug auf die klassische Tradition der praktischen Philosophie, die seit den Griechen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Begründung und Implementation systematisch zusammen behandelte, weist Homann darauf hin, dass die Ökonomik so eine genuin philosophische Arbeit erfülle, und zwar mit einem hoch elaborierten Instrumentarium, an das die philosophische Ethik nicht heranreiche. 230 Aber welche Aufgabe bleibt so für die philosophische Ethik übrig? Wird sie nicht dadurch zur historischen Reminiszenz degradiert, die bestenfalls noch im Rahmen der Kulturwissenschaft Beachtung findet? Homann möchte die in der mehr als zweieinhalbtausendjährigen Geschichte der abendländischen Ethik so hoch reflektierten und elaborierten Ideen wie Menschenwürde, Solidarität, Freiheit oder Gerechtigkeit keinesfalls verschenken, vielmehr betrachtet er diese als regulative Ideen, die der Ökonomik die Richtung anzeigen und für deren Orientierung sorgen: „Ethik wird so zur Heuristik der Ökonomik: Das ist die These.“ 231 Mit anderen Worten: Weil die philosophische Ethik es nicht mehr vermag, mit direkten Handlungsanleitungen die soziale Ordnung sicherzustellen, soll sie Suchanweisungen liefern, damit die Ökonomik konkrete Ziele und Problemlösungen erarbeiten kann, die dann unter den konkreten gesellschaftlichen Handlungsbedingungen zur Geltung gebracht werden 225 226 227 228 229 230 231 40 Die unterschiedlichen Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann zeigen sich exemplarisch anhand des für die Wirtschaftsethik als entscheidend beurteilten Werkes von Adam Smith. Während nach Homann Der Wohlstand der Nationen die neuen gesellschaftlichen Bedingungen aufnimmt und in diesem Kontext das Werk Theorie der ethischen Gefühle ersetzt, besteht für Peter Ulrich kein Zweifel, „dass sich Smiths liberale Politische Ökonomie letztlich nur von seiner Moralphilosophie her erschliessen lässt.“ (P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., Anm. S. 132). Sowohl für Michael Stefan Aßländer (vgl. M. S. Aßländer: „Adam Smith: Moralphilosophie und Ökonomie in kritischer Absicht“, in: Wirtschaftsethik als kritische Sozialwissenschaft, Hrsg von M. Breuer et al., Bern 2003, S. 34) als auch für Robert Sugden (vgl. R. Sugden: „Jenseits von Sympathie und Empathie. Adam Smiths Begriff des Mitgefühls“, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, Jg. 13, Heft 1 (2005), S. 89f) entbehrt Homanns Standpunkt jeglicher Grundlage; die unterschiedlichen Menschenbilder in den beiden Werken hängen damit zusammen, dass sowohl das egoistische Eigeninteresse wie auch das menschliche Mitgefühl natürliche Anlagen sind, die untrennbar zum menschlichen Seelenhaushalt gehören. Vgl. K. Homann: „Ethik von Ökonomik“, in: Wirtschaftsethische Perspektiven I, a.a.O., S. 13 A. Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, Übers. von H. C. Recktenwald, 11. Auflage, München 2005, S. 17 K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 247 A.a.O., S. 250 Vgl. a.a.O., S. 250 A.a.O., S. 260 können. Sowohl Ethik wie auch Ökonomik können dadurch ihre je eigene Komplexität verarbeiten und werden nicht in der einen oder anderen Richtung aufeinander reduziert. Im Modus einer fruchtbaren Korrelation bleiben sie trotzdem als Einheit erhalten. Die Philosophie einerseits kann so ihren enormen geschichtlichen Fundus präsent halten und ihre hoch entwickelten Ideen vortragen, ohne allzu sehr auf Sachzwänge Rücksicht nehmen zu müssen. Die Ökonomik andererseits kann in dem ihr zugestandenen Raum die erhaltenen heuristischen Anweisungen unter den durch sie erforschten Bedingungen umsetzen. Somit befassen sich Ethik als Heuristik und Ökonomik als Implementation zwar mit dem gleichen Gegenstand, aber in unterschiedlichen Diskursen. Daraus leitet Homann seinen Standpunkt ab, „Ethik und Ökonomik als zwei Diskurse ein und derselben Problematik menschlicher Interaktionen aufzufassen, als zwei Diskurse also, die jeweils verschieden ansetzen, verschiedene Methoden und verschiedene Klassen von Argumenten benutzen, die jedoch im Prinzip, d.h. vom Gegenstandsbereich her, als deckungsgleich angenommen werden müssen.“ 232 Während die Ethik moralische Forderungen als unbedingt einstuft, gelten diese ökonomisch gesprochen als Investitionen, die nur dann beschlossen werden, wenn Aussicht auf return on invest besteht. Damit zeigt sich sogleich, dass die Übersetzung keineswegs immer eins zu eins gelingt und manche moralische Anliegen durch den ökonomischen Diskurs erst später oder überhaupt nicht aufgenommen werden. Nichtsdestotrotz müssen die beiden Diskurse strikte getrennt werden; Lücken im ökonomischen Diskurs dürfen keinesfalls durch ethische Versatzstücke gefüllt werden 233, denn gerade dadurch würde die Frage der Implementation wieder aufgegeben. Homanns Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomik lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Ökonomik hilft der Ethik, ihre normativen Intentionen weit über die Reichweite solidarischer Gefühle und weit über die unmittelbaren Kontrollmöglichkeiten des Einzelnen hinaus in anonymen Gesellschaften zur Geltung zu bringen. Dabei steht für die Ethik bzw. Philosophie viel auf dem Spiel: „Philosophie bleibt so – und wohl nur so – an die moderne Gesellschaft und ihre Wissensformen anschlußfähig.“ 234 2.2.1.3 Die Dilemmastruktur als erstes methodologisches Kernelement Die moderne Gesellschaft ist durch die Struktur des Wettbewerbs mit dem antagonistischen Element der Konkurrenz gekennzeichnet. Gleichgültig ob die Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen verkaufen möchten bzw. private Personen sich um eine Arbeitsstelle bemühen oder eine Wohnung zu mieten versuchen, beinahe immer besteht die Gefahr, dass die Bemühungen wegen der vielen anderen Unternehmen bzw. privaten Personen, die gleiche oder ähnliche Interessen bekunden, erfolglos bleiben. Wenn wir bestehen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen jede Möglichkeit zu nutzen, um besser zu sein als unsere Kontrahenten. Besteht unter diesen Bedingungen überhaupt Raum für Moral? Nach Homann ist der Wettbewerb das beste bisher bekannte Mittel für die Solidarität aller, und zwar deshalb, weil er – im Gegensatz zum Teilen – kein Nullsummenspiel ist. 235 Durch die unterschiedlichen Interessen der Wettbewerber und Konsumenten können sowohl Erstere wie auch Letztere gewinnen: Die Unternehmen versuchen Gewinne zu erzielen, und die Konsumenten erhalten gerade dadurch für ihr Geld gute Produkte und Dienstleistungen. In diesem Sinne ist der Wettbewerb eine soziale Veranstaltung mit ethischer Richtigkeitsvermutung 236 – sofern die für eine soziale Ordnung unabdingbaren Regeln 232 233 234 235 236 K. Homann: „Ethik von Ökonomik“, in: Wirtschaftsethische Perspektiven, a.a.O., S. 16 Vgl. a.a.O., S. 17 K. Homann: „Wirtschaftsethik: Wo bleibt die Philosophie?“, in: Wirtschaftsethik - Wo ist die Philosophie?, a.a.O., S. 216 Vgl. K. Homann: „Grundlagen einer Ethik für die Globalisierung“, in: Zwischen Profit und Moral - Für eine menschliche Wirtschaft, Hrsg. von H. v. Pierer et al., München und Wien 2003, S. 42 Vgl. K. Homann: Moral in den Funktionszusammenhängen der modernen Wirtschaft. Zwei Beiträge zur Wirtschaftsethik unter Wettbewerbsbedingungen, Stuttgart 1993, S. 19 41 institutionalisiert sind: „Moderne Ökonomik vertritt nachhaltig die These, daß ungeregelter, naturwüchsiger Wettbewerb für die Menschen verheerende Ergebnisse mit sich bringt.“ 237 Nach Homann lassen sich alle Probleme der modernen Ethik aus Kants Diktum der „ungeselligen Geselligkeit“ entwickeln: 238 Der Mensch ist zwar auf die Gemeinschaft mit anderen angewiesen, und doch bedroht er diese zugleich mit seiner Eigensinnigkeit. Diese kantische Formel ist durch die moderne Ökonomik bzw. ökonomisch fundierte Spieltheorie im Rahmen des Theorems Gefangenendilemma 239 bzw. Dilemmastrukturen bedeutend weiterentwickelt und präzisiert worden. 240 Mit dem Konzept der Dilemmastrukturen, in concreto mit der vertrackten Situation 241 des Gefangenendilemmas, können menschliche Interaktionen analysiert und eine für sämtliche Interaktionen gültige Erkenntnis abgeleitet werden: „Es liegen – so das Schema – immer zugleich gemeinsame und konfligierende Interessen der Akteure vor, in der Sprache Kants eben jene ‚ungesellige Geselligkeit‘ des Menschen.“ 242 Mit anderen Worten: Es besteht ein gemeinsames Interesse an der vorteilbringenden Kooperation, uneins sind sich die Akteure hingegen in der Frage, wie der Kooperationsgewinn aufgeteilt werden soll. In einem Einstellungsgespräch zum Beispiel besteht an einem möglichen Arbeitsverhältnis ein beidseitiges Kooperationsinteresse, strittig sind jedoch Gehalt, Fähigkeit, Arbeitszeit, Position und andere Anstellungsbedingungen. Das Gefangenendilemma fördert nun in Bezug auf den konfligierenden Aspekt eine folgenschwere Erkenntnis zutage: „Individuelle Rationalität führt bei dieser Problemstruktur zu kollektiver Irrationalität bzw. in die soziale Falle.“ 243 Anders gesagt: Die Dilemmata sind derart strukturiert, dass eigeninteressierte Akteure die Defektion als die dominante Strategie wählen, mit der schädlichen Konsequenz, dass ein aus der Sicht aller Parteien bestmögliches Ergebnis systematisch unterschritten wird. Für Homann besteht nun kein Zweifel, dass sämtliche grossen Probleme in der Welt auf diese Asymmetrie zurückzuführen sind. Das heisst: „Kern des Problems ist immer, dass aus dem gemeinsamen Ziel ‚Kooperieren‘ systematisch gerade nicht ein individuelles Handeln im Sinne dieses Ziels folgt, sondern genau das Gegenteil: Weil jeder Einzelne befürchten muss, dass sein ‚Kooperieren‘, also sein Handeln im Sinne des gemeinsamen Ziels, von anderen, die 237 238 239 240 241 242 243 42 A.a.O., S. 35 Vgl. K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 94 Das Gefangenendilemma beschreibt als Zwei-Personen-Spiel ein soziales Dilemma. Das Paradoxon besteht darin, dass individuell rationale Entscheidungen zu kollektiv schlechteren Ergebnissen führen können. Nach Holler und Illing beschreiben R. D. Luce und H. Raiffa das Gefangenendilemma bzw. Prisoner’s dilemma wie folgt: „Zwei Verdächtige werden in Einzelhaft genommen. Der Staatsanwalt ist sich sicher, daß sie beide eines schweren Verbrechens schuldig sind, doch verfügt er über keine ausreichenden Beweise, um sie vor Gericht zu überführen. Er weist jeden Verdächtigen darauf hin, daß er zwei Möglichkeiten hat: das Verbrechen zu gestehen oder aber nicht zu gestehen. Wenn beide nicht gestehen, dann, so erklärt der Staatsanwalt, wird er sie wegen ein paar minderer Delikte wie illegalem Waffenbesitz anklagen, und sie werden eine geringe Strafe bekommen. Wenn beide gestehen, werden sie zusammen angeklagt, aber er wird nicht die Höchststrafe beantragen. Macht einer ein Geständnis, der andere jedoch nicht, so wird der Geständige nach kurzer Zeit freigelassen, während der andere die Höchststrafe erhält.“ (M. J. Holler und G. Illing: Einführung in die Spieltheorie, 6. Auflage, Berlin, Heidelberg und New York 2006, S. 2) Vgl. K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 94 Für die beiden Gefangenen wäre es - zusammen betrachtet - am vorteilhaftesten, wenn sie schwiegen. Das Schweigen trägt allerdings die grosse Gefahr, dass es durch das Geständnis des anderen Häftlings, der dank der Kronzeugenregelung dadurch freikommt, ausgebeutet wird. Die Variante Schweigen bewirkt somit im Kooperationsfall für beide Häftlinge eine geringe Gefängnisstrafe, im Defektionsfall hingegen für einen der Häftlinge die Höchststrafe. Die Variante „Reden“ hat entweder die Freilassung (wenn nur einer defektiert) oder wenigstens eine Reduktion der Höchststrafe (wenn beide reden bzw. defektieren) als Konsequenz. Dadurch, dass das individuelle Ergebnis wesentlich beeinflusst wird durch die Interaktion des Anderen, kommt die Interdependenz deutlich zum Ausdruck. Unter der Annahme, dass sich die Häftlinge allein für das begangene Verbrechen zusammengetan haben, sich also weder nahe stehen noch sonst gut kennen, muss davon ausgegangen werden, dass der Normalfall nicht die Kooperation, sondern die Defektion ist; denn diese allein verhindert die Ausbeutung durch den Anderen. K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 95 A.a.O., S. 96 ‚defektieren‘, ausgebeutet wird, greift er zu dem einzig wirksamen Gegenmittel der präventiven Gegendefektion – ohne wirksame Verhaltensbindung des/der anderen kann er gar nicht anders.“ 244 Dilemmastrukturen bzw. asymmetrische Interaktionsstrukturen sind allgegenwärtig; jede gelungene Interaktion kann als die Überwindung einer zumindest latent vorhandenen Dilemmastruktur verstanden werden. Während das konfligierende Element beim Kauf einer Tafel Schokolade unmerklich bleibt, bedarf der Tausch einer Eigentumswohnung – als gelungene Interaktion – bereits einiger Anstrengung durch die involvierten Akteure. Homann weist darauf hin, dass in diesem Sinne Staats- und Unternehmensverfassungen, aber auch die Moral und andere Konventionen letztlich als die Resultate von gelungenen Interaktionen zu betrachtet sind: „Ihr Sinn besteht darin, die Überwindung von Dilemmastrukturen auf nachgelagerten Ebenen zu ermöglichen, indem sie die Handlungsmöglichkeiten der Akteure beschränken und die Verlässlichkeit wechselseitiger Verhaltenserwartungen herstellen.“ 245 Nun sind Dilemmastrukturen keineswegs nur schädlich, vielmehr sind sie normativ ambivalent und in der Marktwirtschaft durchaus erwünscht, denn die „moderne Welt zieht ihr Entwicklungspotential aus genau diesen Dilemmasituationen, die im Wettbewerb etabliert und aufrechterhalten werden.“ 246 Fatal wirken sie sich dagegen auf öffentliche Güter aus, „angefangen bei der sozialen Ordnung über die Moral bis zur sauberen Umwelt.“ 247 Hier besteht die Gefahr der Ausbeutung nach dem Motto: der Ehrliche bzw. Kooperationswillige ist der Dumme. Homann macht darauf aufmerksam, dass die Überwindung unerwünschter asymmetrischer Interaktionsstrukturen die Mitwirkung ausnahmslos aller Akteure bedarf; denn ein einzelner Defektierer kann alle anderen zur Gegendefektion zwingen und dadurch ein gesamthaft gesehen unerwünschtes Ergebnis herbeiführen. 248 Wenn beispielsweise eine Unternehmung, die eine Auftragsanfrage für eine Warenlieferung in ein Kriegsgebiet erhalten hat, davon ausgehen muss, dass der Auftrag ohnehin ausgeführt wird, entweder durch sie selbst oder durch einen Konkurrenten, dann wird diese Unternehmung den Auftrag annehmen und nicht bereit sein, freiwillig Marktanteile an einen Konkurrenten abzugeben. Die fehlende verlässliche Regel zwingt also die Firma – sofern sie nicht Marktanteile verlieren und Arbeitsplätze riskieren will – zu einem moralisch fragwürdigen Handeln. Homanns Fazit lautet: „An der grundlegenden Logik von Dilemmastrukturen in allen Interaktionen kommt keine Ethik – und keine Pädagogik – vorbei. Will man Dilemmastrukturen aus ethischen Erwägungen überwinden, muss man eine wirksame Verhaltensbindung der Akteure zu Wege bringen. (…) Individuelle moralische Vorleistungen laden zur Ausbeutung geradezu ein.“ 249 2.2.1.4 Der homo oeconomicus als zweites methodologisches Kernelement Homann rezipiert Karl R. Poppers wissenschaftstheoretische Überlegungen, wonach alle Theoriebildung weder durch eine Ontologie der Gegenstandsbereiche noch durch eine lebensweltliche Phänomenologie, sondern durch Problemstrukturen bestimmt sei. 250 Für Homann bedeutet dies: Weder die Wirtschaft als Gegenstandsbereich noch die phänomenologisch erkennbare Kolonialisierung der Lebenswelt, sondern die analysierte Problematik der asymmetrischen Interaktionsstrukturen bestimmen die Forschungsperspektive. Folgerichtig muss für das hier zur Diskussion stehende Paradigma von folgender Grundfrage ausgegangen werden: „Nach welchen Regeln wollen Menschen, die immer gemeinsame und konfligierende Interessen zugleich 244 245 246 247 248 249 250 A.a.O., S. 97 A.a.O., S. 114 K. Homann: „Ethik von Ökonomik“, in: Wirtschaftsethische Perspektiven I, a.a.O., S. 23 K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 115 Vgl. a.a.O., S. 115 A.a.O., S. 99 Vgl. a.a.O., S. 116 43 haben, miteinander umgehen?“ 251 Nun stellt sich allerdings zunächst die Frage, welches theoretische Verhaltensmodell dieser Dilemmastruktur überhaupt zugrunde liegt. Dazu Homann: „Unterstellt werden ‚rationale‘ i.S. von eigeninteressierte Akteure, also homines oeconomici.“ 252 Homann hält die Kritik am homo oeconomicus, wonach es sich bei dieser Vorstellung um ein empirisch verkürztes und normativ gefährliches Menschenbild handle, als nicht überzeugend und der Sache nicht angemessen. 253 Den homo oeconomicus gibt es zwar nicht, es handelt sich vielmehr „um ein präempirisches Schema, das die empirische Forschung vor dem richtungslosen Stochern im Nebel bewahren und ihr statt dessen eine Anweisung geben soll, wo sie was gezielt suchen soll.“ 254 Das bedeutet: Nicht die Vorstellung des homo oeconomicus muss empirisch überprüft werden, sondern die Ergebnisse, die aufgrund der Leistungsfähigkeit dieses Analyseinstruments gewonnen werden können. In Ansehung der Problemlage (Dilemmastrukturen) will Homann in der Funktion und Bedeutung des theoretischen Konstrukts homo oeconomicus eine Revision vornehmen: Das Modell beansprucht nicht eine Realitätsnähe hinsichtlich der psychologischen Ausstattung des Menschen, sondern es „bezieht sich vielmehr auf die ‚Situation‘, in der die Menschen agieren, und die von dieser ‚Situation‘ ausgehenden Handlungsanreize.“ 255 Das Konstrukt homo oeconomicus ist demnach Teil einer Situationstheorie – und nicht einer Verhaltenstheorie. Für diese Neufassung des homo oeconomicus rekurriert Homann auf Poppers methodologisches Element Logik der Situation, dessen Quintessenz er darin sieht, dass es eine gute methodologische Praxis ist bzw. mehr gelernt werden kann, wenn bei unerwarteten empirischen Befunden nicht das Rationalitätsprinzip verantwortlich gemacht wird, sondern der Rest der Theorie – hier die Bedingungen der Situation. 256 Den gleichen Standpunkt vertritt der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Gary S. Becker. Der Rückgriff auf eine Veränderung der Präferenzen ist bei ihm methodologisch verboten, die Ursache überraschender Ergebnisse muss in nicht ausreichend analysierten Restriktionen gesucht werden. 257 Das als gegeben vorausgesetzte Präferenzsystem wird vage mit der „menschlichen Natur“ bzw. mit der allmählichen Selektion von Merkmalen mit besseren Überlebenswerten erklärt. 258 Welche Bedeutung hat der Begriff „Rationalität“ bei diesem Forschungsstandpunkt? Dazu Homann: „Rationalität heisst im ökonomischen Handlungsmodell, dass Menschen den Anreizen folgen, die von der jeweiligen Situation ausgehen.“ 259 Und zwar folgen die Menschen den Anreizen deshalb, weil sie diese für sich selbst als vorteilhaft bzw. nützlich einschätzen. 260 Nach Becker gilt dies für sämtliches Verhalten, das heisst, selbst altruistisches Handeln ist als Ausdruck der Nutzenmaximierung zu werten. 261 Anders gesagt: Was Menschen auch immer tun, sie tun es wegen ihrem Vorteil. 262 Bezogen auf ein stabiles Präferenzsystem können somit Einkommen, Vermögen und andere materielle Anreize ebenso als Vorteil wahrgenommen werden, wie etwa Musse, altruistische Handlungen, Gesundheit und andere nicht auf einen materiellen Inhalt reduzierbare Phänomene. Denn nicht-egoistische Handlungen dienen letztlich ebenso den Eigeninteressen, und zwar unabhängig davon, ob dies den Menschen bewusst ist oder nicht. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich eine so verstandene Ökonomik nicht durch den Gegenstandsbereich Wirtschaft, sondern durch ihre hochselektive Problemstellung bzw. durch die 251 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262 44 A.a.O., S. 167 A.a.O., S. 95 Vgl. a.a.O., S. 70ff A.a.O., S. 77 A.a.O., S. 114 Vgl. a.a.O., S. 76 Vgl. G. S. Becker: The Economic Approach to Human Behavior, Chicago 1976, S. 5 Vgl. A.a.O., S. 294 K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 187 Vgl. a.a.O., S. 101 Vgl. G. S. Becker: The Economic Approach to Human Behavior, a.a.O., S. 284 Wenn jedes Handeln als nutzenmaximierendes Verhalten - im Grunde genommen tautologisch - erklärt wird, (der Akteur wählt die beste Handlung bzw. die beste Handlung ist jene, die vom Akteur gewählt wird), dann stellt sich allerdings die Frage, wie gehaltvoll diese Erklärungen dann noch sind. Oder anders gefragt: Wie können allgemeingültige Anreize mit einer tautologischen Formel überhaupt noch geschaffen werden? ökonomische Methode 263 definieren lässt. Das neue Paradigma der modernen Ökonomik bedeutet nun, „dass Ökonomen durchgängig nach dem folgenden Schema arbeiten: Akteure maximieren den Erwartungsnutzen unter Nebenbedingungen. Es zwingt den Theoretiker, die Erklärung in der ‚Logik der Situation‘ bzw. in den (Änderungen der) Restriktionen zu suchen – und nicht in der Psychologie, nicht in den (Änderungen der) Präferenzen, auch nicht in einer Abweichung von der starken Verhaltensannahme, der Maximierungsannahme nämlich, des homo oeconomicus, und schliesslich auch nicht in moralischem Versagen, was bei manchen Wirtschaftsethikern begegnet.“ 264 Diese Forschungsperspektive hat nun für die Konzeption einer ethischen Theorie die folgende grundlegende Konsequenz: Aus methodologischer Sicht kann nicht in die Logik der Handlungen eingegriffen werden, vielmehr gilt es, die Handlungsbedingungen so zu gestalten, dass Anreize mit Blick auf moralische Ideale und Ziele resultieren. Dazu Homann in aller wünschenswerten Klarheit: „Moralische Leitideen setzen sich gesellschaftlich in den Bedingungen des Handelns durch, nicht in den – entsprechend geläuterten – Motiven oder Handlungsorientierungen. Bedingungswandel statt Gesinnungswandel lautet inversionstheoretisch die Devise.“ 265 Noch prägnanter: „Moral tritt also auf in Form von Anreizen, sie wird realisiert im Windschatten von Anreizen, nicht ohne sie und schon gar nicht gegen sie.“ 266 Bei diesem Standpunkt vermag die Dichotomie zwischen Egoismus und Altruismus die moralische Handlung nicht von der unmoralischen zu unterscheiden, die Demarkationslinie verläuft vielmehr entlang der Frage, ob unerwünschte Dilemmastrukturen überwunden werden können bzw. ob durch das individuelle Nutzenstreben eine gegenseitige Besserstellung erreicht werden kann. Und genau hier erlangt die Ökonomik mit der ökonomischen Methode bzw. mit dem homo oeconomicus als unübertroffenes und unverzichtbares Analyseinstrument 267 ihre grosse Bedeutung. Sie forscht mithilfe der Annahme einer stabilen menschlichen Präferenzstruktur nach einem lückenlosen positiven Erklärungszusammenhang des menschlichen Handelns: „Normativität bildet so (lediglich) den Input in einen vielstufigen Prozeß, der in positiver Analyse erforscht und gemäß diesen positiven Erkenntnissen politisch implementiert wird. Normativität wird positiv abgearbeitet.“ 268 In diesem Sinne leistet die (positive) Ökonomik einen eminent wichtigen Beitrag zur (politischen) Implementation von moralischen Normen; denn als „Kriterium für die Etablierung von Normen kommen nur die tatsächlichen Wünsche, Interessen, also eine bestimmte Form von ‚Faktizität‘, in Frage, eine empirische Faktizität also.“ 269 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Verfolgung des Eigeninteresses ist nicht als böser Urtrieb des Menschen, der domestiziert werden müsste, zu verstehen. Im Gegenteil, eine Anreizethik vermag, unter der Voraussetzung einer geeigneten Rahmenordnung, wohl als einzige, die schwerwiegenden Probleme der modernen Gesellschaft wirksam anzugehen: „Sie ist in der Lage, die ‚ungesellige Geselligkeit‘ Kants wesentlich präziser zu fassen und mit konkreteren institutionellen Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren, als dies die normativen und anthropologischen Kategorien Kants konnten.“ 270 263 264 265 266 267 268 269 270 Gary S. Becker untersuchte mittels der ökonomischen Methode Gebiete wie Eheschliessungen, Scheidungen, Kriminalität, Drogenkonsum oder das Verhalten von Politiker. Dabei zeigt sich als Quintessenz, dass sich das menschliche Verhalten nicht durch das Entscheidungsgebiet verändert: „Rather, all human behavior can be viewed as involving participants who maximize their utility from a stable set of preferences and accumulate an optimal amount of information and other inputs in a variety of markets.“ (G. S. Becker: The Economic Approach to Human Behavior, a.a.O., S. 14) K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 76f A.a.O., S. 199 A.a.O., S. 151 Vgl. a.a.O., S. 82 K. Homann: „Ethik von Ökonomik“, in: Wirtschaftsethische Perspektiven I, a.a.O., S. 24 K. Homann: Anreize und Moral, a.a.O., S. 187 K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 103 45 2.2.1.5 Vertragstheorie als drittes methodologisches Kernelement Wenn ethischen Anliegen nicht im Handlungs-, sondern nur im Ordnungsbereich Rechnung getragen werden kann, dann ist es die Aufgabe der Politik, mithilfe von Institutionen 271 Dilemmastrukturen zu etablieren bzw. zu beseitigen, so dass sich für jeden Einzelnen vorteilhafte Resultate ergeben. 272 Das heisst, moralische Intentionen müssen in Recht überführt werden: „Die Transformation von Motiven in (Rechts-)Regeln ist die Bedingung für die Universalisierung der Moral, also kein Verfall, sondern die Chance ihrer Ausdehnung auf anonyme Kontexte.“ 273 Hierbei stellt sich allerdings die Frage, wie im politischen Verfahren die Legitimität der zu etablierenden Normen und Regeln sichergestellt werden kann. Nach Homann ist die soziale Ordnung in der modernen Gesellschaft mehr denn je nur dadurch gewährleistet, dass die Menschen – unabhängig von ihren religiösen und ideologischen Überzeugungen – selbst und gemeinsam die Regeln festlegen, wie sie miteinander umgehen wollen: „Dies ist der normative Ausgangspunkt der modernen Demokratie.“ 274 Mit Bezug auf Immanuel Kant und vor allem auf den Nobelpreisträger James M. Buchanan 275 interpretiert Homann Demokratie nach dem vertragstheoretischen Modell. Das heisst, nach Homann erlaubt die moderne Vertragstheorie, „den traditionellen Gedanken der Verbindlichkeit von Normen für das Handeln mit jener der Aufklärung zu verdankenden Einsicht in die Kontingenz aller Normensysteme zusammendenken und so etwas wie eine kontingente Verbindlichkeit auszudifferenzieren.“ 276 Das Zusammenspiel von Kontingenz und Verbindlichkeit gelingt durch die theoretische Unterscheidung zwischen der Handlungs- und der Regeletablierungsebene. Während für Erstere normative Vorgaben als Explanans verbindlich festgelegt werden können, sind Normen und Regeln auf der Regeletablierungsebene kontingent bzw. werden selbst zu Explananda. Um der Kritik gegen die totalitären Vertragstheorien von Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau wirksam begegnen zu können, muss nach Homann die Zweistufigkeit der modernen Vertragstheorie hervorgehoben werden. 277 Das vertragstheoretische Demokratieverständnis soll demnach verhindern, dass sich die Menschen einer – so Wolfgang Kersting – „unkontrollierten, ungeteilten, weder gesetzesstaatlich noch verfassungsstaatlich gebundenen Macht“ 278 ausliefern müssen. Die in Abgrenzung zum Utilitarismus entwickelte moderne Vertragstheorie versteht den Staat nicht mehr aus einem ursprünglichen Vertrag heraus, vielmehr basiert alles kollektive Handeln auf dem Paradigma des Vertrages. Daraus resultiert nach Homann gegenüber anderen Demokratievorstellungen der entscheidende Vorteil, dass als Entscheidungsregel nur die Einstimmigkeit, der Konsens, in Betracht gezogen werden kann. 279 Fehlt auch nur eine Stimme, dann ist der Vertag ungültig bzw. dann gelten die Regeln für die nicht zustimmende Person nicht. Neben der Norm des Konsenses gibt es in der neueren Vertragstheorie einen zweiten Grundgedanken, nämlich jenen der unaufhebbaren Bedingung der universalen Knappheit: 271 272 273 274 275 276 277 278 279 46 Nach Homann et al. sind Institutionen Regelsysteme, in denen bestimmte Verhaltensweisen verbindlich vorgegeben sind. Ihr Sinn besteht darin, Verlässlichkeit in der wechselseitigen Verhaltenserwartung herzustellen, damit Kooperationen kostengünstig und problemlos zum Vorteil aller möglich werden. (Vgl. K. Homann und A. Suchanek: Ökonomik, a.a.O., S. 21) Vgl. K. Homann: Vorteile und Anreize, a.a.O., S. 100 K. Homann: Moral in den Funktionszusammenhängen der modernen Wirtschaft, a.a.O., S. 18 K. Homann: Anreize und Moral, a.a.O., S. 88 Der Ökonom Buchanan entwickelte mithilfe der ökonomischen Methode eine Theorie der Verfassung und des Staates. Nach dieser impliziert die gesellschaftliche Ordnung als solche einen Gesellschaftsvertrag, wobei zwischen einem konstitutionellen und postkonstitutionellen Vertrag unterschieden wird. Nach Buchanan besteht die Gefahr, dass wir aufgrund nicht mehr adäquater Institutionen immer mehr in eine Lage geraten, die mit dem Gefangenendilemma der modernen Spieltheorie illustriert werden kann. Der Gesellschaftsvertrag bedarf deshalb einer gründlichen Neufassung, vielleicht gar einer echten Revolution. (Vgl. J. M. Buchanan: The Limits of Liberty. Between Anarchy and Leviathan, Chicago und London 1975, S. IXf) K. Homann: Anreize und Moral, a.a.O., S. 59f Vgl. a.a.O., S. 60f W. Kersting: Die Politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1994, S. 101 Vgl. K. Homann: Anreize und Moral, a.a.O., S. 33 „Knapp sind – in dieser Rangfolge – Zeit, Wissen, materielle und immaterielle Güter.“ 280 Nach Homann lassen sich diese beiden Grundgedanken als Prämissen – Konsens als Major, Knappheit als Minor – in einem Syllogismus abbilden. 281 Die Conclusio kann dann als das konkrete Legitimationsverfahren bzw. Organisationsprinzip interpretiert werden, wobei der entscheidende Punkt in der Evidenz liegt, dass zwischen der Norm des Konsenses und dem Organisationsprinzip die Randbedingung als ein Dazwischenliegendes mitberücksichtigt werden muss. Homann et al. verstehen den Konsens also nicht als eine empirische Norm, sondern als regulative Idee bzw. normative Heuristik. 282 Um diese regulative Idee nachzubilden bzw. zu simulieren, dienen ein theoretisches sowie ein politisch-praktisches Verfahren: Ersteres geht auf den Kategorischen Imperativ von Kant zurück, wonach mithilfe eines Gedankenexperiments die Universalisierbarkeit einer vorgeschlagenen Regel – bei Kant ist es die Maxime – geprüft werden kann. 283 Ein derart simulierter Konsens kann zwar keinerlei empirische Faktizität für sich in Anspruch nehmen, gleichwohl kommt ihm als Heuristik für die Prüfung, ob Regeln als zustimmungsfähig betrachtet werden können, eine wichtige Aufgabe zu. Das politisch-praktische Verfahren sieht vor, per Konsens festzulegen, spätere verbindliche Entscheidungen unterhalb des Konsenses zu treffen, allerdings wird den Menschen „ein ursprüngliches Vetorecht gegenüber allen kollektiven Entscheidungen zugesprochen.“ 284 Durch die Beibehaltung des individuellen Vetorechts 285 kann die Konsensidee bei allen späteren Regelentscheidungen simuliert bzw. angenommen werden. Auch bewirkt das Festhalten am Vetorecht eine besonders sorgfältige Gestaltung der Institutionen, denn vom Vetorecht wird nur dann kein Gebrauch gemacht, wenn die Gesetze von allen Menschen als vorteilhaft eingeschätzt werden. Von einem Konsens für den (empirischen) Nicht-Konsens kann nach Homann et al. deshalb ausgegangen werden, weil das Abgehen vom strikten Konsens wegen der prohibitiv hohen Kosten (z.B. Zeit, Geld, Fähigkeit oder Wissen) für alle vorteilhaft ausfällt. 286 Als Ergebnis zeigt sich letztlich ein hoch differenziertes und leistungsfähiges System unterschiedlichster Regeln, wie wir es in den modernen Demokratien vorfinden. Es beginnt mit den Menschen- und Grundrechten, die wegen ihrer überaus grossen Bedeutung ein individuelles Vetorecht gegen kollektive Entscheidungen ohne Abstriche vorsehen, es folgen Verfassung, private Verfügungsrechte usw.: „Dieses Institutionensystem stellt als ganzes, als aufeinander abgestimmtes und sich vielfältig ergänzendes und stützendes Regelsystem, die Simulation der regulativen Idee des Konsenses dar. Nicht die Entscheidung der ‚Mehrheit‘, die immer als Kennzeichen der ‚Demokratie‘ ausgegeben wird, bildet den Konsens ab, denn die Mehrheit kann die Minderheit ausbeuten, entrechten, unterdrücken, sondern das gesamte System der Institutionen.“ 287 De facto ergibt sich nach diesem Konsensverständnis ein Plazet für den Status quo. In der Tat ist nach Homann et al. ein impliziter Konsens in den bestehenden Gesellschaften gar nicht so abwegig: „Wenn Sie lieber etwas anderes tun wollten und es Ihnen möglich wäre, das auch zu tun, warum tun Sie es dann nicht? Und wenn man als Beobachter meint, es wäre doch viel besser, wenn Sie nach anderen Regeln handelten, als Sie es tun, muss man sich die Frage gefallen lassen, mit welchem Recht man meint, hier etwas besser wissen zu wollen als die Handelnden selbst. Denkt man genauer darüber nach, so wird man finden, dass die Idee des Konsenses, wie sie jetzt interpretiert wird, in der Tat verlangt, den Status quo ernst zu nehmen.“ 288 Die Forderung, den Status quo ernst zu nehmen, wirft 280 281 282 283 284 285 286 287 288 A.a.O., S. 35 Vgl. a.a.O., S. 35f Vgl. K. Homann und A. Suchanek: Ökonomik, a.a.O., S. 166f Vgl. a.a.O., S. 167 A.a.O., S. 166 In Bezug auf die Beibehaltung des Vetorechts folgt Homann nicht Buchanan. Wenn ein Kollektiv ermächtigt ist, unterhalb der Einstimmigkeit Institutionen festzusetzen, dann ist bei Buchanan die Reklamierung einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten inkonsequent und in sich widersprüchlich. (Vgl. J. M. Buchanan: The Limits of Liberty, a.a.O., S. 43) Vgl. K. Homann und A. Suchanek: Ökonomik, a.a.O., S. 168 A.a.O., S 168 A.a.O., S. 174 47 allerdings – gerade in wirtschaftsethischer Hinsicht – mehr Fragen auf, als sie zu beantworten vermag. 289 Wer gestaltet und etabliert die für die Kooperationsgewinne so wichtigen Institutionen? Die Bürger! Diese Antwort ist für Homann unbefriedigend; es braucht einen Agenten, dem diese Aufgabe übertragen werden kann: „Der Staat ist eine Organisation, die sich die Bürger zulegen, um Kooperationsgewinne zu realisieren. Zu diesem institutionellen Arrangement gehört, dass Einzelne – Agenten, Regierende, Politiker, Bürokraten usw. – mit der Aufgabe des Managements von Institutionen betraut werden.“ 290 Die Handlungsfelder dieser Agenten sind vielfältig: die Sicherung des Friedens und des Wettbewerbs gehören ebenso dazu wie die Bildung von Humankapital oder etwa die Errichtung von Versicherungssystemen. Kommt der Staat der ihm zugedachten Aufgabe auch wirklich nach? Anders gefragt: Wer soll denn die Wächter (die staatlichen Agenten) überwachen? Das Theoriekonzept, das sich mit dieser Frage seit den 1950er Jahren professionell auseinandersetzt, wird als Public Choice-Theory bzw. Neue Politische Ökonomie bezeichnet. 291 Nach diesem Ansatz gilt der Merksatz: Akteure maximieren ihren (breit gefassten) Nutzen unter Nebenbedingungen für Politiker ebenso wie für Wirtschaftsaftsakteure. Verhaltensänderungen gelingen folglich auch bei ihnen nur durch Änderungen der Anreize bzw. Restriktionen und nicht mithilfe von moralischen Appellen. 292 Mit Verweis auf Schumpeter 293 konstatieren Homann et al., dass der wirksamste Anreiz bzw. Kontrollmechanismus der politische Wettbewerb ist. 294 Obschon keineswegs vollkommen zwingt er die Politiker, sich im Sinne des Gemeinwohls zu verhalten bzw. sich wenigstens nicht allzu weit davon zu entfernen. Das bedeutet: Es ist für die Politiker letztlich nützlich – für die Wiederwahl, ihr Ansehen oder für ihren Einfluss -, wenn sie die positive Analyse der aggregierten Folgen alternativer Regeln und Normen berücksichtigen und den Bürgern institutionelle Arrangements unterbreiten, die das Gedankenexperiment des hypothetischen Konsenses erfolgreich bestehen konnten. Denn erst dadurch gelingt ein Beitrag zur sozialen Ordnung – und zur Wiederwahl. Als Zusammenfassung kann Homanns drittes methodologisches Kernelement wie folgt festgehalten werden: Die Legitimation der rechtlichen Institutionen ist durch die modernen Demokratien gewährleistet. Diese, als zweistufige Vertragstheorien ausgelegt, simulieren sowohl einen theoretischen wie auch einen praktischen Konsens und sind deshalb als Herrschaft aller und nicht als Herrschaft der Mehrheit aufzufassen. 2.2.2 Wirtschafts- und Unternehmensethik Homann et al. weisen darauf hin, dass eine wirtschaftsethische Konzeption wesentlich vom Verständnis der Ökonomik abhängt. Wird Letztere auf den Gegenstand Wirtschaft begrenzt, dann resultiert eine Ethik für den Bereich Wirtschaft, definiert man dagegen Ökonomik durch eine bestimmte Fragestellung, die auf alle Gegenstände bezogen werden kann, dann wird 289 290 291 292 293 294 48 Homann verwendet einen vertragstheoretischen Ansatz als methodologisches Element und leitet aus diesem einen quasi-empirischen Konsens für die bestehenden Gesellschaften ab. Abgesehen von der Problematik, wonach nicht mehr streng zwischen empirischen Daten und dem methodologischen Standpunkt unterschieden wird, entbehrt diese Auffassung nicht eines gewissen Zynismus. Denn oft zeigen sich die Änderungsmöglichkeiten bloss in formaler Hinsicht, realiter gesehen sind Änderungen dagegen für die Individuen häufig aussichtlos, so dass eine rationale Beurteilung hinsichtlich möglicher Vor- und Nachteile schon gar nicht erst möglich ist. K. Homann und A. Suchanek: Ökonomik, a.a.O., S. 179 Vgl. a.a.O., S. 187 Vgl. K. Homann: „Ethik von Ökonomik“, in: Wirtschaftsethische Perspektiven I, a.a.O., S. 24 Joseph A. Schumpeter war ein bedeutender österreichischer Nationalökonom. Sein Demokratieverständnis war untrennbar mit dem Wettbewerbsgedanken verbunden: „Und wir definieren: die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben.“ (J. A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 8. Auflage, Tübingen und Basel 2005, S. 427f) Vgl. K. Homann und A. Suchanek: Ökonomik, a.a.O., S. 193 „Wirtschaftsethik bestimmt als allgemeine Ethik mit ökonomischer Methode.“ 295 Anders gesagt: Weil Homanns ethische Theorie als Antwort auf die allgegenwärtigen Dilemmastrukturen entwickelt wurde, vermag sie Lösungen sowohl für das Wirtschaftssystem wie auch für jedes andere gesellschaftliche Subsystem anzubieten. Da für diese Arbeit jedoch in erster Linie wirtschaftsethische Aspekte interessieren, sollen in den weiteren Ausführungen die mithilfe von Homanns allgemeiner Ethik entwickelten Standpunkte bezüglich des Wirtschaftssystems vorgestellt werden. 2.2.2.1 Wirtschaftsethik als Ordnungsethik „Wirtschaftsethik befaßt sich mit der Frage, welche moralischen Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft zur Geltung gebracht werden (sollen). Wirtschaftsethik ist damit als Versuch zu begreifen, die ursprüngliche Einheit von Ethik und Ökonomik unter den Bedingungen der Ausdifferenzierung der Gesellschaft und der analogen Ausdifferenzierung der Wissenschaften deutlich zu machen, ohne in eine vormoderne Konfundierung von Ethik und Ökonomik zurückzufallen.“ 296 Nach Homanns wirtschaftsethischer Konzeption, die von der philosophischen Ethik moralische Ideale und Ideen als Heuristik aufnimmt, werden moralische Normen und Regeln nur dann in der Gesellschaft einen Eintrag finden, wenn sie mit soviel Anreizen ausgestattet sind, dass jeder Einzelne in der Annahme der Regeln und Normen für sich einen Vorteil zu erkennen vermag: „Kern und Grund aller Moral ist und bleibt das individuelle Vorteilsstreben, das individuelle Streben nach Glück, Erfüllung, Konsum und Genuss.“ 297 Aber wie kann individuelles Vorteilstreben die Moral befördern, wenn Letztere doch moralischen Idealen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität und soziale Ordnung verpflichtet ist? Die Antwort lautet: „Der systematische Ort der Moral in einer Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung.“ 298 Mit anderen Worten: Unter den Bedingungen der modernen Marktwirtschaft, die zum Wohle der Konsumenten durch erwünschte Dilemmastrukturen 299 im Wettbewerb gekennzeichnet ist, darf von den Akteuren nicht gleichzeitig erwartet werden, dass sie sich auch noch moralisch verhalten und sich dadurch der Gefahr der Ausbeutung durch Mitbewerber aussetzen. Verlangt wird vielmehr eine zweistufige wirtschaftsethische Konzeption, die zwischen Handlungsbedingungen und Handlungen unterscheidet. Das bedeutet: Dem Anspruch moralischer Forderungen wird nicht durch die Handlungen bzw. Spielzüge Genüge getan, sondern durch die Gestaltung von geeigneten Spielregeln bzw. einer moralischen Institutionenordnung. Der Markt bzw. Wettbewerb hat sich somit den Interessen der Gesellschaft unterzuordnen, „er basiert systematisch auf einer normativ vermittelten Ordnung, die sich die Gesellschaft in einem genuin politischen Einigungsprozess gibt.“ 300 Das heisst: Im Rahmen des demokratischen Verfahrens einigen sich die Bürger zum Vorteil aller, mit geeigneten Regeln und Normen erwünschte Dilemmastrukturen im Wettbewerb zu etablieren (z.B. die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen) sowie unerwünschte Dilemmastrukturen – vor allem im Bereich der öffentlichen Güter (z.B. Moral, Umweltschutz) – zu überwinden. Man kann sich beispielsweise vorstellen, dass die Menschen darin übereinstimmen, die Differenz zwischen den höchsten und tiefsten Einkommen in den Organisationen in die Steuerrechnung mit beträchtlichem Gewicht mit einzubeziehen, damit die Aktionäre ein substanzielles Interesse bekommen, diese hohen Saläre nicht mehr zu dulden. 295 296 297 298 299 300 K. Homann und Ch. Lütge: Einführung in die Wirtschaftsethik, Münster 2004, S. 19 K. Homann: „Einleitung: Ethik und Ökonomik“, in: Aktuelle Probleme der Wirtschaftsethik, Hrsg. von K. Homann, Berlin 1992, S. 7f K. Homann: Anreize und Moral, a.a.O., S. 83 K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 35 Dilemmastrukturen im Wettbewerb sorgen dafür, dass sich die Unternehmen in der Form von besseren Produkten bzw. tieferen Preisen gegenseitig bekämpfen. Mit anderen Worten: Hier ist das rationale Eigeninteresse, das zum Defektieren anleitet, für das Wohl der Gesellschaft (Konsumenten) sehr erwünscht. K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 48 49 Normen und Regeln sind in Homanns ethischer Konzeption grundsätzlich als kontingent aufzufassen. Das bedeutet: Nur unter der Bedingung bzw. Aussicht, dass die Implementation der zur Diskussion stehenden Normen und Regeln unerwünschte Dilemmastrukturen zu überwinden vermag und die Sanktionsfähigkeit durch institutionelle bzw. gesetzliche Arrangements sichergestellt werden kann, erhalten sie im Rahmen der Interaktionstheorie verbindlichen Charakter. 301 Diese Verbindlichkeit einer demokratisch zustande gekommenen und hinsichtlich der sozialen Ordnung geeigneten Rahmenordnung schafft zugleich die Legitimation des unternehmerischen Handelns, und zwar dahingehend, dass die Gewinnmaximierung 302 geboten ist: „Ihrer moralischen Pflicht, der Solidarität aller zu dienen, können Unternehmen unter Bedingungen des – ethisch legitimierten, von einer geeigneten Rahmenordnung gesteuerten – Wettbewerbs nur entlang der ökonomischen Handlungslogik (‚Gewinnmaximierung‘) dienen und nicht gegen sie.“ 303 Nach Homann et al. bewirkt die Marktwirtschaft in kleinen, beinahe unsichtbaren Schritten – langfristig gesehen – eine ungeheure Wohlstandssteigerung der Menschen. 304 Anders die Nachteile; sie sind plötzlich da und betreffen sehr selektiv bestimmte Personengruppen oder geografische Regionen: „Es hat keinen Zweck, diese Nachteile der Marktwirtschaft herunterzuspielen. Strukturwandel bedeutet Eliminierung bisheriger Produkte, Produktionsverfahren und ganzer Berufs- und Industriezweige.“ 305 Die Vorteile der Marktwirtschaft haben also ihren Preis, auch sind die permanenten Veränderungsprozesse nicht als „Betriebsunfall“ anzusehen, sondern vielmehr als Bedingung für die weitere Wohlstands- und Freiheitsvermehrung. Die soziale Marktwirtschaft zeichnet sich nun gerade dadurch aus, dass sie hierzu eine Lösung anbietet und solche Veränderungen sozialpolitisch abfangen kann. Homann et al. erheben drei Forderungen an die Sozialpolitik: 306 Erstens dürfen die Nachteile nicht immer die gleichen Gruppen oder Regionen betreffen, zweitens sollen die notwendigen Massnahmen nicht nach dem Motto des barmherzigen Samariters verstanden werden: „Wir legen größten Wert darauf, daß dies vielmehr einen Anspruch der Betroffenen gegenüber der Allgemeinheit darstellt, weil sie – ökonomisch gesprochen – eine Leistung für die Allgemeinheit erbringen.“ 307 Homann et al. weisen darauf hin, dass aus demokratietheoretischer Sicht diese soziale Versicherung als die Bedingung für das Einverständnis zur Marktwirtschaft und Wettbewerb verstanden werden müsse. 308 Als dritten Grundgedanken fordern Homann et al., dass durch die für viele Menschen leidvollen inhärenten Bereinigungsprozesse der Marktwirtschaft kein Einzelner aus der Gesellschaft exkludiert werden darf. 309 Trotz ihrer Vorzüge sind nach Homann et al. die Marktwirtschaften, so wie sie sich gegenwärtig im Westen präsentieren, nicht in der Lage, die grossen Probleme der Welt zu bewältigen. 310 Die Gründe sind politischer Natur: „Es fehlt in den Marktwirtschaften des Westens an Mechanismen, kollektive Selbstbindungen zu etablieren und durchzusetzen, obwohl sie – das ist die Paradoxie aller Dilemmastrukturen – für alle Gruppen vorteilhaft wären. Es liegen schwere 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 50 Vgl. a.a.O., S. 46 Zwar ist es logisch konsequent, wenn Homann unter geeigneten bzw. ethischen Rahmenbedingungen die Gewinnmaximierung propagiert. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass er diese aus methodologischen Gründen auch braucht; denn eine anreizorientierte Etablierung von Normen und Regeln vermag ohne einen Fluchtpunkt bestenfalls zufällig Dilemmastrukturen zu überwinden. Dazu Guy Kirsch: „Sollen positive Deskriptionen oder normative Präskriptionen des menschlichen Entscheidungsverhaltens nicht in der Leerformelhaftigkeit verharren, so ist es unumgänglich, dass operational feststeht, im Hinblick auf was das Entscheidungskalkül durchgeführt wird.“ (G. Kirsch: Neue Politische Ökonomie, a.a.O., S. 47) K. Homann: Gewinnmaximierung und Kooperation - Eine ordnungsethische Reflexion, Kieler Arbeitspapiere Nr. 691 des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Kiel 1995, S. 42 Vgl. K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 57 A.a.O., S. 57 Vgl. a.a.O., S. 58 A.a.O., S. 58 Vgl. a.a.O., S. 58 Vgl. a.a.O., S. 59 Vgl. a.a.O., S. 68 Strukturprobleme des politischen Prozesses vor.“ 311 So geraten die westlichen Regierungen immer mehr in die Fänge von organisierten Interessengruppen 312, die es verstehen, für sie günstige, hinsichtlich der Allgemeinheit aber schädliche Regelungen durchzusetzen. Diese Entwicklung wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass hochrangige Politiker primär an ihrer Wiederwahl interessiert sind und von daher zu ihrem eigenen Vorteil mit bedeutenden organisierten Wählergruppen einen Pakt eingehen. Durch Protektionismus und eine verfehlte Subventionspolitik – als sichtbare Zeichen dieses Dilemmas – werden jedoch notwendige Strukturanpassungen unterbunden, und zwar nicht selten zum Nachteil der Dritten Welt, die dadurch mit ihren eigenen Produkten nicht konkurrenzfähig ist. Die Ordnungsethik kann hierzu keine Patentrezepte anbieten, sie kann aber theoretisch aufzeigen, dass die Lösung der kollektiven Probleme grundlegender institutioneller Reformen bedarf. 313 Dazu ist nicht zuletzt ein tragfähiges wissenschaftliches Fundament, aber auch die Einsicht der Bürger in grundlegende Funktionszusammenhänge moderner Gesellschaften vonnöten. 314 Nach Homann vermag die Ökonomik zwar wissenschaftlich fundiert aufzuzeigen, wie genuin moralischen Anliegen in der modernen Gesellschaft Nachdruck verschafft werden könnte, nur nimmt die Politik wenig Kenntnis davon. Es besteht somit kaum Aussicht, dass in absehbarer Zeit realiter von einer moralischen Rahmenordnung ausgegangen werden kann. Allerdings eröffnet gerade dies den Raum für eine eigenständige Unternehmensethik: „Die aus systematischen Gründen immer lückenhafte und aus pragmatischen Gründen zunehmend defizitär werdende Rahmenordnung stellt für uns den systematischen Ansatzpunkt für eine eigenständige, innovative Unternehmensethik dar“ 315. 2.2.2.2 Unternehmensethik als Handlungsethik Unter den Bedingungen des Wettbewerbs muss eine wirtschaftsethische Theorie zweistufig, als Ordnungs- und als Handlungsethik, ausfallen. 316 Erstere beschäftigt sich mit der normativen Gestaltung von ethischen Rahmenbedingungen und Letztere versucht als Unternehmensethik unter den gegebenen Bedingungen normative Handlungsempfehlungen auszusprechen. Angenommen die Bedingungen wären derart, dass moralische Ideale und Ideen nahezu vollkommen in der Rahmenordnung inkorporiert sind, dann „leitet die Unternehmensethik als allgemeine Norm ab, daß sich die Unternehmen systemkonform verhalten sollen.“ 317 Mit anderen Worten: Im Rahmen einer durch die Ordnungsethik ausreichend gestalteten Rahmenordnung leisten die Unternehmen ihren Beitrag zum moralischen Projekt (indirekt) dadurch, dass sie sich an diese Rahmenordnung halten und die Gewinne maximieren. Nun zeigt es sich, dass eine Rahmenordnung immer ethische Desiderate aufweist, sei es wegen der politischen Depravation, des zeitlich bedingten Hiatus zwischen der Feststellung des Problems und dessen Lösung oder 311 312 313 314 315 316 317 A.a.O., S. 72 Homann bezieht sich auf Mancur Olson, der mit der ökonomischen Methode die Logik des kollektiven Gruppenverhaltens analysierte. In diesen Untersuchungen konnte Olson aufzeigen, dass die bislang gültige Annahme, wonach das gemeinsame Interesse an Kollektivgütern gleichsam das individuelle Handeln der Gruppenmitglieder bestimme, nur für kleinere, privilegierte Gruppen gültig ist. Obschon grosse Gruppen sehr wohl gemeinsame Interessen haben, sind sie kaum in der Lage, Kollektivgüter bereitzustellen. Der Grund liegt in den fehlenden Anreizen: Der Einzelne kann seinen möglichen Beitrag zum Kollektivgut kaum wahrnehmen, zudem wird er vom potenziellen Kollektivgut auch dann profitieren, wenn er seinen Beitrag nicht leistet. Das hat für grosse, unorganisierte Gruppen wie Konsumenten, Nichtraucher, Steuerzahler usw. gravierende Konsequenzen; sie bezahlen den Preis der Vorteile, die privilegierte Gruppen für sich ausgehandelt haben: „But the large unorganized groups not only provide evidence for the basic argument of this study: they also suffer if it is true.“ (M. Olson: The Logic of Collective Action. Public Goods and the Theory of Groups, London 1971, S. 167) Vgl. K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 90 Vgl. a.a.O., S. 90 A.a.O., S. 53 Vgl. K. Homann und Ch. Lütge: Einführung in die Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 82 K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 124f 51 wegen möglicher Fehleinschätzungen in Bezug auf die Wirksamkeit der politisch implementierten Institutionen. Als theoretischen Ansatz für die Unternehmensethik bestimmen Homann et al. deshalb grundsätzlich die Unvollständigkeit der Verträge, wobei nebst der Rahmenordnung auch Arbeits-, Dienstleistungs-, Kooperations- und andere für das Unternehmen relevante Verträge mit eingeschlossen sind. 318 Unvollständig sind die Verträge in dem Sinne, dass grundsätzlich sowohl Leistungen und Gegenleistungen nicht exakt bestimmt sind, wie auch die Erfüllung nicht objektiv festgestellt werden kann und von daher nicht justiziabel, sondern nur moralisch einklagbar ist. 319 Es ist evident, dass in einer globalisierten Wirtschaft, wo unterschiedliche Rechtssysteme, Gesellschaftsverträge und Religionen aufeinander treffen, unvollständige Verträge nicht etwa ab-, sondern vielmehr rapide zunehmen. Auch wäre die Ansicht falsch, wonach unvollständige Verträge partout als ein zu beseitigendes Desiderat aufzufassen sind; denn erstens senkt die Unvollständigkeit die Kosten der Vertragsausarbeitung und zweitens erhöht sie die unternehmerische Flexibilität und Produktivität. Aber – und das ist hier das Entscheidende – diese Unvollständigkeit muss durch die Unternehmen systematisch gemanagt werden, und hierin liegt denn auch die Aufgabe der Unternehmensethik: „Eigenständiges ‚moralisches‘ Verhalten von Unternehmen bzw. Akteuren ist dort sinnvoll zu fordern, wo die systematische Unvollständigkeit von Verträgen kompensiert werden muss.“ 320 Das Adjektiv moralisch ist deshalb in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt, weil die Motive ökonomischer Natur sind: „Handlungen von Unternehmen, die prima facie als ‚moralisch‘ erscheinen, dienen dazu, unvollständige Verträge zu vollziehen, und sie haben deswegen einen ökonomischen Sinn.“ 321 Mit anderen Worten: Die unvollständigen Verträge evozieren bezüglich potenzieller Interaktionen Unsicherheiten und verursachen dadurch Transaktionskosten, welche jedoch mithilfe einer ökonomisch instrumentalisierten Moral reduziert werden können. In Bezug auf die defizitäre Rahmenordnung, den klassischen Fall eines unvollständigen Vertrages, haben Unternehmen im Grunde genommen zwei Strategien: 322 Die Unternehmen können erstens mittels einer Wettbewerbsstrategie versuchen, moralische Anliegen – eigene oder von der Gesellschaft aufgedrängte – so umzusetzen, dass Wettbewerbsvorteile entstehen und moralische und betriebswirtschaftliche Ziele sich dadurch ideal ergänzen. Wenn die vorteilhafte Wettbewerbsstrategie nicht aussichtsreich ist, können Unternehmen zweitens eine politische Strategie wählen, damit moralisches Verhalten ausbeutungsresistent gemacht werden kann. Formell ist dies durch ein politisches Engagement und durch gesetzliche Erlasse oder mithilfe einer zielgerichteten aktiven Mitarbeit auf Verbandsebene möglich. Informell können Unternehmen mit der Strategie Tit-for-Tat 323 das Verhalten nicht kooperationswilliger Unternehmen hinsichtlich moralischer Forderungen beeinflussen. Bei den weiteren unvollständigen Verträgen, insbesondere bei Arbeitsverträgen, dienen „weiche“ Faktoren wie Fairness, Integrität, Gerechtigkeit oder Vertrauen als unentbehrliches Steuerungsinstrument, um die Mitarbeiter an die Interessen des Unternehmens zu binden: „Moral i. w. S. übernimmt Steuerungsfunktionen, ohne Moral in diesem Sinn könnten Unternehmen in turbulenten Umwelten (des internationalen Wettbewerbs) kaum auf Dauer erfolgreich sein.“ 324 Im Weiteren kann nach Homann et al. die aus der zweistufigen wirtschaftsethischen Konzeption hervorgehende Unterscheidung von Spielregeln und Spielzügen auch auf die Binnensicht des Unternehmens 318 319 320 321 322 323 324 52 Vgl. K. Homann und Ch. Lütge: Einführung in die Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 86 Vgl. a.a.O., S. 86 A.a.O., S. 87 K. Homann: Gewinnmaximierung und Kooperation - Eine ordnungsethische Reflexion, a.a.O., S. 18 Vgl. a.a.O., S. 20f Tit-for-Tat wurde als erfolgreiche Strategie im bereits vorgestellten Gefangenendilemma bekannt. Die freundliche, auf Kooperation hinausgehende Strategie besagt: „wie du mir, so ich dir!“ Ein Unternehmen versucht demnach im ersten Zug kooperativ zu handeln und beobachtet dann die weiteren Handlungen seiner Konkurrenten. Nützen diese die angebotene Kooperation aus, dann bestraft das kooperationswillige Unternehmen seine Mitbewerber dadurch, dass es mit „gleicher Münze“ zurückzahlt, und zwar solange, bis die Kooperation realisiert ist. (Vgl. M. J. Holler und G. Illing: Einführung in die Spieltheorie, a.a.O., S. 21) K. Homann: Gewinnmaximierung und Kooperation - Eine ordnungsethische Reflexion, a.a.O., S. 23 übertragen werden, womit sich die Möglichkeit ergibt, moralisch Erwünschtes vom Unerwünschten durch die Etablierung von unternehmenseigenen Regeln und Normen zu trennen. 325 In kleinen, durch face-to-face-Beziehungen charakterisierten Teams kann gar die traditionelle Individualethik mit ihrer effizienten sozialen Kontrolle, die sich am Modell Ethik gegenüber dem Nächsten orientiert, durchaus sinnvoll sein. 326 Homanns Unternehmensethik sieht durchaus vor, dass sich Unternehmen für moralische Anliegen einsetzen. Nicht gefordert wird von ihnen dagegen, dass moralische Intentionen gegen die ökonomische Vernunft durchgesetzt werden, denn dadurch würde die Gefahr entstehen, dass der Unternehmer betriebswirtschaftlich hart bestraft wird. 327 Mit anderen Worten: Moral ist gefordert, wenn sie direkt betriebswirtschaftliche Vorteile zu generieren vermag, geduldet aber nur dann, wenn sie durch kollektive Bindungen oder gesetzliche Erlasse durch Mitbewerber nicht ausgebeutet werden kann. Konsequent empfiehlt Homann et al. den Unternehmen einen Marktaustritt bzw. den Verzicht auf die Herstellung von moralisch fragwürdigen Produkten bzw. Dienstleistungen nur dann, wenn sowohl die betriebswirtschaftlichen als auch die ethischen Forderungen nicht erfüllt werden können. 328 2.3 Der konstruktivistische Ansatz von Horst Steinmann und Albert Löhr Die schamlosen ethischen Verfehlungen unzähliger Unternehmen, die bedenkenlose Ausbeutung unserer Rohstoffquellen, die zunehmende Zerstörung unserer natürlichen Grundlagen, aber auch vieles andere mehr, führten dazu, dass eine moralische Stellungnahme seitens der Öffentlichkeit unvermeidlich herausgefordert wurde. Nach Horst Steinmann und Albert Löhr sollte von der deutschen Betriebswirtschaftslehre gerade diese aufgekommene offene und weitreichende Diskussion als Anlass für einen kritischen Neuanfang genommen werden, bei dem man „sich endlich um eine sinnvolle Verknüpfung mit der ‚praktischen Philosophie‘ bemüht.“ 329 Dass das Vorhaben, die deutsche Betriebswirtschaftslehre – trotz gescheiterter Versuche – wieder an ihre ethischen Grundlagen zurückzuführen, keineswegs aussichtslos sein muss, zeigen die USamerikanische und europäische Entwicklung. 330 Mit der Absicht, die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft zu begreifen, will Steinmann an die Denktradition und wissenschaftliche Praxis der Betriebswirtschaftslehre anschliessen und zugleich einen deutlichen Unterschied zur Wissenschaftsauffassung des Kritischen Rationalismus markieren. 331 Mit der Abgrenzung vom Kritischen Rationalismus stellt sich allerdings die Frage: Welches (andere) methodologische Fundament soll dann der normativ verstandenen Betriebswirtschaftslehre zugrunde gelegt werden? Eine geeignete Grundlage finden Steinmann et al. in dem von Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen in den sechziger Jahren begründeten Konstruktivismus. Das bedeutet: Mit der vor allem von Friedrich Kambartel, Kuno Lorenz und Jürgen Mittelstrass weiter entwickelten sprachkritischen Wissenschaftstheorie soll die Vermittlung zwischen der praktischen Philosophie bzw. Ethik einerseits und der Betriebswirtschaftslehre andererseits gelingen. Ein Resultat dieser Vermittlungsbemühungen interessiert für diese Arbeit ganz besonders, nämlich die von Steinmann et al. entwickelte Theorie einer Unternehmensethik. Im Folgenden soll deshalb die auf der Basis des Konstruktivismus elaborierte Unternehmensethik, einschliesslich deren theoretische Grundlagen, vorgestellt werden: Dazu werden im ersten Teil die von Steinmann et al. erkannten Ursachen der aktuellen ethischen Wirtschafts- und 325 326 327 328 329 330 331 Vgl. K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 120 Vgl. a.a.O., S. 120 Vgl. a.a.O., S. 146 Vgl. a.a.O., S. 148 H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, 2. Auflage, Stuttgart 1994, S. 3 Vgl. a.a.O., S. 2 Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft. Zur Bedeutung der Konstruktiven Wissenschaftstheorie für die Betriebswirtschaftslehre, Hrsg. von H. Steinmann, Wiesbaden 1978, S. 73 53 Unternehmensprobleme aufgezeigt; in einem zweiten Schritt sollen dann die theoretischen Weichenstellungen dargelegt werden, bevor es im dritten und vierten Teil darum geht, die eigentliche unternehmensethische Theorie, samt deren Möglichkeiten zur Implementation, zu explizieren. 2.3.1 Über die Gründe des nicht-ethischen Verhaltens der Unternehmen Steinmann und Löhr konsentieren nicht mit der häufig vorgetragenen Meinung, wonach im harten Geschäftsleben der Systemcharakter keinen Raum für ethische Überlegungen zulasse. Viel richtiger sei die Erkenntnis, dass jede Marktwirtschaft nur auf der Grundlage gemeinsamer Moralvorstellungen wie Vertragstreue, Zahlungsmoral, Respekt für den Marktpartner usw. überhaupt funktionsfähig ist. 332 Das Argument der Systemzwänge muss deshalb umgedeutet werden, und zwar so, dass der Wettbewerb Unternehmen tendenziell dazu verleitet, durch die Herabsenkung der praktizierten Moralstandards sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. 333 Dies führt dann dazu, dass Mitbewerber aus Wettbewerbsgründen ebenfalls langsam auf den vorgebahnten Weg des niedrigeren Moralstandards einschwenken müssen 334 und die Marktwirtschaft, falls sich die Unternehmen nicht auf ethische Anliegen zurückbesinnen, sukzessive ihre Funktion nicht mehr erfüllen kann. Nebst diesem allgemeinen, alle Unternehmen einschliessenden Erklärungsgrund gibt es spezifische Gründe für unethisches Verhalten, die in einem direkten Zusammenhang mit der Organisationsstruktur, Organisationskultur und der Führung des Unternehmens stehen. Hinsichtlich der Organisationsstruktur identifizieren Steinmann et al. – mit Bezug auf James A. Waters 335 – drei ethische Barrieren: 336 Erstens ist die hochgradige Arbeitsteilung, bei der die Konsequenzen des eigenen Handelns nur noch in beschränktem Masse erkennbar sind, ein gravierendes Hemmnis für ethische Reflexionen und verantwortungsvolles Handeln. Eine zweite wichtige Organisationsbarriere wird in der Diffusion der Entscheidungskompetenzen konstatiert; denn bei hierarchisch abgestuften Entscheidungsstrukturen besteht die grosse Gefahr, dass sich die Mitarbeiter der tieferen Entscheidungsstufen mit Rahmenbedingungen konfrontiert sehen, die kaum noch Raum für moralisches Handeln offen lassen. Als drittes und wichtigstes Hindernis wird die klassische Befehlshierarchie genannt. Steinmann et al. weisen darauf hin, dass die Befehlsgläubigkeit keineswegs als pathologischer Zug einiger weniger Menschen aufgefasst werden könne, sondern vielmehr zum Charakter des Durchschnittsbürgers gehöre. 337 Befehlshierarchien ist somit inhärent, dass sie die Motivation der Untergebenen, nicht-ethische Praktiken zu thematisieren, weitgehend unterminieren. Anders verhält es sich bei den Barrieren in Bezug auf die Organisationskultur. Jene wirken sich nicht direkt, zum Beispiel durch die Stellenbeschreibung, auf die Mitarbeiter aus, sondern erzeugen auf einem höheren Abstraktionsniveau bestimmte Erwartungen beim konkreten Handeln. Steinmann et al. konstatieren – wiederum auf Waters beziehend – vier kulturelle Barrieren: 338 Erstens sind strenge Verhaltenserwartungen, die in zugewiesenen Rollen zum Ausdruck gelangen, für ethische Reflexionen bzw. moralisches Handeln schädlich. Diese Schranke kommt besonders bei der Eingliederung, also beim organisatorischen 332 333 334 335 336 337 338 54 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 27 Vgl. a.a.O., S. 28 Vgl. a.a.O., S. 28 James A. Waters, früher ausserordentlicher Professor für Managementpolitik an der Universität York, Ontario (Kanada), hat in seinen Untersuchungen über Preisabsprachen in der amerikanischen Elektroindustrie drei Barrieren in Bezug auf die Organisationsstruktur und vier Barrieren im Zusammenhang mit der Unternehmenskultur identifiziert. (Vgl. J. A. Waters: “Catch 20.5: Corporate Morality as an Organizational Phenomenon“, in: Organizational Dynamics, Vol. 6 (1977/78), Spring 1978, S. 3-19) Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 32-39 Vgl. a.a.O., S. 37f Vgl. a.a.O., S. 40-44 Sozialisationsprozess, zum Ausdruck; denn hier konnten die neuen Mitarbeiter noch keine Distanz zu den instruierten Normen und Regeln aufbauen. Eine zweite Schranke wird in der hohen Gruppenkohäsion gesehen. Diese verhindert eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung sowohl mit anderen Teams in der Unternehmung als auch mit Menschen ausserhalb der Organisation. Drittens bedeuten unklare Prioritäten eine wichtige Barriere für ethische Anliegen. Es ist ein Leichtes, in jedem E-Mail die Führungspersonen darauf hinzuweisen, den Code of Conduct339 strikte einzuhalten, viel schwieriger ist dagegen, den Inhalt des E-Mails ökonomisch und ethisch zugleich umzusetzen. Als eine vierte Barriere kann die zurückhaltende Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen konstatiert werden. Kritische und ethisch relevante Informationen werden sowohl nach innen wie auch nach aussen nur widerwillig weitergegeben; eine kritische Auseinandersetzung und Beurteilung bestimmter Tatbestände möchte man schon gar nicht aufkommen lassen. Gründe für unethisches Verhalten können im Weiteren beim Führungsverhalten der Manager geortet werden. Nach empirischen Untersuchungen muss das ethische VorbildVerhalten der Manager eher negativ beurteilt werden. 340 Die prekäre Situation wird noch dadurch verschärft, dass die Erosion ethischer Standards im Führungshandeln nicht etwa ab-, sondern der Tendenz nach zunimmt. 341 Besonders jüngere Führungsleute zeigen bei den Untersuchungen ein ausgeprägt opportunistisches Verhalten. Winken Karrierechancen bzw. monetäre Erfolge, dann haben ethische Aspekte ganz nach dem Motto: Es schenkt einem keiner etwas, jeder ist sich selbst der Nächste kaum eine Bedeutung. Dies führt zur unerfreulichen Entwicklung, dass die ohnehin zunehmende Ich-Zentrierung durch solch ausgeprägtes Streben nach Erfolg, materiellen Gütern und Genuss noch weiter verstärkt wird. 342 Auch wenn durchaus positive Signale (insbesondere von weiblichen Führungspersonen) aufgenommen werden können, zeigen die empirischen Befunde insgesamt ein doch eher pessimistisches Gesamtbild über die moralische Qualifikation der Manager: „Eingelagert in die Hauptströmung einer opportunistischen Grundorientierung findet sich zwar hin und wieder ein gewisses Bewusstsein für die ethische Konfliktträchtigkeit des eigenen Handelns; dieses vermag sich jedoch im harten Führungsalltag offenbar regelmäßig kaum durchzusetzen.“ 343 2.3.2 Theoretische Weichenstellungen Das Verständnis einer Betriebswirtschaftslehre, die sich nicht auf die empirische Untersuchung, wie ökonomische Zwecke am effizientesten erreicht werden können, beschränkt, sondern darüber hinaus als normative Disziplin auch über die zu befolgenden Zwecke Aussagen macht, muss zuallererst aufzeigen, wie dieses hoch gesteckte Ziel mit dem Postulat der Wissenschaftlichkeit in Einklang gebracht werden kann. Zu klären ist also das wissenschaftstheoretische Fundament und Wahrheitsverständnis dieser dual verstandenen Betriebswirtschaftslehre. 339 340 341 342 343 Der Ausdruck „Code of Conduct“, auch „Code of Ethics“ genannt, bezeichnet die meist schriftlich abgefassten Werte, Normen und Regeln, an die sich eine Organisation selbst bindet, um ethischen Anliegen, die nicht durch das Gesetz geregelt sind, zur Geltung zu bringen. In der angloamerikanischen Business Ethics ist es eines der wichtigsten Instrumente. (Vgl. A. Crane und D. Matten: Business Ethics. A European Perspective. Managing Corporate Citizenship and Sustainability in the Age of Globalization, New York 2004, S. 444) Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 46 Vgl. a.a.O., S. 46f Vgl. a.a.O., S. 50 A.a.O., S. 52 55 2.3.2.1 Wissenschaftstheorie des Konstruktivismus als Grundlegung Der Erlanger Konstruktivismus, auch Methodischer Konstruktivismus genannt, ist als methodenkritische Wissenschaftstheorie bekannt geworden, die „die Begründung a l l e r Wissenschaften zum Ziel hat“ 344. Nach den Vertretern dieser Wissenschaftstheorie ist es um die wissenschaftlichen Disziplinen gar nicht gut bestellt: „Die Disziplinlosigkeit des monologischen Drauflosschreibens und Aneinandervorbeiredens in fast allen Bereichen nicht allein der Philosophie und der Wissenschaft, sondern auch der Literatur, der Kunstkritik, der Politik ist erschreckend, obwohl gerade dies von den Betroffenen meist gar nicht bemerkt wird, weil es Maßstäbe und Regeln des disziplinierten Dialogs nicht gibt.“ 345 Die Methode des Konstruktivismus legt den Wissenschaftlern nahe, ihre impliziten, das heisst nicht reflektierten, Annahmen in künstlicher Unwissenheit, also ohne Voraussetzungen, aufzuarbeiten und ihre wissenschaftlichen Sprachgepflogenheiten sprachkritisch zu rekonstruieren. Das bedeutet, „daß wir an keiner Stelle eines Gedankengangs, der uns als Argument für Behauptungen einerseits, für Aufforderungen oder Normen andererseits dienen soll, ein Wort gebrauchen, von dessen gemeinsamer Verwendung wir uns nicht überzeugt haben, und daß wir jede von uns aufgestellte Behauptung, Aufforderung oder Norm schrittweise begründen, so daß überall dort, wo eine – nach unserem eigenen Verständnis – neue geistige Leistung (eine Verständnis- oder Erkenntnisleistung) zur Fortführung des jeweiligen Gedankenganges benötigt wird, diese Leistung in einem eigenen Schritt ausdrücklich gefordert wird. Durch diese Forderungen ist das Programm der konstruktiven Methode formuliert.“ 346 Die Reflexion und Analyse der fachwissenschaftlichen Sprachen, aber auch der partiell zu rekonstruierenden Umgangssprache 347, ist zwar eine notwendige Tätigkeit, gleichwohl nur der erste Schritt. Mit der Aufnahme der politischen Wissenschaften zum Gegenstand der Wissenschaftstheorie 348 will der Methodische Konstruktivismus – in Abgrenzung zur analytischen Wissenschaftstheorie – die Frage nach den Aufgaben der Wissenschaften wieder aufnehmen. 349 In diesem Sinne verstehen die Konstruktivisten das aus Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie zusammengesetzte philosophische Programm als Proto- und nicht als Metawissenschaft. 350 Sie betrachten es als eine Missdeutung von Wissenschaft, „wenn alle normativen Überlegungen, die zu den ersten wissenschaftlichen Festlegungen führen, ausgeschlossen werden sollen, und eine irrige Meinung, wenn es für unmöglich erklärt wird, methodisch über die Aufstellung von Normen zu reden.“ 351 Nach Lorenzen beginnt sich die Einsicht langsam durchzusetzen, wonach alle Wissenschaften bzw. Theorien nur aufgrund teilweise bereits gelungener Praxis sinnvoll sind und letztlich alle Theorien die bereits begonnene Praxis unterstützen. 352 Eindrucksvoll gelingt die Verbesserung der Praxis den technischen Wissenschaften, allen voran den Naturwissenschaften; sie stellen mit ihren Theorien geeignete Mittel zur effizienten Erreichung vorgegebener Zwecke bereit. Aber für die Beratung der Zwecke selbst – als oberste, nicht mehr als Mittel dienende Zwecke werden die unterschiedlichen Lebensformen gesehen 353 – können die technischen Disziplinen keinen Beitrag leisten, dazu braucht es nicht-technische Wissenschaften. Aufgrund 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 56 P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, Mannheim, Wien und Zürich 1987, S. 16 W. Kamlah und P. Lorenzen: Logische Propädeutik. Vorschule des vernünftigen Redens, 2. Auflage, Mannheim, Wien und Zürich 1990, S. 11 P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 11 Vgl. P. Lorenzen: „Philosophische Fundierungsprobleme einer Wirtschafts- und Unternehmensethik“, in: Unternehmensethik, Hrsg. von H. Steinmann und A. Löhr, 2. Auflage, Stuttgart 1991, S. 42 Lorenzen will den aufgekommenen Begriff „Wissenschaftstheorie“ so verwenden, dass dieser das um eine Teleologie erweiterte Wissenschaftsprogramm bezeichnet. Der Begriff „Methodologie“ sollte dagegen für ein wissenschaftstheoretisches Programm stehen, das nach geeigneten Wegen und Mitteln für Ziele forscht, die selbst nicht normativ-kritisch reflektiert werden. (Vgl. P. Lorenzen: „Konstruktive Wissenschaftstheorie und Praxis“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 14) Vgl. P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 9 Vgl. P. Lorenzen: Konstruktive Wissenschaftstheorie, Frankfurt a. M. 1974, S. 126 P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 14 Vgl. a.a.O., S. 18 Vgl. a.a.O., S. 18 der bestehenden politischen Praxis der Gesetzgebung, die nach Lorenzen seit der Aufklärung unverträgliche Lebensformen zu überwinden versucht, zeigt sich für die politischen Wissenschaften eine vorwissenschaftliche Praxis ebenso wie bei den technischen Disziplinen. 354 Mithilfe der kritischen Rekonstruktion der Sprache, die nichts anderes als die Konstruktion einer kritischen Genese eines Systems von Kulturnormen ist 355, können deshalb Ziel und Aufgabe der politischen Wissenschaften begründet werden: „Die Argumentationspraxis der Politiker ist für dieses ‚ethische‘ Ziel [unverträgliche Lebensformen zu überwinden, JN] durch politische Wissenschaften als theoretische Instrumente zu stützen. Nur theoriegestütztes Argumentieren kann zu freiem (d.h. nicht erzwungenem) Konsens über die normative Ordnung unseres Zusammenlebens führen.“ 356 Mit anderen Worten: Nach der konstruktiven Wissenschaftstheorie sollen politische Wissenschaften die politische Praxis befähigen, das ihr immer schon zugrunde liegende ethische Ziel zu erreichen, nämlich Konflikte über unverträgliche Zwecke bzw. Lebensformen durch den freien Konsens zu beseitigen. Die grundsätzliche Fähigkeit, auf einen Konsens hinzuarbeiten, besitzen wir, und zwar kraft unserer Vernunft: „Per definitionem ist derjenige ‚vernünftig‘, dessen Bildung nicht Subjektivität, sondern gerade Überwindung der Subjektivität hervorgebracht hat.“ 357 Das Vernunftprinzip, mit dessen Hilfe die Subjektivität transzendiert werden kann, nennen die Konstruktivisten das Prinzip der Transsubjektivität. 358 Die konstruktive Wissenschaftstheorie vertritt die Konsensus-Wahrheitstheorie. 359 Das heisst, die Wahrheit ergibt sich durch die interpersonale Verifizierung bzw. Homologie 360. Mit diesem Wahrheitsbegriff, der nach Bodo Abel von der Wahrheitsfeststellung nicht unterschieden werden kann361, ist die Voraussetzung geschaffen, sowohl über Normen wie auch über Sachverhalte rational entscheiden zu können. Dadurch gelingt es einer nach dem Prinzip der Transsubjektivität eingeübten Argumentationspraxis, – in nicht dezisionistischer Manier – die „Basis aller weiteren Differenzierungen bis zu den Fachwissenschaften hin“ 362 zu legen. So auch für die Ethik als Wissenschaft, die wie andere Disziplinen nur deshalb begründet werden kann, weil deren Grundanliegen bereits vorwissenschaftliche politische Praxis ist bzw. weil die Lösung von Konflikten unverträglicher Zwecke die vorwissenschaftliche politische Praxis überhaupt erst konstituierte: „Und eine Ethik (das ist hier die vorgetragene These) läßt sich als eine begründete Wissenschaft auf der Basis der politischen Praxis nur dann aufbauen, wenn aus der posttraditionalen Not dieser Praxis das Denken um des Friedens willen – zunächst in vorwissenschaftlicher Weise – schon begonnen hat.“ 363 Das Friedensziel selbst kann allerdings so wenig wie die Effizienz für die technischen Wissenschaften begründet werden, vielmehr gilt: „das praktische Ziel des Friedens begründet ethisch-politische Wissenschaften.“ 364 Hans Albert, nebst Karl R. Popper der einflussreichste Vertreter des Kritischen Rationalismus im deutschsprachigen Raum, kontert die Angriffe des Konstruktivismus mit dem Hinweis, dass Lorenzen trotz Einsicht in den Abbruch der 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 Vgl. a.a.O., S. 18 Vgl. P. Lorenzen: Konstruktive Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 130 P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 18 A.a.O., S. 25 Vgl. P. Lorenzen: „Konstruktive Wissenschaftstheorie und Praxis“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 25 Vgl. W. Kamlah und P. Lorenzen: „Wahrheit und Wirklichkeit. »Wahr« und »falsch« (die interpersonale Verifizierung)“, in: Wahrheitstheorien. Eine Auswahl aus den Diskussionen über Wahrheit im 20. Jahrhundert, Hrsg. von G. Skirbekk, 6. Auflage, Frankfurt a. M. 1992, S. 487 Nach Kamlah wurde die Übereinstimmung zwischen dem Sprecher und den Gesprächspartnern in der Sokratischen Dialogik „Homologie“ genannt. (Vgl. W. Kamlah und P. Lorenzen: „Wahrheit und Wirklichkeit“, in: Wahrheitstheorien, a.a.O., S. 487) Vgl. B. Abel: Grundlagen der Erklärung menschlichen Handelns. Zur Kontroverse zwischen Konstruktivisten und Kritischen Rationalisten, Tübingen 1983, S. 22 P. Lorenzen: „Konstruktive Wissenschaftstheorie und Praxis“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 25 P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 239 P. Lorenzen: „Philosophische Fundierungsprobleme einer Wirtschafts- und Unternehmensethik“, in: Unternehmensethik, a.a.O., S. 58 57 Normenrechtfertigung an der Idee eines gesicherten Anfangs festhalte. 365 Der Vorwurf einer dogmatischen Position wird von Lorenzen mit dem Hinweis abgewehrt, dass die methodische Rekonstruktion des Redens und Handelns gerade auch deshalb angestrengt werde, um dieses Vorverständnis kritisch zu überprüfen und nötigenfalls auch verändern zu können. 366 Zudem seien die faktischen Normen der Gegenwart lediglich das Material der ethisch-politischen Wissenschaften, deren Aufgabe darin bestehe, „in transsubjektiver Weise Normen vor anderen auszuzeichnen, so daß Vorschläge zur Änderung von Normen formuliert werden können.“ 367 Diese Aussagen können allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass die Revidierbarkeit, zumindest hinsichtlich des ethischen Ziels (Konsenssicherung), nicht vorbehaltlos gewährleistet ist. 368 2.3.2.2 Die Betriebswirtschaftslehre als technisch-normative Wissenschaft Aus den Prinzipien des Konstruktivismus leitet Steinmann drei Aufforderungen an die Betriebswirtschaftslehre ab: 369 Diese soll sich erstens als Kulturwissenschaft begreifen, die das ökonomische Handeln der Menschen in den Unternehmen untersucht; zweitens soll sie sich als normativ-kritische Wissenschaft sehen, die auch Aussagen über die Zwecke des ökonomischen Handelns macht; drittens soll die Betriebswirtschaftslehre, im Sinne einer praxisorientierten Wissenschaft, mittels Gestaltungsempfehlungen mithelfen, Probleme aus der Lebenspraxis 370 zu lösen. In der Folge sollen diese drei Aufgaben näher erörtert werden. Die Entscheidung, die Betriebswirtschaftslehre als Kultur- und nicht als Naturwissenschaft aufzufassen, geht einher mit der begrifflichen Unterscheidung zwischen Handeln und Verhalten der Menschen. Während Ersteres auf ein intentionales, absichtgeleitetes Tun im Sinne eines Kulturphänomens verweist, wird Verhalten als natürliche, beispielsweise physiologische oder emotionale, Reaktion begriffen. Weil der Mensch mehr ist als nur ein technisch-effizienter Raubaffe 371, bedarf es eines anderen (idealistischen) Menschenbildes, das zum Ausdruck bringt, dass der Mensch in allererster Linie fähig ist, Kultur zu schöpfen und immer erst in diesem Vollzug seine Grenzen zu erkennen vermag. Die Betriebswirtschaftslehre als der Kulturwissenschaft zugehörig zu begreifen, wäre nach Steinmann ohnehin wenig umstritten, wenn nicht wegen der Rezeption des Kritischen Rationalismus das traditionelle Selbstverständnis zugunsten einer verhaltenswissenschaftlichen Orientierung in Gefahr geraten 365 366 367 368 369 370 371 58 Vgl. H. Albert: Traktat über kritische Vernunft, 5. Auflage, Tübingen 1991, S. 249 Vgl. P. Lorenzen: Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, a.a.O., S. 20 P. Lorenzen: „Konstruktive Wissenschaftstheorie und Praxis“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 27 Wie fundamental das ethische Konsensziel eingebettet ist, zeigt die Aussage von Paul Lorenzen: „Ich kann hier nur trocken versichern, daß in der konstruktiven Wissenschaftstheorie eine - insbesondere für den Zweck der Einigung über Zwecke geeignete - Syntax logisch-elementarer Sätze ausgearbeitet worden ist, dann eine Einführung der logischen Partikeln (Junktoren und Quantoren) bis hin zu den Modalitäten, die im Deutschen wildwüchsig als ‚notwendig und möglich‘ bzw. ‚geboten und erlaubt‘ bekannt sind.“ (P. Lorenzen: „Konstruktive Wissenschaftstheorie und Praxis“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 24f). Wenn nun aber das ethische Ziel in die allen anderen Wissenschaften zugrunde gelegte Logik bzw. Wissenschaftssprache eingelassen ist, dann ist dieses ethische Ziel als apodiktisch ausgezeichnet. Denn eine wissenschaftliche Kritik hinsichtlich dieses ethischen Ziels wäre gleichbedeutend mit einem performativen Widerspruch. Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 73 „Unter ‚Lebenspraxis‘ ist dabei genauer das über Normen und Zwecke vermittelte (sprachliche und nichtsprachliche) Handeln von Personen oder Gruppen zur Befriedigung von Bedürfnissen in (historisch entstandenen) konkreten gesellschaftlichen Situationen zu verstehen.“ (H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 95) Vgl. P. Lorenzen: „Philosophische Fundierungsprobleme einer Wirtschafts- und Unternehmensethik“, in: Unternehmensethik, a.a.O., S. 48 wäre. 372 Damit die Betriebswirtschaftslehre wieder auf den rechten Weg geführt werden kann, soll nicht weiter nach ontischen Realitäten, sondern nach vorteilhaften Lösungen für die Praxis gesucht werden 373. Mit anderen Worten: Allgemeine Erklärungen sind mithilfe praktischer Erfahrungen zu gewinnen und sollen nicht auf logisch abgeleitete und empirisch überprüfte Sätze reduziert werden. Um aus praktischen Erfahrungen allgemeine Aussagen elaborieren zu können, bedarf es allerdings eines methodischen Verstehens. Dieses besteht darin, Handlungen auf vermutete Zwecke hin zu deuten und die antizipierten Argumentationen mit den tatsächlich verfolgten Zwecken zu vergleichen. 374 Aus bewährten Handlungszwecken können dann allgemeine Aussagen abgeleitet werden, so dass gesagt werden kann, dass in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art und Weise gehandelt wird. „Allerdings ist dabei immer zu bedenken, daß eine solche Prognose nur auf die Tendenz zur Ausführung einer Handlung hindeutet; denn (erfreulicherweise) haben Menschen (als handelnde) die Möglichkeit, ihre Zwecke zu ändern.“ 375 Die zweite vom Konstruktivismus an die Betriebswirtschaftslehre herangetragene Forderung, sich nämlich als normativ-kritische Wissenschaft zu verstehen, impliziert deren Unabhängigkeit von der Volkswirtschaftslehre. Konkreter gesagt: Die konstruktive Betriebswirtschaftslehre ist nicht derart in die Volkswirtschaftslehre eingebettet, dass sie von der Pflicht zur normativen Diskussion der verfolgten Ziele entlastet wäre. Es ist evident, dass dieses Verständnis unvereinbar ist mit dem Postulat der Werturteilsfreiheit 376, nach dem sich die betriebswirtschaftliche Disziplin im Grunde genommen „hypothetisch jedem denkbaren Interesse zuwenden“ 377 könnte. Der konstruktiven Betriebswirtschaftslehre geht es vielmehr gerade darum, nicht nur hinsichtlich der Bewältigung des (technischen) Problems der Güterknappheit einen Beitrag zu liefern, sondern – noch vorher – will sie in Bezug auf die (normative) Frage, mit welchen Leistungen die Lebenspraxis realiter verbessert werden kann bzw. welche Ziele fundiert begründet werden können, Hilfestellungen abgeben. 378 Aber wie gelingt eine begründete 379 normative Basis? Keinesfalls darf die bestehende Wirtschafts- und Unternehmensverfassung unbesehen als diese ausgezeichnete normative Grundlage angenommen werden; denn ob gerade sie unsere Lebenspraxis tatsächlich verbessert, muss sich erst noch erweisen. Dazu soll in einem ersten Schritt, mithilfe einer methodisch geleiteten faktischen Genese (Kulturdeutung), Klarheit über den Grund der aktuell vorliegenden Normen und Ziele erzielt werden. 380 In einem zweiten Schritt soll dann, im Rahmen einer normativ-kritischen Genese (Kulturkritik) und mittels des Transsubjektivitätsprinzips, überprüft werden, ob die faktische Geltung auch einem freien Konsens standhält. 381 Würde sich die bestehende Wirtschafts- und Unternehmensverfassung als nicht gerechtfertigt herausstellen, dann müssten Vorschläge zu deren Verbesserung ausgearbeitet 372 373 374 375 376 377 378 379 380 381 Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 75 Vgl. G. Rusch: „Konturen konstruktivistischer Ökonomik“, in: Konstruktivistische Ökonomik, Hrsg. von G. Rusch, Marburg 2006, S. 8 Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 79f A.a.O., S. 83 Friedrich Kambartel betrachtet den Werturteilsstreit als erledigt; denn sowohl für die Begründung von Normen wie auch für Tatsachenbehauptungen lässt sich nichts Besseres finden als die Übereinstimmung der am Diskurs beteiligten Personen. (Vgl. F. Kambartel: „Ist rationale Ökonomie als empirisch-quantitative Wissenschaft möglich?“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 61) Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 85 Vgl. a.a.O., S. 90 Nach dem Konstruktivismus bzw. konstruktiven Betriebswirtschaftslehre verweist der Begriff „Begründung“ nicht auf ein Begründungspostulat im Sinne einer Letztbegründung: „Eine Theorie heißt begründet, wenn sie ohne Lücken und Zirkel ist und sich Probleme des Anfangs pragmatisch lösen lassen.“ (W. Braun: Konstruktive Betriebswirtschaftslehre. Eine wissenschaftstheoretische Einführung, Wiesbaden 1985, S. 7) Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 91 Vgl. a.a.O., S. 91 59 werden, die dann mittels Kulturreform umzusetzen wären. 382 Die Meinung, die Aufgaben der Betriebswirtschaftslehre historisch verfassen zu können, ist nach Steinmann gleichermassen irrtümlich wie die Auffassung, „hier und heute die institutionellen Voraussetzungen für einen ‚rationalen Dialog‘ (oder eine ideale Kommunikationsgemeinschaft im Sinne von Apel und Habermas) herzustellen.“ 383 Mit der dritten vom Konstruktivismus abgeleiteten Aufforderung, Empfehlungen für das praktische Handeln abzugeben, „erhalten die beiden anderen erst Richtung und Sinn.“ 384 Mit anderen Worten: Erst wenn geklärt ist, welche Zwecke erstens die Menschen als sinnvoll erachten und befolgen und zweitens die angestrebten Ziele solide begründet vorliegen, ist der Weg offen für eine wissenschaftliche Praxis, die sich in den Dienst stellt, unsere immer schon bestehende Lebenspraxis zu befördern. Für die Betriebswirtschaftslehre ergibt sich somit die Aufgabe, Lösungen für Probleme anzubieten, „die sich in der Lebenspraxis im Rahmen menschlichen Handelns zur Bedürfnisbefriedigung gerechtfertigt stellen“ 385. Denn gerade die Lebenspraxis zeigt, dass längst nicht alle praktischen Handlungen, sei es wegen Mangelsituationen, gegenseitiger Störung bzw. Behinderung oder falsch verstandener Kommunikation, hinsichtlich der Zweckverfolgung erfolgreich sind. Aus diesen Überlegungen heraus lässt sich nun für die Betriebswirtschaftslehre folgende ganzheitliche Aufgabe bestimmen: „Betriebswirtschaftslehre stellt als Wissenschaft Entscheidungshilfen für die betriebswirtschaftliche Praxis zur Verfügung; ihr Ausgangspunkt sind betriebswirtschaftliche Probleme der Praxis, die aus Konflikt- und Mangelsituationen resultieren, Ziel ihrer theoretischen Bemühungen ist es, einen Beitrag zu leisten zur vernünftigen Bewältigung dieser Probleme in Form von Gestaltungsempfehlungen für das praktische Handeln.“ 386 Mit anderen Worten: Die Verfolgung unterschiedlicher Lebensformen, aber auch der Mangel an sowohl natürlichen wie auch künstlichen Erzeugnissen, führen zu Konflikten zwischen den Menschen und zur Faktizität, dass nicht alle ihre angestrebten Zwecke gleichermassen erfolgreich zu erreichen vermögen. Indem die Betriebswirtschaftslehre mit ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen die Unternehmen befähigt, durch das Anbieten von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitsplätzen, Führungsaufgaben usf. einen gesellschaftlichen Beitrag für das erfolgreiche Anvisieren unterschiedlicher Zwecke zu leisten, zeigt sich die Konfliktlösung bzw. Friedenssicherung als ihre grundlegende (ethische) Aufgabe. Die konstruktive Betriebswirtschaftslehre kann in diesem Sinne als Politik mit anderen Mitteln aufgefasst werden. 2.3.3 Unternehmensethik als angewandte Ethik Das Verständnis von Betriebswirtschaftslehre als einer technisch-normativen Wissenschaft hat Auswirkungen auf die Empfehlungen zur Unternehmensführung. Dadurch, dass das einzelne Unternehmen sich nicht ohne Weiteres auf das Gewinnstreben konzentrieren kann, sondern ebenso aufgefordert ist, den in der Betriebswirtschaftslehre eingelassenen Gedanken der Konfliktlösung aufzunehmen, zeigt sich für die Unternehmensleitung eine doppelte Aufgabe: „Die Unternehmensführung nimmt in modernen Gesellschaften eine duale Rolle wahr. Sie leistet einen (indirekten) Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden und zur Weiterentwicklung der Gesellschaft, indem sie Güter und Dienstleistungen auf dezentralen Märkten zur Verfügung stellt.“ 387 Nach Steinmann und Löhr soll eine unternehmensethische Theorie das Unternehmen in dieser Doppelrolle unterstützen und deshalb im Kern so konzipiert sein, dass zwischen den unternehmerischen bzw. marktwirtschaftlichen Leistungen einerseits und dem übergeordneten 382 383 384 385 386 387 60 Vgl. a.a.O., S. 91 A.a.O., S. 91 A.a.O., S. 92 A.a.O., S. 92 A.a.O., S. 97 G. Bentele et al.: „Dialogorientierte Unternehmenskommunikation. Ein Handlungsprogramm für die Kommunikationspraxis“, in: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation. Grundlagen - Praxiserfahrungen Perspektiven, Hrsg. von G. Bentele et al., Berlin 1996, S. 451 (ethischen) Ziel der Friedenssicherung andererseits vermittelt werden kann388, und zwar mittels Dialog: „Unternehmensethik soll dialogisch verstanden werden, nicht monologisch und auch nicht dogmatisch.“ 389 Damit ist nichts Anderes gemeint, als dass dieser unternehmensethischen Konzeption – trotz Unterschiede in den Fundierungsproblemen 390 – das Moralprinzip der Diskursethik zugrunde liegt: „Die politisch begründete Ethik führt in den Anwendungen (hier auf die Unternehmensethik) zu genau denselben Forderungen an das Argumentieren, wie die »Diskursethik« der Frankfurter Schule von Habermas und Apel.“ 391 Das heisst, ethisch relevante Normen werden nach dem Prinzip der gleichberechtigten, dialogischen und auf einen Konsens hinzielenden Verständigung erarbeitet. Die nachhaltig gesicherte Teilnahme an der Marktwirtschaft verlangt von den Unternehmen eine sorgfältige Beachtung der Liquidität und Rentabilität. Mit anderen Worten: Unternehmen müssen Gewinne erwirtschaften. Nach Steinmann und Löhr ist das Gewinnprinzip durch die bestehende Wirtschaftsordnung, wegen deren hohen Effizienz in der Lösung des Koordinationsproblems und des daraus resultierenden Beitrages für die Friedenssicherung, rechtlich abgesichert und wirtschaftsethisch legitimiert. 392 Damit zeigt sich ein deutlicher Gegensatz zu Peter Ulrich, der die herrschende Marktwirtschaft als Grossideologie der Gegenwart begreift und deshalb fordert, dass die einzelnen Gewinnstrategien der Unternehmen, zwecks Sicherung einer legitimen Wertschöpfung, „in einem unernehmenspolitischen Deliberationsprozess mit allen «Stakeholdern» vorbehaltlos zur Disposition zu stellen und gegenüber allen Betroffenen zu begründen“ 393 sind. Für Steinmann et al. besteht allerdings kein Zweifel, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht verhindern kann, dass im Rahmen des konkreten Gewinnstrebens seitens der einzelnen Unternehmen nicht gleichwohl Konflikte entstehen. Weil der Verweis auf die wirtschaftsethisch legitimierte Wirtschaftsordnung dann aber inkonsistent wäre (die angewandten Regeln haben ja offensichtlich die von der Wirtschaftsordnung erwartete friedensstiftende Wirkung nicht erfüllt), bedarf es einer subsidiären Legitimation. 394 Mit anderen Worten: Anders als in der Theorie von Karl Homann, in der aus der ethischen Richtigkeitsvermutung der Rahmenordnung gewinnmaximierendes Handeln abgeleitet wird (vgl. S. 41), kann nach Steinmann et al. dem Gewinnprinzip die Richtigkeitsvermutung nur im Allgemeinen, aber nicht im Besonderen unterstellt werden: „Deshalb ist jede unternehmerische Tätigkeit im Einzelfall noch einmal daraufhin zu befragen, ob sie tatsächlich konsensfähig ist.“ 395 Es gilt also, die einzelnen Situationen des unternehmerischen 388 389 390 391 392 393 394 395 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 95 H. Steinmann und A. Löhr: „Einleitung: Grundfragen und Problembestände einer Unternehmensethik“, in: Unternehmensethik, a.a.O., S. 13 Horst Steinmann und Andreas Georg Scherer monieren am universellen Geltungsanspruch der Diskurstheorie die Annahme einer universellen geschichtlichen Sprachgemeinschaft: „Es scheint so, als hätten die Transzendentalpragmatik und auch Habermas bei ihrer Konzentration auf die formalen Aspekte des Argumentierens übersehen, daß mit der Formulierung sogenannter »formaler« Grundsätze zugleich auch eine bestimmte praktische inhaltliche Lebenserfahrung artikuliert wird. Andernfalls ließe sich nämlich gar nicht verstehen, was es heißt, »zwanglos«, »unvoreingenommen«, »mit gleicher Chance« etc. zu argumentieren.“ (H. Steinmann und A. G. Scherer: „Interkulturelles Management zwischen Universalismus und Relativismus. Kritische Anfragen der Betriebswirtschaftslehre an die Philosophie“, in: Zwischen Universalismus und Relativismus. Philosophische Grundlagenprobleme des interkulturellen Managements, Hrsg. von H. Steinmann und A. G. Scherer, Frankfurt a. M. 1998, S. 55). Der Methodische Konstruktivismus möchte diesen Problemfall nicht ausklammern und nicht erst dort beginnen, wo eine universelle Kultur des Argumentierens bereits etabliert werden konnte. Anstatt mit allgemeinen Prinzipien und Begriffen zu arbeiten, „scheint es erforderlich, an den konkreten Problemen selbst anzusetzen und zu versuchen, von hier aus transsubjektiv orientierte Lösungen zu erarbeiten.“ (H. Steinmann und A. G. Scherer: „Interkulturelles Management zwischen Universalismus und Relativismus“, in: Zwischen Universalismus und Relativismus, a.a.O., S. 73) P. Lorenzen: „Philosophische Fundierungsprobleme einer Wirtschafts- und Unternehmensethik“, in: Unternehmensethik, a.a.O., S. 64 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 105 P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 439 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 105 A.a.O., S. 107 61 Gewinnstrebens in ein Verhältnis zur Ethik zu bringen: „Unternehmensethik fordert eine situationsgerechte Anwendung des Gewinnprinzips. Die Unternehmensethik zielt auf solche Situationen ab, in denen die Orientierung des unternehmerischen Handelns am Gewinnprinzip im Hinblick auf den gesellschaftlichen Frieden problemträchtig ist.“ 396 Dass das einzelne konkrete Gewinnstreben konsequent dem ethischen Ziel der Friedenssicherung unterzuordnen ist, zeigen Steinmann und Löhr mit ihrer Forderung, wonach durchaus – als letzte Konsequenz, wenn keine konsensfähige Strategie erarbeitet werden konnte – die Stilllegung einer Organisation unternehmensethisch gefordert werden kann. 397 Mit dem Postulat, das Gewinnstreben der jeweiligen Situation anzupassen, also mögliche Gewinnchancen bewusst auszulassen, stellt sich die wichtige Frage nach dem Spielraum, den die Unternehmen vorfinden und nutzen können, ohne sogleich das Unternehmen in der Existenz gefährden zu müssen. Nach Steinmann et al. sind solche Spielräume faktisch denn auch gegeben und in der Praxis kaum bestritten. 398 Wie gross sie jeweils sind, hängt allerdings nicht nur von der Organisation selbst ab, sondern ebenso von der Wirtschaftsordnung und der Wettbewerbsintensität der betreffenden Branche. Die situationsgerechte Anwendung des Gewinnprinzips lässt sich mit zwei unternehmensethischen Forderungen präzisieren: Erstens sollen Unternehmen die von der Wirtschaftsordnung vorgesehene Freiheit verantwortungsvoll nutzen, indem sie konsensfähige Strategien erarbeiten. 399 Mit anderen Worten: Die Unternehmen sind gefordert, eine konsensfähige Strategie mit konkreten Sachzielen und damit verbundenen operativen Managementprozessen so zu erarbeiten, dass die Interessen der Betroffenen berücksichtigt und mögliche Konflikte im Vorneherein verhindert werden können. Mit der konsensfähigen Unternehmensstrategie wollen Steinmann et al. im Weiteren an die originäre Funktion (Konfliktbewältigung) der Unternehmen erinnern und ebenso auf die tiefe Einsicht hinweisen, dass nicht das Gewinnstreben an sich ethisch fragwürdig ist, sondern die Art und Weise, wie es befolgt wird. 400 Die zweite unternehmensethische Forderung im Zusammenhang mit der Handhabung des Gewinnprinzips betrifft nicht die Unternehmensstrategie, sondern die gesamten operativen Managementprozesse: „Die Unternehmensethik ist überall dort als ein kritisches Regulativ gefordert, wo die Effizienzorientierung der Managementfunktionen bei der Strategierealisierung zu Konflikten führt.“ 401 Nach Steinmann et al. können die Unternehmen gerade durch situationsgerechte und dezentrale Konfliktlösungen, die weder in der strategischen Konzeption erkannt noch durch gesetzliche Bestimmungen verhindert werden können, einen weitreichenden Beitrag zum Gemeinwohl leisten. 402 Nicht zum Gegenstand der Unternehmensethik gehören hingegen all jene unternehmerischen Aktivitäten, die sowohl ethische wie auch ökonomische Anliegen befördern; denn hier besteht kein Konflikt, sondern Harmonie zwischen Nachfragern und Anbietern. 403 Anders gesagt: Weil mit der harmonischen Bedürfnisbefriedigung das Unternehmen genau das leistet, was ihm von der Betriebswirtschaftslehre als genuine Aufgabe vorgegeben ist, besteht in dieser Situation auch kein Handlungsbedarf für die Unternehmensethik. Hingegen als Etikettenschwindel sind all jene moralischen Normen zu verurteilen, die bewusst für das Gewinnstreben zur Geltung gebracht werden. 404 Steinmann et al. erteilen einer unternehmensethischen Konzeption, die – nach der Idee von Homann – vorsieht, ethische Anliegen nur dann aufzunehmen, wenn sie nicht gegen die 396 397 398 399 400 401 402 403 404 62 A.a.O., S. 107 Vgl. a.a.O. S. 107 Vgl. H. Steinmann und G. Schreyögg: Management. Grundlagen der Unternehmensführung. Konzepte - Funktionen Fallstudien, 6. Auflage, Wiesbaden 2005, S. 118 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 110 Vgl. a.a.O., S. 111f A.a.O., S. 112f Vgl. G. Bentele et al. „Dialogorientierte Unternehmenskommunikation. Ein Handlungsprogramm für die Kommunikationspraxis“, in: Dialogorientierte Unternehmenskommunikation, a.a.O., S. 457f Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 109 Vgl. a.a.O., S. 110 ökonomische Vernunft verstossen, eine klare Absage. Ebenso wenig sollte eine Unternehmensethik als (temporäre) „Lückenbüsserin“ verstanden werden, die primär beabsichtigt, fehlende Normen justiziabel zu machen; vielmehr ist es gerade ihre Aufgabe, im Sinne der Selbstverpflichtung, solche Konflikte zu lösen, die im Rahmen der ohnehin immer ungenügenden Rechtsordnung entstanden sind. Genauerhin ist die Unternehmensethik eine Verfahrenslehre für dialogische Prozesse, die in solchen Situationen handlungsleitend sein soll, in denen die Steuerung der konkreten Unternehmensaktivitäten nach den Regeln des Gewinnprinzips und im Rahmen des geltenden Rechts zu konfliktträchtigen Auswirkungen mit den internen und externen Bezugsgruppen der Unternehmung führt. Ergebnis dieser lebenspraktischen Verständigungsprozesse sollen begründete materiale und prozessuale Normen sein, die das Unternehmen zur friedlichen Konfliktregelung im Sinne einer Selbstverpflichtung in Kraft setzt. 405 2.3.4 Über die Implementation der angewandten Ethik Wie gelingt es, ethische Anliegen in einer Unternehmung zur Geltung zu bringen? Horst Steinmann und Thomas Olbrich weisen darauf hin, dass in den letzten Jahren eine deutliche Akzentverschiebung, weg von den Begründungsproblemen, hin zu Fragen der Implementation, stattgefunden hat. 406 Bei Letzteren sind in der Theorie vor allem die beiden Ansätze Compliance und Integrity, die auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, ethische Anliegen zur Geltung zu bringen, bekannt. 407 Das Ziel des Integrity-Modells besteht darin, die Mitarbeiter zu selbst verantwortlichem Handeln auszubilden. Der Compliance-Ansatz hingegen orientiert sich tendenziell am Menschenbild des homo oeconomicus und verweist auf die von Anwälten niedergeschriebenen Regeln und Vorschriften, samt deren Sanktionsmöglichkeiten bei Verfehlungen. Obschon die beiden Ansätze in der Praxis nicht trennscharf durchgehalten werden können – auch der Integrity-Ansatz benötigt festgelegte Normen und Regeln 408 -, so kann doch hervorgehoben werden, dass der Compliance-Ansatz primär auf der extrinsischen und das Integrity-Modell auf der intrinsischen Motivation aufbaut. Weil Compliance-Ansätze der Tendenz nach die intrinsische Motivation zerstören, zudem die Gefahr besteht, dass die notwendigen Kontrollen immer mehr Normen und Regeln nach sich ziehen, vertreten Steinmann et al. dezidiert die Ansicht, dass es „wesentlich auf die intrinsische Motivation der Mitarbeiter ankommt, d.h. auf ein Handeln, das unabhängig von externen Stimuli um seiner selbst Willen vollzogen wird.“ 409 Das bedeutet: Eine nachhaltige und wirkungsvolle Unternehmensethik bedarf der Einsicht in deren Gründe und ist in diesem Sinne als eine Selbstverpflichtung aufzufassen: „Da die Orientierungskraft einer ethischen Norm aus nichts weiter als der Einsicht in die Triftigkeit ihrer Begründung erwächst, muß Unternehmensethik auf Selbstverpflichtung abzielen.“ 410 Die auf dem Integrity-Ansatz basierenden Implementations-Empfehlungen von Steinmann et al. sind weder auf bestimmte Konfliktfelder (z.B. Umweltproblematik oder Humanisierung der Arbeitswelt) noch auf spezifische Funktionsbereiche wie Marketing- oder Forschungsethik ausgerichtet, sondern vielmehr beziehen sie sich auf die sachübergreifende 405 406 407 408 409 410 A.a.O., S. 106 Vgl. H. Steinmann und T. Olbrich: „Ethik-Management: Integrierte Steuerung ethischer und ökonomischer Prozesse“, in: Umwelt und Wirtschaftsethik, Hrsg. von H. Steinmann und G. R. Wagner, Stuttgart 1998, S. 173 Vgl. a.a.O., S. 177 Vgl. U. Thielemann: „Compliance und Integrity – Zwei Seiten ethisch integrierter Unternehmenssteuerung. Lektionen aus dem Compliance-Management einer Großbank“, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 6, Heft 1 (2005), S. 31ff H. Steinmann und T. Olbrich: „Ethik-Management: Integrierte Steuerung ethischer und ökonomischer Prozesse“, in: Umwelt und Wirtschaftsethik, a.a.O., S. 187 H. Steinmann und A. Löhr: „Die Diskussion um eine Unternehmensethik in der Bundesrepublik Deutschland“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 246 63 Unternehmensführung mit den klassischen Managementfunktionen. 411 Dazu bestimmen die Autoren drei verschiedene Implementations-Zugänge: 412 Erstens wird die Organisation als Ganzes für ethische Anliegen in den Blick genommen, zweitens wird das Augenmerk auf die ethische Sensibilisierung des Personals gerichtet, und drittens muss die Einhaltung von ethischen Richtlinien im Führungshandeln sichergestellt werden. Im Folgenden werden diese drei Implementationsfelder expliziert. Jede Unternehmung braucht Verhaltens- und Handlungsstrukturen, um überhaupt verlässliches Handeln sicherstellen zu können. Trotzdem ist es für eine Unternehmensethik unabdingbar, gerade diese Strukturen einer ethischen Reflexion zugänglich zu machen. Die unternehmensethische Zielsetzung organisatorischer Massnahmen ist deshalb „die Entschränkung statt der Schließung von Strukturen, um so die ethische Wachsamkeit von Mitarbeitern nicht zu behindern, ihre Bereitschaft zur Thematisierung ethisch sensibler Probleme zu stützen und Kommunikationsbarrieren abzubauen.“ 413 Nach Steinmann et al. können für dieses Vorhaben drei verschiedene Ansatzpunkte gewählt werden: 414 Erstens besteht die Möglichkeit, innerhalb der Unternehmung spezielle Strukturen mit ethischem Auftrag zu etablieren. Dies ist allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass die Konzentration der ethischen Verantwortung auf wenige Stellen reduziert ist und die grosse Mehrheit dem Postulat der Effizienz verbunden bleibt. Zweitens können externe, unabhängige ethische Strukturen aufgebaut werden, die dem internen Druck und den Machtstrukturen nicht ausgesetzt sind. Gegen diesen Ansatz kann vorgebracht werden, dass eine Ethikkommission als „eine relativ unverbindliche Entlastungsübung für die Unternehmung verstanden werden kann.“ 415 Der dritte und tiefgreifendste Ansatz besteht in der Veränderung der Gesamtorganisation, das heisst der Organisationsstruktur und Organisationskultur. Dabei wird das Schwergewicht auf die Zerstörung der argumentationsfeindlichen Rahmenbedingungen gelegt, die im Zuge der tayloristischen Organisationsstrukturen nicht selten unbewusst entstanden sind. Während die traditionelle Organisation auf die schnelle Lösung – besser Zudeckung – der Probleme vorgebahnt ist, macht eine ethische Organisationsstruktur gerade umgekehrt auf latente Probleme aufmerksam und betrachtet diese nicht vorschnell als gelöst. Um die ethische Wachsamkeit und die Übernahme von Verantwortung durch alle Mitarbeiter zu fördern, müssen im Weiteren rigide Hierarchiestrukturen abgeschafft werden. 416 Als eine ganz besondere Herausforderung für die praktische Umsetzung theoretischer Gestaltungsempfehlungen erweisen sich starke Unternehmenskulturen. Wegen des tiefen normativen Orientierungscharakters und der hoch selektiven Wahrnehmung seitens der Mitarbeiter bedarf es für die nachhaltige Veränderung sowohl der Mitarbeit aller Beteiligten wie auch die uneingeschränkte Unterstützung des TopManagements. 417 Hinsichtlich der ethischen Entwicklung des Personals ist nach Steinmann und Löhr der Organisationsbürger das Ziel der Personalentwicklung: „Es geht um die Ausbildung des ethischen Reflektionspotentials und der argumentativen Kompetenz aller Beschäftigten.“ 418 Damit die ethische Selbstverpflichtung nicht marginal bleibt und bloss durch wenige wahrgenommen wird, müssen den Mitarbeitern mehr Entscheidungskompetenzen zugewiesen und die Ausdifferenzierung zwischen disponierenden und ausführenden Tätigkeiten rückgängig gemacht werden. Auch gehört der Vorbildfunktion von Führungspersonen grössere Beachtung geschenkt. Um aufzuzeigen, dass eine solche ethische Entwicklungskonzeption nicht unrealistisch ist, verweisen Steinmann et al. auf die ausgearbeiteten Untersuchungen von Piaget, Kohlberg und Habermas: „Die dort vertretene These einer stufenförmigen Entwicklung 411 412 413 414 415 416 417 418 64 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 146 Vgl. a.a.O., S. 146-205 A.a.O., S. 147 Vgl. a.a.O., S. 148-157 A.a.O., S. 154 Vgl. a.a.O., S. 157 Vgl. a.a.O., S. 161 A.a.O., S. 163 moralischer Urteilskraft trifft sich mit unserer Zielvorstellung einer moralischen Entwicklung: sie sieht in der Herstellung der Dialogfähigkeit ebenfalls die höchste Stufe der Entwicklung moralischer Urteilskraft.“ 419 Mit Bezug auf das von Kohlberg entwickelte Stufenschema können Massnahmen zwecks Förderung der moralischen Entwicklung in der Aus- und Weiterbildung getroffen werden. Dass ethische Bildung keineswegs hoffnungslos ist, belegen Studien, die signifikante Einstellungsänderungen bei Studenten, die in den USA an Business-Ethics-Kursen teilgenommen haben, nachweisen können. 420 Allerdings muss dem (skeptisch) hinzugefügt werden, dass die Nachhaltigkeit ethischer Bildung nur dann gegeben ist, wenn die Anschlussfähigkeit in den Unternehmen gewährleistet werden kann. 421 Hinsichtlich der Ausbildung sollte im Weiteren beachtet werden, dass der Ethik-Unterricht nicht isoliert, sondern vielmehr integrativ, also im Rahmen von anderen Veranstaltungen gelehrt wird. Um im Unternehmen die dialogische, auf Konsens und nicht auf Kompromiss zielende, Verständigung zu fördern, beziehen sich Steinmann und Löhr auf das GRID-Konzept. Nach Blake et al. handelt es sich hierbei um ein Programm für die Unternehmensentwicklung: „GRID-OE ist ein systematisches Programm zur Unternehmensentwicklung. Es eröffnet unbegrenzte Möglichkeiten zur Spitzenleistung. Energie wird frei für die kreative und effektive Lösung von anstehenden Problemen, welche das Unternehmen schon seit Jahren plagen.“ 422 Nach diesem Programm muss sich ein erfolgreiches Unternehmen ständig sowohl an äussere wie auch an innere Veränderungen anpassen. Dies gelingt ihm nur dann, wenn ein extensives Feedback und die konstruktive Kritik aller Mitarbeiter sichergestellt sind. Um schwerwiegende Probleme lösen zu können, bedarf es die Zerstörung des herkömmlichen Denkens sowie die Veränderung der bestehenden Unternehmenskulturen. Im Weiteren liegen nach Steinmann und Löhr die Vorteile dieses Instruments darin, dass es auf einen situationsunabhängigen Führungsstil abzielt und das Führungshandeln nicht auf die Aufgabenorientierung reduziert, sondern die Entwicklung der sozial-moralischen Kompetenz der Mitarbeiter als gleichwertig einstuft. 423 Damit sollen beispielsweise die freie Meinungsäusserung am Arbeitsplatz, symmetrische Kommunikationsprozesse, aber auch Partizipation an kooperativen Entscheidungen, gefördert werden. Ethisches Führungsverhalten gehört zu den notwendigen Voraussetzungen, um überhaupt ethische Forderungen erfolgreich zur Geltung bringen zu können. Das heisst: „Eine Führungsethik wird zum notwendigen Bestandteil der Unternehmensethik.“ 424 Nach Steinmann und Löhr haben Führungspersonen traditionell eine zweifache, neu aber eine dreifache Funktion: 425 Erstens ist es ihre Aufgabe, mit den Mitarbeitern auf vorgegebene Ziele hinzuarbeiten (Lokomotivfunktion), zweitens haben sie auf den langfristigen Zusammenhalt der Gruppen zu achten (Kohäsionsfunktion) und drittens übernehmen sie neuerdings die Aufgabe, Mitarbeiter für kritische Überlegungen und Äusserungen zu motivieren (Spielmacherfunktion). Diese dritte Funktion ist für die Unternehmensethik von besonderer Bedeutung, denn hier geht es gerade darum, Mitarbeiter für ethische Bedrohungen so zu sensibilisieren, dass situationsgerecht die Dominanz des Effizienzdenkens zugunsten einer ethischen Orientierung fallengelassen wird. Dass der argumentative Kommunikationsstil diese skizzierte Führungsaufgabe erleichtert bzw. dieser Stil von den Mitarbeitern als besonders einflussreich wahrgenommen wird, ist leicht nachvollziehbar; wichtiger scheint hingegen der Hinweis, dass ein zu sehr ausgeprägter argumentativer Führungsstil sich eher kontraproduktiv auswirkt und deshalb der emotionale Aspekt im Führungsverhalten keinesfalls unterschätzt werden sollte. 426 419 420 421 422 423 424 425 426 A.a.O., S. 165f Vgl. a.a.O., S. 175 Vgl. a.a.O., S. 170 R. R. Blake et al.: Unternehmensentwicklung mit GRID. Der Weg zur effektiven Organisation, Übersetzung: B. Sabel, Frankfurt a. M. 1993, S. 174 Vgl. H. Steinmann und A. Löhr: Grundlagen der Unternehmensethik, a.a.O., S. 179f A.a.O., S. 199 Vgl. a.a.O., S. 200 Vgl. a.a.O., S. 203ff 65 2.4 Der governance-ethische Ansatz von Josef Wieland Josef Wieland geht – wie Karl Homann – von Niklas Luhmanns Theorie der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft aus. 427 Anders als bei Homann hat diese Ausgangslage jedoch entscheidende theoretische Konsequenzen, und zwar dahingehend, dass Wieland Luhmanns skeptische Haltung in Bezug auf Wirtschaftsethik – nach Luhmann tritt Wirtschaftsethik in der Form eines Geheimnisses auf, weil es sie nämlich gar nicht gibt 428 – übernimmt und den Standpunkt vertritt, dass „der Vorrang der ethischen Entscheidungslogik vor der ökonomischen nur beschworen, aber nicht eingelöst werden kann.“ 429 Wielands Auffassung, dass die Möglichkeit der Anwendung ethischer Prinzipien und Normen durch Begründung „sich in funktional differenzierten Gesellschaften endgültig als irrig erwiesen hat“ 430, schlägt sich nieder in einer deskriptiven Wirtschaftsethik, und zwar im Sinne eines Instrumentes, moralische Anliegen zu realisieren. Dazu Wieland: „In der Konsequenz nutzt die Ethik der Governance keinen normativen, sondern einen kontextualen, also deskriptiven Ethikbegriff, der institutionenökonomisch in eine Theorie lokaler Gerechtigkeit überführt wird.“ 431 Wieland geht es also weder um die Begründung von ethischen Normen noch um die Frage nach der Motivation für ethisches Handeln 432, sondern ausschliesslich darum, wie ethische Anliegen im Kontext des Wirtschaftsgeschehens implementiert werden können433 – sofern dies für die Unternehmen dann auch Sinn macht! Mit Wielands Worten: „Wirtschafts- und Unternehmensethik sind ökonomisch und unternehmenspolitisch gesehen Instrumente zur Implementierung, Steuerung und Kontrolle impliziter Verträge, die auf die Senkung von Transaktionskosten formaler Verträge zielen.“ 434 Wieland definiert seine Governanceethik im Rahmen von vier Punkten: 435 Erstens bilden die moralischen Ressourcen und die Handlungsbeschränkungen der organisatorischen Regeln und Werte den Gegenstandsbereich der Governanceethik. Im Sinne von Luhmann orientiert sich Wieland nicht am Handlungsbegriff, sondern an kommunizierten formalen und informalen Regeln und Werten (Governancestrukturen). Zweitens untersucht die Governanceethik analytisch die globalen, lokalen, formalen und informalen Strukturen eines Unternehmens, die das moralische Handeln der individuellen und kollektiven Akteure in einem Unternehmen konstituieren und steuern. Drittens vergleicht Governanceethik differente Governancestrukturen „zur Steuerung distinkter wirtschaftlicher Transaktionen unter dem Gesichtspunkt, ob und welche moralischen und unmoralischen Regeln, Werte und Anreize sie avisieren und damit entsprechendes Handeln ökonomisch prämieren.“ 436 Viertens schlägt die Unternehmensethik als Governanceethik die Entwicklung und Implementierung von ethischen Systemen (zum Beispiel Ethik-ManagementSystem oder Edit-Audit-System) vor, die den Wirkungsgrad der Anreizsensivität für die ökonomischen Transaktionen zu steigern vermögen. Wieland wirtschaftsethische Theorie zusammengefasst: „Die Governanceethik des Unternehmens ist die Lehre von der komparativen Analyse der moralsensitiven Gestaltung und Kommunikation der Governancestrukturen spezifischer wirtschaftlicher Transaktionen mittels Kooperationen.“ 437 Wieland ist sich bewusst, dass seine Governanceethik auf philosophische und metaphysische Überlegungen zur 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437 66 Vgl. J. Wieland: „Eine Theorie der Governanceethik“, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 2, Heft 1 (2001), S. 24 Vgl. N. Luhmann: „Wirtschaftsethik - als Ethik?“, in: Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, a.a.O., S. 134 J. Wieland: Die Ethik der Governance, 5. Auflage, Marburg 2007, S. 89 A.a.O., S. 91 J. Wieland: „Eine Theorie der Governanceethik“, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 2, Heft 1 (2001), S. 24 Vgl. J. Wieland: Die Ethik der Governance, a.a.O., S. 92f Vgl. J. Wieland: „Eine Theorie der Governanceethik“, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 2, Heft 1 (2001), S. 11 J. Wieland: „Die Ethik der Wirtschaft als Problem lokaler und konstitutioneller Gerechtigkeit“, in: Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, a.a.O., S. 13 Vgl. J. Wieland: Die Ethik der Governance, a.a.O., S. 73ff A.a.O., S. 74 A.a.O., S. 75 Wirtschafts- und Unternehmensethik frustrierend wirken könnte 438 und mehr Fragen aufwirft als beantwortet 439. Auch gesteht Wieland, dass „die Governanceethik ihren rigiden Anwendungsbezug gegenwärtig noch mit einer massiven philosophischen Defizienz ihrer Theoriearchitektur“ 440 bezahlt. 2.5 Der intentionalistische Ansatz von Peter A. French Peter A. French erhofft sich, die Grundlage einer Theorie zu liefern, die es erlaubt, Korporationen als Mitglieder der moralischen Gemeinschaft zu behandeln, und zwar gleichgestellt mit natürlichen Personen; kurz: „Korporationen können vollwertige moralische Personen sein und haben alle Privilegien, Rechte und Pflichten, die moralische Personen normalerweise haben.“ 441 Nach French werden natürliche Personen durch ein standardisiertes Vorgehen wie beispielsweise den Anstellungsvertrag, den Kauf von Aktien oder die Wahl in ein Amt Mitglied eines Konglomerats. 442 Um jedoch Konglomerate bzw. Korporationen von natürlichen Personen als moralische Personen auffassen zu können, müssen ihnen eigene Handlungsintentionen nachgewiesen werden können, die sich von den Intentionen der natürlichen Personen in diesen Korporationen unterscheiden. French sieht mindestens drei signifikante charakterliche Merkmale von Korporationen: 443 Erstens haben diese interne Entscheidungsstrukturen, die den Kurs der gemeinsamen Aktivitäten steuern. Zweitens ist die Durchsetzung der Standards, wie Mitglieder von Korporationen sich verhalten und geführt werden sollen, viel strikter als in anderen Gemeinschaften; und drittens verändert die Übernahme von Führungsrollen die Identität der Führungspersonen, nicht aber jene der Korporation, in der Führungsrollen übernommen werden. Damit steht für French fest: Korporative Ereignisse sind in einer Art und Weise beschreibbar, die bestimmte Sätze wahr machen, „daß einige der Dinge, die eine Korporation tut, von der Korporation selbst intendiert waren.“ 444 Mit anderen Worten: Obschon Korporationspersonen innerhalb von funktionierenden Organisations- und Verantwortungsstrukturen – French spricht von Corporation’s Internal Decision Structure (CID) 445 – natürliche Personen bleiben, zeigt sich dennoch „eine Unterordnung und Synthese der Absichten und Handlungen der verschiedenen natürlichen Personen hin zu einer korporativen Entscheidung.“ 446 Korporative Intentionen sind also keineswegs immer auf menschliche Intentionen reduzierbar, vielmehr gilt, „daß eine funktionierende CID-Struktur Handlungen von natürlichen Personen einbegreift“ 447 und „Korporationen als solche für das, was sie tun, verantwortlich zu machen sind, um als metaphysische Person in der Eigenschaft als moralische Person behandelt zu werden.“ 448 438 439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 Vgl. J. Wieland: „Eine Theorie der Governanceethik“, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 2, Heft 1 (2001), S. 11 Vgl. J. Wieland: Die Ethik der Governance, a.a.O., S. 125 J. Wieland: „Eine Theorie der Governanceethik“, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 2, Heft 1 (2001), S. 25 P. A. French: „Die Korporation als moralische Person“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 317 Vgl. P. A. French: „Types of Collectivities“, in: Individual and Collective Responsibility, Hrsg. Von P. A. French, 2. Ausgabe, Rochester 1998, S. 45 Vgl. a.a.O., S. 45 P. A. French: „Die Korporation als moralische Person“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 321 Vgl. a.a.O., S. 321 A.a.O., S. 323 A.a.O., S. 323 A.a.O., S. 327 67 2.6 Der sozioökonomische Ansatz von Amitai Etzioni Der sozialökonomische Ansatz von Amitai Etzioni stellt die Frage nach dem Handlungsantrieb des menschlichen Verhaltens ins Zentrum. 449 Der wesentliche Kritikpunkt ist dabei das theoretische Konstrukt des homo oeconomicus bzw. die Annahme der Ökonomie, alles menschliche Verhalten sei auf Eigennutz zurückzuführen und selbst altruistische Handlungen seien lediglich eine andere Form der Verfolgung des Eigeninteresses. Nach Etzioni möchte die Sozialökonomie diesen Denkansatz „im Sinne einer deontischen Ethik zurechtrücken, für die es neben dem Eigennutz auch moralische und soziale Wirkkräfte gibt. Diese Ethik legt Argumente und empirisches Material dafür vor, daß die Menschen nicht ausschließlich vom Eigennutz angetrieben werden, sondern wesentlich auch von moralischen Gesichtspunkten.“ 450 Auch wenn Etzioni zwischen dem für die Menschen Angenehmen und moralischen Verpflichtungen nicht notwendigerweise einen Gegensatz sieht, so konstatiert er doch ein konfligierendes Verhältnis in sehr vielen Fällen, das aber gerade durch utilitaristische Theorien aufgehoben wird.451 Nach Etzioni lassen sich moralische Verpflichtungen von Gefühlen des Angenehmen dadurch unterscheiden, dass Erstere durch verinnerlichte Werte konstituiert werden: „Die Menschen betrachten Werte als ihr Eigenes und nicht als äußere Bedingungen, denen sie sich lediglich anpassen.“ 452 Dabei wird der Prozess der Verinnerlichung im Sinne von Kohlberg als Teil der Sozialisierung begriffen. Diesen die menschliche Motivation nicht auf den Eigennutz reduzierenden Prozess der Sozialisierung gilt es nach Etzioni mithilfe eines kommunitaristischen Programmes umzusetzen: „Wir brauchen ein System sozialer Tugenden, einige grundlegende und feststehende Werte, die wir als Gemeinschaft billigen und durchsetzen. Will Amerika in dieser Welt wachsender Konkurrenz seinen Vorsprung halten, dürfen wir nicht betrunken oder high zur Arbeit erscheinen, müssen wir während der Arbeitszeit von Drogen und Alkohol die Finger lassen und für eine anständige Bezahlung anständige Arbeit leisten. Wir müssen klarstellen, daß diskriminierende Äusserungen oder gar Gewalt gegenüber Angehörigen anderer ethnischer Gruppen oder Rassen nicht toleriert werden. Und wir müssen – trotz unterschiedlicher Meinungen über das insgesamt nötige Maß an Umweltschutz (etwa über die Rechte des Fleckenkauzes) allen unsere Mißbilligung zeigen, dir ihr Altöl in die Kanalisation leeren, ihren Müll partout nicht sortieren oder ihren Wagen waschen und ihren Rasen sprengen, obwohl die städtischen Wasservorräte gegen null gehen. Zugleich werden wir über andere, heute fragwürdig gewordene Werte weiterdiskutieren und auch die herrschende Meinung zu ändern suchen, ja rebellieren, wenn wir meinen, durch irgendwelche moralischen Forderungen oder durch den Chor unserer Mitbürger bei diesem Unterfangen zu weit getrieben zu werden.“ 453 Der von Etzioni als dritter Weg bezeichnete Standpunkt führt nicht zu einem unbegrenzt freien Markt, vielmehr gilt es zur Kenntnis zu nehmen, dass der Markt „immer schon im Rahmen eines sozialen Kontextes funktioniert, zu dem ein System sozialer Werte, Gesetze und Ordnungsmechanismen gehören. Es ist Aufgabe der Regierung, diese Strukturen nicht zu beseitigen, sondern sie vielmehr den sich wandelnden Bedingungen, insbesondere der Epoche des Cyberspace, anzupassen.“ 454 449 450 451 452 453 454 68 Vgl. W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 336 A. Etzioni: „Über den Eigennutz hinaus“, in: Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, a.a.O., S. 109 Vgl. a.a.O., S. 110f A.a.O., S. 114 A. Etzioni: Die Entdeckung des Gemeinwesens. Ansprüche, Verantwortlichkeit und das Programm des Kommunitarismus, Übers. von W. F. Müller, Stuttgart 1995, S. 29 A. Etzioni: Der dritte Weg zu einer guten Gesellschaft. Auf der Suche nach der neuen Mitte, Hrsg. von H. U. Nübel und J. Hunke, Hamburg 2001, S. 66 2.7 Der pragmatische Ansatz von Richard T. De George Nach Walther Ch. Zimmerli und Michael S. Aßländer liegt der Schwerpunkt beim pragmatischen Ansatz in der Hochschulbildung und in der Berufspraxis. 455 Insgesamt sind es fünf Punkte, die diesen Ansatz auszeichnen: 456 Es sollen erstens Fälle von unmoralischem Verhalten in der Wirtschaft aufgespürt und analysiert werden, damit die Studierenden Gelegenheit bekommen, sich bereits in der Ausbildung mit ethischen Problemen auseinanderzusetzen. Zweitens sollen gängige Geschäftspraktiken, bei denen berechtigte moralische Einwände bestehen, nach alternativen Verfahrensmöglichkeiten untersucht werden. Drittens soll Klarheit über ethische Vorgaben für die Wirtschaft, beispielsweise in der Frage nach dem gerechten Lohn oder der Begründung des Diskriminierungsverbotes von Randgruppen, gewonnen und ethische Präsuppositionen aufgedeckt werden. Viertens gilt es metaethische Fragen wie zum Beispiel die moralische Verantwortlichkeit einer Unternehmung zu klären, und fünftens sollen aktuelle Einzelprobleme des ökonomischen Handelns analysiert werden, so zum Beispiel die Frage, ob multinationale Unternehmen gegenüber den Entwicklungsländern eine Verpflichtung haben. Nach Richard T. De George ist in den Vereinigten Staaten die einfache Arbeit getan, nämlich die Aufzeichnung der moralischen Probleme, allerdings hat sich die Sache damit nicht erledigt, und zwar deshalb, weil in breiten Wirtschaftskreisen noch nicht erkannt worden ist, dass sich das Mandat der Wirtschaft verändert hat: „The original American mandate to business has changed, as times and conditions have changed. The change in the mandate has been gradual, and it has not been sufficiently articulated. Many business still do not realize there is a new mandate and struggle to maintain their old ways of doing things. They see increasing legislative controls on business not as part of a changing mandate but as a personal affront and attack by antibusiness factions and minorities.“ 457 Aber worin besteht das neue Wirtschaftsmandat? Nach De George müssen sich Unternehmen fortan mit Umweltschutz, Konsumentenschutz, Minimallöhnen, Kinderarbeit, Arbeitsplatzsicherheit, Wohlbefinden der Menschen usw. auseinandersetzen, und zwar unabhängig vom politischen System, das dieses neue Wirtschaftsmandat noch weitgehend unbeachtet lässt. 458 Ob die Unternehmen das neue Wirtschaftsmandat aufgenommen haben, zeigt sich nicht in erster Linie in der Kommunikationspolitik, sondern im unternehmerischen Handeln, wobei bei kleinen Unternehmen, wo die Geschäftsführung identisch ist mit den Eigentumsverhältnissen, die moralische Integrität viel eher gewährleistet ist als bei grossen und komplex strukturierten Organisationen. Bei Letzteren kann die moralische Redlichkeit nur dann erwartet werden, wenn explizit diesbezüglich Massnahmen ergriffen werden und die Unternehmensverantwortlichen sich dezidiert zu ethischen Anliegen bekennen: „A company of any size or complexity is unlikely to act with integrity automatically or reflexively unless some force within it, especially it leaders, commits the company to so acting and articulate and inculcates that commitment.“ 459 2.8 Der sozialethische Ansatz von Oswald von Nell-Breuning und Arthur Rich Zimmerli und Aßländer betonen, dass der sozialethische Ansatz vordringlich aus der katholischen Soziallehre kommt und Oswald von Nell-Breuning ihr herausragendster Vertreter ist. 460 Nach Zimmerli und Aßländer ist sein Werk durch die Bemühungen gekennzeichnet, „einen Ausgleich zwischen individueller Freiheit und sozialer Verantwortung des Menschen zu schaffen.“ 461 Diese Bemühungen hängen mit dem Standpunkt von Oswald von Nell-Breuning zusammen, wonach die gesellschaftliche Wirklichkeit weder eine individualistische noch eine 455 456 457 458 459 460 461 Vgl. W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 338 Vgl. R. T. De George: „The Status of Business Ethics: Past and Future“, in: Unternehmensethik, a.a.O., S. 497f R. T. De George: Business Ethics, 5. Ausgabe, Upper Saddle River 1999, S. 606 Vgl. a.a.O., S. 607 R. T. De George: Competing with Integrity in International Business, New York 1993, S. 188 Vgl. W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 341 A.a.O., S. 341 69 kollektivistische Ausprägung hat, sondern vielmehr aus einer dyadischen Struktur besteht: „Bei der Gesellschaft kommen wir mit Vorgehen von zwei Seiten aus: einerseits von den einzelnen, den Individuen, andererseits vom gesellschaftlichen Ganzen, dem Kollektiv. Nur eine solche ‚Zweiseitigkeitslehre‘ kann der gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht werden. Diese Realistik muß sie erkaufen durch Verzicht auf die großartige Konsequenz der Einseitigkeitslehren; diesen Preis wollen manche nicht zahlen.“ 462 In dieser Gesellschaftstheorie, die an Georg Simmels Theorie der Vergesellschaftung erinnert 463, nimmt der Begriff „Gemeinwohl“ einen zentralen Platz ein. 464 Um die Bedeutung dieses Begriffes zu bestimmen, fragt von Nell-Breuning nicht danach, was ihn an der Wirtschaft interessiert, sondern was diese als solche eigentlich ist. Er kommt zu folgendem Ergebnis: „Das spezifisch Wirtschaftliche, deutlich vom Technologischen Verschiedene, findet sich weder in der Produktion noch in der Distribution noch in der Konsumption, sondern ausschließlich in den Wahlhandlungen der Haushalte, gleichviel ob der Kleinhaushalt der einzelnen oder die Familien oder der Großhaushalt der Anstalten und öffentlichen Gemeinwesen Gemeinde, Staat, inter- und supranationale Institutionen. Worum es geht, ist immer das Gleiche: der ständige, d. h. auf die Dauer gesicherte Einklang von Bedarf und Deckung auf der höchstmöglichen Stufe, wobei das ‚höchstmöglich‘ nicht quantitativ, sondern qualitativ, nicht als Maximum, sondern als kulturelles Optimum verstanden sein will.“ 465 Die Forderung, keine höchstmögliche Quantität, sondern ein beglückendes Gemeinschaftsleben anzustreben, eröffnet die Möglichkeit für die Forderung nach einer weltweiten Solidarität als sittlich-rechtliche Pflicht466, die in der Entwicklungshilfe ihren bedeutsamsten Anwendungsfall sieht 467. Im Weiteren ist es für Oswald von Nell-Breuning von grosser Wichtigkeit, dass Arbeit eine andere Wertung bekommt. Weil deren Sinn letztlich kein anderer ist, als uns selbst und unsere Mitmenschen „zu all dem zu verhelfen, was wir an materiellen und immateriellen Gütern und Dienstleistungen benötigen, um ein menschenwürdiges, sinnerfülltes Leben zu führen“ 468, können wir „durch unsere Arbeit nicht nur mehr Mensch, sondern auch bessere Mitmenschen, bessere Mitchristen werden.“ 469 Das bedeutet: Die Menschen haben ein Recht auf Arbeit 470, und wir müssen uns deshalb fragen: „Wieviel Arbeit brauchen wir? Wieviel Arbeit braucht der einzelne, wieviel Arbeit braucht die Menschheit, einmal um den Lebensunterhalt zu beschaffen, zum anderen um dem Leben einen sinnvollen Gehalt zu geben?“ 471 Arthur Rich bestimmt einen fundamentalen, humanen, sozialen und ökologischen Zweck der Wirtschaft. 472 Der fundamentale Zweck besteht darin, dem Menschen „sein fundamentales Grundbedürfnis zu befriedigen, nämlich zu leben, materiell sicherer zu leben, sich zu mehren und als Individuum wie als Gesellschaft zu entwickeln.“ 473 Und der humane Zweck der Wirtschaft soll den Menschen Raum geben zur Entfaltung ihrer Bestimmung, „gottebenbildliche Person zu sein, nicht ein menschlich verkrüppelter Roboter.“ 474 Anders gesagt: „Der Mensch soll durch die Wirtschaft nicht nur leben, er soll in ihr auch menschlich leben können, das heißt so, daß er im Arbeits- bzw. Erwerbsprozeß den Status einer mitgestaltenden, mitbestimmenden und insofern auch mitverantwortlichen Person einnehmen kann, statt nur Arbeitskraft zu sein, die nach den 462 463 464 465 466 467 468 469 470 471 472 473 474 70 O. von Nell-Breuning: Der Mensch in der heutigen Wirtschaftswelt, München 1975, S. 10 Vgl. G. Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Hrsg. von O. Rammstedt, Frankfurt a. M. 1992, S. 23ff Vgl. O. von Nell-Breuning: Der Mensch in der heutigen Wirtschaftswelt, a.a.O., S. 11 A.a.O., S. 15 Vgl. O. von Nell-Breuning: Worauf es mir ankommt. Zur sozialen Verantwortung, Freiburg i. B. 1983, S. 42 Vgl. a.a.O., S. 46 O. von Nell-Breuning: Den Kapitalismus umbiegen. Schriften zu Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Lesebuch, Hrsg. von F. Hengsbach et al., Düsseldorf 1990, S. 310 A.a.O., S. 310 Vgl. a.a.O., S. 309 A.a.O., S. 311 Vgl. A. Rich: Wirtschaftsethik, Bd. 2: Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Weltwirtschaft aus sozialethischer Sicht, Gütersloh 1990, S. 21-35 A.a.O., S. 22 A.a.O., S. 26 Erfordernissen ökonomischer Effizienz eingesetzt, genutzt und entsprechend bezahlt wird.“ 475 Der soziale Zweck der Wirtschaft soll die Verteilungsgerechtigkeit des zu erwirtschaftenden und des erwirtschafteten Sozialprodukts sicherstellen 476, während der ökologische Zweck der Wirtschaft zur Rücksichtnahme auf die Natur mahnt, „von der wir ebenso abhängen wie sie von uns“ 477. Nach Rich hängen die wirtschaftsethischen Hauptprobleme eng mit drei Grundfragen der Wirtschaftsordnung zusammen; sie lauten: „››Was soll hergestellt werden und in welcher Menge? Wie soll produziert werden? Für wen soll produziert werden?‹‹“ 478 Um diese wirtschaftsethischen Hauptprobleme zu lösen, formuliert Arthur Rich mehrere Maximen, die erste lautet: „Die Marktwirtschaft als ökonomischer Koordinationsmechanismus ist kein ››natürliches‹‹, sondern ein von Menschen gesetztes System, für dessen anthropologischen und sozialen wie ökologischen Auswirkungen in all ihren möglichen Ordnungsgestalten wir selbst die Verantwortung zu tragen haben.“ 479 Das bedeutet, das Marktsystem, das den fundamentalen, humanen, sozialen und ökologischen Zweck der Wirtschaft nicht aus den Augen verliert, bedarf der Regulierung. Mit Arthur Richs Worten: „Sofern die Marktwirtschaft mit ihren Mechanismen auf den Ausgleich zwischen den Eigeninteressen der verschiedenen Wirtschaftssubjekte zum Nutzen des gesellschaftlichen Wohls hintendiert, steht eine derartige Regulierung nicht im Widerspruch zu deren Wesen. Sie unterstützt und ergänzt sie vielmehr, indem sie der Maximierung oder Verabsolutierung der Eigeninteressen institutionelle Grenzen setzt und so der Bildung von Marktmacht mit ihren privaten, marktfeindlichen Interventionsmöglichkeiten im Wettbewerbsgeschehen entgegenwirkt.“ 480 2.9 Der neoaristotelische Ansatz von Peter Koslowski und Günther Bien Nach Peter Koslowski gibt es für den homo oeconomicus nur zwei Grenzen, nämlich die Grenze seines Budgets bzw. seiner Ressourcen sowie die Schwelle, an der ein weiterer Konsum sich in einen Nichtnutzen verwandelt. 481 Aber wirtschaftliches Handeln muss sich – wie jeder andere Bereich des menschlichen Handelns – nach dem guten und moralisch richtigen Leben richten, das heisst: „Es gibt keinen Grund, warum die ethische Idee des richtigen Lebens und der Vollgestalt des Menschen nur außerhalb des Bereichs der Wirtschaft gelten und in der Wirtschaft auf bloß formelle, ökonomische Rationalität und Vernunft eingeschränkt werden sollte.“ 482 Koslowski rekurriert auf die aristotelische praktische Philosophie und will aufzeigen, dass Ökonomie, Ethik und Politik sich zueinander komplementär verhalten und deshalb „ökonomische, ethische und politische Theorie zu einer Synthese gebracht werden müssen.“ 483 Dazu unterscheidet er zwischen der Ethischen Ökonomie und der Politischen Ökonomie. 484 Letztere versucht das staatliche Rahmenwerk der Marktwirtschaft und die rechtlichen und staatlichen Voraussetzungen für die Marktwirtschaft zu verstehen, während es zur Aufgabe der Ethischen Ökonomie gehört, das Marktgeschehen mit Blick auf moralische Anliegen und kulturelle Aspekte und Sitten zu regulieren. Koslowski erkennt zwar die Vorteile der Ausdifferenzierung von Disziplinen, sieht aber vor allem die Gefahr, „daß Synergien, die bereits schon einmal realisiert waren, durch die Trennung in Disziplinen wieder verloren gehen, weil die ausdifferenzierten 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 A.a.O., S. 27 Vgl. a.a.O., S. 31 A.a.O., S. 35 A.a.O., S. 132 A.a.O., S. 338 A.a.O., S. 339 Vgl. P. Koslowski: „Der homo oeconomicus und die Wirtschaftsethik“, in: Neuere Entwicklungen in der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie, a.a.O., S. 77 A.a.O., S. 75 P. Koslowski: „Wirtschaftsethik - ein neues Paradigma der Wirtschaftswissenschaft und der Philosophie?“, in: Neuere Entwicklungen in der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie, a.a.O., S. 12 Vgl. a.a.O., S. 11 71 Disziplinen sich gar nicht mehr daran erinnern, daß es sehr fruchtbare Synergien zwischen ihnen bereits einmal gegeben hat.“ 485 In diesem Sinne erweitern die Ethische Ökonomie und die Politische Ökonomie „die ökonomische Theorie der Marktwirtschaft zu einer umfassenden Theorie der sozialen Marktwirtschaft, in welcher ethische und politische bzw. sozialpolitische Rahmenbedingungen zur Darstellung gebracht werden.“ 486 Koslowski ist zuversichtlich, „daß das Zeitalter des homo oeconomicus und der modernen Ausdifferenzierung der Wirtschaft aus der Gesamtkultur einer Gesellschaft zu Ende geht und wir auf einen postmodernen Typus von Wirtschaft zugehen, der Wirtschaft selbst als Kultur begreift.“ 487 Damit in der postmodernen Wirtschaft nebst der ökonomischen auch die moralische, ästhetische und ökologische Rationalität zur Entfaltung gebracht werden kann, kommt der Handlungsbewertung eine zentrale Bedeutung zu. Für das Bewertungskriterium schlägt Koslowski das probalistische Prinzip der Handlung mit Nebenwirkungen vor. Nach diesem Prinzip ist eine Handlung dann gut, wenn erstens „der Zweck gut und aufrichtig ist, d.h. der Handelnde nicht die schlechte Wirkung tendiert“ 488, wenn zweitens „der Handlungstypus an sich gut und erlaubt ist“ 489, wenn drittens „die schlechten Nebenwirkungen ebenso unmittelbar vom Handelnden bewirkt werden wie die gute Wirkung, d.h. sie nicht als Mittel zur guten Wirkung intendiert werden“ 490 und wenn viertens „ein hinreichend schwerwiegender Grund (ratio proportionate gravis) vorliegt, die Handlung durchzuführen bzw. der Handelnde nicht durch andere Verpflichtungen gehalten ist, ganz auf sie zu verzichten.“ 491 Die Aktualität von Aristoteles sieht Günther Bien in Aristoteles′ Theorie der menschlichen Praxis und Daseinsorientierung. 492 Die von Aristoteles her gesehen entscheidende ökonomische Diskussion ist also eine Lebensformdiskussion, in der sich die Frage nach dem Verhältnis von materiellem Reichtum als Zweck und Mittel für eine sinnvolle Lebensführung stellt. Mit den Worten von Bien: „Welche Art von Leben und Lebensform sollen wir wollen – einen bios politikos oder einen bios chrematistikos, ein Leben in freier Selbstbestimmung mit dem Zweck einer Realisierung humaner Glücksbedingungen oder eine auf die Produktion und Vermehrung von Gütern allein um ihrer selbst willen abzielende Arbeitsexistenz?“ 493 Eine mögliche aristotelische Antwort bleibt uns Günther Bien leider schuldig. 2.10 Der stakeholder-orientierte Ansatz von Elisabeth Göbel und Joseph W. Weiss Walther Ch. Zimmerli und Michael S. Aßländer weisen darauf hin, dass Unternehmen auf die Verständigung mit ihren Interessengruppen bzw. Stakeholdern angewiesen sind, wenn sie – langfristig gesehen – erfolgreich sein wollen. 494 Nach Matthias Karmasin und Michael Litschka ist das Konzept des Stakeholder-Managements eine gute Möglichkeit, „die dialogische Verantwortung von Unternehmen, eben als öffentlich exponierte Institutionen, wahrzunehmen, ohne die Unternehmensstrategie aus den Augen zu verlieren.“ 495 Die Frage, welche 485 486 487 488 489 490 491 492 493 494 495 72 P. Koslowski: „Wirtschaftsethik - Wo ist die Philosophie?“, in: Wirtschaftsethik - Wo ist die Philosophie?, a.a.O., S. 15f P. Koslowski: „Wirtschaftsethik - ein neues Paradigma der Wirtschaftswissenschaft und der Philosophie?“, in: Neuere Entwicklungen in der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie, a.a.O., S. 11 P. Koslowski: „Der homo oeconomicus und die Wirtschaftsethik“, in: Neuere Entwicklungen in der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie, a.a.O., S. 78 P. Koslowski: „Nebenwirkungen (Externalitäten) als Problem der Wirtschaftsethik und Ökonomik,“, in: Wirtschaftswissenschaft und Ethik, Hrsg. von H. Hesse, Berlin 1988, S. 274 A.a.O., S. 274 A.a.O., S. 274 A.a.O., S. 274 Vgl. G. Bien: „Die aktuelle Bedeutung der ökonomischen Theorie des Aristoteles“, in: Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns, Hrsg. von B. Biervert et al., 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1992, S. 60 A.a.O., S. 61 Vgl. W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 347 M. Karmasin und M. Litschka: Wirtschaftsethik – Theorien, Strategien, Trends, Münster und Wien 2008, S. 143 Interessengruppen sich zu den Stakeholdern zählen dürfen, ist allerdings keineswegs geklärt. 496 In Anlehnung an Peter Ulrich schlägt Elisabeth Göbel vor, nur jene Personen oder Gruppen als Stakeholder zu akzeptieren, die die eigenen Interessen argumentativ begründen und bei denen die Legitimität der Anliegen wenigstens ansatzweise erkennbar ist. 497 Um die Interessen zwischen den Stakeholdern und den Unternehmen zu harmonisieren, ist es grundlegend, die Idee der Profitmaximierung durch ethische Werte wie Gerechtigkeit, Fairness, Solidarität und Mitspracherecht zu beschränken. Nach Göbel führen aber gerade ökonomische Konfliktfälle, also wenn die Berücksichtigung moralischer Interessen betriebswirtschaftliche Einbussen bewirken, zu den grössten Spannungen zwischen den legitimen Stakeholderanliegen. 498 Was beispielsweise Umweltverbände als richtig und wichtig einschätzen, betrachten Aktionäre in vielen Fällen als unvereinbar mit ihren eigenen Interessen. Nach Eric D. Beinhocker sollte trotzdem nicht zwischen Shareholder und Stakeholder unterschieden werden. 499 Denn seiner Ansicht nach wissen die Aktionäre ziemlich genau, dass sie ihre eigenen Interessen nur unter der Berücksichtigung wichtiger Stakeholderanliegen, zum Beispiel der Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse, wahrnehmen können, während auf der anderen Seite diese Stakeholder über genügend grosse Kenntnisse verfügen, dass Kapitalgeber nicht ohne Rendite mittel- und langfristig in das Unternehmen investieren. Das heisst also, die Shareholder-Value-Maximierung umfasst die Interessen der Stakeholder, das eigentliche Problem sieht Beinhocker hingegen darin, dass die Operationalisierung des Shareholder-Value durch die Managements dahingehend verlaufen ist, „dass sie sich nur noch für die kurzfristige Aktienkursentwicklung und die Quartalsergebnisse interessierten.“ 500 Nach Beinhocker ist sowohl evolutionstheoretisch wie auch aus der praktischen Perspektive gesehen die Zahlung einer Rendite eine Randbedingung, aber kein Ziel. 501 Für Joseph W. Weiss ist der Stakeholderansatz die Antwort auf die zunehmend grössere Schwierigkeit, das moderne Unternehmen und dessen Einfluss auf die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft verstehen zu können. 502 Weiss definiert den Stakeholder-orientierten Ansatz wie folgt: „The stakeholder approach provides a framework that enables users to map and, ideally, manage the corporation’s relationship (present and potential) with groups to reach ‘winwin’ collaborative outcomes. Here, ‘win-win’ means making moral decisions that benefit all constituencies within the constraints of justice, fairness, and economic interests.“ 503 Weiss fügt dem allerdings hinzu, dass es auch ökonomische Transaktionen gibt, die einem Nullsummenspiel gleichen, es also Gewinner und Verlierer gibt und die angestrebten Win-Win-Situationen demnach keineswegs immer erreicht werden können. 504 Im Weiteren möchte Weiss den Stakeholderansatz nicht als eine Reparaturethik auffassen, sondern als ein Planungsinstrument sowohl für grosse Unternehmen wie auch für einzelne Unternehmensabteilungen sehen, mit dem allgemein gewünschte Situationen im Vorneherein ausgelotet werden können. 505 Der stakeholder-orientierte Ansatz als ein Planungsinstrument der Unternehmensführung ist nach Zimmerli und Aßländer gegenüber ethischen Überlegungen inhaltlicher Art neutral und von daher für unterschiedlichste ethische Ansätze offen. 506 Er ist in diesem Sinne vor allem ein „analytisches Gerüst, das es erlaubt, die spezifischen Interessen der einzelnen Betroffenen zu identifizieren.“ 507 Die Frage, ob 496 497 498 499 500 501 502 503 504 505 506 507 Vgl. E. Göbel: „Stakeholder-Management: Ein Beitrag zum ethischen Management“, in: Ethisches Management. Grundlagen eines wert(e)orientierten Führungskräfte-Kodex, Hrsg. von A. Brink und V. A. Tiberius, Bern 2005, S. 95f Vgl. a.a.O., S. 96 Vgl. E. Göbel: Unternehmensethik. Grundlagen und praktische Umsetzung, Stuttgart 2006, S. 147 Vgl. E. D. Beinhocker: Die Entstehung des Wohlstands. Wie Evolution die Wirtschaft antreibt, Übers. von N. Bertheau, Landsberg am Lech 2007, S. 430 A.a.O., S. 432 Vgl. a.a.O., S. 431 Vgl. J. W. Weiss: Business Ethics. A Stakeholder and Issues Management Approach, 3. Ausgabe, Mason und Ohio 2003, S. 29 A.a.O., S. 33 Vgl. a.a.O., S. 33 Vgl. a.a.O., S. 33 Vgl. W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 348 A.a.O., S. 348 73 der stakeholder-orientierte Ansatz überhaupt ein wirtschaftsethischer Ansatz ist oder ob es sich nicht eher um ein strategisches Führungsinstrument, letztlich im Interesse der Aktionäre, handelt, scheint angesichts dieser Ausführungen nicht unberechtigt. Wenn man auf den Beitrag von Frank Figge abstellt und den Stakeholderwert mit der Frage verbindet: „Welcher Wert entsteht durch die Stakeholderbeziehung für das Unternehmen?“ 508, dann muss diese Frage wohl mit „Ja“ beantwortet werden. Für Elisabeth Göbel hängt die grosse Bedenklichkeit gegenüber der Harmonisierung von Gewinn und Moral mit dem Erbe der kantischen Ethik zusammen. 509 Sie nimmt den Standpunkt ein, dass eine Vermittlung zwischen ökonomischen und moralischen Interessen nicht unmoralisch sei, es jedoch auf die Priorität des Guten gegenüber dem Profitablen ankomme. 510 2.11 Der neokantische Ansatz von Norman E. Bowie und Paul J. Borowski Das Konzept von Norman E. Bowie basiert auf einem strikt kantischen Ansatz. Das heisst: Unmoralisches Verhalten ist gegen die Vernunft gerichtet, basiert auf nicht verallgemeinerbaren Maximen und gelingt ohnehin nur so lange, wie die anderen ihre moralischen Überzeugungen trotzdem aufrechterhalten. 511 Bowie benützt die erste Formulierung des Kategorischen Imperativs 512 „to show, that whenever someone, including someone in business, agrees to follow the rules for cooperative behavior and then violates those rules for personal gain, such a violation is morally wrong. A maxim that permitted universal violation of the rules is self-defeating. A universally violated rule is note a rule.“ 513 In Anlehnung an die zweite Formulierung des Kategorischen Imperativs – „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ 514 – fordert Bowie im Weiteren, dass die Menschen nie bloss als Mittel zum Zweck, sondern immer zugleich als Selbstzweck zu behandeln sind. 515 Für Bowie folgen daraus vier Konsequenzen: Obschon die Produktionsfaktoren in der Ökonomie substituierbar sind, ist erstens aus der moralischen Perspektive gesehen Arbeit und Kapital nicht äquivalent: „Human employees have a dignity that machines and capital do not have.“ 516 Zweitens ist es moralisch falsch, Menschen den freien Willen zu nehmen, sie also zu nötigen, zu täuschen oder zu betrügen. 517 Bowie wirft die interessante Frage auf, ob sehr hohe Saläre die Freiheit der Menschen einschränken und das Prinzip der Menschwürde verletzen, macht aber sogleich deutlich, dass die Sache komplizierter sei, als sie auf den ersten Blick scheine. Wenn die Anstellungsverträge auf vollständigen Informationen basieren und freiwillig zustande kommen, dann verstossen selbst exorbitante Saläre nicht gegen die menschliche Freiheit. 518 Weil die Verhinderung von Zwang und Täuschung nicht hinreichend sind für respektvolle Mitarbeiterbeziehungen, verbindet Bowie drittens den Kategorischen Imperativ mit einer sinnvollen Beschäftigung der Mitarbeiter. Eine sinnvolle Beschäftigung muss frei angenommen sein, erlaubt die Hochhaltung von Autonomie, fördert den Gebrauch der Vernunft, garantiert ein gesichertes Einkommen, leistet einen Beitrag zur moralischen Entwicklung der Mitarbeiter und schreibt keinen bestimmten Lebensentwurf vor. 519 Weil die Menschen ohne Beschäftigung nicht glücklich leben 508 509 510 511 512 513 514 515 516 517 518 519 74 F. Figge: „Stakeholder und Shareholder Value“, in: Ethik im Management. Ethik und Erfolg verbünden sich, Hrsg. von H. Ruh und K. M. Leisinger, Zürich 2004, S. 258 Vgl. E. Göbel: „Stakeholder-Management“, in: Ethisches Management, a.a.O., S. 116 Vgl. a.a.O., S. 117 Vgl. N. E. Bowie: Business Ethics. A Kantian Perspective, Malden und Oxford 1999, S. 14 Vgl. I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Hrsg. von T. Valentiner, Stuttgart 1984, S. 68 [S. 421] N. E. Bowie: Business Ethics, a.a.O., S. 17f I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 79 [S. 428/429] Vgl. N. E. Bowie: Business Ethics, a.a.O., S. 43 A.a.O., S. 43 Vgl. a.a.O., S. 48f Vgl. a.a.O., S. 49 Vgl. N. E. Bowie: „A Kantian Theory of Meaningful Work“, in: Journal of Business Ethics, Bd. 17, Heft 9-10 (1998), S. 1083 können, verdient viertens die Arbeit einen Eigenwert und darf nicht bloss als Mittel für die Generierung von Einkommen betrachtet werden. 520 Nach Bowie haben sich nun nicht nur die Individuen, sondern ebenso die Unternehmen dem Kategorischen Imperativ zu unterwerfen. Er verwendet die dritte Formulierung, um die Frage zu beantworten: „But how should such a firm be organized and by what rules and principles? In other words, what would the business firm as a Kantian moral community look like?“ 521 Bowie beantwortet diese Frage mit folgenden sieben Prinzipien: 522 Erstens berücksichtigt das Unternehmen alle Interessen der betroffenen Stakeholders in allen unternehmerischen Entscheidungen. Zweitens sollen die Betroffenen an der Festlegung der Unternehmensstrategie beteiligt werden. Drittens darf bei dieser Mitsprache nicht einzelnen Stakeholdern, zum Beispiel den Aktionären, der Vorzug gegeben werden. Viertens dürfen in Fällen von Konflikten zwischen verschiedenen Stakeholdergruppen Entscheidungen nicht aufgrund der Stärke der jeweiligen Stakeholdergruppe getroffen werden. Fünftes darf die Unternehmensstrategie keine Ziele beinhalten, die gegen den Kategorischen Imperativ und gegen die Menschenwürde verstossen. Sechstens hat jedes gewinnorientierte Unternehmen eine Pflicht zur Wohltätigkeit. Siebtens gilt es entsprechende Regeln aufzustellen, damit die erwähnten ethischen Prinzipien im Sinne von gerechten Beziehungen unter den Stakeholdergruppen im Unternehmen umgesetzt werden können. Letzteres impliziert, dass die Unternehmen auch aus der ethischen Perspektive durchaus in den Stand gesetzt sind, unberechtigten bzw. dem Kategorischen Imperativ widersprechenden Interessen von einzelnen Stakeholdern eine Absage zu erteilen. 523 Aber wie gelingt es Bowie, mit Kants Ethik die Wirtschaftsakteure für moralische Anliegen zu motivieren? Grundsätzlich sieht Norman E. Bowie zwischen moralischem Handeln und dem Streben nach Profit keinen Widerspruch, vielmehr übersieht diese Frage „the fact that for most managers making a profit is a moral obligation rather than a prudential one.“ 524 Bowie fordert in diesem Sinne eine etwas pragmatischere Interpretation von Kants Vernunftethik: „Ironically, it is often the public that is more Kantian than Kant with respect to the purity of motivation.“ 525 Für Paul J. Borowski liefert Kants Kategorischer Imperativ wichtige Hinweise für die Beziehung zwischen dem Management und den Mitarbeitern, vor allem aber trifft Kant – so Borowski – mit seinem Moralprinzip den Kern der Sache, nämlich: „in order for business to be morally acceptable, all parties must be treated with mutual respect because we as people deserve it.“ 526 Die gegenseitig respektvolle Behandlung ist nach Borowski umso wichtiger, als in unserer Zeit praktisch sämtliche Aspekte des Lebens durch eine ungeheure technologische Entwicklung geprägt sind, welche die Tendenz mit sich führen, einander nur noch als programmierte BusinessInstrumente zu sehen. 527 Damit Menschen jedoch nicht als Computer oder Roboter behandelt werden, muss im Management, aber auch in der Kirche oder in der Universität, stets in den Blick genommen werden, dass hinter sämtlichen Handlungen und Beziehungen letztlich Menschen stehen, die kraft ihrer Vernunft imstande sind, ihren eigenen Lebensentwurf zu wählen und zu gestalten. Aber lässt sich dies in der Geschäftswelt angesichts der Tatsache, dass in allererster Linie der Gewinn und nicht die Menschen im Zentrum stehen, überhaupt realisieren? Dazu Paul J. Borowski: „Finally, there is nothing in a ‘moral correct’ relationship between managers and employees that goes against the company’s desire to make a profit – on the contrary, such a peaceable relationship can help to meet this desire.“ 528 520 521 522 523 524 525 526 527 528 Vgl. N. E. Bowie: Business Ethics, a.a.O., S. 67f A.a.O., S. 87 Vgl. a.a.O., S. 90f Vgl. N. E. Bowie und T. W. Dunfee: „Confronting Morality in Markets“, in: Journal of Business Ethics, Bd. 38, Heft 4 (2002), S. 388 N. E. Bowie: Business Ethics, a.a.O., S. 142 A.a.O., S. 146 P. J. Borowski: „Manager-Employee Relationships: Guided by Kant’s Categorical Imperative or by Dilbert’s Business Principle“, in: Journal of Business Ethics, Bd. 17, Heft 15 (1998), S. 1627 Vgl. a.a.O., S. 1627 A.a.O., S. 1631 75 2.12 Der kontraktualistische Ansatz von Thomas Donaldson/Thomas W. Dunfee Dunfee und Donaldson gehen davon aus, dass in den Vereinigten Staaten und in den meisten anderen entwickelten Staaten Gesellschaftsverträge, die allem ökonomischen Handeln zugrunde liegen, existieren, und zwar empirisch gesehen. 529 Ausgehend von dieser Annahme entwickeln die Autoren eine die menschliche Autonomie ins Zentrum stellende kontraktualistische Theorie der Wirtschafts- und Unternehmensethik, die Integrative Social Contracts Theory (ISCT) 530. In diesem Gesellschaftsvertrag unterscheiden Donaldson und Dunfee zwei Vertragsebenen, den macrosocial contract und den microsocial contract. 531 Während Ersterer die hypothetischen Übereinkünfte der Mitglieder zum Gegenstand nimmt, zum Beispiel die beiden Gerechtigkeitsgrundsätze von John Rawls oder die Annahme der Bürger, dass die Regierung ihre Rechte respektiert und schützt, geht es beim microsocial contract um die tatsächlichen Übereinkünfte innerhalb der Gesellschaft, und zwar ausgedrückt durch das unternehmerische Handeln. Dadurch, dass ISCT die im unternehmerischen Handeln zum Ausdruck gebrachten Normen und Werte – als Ergänzung zum hypothetischen Gesellschaftsvertrag – einbezieht, wollen sich die Autoren gegenüber den tradierten kontraktualistischen Theorien in positiver Weise abgrenzen. 532 Donaldson und Dunfee nennen vier Regeln, die das Verhältnis der beiden Ebenen zueinander bestimmen: 533 Erstens verfügen lokale Wirtschaftsgemeinschaften, beispielsweise Unternehmen, Organisationen oder Institute, über freien Raum, um ethische Regeln für ihre Mitglieder etablieren zu können. Zweitens basiert das Zustandekommen der ethischen Regeln auf einem Konsens, und zwar verbunden mit dem Recht der Mitglieder dieser lokalen Wirtschaftsgemeinschaften, aus der Gemeinschaft austreten zu können. Damit diese ethischen Regeln eine Verpflichtung zu konstituieren vermögen, müssen sie drittens mit sogenannten Supernormen verträglich sein. Bei Letzteren handelt es sich nicht um theoretisch abgeleitete Regeln, sondern um faktische, weltweite Anerkennung geniessende Kernprinzipien wie sie beispielsweise in der Menschenrechtscharta formuliert sind. Im Falle von Konflikten zwischen verschiedenen Normen auf der mikrosozialen Ebene haben viertens jene ethischen Regeln Vorrang, die im Einklang stehen mit dem Makrovertrag. Mithilfe dieser vier Grundregeln lassen sich ökonomische Institutionen beinahe beliebig mit ethischen Regeln ausgestalten, solange sie nicht gegen den macrosocial contract und gegen sogenannte hypernorms verstossen. Mit anderen Worten: Die kontraktualistische Theorie von Donaldson und Dunfee liefert die Grundlage für die Etablierung eines Normengerüstes, das die kulturellen und religiösen Besonderheiten von Gesellschaften zu berücksichtigen vermag, ohne deswegen die weltweit gültigen ethischen Standards zu vernachlässigen. In diesem Sinne betonen die Autoren denn auch die Pluralität ihres Ansatzes, der – so Donaldson und Dunfee – bei der kantischen oder utilitaristischen Ethik nicht gegeben sei 534, weisen hingegen einen möglichen Vorwurf des Relativismus entschieden zurück. 535 2.13 Der Ansatz von Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship Für Bernhard Ungericht et al. macht es Sinn, das Konzept von Corporate Social Responsibility (CSR) als einen politischen Diskurs zu betrachten, der „eine grundlegende Änderung bislang gültiger Machtarrangements zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“ 536 markiert. Das heisst: 529 530 531 532 533 534 535 536 76 Vgl. T. W. Dunfee und T. Donaldson: „Contractarian Business Ethics: Current Status and Next Steps“, in: Business Ethics Quarterly, Bd. 5, Heft 2 (1995), S. 181 Vgl. T. Donaldson und T. Dunfee: Ties that Bind. A Social Contracts Approach to Business Ethics, Boston 1999, S. 19 Vgl. a.a.O., S. 19 Vgl. a.a.O., S. 20 Vgl. a.a.O., S. 41-46 Vgl. T. W. Dunfee und T. Donaldson: „Contractarian Business Ethics: Current Status and Next Steps“, in: Business Ethics Quarterly, Bd. 5, Heft 2 (1995), S. 176 Vgl. T. Donaldson und T. Dunfee: Ties that Bind, a.a.O., S. 22ff Vgl. B. Ungericht et al.: Corporate Social Responsibility oder gesellschaftliche Unternehmensverantwortung? Kritische Reflexionen, empirische Befunde und politische Empfehlungen, Berlin und Wien 2008, S. 69 „Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern verpflichtende Regeln, um einen Schutz für die Schwächeren zu garantieren und argumentieren, dass damit auch Unternehmen unterstützt werden, welche in ihrer Unternehmenspolitik neben den ökonomischen auch sozialen und ökologischen Kriterien folgen.“ 537 Thomas Beschorner und Matthias Schmitt geben zu bedenken, dass für Managementkonzepte dann gute Möglichkeiten für deren Übernahme in die Praxis bestehen, wenn sie begrifflich anschlussfähig sind und – vor allem – mit Anglizismen verpackt werden. 538 Nach den Autoren verhält es sich mit Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship (CC) nicht anders: „Von Unternehmensethik wollte die Praxis lange nichts wissen. Der Begriff erscheint sperrig, im hinteren Teil des Wortes moralisierend. CSR und CC hingegen, darauf weisen verschiedene Faktoren eindeutig hin, erhalten in zunehmendem Maße Einzug in die unternehmerische Praxis.“ 539 Aber was bedeuten CSR und CC inhaltlich gesehen? Wie unterscheiden sie sich von anderen wirtschaftsethischen Ansätzen? Beschorner und Schmitt betonen, dass die englischen Termini zwar zum Erfolg von Konzepten beitragen, mit dem Preis allerdings, dass von einem wahren Begriffs-Wirrwarr gesprochen werden muss. 540 Diese Einsicht wird von anderen Autoren wie Anna Glombitza 541, Karin Fuchs-Gamböck 542 oder Ulf Schrader bestätigt. Letzterer weist darauf hin, dass im deutschsprachigen Raum Corporate Sozial Responsibility dem Konzept Corporate Citizenship manchmal übergeordnet sei, die Begriffe jedoch häufig synonym verwendet würden und darüber hinaus – so Schrader – viele Autoren davon ausgingen, dass Corporate Citizenship zunehmend das Konzept von Corporate Social Responsibility, das auch unter den Namen von Corporate Sustainability oder Sustainable Management auftaucht, verdränge. 543 Auch im Handbuch Corporate Citizenship. Corporate Social Responsibility für Manager erfolgt keine strenge Trennung zwischen CSR und CC, dem Untertitel nach wird vielmehr die Übernahme von Verantwortung darin gesehen, dass Unternehmen sich wie gute Bürger verhalten. Die Autoren André Habisch, Martin Wildner und Franz Wenzel betonen, dass sich Corporate Citizenship bzw. Social Corporate Responsibility vom Mäzenatentum unterscheide und durch vier wesentliche Merkmale charakterisiert sei: 544 Erstens übernehmen Unternehmen Projekte zur Lösung oder Linderung relevanter gesellschaftlicher Probleme, zweitens geschieht dies gemeinsam mit externen Partnern, zum Beispiel mit Bildungs-, Kultur- oder Sozialeinrichtungen, drittens werden dazu nicht nur Finanzmittel, sondern zugleich weitere betriebliche Ressourcen wie Mitarbeiterengagement, Informationen, Netzwerke usf. auf unterschiedlichste Weise bereit gestellt und viertens geht es bei diesen Projekten darum, nebst dem gesellschaftlichen Nutzen auch einen wesentlichen Nutzen für das Unternehmen zu erzielen. Ulf Schrader unterscheidet hinsichtlich Corporate Citizenship zwei Grundformen von unternehmerischen Aktivitäten, nämlich Corporate Giving und Corporate Volunteering. 545 Mit Corporate Giving werden Spenden- und Sponsoraktivitäten von Unternehmen bezeichnet 546, während Corporate Volunteering „alle Formen des bürgerschaftlichen Engagements von Mitarbeitern, die von einem Unternehmen gefördert oder gefordert werden“ 547, umfasst. Dies können beispielsweise die Einrichtung einer innerbetrieblichen Informationsstelle für bürgerliches Engagement, die Überlassung des Arbeitsplatzes für ehrenamtliche Tätigkeiten, Freistellungen der 537 538 539 540 541 542 543 544 545 546 547 A.a.O., S. 70 Vgl. T. Beschorner und M. Schmitt: „Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship - zur Einführung“, in: Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship, Hrsg. von M. Schmidt und T. Beschorner, 2. Auflage, München und Mering 2008, S. 9 A.a.O., a.a.O., S. 9 Vgl. A.a.O., S. 10 Vgl. A. Glombitza: Corporate Social Responsibility in der Unternehmenskommunikation, Berlin und München 2005, S. 25 Vgl. K. Fuchs-Gamböck: Corporate Social Responsibility im Mittelstand. Wie Ihr Unternehmen durch gesellschaftliches Engagement gewinnt, Heidelberg, München, Landsberg und Berlin 2006, S. 12 Vgl. U. Schrader: Corporate Citizenship. Die Unternehmung als guter Bürger?, Berlin 2003, S. 64f Vgl. A. Habisch et al.: „Corporate Citizenship (CC) als Bestandteil der Unternehmensstrategie“, in: Handbuch Corporate Citizenship, Hrsg. von A. Habisch et al., Heidelberg 2008, S. 8 Vgl. U. Schrader: Corporate Citizenship, a.a.O., S. 41 Vgl. a.a.O., S. 41 A.a.O., S. 45 77 Arbeitnehmer für bürgerschaftliches Engagement usw. sein. Daniel Dietzfelbinger betrachtet Corporate Citizenship als ein Dachleitbild, „das sich auf unterschiedliche Säulen stützt. Neben der für ein Unternehmen grundlegenden Säule der ökonomischen Ausrichtung stehen die Säulen der Sozial- und Umweltverantwortung, Stichworte, die aus der Diskussion und Nachhaltigkeit bekannt sind und die im Corporate Citizen-Konzept ihre Konkretion auf Unternehmensebene erfahren.“ 548 Angesichts der Tatsache, dass unmoralisches Handeln seitens der Unternehmen ökonomisch durchaus erfolgreich sein kann – nach Guido Palazzo gibt es eine Parallelwelt: „Und in dieser Parallelwelt sind die Bösen erfolgreich und die Guten erfolglos.“ 549 – ist die Gefahr beträchtlich, dass Unternehmen CSR bzw. CC-Konzepte als blosse Marketinginstrumente einsetzen bzw. missbrauchen. Das bestätigen Jean-Pascal Gond, Guido Palazzo und Kunal Basu, die vom Ausmass, wie „CSR for Profit“ sowohl in der Praxis wie auch in der Hochschullandschaft in jüngster Zeit missbraucht wird, überrascht sind. 550 Die Autoren vergleichen den instrumentellen CSR-Ansatz mit den Methoden der Mafia und kommen zum Schluss, dass Letztere in mehrfacher Hinsicht als einen wahren CSR-Champion aufgefasst werden kann 551. Dass den Ansätzen von Corporate Citizenship bzw. Corporate Social Responsibility, die als Bestandteil der Unternehmensstrategie festgelegt werden und dadurch kaum Möglichkeiten haben, gerade diese aus ethischer Sicht kritisch zu hinterfragen, nicht selten auch von der Marktseite her gewisse Grenzen gesetzt sind, zeigt Andreas Deckmann anhand des Geschäftsmodells einer Billigfluglinie (LCC). Deckmann stellt fest, „dass das Geschäftsmodell der LCC im Prinzip keine Spielräume für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung im Sinne eines lebensdienlichen, zukunftsorientierten Strebens lässt. Die Deutung gesellschaftlicher Verantwortung durch die Billigflieger beschränkt sich bisher einzig auf die Umsetzung der ordnungspolitischen Rahmenvorgaben. (…) Da das Geschäftsmodell der Billigflieger und auch das aktuelle Nachfrageverhalten der Verbraucher offenbar keinen geeigneten Platz für unternehmensethische Überlegungen bieten, wird der Impuls zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung im Marktsegment der LCC kaum aus den Unternehmen selbst kommen.“ 552 Es ist Deckmann zuzustimmen, dass unter diesem Aspekt die Diskussion um CSR bzw. CC ins Leere zu laufen droht – ausser man ist bereit, CSR neu auszurichten, nämlich als Consumer Social Responsibility. 553 2.14 Wirtschaftsethische Ansätze lanciert durch Politik, Wirtschaft und NGO Mittlerweile konnten sich einige wirtschaftsethische Ansätze etablieren, die vor allem durch die Politik, Wirtschaft und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) lanciert wurden. Allen voran ist der vom ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan im Jahre 1999 anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels in Davos ins Leben gerufene Global Compact zu nennen. 554 Nach Christoph A. Weber-Berg ist diese Idee „vor dem Hintergrund der Tatsache zu verstehen, dass im Kontext der Globalisierung die Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft nicht mehr einfach als Aufgabe der Staaten angesehen werden kann.“ 555 Der Global Compact umfasst zehn Prinzipen 548 549 550 551 552 553 554 555 78 D. Dietzfelbinger: Aller Anfang ist leicht. Unternehmens- und Wirtschaftsethik für die Praxis, 4. Auflage, München 2004, S. 170 G. Palazzo: „Gutes Gewissen schlechtes Geschäft. Warum sich Wirtschaftsethik nicht unbedingt lohnt?“, changeX, Berlin 2006, S. 2 [www.changeX.de~, Veröffentlicht: 21.02.2006, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. J.-P. Gond et al.: „Reconsidering Instrumental Corporate Social Responsibility through the Mafia Metaphor“, in: Business Ethics Quarterly, Bd. 19, Heft 1 (2009), S. 66 Vgl. a.a.O., S. 68 A. Deckmann: „Zur Verantwortung von Billigfliegern, oder CSR: Aus Corporate Social Responsibility wird Consumer Social Responsibility“, in: Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship, a.a.O., S. 83f Vgl. a.a.O., S. 85 Vgl. P.-M. Hildebrandt: „Global Compact“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 13, Heft 2 (2005), S. 56 Ch. A. Weber-Berg: Mehrwert Ethik, a.a.O., S. 108 mit den Kategorien Menschenrecht, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. 556 Die Teilnahme ist dabei denkbar einfach. Mit einem Brief an den UN-Sekretär kann ein Unternehmen seinen Willen bekräftigen, bestimmte soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten und jährlich über diese Bemühungen Bericht zu erstatten. 557 Weitere Anforderungen an die Grösse, Rechtsform oder Branche eines Unternehmens bestehen nicht. Im Jahre 2005 hatten sich weltweit mehr als 2000 Unternehmen für den CG entschieden. 558 Die amerikanische NGO Social Accountability International (SAI) hat die Norm Social Accountability 8000 (SA 8000) entwickelt. 559 Der im Jahre 1997 entwickelte Standard, der die bereits vorhandenen Management-Systeme ISO 9000 und 14000 ergänzt, bezieht sich auf die Einhaltung von Menschenrechten bei Arbeitsbedingungen sowie beim Umgang mit Mitarbeitern. 560 Dazu gehören das Verbot von Disziplinierungs- und Diskriminierungsmassnahmen, das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, die Einhaltung von Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen, das Recht der Mitarbeiter auf Vereinigungsfreiheit, die Festlegung einer maximalen Wochenarbeitszeit, die Zahlung eines Mindestlohnes sowie die Verpflichtung des Managements zu diesem Standard. 561 Der SA 8000, dessen Einhaltung im Gegensatz zum Global Compact regelmässig geprüft wird, konnte sich mittlerweile weltweit in vielen Bereichen, insbesondere in der Bekleidungs- und Textilindustrie, etablieren. Im Jahre 2005 haben sich insgesamt 750 Organisationen in 47 Ländern und 54 Industriebereichen für dieses wirtschaftsethische Konzept entschieden. 562 Etwa zwei Drittel der zertifizierten Betriebe befinden sich in den Ländern Italien, China, Indien und Brasilien. 563 Die Global Reporting Initiative (GRI) besteht aus einem breiten Netzwerk von Stakeholdern und mehreren Hundert Experten, die in einem partizipativen konsensorientierten Verfahren Richtlinien für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten seitens der Organisationen entwickeln. 564 Eine erste Version wurde im Jahre 2000 veröffentlicht, im 2002 wurde diese verbessert und im Jahre 2006 folgte die heute gültige dritte Version. 565 Ralph Thurm, leitender Geschäftsführer der GRI, betont, dass mittlerweile 900 Organisationen in nahezu 60 Ländern den GRI als Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung verwenden. 566 Ein wesentlicher Bestandteil der Guidelines sind Kennzahlen der Organisationen zu ökonomischen, sozialen und ökologischen Anstrengungen. 567 Für jede Kennzahl ist mittlerweile ein fachspezifisches Protokoll entwickelt worden, das durch die Organisationen kurz und prägnant (ca. 1 Seite) ausgefüllt werden muss. Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex sollen die in Deutschland geltenden Regeln für Unternehmensführung den nationalen und internationalen Investoren transparent gemacht werden. Ziel ist es, „dass Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften zu stärken, um insbesondere internationale und nationale Kapitalanleger zu gewinnen.“ 568 Der Kodex umfasst vor allem die internationalen Kritikpunkte an der deutschen Unternehmensverfassung, nämlich erstens die mangelhafte Ausrichtung auf die Aktionärsinteressen, zweitens die duale Unternehmensverfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat, drittens die mangelnde Transparenz deutscher Unternehmensführung, viertens die mangelnde Unabhängigkeit deutscher Aufsichtsräte und fünftens die eingeschränkte Unabhängigkeit der 556 557 558 559 560 561 562 563 564 565 566 567 568 Vgl. P.-M. Hildebrandt: „Global Compact“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 13, Heft 2 (2005), S. 56 Vgl. W. Ch. Zimmerli und M. S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 374 Vgl. P.-M. Hildebrandt: „Global Compact“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 13, Heft 2 (2005), S. 56 Vgl. N. Lin-Hi: „SA 8000“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 13, Heft 4 (2005), S. 57 Vgl. a.a.O., S. 57 Vgl. a.a.O., S. 57 Vgl. a.a.O., S. 57 Vgl. a.a.O., S. 57 Vgl. R. Thurm: „GRI. Dritte Generation der GRI Sustainability Reporting Guidelines (G3) werden im Oktober 2006 veröffentlicht“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 14, Heft 3 (2006), S. 48 Vgl. a.a.O., S. 48 Vgl. a.a.O., S. 48 Vgl. a.a.O., S. 50f A. Brink: „Deutscher Corporate Governance Kodex“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 15, Heft 1 (2007), S. 57 79 Abschlussprüfer. 569 Der 14 Seiten umfassende Kodex fällt unter das sogenannte soft law, das heisst, er befasst sich zunächst mit den gegebenen gesetzlichen Regelungen, liefert jedoch darüber hinaus Soll- und Kann-Empfehlungen. Alexander Brink betont, dass mit der Grösse des Unternehmens die Bedeutung dieser Richtlinien zunimmt und kein einziges im DAX kotiertes Unternehmen alle Kodex-Empfehlungen ablehne, fünf Unternehmen hingegen sämtliche 82 Empfehlungen angenommen hätten. 570 Nach Brink lassen sich vier Angriffsflächen gegen diesen Kodex anbringen: 571 Erstens ist er einseitig auf die Aktionäre ausgerichtet und nimmt die übrigen Stakeholder – trotz Erwähnung in der Präambel – kaum in den Blick, zweitens behandelt er keine ethischen Themen wie beispielsweise Korruption oder Menschenrechte, drittens nimmt der Corporate Governance Kodex allein das Unternehmen, nicht aber die Führungspersonen in die Pflicht und viertens gilt der Kodex nur für Aktiengesellschaften, nicht aber für andere Organisationsformen. Mit dem Global Compact, SA 8000, GRI sowie dem Deutschen Corporate Governance Kodex sind zweifellos nicht alle durch Politik, Wirtschaft und NGO lancierten wirtschaftsethischen Ansätze vorgestellt worden, wohl darf aber gesagt werden, dass sie zu den bedeutendsten Konzepten gehören, für welche sich Unternehmen freiwillig entscheiden können. Der gemeinsame Nenner dieser Ansätze besteht zum einen darin, dass sie in erster Linie an multinationale Unternehmen gerichtet sind und andererseits die Akzeptanz sich nicht einer genuin ethischen Grundhaltung verdankt. Was Paula-Marie Hildebrandt hinsichtlich des Global Compact sagt, gilt wohl für alle übrigen gleichgelagerten Konzepte ebenso: „Für Firmen wird es geschäftspolitisch immer sinnvoller, universelle Prinzipien und Werte als wesentliche Bestandteile in ihre unternehmerischen Strategien und ihr Handeln einzubinden. Kundschaft, Mitarbeitende, Medien und Investoren fordern dies zunehmend ein.“ 572 2.15 Der Ansatz der angloamerikanischen Business Ethics Bei den vorgestellten wirtschaftsethischen Ansätzen ist nicht zwischen angloamerikanischen einerseits und europäischen bzw. deutschsprachigen Ansätzen andererseits unterschieden worden. Nach Andrew Crane und Dirk Matten sind die Unterschiede jedoch so beträchtlich, dass ein Transfer der angloamerikanischen Business Ethics in den europäischen Kontext nur bedingt gelingen kann. 573 Im Folgenden sollen einige Hinweise zur Geschichte der angloamerikanischen Business Ethics, zu den Forschungstendenzen und schliesslich zu den wesentlichen Unterschieden zur europäischen bzw. deutschsprachigen Wirtschaftsethik vorgebracht werden. Die Entwicklung der Disziplin „Business Ethics“ begann in den Vereinigten Staaten bereits in den 1970er Jahren, ausgelöst durch Skandale, die vermehrt dazu führten, dass soziale Forderungen an die Wirtschaft gestellt wurden. Nach Richard T. De George kamen diese wirtschaftsethischen Aktivitäten auf drei Ebenen zum Ausdruck, nämlich auf der Ebene des ökonomischen Systems, der Organisation und der Individuen, ohne allerdings dabei zu überzeugen: „Vieles, was dargestellt und veröffentlicht wurde, war polemisch, ideologisch, wertlos und gehaltlos.“ 574 Nichtsdestotrotz – so De George – konnten sich am Ende der Dekade einige zentrale Punkte herauskristallisieren, die dann auch als Basis für die Entwicklung eines systematischen Ansatzes verwendet werden konnten. 575 Beispielsweise wurde die metaethische Frage, ob Korporationen moralisch verantwortlich gemacht werden können bzw. welchen Einfluss die Einnahme von Führungsrollen auf das moralische Verhalten von Individuen hat, aufgenommen und einer systematischen Bearbeitung zugeführt. Im Weiteren erfuhren die 569 570 571 572 573 574 575 80 Vgl. a.a.O., S. 57 Vgl. a.a.O., S. 58 Vgl. a.a.O., S. 59 P.-M. Hildebrandt: „Global Compact“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 13, Heft 2 (2005), S. 56f Vgl. A. Crane und D. Matten: Business Ethics, a.a.O., S. 26f R. T. De George: „Unternehmensethik aus amerikanischer Sicht“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 306 Vgl. a.a.O., S. 306 Stakeholder-Analyse sowie der korporative Ungehorsam, allen voran Whistle-blowing 576, eine systematische Beleuchtung. Um 1985 etablierte sich Business Ethics als akademische Disziplin und – das ist vielleicht das Bedeutsamste – im ganzen Land wurden über 500 Kurse an Colleges, Universitäten und Wirtschaftsfakultäten angeboten, die dann auch von über 40‘000 Wirtschaftsethik-Studierenden genutzt wurden. 577 Dadurch entstand ein Markt mit einer grossen Zahl von Lehrbüchern und Fallsammlungen, der auch für die Unternehmen von grosser Bedeutung wurde. Die angloamerikanische Business Ethics ist interdisziplinär, und zwar vor allem deshalb, weil sie einen bedeutenden deskriptiven Teil beinhaltet. Ökonomen, Soziologen oder Psychologen liefern beispielsweise Theorien über sozio-demografische Faktoren in Bezug auf die ethische Sensibilität oder über den Zusammenhang zwischen psychografischen Variablen und moralischem Verhalten578, während es den Philosophen und Theologen vorbehalten ist, eine normative Theorie mit ethischen Regeln zu entwickeln. Als Forschungsschwerpunkte können die im Rahmen des pragmatischen Ansatzes vorgestellten fünf Punkte genannt werden (vgl. S. 69), nämlich erstens die Aufzeichnung von Fällen unmoralischen Verhaltens, zweitens die Untersuchung der Wirtschafts- und Geschäftspraktiken, drittens die Klärung der normativen Vorgaben, viertens die Beantwortung metaethischer Fragestellungen und fünftens die Lösung von komplexen Problemstellungen. Nach De George sollte sich Business Ethics in drei verschiedenen Punkten weiterentwickeln: 579 Erstens gilt es, die positive Seite ethischer Anliegen ins Zentrum zu stellen, beispielsweise mit der Frage: „Gibt es eine Korrelation zwischen ethischem Handeln und Gewinn? Wird langfristiges Denken durch Ethik verstärkt, und zahlt es sich am Ende nicht besser aus als kurzfristiges Denken?“ 580 Zweitens sollte sich Business Ethics das Ziel setzen, dass das Aufwerfen ethischer Fragen seitens der Unternehmen anerkannt wird, so dass entsprechende Institutionen geschaffen werden. Es lässt sich nämlich zeigen, „daß es von Vorteil ist, ein Ethikkomitee bei einem Vorstand bzw. Verwaltungsrat einer Korporation zu haben.“ 581 Drittens reicht es immer weniger, sich auf die amerikanischen Gegebenheiten zu beschränken, vielmehr müssen internationale Probleme wie Umweltgefährdung oder die Auswirkungen der Hochtechnologie in die Überlegungen mit einbezogen werden. De George kritisiert in diesem Sinne die auf den nordamerikanischen Wirtschaftsraum beschränkte Business Ethics: „Wir hätten fragen können und sollten fragen, ob es tatsächlich generell in allen Ländern anerkannte ethische Normen gibt, von denen sich internationale Wirtschaft und ökonomische Transaktionen leiten lassen sollten.“ 582 – Mittlerweile hat Georges Enderle mit mehreren Autoren einen ersten Schritt in eine International Business Ethics geleistet. Sie analysieren das ökonomische System, untersuchen die Rollen von Kulturen und Werten für wirtschaftsethische Anliegen und stellen die Frage, inwieweit die Weltreligionen für International Business Ethics fruchtbar gemacht werden können. 583 Dabei bestimmen sie die Organisationen als die Träger der Hauptverantwortung für die Durchsetzung wirtschaftsethischer Anliegen. 584 576 577 578 579 580 581 582 583 584 Mit Whistle-blowing ist gemeint, dass Mitarbeiter das eigene Unternehmen wegen illegalen oder moralisch fragwürdigen Praktiken „verpfeifen“. Es wird zwischen einem internen und einem externen sowie einem offenen und einem anonymen Whistle-Blowing unterschieden, wobei es immer darum geht, einen Weg zu finden, wie Änderungen im Unternehmen herbeigeführt werden können. Björn Salg weist darauf hin, dass Unternehmenskulturen, die eine konstruktive Kritik zulassen bzw. fördern, ein adäquates Mittel sind, sowohl das Unternehmen wie auch die Mitarbeiter vor Whistle-Blowing zu schützen. (Vgl. B. Salg: „Whistle-Blowing“, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 16, Heft 2 (2008), S. 53f) Vgl. R. T. De George: „Unternehmensethik aus amerikanischer Sicht“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 307 Vgl. S. Grabner-Kräuter: „US-Amerikanische Business Ethics-Forschung - the story so far“, in: Wirtschafts- und Unternehmensethik. Rückblick - Ausblick - Perspektiven, München und Mering 2005, S. 144f Vgl. R. T. De George: „Unternehmensethik aus amerikanischer Sicht“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 312ff A.a.O., S. 312 A.a.O., S. 313 A.a.O., S. 314 Vgl. G. Enderle: “An Introduction to International Business Ethics“, in: International Business Ethics. Challenges and Approaches, Hrsg. von G. Enderle, Notre Dame 1999, S. 3-7 Vgl. a.a.O., S. 6f 81 Die Vereinigten Staaten von Amerika haben wohl die am meisten entwickelte Literatur zur Wirtschaftsethik. 585 Nach Sonja Grabner-Kräuter sind es drei wirtschaftsethische Ansätze, die in der angloamerikanischen Business Ethics dominieren, nämlich der stakeholder, der aristotelische sowie der vertragstheoretische Ansatz. 586 Dabei geht es nach Sonja Grabner-Kräuter und Bettina Palazzo vor allem um die Frage, „wie Ethik praktisch in den Alltag der Wirtschaft ‚hineingebracht‘ werden kann“ 587 bzw. wie Theorien zu Tools umgewandelt werden können 588, während sich die europäische, insbesondere die deutschsprachige Wirtschaftsethik, vor allem mit der Normenfindung und Normenbegründung auseinandersetzt. Georges Enderle vergleicht die Disziplin zwischen Nordamerika und Kontinentaleuropa und stellt unter anderem fest, dass in Nordamerika – im Gegensatz zu Kontinentaleuropa – Business Ethics in den Ausbildungsstätten als Teil des Curriculums breit akzeptiert ist, in den Unternehmen Codes of Conduct, EthikBeauftragte und Ethik-Trainingsprogramme weit verbreitet sind und ganz grundsätzlich die praktische Orientierung sehr viel stärker im Vordergrund steht. 589 Die Autoren Andrew Crane und Dirk Matten versuchen mithilfe von fünf miteinander zusammenhängenden Schlüsselfragen die Differenzen zwischen der angloamerikanischen und der europäischen Wirtschaftsethik aufzuzeigen. 590 Die erste Schlüsselfrage lautet: Wer ist verantwortlich für ethisches Benehmen in der Wirtschaftstätigkeit? Nach Crane und Matten wird diese Frage in den Vereinigten Staaten vorwiegend mit dem Individuum und im europäischen Raum mit dem Kollektiv, allen voran mit dem Staat, beantwortet. 591 Wer ist der Hauptakteur im Kontext von Wirtschaftsethik? Für die Beantwortung der zweiten Schlüsselfrage stellen die Autoren das Unternehmen (bei den Vereinigten Staaten) bzw. die Regierung, Gewerkschaften und Branchenverbänden (in Europa) ins Zentrum. 592 Diese Unterscheidung liefert zugleich die Antwort für die dritte Schlüsselfrage, nämlich: Welches sind die Instrumente für wirtschaftsethisches Verhalten? Während in den Vereinigten Staaten die Unternehmen sich selbst ethischen Normen unterwerfen, den Codes of Conduct, werden in Europa ethische Anliegen im Rahmen der Wirtschaftsgesetzgebung ausgehandelt. 593 Als weitere Schlüsselfrage sehen Crane und Matten die Frage nach den Schlüsselproblemen in Wirtschaftsethik. Wiederum in einem engen Zusammenhang mit den zuvor gegebenen Antworten ist in der angloamerikanischen Wirtschaftsethik mangelnde Führung bzw. nicht-ethisches Verhalten seitens der Führungsleute bzw. Mitarbeiter das Kernproblem, während in der europäischen Wirtschaftsethik eine ungenügende Wirtschaftsordnung bzw. nicht-ethische Unternehmenskulturen als die Hauptprobleme betrachtet werden. 594 Die fünfte und letzte Schlüsselfrage lautet: Wer ist der dominante Stakeholder? Nach Crane und Matten ist dies in den Vereinigten Staaten der Shareholder, während im europäischen Kontext mehrere Stakeholder in die wirtschaftsethischen Überlegungen mit einbezogen werden. 595 Zwar sind die Unterschiede zwischen der angloamerikanischen Business Ethics und der europäischen Wirtschaftsethik immer noch bedeutsam, hingegen gilt es nach Andrew Crane und Dirk Matten die klare Tendenz der zunehmenden Angleichung der ökonomischen Systeme, insbesondere die Abnahme der nationalstaatlichen Einflussnahme in das Wirtschaftsgeschehen, zur Kenntnis zu nehmen. „Globalization has resulted in a rapid and 585 586 587 588 589 590 591 592 593 594 595 82 Vgl. R. T. De George: „Unternehmensethik aus amerikanischer Sicht“, in: Wirtschaft und Ethik, a.a.O., S. 316 Vgl. S. Grabner-Kräuter: „US-Amerikanische Business Ethics-Forschung - the story so far“, in: Wirtschafts- und Unternehmensethik. Rückblick - Ausblick - Perspektiven, a.a.O., S. 154 A.a.O., S. 143 Vgl. B. Palazzo: „The Story so far - revisited: Die kulturellen Hintergründe der Business Ethics“, in: Wirtschaftsund Unternehmensethik. Rückblick - Ausblick - Perspektiven, a.a.O., S. 184 Vgl. G. Enderle: „Focus: A Comparison of Business Ethics in North America and Continental Europe“, in: Business Ethics: A European Review, Bd. 5, Heft 1 (1996), S. 37 Vgl. A. Crane und D. Matten: Business Ethics, a.a.O., S. 28 Vgl. a.a.O., S. 27f Vgl. a.a.O., S. 28 Vgl. a.a.O., S. 28f Vgl. a.a.O., S. 28f Vgl. a.a.O., S. 28f comprehensive move towards deregulation of business activities which increasingly puts business in contexts similar to the American version of capitalism.“ 596 3 Klassifikationsversuch wirtschaftsethischer Ansätze 596 A.a.O., S. 30 Matthias Karmasin und Michael Litschka unterscheiden gar zwischen deskriptiven, normativen und metatheoretischen Positionen, wobei mit Letzteren metaethische Theorien gemeint sind. (Vgl. M. Karmasin und M. Litschka: Wirtschaftsethik – Theorien, Strategien, Trends, a.a.O., S. 26) Vgl. K. Wiegerling: „Grundbegriffe und Felder der angewandten Ethik“, in: Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship, a.a.O., S. 21 Die Darstellung der verschiedenen wirtschaftsethischen Ansätze liefert ausreichend Anhaltspunkte für eine zwar grobe, aber dennoch hilfreiche Klassifikation. Die Tatsache, dass bei einzelnen Theorien nicht immer klar herausgeschält werden konnte, ob es sich um eine normative oder deskriptive Theorie handelt, gibt gerade den Anstoss für diese grundsätzliche Unterscheidung 597. Zu den vorgestellten normativen Theorien lässt sich sagen, dass diese mehrheitlich der Philosophie zugeordnet werden können. Das heisst, die Gründe, weshalb Wirtschaftsakteure, Unternehmen oder Wirtschaftsordnungen ethischen Anliegen Rechnung tragen sollen, stützen sich auf eine Philosophie, auf deren Grundlage moralische Anliegen moniert und ethische Ideen bzw. ethische Theorien, beispielsweise der Utilitarismus oder die Diskursethik, elaboriert werden können. Mit den vorgestellten sozialethischen Theorien von Oswald von Nell-Breuning und Arthur Rich bietet sich die Theologie als eine zweite Möglichkeit für die Klassifikation von normativen wirtschaftsethischen Theorien an. Als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Philosophie kann dabei die aus einem religiösen Kontext bezogene Begründungsleistung genannt werden. Bei den neueren Ideen wie Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship, Global Compact, SA 8000 usw. kommt mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck, dass diese Ansätze am ehesten durch die Betriebswirtschaftslehre eine Begründung finden können. Dies zeigt sich daran, dass die Aufnahme ethischer Anliegen weder einem philosophischen Werte- noch einem religiösen Glaubenssystem geschuldet ist, sondern der ökonomischen Vernunft. Letztere anerkennt, dass das betriebswirtschaftliche Erfolgsstreben durch die Integration ethischer Regeln verbessert bzw. sichergestellt werden kann. Als vierte Klassifikationsmöglichkeit kann schliesslich die Volkswirtschaftslehre genannt werden. Zu Recht betonen Wirtschaftsethiker wie Ulrich, Schumann oder Brodbeck den normativen Gehalt der Volkswirtschaftstheorien, und zwar unabhängig davon, ob es sich um den klassischen Liberalismus, Sozialismus, Ordoliberalismus oder Neoliberalismus handelt. Mit Philosophie, Theologie, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre zeigen sich somit vier Begründungsinstanzen, die letztlich nichts weiter als das für die Wirtschaftsethik basale Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie bzw. Ethik und Ökonomik zum Ausdruck bringen. Was lässt sich über die Unterschiede dieser vier Klassifikationsmöglichkeiten als Begründungsinstanzen für wirtschaftsethische Ansätze sagen? Die philosophische und theologische Ethik fordern den Einbezug ethischer Anliegen der Ethik wegen, das heisst im Hinblick auf das gute Leben und friedliche Zusammenleben 598. Dabei kann die Frage nach dem Inhalt des guten Lebens bzw. des friedlichen Zusammenlebens – vor allem bei der philosophischen Ethik – durchaus kritisch reflektiert und im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses weiterentwickelt werden. Anders bei den sich gegenüber der Philosophie verselbständigten ökonomischen Wissenschaften. Wenn beispielsweise die Betriebswirtschaftslehre ethische Anliegen in ihr theoretisches Programm aufnimmt, dann geschieht dies nicht genuin der Ethik wegen, sondern zum Schutz der eigenen Normativität, die nach Erich Gutenberg, dem Begründer der modernen deutschen Betriebswirtschaftslehre, den betriebswirtschaftlichen Grundsatz: „auf das in den Unternehmen investierte Kapital unter Abwägung aller Risiken auf die Dauer eine 597 598 83 möglichst hohe Rendite zu erzielen“ 599 zum Inhalt hat. Und wenn die Volkswirtschaftslehre in ihrer derzeitigen Verfassung überhaupt noch theoretische Grundlagen für die Verhinderung von Arbeitslosigkeit und Armut bereitstellt oder Massnahmen zur Eindämmung der ökologischen Gefährdung vorschlägt, dann erfolgt dies allein zur Aufrechterhaltung ihres Credos: „Die freie Marktwirtschaft ist die beste aller Welten, ist der direkte Weg zum materiellen Paradies auf Erden.“ 600 Kurzum: Wenn die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre allenfalls ethische Anliegen aufnehmen, dann tun sie dies bloss im Sinne eines Instrumentes für die Erhaltung der eigenen (höheren) Normativität. Es stellt sich sodann die wichtige Frage nach dem qualitativen Unterschied dieser beiden verschiedenen Arten der Berücksichtigung ethischer Anliegen. Es können zwei wichtige Unterscheidungsmerkmale genannt werden: Ein Instrument kann erstens jederzeit durch ein anderes, möglicherweise geeigneteres, ersetzt werden. Sollte die Betriebswirtschaftslehre beispielsweise zur Erkenntnis kommen, dass mit materiellen Anreizen ökonomisch bessere Leistungen als mit ethischem Führungsverhalten möglich sind, dann wird sie Ersterem den Vorzug geben. Oder wenn das Bruttosozialprodukt bzw. das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen mit neoliberalen Ideen gesteigert werden kann, dann hat die Volkswirtschaftslehre keinen Anlass, am Neoliberalismus zu zweifeln, obschon dieses Durchschnittseinkommen so gut wie gar nichts über die einzelnen Einkommensverhältnisse und damit über eine gerechte Verteilung aussagt. In einem engen Zusammenhang mit dem ersten qualitativen Unterschied zeigt sich zweitens: Die Normativität auf der höheren Ebene seitens der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre bleibt weitgehend unangetastet. Mit der Aufnahme ethischer Anliegen besteht sogar die Gefahr, dass die Wirtschaftswissenschaften – hinter dem Deckmantel „Ethik“ – eine nicht unerhebliche Stärkung ihrer mit der Ethik zunehmend unvereinbaren Normativität erfahren. Mit den von der Betriebswirtschaftslehre aufgenommenen Ansätzen Corporate Social Responsibility bzw. Corporate Citizenship verstehen es beispielsweise vor allem grössere Unternehmen ausgezeichnet, in strategischer Manier Leistungen im Wohltätigkeitsbereich zu vollbringen, um „hinter den Kulissen“ möglichst ungehindert und ohne ethische Reflexion das eigentliche Business zu betreiben. Und hinsichtlich der Volkswirtschaftslehre verweist Hans Diefenbacher zu Recht auf fragwürdige, kaum mehr hinterfragte Wohlfahrtskriterien, die dazu geführt haben, „dass gerade in den so genannten Entwicklungsländern oft eine Wirtschaftspolitik explizit zur Steigerung des Bruttosozialprodukts pro Kopf betrieben wurde und wird.“ 601 Diese Ausführungen zeigen, dass in erster Linie eine theologisch-wirtschaftsethische sowie eine philosophisch-wirtschaftsethische Theorie die Kraft haben – zumindest der theoretischen Konzeption nach -, die weitgehend implizite Normativität der Ökonomik und der mit ihr eng verbundenen Ökonomie zu korrigieren. Und damit wird die Richtigkeit der zu Beginn getroffenen Entscheidung, mithilfe von philosophisch-ethischen Vorgaben aufzeigen zu wollen, wie Unternehmen im Einklang mit gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werten geführt werden sollen, bestätigt. 599 600 601 84 E. Gutenberg: „Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft“, in: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre. Kommentierte Meilensteine und Originaltexte, 2. Auflage, Wiesbaden 2002, S. 13 Vgl. B. Senf: Die blinden Flecken der Ökonomie. Wirtschaftstheorien in der Krise. Ein Aufklärungsbuch, 4. Auflage, München 2007, S. 55 Vgl. H. Diefenbacher: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Zum Verhältnis von Ethik und Ökonomie, Darmstadt 2001, S. 118 Normative Wirtschaftsethik Theologie Volkswirtschaftslehre Betriebswirtschaftslehre Wirtschaftssystem Wirtschaftssystem Wirtschaftssystem Wirtschaftssystem Unternehmen Unternehmen Unternehmen Unternehmen Individuum Individuum Individuum Individuum Abb. Nr. 1: 4 Philosophie Vier Begründungsinstanzen normativer Wirtschaftsethik Das Desiderat im philosophisch-wirtschaftsethischen Diskurs Für den Autor dieser Arbeit besteht kein Zweifel, dass die vorgestellten philosophischwirtschaftsethischen Ansätze ihre besonderen Stärken aufweisen und einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftsethischen Diskurs leisten. In Bezug auf die drei ausführlich vorgestellten und im deutschsprachigen Raum bedeutendsten Wirtschaftsethiken kann gesagt werden, dass Peter Ulrichs Ansatz durch die solide diskursethische Grundlegung besticht, während die Stärken von Karl Homanns Theorie in erster Linie im Versuch liegen, ethische Anliegen zu implementieren, und Horst Steinmann für sich in Anspruch nehmen darf, ein überzeugendes Kriterium für die Vermittlung zwischen Ethik und Ökonomie elaboriert zu haben. Es gehört zur wissenschaftlichen Tätigkeit, dass – zumindest aus der Fremdperspektive – nicht in erster Linie die Stärken der Theorien interessieren, sondern deren Schwächen. Und da fallen vor allem zwei Aspekte auf: Erstens finden die philosophisch-wirtschaftsethischen Theorien wenig Zuspruch seitens der Wirtschaftsakteure – manche Wirtschaftsethiker, beispielsweise Daniel Dietzfelbinger602, betonen zwar regelmässig die grosse Nachfrage nach Wirtschaftsethik, ohne allerdings genauer zu erläutern, wie diese Nachfrage zum Ausdruck gelangt. Die mangelnde Akzeptanz zeigt sich nicht nur durch die mannigfaltigen moralischen Probleme, sondern selbstkritische Wirtschaftsethiker wie Horst Steinmann geben ihre Fehleinschätzung unumwunden zu: „Als wir vor nunmehr fast 20 Jahren unseren ersten Aufsatz zur Unternehmensethik veröffentlichten, schlossen wir mit einer recht optimistischen Perspektive: Die Unternehmensethik könne in Zukunft zu einem wichtigen Aufgabenbereich in der betriebswirtschaftlichen Praxis und damit auch eine Herausforderung für die betriebswirtschaftliche Theorie werden. Diese optimistische Prognose hat sich so nicht bestätigt. Ich denke, man muss heute, jedenfalls für den deutschsprachigen Raum konstatieren, dass die Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Praxis wohl doch (noch) eine eher marginale Rolle spielt; dies trotz mancher gegenteiliger Bekundungen, die man hin und wieder von 602 Vgl. D. Dietzfelbinger: Praxisleitfaden Unternehmensethik. Kennzahlen, Instrumente, Handlungsempfehlungen, Wiesbaden 2008, S. 34ff 85 Führungskräften der Wirtschaft hört oder liest, die aber meistens über den Charakter von Lippenbekenntnissen nicht hinausgehen.“ 603 Als zweite Schwäche kann moniert werden, dass weder Ulrich noch Homann noch Steinmann präzise Angaben bezüglich des moralischen Desinteresses der Wirtschaftsakteure machen können. Sowohl Ulrich wie auch Steinmann beziehen sich auf Kohlbergs moralpsychologische Untersuchungen. Während sich Steinmann weder mit der Ursache des moralischen Desinteresses noch mit den Schwierigkeiten der Kohlbergforschung vertieft auseinandersetzt, gibt Ulrich immerhin zu bedenken, dass die für den vernunftethischen Standpunkt so wichtige sechste Stufe nur von wenigen Menschen (weniger als 5 Prozent) erreicht wird 604. Nach Ulrich befinden wir uns denn auch in einer epochalen Adoleszenzkrise der Menschheit 605, und zwar im Sinne einer Analogie der menschlichen Phylogenese zur von Kohlberg erforschten Ontogenese des Gerechtigkeitsdenkens 606. Erstaunlich ist, dass Ulrich auch in seiner neusten Ausgabe der Integrativen Wirtschaftsethik den Standpunkt vertritt, dass die Theorie von Kohlberg hinsichtlich des für die Integrative Wirtschaftsethik relevanten Kerns aller Kritik standgehalten habe und sowohl konzeptionell wie auch empirisch als weitgehend bestätigt aufgefasst werden könne – Ulrich bezieht sich dabei auf Aussagen des Moralpädagogen Fritz Oser aus dem Jahre 1988. 607 Denn gerade die empirische Bestätigung ist nicht gegeben, wie Charles Levine und Alexandra Hewer in aller Klarheit festhalten: „Wir schwächen unsere Aussagen über eine Stufe 6 des Gerechtigkeitsdenkens ab. Wir behaupten nicht länger, daß es uns gelungen sei, empirisch das Wesen einer 6. und höchsten Stufe des moralischen Urteilens zu beschreiben. Derzeit läßt sich über Vorhandensein und Wesen einer solchen Stufe lediglich theoretisch und philosophisch spekulieren; weitere empirische Daten müssen erhoben werden.“ 608 Mit anderen Worten: Die Erklärung des moralischen Desinteresses seitens vieler Wirtschaftsakteure mithilfe der menschlichen Adoleszenzkrise ist nicht nur wegen des zeitlichen Aspekts unbefriedigend, sondern auch höchst zweifelhaft hinsichtlich ihres Gehalts. Und Homann schliesslich wählt den homo oeconomicus als theoretisches Analyseinstrument, mit der Konsequenz, dass nur die Rahmenordnung als Ort der Moral bestimmt werden kann. Nun muss Homann aber gerade eine zunehmende Inadäquatheit der Rahmenordnung konzedieren: „Die Politiker werden heute ihrer originären Gestaltungsaufgabe der Bereitstellung eines funktionierenden Ordnungsrahmens für die Wirtschaft immer weniger gerecht.“ 609 Das bedeutet: Auch die Politiker sind homines oeconomici und schauen nur für ihre eigenen Interessen. Was Letzteres allerdings im Konkreten bedeutet, lässt sich mit dem mittlerweile in die Nähe einer Leerformel gerückten theoretischen Konstrukt nicht mehr ohne Weiteres aufzeigen. Mit anderen Worten: Homanns Erklärung, weshalb Politiker als homines oeconomici an der Aufnahme von ethischen Anliegen nicht interessiert sind, ist etwa gleichbedeutend mit: weil es für sie keinen Nutzen abwirft. Mit der Entwicklung einer philosophisch-wirtschaftsethischen Theorie werden nun zwei Verbesserungen angestrebt: Erstens sollen die Chancen für die Annahme und Durchsetzung der wirtschaftsethischen Theorie bei den adressierten Wirtschaftsakteuren erhöht werden, wobei dies im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit bloss theoretisch aufgezeigt werden kann. Zweitens sollen präzisere Erkenntnisse hinsichtlich des moralischen Desinteresses seitens vieler Wirtschaftsakteure vorgelegt werden. Um diese beiden Vorgaben zu realisieren, wird ein wirtschaftsethischer Ansatz gewählt, der konkreten moralischen Problemen eine methodologische Bedeutung in der Entwicklung der wirtschaftsethischen Theorie einräumt. Das heisst: Moralische Problemphänomene bilden den methodologischen Ausgangspunkt für die Entwicklung der 603 604 605 606 607 608 609 86 H. Steinmann: „Zur Situation der Unternehmensethik heute“, in: Was bewegt die St. Galler Wirtschaftsethik? 14 Einschätzungen „von aussen“, Hrsg. von P. Ulrich und M. Breuer, St. Gallen 2004, S. 33 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, 4. Auflage, Bern 2008, S. 56 Vgl. a.a.O., S. 57 Vgl. L. Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung, Hrsg. von W. Althof, Frankfurt a. M. 1995, S. 219 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, (2008), a.a.O., S. 52 L. Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung, a.a.O., S. 223 K. Homann und F. Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik, a.a.O., S. 115 wirtschaftsethischen Theorie. Und zwar deshalb, weil durch die methodologische Auszeichnung konkreter moralischer Probleme Raum für eine Problemanalyse mit sozialwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen entsteht, mit deren Hilfe ein moralischer Problemkern, der eine gewisse Betroffenheit bei den adressierten Wirtschaftsakteuren auslöst, sowie konkrete ethische Regeln – nicht Moralprinzipien, die „auf einer sehr abstrakten Ebene angesiedelt sind und mit idealen Voraussetzungen arbeiten“ 610 – im Sinne von Lösungsmöglichkeiten bestimmt werden können. Im Weiteren ergibt sich mit sozialwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen die Möglichkeit, sowohl die Voraussetzungen der Anwendung der philosophisch-ethischen Vorgaben wie auch die Akzeptanzbedingungen der philosophisch-wirtschaftsethischen Theorie zu klären, aber auch zu erfüllen. Und im Übrigen darf aufgrund der sozialwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Überlegungen erwartet werden, tiefere Erkenntnisse zum schwerwiegenden moralischen Desinteresse seitens vieler Wirtschaftsakteure erarbeiten zu können. Mit einer problemorientierten philosophischen-wirtschaftsethischen Theorie wird zugleich ein Beitrag zur Beseitigung eines Desiderats im philosophisch-wirtschaftsethischen Diskurs geleistet. Weder Ulrich noch Homann, und auch nicht Steinmann, gehen in ihren wirtschaftsethischen Theorien von empirischen moralischen Problemstellungen aus. Zwar werden moralische Probleme durchaus thematisiert, aber für die eigentliche Theoriebildung sind sie mit ihrem bloss beiläufigen Charakter ohne methodologische Bedeutung. Im Weiteren gehen die drei bekannten Wirtschaftsethiker von ausdifferenzierten Gesellschaftssystemen aus, ohne jedoch diesbezügliche Implikationen im Hinblick auf wirtschaftsethische Theorien sorgfältig zu analysieren. So haben weder Ulrich noch Steinmann Überlegungen angestellt, inwiefern ihre an die Vernunft gerichteten Appelle, fragwürdiges Handeln mithilfe eines auf Konsens ausgerichteten dialogischen Verfahrens zu legitimieren, mit einem ausdifferenzierten Wirtschaftssystem in Einklang gebracht werden können. Und nicht weniger wichtig ist die Tatsache, dass im Zusammenhang mit dem Standpunkt einer durch soziale Systeme ausdifferenzierten Gesellschaft keine erkenntnistheoretischen Untersuchungen angestellt wurden, mit denen moralische Problemphänomene hinsichtlich ihrer (erkenntnistheoretischen) Genese hätten untersucht werden können. Homann hat sich zwar mit der Systemtheorie von Niklas Luhmann auseinandergesetzt, ohne jedoch die dieser soziologischen Theorie zugrunde gelegte Erkenntnistheorie zu beachten. Stattdessen hat er das zu dieser Gesellschaftstheorie inkonsistente theoretische Konstrukt des homo oeconomicus verwendet, mit dem Ergebnis, dass seine Problemstellung – allgegenwärtige Dilemmastrukturen – bloss theoretischer Natur ist, das heisst, untrennbar an dieses methodologische Element geknüpft bleibt. Es darf deshalb zu Recht gesagt werden, dass in der philosophisch-wirtschaftsethischen Diskussion ein problemorientierter Ansatz, der konkrete moralische Probleme nicht bloss beiläufig konstatiert, sondern im Rahmen einer Problemanalyse sozialwissenschaftlich und erkenntnistheoretisch analysiert, so dass ein moralischer Problemkern ausgezeichnet und methodologisch nutzbar gemacht werden kann, bislang fehlt. Die Entwicklung des problemorientierten philosophisch-wirtschaftsethischen Ansatzes – als Beitrag zur Beseitigung eines Desiderats im philosophisch-wirtschaftsethischen Diskurs – ist in diesem Sinne von folgender Forschungshypothese geleitet: Ein problemorientierter philosophisch-wirtschaftsethischer Ansatz schafft Raum für eine Problemanalyse, in deren Zentrum sich sozialwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Untersuchungen aufdrängen. Mit diesen eröffnet sich dann erstens die Möglichkeit, einen moralischen Problemkern auszuzeichnen, konkrete ethische Regeln zu entwickeln sowie die Anwendungsvoraussetzungen dieser ethischen Regeln, aber auch die Akzeptanzbedingungen der philosophischen Ethik sowohl zu klären wie auch zu erfüllen, so dass sich die Chancen für die Annahme und Durchsetzung der philosophisch-wirtschaftsethischen Theorie erhöhen. Zweitens ergibt sich durch die sozialwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen zugleich die Möglichkeit, eine präzisere Erkenntnis hinsichtlich des moralischen Desinteresses vieler Wirtschaftsakteure zu gewinnen. 610 C. Friske et al.: Einführung in die Unternehmensethik, a.a.O., S. 51 87 88 Teil 2: Philosophische Ethik als Grundlage für den problemorientierten Ansatz Die Ausarbeitung einer problemorientierten philosophisch-wirtschaftsethischen Theorie erfordert Kenntnisse des über einen langen Zeitraum hinweg erarbeiteten Wissens seitens der Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie. Zwar kann es durchaus sein, „daß für verschiedene Bereiche menschlicher Praxis unterschiedliche normative Kriterien angemessen sind“ 611, dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die erarbeiteten Grundlagen der Ethik für die Ethikkonzeption eines spezifischen Bereichs nicht dennoch von grosser Wichtigkeit sind. Zu Recht weist Marcus Düwell denn auch darauf hin, dass angewandte Ethik von zahlreichen theoretischen Voraussetzungen abhängt. 612 Wenn beispielsweise der theoretische Standpunkt vertreten wird, dass moralische Überzeugungen nichts weiter als subjektive Meinungen zum Ausdruck bringen oder – um ein anderes Beispiel zu nehmen – es nur auf die Konsequenzen von Handlungen ankommt, dann hat dies zweifellos einschneidende Auswirkungen auf die zu entwickelnde ethische Theorie. Bei den folgenden Ausführungen wird nun nicht das Ziel verfolgt, den umfassenden Ethik-Forschungstand aufnehmen oder einzelne Positionen kritisieren zu wollen. Vielmehr geht es darum, zentrale Aspekte der Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie zu erfassen, damit ein Orientierungswissen im Sinne eines ethischen Grundgerüsts erarbeitet werden kann, mit dessen Hilfe die Entwicklung einer problemorientierten philosophischwirtschaftsethischen Theorie dann auch gelingt. Die Generierung dieses Orientierungswissens erfolgt in vier Schritten: Es wird erstens ein begriffliches Verständnis von Ethik erarbeitet, zweitens werden verschiedene metaethische Kategorien expliziert, drittens Überlegungen zur Motivation und viertens zur philosophischen Anthropologie angestellt. Im fünften Kapitel werden fünf Paradigmen normativer Ethiken vorgestellt, bevor die erarbeiteten Grundlagen zum Abschluss in einem Schema zusammengefasst werden. 5 Was ist Ethik? „Den Ausgangspunkt der Ethik bilden moralische Überzeugungen. Moralische Überzeugungen beziehen sich darauf, was gut ist, welche Handlung moralisch unzulässig ist, welche Verteilung als gerecht gelten kann etc. Die ethische Theorie versucht, allgemeine Kriterien für gut, richtig, gerecht etc. zu entwickeln, die im Einklang sind mit einzelnen unaufgebbar erscheinenden moralischen Überzeugungen und andererseits Orientierung in den Fällen bieten können, in denen unsere moralischen Auffassungen unsicher oder sogar widersprüchlich sind.“ 613 Diese von Julian Nida-Rümelin vorgelegte Begriffserläuterung stellt klar, dass Ethik die Moral, Letztere verstanden als die in einer Gesellschaft verankerten moralischen Überzeugungen und Handlungen, zu ihrem Untersuchungsgegenstand nimmt und dass eine ethische Theorie diese moralischen Überzeugungen und Handlungen nicht bloss präzise beschreibt, sondern bewertend in einen systematischen Zusammenhang bringt, wobei der Anschluss an moralisch tief verankerte Normen nicht aufgegeben werden darf. Weil letztlich auch moralische Überzeugungen auf mehr oder weniger rationalen Überlegungen und Alltagstheorien basieren, ist nach Marcus Düwell, Christoph Hübenthal und Micha H. Werner – sie sind die Herausgeber des Werkes Handbuch Ethik – bloss eine graduelle und nicht eine strukturelle Trennung zwischen Ethik und Moral möglich: „Es gibt 611 612 613 J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 63 Vgl. M. Düwell: „Angewandte oder Bereichsspezifische Ethik“, in: Handbuch Ethik, Hrsg. von M. Düwell et al., 2. Auflage, Stuttgart und Weimar 2006, S. 244 J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 3 89 also fließende Grenzen zwischen moralischer Alltagskommunikation und ethischem Argumentieren, wobei Letzteres sich nur durch strengere Argumentationsstandards von Ersterem unterscheidet sowie durch den Versuch, die im moralischen Alltagsdiskurs stillschweigend vorausgesetzten lebensweltlichen Alltagsgewissheiten zu rekonstruieren und explizit zu machen.“ 614 Gar keinen Unterschied zwischen Ethik und Moral macht Peter Singer; er weist explizit darauf hin, dass er die Begriffe „Ethik“ und „Moral“ synonym verwende. 615 Nach Düwell et al. neigen wieder andere Ethiker dazu, für die Auseinandersetzung mit der Frage nach einem guten, glücklichen und gelingenden Leben (Eudaimonia) den Begriff „Ethik“ zu verwenden, während die philosophische Reflexion auf Probleme des moralisch Richtigen bzw. Gerechten mit dem Begriff „Moralphilosophie“ bezeichnet wird. 616 Im Folgenden werden Ethik und Moralphilosophie synonym gebraucht, zudem wird am allgemeinen Verständnis von Ethik „als philosophische Reflexion auf Moral“ 617 und Moral als „die Gesamtheit der Überzeugungen vom normativ Richtigen und vom evaluativ Guten sowie der diesen Überzeugungen korrespondieren Handlungen“ 618 festgehalten, wobei bei der Explikation der verschiedenen Positionen der von den Autoren jeweils gewählte Begriff übernommen wird. Ethik als die von Aristoteles eingeführte Bezeichnung einer philosophischen Disziplin, die sich mit den faktischen moralischen Urteilen, Überzeugungen und Handlungen in einer Gesellschaft wissenschaftlich beschäftigt, kann dies auf verschiedene Weise tun. Wenn es darum geht, die geltenden Moralvorstellungen möglichst exakt zu erfassen und zu beschreiben, dann spricht man von deskriptiven Ethiken bzw. von der deskriptiven Ethik, die mit anderen Disziplinen wie Moralpsychologie, Moralsoziologie, Kulturgeschichte der Moral sowie mit der Ethikgeschichte verschwistert ist. 619 Wenn die methodische Reflexion auf die Moral nicht empirisch-deskriptiv oder historisch erfolgt, sondern auf die Bewertung, Kritik, Begründung und Systematisierung bestehender moralischer Normen und Prinzipien ausgerichtet ist, dann ist die Rede von normativen Ethiken bzw. von der normativen Ethik, häufig aber auch einfach von ethischen Theorien bzw. von Ethik. 620 Im Rahmen der normativen Ethik wird eine etwa gleiche Gebrauchsweise der moralischen Ausdrücke wie „gut“, „richtig“, „gerecht“ usf. vorausgesetzt, was nach Nida-Rümelin angesichts der Tatsache, dass diese zentralen Begriffe derart tief in unserem moralischen Verständnis verankert sind und in so vielen Situationen erfolgreich erprobt wurden, auch durchaus zu Recht geschieht. 621 Selbstverständlich impliziert dies jedoch nicht, dass wir alle die gleichen Sachverhalte als gut oder falsch einschätzen oder gar ein Konsens hinsichtlich eines obersten Moralprinzips besteht. Wenn nun die in der normativen Ethik nicht weiter hinterfragten logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen des Sprechens und des Argumentierens in den Blick genommen werden, dann handelt es sich um den Bereich der Metaethik. 622 Dieser jungen, eng mit der analytischen Philosophie verbundenen Disziplin, die sich nebst der Analyse der moralischen Begriffe und Strukturen mit epistemologischen, ontologischen sowie begründungstheoretischen Fragen beschäftigt, ist es als eine Art von Wissenschaftstheorie der Ethik gelungen, einen wertvollen Beitrag für einen systematischen Überblick der verschiedenen normativ-ethischen Theorien – in der Folge manchmal vereinfacht „ethische Theorien“ oder auch „Ethiken“ genannt – zu leisten. 623 Zu diesem Zweck werden die metaethischen Kategorien im Folgenden denn auch vorgestellt. 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 90 M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 3 Vgl. P. Singer: Praktische Ethik, Übers. von O. Bischoff et al., 2. Auflage, Stuttgart 1994, S. 15 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 2 A.a.O., S. 2 A.a.O., S. 2 Vgl. a.a.O., S. 2 Vgl. a.a.O., S. 2 Vgl. J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 3 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 2f Vgl. a.a.O., S. 11 6 Metaethische Kategorien „Ihrem Selbstverständnis nach beschäftigt sich die Metaethik mit moralischen und normativethischen Äusserungen, ohne normativ dazu Stellung zu nehmen, also ohne zu versuchen, diese Äusserungen zu kritisieren oder zu begründen. Sie ist insofern bemüht, gegenüber den verschiedenen Varianten normativer Ethik Neutralität zu wahren.“ 624 Diese Neutralität sollte allerdings nicht so verstanden werden, dass metaethische Theorien – wie deskriptive Ethiken – gänzlich auf wertende Stellungnahmen verzichten. Vielmehr geht es der Metaethik darum, erstens die Pluralität des normativ-ethischen Diskurses nicht ohne zwingenden Grund zu restringieren und zweitens eigene Prämissen, die in Verdacht stehen, normativ gehaltvoll zu sein, der Möglichkeit nach offen zu legen. 625 Während in der normativen Ethik nicht nur die Frage nach den richtigen und falschen moralischen Überzeugungen und Handlungen umstritten ist, sondern bereits Uneinigkeit darüber herrscht, was moralische Überzeugungen von anderen unterscheiden, ist es gerade die Aufgabe der Metaethik, in dieser Frage Stellung zu nehmen. 626 Das heisst: Es ist nicht das Ziel der Metaethik, Kriterien für moralisch richtiges Handeln zu begründen – das ist allein der normativen Ethik vorbehalten -, sondern vielmehr soll sie zur epistemisch ungewissen Frage, was den Bereich des Moralischen überhaupt kennzeichnet, (normativ) Stellung nehmen. Hinsichtlich der Klärung dieser eminent wichtigen Fragestellung, die im Übrigen nicht nur für die normative, sondern ebenso für die deskriptive Ethik von grosser Relevanz ist, lassen sich in der Metaethik vier systematische Teilbereiche unterscheiden, die zwar miteinander zusammenhängen, aber dennoch nicht aufeinander reduziert werden können: 627 Im sprachphilosophischen Teilbereich befassen sich die Metaethiker mit der Bedeutung sprachlicher Äusserungen, im Bereich der Philosophie des Geistes mit der Analyse von moralischen Überzeugungen und Gefühlen, während es im ontologischen Bereich um die Frage nach der Existenz moralischer Tatsachen geht, wozu im epistemologischen Bereich nach den entsprechenden Begründungen geforscht wird. Im Folgenden werden wichtige Kategorien der Metaethik, vor allem in Bezug auf die drei zuletzt genannten Bereiche, vorgestellt. 6.1 Kognitivismus versus Nonkognitivismus Die Unterscheidung zwischen kognitivistischen und nonkognitivistischen Theorien gehört zu den allgemeinsten in der Metaethik. 628 Sie ergibt sich aus der Frage, ob normative Aussagen als moralische Urteile bzw. Sätze aufzufassen sind, die erstens das Bestehen von moralischen Sachverhalten behaupten und entweder mit wahr – dann eine Tatsache – oder falsch beantwortet werden 629 oder zweitens mit aus der Vernunft gewonnenen Moralprinzipien übereinstimmen, so dass sie als gültig bzw. ungültig – bei Nicht-Übereinstimmung – ausgezeichnet werden können. Nach Uwe Czaniera galt bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts die Kognitivismusdebatte als entschieden, und zwar zugunsten des Nonkognitivismus. 630 Seit der Kritik an der wissenschaftstheoretischen Position des Logischen Empirismus – der Nonkognitivismus lehnte sich bis zu dieser Zeit eng an die zentralen Thesen dieses Standpunktes – kann allerdings ein Wiederaufleben des Kognitivismus auch in der analytischen Philosophie festgestellt werden. 631 Nach dem Nonkognitivismus, der nicht gleichzusetzen ist mit dem ethischen Skeptizismus632, haben 624 625 626 627 628 629 630 631 632 A.a.O., S. 11 Vgl. a.a.O., S. 11 Vgl. a.a.O., S. 11 Vgl. N. Scarano: „Metaethik - ein systematischer Überblick“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 27 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 11 Vgl. F. von Kutschera: Grundlagen der Ethik, 2. Auflage, Berlin und New York 1999, S. 50f Vgl. U. Czaniera: Gibt es moralisches Wissen? Die Kognitivismusdebatte in der analytischen Moralphilosophie, Paderborn 2000, S. 15 Vgl. a.a.O., S. 15 Der ethische Skeptizismus - als Variante des ethischen Objektivismus - geht im Gegensatz zum Nonkognitivismus davon aus, dass moralische Urteile wahr oder falsch sind. Er ist allerdings skeptisch, ob wir mit hinreichender 91 normative Sätze bzw. moralische Urteile nicht den Charakter von Behauptungen, sondern bloss von Befehlen, Empfehlungen oder Wünschen. In der radikalen Ausprägung bringen moralische Urteile nichts weiter als menschliche Gefühle bzw. Einstellungen zum Ausdruck, die dann allenfalls geeignet sind, die Handlungsweisen anderer appellativ zu beeinflussen. Die bekanntesten Vertreter dieser als Emotivismus bezeichneten nonkognitivistischen Variante sind Alfred J. Ayer und Charles S. Stevenson. Eine in den Konsequenzen weniger radikale nonkognitivistische Variante markiert der universelle Präskriptivismus von Richard M. Hare. Hare stimmt mit den Emotivisten darin überein, dass moralische Urteile letztlich nicht wahrheitsfähig sind, er verwirft aber den Gedanken, wonach solche Urteile eine bloss emotive Bedeutung hätten. Vielmehr hält Hare am rationalen Charakter der Moral fest, und zwar dadurch, dass er die Sprache der Moral als eine vorschreibende, das heisst imperative Sprache auffasst 633, die die Möglichkeit bietet, moralische Urteile auf deren Konsistenz und Universalisierung hin zu prüfen. Denn wenn in einer Situation moralische Urteile gesprochen werden, dann gilt dies in einer vergleichbaren Situation ausnahmslos auch für die Person, welche dieses moralische Urteil fällt, andernfalls wird sie selbst kritisierbar. Damit gelingt es Hare in seiner metaethischen Theorie, trotz nonkognitivistischer Auffassung, normative Konsequenzen, die weder den ethischen Egoismus 634 noch andere Formen des Partikularismus zulassen, herauszuarbeiten. Zwar vermag der universelle Präskriptivismus zwischen gültigen und ungültigen moralischen Urteilen zu unterscheiden, allerdings nur relativ zur eigenen Theorie, das heisst hinsichtlich der Konsistenz der verschiedenen präskriptiven Urteile. Die Vertreter des Kognitivismus auf der anderen Seite stellen sich auf den Standpunkt, dass zumindest ein Teil der moralischen Urteile als solche gültig oder ungültig sind, „dass, anders gesagt, moralische Urteile ungültig sein können, auch ohne logisch-semantisch inkonsistent zu sein.“ 635 Im Streit zwischen den Kognitivisten und Nonkognitivisten geht es aber letztlich um die Frage nach der Möglichkeit und Reichweite der Begründung moralischer Urteile. 636 Beim Kognitivismus lässt sich dabei zwischen einer starken und einer schwachen Variante unterscheiden. Während Letztere bloss den Anspruch erhebt, dass ethische Aussagen begründungsfähig sind 637 bzw. „moralische Urteile einer rationalen Kritik unterzogen werden können und daß es dementsprechend auch die Möglichkeit gibt, sie gegen solche Kritik zu verteidigen“ 638 können nach der starken kognitivistischen Variante wahre bzw. gültige moralische Urteile durch adäquate Begründungen sehr wohl ausgezeichnet werden. Nun sind Begründungsleistungen – ob explizit gemacht oder nicht – untrennbar mit erkenntnistheoretischen Überlegungen verbunden. Dem entsprechend unterscheidet Otfried Höffe als epistemologische Binnendifferenzierung kognitivistischer Theorien zwischen Naturalismus – häufig auch ethischer Naturalismus genannt – und Intuitionismus. 639 Nach Ersterem erweisen sich moralische Urteile bei näherer Analyse als gleichbedeutend mit gewissen empirischen Prädikaten. 640 Mit anderen Worten: Wenn etwas als 633 634 635 636 637 638 639 640 92 Sicherheit die Wahrheit moralischer Erkenntnis zu erkennen vermögen. (Vgl. F. von Kutschera: Grundlagen der Ethik, a.a.O., S. 53) Vgl. R. M. Hare: Die Sprache der Moral, Übers. von P. von Morstein, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1997, S. 19 Mit dem ethischen Egoismus wird eine verallgemeinerte Verhaltensorientierung bezeichnet, die ethisches Verhalten aus Selbstinteresse zum Prinzip erhebt. In der stärkeren Form verpflichtet der ethische Egoismus zur universalen Maximierung des eigenen Nutzens, während in der schwächeren Form diese bloss erlaubt ist. Die Auffassung des ethischen Egoisten ist allenfalls für Teilbereiche wie das im Rahmen der Wirtschaftsordnung funktionierende Marktsystem plausibel, nicht aber für eine allgemeine Moraltheorie; denn ohne altruistische Elemente verliert eine ethische Theorie im Grunde genommen ihr Proprium. In der Literatur wird der ethische Egoismus unterschieden vom psychologischen Egoismus. Nach dessen Theorie ist jegliches menschliches Handeln (also auch altruistisches) - bewusst oder unbewusst - letztlich von eigennützigen Motiven bestimmt. (Vgl. D. Birnbacher: „Utilitarismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 95f) M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 12 Vgl. M. Quante: Einführung in die Allgemeine Ethik, Darmstadt 2003, S. 40 Vgl. a.a.O., S. 40 N. Scarano: Moralische Überzeugungen. Grundlinien einer antirealistischen Theorie der Moral, Paderborn 2001, S. 27f Vgl. O. Höffe: „Metaethik“, in: Lexikon der Ethik, Hrsg. von O. Höffe et al., München 1997, S. 197 Vgl. a.a.O., S. 197 moralisch gut erkannt wird, dann ist dies gleichbedeutend mit empirischen Aussagen, dass etwas beispielsweise nützlich oder lustvoll ist. Moralische Urteile lassen sich denn auch aus wahren Sätzen über den Menschen ableiten und Ethik wird zur Angelegenheit der empirischen Wissenschaften. 641 Das Standardargument gegen den in verschiedenen Formen auftauchenden epistemologischen Bezug zur Natur ist der von David Hume entdeckte logische Sein-SollenFehlschluss, der später vom englischen Philosophen George E. Moore als semantischer naturalistischer Fehlschluss 642 enger gefasst wurde. 643 Für Richard M. Hare, der die Gedanken von G. E. Moore im Wesentlichen stützt und auf die Funktion „Empfehlung“ von Wertewörtern hinweist, ist es wichtig, diese logisch unzulässige Konklusion zu verstehen, sonst werden naturalistische Fehlschlüsse – wie die Versuche, den Kreis zu quadrieren oder die Induktion zu rechtfertigen – ständig wiederkehren. 644 Damit die Gefahr eines logisch unzulässigen Sein-SollenSchlusses verhindert werden kann, muss – so Hare – einerseits sichergestellt werden, dass kein Wertbegriff wie „gut“ mit beschreibenden Eigenschaften, zum Beispiel „männlich“, gleichgesetzt wird, andererseits gilt es aber auch zu beachten, dass beschreibende Tatsachen keine leicht übersehbaren normativen Begriffe wie „natürlich“, „normal“ oder „zufriedenstellend“ beinhalten. 645 Wie der Naturalismus geht auch der Intuitionismus von einer objektiven Erkennbarkeit moralischer Tatsachen aus. Er begreift diese allerdings nicht als natürliche und empirisch überprüfbare moralische Sachverhalte, sondern als unmittelbar (intuitiv) einsehbare moralische Grundwahrheiten. 646 Moore wendet sich zwar gegen eine reduktive Verwendung des Begriffes „gut“, ist aber dennoch davon überzeugt, dass es basale moralische Überzeugungen gibt, zu denen die Menschen einen direkten epistemologischen Zugang haben. Thomas Schmidt betont, dass die Position des Intuitionismus bereits früher, also vor Moore, von bekannten Philosophen wie Joseph Butler, Richard Price oder Henry Sidgwick eingenommen wurde, das Spektrum der Auffassungen über den Inhalt des moralischen Wissens sowie der Beschreibungen des menschlichen Intuitionsvermögens hingegen gross sei. 647 Es ist leicht nachvollziehbar, dass mit dieser moralepistemologischen Position die grundsätzliche Schwierigkeit verbunden ist, mit welchen Kriterien die Richtigkeit von Intuitionen beurteilt werden kann. Die Autoren Düwell, Hübenthal und Werner sehen – nebst dem Naturalismus und Intuitionismus – in konstruktivistischen Ansätzen eine dritte moralepistemologische Grundposition. 648 Nach diesem Standpunkt sind moralische Tatsachen nicht unabhängig von den Urteilen über diese Tatsachen bzw. sind moralische Wahrheiten immer mit den Personen verbunden, die über diese Wahrheiten befinden. 649 So nimmt die Diskursethik – als Beispiel genommen – für sich in Anspruch, „in sich gültige Normen im Bereich der Moral und des Rechts“ 650 641 642 643 644 645 646 647 648 649 650 Vgl. a.a.O., S. 197 G. E. Moore ist einer der bedeutendsten Kritiker des ethischen Naturalismus. Nach ihm können naturale Begriffe wie „angenehm“ zwar mit gut beschrieben werden, damit wird aber „angenehm“ nicht identisch mit „gut“ und auch „gut“ nicht mit „angenehm“. Denn es bleibt die offene Frage, ob denn die natürliche Eigenschaft, die mit gut bezeichnet wurde, auch tatsächlich gut ist. Als Beispiel wählt Moore eine Orange, die wir zwar als gelb bezeichnen, deswegen ja aber nicht etwa meinen, sie könne nichts anderes als gelb sein bzw. gelb müsse immer mit einer Orange gleichgesetzt werden. Der Fehlschluss zeigt sich bei Moore also sprachanalytisch; von einem naturalistic fallacy spricht er im Übrigen allein deshalb, weil naturale Begriffe wie „angenehm“ so oft unzulässig mit „gut“ als einem Begriff sui generis vermischt werden. (Vgl. G. E. Moore: Principia Ethica, Revised Edition, Cambridge University Great Britain 1993, S. 65f) Vgl. O. Höffe: „Metaethik“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 197 Vgl. R. M. Hare: Die Sprache der Moral, a.a.O., S. 123f Vgl. a.a.O., S. 124 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 13 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 50 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 13 Vgl. a.a.O., S. 13 M. Bondeli: „Konsequentialistisch geläuterte Diskursethik: Die diskursethische Legitimation des Rechts“, in: Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, Vorträge der Tagung der Schweizer Sektion der internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (SVRSP) vom 15. und 16. November 2002 in Luzern, Hrsg. von P. Mastronardi, Wiesbaden 2004, S. 145 93 durch eine allgemeine Zustimmung der Diskursgemeinschaft auszeichnen zu können. Allerdings können nach Habermas normative Sätze nicht in gleicher Weise wie deskriptive Sätze wahr oder falsch sein, sondern vielmehr muss von einer schwächeren Annahme, das heisst von einem wahrheitsanalogen Geltungsanspruch im Sinne einer normativen Richtigkeit ausgegangen werden. 651 Letztere entscheidet sich bei Habermas mithilfe des von ihm gefassten Moralprinzips, das zwischen gültigen (einem allgemeinen Willen entsprechenden) und ungültigen (nicht konsensfähigen) moralischen Urteilen zu unterscheiden vermag. 652 Konstruktivistische Ansätze müssen „nicht zwangsläufig in einen ethischen Relativismus münden, dem zufolge moralische Auffassungen nur relative Gültigkeit – bezogen auf das jeweilige Moralprinzip oder die jeweilige moralische Gemeinschaft – zukommt.“ 653 Wenn aufgezeigt werden kann, dass kognitive, pragmatische, soziale oder sprachliche Strukturen als Bedingungen der Möglichkeit gültiger moralischer Urteile aufgefasst werden können, dann kann dem Konstruktivismus durchaus eine universalistische Wendung gegeben werden. 654 Nach Düwell et al. lassen sich die ethischen Theorien in der Zeit nach Kant vermutlich am ehesten als konstruktivistische Ansätze begreifen. 655 6.2 Moralischer Realismus Nach Otfried Höffe geht es der neueren Metaethik weniger um den epistemologischen Gegensatz von Kognitivismus und Nonkognitivismus als um die ontologische Unterscheidung zwischen Realismus und Antirealismus und deren Konsequenzen für die Philosophie des Geistes, die Handlungstheorie und Semantik. 656 Nach Thomas Schmidt gehen moralische Realisten noch einen Schritt weiter als die Kognitivisten, und zwar dadurch, dass sie die semantische These, wonach moralische Urteile entweder wahr oder falsch bzw. gültig oder ungültig sein können, mit einer metaphysischen These über die Existenz und die Natur moralischer Tatsachen verbinden. 657 Das bedeutet, dass es nach dem moralischen Realismus – dessen Theorien manchmal auch objektivistisch genannt werden 658 – moralische Tatsachen gibt, die unabhängig von unseren moralischen Urteilen existieren. 659 Die Frage nach der Wahrheit eines moralischen Urteils „ist demnach allein vom Bestehen des durch das Urteil ausgedrückten Sachverhalts abhängig.“ 660 Die Antirealisten dagegen bestreiten die Existenz genuin moralischer Tatsachen und vertreten dann als Nonkognitivisten entweder einen ethischen Relativismus 661 oder versuchen auf andere Weise, die 651 652 653 654 655 656 657 658 659 660 661 94 Vgl. J. Habermas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt a. M. 1983, S. 66 Vgl. a.a.O., S. 73 M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 13 Vgl. a.a.O., S. 13 Vgl. a.a.O., S. 14 Vgl. O. Höffe: „Metaethik“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 198 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 49 Vgl. F. von Kutschera: Grundlagen der Ethik, a.a.O., S. 213 Vgl. O. Höffe: „Metaethik“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 198 A.a.O., S. 198 Der ethische Relativismus vertritt die These, „dass nichts einfach moralisch gut oder moralisch richtig ist, sondern dass alles nur für eine Person, eine Gesellschaft, eine moralische Tradition, eine Epoche oder einen Ethos moralisch gut oder moralisch richtig ist.“ (K. P. Rippe: „Relativismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 498). Rippe betont, dass der ethische Relativismus nach Bernard Williams die typische Häresie der Ethnologen sei und in den letzten Jahrzehnten auch tatsächlich nur wenige Moralphilosophen - allerdings so einflussreiche wie Gilbert Harmann, Alasdair McIntyre und Richard Rorty - diese Position vertreten hätten. (Vgl. K. P. Rippe: „Relativismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 498). Beim ethischen Relativismus wird zwischen dem deskriptiven bzw. empirischen, dem normativen und dem metaethischen Relativismus unterschieden. Der deskriptive Relativismus hebt die Unterschiede ohne normative Stellungnahme hervor, der normative Relativismus vertritt nonkognitivistisch die Gleichwertigkeit der Unterschiede und der metaethische Relativismus schliesslich stellt die methodologische Behauptung auf, dass es keine Methode gibt, welche die Gültigkeit des Moralsystems einer Kultur gegenüber einer anderen nachweisen zu können. (Vgl. O. Höffe: „Relativismus“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 248) Geltung moralischer Urteile zu erklären. 662 Aber was lässt sich denn überhaupt unter moralischen Tatsachen verstehen? Weil die Bestimmung moralischer Tatsachen über die ontologische bzw. metaphysische Annahme, dass moralische Tatsachen grundsätzlich existieren, hinausgeht und bereits eine kognitive Leistung abverlangt, kann in der Beantwortung der zuvor gestellten Frage nicht mehr streng zwischen Kognitivismus und Realismus unterschieden werden. Diese Ansicht wird bestätigt durch den Standpunkt von Peter Schaber, der den moralischen Realismus explizit als die Gegenposition zum Nonkognitivismus bestimmt. 663 Die weiteren Ausführungen sind denn auch als Ergänzungen zu den zwei bereits vorgestellten moralepistemologischen Positionen des Naturalismus und Intuitionismus zu verstehen. Diesen letzten Bemerkungen entsprechend unterscheidet der moralische Realismus zwischen der Position des naturalistischen und des nicht-naturalistischen Realismus. Nach der naturalistischen Variante sind moralische Tatsachen entweder identisch mit natürlichen Tatsachen oder aber durch diese in einem zu spezifizierenden Sinne konstituiert. 664 Während es bei der ersten Variante – wie im Unterkapitel über das Begriffspaar Kognitivismus bzw. Nonkognitivismus bereits kurz angesprochen – keinen Bedeutungsunterschied zwischen beispielsweise glückbringenden und guten Eigenschaften gibt, supervenieren bei der zweiten Variante moralische Eigenschaften mit deskriptiven bzw. natürlichen Tatsachen oder Eigenschaften. Mit anderen Worten: Nach der zweiten Variante besteht ein untrennbares Korrelat zwischen natürlichen und moralischen Eigenschaften, ohne dass diese aufeinander reduziert werden könnten. Nach Peter Schaber ist allerdings unklar, ob es sich beim Supervenienzverhältnis um ein Verhältnis verschiedener realer Eigenschaften handelt oder ob es um die Zuordnung von moralischen Bewertungen zu bestimmten natürlichen Eigenschaften geht. 665 Einen wichtigen Hinweis im Zusammenhang mit der Supervenienz-Debatte, in der zwischen einer schwachen und einer starken Form unterschieden wird, liefert Nico Scarano mit der Bemerkung, dass ethische Grundprinzipien ihren Zweck zwangsläufig verfehlen müssten, wenn sie nicht von deskriptiven Ausdrücken Gebrauch machen würden; denn eine der „Hauptaufgaben jeder Ethik liegt nämlich darin, die Anwendungskriterien für ihre normativen Grundbegriffe zu bestimmen.“ 666 Mit anderen Worten: Um moralische Forderungen wie Schutz der Freiheit zur Geltung bringen zu können, sind empirisch-deskriptive Sollens-Anweisungen unerlässlich. In Bezug auf naturalistische Positionen drängt sich nun allerdings die Frage auf, ob denn Moores Argument des naturalistischen Fehlschlusses bzw. der offenen Frage seine Wirksamkeit eingebüsst hat. Nach Thomas Schmidt ist die Schlagkraft dieses Arguments in der Tat zunehmend zweifelhaft, unter anderem steht seiner Meinung nach mittlerweile fest, „dass die These, moralische Tatsachen seien mit nicht-moralischen Tatsachen identisch, keineswegs auf eine Synonymiebehauptung hinauslaufen muss.“ 667 Nach Schaber geht Moore von der Annahme aus, dass es sich bei der Definition von „gut“ um eine rein analytische Aussage handelt, dabei kann der ethische Naturalist diese Aussage jedoch als synthetisch und – trotzdem – als notwendig wahr bestimmen. 668 Auch der von Hare gegenüber den Naturalisten erhobene Einwand, dass mit der Gleichsetzung des Begriffes „gut“ mit natürlichen Eigenschaften der empfehlende Charakter von „gut“ verloren gehe, weist Schaber zurück, und zwar mit der Begründung, „daß der empfehlende Charakter nicht das ist, was alle Verwendungen von ‚gut’ verbindet.“ 669 Damit zeigt sich allerdings, dass die Zurückweisung von Moores Argument mit einem hohen Preis bezahlt wird, nämlich mit der Zurücknahme der Normativität in moralischen Urteilen. John Leslie Mackie sieht gerade darin ein schwerwiegendes Problem: „Doch das, was er [der gewöhnliche Mensch, JN] auszusagen wünscht, ist nicht rein beschreibender, rein theoretischer Art, sondern 662 663 664 665 666 667 668 669 Vgl. O. Höffe: „Metaethik“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 198 Vgl. J.-C. Wolf und P. Schaber: Analytische Moralphilosophie, Freiburg und München 1998, S. 130 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 53 Vgl. P. Schaber: Moralischer Realismus, Freiburg und München 1997, S. 107 N. Scarano: Moralische Überzeugungen, a.a.O., S. 66 T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 53 Vgl. P. Schaber: Moralischer Realismus, a.a.O., S. 92 A.a.O., S. 97 95 etwas, das zum Handeln bzw. zum Unterlassen aufruft, und etwas, was unbedingt gilt und nicht abhängig ist von irgendwelchen Wünschen, Vorlieben, Absicht oder Entscheidungen, seien es nun seine eigenen oder die anderer.“ 670 Mit anderen Worten: Dadurch, dass moralische Eigenschaften auf natürliche, deskriptive Eigenschaften reduziert werden bzw. der in der Moral und Ethik so bedeutungsvolle Begriff „gut“ nicht unbedingt eine Handlungsempfehlung impliziert, verlieren moralische Eigenschaften ihr normatives (gebieterisches) Element. In diesem Sinne weist Thomas Schmidt darauf hin, „dass eine Naturalisierung des Moralischen ein Projekt ist, das gleichsam den Witz der Moral verfehlt und daher von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist.“ 671 Die Auffassung, die nicht-naturalistische Realisten wie etwa John McDowell oder Thomas Nagel über die Moral haben, unterscheidet sich radikal von den naturalistischen Realisten. Nach Thomas Schmidt betonen sie „die Diskontinuitäten zwischen der Moral und dem Zuständigkeitsbereich der Wissenschaften. Sie halten entsprechend wenig von Versuchen, die Moral den Wissenschaften möglichst weitgehend anzugleichen. Vielmehr sehen sie das Moralische als einen spezifischen Bereich, dessen Besonderheiten es theoretisch Rechnung zu tragen gilt.“ 672 Dem entsprechend unterscheidet die nicht-naturalistische Position zwischen moralischen und nicht-moralischen (natürlichen bzw. deskriptiven) Eigenschaften, ohne jedoch – wie G. E. Moore – die Existenz eines autonomen objektiven moralischen Bereichs behaupten zu wollen. 673 Die epistemologisch nicht gerade einfach zu verstehende Position erfährt ihre Rechtfertigung mit dem Blick auf das Verhältnis zwischen den modernen Naturwissenschaften und unserer Alltagssprache, der deutlich macht, „dass wir eine ganze Reihe von Tatsachen und Eigenschaften als objektiv und respektabel anzusehen geneigt sind, von deren Existenz in unseren besten verfügbaren naturwissenschaftlichen Theorien keine Rede ist.“ 674 Dabei handelt es sich insbesondere um Eigenschaften von Gegenständen, die die philosophische Tradition „sekundäre Qualitäten“ und die analytische Philosophie Qualia 675 nennt. Als Beispiel können Farben oder Gerüche genannt werden, die trotz ihres Status als Eigenschaften objektiver Gegenstände erst durch entsprechende Wahrnehmungsfähigkeiten verständlich gemacht werden können. Mit Bezug auf nicht-naturalistische Konzeptionen bedeutet dies, dass moralische Werte zwar objektiv sind, aber zugleich subjektiv, „und zwar in ungefähr der gleichen Form wie bei einer Eigenschaft, die einem Gegenstand durch eine Erfahrung der Röte zugeschrieben wird.“ 676 Nach McDowell zeigt sich zwischen der moralischen und nicht-moralischen subjektiven Erkenntnisleistung allerdings doch eine Unähnlichkeit: Während die „Farbeinstellung“ lediglich bewirkt, dass Farben erfahren werden können, vermag eine evaluative Einstellung in der Form einer Tugend dafür zu sorgen, dass moralische Werte nicht nur in ihrer Beschaffenheit, sondern auch in der Relevanz ihrer Anwendung wahrgenommen werden. 677 Weniger auf die sinnlich-intuitiven Erkenntnisfähigkeiten als auf das rationale Denkvermögen vertraut Thomas Nagel. Nach ihm sind Subjektivität und Objektivität zwei Pole, die im Verhältnis zueinander in den unterschiedlichen Erscheinungen graduell verschieden sind. 678 Das Streben nach Objektivität erfordert ein Transzendieren des Selbst, wobei es um das geht, „was an sich existiert oder an sich wertvoll ist, und nicht für irgend jemanden.“ 679 Allerdings – so Nagel – besteht die Wirklichkeit nicht nur aus der objektiven Wirklichkeit, denn gerade im Streben nach Objektivität zeigt sich, dass 670 671 672 673 674 675 676 677 678 679 96 J. L. Mackie: Ethik. Die Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen, Übers. von R. Ginters, Stuttgart 1981, S. 37 T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 56 A.a.O., S. 56 Vgl. a.a.O., S. 56 A.a.O., S. 56 Vgl. A. Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, 2. Auflage, Berlin und New York 2001, S. 168f J. McDowell: Wert und Wirklichkeit. Aufsätze zur Moralphilosophie, Übers. von J. Schulte, Frankfurt a. M. 2002, S. 221 Vgl. a.a.O., S. 221 Vgl. T. Nagel: Über das Leben, die Seele und den Tod, Übers. von K.-E. Prankel und R. Stoecker, Königstein 1984, S. 226 A.a.O., S. 228 wahrnehmungsfähige Wesen die Welt nicht an sich zu erkennen vermögen und das objektive Bild der Welt, was immer es auch zeigt, etwas auslassen muss. 680 Es ist unschwer festzustellen, dass nicht-naturalistische Theorien zwecks Wahrnehmung objektiver moralischer Werte auf die Erkenntnisquelle des Intuitionismus Bezug nehmen. Thomas Schmidt betont in diesem Zusammenhang, dass diese Konzeptionen deswegen aber nicht als Rückschritt in die Probleme des klassischen Intuitionismus, der ein über unsere fünf Sinne hinausgehendes moralisches Erkenntnisvermögen vorsah, gewertet werden sollten. 681 Vielmehr gilt, dass der Nicht-Naturalismus gewichtige Vorteile für sich in Anspruch nehmen kann: Er ist mit unserem vortheoretischen Alltagsverständnis weitgehend im Einklang, zudem muss der Umstand, dass naturwissenschaftliche Erklärungen ohne die Annahme der Existenz moralischer Tatsachen auskommen, nicht länger als ein Problem beurteilt werden. Diesem Vorteil steht allerdings die keineswegs einfache Frage gegenüber, in welchem Verhältnis zwischen Welt und Person das moralisch Wertvolle erfahren werden kann, ohne auf der einen Seite zum Lager der naturalistischen und auf der anderen Seite zu den nonkognitivistischen Theorien gezählt zu werden. 6.3 Linear-deduktive, kohärentistische und reflexive Begründungsmuster Die moralepistemologische Unterscheidung zwischen Naturalismus, Intuitionismus und Konstruktivismus verdankt sich der moralontologischen Frage nach der Existenz oder zumindest Wahrheit bzw. Gültigkeit moralischer Tataschen; denn ohne die bewusste oder unbewusste Einnahme eines erkenntnistheoretischen Standpunktes lässt sich diese Frage nicht beantworten. Die Differenzierung zwischen linear-deduktiven, kohärentistischen und reflexiven Begründungsmustern bezieht sich dagegen auf die rechtfertigungstheoretische Frage nach der Struktur ethischer Begründungen. 682 Anders gesagt: Mit den drei verschiedenen Begründungsmustern wird aufgezeigt, auf welche Art und Weise moralisch wahre bzw. gültige Urteile ausgezeichnet werden können. Die Kraft und Reichweite von moralischen Urteilen kann dabei durchaus vom verwendeten Begründungstyp abhängen. Das linear-deduktive Begründungsmuster ist durch eine eindeutige Begründungsrichtung und durch die damit zusammenhängende, als Münchhausen-Trilemma bekannte, Problematik gekennzeichnet, wonach die Begründungskette, falls sie nicht an einem bestimmten Punkt abgebrochen wird, entweder in einen infiniten Regress oder in einen logischen Zirkel mündet. 683 Nach diesem Begründungsmuster können auf konkrete Handlungssituationen bezogene moralische Urteile von moralischen Normen bzw. höheren ethischen Prinzipien abgeleitet werden. Dies erfordert zwar logisches Denkvermögen, ansonsten sind Begründungen dieser Art eher unproblematisch. Die Schwäche dieses Begründungstyps liegt jedoch darin, dass mit jeder Bezugnahme auf eine höhere Regel – sei dies eine Norm oder ein Prinzip – diese in das Spannungsfeld der Rechtfertigung gelangt. 684 Ethische Theorien mit einer linear-deduktiven Rechtfertigungsstruktur sind denn auch darauf angewiesen, dass das oberste Prinzip (zum Beispiel die Glücksmaximierung) den Menschen so weit plausibel erscheint, dass es keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Dieser Begründungstyp kann aus logischen Gründen das Postulat einer Letztbegründung nicht beanspruchen. Anders als beim linear-deduktiven Begründungsmuster besteht bei der kohärentistischen Begründungsvariante zwischen moralischen Urteilen und dem Moralprinzip keine logische Beziehung. 685 Das impliziert, dass moralische Urteile als Beleg für die Gültigkeit des 680 681 682 683 684 685 Vgl. a.a.O., S. 231 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 57 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 14 Vgl. a.a.O., S. 14 Vgl. a.a.O., S. 14 Vgl. a.a.O., S. 14 97 Moralprinzips gewertet werden können. 686 Mit anderen Worten: Die Begründungsleistung kann demnach darin bestehen, dass „neue“ moralische Aussagen das Moralprinzip bzw. bestehende moralische Urteile stützen und dadurch zu einem kohärenten komplexen Netzwerk moralischer Urteile beitragen. Das wohl prominenteste Beispiel einer kohärentistischen Rechtfertigung liefert John Rawls mit seinem Überlegungs-Gleichgewicht, mit dessen Hilfe die gewählten Gerechtigkeitsgrundsätze mit unseren wohlüberlegten Gerechtigkeitsvorstellungen geprüft und die Abweichungen durch beidseitige Anpassung harmonisiert werden. 687 Düwell et al. weisen darauf hin, dass kohärentistische Begründungen in der Regel auf einem rekonstruktivistischen Selbstverständnis der normativen Ethik basieren. 688 Das heisst, ethische Theorien mit diesem Begründungsmuster zielen „auf eine – möglichst konsistente und einfache – Rekonstruktion des gegebenen Systems moralischer Überzeugungen und seiner kognitiven Grundstrukturen“ 689. Damit zeigt sich aber auch eine mögliche Schwäche dieser Rechtfertigungsstruktur, es fragt sich nämlich, ob mit kohärentistischen Begründungen allein die genuine Aufgabe der normativen Ethik erfüllt werden kann. 690 Die Vermutung liegt nahe, dass durch eine konsistente und kohärente Systematisierung deskriptiv gewonnener moralischer Überzeugungen und Urteile kaum hinreichend Gründe für die Verbindlichkeit moralischer Forderungen erzeugt werden können. Dem Einwand, dass die Verbindlichkeit von Theorien mit einem kohärentistischen Begründungstyp von Voraussetzungen abhängig ist, die nicht von allen geteilt werden, kann im Übrigen wohl nur schwerlich begegnet werden. Reflexive Begründungen versuchen nachzuweisen, dass das zu Begründende nicht konsistent bestritten werden kann. 691 Konkreter gesagt: Reflexive Begründungsmuster weisen auf die Unhintergehbarkeit des zu Begründenden hin, indem sie dieses als Bedingung der Möglichkeit von etwas, das wir als Moralsubjekte unbedingt in Anspruch nehmen müssen, auszeichnen. Geeignete Kandidaten dazu sind etwa Rationalität oder Sprachstrukturen. Als prominente ethische Theorie bedient sich die Diskursethik dieser Rechtfertigungsstruktur. Im Gegensatz zum lineardeduktiven oder kohärentistischen Begründungsmuster kann mit der reflexiven Rechtfertigung bzw. transzendentalen Reflexion am Projekt einer sogenannten Letztbegründung festgehalten werden. Karl-Otto Apel – als bekanntestes Beispiel für eine absolute Begründung – sieht die moralische Grundnorm in der Sprachlogik verankert, von der selbst das Münchhausen-Trilemma notwendig Gebrauch machen muss: „Im Apriori der Argumentation liegt der Anspruch, nicht nur alle »Behauptungen« der Wissenschaft, sondern darüber hinaus alle menschlichen Ansprüche (auch die impliziten Ansprüche von Menschen an Menschen, die in Handlungen und Institutionen enthalten sind) zu rechtfertigen. Wer argumentiert, der anerkennt implizit alle möglichen Ansprüche aller Mitglieder der Kommunikationsgemeinschaft, die durch vernünftige Argumente gerechtfertigt werden können (sonst würde der Anspruch der Argumentation sich selbst thematisch beschränken), und er verpflichtet sich zugleich, alle eigenen Ansprüche an Andere durch Argumente zu rechtfertigen.“ 692 Mit anderen Worten: Allein aus der apodiktischen Sprachlogik im Argumentieren ergibt sich für die Menschen, dass sie ihr gesamtes Handeln grundsätzlich gegenüber allen anderen Menschen rechtfertigen müssen. Dass reflexive Begründungen keineswegs unbedingt an das Postulat einer Letztbegründung geknüpft sein müssen, zeigt Jürgen Habermas mit dem Hinweis, dass die Alternativlosigkeit der sprachlogischen Regeln für die Argumentationspraxis zwar bewiesen, damit jedoch keine Begründung geleistet ist. 693 Dem entsprechend ist Habermas für die Begründung seiner 686 687 688 689 690 691 692 693 98 Vgl. a.a.O., S. 14 Vgl. J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, a.a.O., S. 37f Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 14 A.a.O., S. 14 Vgl. a.a.O., S. 14 Vgl. a.a.O., S. 14 K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, 6. Auflage, Frankfurt a. M. 1999, S. 424f Vgl. J. Habermas: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, a.a.O., S. 105 Diskursethik nicht bereit, die Position einer Letztbegründung einzunehmen. 694 Noch einen Schritt weiter geht Bernard Williams, wenn er sagt, dass es durchaus nicht klar sei, „was eine Begründung des ethischen Lebens bewirken könnte oder warum wir überhaupt so etwas benötigen.“ 695 Mit anderen Worten: Selbst wenn die Möglichkeit einer Letztbegründung bestehen würde, der praktische Nutzen wäre wohl nicht allzu gross; denn wenn „ein Amoralist ethische Erwägungen in Zweifel zieht und behauptet, es gäbe keinen vernünftigen Grund, den Anforderungen der Moral Folge zu leisten, was können wir ihm dann sagen?“ 696 Düwell, Hübenthal und Werner weisen darauf hin, dass grundsätzlich die Möglichkeit der Kombination dieser drei Begründungstypen bestehe, wobei die reflexive Rechtfertigung als dritter Begründungstyp in der Diskussion umstritten sei und die Verfechter des kohärentistischen Begründungsmusters noch am ehesten ihren Ansatz als selbstgenügsam sähen. 697 Dass eine Kombination verschiedener Rechtfertigungstypen sinnvoll sein kann, hat sicher auch damit zu tun, dass zwischen verschiedenen Begründungsebenen698 unterschieden werden kann. Im Zusammenhang mit den Ausführungen von Düwell, Hübenthal und Werner lässt sich eine dreistufige Begründungsstruktur skizzieren, die zwischen theorieimmanenter, moralontologischer und moralepistemologischer Begründung unterscheidet. Auf der Ebene der theorieimmanenten Begründung geht es um die Begründung erstens von konkreten Handlungssituationen mit Blick auf von der ethischen Theorie vorgegebenen Regeln oder zweitens von ethischen Regeln, die ihrerseits in einem Hierarchie-Verhältnis zu anderen Regeln der theoretischen Konzeption stehen. Hier zeigt sich sowohl das kohärentistische als auch das linear-deduktive Muster als sinnvoll, wobei bei Letzterem an das Urteilsvermögen hinsichtlich der Subsumption höhere Anforderungen gestellt werden. Auf der zweiten Begründungsebene, der moralontologischen, stellt sich die Frage, wie die obersten ethischen Regeln einer Theorie, zum Beispiel „the greatest happiness or greatest felicity” 699 von Jeremy Bentham, der oberste Wertrang des Angenehmen bzw. Unangenehmen 700 bei Max Scheler oder der Universalisierungsgrundsatz 701 von Jürgen Habermas begründet werden können. Begründungen hierzu können etwa so lauten: Es zeigt sich, dass alle Menschen (empirisch gesehen) nach Glück bzw. Glückseligkeit streben 702, ein Apriorismus des Emotionalen 703 besteht oder die Bestreitung der sprachlogischen Präsuppositionen die Bedeutung eines performativen Widerspruchs704 hat 705. Damit wird deutlich, dass die Begründungsleistung auf der moralontologischen Ebene in einem entweder kohärentistischen – die naturalistische Position 694 695 696 697 698 699 700 701 702 703 704 705 Vgl. a.a.O., S. 93 B. Williams: Ethik und die Grenzen der Philosophie, Hamburg 1999, S. 41 A.a.O., S. 39 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 14 Wolfgang Kuhlmann unterscheidet zwischen drei Begründungsebenen: Erstens die Ebene der Einzelhandlungen, zweitens diejenige der mehr oder weniger generellen Normen und schliesslich die Ebene des Moralprinzips. Nach Kuhlmann haben die Kognitivisten die Auffassung, dass auf den beiden ersten Ebenen Begründungsleistungen wegen der Möglichkeit eines Bezugs auf eine höhere Norm sinnvoll und möglich sind. In Bezug auf die Begründungsmöglichkeit des Moralprinzips wird hingegen eingewendet, dass dieses durch das vortheoretisches Alltagswissen ausreichend konstituiert sei. Im Übrigen müsse das Moralprinzip ohnehin, analog zum Wahrheitsbegriff in der theoretischen Philosophie, als der letzte Standard für das moralisch Richtige in der praktischen Philosophie aufgefasst werden. Nach Kuhlmann beschränken sich denn auch viele Autoren darauf, das Moralprinzip als Inhalt des vortheoretischen moralischen Bewusstseins zu explizieren bzw. zu rekonstruieren. (Vgl. W. Kuhlmann: „Begründung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 323) J. Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789), Hrsg. von J. H. Burns und H. L. A. Hart, London 1970, S. 11 Vgl. M. Scheler: „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (1913/16)“, in: Ethik, Hrsg. von P. Welsen, Freiburg und München 1999, S. 174 Vgl. J. Habermas: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, a.a.O., S. 76, 103 Vgl. J. Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789), a.a.O., S. 11 Vgl. M. Scheler: „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (1913/16)“, in: Ethik, a.a.O., S. 171 Der performative Widerspruch besagt, dass die Bestreitung eines Sachverhalts nur mit den Mitteln möglich ist, die gerade aber bestritten werden. (Vgl. J. Habermas: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, a.a.O., S. 90) Vgl. J. Habermas: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, a.a.O., S. 100 99 bedient sich vorwiegend dieses Begründungstyps 706 – oder aber linear-deduktiven Zusammenhang mit einer Erkenntnisleistung steht. Bei der dritten und obersten Begründungsebene, der moralepistemologischen, stellt sich nun die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Fundament dieser Erkenntnisleistung. Das heisst, auf dieser Ebene kommen die moralepistemologischen Standpunkte des Naturalismus, Intuitionismus oder des Konstruktivismus in den Blick, wobei die Entscheidung für einen dieser drei Standpunkte metaphysischer Natur ist und eine Argumentation noch am ehesten kohärentistisch erfolgen kann. 6.4 Universalismus versus Partikularismus Nach einem Grossteil der zeitgenössischen Moralansätze haben die ethischen Grundsätze die Standards der Universalität und Unparteilichkeit zu erfüllen. 707 Die Grundsätze gelten folglich dann als begründet, wenn davon ausgegangen werden kann, dass alle Menschen ihr Einverständnis abgeben, dass diese sowohl für sie selbst wie auch für alle anderen gleichermassen gültig sind. Dies impliziert: moralische Urteile prätendieren stets Gültigkeit nicht nur für alle Personen, sondern ebenso für alle qualitativ übereinstimmenden Kontexte. 708 Nach Düwell et al. kann aus der Sicht des Universalismus leicht nachgewiesen werden, „dass in Argumentationen per se der Universalismus sozusagen strukturell eingebaut ist und dass somit der Versuch, sich dem Postulat der Universalisierbarkeit moralischer Begründungen völlig zu entziehen, nur durch den völligen Verzicht auf verständliches Argumentieren gelingen könnte.“ 709 Zu Recht sagen die Autoren jedoch zugleich, dass damit die Debatte zwischen Universalismus und Partikularismus keineswegs obsolet wird; denn die universalistische Sprachstruktur ändert ja nichts an der Tatsache, dass die konkrete Wirklichkeit moralischer Handlungssituationen, einschliesslich der diese prägenden sinnlichen Erfahrungen und subjektiven Empfindungen, niemals vollständig in allen Eigenheiten begrifflich erfasst werden kann. 710 In diesem Zusammenhang erfolgt denn auch die Kritik aus der Sicht des Partikularismus. Verfechter wie David McNaughton sind der Ansicht, „dass wir jede einzelne moralische Entscheidung individuell beurteilen müssen; wir können uns nicht auf allgemeine Regeln berufen, damit diese die Entscheidung für uns treffen. Moralischer Partikularismus ist der Ansicht, dass moralische Prinzipien bestenfalls nutzlos und schlimmstenfalls im Wege sind, wenn man herausfinden will, was die richtige Handlung ist.“ 711 Auch aus der Reihe der feministischen Philosophie plädieren verschiedene Philosophinnen für eine situationsbezogene Ethik, wobei die einen den Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit ganz aufgeben, während andere eine Synthese zwischen Universalität und Partikularismus anstreben. 712 Seyla Benhabib als Beispiel genommen moniert am Universalismus, dass durch den Standpunkt der Verallgemeinerung jedes einzelne Individuum als rationales Wesen betrachtet und von der Individualität und von der konkreten Identität des Anderen abstrahiert werde. 713 Sie plädiert für einen Standpunkt, wonach „jedes einzelne rationale Wesen als ein Individuum mit einer konkreten Geschichte, Identität und affektiv-emotionalen Verfassung zu betrachten“ 714 ist. Ähnliche Überlegungen werden auch von den Vertretern des Kommunitarismus 715 geäussert. So 706 707 708 709 710 711 712 713 714 715 100 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 54 Vgl. H. Pauer-Studer: „Ethik und Geschlechterdifferenz“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 105 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 15 A.a.O., S. 15 Vgl. a.a.O., S. 15 D. McNaughton: Moralisches Sehen. Eine Einführung in die Ethik, Übers. von L. Schewe, Frankfurt a. M. 2003, S. 223 Vgl. H. Pauer-Studer: „Ethik und Geschlechterdifferenz“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 105 Vgl. S. Benhabib: „Der verallgemeinerte und der konkrete Andere. Ansätze zu einer feministischen Moraltheorie“, in: Denkverhältnisse Feminismus und Kritik, Hrsg. von E. List und H. Studer, Frankfurt a. M. 1989, S. 468 A.a.O., S. 468 Unter Kommunitarismus wird eine politische und soziale Philosophie aufgefasst, die sich gegen liberalistische Positionen wendet und sich im Anschluss an John Rawls Werk Theorie der Gerechtigkeit formiert hat. Vor allem schlägt Michael Walzer eine zwischen Universalismus und Partikularismus vermittelnde Position vor. Sein Universalismus-Verständnis gilt nicht einem allumfassenden Gesetz, das nur eine Gerechtigkeit, ein richtiges Verständnis des guten Lebens, der guten Gesellschaft oder der guten Regierungsform zulässt. 716 Denn Gebote wie Liebe, Loyalität, Treue, Freundschaft, Hingabe usf. lassen sich zwar universal vorschreiben, nur bleiben sie mangels inhaltlicher Erfahrung notwenderweise abstrakt und müssen deshalb – so Walzer – innerhalb der Grenzen von „wir und sie“ ihre inhaltlich spezifische normative Ausprägung erfahren. 717 Nach Bernward Gesang kann im Grunde genommen zwischen zwei verschiedenen Formen des Partikularismus unterschieden werden: „Einerseits die vollständige Zurückweisung jeglicher Prinzipien in der Ethik (‚methodischer Partikularismus‘), andererseits der Appell zu flexiblem und situationsbewußtem moralischen Urteilen.“ 718 In Anbetracht der Tatsache, dass sich eine Theorie wesentlich von der Anwendung bzw. Praxis dadurch unterscheidet, dass sie Letztere transzendiert, lässt sich nach dem radikalen bzw. methodischen Partikularismus streng genommen gar keine ethische Theorie entwickeln. Anders bei der moderateren Spielart, die für Situationsethiken und für das Wechselspiel von Urteilskraft und moralischen Prinzipien Raum offen lässt. Als eine die moralischen Prinzipien zulassende Situationsethik können kasuistische Konzeptionen genannt werden, die für jede qualitativ identische Situation eine eigene Handlungsregel vorschreiben und – nach Albert R. Jonsen und Stephen Toulmin – wegen des Verschwindens eines Konsenses über ethische Grundwerte seit 1960 ein Revival erleben 719. Nach Gesang könnte man denn auch „die Kasuistik als eine immer noch mit Prinzipien operierende Variante eines abgeschwächten Partikularismus bezeichnen“ 720. 6.5 Prinzipienethik, Normenethik und Situationsethik Im Rahmen der Entwicklung ethischer Theorien werden allgemeine bzw. universale Regeln des moralisch richtigen Verhaltens formuliert, wobei nach Konrad Ott unter Handlungsregeln Institutionen, Maximen, Normen und Prinzipien subsumiert werden können 721. Institutionen sind komplexe, auf einen bestimmten Sachverhalt zugeschnittene Regelwerke (zum Beispiel die Verkehrsordnung), während Maximen als subjektive Handlungsgrundsätze wie: so wie du mir, ich dir!, aufzufassen sind. 722 Normen hingegen sind mehr oder weniger stark generalisierte Handlungsanweisungen bzw. Vorschriften, die als Gründe für die Urteile der eigenen, aber auch fremden Handlungen zu Hilfe genommen werden, wobei in solchen allgemeinen Normen, zum Beispiel: man sollte nicht lügen!, allgemeine Situationstypen mitgedacht sind, so dass die Beziehung zwischen konkreter Handlungssituation und allgemeiner Norm der praktischen Urteilskraft bedarf. 723 Und Prinzipien schliesslich sind nach Ott entweder oberste inhaltliche Normen wie Ehrfurcht vor dem Leben oder dann formale Gesichtspunkte wie der Kategorische Imperativ, durch die die Gültigkeit einzelner Normen beurteilt werden kann. 724 716 717 718 719 720 721 722 723 724 wird der rationale, individualistische und von allen geschichtlichen Bezügen abstrahierte Begriff der Person moniert. An den Kommunitarismus anknüpfende ethische Theorien entwickeln nicht abstrakte Prinzipien, sondern orientieren sich an der Tugendethik von Aristoteles. (Vgl. B. Schmitz: „Kommunitarismus“, in: Metzler Philosophie Lexikon. Begriffe und Definitionen, 2. Auflage, Hrsg. von P. Prechtl und F.P. Burkard, Stuttgart und Weimar 1999, S. 291) Vgl. M. Walzer: Lokale Kritik - globale Standards. Zwei Formen moralischer Auseinandersetzung, Übers. von Ch. Goldmann, Hamburg 1996, S. 140 Vgl. a.a.O., S. 167 B. Gesang: Kritik des Partikularismus. Über partikularistische Einwände gegen den Universalismus und den Generalismus in der Ethik, Paderborn 2000, S. 205 Vgl. A. R. Jonsen und S. Toulmin: The Abuse of Casuistry. A History of Moral Reasoning, Berkeley, Los Angeles und London 1988, S. 304 B. Gesang: Kritik des Partikularismus, a.a.O., S. 219 Vgl. K. Ott: „Prinzip / Maxime / Norm / Regel“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 474 Vgl. a.a.O., S. 474 Vgl. a.a.O., S. 474 Vgl. a.a.O., S. 475 101 Abhängig von der theoretischen Implementation von Institutionen, Maximen, Normen und Prinzipien lassen sich ethische Theorien in der Frage nach der Generalität oder Spezifität der Handlungsregeln unterscheiden. Die verschiedenen ethischen Konzeptionen orientieren sich denn auch einerseits am Pol der Prinzipienethik und andererseits am Pol der Situationsethik. 725 Unter Prinzipienethiken subsumieren Düwell et al. Theorien, für die „in letzter Instanz nur eine einzige Präskription massgeblich ist, die dann üblicherweise als Moralprinzip bezeichnet wird.“ 726 Bei diesen ethischen Theorien ist das gesamte Verhalten der Moralsubjekte auf dieses eine Moralprinzip hin ausgelegt, wobei in Bezug auf konkrete Handlungen zwischen direkter und indirekter Anwendung des Moralprinzips unterschieden werden kann. Von einer direkten Anwendung ist dann die Rede, wenn die konkrete Handlungssituation direkt auf ein inhaltlich gefasstes Moralprinzip, zum Beispiel die Glücksmaximierung, bezogen wird und von einer indirekten, wenn konkrete Handlungssituationen unter spezifischere Regeln subsumiert werden, die durch ihr Verhältnis zum obersten Moralprinzip ihre Gültigkeit erfahren. Düwell et al. weisen darauf hin, dass die meisten Prinzipienethiken diese indirekte Anwendung vorsehen und – dem entsprechend – das Moralprinzip durch eine Reihe von Regelungen begrenzter Reichweite präziser konkretisieren. 727 Am anderen Ende des Spektrums, bei den Situationsethiken, liegt das theoretische Hauptgewicht auf der gleichen Behandlung von qualitativ identischen Handlungssituationen, und zwar durch die Vorgabe detaillierter und spezifischer Normen. 728 Die Probleme solcher kasuistischer Theorien liegen allerdings auf der Hand; denn es fragt sich, wie eine praktisch endlose Zahl konkreter Normen in einer Theorie abgebildet werden kann, aber auch, wie es den Moralsubjekten gelingt, eine derart grosse Zahl spezifischer Handlungsnormen zu lernen und im konkreten Falle adäquat anzuwenden. Im Übrigen besteht bei kasuistischen Ethiksystemen die Gefahr, dass sie „eine scheinbare Sicherheit vorgaukeln, die dann nicht mehr gegeben ist, wenn sich die Verhältnisse ändern.“ 729 Zwischen den Prinzipienethiken und den Situationsethiken stehen ethische Theorien, „die als Maßstab der Handlungsorientierung eine begrenzte Zahl generellerer Präskriptionen vorschlagen.“ 730 Diese Ethiken – man könnte sie als Normenethiken bezeichnen -, können die Form von tugendethischen Konzepten, von allgemeinen Grundregeln wie des Dekalogs oder von Prinzipienethiken mittlerer Reichweite annehmen. Letztere sind allerdings mit dem Problem verbunden, dass mangels eines obersten Moralprinzips Konflikte zwischen den einzelnen Prinzipien entstehen können. Diesbezügliche Lösungsmöglichkeiten können dann so aussehen, dass einige, aber nicht alle, Präskriptionen unbedingt befolgt werden müssen oder aber moralischen Vorschriften lediglich der Charakter von Prima-facie-Pflichten auferlegt wird. 6.6 Teleologische versus deontologische Ethiken Mit dem Aufkommen einer mechanistisch-szientistischen Weltauffassung zu Beginn der europäischen Neuzeit wurde die Seinsordnung nicht mehr auf ein allgemeines Ziel hin ausgerichtet aufgefasst, sondern bloss noch als geschlossener Funktionszusammenhang verstanden. 731 Dies hatte zur Folge, dass sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzte, wonach die Natur an sich keine Zwecke kennt, sondern die Menschen diese selbst setzen und – mithilfe der Natur – verwirklichen müssen. Diese Zäsur hatte immense ethische Implikationen. Zwar waren die Menschen fortan von der Bürde befreit, dem in ihnen präformierten Ziel zu folgen, hingegen war die Frage nach dem guten Leben und friedlichen Zusammenleben nun allein ihnen übertragen. Mit der Zwecksetzung durch die Menschen entstand fortan ein folgenreicher 725 726 727 728 729 730 731 102 Vgl. M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 15f A.a.O., S. 15 Vgl. a.a.O., S. 16 Vgl. a.a.O., S. 16 U. Hemel: Wert und Werte. Ethik für Manager – Ein Leitfaden für die Praxis, 2. Auflage, München 2007, S. 49 M. Düwell et al: „Ethik: Begriff - Geschichte - Theorie - Applikation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 16 Vgl. Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 64 Pluralismus und Antagonismus und es stellte sich die entscheidende Frage: „Wie (...) lässt sich angesichts der konfliktuösen Vielfalt in den Vorstellungen vom Guten noch ein gedeihliches Miteinander gewährleisten?“ 732 Nach Christoph Hübenthal ist mit dieser Frage die moderne Aufgabenstellung einer ethischen Theorie ziemlich präzise beschrieben. 733 Für eine universale normativ-ethische Theorie zeigten sich zwei Wege vielversprechend: Erstens konnte auf die menschliche Freiheit und ihr entsprechende Handlungen Bezug genommen werden, und zweitens bestand die Möglichkeit, das Gute nach empirischen Gesichtspunkten zu ermitteln. Den ersten Weg wählte Immanuel Kant mit seiner auf die menschliche Freiheit rekurrierenden Pflichtethik, während Jeremy Bentham mit seiner Theorie des Utilitarismus das Ziel des grösstmöglichen menschlichen Glücks zum obersten Prinzip erhob. Eng mit diesen herausragenden Konzeptionen hängt die Unterscheidung zwischen deontologischen und teleologischen normativen Ethiken zusammen, welche sich mittlerweile als das prominenteste Klassifikationsschema ethischer Theorien zu etablieren vermochte 734. Teleologische Theorien erheben die Forderung, dass Handlungen ein Ziel anstreben, welches in einem umfassenden Sinne gut ist, „sei es, weil sich die positive Einschätzung in der subjektiven Perspektive als relativ stabil erweist, sei es, weil die Gutheit des Zieles objektiv festzustehen scheint.“ 735 Die moralische Forderung besteht also darin, Handlungen hinsichtlich eines umfassenden Ziels, unabhängig davon, ob dieses aus Eigenschaften, Werten, Gütern, mentalen Zuständen oder bestimmten Weltzuständen besteht, zu verwirklichen. Nach Christoph Hübenthal wird in der gegenwärtigen Ethik-Diskussion der Begriff „teleologisch“ allerdings nicht in dieser weiten Bedeutung verwendet, sondern nur auf Theorien angewandt, „die eine Trennung zwischen moralischer Richtigkeit und außermoralischer Gutheit vornehmen und das moralisch Richtige ausschliesslich dadurch bestimmen, dass es das außermoralisch Gute auf bestmögliche Weise fördert.“ 736 Diese enge, die richtige Handlung als Funktion des Guten verstandene Bedeutungsauffassung wäre auch gar nicht problematisch, wenn der Begriff der deontologischen Ethiken in seiner prominentesten Bestimmung – durch William K. Frankena – nicht genau an dieser Unterscheidung festgemacht worden wäre: „Deontological theories deny what teleological theories affirm. They deny that the right, the obligatory, and the morally good are wholly, whether directly or indirectly, a function of what is nonmorally good or of what promotes the greatest balance of good over evil for self, one’s society, or the world as a whole.“ 737 Damit zeigt sich, dass Theorien, die das moralisch Richtige als Funktion eines höchsten Guten bestreiten, definitorisch als deontologische Ethiken aufzufassen sind. Diese, vom Utilitarismus ausgehende Abgrenzung hat nun die Konsequenz, dass onto-teleologische Ethiken 738, die gute Handlungen als das den Menschen inhärente Ziel bzw. Gute auffassen und deshalb wenig in das funktionale „Gut-Richtig-Schema“ passen, per definitionem unter deontologische Ethikansätze fallen, obschon es sich bei ihnen zweifellos um teleologische Ethiken handelt, „denn ein bestimmtes, genau definierbares Gut wird zur zentralen Zielgröße erhoben und dient als normativer Orientierungspunkt für alle praktischen Vollzüge des Menschen.“ 739 Es zeigt sich somit, dass die bisweilen mehr oder weniger unbedachte Verwendung der definitorischen Opposition von Teleologie und Deontologie kaum geeignet ist, historische und zeitgenössische Theorien adäquat einzuordnen. 732 733 734 735 736 737 738 739 A.a.O., S. 65 Vgl. A.a.O., S. 65 Vgl. M. Quante: Einführung in die Allgemeine Ethik, a.a.O., S. 127 Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 61 A.a.O., S. 61 W. K. Frankena: Ethics, a.a.O., S. 15 Unter ontologischer Teleologie „kann man die Lehre verstehen, wonach jedem natürlichen Gegenstand das Streben innewohnt, ein in seiner Natur oder in seinem Wesen angelegtes Ziel zu erreichen. Das wesenseigene Ziel wird dadurch verwirklicht, dass der Gegenstand seine spezifischen Anlagen vervollkommnet und so eine natürliche Endgestalt ausbildet.“ (Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 62). Die ontologische Teleologie erhält dadurch eine ethische Bedeutung, dass den Menschen Freiheitsgrade zugesprochen werden, mit der Konsequenz, dass die Bestimmung bzw. Vollendung sowohl erreicht wie auch verfehlt und die natürliche Zielbestimmung deshalb als ethische Forderung erhoben werden kann. Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 63 103 7 Überlegungen zur Anthropologie 740 Vgl. H. Albert: Kritischer Rationalismus. Vier Kapitel zur Kritik illusionären Denkens, Tübingen 2000, S. 57 Vgl. W. Schüßler: „Einleitung“, in: Philosophische Anthropologie, Hrsg. von W. Schüssler, Freiburg und München 2000, S. 9 J.-P. Wils: Die große Erschöpfung. Kulturethische Probleme vor der Jahrtausendwende, Paderborn, München Wien und Zürich 1994, S. 95 Vgl. a.a.O., S. 96 Vgl. Aristoteles: Über die Seele, Bd. 6, Übers. von W. Theiler, Bearb. von H. Seidl, in: Aristoteles. Philosophische Schriften in sechs Bänden, Darmstadt 1995, 414a Aristoteles: Politik, Bd. 4, Übers. von E. Rolfes, in: Aristoteles. Philosophische Schriften in sechs Bänden, Darmstadt 1995, 1253a 31 Vgl. J.-P. Wils: Die große Erschöpfung, a.a.O., S. 98 I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Hrsg. von W. Becker, Stuttgart 1983, S. 29 I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 116 [S. 455] J.-P. Wils: „Anthropologie“ in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 308 Nach Hans Albert steht die Frage: Was sollen wir tun? in einer fundamentalen Beziehung zur Frage: Was können wir tun?, und zwar dadurch, dass Sollen Können impliziert bzw. aus dem NichtKönnen das Nicht-Sollen folgt. 740 Aber was ist denn das Können der Menschen? Die philosophische Anthropologie, die sich im Gegensatz zu den anthropologischen Einzelwissenschaften wie etwa Medizin, Neurophysiologie, Soziologie oder Psychologie mit der Ganzheit und Einheit des Menschen auseinandersetzt 741, hat eine sonderbare Rolle inne. Zum einen soll sie den Menschen in seiner Totalität, so wie er ist, beschreiben und zum anderen soll sie gerade darin aufzeigen, wozu der Mensch fähig ist, das heisst, was er aus sich selbst machen kann. Anders gesagt: Die philosophische Anthropologie – in der Folge abgekürzt Anthropologie genannt – soll nicht nur die empirisch feststellbaren Handlungen beschreiben, sondern ebenso, welche Handlungen für den Menschen als ein zur Freiheit fähiges Wesen grundsätzlich möglich sind. Damit erhält sie die Aufgabe zugewiesen, zwischen der Biologie und der Ethik bzw. zwischen Empirie und Normativität zu vermitteln. Nach Jean-Pierre Wils unternimmt sie in diesem Sinne den Versuch, „den latenten Empiriemangel ethischer Theorien auszugleichen und die Distanz zu normativen Schlußfolgerungen bei den empirischen Wissenschaften zu verringern. Anthropologie macht die Empirie normfähig und die Ethik empiriefähig.“ 742 Wils weist darauf hin, dass bereits bei Aristoteles Theoriestücke vorliegen, die als eine anthropologische Zwischenstufe zu Ethiken genannt werden können. 743 Die Seele als Vollendungs-Prinzip von Leben, Wahrnehmen und Denken 744 sorgt nicht nur für die biologische Limitierung, sondern ebenso für die reflexive Entgrenzung, wodurch sich überhaupt erst ein für die Ethik unentbehrlicher anthropologischer Zwischenraum von Akt und Potenz eröffnet, der letztlich über einen guten oder aber schlechten Menschen entscheidet: „Denn wie der Mensch in seiner Vollendung das vornehmste Geschöpf ist, so ist er auch, des Gesetzes und Rechtes ledig, das schlechteste von allen.“ 745 Auch bei Immanuel Kant zeigt sich ein ähnliches Fundierungsverhältnis. Im Werk Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, das als der Grundstein für die philosophische Disziplin „Anthropologie“ gilt746, unterscheidet Kant zwischen der physiologischen und der pragmatischen Menschenkenntnis; Erstere geht auf das, „was die N a t u r aus dem Menschen macht, die pragmatische auf das, was er als frei handelndes Wesen aus sich selber macht, oder machen kann oder soll.“ 747 Das Spannungsverhältnis zwischen Empirie und Normativität gipfelt bei Kant darin, dass die Festlegung des Kategorischen Imperativs nur dank der Idee der Freiheit, „deren objektive Realität an sich zweifelhaft ist“ 748 möglich wurde. Für Jean-Pierre Wils besteht kein Zweifel, dass selbst eine streng formal angelegte Fundierung einer Ethik ein naturales Gerüst benötigt, denn: „Ethik darf nicht natural unwahrscheinlich werden. Deshalb sind empirische und ethische Kommentare zum Menschen nicht strikt zu trennen.“ 749 Das bedeutet: sowohl die Anthropologie wie auch die Ethik müssen zu ihrem Recht kommen, mit der allerdings nicht unwichtigen Konsequenz, dass anthropologische Auffassungen so etwas wie eine Vorentscheidung für eine ethische Theorie bedeuten können. So wäre beispielsweise der Kategorische Imperativ ohne die Idee der Freiheit ebenso grundlos wie die Ethik des Utilitarismus ohne den anthropologischen Standpunkt, dass alle Menschen nach Glück 741 742 743 744 745 746 747 748 749 104 streben. Die Anthropologie als der Ort der empirisch-normativen Verdichtung 750 zu sehen, ist für die Ethik aber auch darin folgenreich, dass Letztere sich – zumindest indirekt – mit den Erkenntnissen der Einzelwissenschaften konfrontiert sieht. Und zwar deshalb, weil die zwischen der Metaphysik und den anthropologischen Einzelwissenschaften eingebettete Anthropologie die laufenden Forschungsergebnisse Letzterer berücksichtigt und der Ethik als normative Randbedingungen bereitstellt. Die Aufnahme solcher einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse – Odo Marquard spricht von Symbioseappetit seitens der Anthropologie 751 – wird wohl nicht abnehmen, sondern wegen der noch nicht abgeschlossenen Emanzipation der Anthropologie von der Metaphysik im Gegenteil noch grösser werden. Mit der Konsequenz, dass die Anthropologie pluralisiert und in der Gestalt einer philosophisch-medizinischen, philosophischbiologischen, philosophisch-soziologischen oder philosophisch-psychologischen Anthropologie eine bereichsspezifische Signatur erhält. 752 Inwieweit diese Ausdifferenzierung für das Spannungsfeld zwischen ethischem Können und ethischem Sollen fruchtbar gemacht werden kann, muss sich erst noch zeigen. Von zweifellos grosser Bedeutung ist indessen die Feststellung, dass im zunehmenden Masse das Bedürfnis nach einer anthropologischen Flankierung normativer Aussagen empfunden wird 753. 8 Überlegungen zur Motivation 750 Vgl. J.-P. Wils: Die große Erschöpfung, a.a.O., S. 97 Vgl. O. Marquard: „Anthropologie“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hrsg. von J. Ritter et al., Bd. 1: A - C, Basel 1971 (Lizenzausgabe Darmstadt), S. 366 Vgl. J.-P. Wils: „Anthropologie“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 309f Vgl. A.a.O., S. 310 Vgl. K. Bayertz: „Einleitung: Warum moralisch sein?“, in: Warum moralisch sein?, Paderborn 2002, S. 11 A.a.O., S. 11 Vgl. H. A. Prichard: „Beruht die Moralphilosophie auf einem Irrtum?“, in: Warum moralisch sein?, a.a.O., S. 51 Vgl. Platon: ΠΟΛΙΤΕΙΑ - Der Staat, Bd. 4, Bearb. von D. Kurz, Übers. von F. Schleiermacher, in: Platon. Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, Hrsg. von G. Eigler, 2. Auflage, Darmstadt 2001, 343c, 344c Vgl. R. M. Hare: „Warum es klug ist, moralisch zu sein“, in: Warum moralisch sein?, a.a.O., S. 146 Obschon zweifelsfrei feststeht, dass die Menschen zu moralischen Leistungen fähig sind, ist deshalb noch keineswegs sichergestellt, dass in konkreten moralischen Handlungssituationen dann auch der Fähigkeit entsprechend gehandelt wird. Diese Diskrepanz zwischen ethischem Können und ethischem Wollen wird häufig mit der Frage: Warum moralisch sein? auf den Punkt gebracht. Kurt Bayertz weist allerdings darauf hin, dass in dieser Debatte nicht immer hinreichend klar unterschieden werde, wonach es hier um die Geltung der Moral bzw. um die Gründe der Verbindlichkeit der Moral gehe und nicht um die Klärung des moralisch Richtigen. 754 Mit anderen Worten: Es steht nicht zur Debatte, „welche Arten von Handlungen die Moral vorschreibt oder verbietet; sondern warum man sich an derlei Vorschriften halten soll. Es geht um die Beantwortung der Frage: ‚Warum soll ich moralisch sein? ‛“ 755 Harold Arthur Prichard betont, dass mit dieser Fragestellung ein gewisser Widerwille gegenüber der moralischen Handlung sowie der Glaube, dass dieser mithilfe einer geeigneten Antwort überwunden werden kann, verbunden ist. 756 Diesen Widerwillen zum moralischen Handeln brachte bereits der Grieche Thrasymachos zum Ausdruck, indem er Sokrates in aller Deutlichkeit vorhielt, dass der Gerechte gegenüber dem Ungerechten überall schlechter gestellt sei und sich das Ungerechte als das für die Menschen Vorteilhafte und Zuträgliche zeige. 757 Aus Thrasymachos Worten kommt klar zum Ausdruck, dass der Widerwille zum moralischen Verhalten darin gründet, dass Letzteres keineswegs zwingend mit den Interessen des Handelnden übereinstimmt. Mit dem Standpunkt, wonach Eigeninteresse und moralische Gesichtspunkte keineswegs immer koinzidieren, ist auch Richard M. Hare einverstanden; seiner Meinung nach ist überhaupt nur schwer zu begreifen, dass jemand mal anderer Meinung sein konnte. 758 Auch für John Leslie Mackie steht fest, dass egoistische Klugheitsgründe und moralische Gesichtspunkte nicht in allen Fällen 751 752 753 754 755 756 757 758 105 zusammenfallen. 759 Nach Mackie ist der Sinn der Moral im engeren Sinne gerade darin zu sehen, „daß es für das Wohlergehen der Menschen im allgemeinen notwendig ist, daß sie sich in einem gewissen Umfang in einer Art und Weise verhalten, von der sie nicht zu sehen vermögen, daß sie sich im egoistischen Sinn rechtfertigen läßt, und für die eine solche Rechtfertigung auch manchmal tatsächlich unmöglich ist. Die Funktion der Moral besteht eben darin, die üblen Folgen bloßer Klugheitserwägungen einzugrenzen.“ 760 In Anbetracht der Problematik, dass zwar jeder Mensch ein starkes Interesse daran hat, nicht belogen, betrogen, gedemütigt, benachteiligt oder verletzt zu werden, selbst aber nicht unbedingt dem moralischen Verhalten zugeneigt sein muss, fallen nach Prichard die Antworten, weshalb trotzdem alle Menschen sich moralisch verhalten sollten, in zwei Kategorien: „Entweder sie besagen, daß wir das und das tun sollten, weil es, wie sich zeigt, wenn wir die Tatsachen voll erfassen, zu unserem Besten sein wird, d. h. wie ich lieber sagen würde, weil es wirklich zu unserem Vorteil oder besser noch zu unserem Glück sein wird; oder sie besagen, daß wir das und das tun sollten, weil etwas, das bei der Handlung oder durch sie realisiert wird, gut ist.“ 761 Mit anderen Worten: Die Gründe, weshalb wir uns moralisch verhalten sollten, liegen entweder letztlich doch im eigenen Interesse oder aber darin, dass das Befolgen bestimmter Handlungen – unabhängig von unseren Interessen – an sich gut ist. Hinsichtlich der Frage nach der Motivation für moralisches Verhalten scheinen Erstere bloss die richtige Erkenntnis vorauszusetzen, während die vom Selbstinteresse unabhängigen Gründe wohl als die nur schwer überwindbare Hürde aufgefasst werden muss. Nach Peter Stemmer kann moralisches Verhalten, ohne dass die offensichtlichen allgemeinen Interessen der Menschen berücksichtigt werden, überhaupt nicht erwartet werden. 762 Die zentrale Debatte in Bezug auf die Motive zur Moral wird in der philosophischen Literatur, insbesondere in der analytischen Metaethik, unter den Begriffen Internalismus und Externalismus geführt. 763 Thomas E. Wren betont, dass diese beiden Begriffe für verschiedene Sichtweisen, wie moralische Motivation konzipiert werden kann, stehen und es in diesem Streit um die Frage geht, „ob in die moralische Erkenntnis selbst bereits eine motivationale Komponente eingebaut ist (»built-in«) oder nicht.“ 764 Nicht von moralischer Erkenntnis, sondern von moralischer Überzeugung spricht Nico Scarano: „Die internalistische These lautet genauer formuliert: Eine moralische Überzeugung zu haben ist notwendig mit einem Motiv zum entsprechenden Handeln verbunden.“ 765 Aber was sind moralische Überzeugungen? „Wenn eine Person einen Satz äußert wie ‚Seine Versprechen zu halten ist moralisch gut‘ oder ‚Seine Versprechen zu halten ist moralisch geboten‘ und wir keinerlei Anhaltspunkte dafür haben, daß sie nicht meint, was sie sagt, dann schreiben wir ihr auch eine entsprechende moralische Überzeugung zu.“ 766 Nach dem Internalismus besteht also zwischen der Existenz moralischer Überzeugungen und der Existenz von Motiven für moralisches Handeln ein notwendiger Zusammenhang, ohne deswegen allerdings einen Handlungs-Automatismus postulieren zu wollen. Dazu Scarano: „Dass moralische Gründe und Motive »notwendig verbunden« sind, heißt nicht automatisch, dass dem Motiv entsprechend gehandelt wird.“ 767 Um den notwendigen Zusammenhang zu vertreten, stehen grundsätzlich zwei Wege offen: Während beim ersten Weg Überzeugung und Motiv (sogenannte Pro-Einstellung) als identisch betrachtet werden, versucht die zweite Position zwischen Überzeugung und Motiv zu unterscheiden, aber dennoch am Postulat des notwendigen 759 760 761 762 763 764 765 766 767 106 Vgl. J. L. Mackie: Ethik, a.a.O., S. 244 A.a.O., S. 244 H. A. Prichard: „Beruht die Moralphilosophie auf einem Irrtum?“, in: Warum moralisch sein?, a.a.O., S. 50 Vgl. P. Stemmer: „Moral, künstliche Gründe und moralische Motivation“, in: Moralische Motivation. Kant und die Alternativen, Hrsg. von H. F. Klemme et al., Hamburg 2006, S. 330 Vgl. N. Scarano: „Motivation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 450 T. E. Wren: „Moralpsychologie und Metaethik: Ein Arbeitsbündnis“, in: Zur Bestimmung der Moral. Philosophische und sozialwissenschaftliche Beiträge zur Moralforschung, Hrsg. von W. Edelstein und G. Nunner-Winkler, Frankfurt a. M. 1986, S. 41 N. Scarano: „Motivation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 451 N. Scarano: Moralische Überzeugungen, a.a.O., S. 101 N. Scarano: „Motivation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 451 Zusammenhangs festzuhalten. 768 Der prominenteste Vertreter dieser zweiten Position ist zweifellos Immanuel Kant. Vernunft und Moral kommen nach einigen, zwar nicht ganz einfachen Überlegungen auf das Schönste zur Deckung, weil aber die reine Vernunft von den sinnlichen Interessen und Neigungen abgekoppelt ist, fehlt ein wichtiges motivationales Element, das Kant denn auch im moralischen Gefühl verortet. Dass diese Konzeption als internalistische Theorie gilt, begründet Scarano mit dem Status der Apriorität des moralischen Gefühls, der den Begriff der Notwendigkeit mit sich führt. 769 Die Gegenposition des Internalismus, der Externalismus, bestreitet nun diesen notwendigen Zusammenhang. Das heisst, er bestimmt die Verbindung zwischen moralischen Überzeugungen und moralischen Motiven als kontingent, so dass es nach diesem metaethischen Standpunkt möglich ist, „dass jemand, der davon überzeugt ist, eine bestimmte Handlung aus moralischen Gründen ausführen zu müssen, dennoch kein Motiv hat, entsprechend zu handeln. Mehr noch: Nach Ansicht des Externalismus muss immer ein »externes« Motiv hinzukommen, andernfalls würde es niemals zur Ausführung einer moralischen Handlung kommen.“ 770 Als solche externe Motive können zum Beispiel die Abwehr einer „äusseren“ Sanktion, zum Beispiel die gesellschaftliche Verachtung, oder die Verhinderung einer „inneren“ Bestrafung durch Schuld- oder Schamgefühle genannt werden. Selbst sogenannte altruistische Motive wie Emotionen, Mitleid oder Sympathie können von der externalisitischen Position in Anspruch genommen werden. Aber immer gilt, „dass diese Motive nicht notwendig mit den moralischen Überzeugungen der handelnden Personen verbunden sind.“ 771 Scarano weist darauf hin, dass genau hier das Problem des Externalismus liege: „Denn wenn eine Person erstens der festen moralischen Überzeugung ist, dass bestimmte Handlungen getan werden müssen, und sie zweitens sich in einer Situation befindet, in der sie eine solche Handlung tun kann, und drittens keine anderen Gründe aus ihrer Sicht dagegen sprechen, diese Handlung auszuführen, sie aber dennoch die Handlung unterlässt, dann halten wir die Person entweder für irrational – das heißt in diesem Fall für willensschwach beziehungsweise unbeherrscht – oder wir würden nicht glauben, dass sie tatsächlich die unterstellte moralische Überzeugung hat.“ 772 Dazu ist allerdings zu bemerken, dass der begriffliche Zusammenhang zwischen einer moralischen Überzeugung und eines dieser Überzeugung gemässen Handlungsmotivs keineswegs ausschliesst, dass die Menschen gelegentlich halt doch irrational handeln, wissensschwach und unbeherrscht sind. Im Zusammenhang mit der metaethischen Debatte um die internalistische bzw. externalistische Position zeigt sich, dass die eingangs gestellte Frage: Warum moralisch sein? je nach Standpunkt eine andere Bedeutung bekommt. Nach dem Internalismus steht im Zentrum, wie die moralischen Normen und Prinzipen gerechtfertigt werden können; denn wenn die Menschen von diesen erst mal überzeugt sind, dann haben sie auch das Motiv, diesen Überzeugungen entsprechend zu handeln. Ob eine ethische Theorie die moralischen Akteure zu motivieren vermag, hängt demnach von der Überzeugungskraft ihrer Begründungsleistung ab. Thomas Schmidt weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht-naturalistische Realisten im Allgemeinen diese internalistische Position vertreten. 773 Anders verhält es sich bei der externalistischen Position. Hier fragt sich, welche extrinsischen Motive die Menschen dazu bewegen können, moralischen bzw. ethischen Normen gemäss zu handeln. Eine ethische Theorie auf diesem Standpunkt kann sich also nicht mit einer sorgfältigen Begründung ihrer Normen und Prinzipien begnügen. Sie muss zusätzlich die Interessen der moralischen Subjekte berücksichtigen, kann dafür aber hoffen, die moralische Überzeugung – die möglicherweise mehr auf die anderen Moralsubjekte als auf sich selbst gerichtet ist – für moralisches Handeln hinreichend steigern zu können. Eine ethische Konzeption, die auf den externalistischen 768 769 770 771 772 773 Vgl. a.a.O., S. 452 Vgl. a.a.O., S. 452 A.a.O., S. 451 A.a.O., S. 451 A.a.O., S. 451 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 58 107 Standpunkt setzt, kann damit der Konkurrenz moralischer Motive durch nicht-moralische – ein Faktum, das angesichts des fehlenden Handlungs-Automatismus auch der Internalismus einräumen muss 774 – zumindest entgegenwirken. Schmidt betont, dass die externalistiche Position typischerweise von den naturalistischen Realisten eingenommen wird. 775 Dies ist auch leicht nachvollziehbar; denn um dem Damoklesschwert des naturalistischen Fehlschlusses zu entgehen, muss die Normativität in den moralischen Tatsachen zurückgenommen werden, mit der Konsequenz, dass im gleichen Masse das wohl in jeder moralischen Überzeugung enthaltene motivationale Element verloren geht. 9 Fünf Paradigmen normativer Ethiken Im Verlaufe der nun zweieinhalb Jahrtausend alten Geschichte der Ethik ist eine Vielzahl von Theorien und Kriterien entwickelt worden, die im Gegensatz zu anderen wissenschaftlichen, aber auch philosophischen Disziplinen erstaunlicherweise kaum an Aktualität eingebüsst haben. Die Zahl der verschiedenen Ethiken und vor allem der verschiedenen Ausprägungen einzelner Theorieströmungen ist mittlerweile so gross, dass ein Überblick und eine adäquate Klassifizierung nur mit zum Teil schwerwiegenden Vorbehalten möglich sind. Gleichwohl kann erwartet werden, dass ein solcher Versuch eine grobe Orientierung abgeben und im Hinblick auf die Entwicklung einer ethischen Theorie wertvolle Informationen zutage fördern kann. Michael Quante bietet eine solche Klassifizierung an, und zwar dergestalt, dass er zwischen teleologischen, deontologischen und tugendethischen Ethik-Haupttypen unterscheidet. 776 Diese Dreiteilung wurde dadurch möglich, dass Quante den Definitionsvorschlag von Frankena verwarf und sowohl für teleologische wie auch für deontologische Ethiken eine engere Begriffsbestimmung wählte. Ein anderes Unterscheidungskriterium, nämlich die Ausgestaltung des höchsten Gebotes bzw. des Moralprinzips, wählt Otfried Höffe. 777 Dies ermöglicht ihm die Unterscheidung zwischen dem Utilitarismus, der theologischen, egoistischen und der deontologischen Ethik. 778 Nochmals eine andere Unterscheidung schlägt Julian Nida-Rümelin mit den Ethik-Paradigmen: Utilitarismus, kantische Deontologie, Kontraktualismus, Libertarismus sowie Tugendethik vor. 779 Da dieses Klassifizierungsschema explizit im Hinblick auf die Darstellung von verschiedenen angewandten Bereichsethiken gewählt wurde, darf angenommen werden, dass diese Einteilung für die vorliegende Arbeit gut geeignet ist. Im Folgenden werden deshalb die wichtigsten allgemeinen Elemente dieser verschiedenen Paradigmen expliziert, wobei auch hier der Vorbehalt ausdrücklich angebracht werden muss, dass mit der Vorstellung der fünf Paradigmen nicht mal im Ansatz eine vollständige Darstellung der verschiedenen Einzelpositionen innerhalb der Paradigmen möglich ist und es auch nicht die Absicht sein kann, einzelne Standpunkte einer sorgfältigen Kritik zu unterziehen. Vielmehr soll lediglich auf offensichtliche Vor- und Nachteile der einzelnen Theorieparadigmen hingewiesen werden. 9.1 Das Paradigma des Utilitarismus Was wird von den Menschen in den meisten Fällen für gut gehalten? Die Antwort von Jeremy Bentham: „Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure.“ 780 Alles was Menschen tun, läuft letztlich darauf hinaus, Lust bzw. Glück zu vermehren 774 775 776 777 778 779 780 108 Vgl. N. Scarano: „Motivation“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 451 Vgl. T. Schmidt: „Realismus / Intuitionismus / Naturalismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 55 Vgl. M. Quante: Einführung in die Allgemeine Ethik, a.a.O., S. 126-130 Vgl. O. Höffe: „Normative Ethik“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 220 Vgl. a.a.O., S. 220 Vgl. J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 7-37 J. Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789), a.a.O., S. 11 und Schmerz zu vermeiden. Dieses gemeinsame Merkmal aller Zwecksetzungen lässt sich für eine moderne empirische Ethik dahingehend verwenden, dass jede Handlung danach beurteilt wird, „welchen Nutzen sie im Sinne des hedonistisch verstandenen Guten jeweils hat.“ 781 Dies bedeutet: Es sind die Konsequenzen einer Handlung, die entscheiden, ob die Handlung moralisch richtig oder falsch ist. Weil die Frage nach der moralisch richtigen Handlung aber vor der effektiven Handlung zu beantworten ist, stehen nicht die tatsächlichen Handlungs-Konsequenzen zur Debatte, sondern die mutmasslichen, „wie sie sich für einen wohl informierten und vernünftig denkenden Beobachter zum Zeitpunkt der Handlung als mehr oder weniger wahrscheinlich darstellen.“ 782 Die Bestimmung, dass die wahrscheinlichen Konsequenzen einer Handlung den Nutzen für die moralische Beurteilung – mit Blick auf das höchste Gute (Glück) – abgeben, kann als der eigentliche Kern des klassischen Utilitarismus aufgefasst werden. Prägnant wird dieses utilitaristische Proprium durch John Stuart Mill ausgedrückt, der den von David Hume skizzierten und von Bentham begründeten Utilitarismus weiterentwickelte: „Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken.“ 783 Der Hinweis auf das grösste Glück macht deutlich, dass es dem Utilitarismus nicht bloss um das individuelle Wohlbefinden des Handelnden geht, sondern um den Nutzen dieser Handlung für die gesamte Gemeinschaft. Aber wie geschieht die Berechnung des Gesamtnutzens? Nach Bentham muss für die moralische Beurteilung einer Handlung die mutmassliche Quantität der subjektiven Wohlbefindens-Bilanz eines jeden von der Handlung betroffenen Menschen aggregiert werden, denn das Wohlergehen einer Gemeinschaft als fictitious body 784 ist nach Jeremy Bentham nichts anderes als „the sum of the interests of the several members who compose it.“ 785 Mill hingegen bestimmt das zu maximierende Glück nicht rein hedonistisch, sondern berücksichtigt bei der Kalkulation neben der Quantität auch die Qualität der Lustempfindung. 786 Der Utilitarismus ist mittlerweile die am weitesten ausgearbeitete und seit etwa 100 Jahren international am meisten diskutierte Variante einer konsequentialistischen bzw. teleologischkonsequentialistischen Ethik, wobei er längt nicht mehr als monolithische Theorie gesehen werden kann, sondern bloss noch als eine „weit verzweigte >Familie< verwandter Ansätze mit einem gemeinsamen Kern.“ 787 An diesem Unternehmen sind oder waren Philosophen wie Henry Sidgwick – er gilt als der dritte wichtige Vertreter des klassischen Utilitarismus -, Richard M. Hare, John C. Harsanyi oder Rainer Trapp nebst vielen anderen beteiligt. Henry Sidgwick fragt – noch mehr als Mill – nach den Konsequenzen der utilitaristischen Ethikvorstellungen für die Alltagsmoral; obschon jene im Grossen und Ganzen mit dem Common Sense koinzidieren, überfordert das utilitaristische Prinzip seiner Meinung nach den gesunden Menschenverstand. 788 Eine Lösung sieht Sidgwick in der Aufhebung des Gegensatzes von Intuitionismus und Utilitarismus und legt damit den Grundstein für die bis heute übliche Unterscheidung zwischen Regelutilitarismus und Handlungsutilitarismus. Bei Ersterem wird ein deontologisches Element in die Theorie aufgenommen, mit der Konsequenz, dass die einzelnen Handlungen nicht mehr mit Blick auf das Primärprinzip (Glücksmaximierung) zu beurteilen sind, sondern nach konkreten, lehr- und lernbaren Handlungsregeln vollzogen werden, wobei Letztere auf das Primärprinzip bezogen bleiben. Nach Dieter Birnbacher hat die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärprinzipen ihre gründlichste Ausarbeitung in Richard M. Hares „Zwei-Ebenen-Theorie“ 781 782 783 784 785 786 787 788 Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 66 D. Birnbacher: „Utilitarismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 95 J. S. Mill: Utilitarianism. Der Utilitarismus, Übers. und Hrsg. von D. Birnbacher, Stuttgart 2006, S. 23 Vgl. J. Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789), a.a.O., S. 12 A.a.O., S. 12 Vgl. J. S. Mill: Utilitarianism. Der Utilitarismus, a.a.O., S. 27 D. Birnbacher: „Utilitarismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 95 Vgl. H. Sidgwick: The Methods of Ethics, 7. Ausgabe, Indianapolis 1981, S. 87; S. 499 109 erfahren. 789 Hare unterscheidet zwischen der kritischen und der intuitiven Ebene des moralischen Denkens, wobei er diese zwei Ebenen nicht als rivalisierend, sondern als komplementär auffasst. 790 Aber in welchem Verhältnis stehen diese beiden Ebenen zueinander, wann sollen wir kritisch wie Erzengel und wann intuitiv wie Proleten denken? „Es hängt davon ab, wie sehr ein jeder von uns, sei es in einer konkreten Situation oder generell, dem einen oder anderen dieser zwei Charakter ähnlich ist.“ 791 Weil die Möglichkeit für intuitives Denken voraussetzt, dass die intuitiv zu befolgenden Normen zuerst kritisch erarbeitet und dann auf dem Wege der Erziehung den Menschen „eingepflanzt“ werden müssen, zudem nur das kritische Denken sich auf sich selbst stützen kann, gebührt diesem epistemologisch der Vorzug. 792 Etwas vereinfacht lässt sich sagen, dass Hare zwischen einer Normen-Entwicklungsebene und einer Normen-Anwendungsebene unterscheidet, wobei Erstere die Fähigkeiten des Philosophen verlangt, der seinerseits von der Theorie des Utilitarismus im Grunde genommen nicht weiter als durch das gegebene Primärprinzip unterstützt wird. Es besteht kein Zweifel, dass Hare mit dieser theoretischen Weiterentwicklung die Bedürfnisse des Alltags sehr viel besser aufnimmt, um den Preis allerdings, dass mit dem deontologischen Theorieelement, das weder die Konsequenzen noch den Nutzen einer Handlung unmittelbar berücksichtigt, wichtige utilitaristische Prinzipien – nach Höffe sind es insgesamt deren vier793 – so sehr aufweicht, dass diese Variante des Utilitarismus gar als ethischer Zwitter bezeichnet werden kann 794. In Bezug auf das Prinzip des grösstmöglichen Glücks besteht die Möglichkeit, das subjektive Wohlergehen nicht im Sinne einer Lust-/Leid-Bilanz zu bestimmen, sondern nach dem Mass der individuellen Präferenzerfüllung. Das bedeutet: „In je höherem Ausmass die Präferenzen einer Person erfüllt sind, desto größer ihr Wohlergehen.“ 795 Allerdings sind die Probleme des sogenannten Präferenzutilitarismus mannigfaltig. Nach Nida-Rümelin ist es beispielsweise offensichtlich, dass „zahlreiche Präferenzen von Personen nicht auf eine Verbesserung ihres eigenen Wohlergehens gerichtet sind.“ 796 Diesen Einwand erachtet John C. Harsanyi, der im Präferenzutilitarismus die einzige utilitaristische Ethik sieht, die mit der menschlichen Selbstbestimmung nicht im Widerspruch steht, als problematisch. 797 Nach ihm hängt diese Position mit der (falschen) Vorstellung zusammen, dass Menschen Präferenzen nachgingen, die gar nicht im Einklang mit ihren tiefen (wahren) Präferenzen stünden. Harsanyi schlägt eine Unterscheidung zwischen den manifest preferences und true preferences vor, wobei Erstere durch falsche empirische Annahmen, unsorgfältige Überlegungen oder durch eine hinsichtlich der Rationalität ungünstige emotionale Verfassung durchaus eingeschränkt sein können. 798 Für die Nutzenbeurteilung einer Handlung dürfen die erkennbaren Präferenzen des Individuums gleichwohl nicht leichtfertig missachtet werden, sondern vielmehr gilt es, aufgrund dieser – als final criterion – herauszufinden, „what his real interests are and what is really good for him.“ 799 Die Frage allerdings, wie zwischen den sichtbaren und den wahren bzw. guten Präferenzen unterschieden werden kann, ohne auf einen naturalistischen Standpunkt im Sinne der Lustvermehrung bzw. Leidverminderung zurückzufallen, kann indessen in einer weitgehend anonymen Gesellschaft wohl nicht ohne Weiteres beantwortet werden. 789 790 791 792 793 794 795 796 797 798 799 110 Vgl. D. Birnbacher: „Utilitarismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 99 Vgl. R. M. Hare: Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, Übers. von Ch. Fehige und G. Meggle, Frankfurt a. M. 1992, S. 91 A.a.O., S. 92 Vgl. a.a.O., S. 92f Vgl. O. Höffe: „Utilitarismus“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 312f Vgl. D. Birnbacher: „Utilitarismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 100 J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 10 A.a.O., S. 10 Vgl. J. C. Harsanyi: „Morality and the theory of rational behaviour“, in: Utilitarianism and beyond, Hrsg. von A. Sen und B. Williams, New York 1982, S. 55 Vgl. a.a.O., S. 55 A.a.O., S. 56 Andere Bestrebungen, das utilitaristische Paradigma weiterzuentwickeln, gehen dahin, die einfache Aggregation subjektiver Wohlbefinden aufzugeben, und zwar mit der Idee, Gerechtigkeitskriterien einzubeziehen. 800 Damit soll die schwerwiegende Problematik, dass nach dem klassischen Utilitarismus die Grundrechte von Minderheiten beinahe beliebig zugunsten der Mehrheit angetastet werden dürfen, beseitigt werden. So berücksichtigt Rainer Trapp in seinem Gerechtigkeitsutilitarismus nicht nur die subjektiven Interessen bzw. Präferenzen, sondern zusätzlich die Angemessenheit des Verdienstes sowie die Gerechtigkeit der Verteilung. 801 Während beim Verdienstparameter geprüft wird, ob der durch die Präferenzerfüllung resultierende Nutzengewinn im Nutzenvergleich mit anderen auch wirklich verdient ist 802, wird mit dem Verteilungsparameter das Ausgangsnutzenniveau beachtet, mit dem Ziel, bestehende Ungleichheiten nicht festzuschreiben, sondern auszugleichen 803. Die Kritik an Trapps nicht-klassischem Utilitarismus ist erwartungsgemäss nicht ausgeblieben. Nach Bernward Gesang kann diese Theorie die Erwartungen nach einem allgemeinen Entscheidungsprinzip nur sehr begrenzt erfüllen, so dass die Mehrzahl der Konflikte ungelöst bleibt. 804 Nach Julian Nida-Rümelin stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die Trappsche Theorie überhaupt noch als utilitaristische Variante bezeichnet werden kann, denn immerhin bricht diese Theorie mit dem zentralsten Element des Utilitarismus, nämlich mit „der teleologischen Bestimmung des Verhältnisses des Guten und des Rechten.“ 805 Dessen ungeachtet kritisiert Nida-Rümelin Trapps nach wie vor konsequentialistische Konzeption, welche zwar sympathische Züge aufweise und nicht verteilungsblind sei, aber dennoch eine interpersonell invariante Wertfunktion maximiere und deshalb den Konflikt mit der conditio humana nicht abwehren könne. 806 Angesichts der teilweise doch sehr unterschiedlichen Utilitarismus-Varianten scheint eine allgemeine Utilitarismus-Würdigung kaum angemessen. Nach Otfried Höffe lässt sich immerhin sagen, dass die Stärke des Utilitarismus darin liegt, dass er rationale Elemente, das heisst das Prinzip der Nützlichkeit, mit empirisch überprüfbaren Folgen von Handlungen verbindet und abgeleitete sittliche Pflichten weitgehend mit den moralischen Überzeugungen übereinstimmen. 807 Eines der grössten Probleme, und zwar nach Wolfgang R. Köhler für jede Form von Utilitarismus, zeigt sich im Verhältnis zwischen Nützlichkeit und der sowohl austeilenden wie auch ausgleichenden Gerechtigkeit. 808 Für Ernst Tugendhat ist der Utilitarismus denn auch die Ideologie des Kapitalismus, „denn er erlaubt es, das Wachstum der Ökonomie als solches ohne Rücksicht auf Verteilungsfragen moralisch zu rechtfertigen.“ 809 Dieses schwerwiegende Desiderat besteht deshalb, weil „der Konsequentialismus den Wert von Handlungen immer als konsequentiell ansieht (oder, allgemeiner gesagt, als abgeleitet) und nicht als intrinsisch.“ 810 Mit anderen Worten: Handlungen nach der Theorie des Utilitarismus haben an sich keinen moralischen Wert, sondern immer nur in Bezug auf ein zu maximierendes Gut. Bentham mag darin, dass alle Menschen nach Lust und Glück streben, zwar richtig liegen, deswegen besteht allerdings weder die Notwendigkeit, dieses Faktum als oberste Zielsetzung festzulegen, noch ist einzusehen, weshalb das Glück maximierende Handlungen notwendigerweise das beste 800 801 802 803 804 805 806 807 808 809 810 Vgl. J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 12f Vgl. R. W. Trapp: »Nicht-klassischer Utilitarismus«. Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1988, S. 311 Vgl. a.a.O., S. 304f Vgl. a.a.O., S. 355 Vgl. B. Gesang: „Gerechtigkeitsutilitarismus“, in: Gerechtigkeitsutilitarismus, Hrsg. von B. Gesang, Paderborn, München, Wien und Zürich 1998, S. 27 J. Nida-Rümelin: „Gerechtigkeitsutilitarismus und Konsequentialismuskritik“, in: Gerechtigkeitsutilitarismus, a.a.O., S. 79f Vgl. a.a.O., S. 80 Vgl. O. Höffe: „Utilitarismus“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 313 Vgl. B. Williams: Kritik des Utilitarismus. A Critique Of Utilitarianism, Hrsg. und Übers. von W. R. Köhler, Frankfurt a. M. 1979, S. 27 E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, Frankfurt a. M. 1993, S. 327 B. Williams: Kritik des Utilitarismus, a.a.O., S. 46 111 Handlungsmotiv abgeben und das Glück einer grossen Zahl die Nachteile weniger Menschen zu kompensieren vermag. 9.2 Das Paradigma der kantischen Deontologie Für die Entwicklung einer universalen normativen Ethik, deren Zweck nicht von der Natur, sondern von den Menschen gesetzt ist, zeigt sich nebst der empirischen Variante des Utilitarismus die Möglichkeit, auf die Freiheit der Menschen und folglich auf freie Handlungen abzustellen. Nach Immanuel Kant ist ethisches Verhalten grundsätzlich an die Fähigkeit zur Freiheit geknüpft, die er denn auch jedem vernünftigen Wesen konzediert 811. Der nachdenkende Menschenverstand muss kraft seiner Vernunft einsehen, dass wir die Dinge – dazu gehören auch wir selbst – nicht an sich erkennen können, sondern nur so, wie sie uns erscheinen. 812 Aber gerade diese Erkenntnis zeigt uns zwei verschiedene Beobachtungs-Standpunkte: Während wir in der Perspektive der Sinnenwelt an die Naturgesetze gebunden sind, wird durch den Standpunkt der intelligiblen Welt die Kausalitätskette der Sinnenwelt unterbrochen bzw. werden wir von der empirischen Heteronomie befreit. Mit einem Beispiel erklärt: Aus der Perspektive der Sinnenwelt werden wir uns satt essen, sobald wir Hunger verspüren, hingegen aus dem Standpunkt der intelligiblen Welt können wir uns fragen, ob satt essen angesichts der vielen Menschen, die sehr viel mehr Hunger haben als wir, die richtige Handlung ist. Diese Unabhängigkeit von den Naturgesetzen kann der Mensch nun niemals anders denken als unter der Idee der Freiheit, die zugleich mit dem Begriff der Autonomie untrennbar verbunden ist und „mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen v e r n ü n f t i g e r Wesen ebenso zum Grunde liegt, als Naturgesetz allen Erscheinungen.“ 813 Mit anderen Worten: Als vernünftige, nicht durch Neigungen und Triebe geführte Wesen erkennen wir, dass nicht nur die Naturgesetze der Sinnenwelt – denen wir ausgeliefert sind -, sondern ebenso die Idee der Freiheit durch die Gesetze der Vernunft konstituiert sind und deshalb der Idee der Freiheit selbst ein Gesetz inhärent sein muss, dem wir unterworfen sind. Würden wir allein der intelligiblen Welt angehören, dann bestünde hinsichtlich der Befolgung dieses allgemeinen Prinzips der Sittlichkeit – das ist der Kategorische Imperativ – auch gar kein Anlass zur Sorge. Das ist der Grund, weshalb Kant sagen kann: „Das moralische Sollen ist also eigenes notwendiges Wollen als Gliedes einer intelligiblen Welt, und er wird nur so fern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet.“ 814 Aber wie kommt es, dass Kant, der einige Naturgesetze, aber auch die Freiheit des Menschen teleologisch auffasst, als „der vielleicht bedeutendste Vertreter deontologischer Ethik“ 815 gesehen wird? In der Tat zeigt sich bei Kant eine sonderbare Verschränkung zwischen Teleologie und Deontologie. Der Mensch als der letzte Zweck der Natur und somit Zweck an sich selbst ist ein „teleologisches Wesen“, das, als Noumenon betrachtet, seine Zwecke unabhängig von der Kausalität der Sinnenwelt festzulegen vermag. 816 Und gerade dadurch vermag der freie Mensch den ihm von der Natur übertragenen Endzweck, nämlich die Hervorbringung von Kultur als höchstes Gut 817, zu erkennen. Allerdings nicht eine Kultur der Geschicklichkeit und zunehmenden Ungleichheit, sondern eine Verfassung, die allen Menschen gleiche Möglichkeiten für individuelle Handlungen und Zwecksetzungen gewährleistet. 818 Das bedeutet: Die anzustrebende Kultur als höchstes Gut wird nicht durch von diesem höchsten Gut unabhängigen moralisch richtigen 811 812 813 814 815 816 817 818 112 Vgl. I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 105f [S. 448/449] Vgl. a.a.O., S. 109f [S. 450/451] A.a.O., S. 112 [S. 452/453] A.a.O., S. 115 [S. 454/455] J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 21 Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Hrsg. von H. F. Klemme, Hamburg 2001, B 398 Vgl. a.a.O., B 398 Vgl. a.a.O., B 392-393 Handlungen herbeigeführt, sondern besteht gerade aus moralischen Handlungen. Kants Vernunftteleologie 819 betrifft somit direkt die Handlungen; diese sind – wenn sie frei sind, das heisst, wenn sie dem allgemeinen Sittengesetz: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ 820 folgen – an sich gut. In der von Immanuel Kant herausragend elaborierten Konzeption sollen individuelle Handlungsziele demnach nur dann angestrebt werden, wenn die dazu geeigneten Handlungen subjektiven Grundsätzen folgen, die den Test auf Universalisierung in einem Prüfverfahren bestehen konnten. Auch im Alltag haben Universalisierungstests eine gewisse Bedeutung, so kann der wohl bekannteste unter ihnen, die Goldene Regel: „Tue niemanden etwas an, von dem du nicht willst, daß es dir geschehe. Das ist die Summe des Gesetzes.“ 821, bis zu der Zeit von Herodot – in fertiger Formulierung – zurückverfolgt werden822. Wenn die Summe der Gesetze in so knapper Form gefasst wird, dann verschärft sich jedoch das Problem einer adäquaten Formulierung. Nach Nida-Rümelin sind denn auch sowohl die Goldene Regel wie auch der Kategorische Imperativ „als umfassende handlungsethische Kriterien unzureichend.“ 823 Dadurch, dass die strikte Anwendung von Kants Kategorischem Imperativ in bestimmten Situationen zu katastrophalen und für das moralische Verständnis nicht mehr nachvollziehbaren Folgen führen kann, erweist sich dieses allgemeine Gesetz als zu eng. Für Nida-Rümelin steht deshalb fest: „Kriterien, die qua Universalisierbarkeit bestimmte Kooperationsnormen sicherstellen, müssen im Falle katastrophaler Konsequenzen Abweichungen erlauben.“ 824 Der Kategorische Imperativ ist nach Nida-Rümelin aber nicht nur zu eng, sondern auch zu weit; so scheitert eine Ethik der Rücksichtslosigkeit nicht notwendigerweise am allgemeinen Gesetz, denn als Stärkerer kann ich – so Nida-Rümelin – die Maxime: „Wenn ich die Macht dazu habe, setze ich meinen Willen durch“ 825 als allgemeines Gesetz durchaus wollen. Dem ist allerdings beizufügen, dass nach kantischer Auffassung nicht von einem allgemeinen Gesetz gesprochen werden kann, wenn für bestimmte Menschen Nachteile, die letztlich jeden Menschen irgendwann treffen könnten, offensichtlich sind. Trotz der zweifellos vorhandenen Mängel in Kants Ethik muss auf deren unbestreitbare Stärken hingewiesen werden. Eine solche besteht unter anderem darin, die praktische Vernunft nicht bloss als Instrument der individuellen (sinnlichen) Präferenzen zu sehen, sondern als mächtige Instanz, die durch ihre Überlegenheit gegenüber den sinnlichen Neigungen und Triebe überhaupt erst die Möglichkeit zur menschlichen Freiheit schafft. Ein weiterer herauszuhebender Vorteil kann aber auch darin gesehen werden, dass Kants Ethik nicht ein zu maximierendes Ziel in den Blick nimmt, sondern vielmehr das harmonische Bestehen verschiedener subjektiver Handlungsmaximen und Lebensentwürfe. Gerade Letzteres wird durch die auf kantischen Wurzeln aufbauenden Diskursethiken von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas nochmals deutlich gestärkt; der Universalisierungstest wird hier nicht mithilfe des einsamen Rollentauschs vollzogen, sondern durch den freien Diskurs innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft. 9.3 Das Paradigma des Kontraktualismus Der Gesellschaftsvertrag ist die wichtigste Legitimation einer zwangsbefugten Gesellschaftsordnung und in diesem Sinne die Grundfigur politischer Gerechtigkeit. 826 Theorien, die sich mit der Ausarbeitung von Gesellschaftsverträgen befassen, heissen Vertragstheorien, als 819 820 821 822 823 824 825 826 Vgl. Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 65 I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 68 [S. 421] A. Dihle: Die Goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik, Göttingen 1962, S. 8 Vgl. a.a.O., S. 96 J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 22 A.a.O., S. 22 A.a.O., S. 22 Vgl. O. Höffe: „Gesellschaftsvertrag“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., 102 113 Sammelbegriff oft Kontraktualismus genannt. 827 Die systematische Entwicklung solcher Konzeptionen kann, wie der Utilitarismus und Kants deontologische Ethik, als Antwort auf die mit dem Beginn der Neuzeit aufkommende Überzeugung, dass sich gesellschaftliche Rechtfertigungsbedürfnisse nicht mehr mit einem Rekurs auf den Willen Gottes oder eine objektive natürliche Weltordnung befriedigen lassen, gesehen werden. 828 Das heisst: Wie beim Utilitarismus bzw. der kantischen Ethik rückt auch beim Kontraktualismus der Mensch in den Mittelpunkt. Mit Wolfgang Kerstings Worten: „Protagonist dieses neuzeittypischen rechtfertigungstheoretischen Subjektivismus ist das autonome, aus allen vorgegebenen Natur-, Kosmos- und Schöpfungsordnungen herausgefallene, allein auf sich gestellte Individuum.“ 829 Das bedeutet im Weiteren: gesellschaftliche und politische Einrichtungen lassen sich nur noch dann rechtfertigen, wenn sie in ihren Funktionen mit den Interessen und Glücksvorstellungen der durch den Wegfall der normativen Wertordnung gleichwertig gewordenen Individuen übereinstimmen. Dabei setzt der Kontraktualismus als Prämisse voraus, dass es ein allen Menschen gemeinsames Interesse, bestimmte Regeln zu befolgen, überhaupt gibt. 830 Aber wie kann denn die Übereinstimmung einer allgemeinen Interessenlage erreicht werden? Vertragstheorien gehen davon aus, dass das Individuum sich in seiner Freiheit nur auf solche Gesetze einschränken lässt, „auf die es sich mit allen anderen im Rahmen fairer Verfahren und Diskurse und auf der Grundlage gleichberechtigter Teilnahme – gleichsam vertraglich – geeinigt hätte.“ 831 Der Konjunktiv signalisiert: Vertragstheorien sind nicht tatsächliche, sondern hypothetische Verträge, also moral-, sozial- und staatsphilosophische Gedankenexperimente, die relativ zu einer Ausgangssituation – das ist der sogenannte Naturzustand – die Zweckdienlichkeit des Vertrages für die Menschen feststellen. Otfried Höffe weist denn auch darauf hin, dass der Gesellschaftsvertrag, der die Grundform eines Rechtsgeschäftes mit wechselseitigen Pflichten und Rechten aufweist, sich als Metapher sowohl für die Legitimation wie auch für die normativkritische Beurteilung einer öffentlichen Rechtsmacht und der mit ihr verknüpften Gehorsamsverpflichtung eignet. 832 Als eine weitere wichtige Funktion dieser auf einem generalisierten reziproken Egoismus basierenden Gedankenexperimente kann die Identifizierung von allgemein anerkennungsfähigen, die Freiheit beschränkenden Normen gesehen werden. 833 Obschon im Denken der Sophisten und auch beim Epikureismus Motive für Gesellschaftsverträge ausgemacht werden können, wurde erst in der Neuzeit, mit Thomas Hobbes, der Gesellschaftsvertrag in den Rang eines theoretischen Legitimationskonzeptes erhoben. 834 Die von Hobbes stringent entwickelten Konzepte und Argumentationsformen sind nicht nur der Massstab für das gesamte neuzeitliche politikphilosophische Denken, sondern haben selbst in der zeitgenössischen Philosophie des Liberalismus an Aktualität wieder gewonnen. Neben Hobbes gelten John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und John Rawls als herausragende Vertragstheoretiker, deren Konzepte in der Folge denn auch in der gebotenen Kürze vorgestellt werden. Um die Rechte des Staates und die Pflichten der Bürger bestimmen zu können, muss nach Hobbes der Staat „zwar nicht aufgelöst, aber doch gleichsam als aufgelöst betrachtet werden; d. h. es muß richtig erkannt werden, wie die menschliche Natur geartet ist, wieweit sie zur Bildung des Staates geeignet ist oder nicht, und wie die Menschen sich zusammentun müssen, wenn sie eine Einheit werden wollen.“ 835 Und was findet Hobbes in seinem analytisch geführten Gedankenexperiment über die Natur des Menschen? Wenig 827 828 829 830 831 832 833 834 835 114 Vgl. a.a.O., S. 102 Vgl. W. Kersting: „Kontraktualismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 163 A.a.O., S. 163 Vgl. J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 25 W. Kersting: „Kontraktualismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 164 Vgl. O. Höffe: „Gesellschaftsvertrag“, in: Lexikon der Ethik, a.a.O., S. 102f Vgl. W. Kersting: „Kontraktualismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 168 Vgl. a.a.O., S. 168 T. Hobbes: Vom Menschen - Vom Bürger. (Elemente der Philosophie II/III), Hrsg. von Günter Gawlick, Hamburg 1959, S. 67f Erfreuliches: die Natur hat die Menschen so wenig zum zoon politikon gemacht, „daß alle Menschen ihr ganzes Leben hindurch beständig und unausgesetzt eine Macht nach der anderen sich verschaffen bemüht sind; nicht darum, weil sie nach einer immer größeren Macht als der, welche sie schon besitzen, streben oder sich mit einer mäßigen nicht begnügen können, sondern weil sie ihre gegenwärtige Macht und die Mittel, glücklich zu leben, zu verlieren fürchten, wenn sie sie nicht vermehren.“ 836 Der Wunsch nach Reichtum, Ehre, Herrschaft und Macht führt nun aber im Naturzustand, wo alle das Recht auf alles haben, Gewalt und List die wichtigsten „Tugenden“ sind 837 und sowohl die körperlichen wie auch die geistigen Kräfte untereinander so gleichmässig verteilt sind, dass selbst der Schwächste mit List den Stärksten töten kann 838, zum Krieg aller gegen alle. Es gibt aber auch Hoffnung; denn es gehört ebenfalls zur Natur des Menschen, dass er einen Weg findet, der ihn vom Naturzustand, wo das Recht auf alles – das Recht auf andere Menschen ist darin eingeschlossen – identisch mit dem Recht auf nichts ist, hinausführt. Da ist einerseits die Leidenschaft, das heisst die Frucht vor dem gewaltsamen Tod, aber vor allem die natürliche Vernunft, die uns einige zum Frieden führende Grundsätze bzw. natürliche Gesetze liefert. 839 Nun sind die natürlichen Gesetze – es sind insgesamt deren neunzehn840 – jedoch bloss Vernunftgesetze und vermögen Frieden und Freiheit unter den Menschen nicht hinreichend sicherzustellen. Es braucht mehr, nämlich eine höchste Gewalt: „Ein eigentliches Gesetz hängt allein von dem ab, der im Besitz der höchsten Gewalt ist; er gebe es mündlich oder schriftlich, wenn nur die, welche ihm gehorchen sollen, wissen, daß er es gegeben hat.“ 841 Die Selbsterhaltung zu sichern, ein bequemeres Leben zu führen und aus dem elenden Zustand des Krieges aller gegen alle herauszutreten sind also die vernünftigen Gründe, weshalb die Menschen bereit sind, sich zu unterwerfen, und zwar in einer kaum zu überbietenden Radikalität: „Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der Bedingung, daß du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr abtrittst.“ 842 Mit einem Mehrheitsbeschluss entsteht das institutionelle Arrangement des grossen Leviathan, der nicht etwa für eine bestimmte Zeit im Auftrag der Menschen handelt, sondern fortan die bürgerliche Gesellschaft verkörpert. Mit anderen Worten: Was auch immer der oder die Herrscher befehlen, es ist der rechtmässige unwiderrufliche Befehl eines jeden einzelnen Menschen, und zwar ganz unabhängig, ob der Einzelne seine Stimme zur Errichtung dieser düsteren und ungeheuerlichen Gewalt abgegeben hat. Eine bedeutende Alternative zu Thomas Hobbes liefert John Locke. Nach dem englischen Philosophen ist die Annahme, dass Menschen dem Hobbeschen Vertrag jemals zustimmen würden, gleichbedeutend mit „die Menschen für so töricht halten, daß sie zwar zu verhüten suchen, was ihnen Marder oder Füchse antun können, aber glücklich sind, ja es für Sicherheit halten, von Löwen verschlungen zu werden.“ 843 Locke bestimmt keinen anthropologischen, sondern einen anthropologieneutralen Naturzustand mit unveräusserlichen apriorischen Rechten. 844 Das heisst: Im Naturzustand sind alle Menschen zwar frei und gleich, aber dennoch gilt nicht das Recht von allen auf alles, sondern vielmehr besteht ein natürliches Gesetz, „daß niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben, seiner Gesundheit, seiner Freiheit oder seinem Besitz Schaden zufügen soll.“ 845 Konflikte im Naturzustand sind demnach Rechtskonflikte, „in denen sich die Verwirklichungsschwierigkeiten 836 837 838 839 840 841 842 843 844 845 T. Hobbes: Leviathan. Erster und zweiter Teil, Übers. von J. P. Mayer, Stuttgart 1970, S. 90f Vgl. a.a.O., S. 117 Vgl. a.a.O., S. 112f Vgl. a.a.O., S. 118 Vgl. a.a.O., S. 140 A.a.O., S. 142 A.a.O., S. 155 J. Locke: Über die Regierung. The Second Treatise of Government, Hrsg. von P. C. Mayer-Tasch, Übers. von D. Tidow, Stuttgart 2003, S. 71 Vgl. W. Kersting: Die Politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, a.a.O., S. 110 J. Locke: Über die Regierung, a.a.O., S. 6 115 der unveräußerlichen Grundrechte in einem institutionell ungefestigten Zustand spiegeln.“ 846 Lockes theoretische Konzeption sieht den Staat, im Gegensatz zu Hobbes Rechtspositivismus, im Wesentlichen als die organisierte Grundrechtspflege bzw. als das zweckmässige Zusammenspiel der Institutionen Legislative, Jurisdiktion und Exekutive. Mit anderen Worten: Die Menschen geben ihre Rechte nicht etwa ab, sondern bestimmen vielmehr geeignete Institutionen, damit ihre unveräusserlichen natürlichen Rechte wie Freiheit oder Eigentum im Sinne eines Treuhandgeschäfts gesichert sind. In Lockes Gesellschaftsvertrag, der die Herrschaft zwar legitimiert, aber zugleich begrenzt, zeigen sich unverkennbar die Grundzüge des bürgerlichen Liberalismus. Dass die Gedanken von John Locke keineswegs an Aktualität eingebüsst haben, zeigt das von Robert Nozick herausgegebene Werk Anarchy State Utopia, in dem er eine radikalisierte Variante des Lockeschen Kontraktualismus vorstellt. Nach Nozick ist der Minimalstaat – er unterscheidet diesen vom Ultraminimalstaat 847 – der „weitestgehende Staat, der sich rechtfertigen läßt.“ 848 Dieser, die Rechte der Menschen nicht verletzende Minimalstaat ist nach Ansicht von Nozick auf wenige Funktionen wie Schutz gegen Gewalt, Diebstahl, Betrug und Durchsetzung von Verträgen beschränkt. 849 Eine schärfere Kritik an Hobbes Theorie erlaubt sich Jean-Jacques Rousseau. Nach ihm hätte Hobbes erkennen müssen, dass der Naturzustand „derjenige Zustand ist, in dem die Sorge um unsere Erhaltung der Erhaltung anderer am wenigsten abträglich ist, jener Zustand folglich für den Frieden am geeignetsten und für das Menschengeschlecht am angemessensten war.“ 850 Aber – so Rousseau: „Er sagt genau das Gegenteil, weil er in die Sorge um die Erhaltung beim wilden Menschen unangebrachterweise das Bedürfnis hineingenommen hat, eine Vielzahl von Leidenschaften zu befriedigen, die das Werk der Gesellschaft sind und die die Gesetze notwendig gemacht haben.“ 851 Hobbes hat nach Rousseau aber noch ein anderes menschliches Prinzip nicht gesehen, das die allein auf den eigenen Vorteil bedachte Eigenliebe (amour propre) zu mildern vermag, nämlich den angeborenen Widerwillen, Menschen leiden zu sehen: „Ich spreche vom Mitleid – einer Disposition, die für so schwache und so vielen Übeln ausgesetzte Wesen, wie wir es sind, angemessen ist; eine dem Menschen um so universellere und um so nützlichere Tugend, als sie bei ihm dem Gebrauch jeder Reflexion vorausgeht, und eine so natürliche, daß selbst die Tiere manchmal wahrnehmbare Zeichen davon geben.“ 852 Aber mit welchem Vertrag kann die Selbstbestimmung der Menschen vor der Depravierung durch die Gesellschaft geschützt werden? Rousseaus contract social ist zwar deutlich verschieden von Hobbes Leviathan, aber dennoch zeigen sich Parallelen. Wie bei Hobbes verkörpert auch bei Rousseau jeder einzelne Bürger den Staat, allerdings nicht in der Gestalt eines zwar sterbenden, aber dennoch allmächtigen Gottes, sondern in der Form eines radikaldemokratischen Gemeinwillens. Die volonté générale als allumfassende zwingende Kraft ist mit der Aufgabe versehen, „jedes Teil auf die für das Ganze vorteilhafte Art zu bewegen und auszurichten.“ 853 Das bedeutet: Es kommt nicht auf das an, was der einzelne Mensch als Vorteil betrachtet, sondern ausschliesslich auf den immer richtigen Gemeinwillen. Der einzelne Bürger stimmt sämtlichen Gesetzen zu, „selbst jenen, die man gegen seinen Willen verabschiedet, und sogar solchen, die ihn bestrafen, wenn er es wagt, eines davon zu verletzen.“ 854 Dadurch, dass die Menschen immerhin als Kollektiv über die eigene Zukunft selbst entscheiden können, vermeidet Rousseau eine absolutistische Herrschaft, weil aber der 846 847 848 849 850 851 852 853 854 116 W. Kersting: „Kontraktualismus“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 170 Vgl. R. Nozick: Anarchie Staat Utopia, Übers. von H. Vetter, München 2006, S. 159 A.a.O., S. 201 Vgl. a.a.O., S. 13 J.-J. Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit. Discours sur l’inégalité, 5. Auflage, Paderborn, München, Wien und Zürich 2001, S. 137f A.a.O., S. 139 A.a.O., S. 143 J.-J. Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, Übers. und Hrsg. von H. Brockard und Stuttgart 2003, S. 32 A.a.O., S. 116 Gesellschaftsvertrag als Entäusserungsvertrag konzipiert ist 855, kann kein normativ-kritisches Potential über die Selbsterhaltung der Vertragsschliessenden hinaus – Letzteres ist der Zweck des Vertrages 856 – entwickelt werden, auf das sich die Menschen zwecks Wahrung individueller unveräusserlicher Rechte berufen könnten. In diesem Aspekt unterbietet Jean-Jacques Rousseau die theoretische Konzeption von John Locke. Ein Bruch mit der Tradition des Kontraktualismus zeigt sich bei Immanuel Kant. Die Notwendigkeit des Staates ergibt sich nicht aus pragmatischen Nützlichkeitsüberlegungen, sondern aus einer vernunftrechtlichen Notwendigkeit. Nicht die Erfahrung der Bösartigkeit der Menschen fordert also die Errichtung eines gesetzlichen Zustandes, sondern es liegt a priori in der Vernunftidee, dass Menschen – selbst wenn diese als gutartig vorgestellt werden – im nichtrechtlichen Zustand nie vor Gewalttätigkeit voreinander sicher sein können. 857 Der kantische Vertrag ist demnach nicht die Geschichtsurkunde des Staates, sondern ein Vertrag sui generis, nämlich die Urkunde der Vernunft, und zwar im Sinne einer Richtschnur für das Ideal der geschichtlichen Gesetzgebung, Regierung und öffentlichen Gerechtigkeit. Aber welchen Kerninhalt hat dieser Vernunft-Kontrakt? Es ist die Wahrung der Freiheit als des einzigen angeborenen bzw. ursprünglichen Rechts. 858 Und dies gelingt dadurch, dass die wilde, gesetzeslose Freiheit zugunsten einer gesetzlichen und damit rechtmässigen Freiheit aufgegeben wird. Eine jede Handlung ist dann recht, „die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann.“ 859 Damit zeigt sich der Vernunftvertrag als das staatsrechtliche Universalisierungsprinzip, mit dem die Bürger für die Prüfung des Gerechtigkeitsgrades der über sie ausgeübten Herrschaft ein allgemeingültiges Kriterium in die Hand bekommen. Und für den (empirischen) Gesetzgeber ist der staatsrechtlich gefasste „Kategorische Imperativ“ so etwas wie ein Probierstein: „Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte?“ 860 Es wird von der Gesetzgebung also verlangt, mithilfe eines Gedankenexperiments die Demokratie zu simulieren, damit sie nur solche Gesetze erlässt, denen das Volk von sich aus zustimmen könnte. Kant hat allerdings noch in anderer Weise den Kontraktualismus fundamental beeinflusst. Dank seiner philosophischen Gründlichkeit und Genialität hat er gesehen, dass der Naturzustand keine staatlichen Grenzen kennt und eine Vertragstheorie von daher nicht auf ein bestimmtes Territorium begrenzt sein kann, sondern kosmopolitisch die gesamte Welt umfassen muss. Die Friedenssicherung qua Vertrag kann demnach nicht bloss die Bürger eines einzelnen Staates im Blick haben, sondern muss ebenso das Verhältnis unter den verschiedenen Staaten klären. Dabei zeigt sich die republikanische Staatsverfassung als „die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrages hervorgeht, auf der alle rechtlichen Gesetzgebung eines Volkes gegründet sein muß“ 861. Und als nicht-despotische Regierungsform, die zwischen Legislative und Exekutive zu unterscheiden vermag, hat sie auch beste Aussichten auf den ewigen Frieden. John Rawls will mit seiner Theorie der Gerechtigkeit als Fairness die Gesellschaftstheorien von Locke, Rousseau und Kant verallgemeinern, das heisst auf eine höhere Abstraktionsebene bringen 862 und zugleich eine Alternative zum utilitaristischen Denken entwickeln863. Die auf kantischen Wurzeln entworfene Theorie basiert auf einer konstruktivistischen Auffassung. 864 Das 855 856 857 858 859 860 861 862 863 864 Vgl. S. 25, 33 Vgl. S. 37 Vgl. I. Kant: Die Metaphysik der Sitten, Hrsg. von H. Ebeling, Stuttgart 1990, S. 168, [311-312] Vgl. a.a.O., S. 76, [237-238] A.a.O., S. 67, [230-231] I. Kant: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, in: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, Hrsg. von E. Bahr, Stuttgart 1996, S. 14 I. Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Hrsg. von R. Malter, Stuttgart 2003, S. 11 Vgl. J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, a.a.O., S. 27 Vgl. a.a.O., S. 40 Vgl. J. Rawls: Die Idee des politischen Liberalismus. Aufsätze 1978 - 1989, Hrsg. von W. Hinsch, Frankfurt a. M. 1994, S. 147 117 bedeutet: die Frage, welche Tatsachen in einer Gesellschaft mit der Gerechtigkeit übereinstimmen, hängt nicht von wahrheitstheoretischen Annahmen ab, sondern allein von den konstruierten obersten Gerechtigkeitsgrundsätzen. 865 Um diese Konstruktion zu leisten, fragt Rawls nach den Gerechtigkeitsgrundsätzen, „die freie und vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse in einer anfänglichen Situation der Gleichheit zur Bestimmung der Grundverhältnisse ihrer Verbindung annehmen würden.“ 866 Aber wie gelingt die Erkenntnis einer anfänglichen Situation der Gleichheit? Im Gedankenexperiment entwirft Rawls als hypothetischen und nicht-historischen Naturzustand einen Schleier des Nichtwissens, mit dem sowohl die Kenntnisse um die soziale Stellung (beispielsweise Einkommen und Vermögen) als auch um die natürlichen Gaben wie Intelligenz oder körperliche Kraft unterbunden sind, mit der Absicht, „daß dabei niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird.“ 867 Weil nun alle in der gleichen Lage sind und niemand Grundsätze ausdenken kann, die ihn in der eigenen Situation bevorzugen würden, „sind die Grundsätze der Gerechtigkeit das Ergebnis einer fairen Übereinkunft oder Verhandlung.“ 868 Dabei nimmt Rawls als anthropologische Voraussetzung an, dass die Menschen auch wirklich einen Gerechtigkeitssinn haben und ihre individuellen Ziele im Sinne einer Zweck-MittelRelation vernünftig verfolgen. Und welchen Gerechtigkeitsgrundsätzen würden die Menschen hinter dem Schleier des Nichtwissens nun zustimmen? Der erste Grundsatz lautet: „Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreiche Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.“ 869 Nach dem zweiten Grundsatz müssen soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten den am wenigsten Begünstigten den grösstmöglichen Vorteil bringen, und sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die aufgrund fairer Chancengleichheit allen offen stehen. 870 Rawls entwickelte die in einer lexikalischen Ordnung stehenden Gerechtigkeitsgrundsätze für einen bestimmten Bereich, nämlich für politische, gesellschaftliche und ökonomische Institutionen. „Genauer: Gerechtigkeit als Fairneß wurde konzipiert im Hinblick auf die, wie ich es nannte, Grundstruktur eines modernen demokratischen Verfassungsstaates.“ 871 Unter Grundstruktur versteht Rawls „die Art und Weise, in der die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen sich zu einem System zusammenfügen, und in der durch sie grundlegende Rechte und Pflichten zugewiesen und die Erträge sozialer Kooperation verteilt werden. So gehören die politische Verfassung, die gesetzlich anerkannten Formen des Eigentums, die Wirtschaftsordnung und die Struktur der Familie zur Grundstruktur.“ 872 Mit den als Idealform gedachten Gerechtigkeitsgrundsätzen im Hintergrund soll demnach die Grundstruktur so gestaltet werden, dass soziale und ökonomische Ungleichheiten ausgeglichen bzw. reguliert werden – das kann auch die Beschränkung der Akkumulation von Eigentum bedeuten -, ohne jedoch Zufälligkeiten aus dem sozialen Leben ausschliessen zu wollen. 873 Darüber hinaus fasst Rawls seine Gerechtigkeitstheorie – deren Annahme zu einer wohlgeordneten Gesellschaft führt – als liberal auf, und zwar in dem Sinne, dass sie gegenüber widerstreitenden und hinsichtlich des Guten unvereinbaren Auffassungen tolerant ist. 874 Das Gebot der Toleranz ist aber auch ein Erfordernis im Hinblick auf die theoretische Konsistenz; denn eine Gerechtigkeitstheorie, die einen Pluralismus von Theorien und Weltanschauungen ja gerade ermöglicht, darf sich nicht als umfassende Lehre verstehen, sondern muss vielmehr versuchen, mit dem Gedanken eines übergreifenden Konsenses als zweite Stufe – die Gerechtigkeitsgrundsätze sind die erste Stufe – 865 866 867 868 869 870 871 872 873 874 118 Vgl. a.a.O., S. 148 J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, a.a.O., S. 28 A.a.O., S. 29 A.a.O., S. 29 A.a.O., S. 336 Vgl. a.a.O., S. 336 J. Rawls: Die Idee des politischen Liberalismus, a.a.O., S. 257 A.a.O., S. 45 Vgl. a.a.O., S. 72f Vgl. a.a.O., S. 283-287 Einheit und Stabilität in einer pluralistischen Gesellschaft herbeizuführen. Den Gedanken, mithilfe der Gerechtigkeitsgrundsätze widerstreitenden Lehren Grenzen zu setzen und die von der Theorie selbst in Anspruch genommenen Ideen des Guten an die Grenzen der eigenen Konzeption zu binden (Vorrang des Rechten vor dem Guten) 875 sowie mit dem übergreifenden Konsens eine gesellschaftliche Einheit zu sichern, nennt Rawls politischen Liberalismus 876. Das Vorhaben des politischen Liberalismus ist dann auf gutem Weg, wenn erstens die Bürger als freie und moralische Personen den vernünftigen Gerechtigkeitsgrundsätzen zustimmen und zweitens die unvernünftigen umfassenden Lehren nicht genug Verbreitung finden, um die Gerechtigkeit als Fairness gefährden zu können. 877 John Rawls′ Theorie der Gerechtigkeit berücksichtigt – im Gegensatz zu Rousseau – die bürgerlichen Freiheiten ebenso wie die politischen und leistet mit ihrem soliden, aber dennoch änderbaren Fundament eine herausragende Legitimation des Sozialstaats, und zwar unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft. Der Kontraktualismus ist sehr wohl in der Lage, gedankenexperimentelle Verfahren für die rechtfertigungstheoretische Prüfung, ob eine Verfassung oder Normenordnung gerecht ist bzw. „ob sich Menschen unter bestimmten Anfangsbedingungen auf dieses Prinzip, diese Verfassung, diese Normenordnung einigen würden“ 878, bereitzustellen. In Bezug auf die Generierung von Normen und Verpflichtungen zeigen sich beim kontraktualistischen Paradigma hingegen oft schwerwiegende Probleme. Für das von rationalen Interessen der Individuen ausgehende ethische Paradigma macht es keinen Sinn, die eigenen Handlungsspielräume zugunsten von Menschen einzuschränken, mit denen man gar nicht kooperieren möchte – insbesondere gilt dies für Theorien, die keinen Schleier des Nichtwissens vorsehen. Zudem verleitet der unterstellte Rationalitätsbegriff – falls ihm kein Gerechtigkeitssinn zur Seite gestellt wird – zur Ausnützung vertraglicher Regeln, indem man von solchen zwar profitiert, sie selber aber nicht einhält. Mit anderen Worten: Der Kontraktualismus eignet sich zwar als Legitimation von gesetzlichen sanktionsfähigen Institutionen, weniger aber als eigenständige normative Ethik. Ernst Tugendhat bezeichnet den Kontraktualismus denn auch in diesem Sinne als „QuasiMoral“. 879 Es ist zwar eine zu Recht bestehende Minimalposition, die jedoch nicht sehr weit reicht und – darüber hinaus – auch kein Konzept des Guten hat. „Man kann geradezu sagen, daß sie die »Moral« desjenigen ist, der keinen moralischen Sinn hat.“ 880 9.4 Das individualrechtliche Paradigma des Libertarismus Nach Julian Nida-Rümelin gibt es einen breiten moralischen Konsens hinsichtlich eines Kernbestandes individueller Rechte, der keineswegs auf die westlichen Industriestaaten beschränkt ist. 881 In Anbetracht dessen, dass in der Frage nach geeigneten moralischen Prinzipien weiterhin ein kaum überbrückbarer Dissens besteht, kann es denn auch kaum erstaunen, dass ein Teil der zeitgenössischen normativen Ethiken die Zuschreibung dieses Kernbestandes, der in der UN-Menschenrechtskonvention und mittlerweile in vielen nationalstaatlichen Verfassungen niedergeschrieben ist, selbst zur fundamentalen Kategorie erhebt und eine darüber hinausgehende Ableitung für überflüssig, ja irreführend hält. 882 Diese individualrechtlichen Theorien haben gegenüber den anderen Paradigmen den Vorzug, dass sie mit der intuitiven lebensweltlichen Moral in einer engen Beziehung stehen und sich deshalb eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz erhoffen können. Dadurch, dass persönliche, soziale, wirtschaftliche, 875 876 877 878 879 880 881 882 Vgl. a.a.O., S. 364ff Vgl. a.a.O., S. 356 Vgl. a.a.O., S. 355 W. Kersting: Die Politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, a.a.O., S. 352 Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, a.a.O., S. 76 A.a.O., S. 77 Vgl. J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 29 Vgl. a.a.O., S. 29 119 kulturelle und juristische Menschenrechte nicht auf ein einziges fundamentales Recht oder auf eine andere normative Kategorie reduziert werden, kann im Weiteren eine höhere normative Komplexität bearbeitet werden. Mit Blick auf die Schwächen dieses Paradigmas fällt dagegen auf, dass dieses weniger für die Herausarbeitung einer eigenständigen normativen Ethik, als für die Legitimationsbasis der positiven Rechtsetzung geeignet ist. In dieser Hinsicht besteht denn auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem kontraktualistischen Paradigma. Ernst Tugendhat weist auf eine weitere Schwäche des libertären Paradigmas hin; er moniert, dass die Menschenrechte primär als Abwehrrechte bzw. als negative Rechte gegenüber den Eingriffen des Staates und nur sehr zögerlich als allgemeine Schutzrechte bzw. positive Rechte verstanden werden. 883 Dass es Rechte gibt, denen der Staat allein dadurch nachkommt, dass er sich nicht einmischt, ist nach Tugendhat jedoch eine Fiktion; denn selbst in diesem Minimalstaat müsste der Staat zum Schutz der gegenseitigen menschlichen Bedrohung etwas tun, nämlich im Mindesten entsprechende Gerichte vorsehen. 884 Und wenn dies erst einmal zugestanden ist, dann ist – so Tugendhat weiter – auch nicht einzusehen, „wieso der Staat nicht darüber hinaus auf Grund der Anerkennung derselben Rechte, erneut aushilfsweise, dazu verpflichtet sein soll, denjenigen, die er nicht schützen konnte, auch positiv zu helfen.“ 885 In diesem Sinne sollte die Pflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit nicht nur in Bezug auf die Verletzung durch andere Bürger verstanden werden, sondern ebenso andere Gefahren wie beispielsweise Ereignisse durch Naturkatastrophen berücksichtigen. 886 Dass es der positiven Rechte, mit der Idee von Hilfe zur Selbsthilfe, auch wirklich bedarf, zeigt sich nach Tugendhat in aller Deutlichkeit am Beispiel des Kleinkindes, für das positive Rechte von primärer Bedeutung sind. 887 Aber weshalb ist der Blick in erster Linie auf die negativen Rechte gerichtet? Nach Tugendhat hängt dies mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zusammen: „Man kann hier vielleicht sagen, daß die marktorientierte, kapitalistische Ökonomie es nahelegt, von der für die Ideologie des Kapitalismus maßgebenden Fiktion auszugehen, daß die Gesellschaft nur aus erwachsenen und arbeitsfähigen Männern besteht, die im Normalfall alle für sich selbst sorgen können, und Hilfsbedürftigkeit ein Randphänomen ist; wer mittellos ist, ist normalerweise selbst schuld.“ 888 Der Grund für den Vorzug der negativen Rechte hat aber auch damit zu tun, dass in der Menschen- und Grundrechtsdebatte ein rechtlicher bzw. ein negativer Freiheitsbegriff verwendet wird, nach dem eine Person in dem Masse frei ist, „in dem ihr Handlungsalternativen nicht versperrt sind.“ 889 Nach Tugendhat geht dieser Freiheitsbegriff fälschlicherweise von der Annahme aus, dass die Menschen im Naturzustand frei wären und es deshalb die zentrale Aufgabe des Staates sei, die Freiheit als Grundrecht zu schützen, und zwar indem die Menschen voneinander ferngehalten werden. 890 Tugendhat liegt wohl richtig, wenn er sagt: „Die Gewinnung von minimalen positiven Freiheitsspielräumen, in denen alle Menschen befähigt werden, sich selbst um ihr Wohl zu kümmern, soweit sie dazu in der Lage sind, erscheint aus moralischer Perspektive als ein ebenso grundlegendes Recht wie das auf körperliche Unversehrtheit und gewisse negative Freiheitsrechte.“ 891 Die Frage indessen, in welchem Umfang Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden soll, ist alles andere als trivial. Denn zum einen ist die durch die Individuen verlangte Hilfe keineswegs von allgemeiner Natur, und zum anderen kann die Aussicht auf Hilfe durch den Staat die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten zur Selbsthilfe und dadurch die eigenen Anstrengungen durchaus beeinflussen. 883 884 885 886 887 888 889 890 891 120 Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, a.a.O., S. 351f Vgl. a.a.O., S. 352f A.a.O., S. 353 Vgl. a.a.O., S. 353 Vgl. a.a.O., S. 355 A.a.O., S. 356 R. Alexy: Theorie der Grundrechte, Frankfurt a. M. 1994, S. 198 Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, a.a.O., S. 357f A.a.O., S. 360 9.5 Das tugendethische Paradigma Die Ethik als philosophische Disziplin hat in der Tugendethik ihren Anfang genommen. So sondert Sokrates in Platons Politeia, in Analogie zu den drei verschiedenen Ständen im Staat, drei disparate, bei den Menschen in unterschiedlicher Ausprägung vorhandene Seelenteile aus. 892 Mithilfe einer adäquaten Erziehung können aus den Naturgaben des Vernünftigen, Begehrenden und des Eifrigen 893 die Grundtugenden der Weisheit, Besonnenheit und Tapferkeit894 gewonnen und der vollkommene Staat erhalten werden. Und erst im vollkommenen Staat bzw. im harmonischen Gleichgewicht des Staates zeigt sich die vierte Grundtugend, die Gerechtigkeit, und zwar im Sinne von: Jedem das Seine. 895 Auch bei Aristoteles liegen die Wurzeln der Tugenden in der Seele; durch die Trennung zwischen einem vernünftigen und unvernünftigen Seelenteil gelingt die Dichotomie zwischen Verstandestugenden (Weisheit, Auffassungsgabe und Einsicht) sowie ethischen Tugenden (Grosszügigkeit und Besonnenheit). 896 Während Erstere durch Belehrung, das heisst durch die Erfahrung in der Zeit entstehen und wachsen, bedürfen die ethischen Tugenden der Gewöhnung in der Polis. 897 Obschon die verschiedenen antiken Tugendethiken unterschiedliche Akzente setzen, stimmen doch alle darin überein, „dass es zunächst eine bestimmte Weise menschlichen Handelns, menschlicher Aktivität und menschlicher Praxis ist, die als telos des Menschen zu gelten hat.“ 898 Aber da sich das im Menschen auf ein Ziel hin angelegte Naturhafte nicht ohne Weiteres ausbildet, die Menschen über Freiheitsräume verfügen und deshalb die in einem kosmologischen Verständnis verankerte Entelecheia 899 sowohl erreichen wie auch verfehlen können, ist es die Aufgabe der Tugendethik, den Vervollkommnungsprozess sicherzustellen. Aus der Sicht der Ethik gilt deshalb die Forderung: „Der Mensch soll so handeln und leben, wie es seiner Wesensnatur entspricht, und seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise vervollkommnen.“ 900 Damit hängen das gute Leben und die menschliche onto-teleologische Vervollkommnung untrennbar zusammenhängen, und es zeigt sich, dass die Tugenden mehr als nur ein mögliches Mittel zum Zweck sind: „Die Tugenden sind nicht Hilfsmittel richtiger Entscheidung, wie es für die neuzeitlichen Handlungstypen typisch ist, vielmehr wird die Frage nach der angemessenen Handlung unter Rekurs auf die leitenden Tugenden bzw. Dispositionen, Einstellungen, Charaktermerkmale bestimmt.“ 901 Mit anderen Worten: Das Gute liegt in den Tugenden und die Handlungen sind dann moralisch richtig, wenn sie durch tugendhaftes Verhalten hervorgebracht werden. Indem das ethische Sollen ontologisch begründet ist, zeigt sich nicht nur ein harmonisches, sondern sogar ein notwendiges Schliessen von der deskriptiven auf die normative Ethik bzw. vom Sein auf das Sollen. Nach Michael Quante kann im ethischen Diskurs seit den letzten zwanzig Jahren eine Renaissance der Tugendethik beobachtet werden. 902 Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass tugendethische Konzeptionen nicht von einer einzigartigen Biographie der Individuen ausgehen und das gute Leben nicht in der individuellen Selbstverwirklichung sehen, sondern vielmehr in der sozialen Dimension, welches zunehmend an Bedeutung zu verlieren scheint. Ein weiterer Grund für die Wiederbelebung tugendethischer Konzeptionen kann aber auch darin liegen, dass die Gewöhnung des Charakters nicht nur das Motivationsproblem weitgehend beseitigt, sondern 892 893 894 895 896 897 898 899 900 901 902 Vgl. Platon: ΠΟΛΙΤΕΙΑ - Der Staat, a.a.O., 435a Vgl. a.a.O., 441a Vgl. a.a.O., 442b-d Vgl. a.a.O., 432a-434c Vgl. Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, Hrsg. von R. Nickel, Übers. von O. Gigon, Düsseldorf und Zürich 2001, Erstes Buch 1103a Vgl. a.a.O., Zweites Buch 1103b Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 63 Entelecheia ist ein von Aristoteles geschaffenes Kunstwort, das den Verwirklichungsprozess des im Menschen selbst angelegten Ziels (Telos) bezeichnet. (Vgl. M.-T. Liske: „entelecheia“, in: Wörterbuch der antiken Philosophie, Hrsg. von Ch. Horn und Ch. Rapp, München 2002, S. 135) Ch. Hübenthal: „Teleologische Ansätze. Einleitung“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 63 J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 31 Vgl. M. Quante: Einführung in die Allgemeine Ethik, a.a.O., S. 138 121 ebenso ein wirksames Mittel ist gegen die mit der moralischen Beurteilung einzelner Handlungen verbundene menschliche Überforderung. Eine solche kann dazu führen, dass die Moral an Einfluss verliert und die Sprache der Moral zunehmend verwahrlost. Letzteres ist die These des prominenten Tugendethikers Alasdair MacIntyre, wobei MacIntyre den Grund der moralischen Sprach-Verwahrlosung darin sieht, dass viele unserer Begriffe und Verhaltensweisen emotivistisch fundiert sind, und wir wie selbstverständlich die Wahrheit des Emotivismus voraussetzen. 903 Was meint MacIntyre damit? Weil nach der nonkognitivistischen Theorie des Emotivismus moralische Urteile nichts weiter als der Ausdruck individueller emotionaler Einstellungen bedeuten und Sollensforderungen von daher bloss als zweckgerichtete Beeinflussungen aufzufassen sind, wird jede echte Unterscheidung zwischen manipulativen und nicht-manipulativen sozialen Beziehungen verwischt 904. Mit anderen Worten: Kants Diktum, Menschen nie nur als Mittel zum Zweck zu gebrauchen, sondern immer zugleich als Zweck an sich, hat im Emotivismus mangels eines objektiven Bezugpunktes gar keine Anwendung. Dass es aber überhaupt so weit kommen konnte, hängt nach MacIntyre eindeutig mit dem seiner Meinung nach gescheiterten Vorhaben der Aufklärung zusammen, die den Menschen von Hierarchie und Teleologie befreit und ihn zugleich mit moralischer Autorität ausgestattet hat. 905 Aber nicht nur das: Mit dem Projekt der Aufklärung geht zugleich eine fatale Geschichtsvergessenheit und Ignoranz der Tatsache einher, dass die Sprache und das Erscheinungsbild der Moral im Übergang zur funktional differenzierten Gesellschaft in erheblichem Umfange aufgebrochen und teilweise zerstört wurde. Für MacIntyre kommen die gravierenden Folgen unserer Geschichtsvergessenheit, in deren Folge der Begriff über die menschliche Natur zusehends an normativem Inhalt verloren hat, nirgends deutlicher und bedrohlicher zum Ausdruck, als in der Frage der Gerechtigkeit. 906 Angesichts des Umstandes, dass im Mainstream der moralphilosophischen Debatte nichts weiter als getreu die Meinungsverschiedenheiten des aktuellen Zeitgeschehens abgebildet werden, muss zur Kenntnis genommen werden, „daß unsere Gesellschaft nicht darauf hoffen kann, moralische Übereinstimmung zu erreichen.“ 907 Längst stehen nicht mehr die Interessen der Gemeinschaft im Zentrum der Überlegungen, sondern jene der egoistischen Individuen. Nun sieht MacIntyre im Werk Nikomachische Ethik von Aristoteles „die brillanteste Sammlung von Vortragsnotizen, die je geschrieben wurde“ 908. In Anlehnung an den grossen Griechen, aber auch an Thomas von Aquin, versucht MacIntyre die Moralphilosophie aus ihrer misslichen Lage zu befreien und stellt die rhetorische Frage: „ist es rational zu rechtfertigen, jedes menschliche Leben als Einheit zu begreifen, so daß wir versuchen können, jedes Leben als im Besitze seines Gutes zu spezifizieren, und wir die Funktion der Tugenden dahingehend verstehen können, daß sie den einzelnen in die Lage versetzen, aus seinem Leben eher eine Art von Einheit als eine andere zu machen?“ 909 Tugenden haben demnach nicht wie bei Philippa Foot bloss die Aufgabe, als Korrektive bestimmten Versuchungen entgegenwirken und spezifische Motivationsdefizite auszugleichen 910, sondern müssen als die Tätigkeiten gesehen werden, die das dem Leben inhärente Gute zum Ausdruck bringen und eudaimonía bewirken können 911. Dies bedeutet: MacIntyre versteht die Tugenden von Aristoteles nicht in der oft interpretierten Zweck-Mittel-Denkkategorie, wo die Mittel mehr oder weniger beliebig ausgetauscht werden können, sondern als untrennbar verbunden mit dem für den Menschen Gute: „Wir können das 903 904 905 906 907 908 909 910 911 122 Vgl. A. MacIntyre: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Übers. von W. Rhiel, Frankfurt a. M. 2006, S. 40 Vgl. a.a.O., S. 41 Vgl. a.a.O., S. 89 Vgl. a.a.O., S. 325 A.a.O., S. 336 A.a.O., S. 199 A.a.O., S. 271 Vgl. P. Foot: Die Wirklichkeit des Guten. Moralphilosophische Aufsätze, Hrsg. von U. Wolf und A. Leist, Übers. von A. Leist et al., Frankfurt a. M. 1997, S. 116f Vgl. A. MacIntyre: Der Verlust der Tugend, a.a.O., S. 200f für den Menschen Gute also ohne Bezug auf die Tugenden nicht adäquat charakterisieren. Und in einem aristotelischen Rahmen ergibt daher der Hinweis keinen Sinn, daß es vielleicht Mittel gibt, das für den Menschen Gute auch ohne die Ausübung der Tugenden zu erreichen.“ 912 Aber was ist das gute Leben im heutigen modernen Zeitalter? „Das gute Leben für den Menschen ist das Leben, das in der Suche nach dem guten Leben für den Menschen verbracht wird, und die für die Suche notwendigen Tugenden sind jene, die uns in die Lage versetzen, worin darüber hinaus und worin sonst noch das gute Leben für den Menschen besteht.“ 913 Mit anderen Worten: Das gute Leben besteht in der Suche nach sich selbst und gerade die dafür geeigneten Tugenden sind es, welche die für das moralische Verhalten notwendigen charakterlichen Eigenschaften hervorbringen. Ernst Tugendhat moniert zu Recht, dass es MacIntyre in seiner neu gefassten Tugendethik versäumt hat, aufzuzeigen, wie die bestehenden und von ihm kritisierten Differenzen in der Moderne durch seine ethische Konzeption aufgelöst werden können. 914 Im Weiteren zeigt sich auch bei MacIntyre die mit den Tugendethiken grundsätzlich verbundene Schwierigkeit, den Menschen als allgemeines Wesen zu fassen und die Idee eines guten Lebens metaphysisch zu begründen. 915 Die Tugendethik mag möglicherweise für überschaubare und stabile Gesellschaftsverhältnisse eine adäquate Lösung sein, für multikulturelle, komplexe, vielfältige und sich dauernd verändernde Lebensformen scheint sie indessen keine genug hohe Komplexität verarbeiten zu können. 10 Das Orientierungswissen als ethisches Grundgerüst Ethische Überlegungen sind untrennbar verbunden mit moralischen Überzeugungen und fragwürdigem menschlichem Verhalten hinsichtlich eben dieser moralischen Überzeugungen, und zwar mit Blick auf ein gutes menschliches Leben sowie ein friedliches menschliches Zusammenleben. Wenn ethische Überlegungen zu einer normativ-ethischen Theorie systematisiert werden sollten, dann bedingt dies die Beantwortung verschiedener Grundfragen. Erst dann nämlich wird es gelingen, eine ethische Theorie zu entwickeln, die den anerkannten Massstäben seitens der Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie zu genügen vermag und die hinsichtlich sowohl ihres Gehaltes wie auch ihrer Qualität beurteilt und mit anderen ethischen Konzepten verglichen werden kann. Vom erarbeiteten Orientierungswissen im Sinne eines ethischen Grundgerüsts können folgende vier ethische Grundfragen abgeleitet werden: 1. 2. 3. 4. Warum sollen wir überhaupt ethisch handeln? Welche ethischen Regeln sollen Geltung haben? Weshalb sollen gerade diese ethischen Regeln Geltung haben? Sind die anthropologischen Bedingungen für die Anwendung der festgelegten ethischen Regeln überhaupt gegeben? Die Überlegungen zur Motivation haben zur ersten ethischen Grundfrage geführt. Dabei kann wohl ohne Übertreibung gesagt werden, dass von der Antwort auf diese Frage der Akzeptanzerfolg einer normativ-ethischen Theorie weitgehend abhängt. Im Weiteren haben die verschiedenen ethischen Paradigmata die grosse Vielfalt möglicher ethischen Regeln und Prinzipien aufgezeigt, wodurch sich die zweite ethische Grundfrage geradezu aufgedrängt hat. Die dritte ethische Grundfrage konnte im Zusammenhang mit der Begründungsproblematik entwickelt werden; denn diese hat in aller Klarheit gezeigt, dass die Frage: Warum sollen wir überhaupt ethisch handeln? keineswegs identisch ist mit der Begründung ethischer Regeln, die als verschiedene Alternativen 912 913 914 915 A.a.O., S. 201 A.a.O., S. 293 Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, a.a.O., S. 212 Vgl. M. Quante: Einführung in die Allgemeine Ethik, a.a.O., S. 140 123 zueinander in Konkurrenz stehen. Von nicht geringerem Wert ist schliesslich die vierte ethische Grundfrage, die als das Ergebnis der Auseinandersetzung mit der philosophischen Anthropologie aufgefasst werden kann. Während das gewonnene Orientierungswissen bei der Gestaltung der normativ-ethischen Theorie punktuell einfliessen wird, sind die vier ethischen Grundfragen von methodischer Bedeutung. Das heisst: Die Ausgestaltung des problemorientierten philosophisch-wirtschaftsethischen Ansatzes orientiert sich an diesen vier Grundfragen, und zwar mit der Idee, dadurch im Rahmen des wirtschaftsethischen Diskurses die ethische Konzeption kritisch beurteilen und mit anderen Theorien vergleichen zu können. Abb. Nr. 2: 124 Schema eines ethischen Grundgerüsts für die Entwicklung einer normativ-ethischen Theorie Teil 3: Angewandte Ethik – eine philosophische Management-Ethik als problemorientierter Ansatz Im dritten Teil ist die Aufgabe gestellt, aufgrund des in den beiden ersten Teilen dieser Arbeit erworbenen Wissens einen problemorientierten philosophisch-wirtschaftsethischen Ansatz zu entwickeln, und zwar als angewandte Ethik. Dieses Vorhaben wird im Rahmen von vier verschiedenen Kapiteln angegangen: Zunächst geht es darum, den Ausdruck „angewandte Ethik“ zu erläutern, danach wird im zweiten Kapitel der Bereich für angewandte Ethik festgelegt, während im dritten Kapitel die philosophische Grundlage expliziert und im vierten, dem wichtigsten Kapitel dieses dritten Teils, der problemorientierte philosophisch-wirtschaftsethische Ansatz ausgearbeitet wird. 11 Über das begriffliche Verständnis von angewandter Ethik Der Begriff „angewandte Ethik“ wird nicht einheitlich verwendet. Nach Urs Thurnherr lässt sich der philosophische Terminus nur in Anlehnung an den Begriff „allgemeine Ethik“ und an den Gesamtkontext der Ethik-Disziplin definieren. 916 Angewandte Ethik ist dann – nebst den verschiedenen Normenkatalogen für verschiedene Bereiche – „die systematische Anwendung normativ-ethischer Prinzipien auf Handlungsräume, Berufsfelder und Sachgebiete“ 917 und unterscheidet sich von der allgemeinen Ethik, die nach Thurnherr treffender als ethische Grundlagenwissenschaft bezeichnet würde 918, in erster Linie durch den empirischen Bezug. Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass die Anwendungsdimension nicht von der allgemeinen, das heisst nicht auf einzelne Handlungsbereiche eingeschränkten Ethik gesondert werden kann, sondern vielmehr das eigentliche Ziel einer jeden ethischen Reflexion ist „und nicht ein Appendix oder ein verzichtbarer Zusatzschritt, der gleichsam nachträglich auch noch stattfindet, nachdem sich in der theoretischen Reflexion bereits alles Wichtige ereignet hat.“ 919 Nach Marcus Düwell ist angewandte Ethik als wissenschaftliches Tätigkeitsfeld denn auch „nicht allein als eine technische Anwendung von ethischen Theorien auf beliebige Handlungsbereiche zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Beziehungsgefüge zwischen theoretischen Reflexionen auf Grundbegriffe und -prinzipien der Moral auf der einen und praktischen Orientierungsfragen auf der anderen Seite.“ 920 Dabei ist es für Düwell kaum strittig, die Erkenntnisse der empirischen Einzelwissenschaften ebenso einzubeziehen, wie die Abschätzung der Technikfolgen. 921 Der Grund, weshalb sich die ethische Diskussion seit den 1960er Jahren zunehmend auf spezifische Bereiche wie Medizin, Biologie, Ökologie, Wirtschaft usf. ausdehnt, könnte nach Julian NidaRümelin darin liegen, dass sich die empirischen und normativen Phänomene als zu komplex erweisen, „als daß sie durch ein einziges Prinzip und eine einzige systematische Begrifflichkeit erfaßbar sind.“ 922 Nida-Rümelin betont denn auch, dass die Anerkennung der Komplexität nicht mit Theoriefeindlichkeit verwechselt werden sollte, vielmehr hängt dies damit zusammen, „daß die ethische Theorie, um adäquat zu sein, unterschiedliche Anwendungsbereiche normativen Urteils zu unterscheiden und für diese Anwendungsbereiche je spezifische Begrifflichkeiten und 916 917 918 919 920 921 922 Vgl. U. Thurnherr: „Angewandte Ethik“, in: Philosophische Disziplinen. Ein Handbuch, Hrsg. von A. Pieper, Leipzig 1998, S. 92 A.a.O., S. 96 Vgl. a.a.O., S. 96 M. Düwell: „Angewandte oder Bereichsspezifische Ethik“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 243 A.a.O., S. 243 Vgl. a.a.O., S. 243 J. Nida-Rümelin: „Theoretische und angewandte Ethik: Paradigmen, Begründungen, Bereiche“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 62 125 Kriterien zu entwickeln hat.“ 923 In Anlehnung an das Begriffsverständnis von Düwell und NidaRümelin wird angewandte Ethik wie folgt präzisiert: Ausgelöst durch den Rückgriff auf das in einer Gesellschaft übereinstimmende moralische Verständnis nimmt es die angewandte Ethik zu ihrer Aufgabe, mithilfe der Grundlagenarbeit seitens der Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie sowie der verschiedenen empirischen Einzelwissenschaften eigenständige ethische Theorien für spezifische Bereiche menschlicher Praxis zu entwerfen. Obschon Düwell und Nida-Rümelin hinsichtlich des inhaltlichen Verständnisses von angewandter Ethik weitgehend übereinstimmen, präferieren sie dennoch unterschiedliche Begriffe. Während Letzterer an der Stelle von angewandter Ethik eher von Bereichsethiken sprechen möchte 924, vertritt Düwell die Ansicht, dass gerade der Ausdruck „angewandte Ethik“ die beiden Dimensionen der Anwendung sowie der Reflexion auf die Grundbegriffe der Moral deutlich zum Ausdruck bringe und deshalb „als Sammelbezeichnung für die verschiedenen ›Bereichsspezifischen Ethiken‹ der geeignete Terminus“ 925 sei. Für diese Arbeit wird Düwells Ansicht übernommen, und zwar deshalb, weil dadurch, nebst seinem plausiblen Argument, zwischen der wissenschaftlichen Tätigkeit und deren bereichsspezifischen Ergebnissen eine Trennung möglich ist. 12 Management als Bereich für angewandte Ethik Bei der Frage, welcher Bereich ethischen Reflexionen unterzogen werden soll, gilt es nach Marcus Düwell zu beachten, dass die Ethik es mit der Beurteilung von menschlichem Handeln zu tun hat und eine Entscheidung diesbezüglich dann sinnvoll ist, wenn sie „von prägnanten Handlungsbereichen des Menschen ausgeht.“ 926 Als ein solcher prägnanter Handlungsbereich wird nun Management aufgefasst. Aber was heisst Management? Dazu der im deutschsprachigen Raum bekannte Managementtheoretiker Fredmund Malik: „Management ist das wichtigste Organ einer funktionierenden Gesellschaft. Management ist die Schlüsselfunktion in jeder Gesellschaft, jedem Gemeinwesen, jeder Organisation. Kein soziales System kann ohne Management entstehen und bestehen.“ 927 Diesem weiten Begriffsverständnis entsprechend sieht Malik die Anwendungsfelder; er spricht von Management der eigenen Person, des Chefs, der Aussenwelt-Elemente (Kunden, Lieferanten, Geldgeber usf.), Management von Kollegen und Mitarbeitern. 928 Der Begründer der St. Galler Systemorientierten Managementlehre und des St. Galler Management-Modells, Hans Ulrich, versteht Management als jene Funktion, „die darauf gerichtet ist, einer gesellschaftlichen Institution die Eigenschaften zu verleihen, die ihre Lebensfähigkeit ausmachen.“ 929 Als personenbezogene Aufgabe des Managements hält Ulrich fest, „dass Lenken, Gestalten und Entwickeln die Teilfunktionen des Managements darstellen, die sich in erster Linie durch eine unterschiedliche zeitliche und inhaltliche Reichweite der damit beabsichtigten Wirkungen unterscheiden.“ 930 Maliks und Ulrichs Begriffserläuterungen implizieren das, worauf in Gablers Wirtschaftslexikon, aber auch in Bruno Staffelbachs Management-Ethik, explizit hingewiesen wird, nämlich: „Management kann institutionell wie funktionell verstanden werden.“ 931 In der institutionellen Betrachtungsweise sind alle Personen zusammengefasst, die mit Führungsaufgaben betraut sind 932 bzw. in einem Unternehmen leitende Aufgaben erfüllen, „und zwar vom president (Generaldirektor) bis zum 923 924 925 926 927 928 929 930 931 932 126 A.a.O., S. 62 Vgl. a.a.O., S. 63 M. Düwell: „Angewandte oder Bereichsspezifische Ethik“, in: Handbuch Ethik, a.a.O., S. 244 A.a.O., S. 247 F. Malik: Management. Das A und O des Handwerks, Bd. 1, Frankfurt a. M. 2005, S. 43 Vgl. a.a.O., S. 80 H. Ulrich: Systemorientiertes Management. Das Werk von Hans Ulrich. Studienausgabe, Hrsg. von der Stiftung zur Förderung der systemorientieren Managementlehre, St. Gallen, Schweiz, Bern, Stuttgart und Wien 2001, S. 65 A.a.O., S. 74 B. Staffelbach: Management-Ethik. Ansätze und Konzepte aus betriebswirtschaftlicher Sicht, Bern, Stuttgart und Wien 1994, S. 110 Vgl. a.a.O., S. 110 foreman (Meister)“ 933, während mit der funktionalen Perspektive „alle Aufgaben, die die Leitung eines Unternehmens in allen ihren Bereichen mit sich bringt“ 934 bezeichnet werden. Gar eine dritte Verwendung sieht Daniel Dietzfelbinger vor, nämlich Management als Konzeption: „Hier geht es um die theoretische wie praktische Ausgestaltung der Aufgaben, die sich aus einer Leitungsaufgabe ergeben.“ 935 Im Folgenden wird – im Sinne von Maliks, Schwantags, Staffelbachs und Ulrichs Begriffsverständnis – Management sowohl als Institution wie auch als Funktion verstanden, wobei Personen, die mit der Managementfunktion betraut sind, als Manager, Führungsleute, Führungspersonen oder Personen des Managements bezeichnet werden. Wenn gelegentlich der Begriff „Top-Management“ gebraucht wird, dann werden damit die Mitglieder der Geschäftsleitung bezeichnet, während mit dem Ausdruck „Unternehmensverantwortliche“ der Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat gemeint sind. Obschon die Managementfunktion keineswegs einzig aus der Führung von Mitarbeitern besteht, wird dennoch die personale Führungsverantwortung zum Kriterium in der Frage nach der Managementzugehörigkeit genommen. Die zu entwickelnde problemorientierte philosophische Management-Ethik nimmt demnach die Führungspersonen bzw. die Managementaufgaben zu ihrem Gegenstand, und zwar ausschliesslich von gewinnorientierten Unternehmen. Angesichts der Tatsache, dass sich immer mehr Menschen nach dem lebenspraktischen Sinn unseres Wirtschaftssystems fragen, darf wohl mit gutem Grund dieser mit dem Wirtschaftssystem aufs engste verbundene Handlungsbereich als eine gute Wahl für ethische Reflexionen bzw. für die Konzeption einer wirtschaftsethischen Theorie behauptet werden. Mit der Einschränkung auf gewinnorientierte Unternehmen soll im Weiteren sichergestellt werden, dass ethischen Regeln gezielt auf konkrete Anwendungsfelder bezogen werden können und nicht wegen der fehlenden Unterscheidung zwischen Profit- und Nonprofit-Organisation zu viel an Substanz verlieren. Im Übrigen wird die zu entwickelnde philosophische Ethik als Institutionenethik und nicht als Individualethik entwickelt. Der Grund, weshalb die ethische Konzeption nicht an das Individuum adressiert, sondern an die alle Führungsleute umfassende Institution „Management“ gerichtet wird, hängt mit der Erfahrung zusammen, „daß Individuen dazu neigen, im Interesse des Unternehmens zu entscheiden, auch wenn dies im Einzelfall gegen die eigenen moralischen Vorstellungen verstößt“ 936. Im Übrigen gelingt mit dieser Entscheidung die Abgrenzung zu einer Führungsethik, die – als Individualethik – in erster Linie das personenbezogene Führungsverhalten ethisch reflektiert und von daher einen doch sehr eingeschränkten Managementbereich fokussiert. 13 Philosophische Grundlegung Eine philosophische Management-Ethik bedarf eines philosophischen Standpunktes als Grundlegung. Angesichts des selbst gewählten problemorientierten Ansatzes, mit dem – im Hinblick auf die Lösung eines moralischen Problemkerns – sozialwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Untersuchungen durchzuführen sind, stellt sich nun die Frage, mit welcher philosophischen Grundlegung dies wohl am ehesten gelingt. Im Folgenden wird der von Karl R. Popper begründete und im deutschsprachigen Raum von Hans Albert weiterentwickelte Kritische Rationalismus als Philosophie, Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie, Methodologie und Sozialphilosophie vorgestellt, wobei sich dabei zeigen wird, dass diese Philosophie den gestellten Anforderungen in herausragender Weise gerecht wird. Die Explikation der philosophischen Grundlegung ist in vier Unterkapitel gegliedert: Im ersten Unterkapitel werden die Leistungen von Popper und im zweiten die Weiterentwicklung von Albert aufgezeigt. Im dritten Unterkapitel wird eine Verbindung zwischen den metaethischen Kategorien aus dem zweiten Teil dieser Arbeit und 933 934 935 936 K. Schwantag: „Management“, in: Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. L - Z, Hrsg. von R. und H. Sellien, 10. Auflage, Wiesbaden 1975, S. 202 A.a.O., S. 203 D. Dietzfelbinger: Aller Anfang ist leicht, a.a.O., S. 130 W. Ch. Zimmerli und M S. Aßländer: „Wirtschaftsethik“, in: Angewandte Ethik, a.a.O., S. 326 127 dem Kritischen Rationalismus hergestellt, und zwar mit dem Ziel, metaethische Entscheidungen auf der Basis des Kritischen Rationalismus zu treffen. Im letzten Unterkapitel werden die Gründe, die letztlich zur definitiven Entscheidung dieser philosophischen Position geführt haben, zusammengefasst. 13.1 Karl R. Popper als Begründer des Kritischen Rationalismus Der Kritische Rationalismus wurde von Karl R. Popper im Rahmen seiner philosophischen Tätigkeit zur Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie und Sozialphilosophie begründet. Popper führt die Bezeichnung im zweiten Band des Werkes Die offene Gesellschaft und ihre Feinde ein, um die eigene Position von einem umfassenden bzw. übertriebenen Rationalismus abzugrenzen. 937 Letztere ist durch die Einstellung gekennzeichnet, dass eine Idee, eine Annahme oder eine Theorie nicht akzeptiert wird, „die sich nicht durch Argumente oder durch die Erfahrung verteidigen läßt.“ 938 Nach Popper enthält dieses Prinzip jedoch einen Widerspruch; denn weder durch logische Argumente, die ihrerseits von Annahmen ausgehen, die selbst wieder der Argumentation bedürfen, noch durch die Erfahrung lässt sich dieses Prinzip stützen und müsste – konsequenterweise – durch sich selbst verworfen werden. 939 Diese Position trotzdem zu vertreten, bedeutet deshalb die unkritische Einnahme einer irrationalen Position, sei es wegen eines Entschlusses, Glaubens oder unbewussten Verhaltens. Angesichts des Umstandes, dass der umfassende Rationalismus wegen seines basalen irrationalen Elementes aus logischen Gründen zu verwerfen, ein umfassender Irrationalismus dagegen logisch haltbar ist, stellt sich gar die Frage, ob auf einen radikalen Irrationalismus eingeschwenkt werden soll. Nach Popper ist unsere Wahl offen: „Es steht uns frei, eine Form des Irrationalismus zu wählen, sogar eine radikale oder umfassende Form. Aber es steht uns in gleicher Weise frei, eine kritische Form des Rationalismus zu wählen, eine Form, die offen ihre Grenzen zugibt, die zugibt, daß sie auf einer irrationalen Entscheidung beruht (und die in diesem Ausmaß auch eine gewisse Priorität des Irrationalismus anerkennt).“ 940 Diese einleitenden Bemerkungen deuten darauf hin, dass Popper den Kritischen Rationalismus nicht als eine wissenschaftliche Theorie, sondern vielmehr als eine bestimmte philosophische Einstellung auffasst, deren Proprium das Zugeständnis der Wissensbegrenzung ist. Der kritische Rationalist ist denn auch „einfach ein Mensch, dem mehr daran liegt zu lernen, als recht zu behalten; der bereit ist, von anderen zu lernen, nicht etwa dadurch, daß er die fremde Meinung einfach annimmt, sondern dadurch, daß er gerne seine Ideen von anderen kritisieren lässt und gerne die Ideen anderer kritisiert. Der Nachdruck liegt hier auf der Idee der Kritik oder genauer der kritischen Diskussion.“ 941 Poppers philosophischer Einstellung liegt die erkenntnistheoretische Auffassung des Fallibilismus zum Grunde, wonach weder die Vernunft noch die Sinneswahrnehmung noch sonst anderen Quellen als Erkenntnis-Autoritäten akzeptiert werden können. 942 Das bedeutet: Bei jedem Wissen, aber auch bei jedem Handeln besteht grundsätzlich immer die Möglichkeit des Irrtums; es wird uns also nie gelingen, wahre Erkenntnisse zu gewinnen, die unabhängig von unserem Denken sind. Aber weshalb diese erkenntnistheoretische Skepsis? In Bezug auf die Sinneswahrnehmungen zeigen sich in zweifacher Hinsicht Schwierigkeiten: Erstens vermag selbst eine sehr grosse Zahl empirischer Beobachtungen die Wahrheit einer Theorie nicht zu bestätigen – Popper teilt die von David Hume vorgebrachte Problematik eines unendlichen Regresses beim 937 938 939 940 941 942 128 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, Hrsg. von H. Kiesewetter, 8. Auflage, Tübingen 2003, S. 269 A.a.O., S. 269 Vgl. a.a.O., S. 269 A.a.O., S. 271 K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, 2. Auflage, München 2005, S. 160 Vgl. K. R. Popper: Auf der Suche nach einer besseren Welt, Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, 13. Auflage, München 2004, S. 57 Induktionsprinzip 943 -, und zweitens ist die Welt zwar real, das heisst, sie existiert auch ausserhalb unseres Denkens, aber es „gibt eine Wirklichkeit hinter der Welt, wie sie uns erscheint, möglicherweise eine vielschichtige Wirklichkeit, von der die Erscheinungen die äußersten Schichten sind.“ 944 Die logische Unmöglichkeit, von einzelnen Beobachtungen auf allgemeine Aussagen zu schliessen, und – noch weitaus mehr – die Einnahme der metaphysischen Position des kritischen Realismus945 mit dessen regulativer Idee der Wahrheit und Forderung nach ständiger Verbesserung haben gravierende Konsequenzen für die Wissenschaftstheorie; es bedeutet, „daß wir alle Gesetze oder Theorien als Hypothesen oder Vermutungen betrachten müssen.“ 946 Nach Popper sind es nicht Beobachtungen, sondern Probleme – ein solches entsteht durch die Störung einer angeborenen oder entdeckten bzw. erlernten Erwartung 947 –, mit denen die Wissenschaft und das Wachstum der Erkenntnis beginnen. 948 Und bei den Bemühungen, Probleme zu lösen, sollte das Hauptziel der Wissenschaft – und der Philosophie – die Suche nach Wahrheit sein 949. Mit anderen Worten: Obschon es wegen der fallibilistischen Position kein Kriterium der Wahrheit gibt, sollten die Wissenschaftler, geleitet durch die regulative Idee der Wahrheit, bemüht sein, Erkenntnisse über die Realität, das heisst über das Verhältnis zwischen Realität und Erscheinungswelt zu gewinnen. Aber wie gelingt dies? Durch freie Schöpfungen unseres Verstandes 950 werden kühne Hypothesen bzw. Vermutungen über die reale Beschaffenheit des Kosmos entwickelt, um diese dann zwecks Ermittlung ihres Wahrheitsgehalts mit der uns zugänglichen Wirklichkeit zu konfrontieren. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit bzw. die Prüfung des Wahrheitsgehalts geschieht mittels empirischer Überprüfung von einfachen Aussagen – sie werden Basissätze genannt 951 -, die eigens dazu von den Hypothesen deduziert werden. Anders gesagt: Die experimentelle Befragung unserer Erscheinungswelt als „die einzige Information, die wir von der Realität bekommen können“ 952 geschieht mithilfe von empirisch leicht überprüfbaren Basissätzen (das können zum Beispiel Voraussagen sein), die dann den Hypothesen entweder entsprechen oder aber widersprechen. Ein Fortschritt in der Wissenschaft ist nun sowohl durch die vorläufige Bewährung gehaltvoller, das heisst gegenüber der Empirie einen beträchtlichen metaphysischen Überschuss aufweisenden Hypothesen, wie auch durch deren frühere, allenfalls spätere partielle oder gesamthafte empirische Widerlegung möglich. Letzteres kann nach dem Kritischen Rationalismus deshalb als Fortschritt gewertet werden, weil mit jeder Widerlegung – im Rahmen der empirisch-wissenschaftlichen Tätigkeit wird die Widerlegung als Falsifikation bezeichnet 953 – immer zugleich ein Zuwachs an Wissen und ein neuer Problem943 944 945 946 947 948 949 950 951 952 953 Vgl. K. R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Manuskripte aus dem Jahre 1930-1993, Hrsg. von T. E. Hansen, Tübingen 1979, S. 33 K. R. Popper: Lesebuch. Ausgewählte Texte zu Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie, Hrsg. von D. Miller, 2. Auflage, Tübingen 1997, S. 107 Die Bezeichnung „kritischer Realismus“ steht für die metaphysische Auffassung, dass es erstens eine von uns unabhängige Realität gibt, zweitens diese jedoch nur bis zu einem gewissen Grade für uns erkennbar ist. Obschon es demnach keine absolute bzw. keine vom menschlichen Denken unabhängige Wahrheit gibt, ist die Idee der Wahrheit für die graduelle Erkenntnismöglichkeit dennoch von grosser Wichtigkeit und eine relativistische oder skeptizistische Haltung abzulehnen. Der kritische Realismus ist - als Grundlage des Fallibilismus - der wichtigste Teil in der Philosophie des Kritischen Rationalismus. (Vgl. H.-J. Niemann: „Realismus, kritischer“, in: Lexikon des Kritischen Rationalismus, Tübingen 2004, S. 310 und vgl. H.-J. Wendel: „Kritischer Rationalismus und Ethik“, in: Ideologien und Ideologiekritik. Ideologietheoretische Reflexionen, Hrsg. von K. Salamun, Darmstadt 1992, S. 165) K. R. Popper: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf, 4. Auflage, Ungekürzte Lizenzausgabe für die Bertelsmann Club GmbH Gütersloh 1984, S. 20 Vgl. K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen, a.a.O., S. 16 Vgl. K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, Bd. 1: Vermutungen, Tübingen 1994, S. 323 Vgl. K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 60 Vgl. K. R. Popper: Auf der Suche nach einer besseren Welt, a.a.O., S. 49 Vgl. K. R. Popper: Logik der Forschung, Hrsg. von H. Keuth, 11. Auflage, Tübingen 2005, S. 20 K. R. Popper: Die Quantentheorie und das Schisma der Physik. Aus dem Postskript zur Logik der Forschung, Hrsg. von W. W. Bartley III, Übers. von H.-J. Niemann, Tübingen 2001, S. 6 Vgl. H.-J. Niemann: „Widerlegung“, in: Lexikon des Kritischen Rationalismus, a.a.O., S. 407 129 Ausgangspunkt für weitere Theorien verbunden ist. 954 Die Möglichkeit der Falsifikation ist nach Popper das Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft einerseits und Pseudowissenschaft, Vorwissenschaft, Metaphysik, Mathematik sowie Logik andererseits; mit Poppers Worten: „Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können.“ 955 Um dem Vorwurf eines positivistischen Standpunktes zu begegnen, betont Popper: „Die Falsifizierbarkeit zieht eine Trennungslinie innerhalb der sinnvollen Sprache, nicht um sie herum.“ 956 Die Argumentation, Verifizierbarkeit nicht als Sinnkriterium zu verwenden, geht dahin, dass mit diesem Kriterium nicht nur metaphysische, sondern auch naturwissenschaftliche Theorien ausgegrenzt werden – nach Popper können die universalen Naturgesetze nicht auf Beobachtungsberichte zurückgeführt werden. 957 Trotz der Annahme, einen Fortschritt erreicht zu haben, sei es durch die Falsifikation oder durch die vorläufige Bewährung, gehört es zur Pflicht der wissenschaftlichen Tätigkeit, sich der Wahrheit unterzuordnen, und zwar mittels eines Bewusstseins, „daß die Wahrheit über jeder menschlichen Autorität steht.“ 958 Mit anderen Worten: Selbst falsifizierte Basissätze oder bestens bewährte Hypothesen haben keinen Anspruch auf Wahrheit, vielmehr gilt: „Unsere Idee der Annäherung an die Wahrheit oder der Wahrheitsähnlichkeit hat denselben objektiven Charakter und denselben idealen oder regulativen Charakter wie die Idee der objektiven oder absoluten Wahrheit. Sie ist keine erkenntnistheoretische oder epistemische Idee – genauso wenig wie ›Wahrheit‹ oder ›Gehalt‹.“ 959 Und zwischen der Suche nach Wahrheit und der Suche nach Gewissheit gilt es streng zu unterscheiden; weil Letztere mit der nie endenden Suche nach Wahrheit unvereinbar ist, muss sie abgelehnt werden. Die Wissenschaft ist imstande, objektive Erkenntnisse zu gewinnen. Das gelingt allerdings nicht durch eine „Objektivierung eines individuellen Geistes“, sondern nur mithilfe des sozialen Aspekts der wissenschaftlichen Methode. Mit den Worten Poppers: „Und es ist eine besondere Ironie, daß die Objektivität eng zusammenhängt mit dem sozialen Aspekt der wissenschaftlichen Methode, mit der Tatsache, daß Wissenschaft und wissenschaftliche Objektivität nicht dem Streben eines individuellen Wissenschaftlers entspringt, ›objektiv‹ zu sein, sondern von der freundlich-feindlichen Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler. Man kann wissenschaftliche Objektivität als die Intersubjektivität der wissenschaftlichen Methode beschreiben.“ 960 Selbstverständlich versucht ein Wissenschaftler seine Theorie mit voller Überzeugung vorzutragen. Das wird seine Kollegen allerdings nicht sonderlich beeindrucken, vielmehr werden sie dadurch herausgefordert, kritische Einwände vorzutragen. Bei den Streitfragen amtet letztlich die Erfahrung als der unparteiische Schiedsrichter und darunter versteht Popper: „Unter ›Erfahrung‹ verstehe ich eine Erfahrung allgemeinen Charakters, wie Beobachtungen und Experimente, nicht Erfahrung im Sinne mehr ›privater‹, ästhetischer oder religiöser Erfahrung; und Erfahrung ist ›allgemein gültig‹, wenn sie jeder wiederholen kann, der sich die Mühe nimmt. Um jedes Herumreden zu vermeiden, versuchen Wissenschaftler ihre Theorien in einer Form auszudrücken, die eine Überprüfung, das heißt eine Widerlegung oder Bestätigung durch Erfahrungen der angegebenen Art zuläßt. Darin besteht wissenschaftliche Objektivität.“ 961 Selbst wenn es Robinson Crusoe auf seiner Insel gelungen wäre, mithilfe von physikalischen und chemischen Laboratorien sowie astronomischen Observatoren „wissenschaftliche“ Erkenntnisse zu gewinnen, so hätte nach Popper doch ein zentrales Element der wissenschaftlichen Methode gefehlt: „Denn niemand außer ihm selbst prüft seine Ergebnisse nach; niemand außer ihm selbst korrigiert die Vorurteile, die die unvermeidliche Folge seiner besonderen geistigen Geschichte sind; niemand hilft ihm, sich von jener seltsamen Blindheit zu befreien, die die Möglichkeiten unserer eigenen Resultate betreffen 954 955 956 957 958 959 960 961 130 Vgl. K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 1: Vermutungen, a.a.O., S. 354f Vgl. K. R. Popper: Logik der Forschung, a.a.O., S. 17 Vgl. a.a.O., S. 17 Vgl. K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, Bd. 2: Widerlegungen, Tübingen 1994, S. 380 K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 1: Vermutungen, a.a.O., S. 44 A.a.O., S. 341f K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 254 A.a.O., S. 254f und die eine Folge der Tatsache ist, daß die meisten von ihnen durch vergleichsweise irrelevante Herangehensweisen gefunden wurden. Und was seine wissenschaftlichen Abhandlungen betrifft: Nur beim Versuch, sein Werk jemandem zu erklären, der es nicht ausgeführt hat, kann er die Disziplin klarer und vernünftiger Kommunikation erlangen, die auch ein Teil der wissenschaftlichen Methode ist.“ 962 Die vielen Hinweise auf grosse Wissenschaftler wie Kepler, Newton oder Einstein zeigen, dass Popper in seiner Wissenschaftstheorie, die der Tendenz nach normativ konzipiert und weniger als Übereinstimmung mit dem historischen Wissenschaftsverlauf gedacht ist, nicht von einem Wissenschaftsverständnis ausgeht, das Thomas S. Kuhn in seiner deskriptiven Wissenschaftstheorie als Normalwissenschaft bzw. als „Aufräumtätigkeit“ beschreibt 963. Explizit grenzt Popper seine Auffassung von Wissenschaft von der Position des Instrumentalismus ab, die – so Popper – Theorien allein als mehr oder weniger nützliche Instrumente auffasst. 964 Die wissenschaftliche Tätigkeit ist nach Popper durch eine bestimmte Art von Mut geprägt, und zwar ist es der Mut, „Aspekte der Erscheinungswelt vorherzusagen, die bisher übersehen wurden, die sie aber besitzen muß, wenn die vermutete Realität (mehr oder weniger) richtig ist, wenn die erklärenden Hypothesen (ungefähr) wahr sind. Es ist diese speziellere Art von Mut, die ich gewöhnlich meine, wenn ich von kühnen wissenschaftlichen Vermutungen spreche. Es ist die Kühnheit einer Vermutung, die ein großes Risiko eingeht – das Risiko, überprüft und widerlegt zu werden; das Risiko, mit der Realität in Konflikt zu geraten.“ 965 Poppers erkenntnistheoretische Grundauffassung dient nicht nur als Grundlage für seine Wissenschaftstheorie, sondern bestimmt ebenso seine Arbeiten im Bereich der Sozialphilosophie. Die Gedanken zum Werk Das Elend des Historizismus, dessen Grundthese darin besteht, „daß die Lehre von der geschichtlichen Notwendigkeit der reinste Aberglaube ist und bleibt“ 966, wurden unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges und der kommunistischen Mythologie der bevorstehenden Weltrevolution formuliert. Popper kritisiert darin die Auffassung – er nennt diese Historizismus -, dass es so etwas wie Gesetze und einen Sinn der Geschichte gibt und es das Hauptziel der Sozialwissenschaften sei, diese Gesetze bzw. diesen Sinn zwecks historischer Voraussagen zu entdecken. 967 Zwar sieht Popper durchaus Unterschiede zwischen den Sozialwissenschaften und den Naturwissenschaften, dennoch plädiert er für die Einheit der Methode. 968 Anders formuliert: Obschon es für die Sozialwissenschaften fast immer eine Notwendigkeit ist, mit konstruierten Modellen 969 zu arbeiten, gelingt ihnen ein Erkenntnisfortschritt – ebenso wie den 962 963 964 965 966 967 968 969 A.a.O., S. 256 Vgl. T. S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1976, S. 38 Vgl. K. R. Popper: Realismus und das Ziel der Wissenschaft. Aus dem Postskript zur Logik der Forschung, Hrsg. von W. W. Bartley III, Übers. von H.-J. Niemann und E. Schiffer, Tübingen 2002, S. 128ff K. R. Popper: Lesebuch, a.a.O., S. 107f K. R. Popper: Das Elend des Historizismus, Hrsg. von H. Kiesewetter, 7. Auflage, Tübingen 2003, S. IX Vgl. a.a.O., S. 2f Vgl. a.a.O., S. 116f Nach Popper sollten diese Modelle nicht mithilfe von psychologischen Annahmen - Popper postuliert die Autonomie der Soziologie -, sondern mittels einer Situationsanalyse konstruiert werden. (Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 114ff). Das heisst: Um historische, gesellschaftliche, politische, ökonomische oder andere beliebige Handlungen bzw. Typen von Handlungen erklären zu können, soll die relevante Situation, das sind die Ziele, das Wissen und die zur Verfügung stehenden Mittel der Handelnden, in Erfahrung gebracht werden. Nach der Modellkonstruktion wird dann nichts weiter angenommen, „als daß die Handelnden im Sinne des Modells handeln, oder daß sie ›ausagieren‹, was in der Situation enthalten war. Darauf spielt übrigens auch der Ausdruck ›Situationslogik‹ an.“ (K. R. Popper: Lesebuch, a.a.O., S. 353). Diese Situationsmodelle haben demnach die Funktion von Hypothesen, die Voraussagen, beispielsweise im Bereich der Soziologie, ermöglichen. Treffen die Voraussagen dann nicht ein, wird nicht das rationale Verhalten in Frage gestellt, sondern vielmehr gilt für Abweichungen der fundierte methodologische Grundsatz, „nicht das Rationalitätsprinzip, sondern den Rest der Theorie, nämlich das Modell, verantwortlich zu machen.“ (K. R. Popper: Lesebuch, a.a.O., S. 355). Hans Albert hat Poppers Situationslogik nicht übernommen, zumal diese nicht nur quer zum Postulat der Einheit der wissenschaftlichen Methode, sondern auch zu den sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen im Sinne einer Sozialtechnologie steht. (Vgl. H. Albert: Erkenntnislehre und Sozialwissenschaft. Karl Poppers Beitrag zur Analyse sozialer Zusammenhänge, Wiener Vorlesungen im Rathaus, Bd. 96, Hrsg. von H. Ch. Ehalt, Wien 2003, S. 37f) 131 Naturwissenschaften – nur durch die Formulierung von kühnen Hypothesen und der strengen empirischen Nachprüfung derselben, also durch Versuch und Irrtum. Dieses Begriffspaar bekommt in der Fassung Entscheidung und Tatsache im Werk Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, das unter dem Einfluss des Nazi-Regimes und des Kommunismus geschrieben wurde, im Übrigen eine Selbstkritik beinhaltet – Popper war in seinen Jugendjahren für eine kurze Zeit selbst Marxist und Kommunist 970 -, eine zentrale Bedeutung. Popper bestimmt die menschliche Fähigkeit, zwischen natürlichen und normativen Gesetzen, also zwischen realen und nicht von Menschenhand gemachten Sachverhalten und veränderbaren Konventionen unterscheiden zu können, als das Merkmal der offenen Gesellschaft971, die überhaupt erst durch diese Fähigkeit Werte wie Freiheit und Verantwortung hoch halten kann. Nach Popper hat sich die Zivilisation vom Trauma des Übergangs von der Stammesgesellschaft – das ist die geschlossene Gesellschaft – noch nicht erholt, aber sie entwickelt sich weiter, obschon sie immer wieder von geistigen Führern (Historizisten), die die Rückkehr in die Stammesgebundenheit postulieren, verraten wird. 972 Im zweibändigen Werk will Popper am Beispiel von Heraklit und Platon aufzeigen, dass die historizistischen Geschichtsphilosophien von Hegel und Marx 973, aber auch diejenige von Oswald Spengler, „einer Tradition angehören, die ebenso alt oder ebenso jung ist wie unsere Zivilisation selbst.“ 974 Nach Popper hat die Geschichte keinen Sinn 975, und zwar deshalb nicht, weil Tatsachen als solche keinen Sinn haben bzw. weil Entscheidungen und Normen nie aus Tatsachen logisch hergeleitet werden können 976. Wenn wir aber als kritische Dualisten zwischen Natur und Konvention zu unterscheiden vermögen, „die Lehre von der Autonomie der Ethik, wie sie zuerst von Protagoras und Sokrates vertreten wurde“ 977, akzeptieren und nicht dem ethischen Naturalismus verfallen 978, dann werden wir nach Popper in der Lage sein, aus der Geschichte zu lernen, und zwar indem wir uns entscheiden, soziale Institutionen mit der kritisch-rationalen Methode des schrittweisen Umbaus vernünftiger zu machen979 – nach Andreas Graeser ist Poppers Auffassung, gerechte Zustände mithilfe der Orientierung am status quo herbeizuführen, möglicherweise der Grund, weshalb er von Theodor W. Adorno und anderen Vertretern der Frankfurter Schule als Anhänger des Positivismus gebrandmarkt wurde 980. Ethische Normen sind nach Popper durch Menschen gemachte Konventionen, sie sind deswegen aber keineswegs bloss willkürlich. 981 Der Mensch hat mit der Sprache, der Musik, der Dichtung, der Wissenschaft und der Moral verschiedene neue Welten geschaffen. „Und die bedeutendste von ihnen ist die Welt der moralischen Forderungen – der Forderungen nach Gleichheit, Freiheit, nach Hilfe für die Schwachen.“ 982 Weil viele moralische Forderungen Leben und Tod anderer Menschen betreffen, kommt ihnen eine unvergleichliche Dignität zu: „Es ist 970 971 972 973 974 975 976 977 978 979 980 981 982 132 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, Hrsg. von H. Kiesewetter, 8. Auflage, Tübingen 2003, S. IX Vgl. a.a.O., S. 72 Vgl. a.a.O., S. 3 Trotz der Kritik an Karl Marx stimmt Karl R. Popper in vielen Punkten mit Marx‘ Theorie überein. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn gar von einer Bewunderung für Marx und dessen Theorie gesprochen wird: „Im Kapital, seinem großartigen Lebenswerk, hat Marx die fundamentalen ökonomischen Kräfte und die selbstmörderischen historischen Tendenzen jener Periode analysiert, die er selbst ›Kapitalismus‹ genannt hat.“ (K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 160) Und an anderer Stelle: „Der ›wissenschaftliche‹ Marxismus ist tot. Sein Gefühl für soziale Verantwortung und seine Liebe für die Freiheit müssen weiterleben.“ (A.a.O., S. 246) K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. 3 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 326 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. 74 A.a.O., S. 80 Vgl. a.a.O., S. 82 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 152 Vgl. A. Graeser: Positionen der Gegenwartsphilosophie. Vom Pragmatismus bis zur Postmoderne, München 2002, S. 107 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. 73f A.a.O., S. 78 daher im höchsten Grade irreführend, zu sagen, daß sich ein Mensch für oder gegen die Sklaverei in ähnlicher Weise entscheide wie für oder gegen gewisse Werke der Musik oder Literatur, oder daß moralische Entscheidungen reine Geschmackssache seien.“ 983 Weil Konventionen als solche nicht empirisch überprüft bzw. falsifiziert werden können, ist Ethik für Popper keine Wissenschaft. 984 Poppers Ablehnung, Ethik als Wissenschaft zu begreifen, hängt aber auch damit zusammen, dass er eine solche Auffassung in einem engen Zusammenhang mit der analytischen Philosophie sieht. Popper stimmt zwar mit G. E. Moore darin überein, dass der Begriff „gut“ nicht mit naturalistischen Begriffen definiert werden kann, er betrachtet jedoch – darüber hinaus – eine Analyse des Guten oder irgendeines anderen Begriffes nicht nur als fruchtlos für eine Ethik, sondern sogar als nachteilig, und zwar weil dadurch wichtige moralische Probleme durch verbale Probleme ersetzt werden. 985 Mit anderen Worten: Die Analyse des Guten mit all den ins Auge gefassten Definitionen zeigen in erster Linie, „wie wenig die ›wissenschaftliche‹ Ethik mit den drängenden Problemen des sittlichen Lebens zu tun hat. Und sie zeigen dadurch, daß die ›wissenschaftliche‹ Ethik eine Form des Ausweichens ist, eine Flucht vor den Realitäten des sittlichen Lebens, d.h. vor unserer moralischen Verantwortlichkeit.“ 986 Im Übrigen ist die Welt der moralischen Forderungen – als die sichere Grundlage des menschlichen Lebens – viel mehr als die höchst unsichere und bloss schwankendes Terrain bietende Wissenschaft. Im Popperschen Sinne sagt Gerhard Zecha: „Dieser positiven Interpretation der These ‚die Ethik ist keine Wissenschaft‘, weil sie mehr und wichtiger ist als jene, kann ich voll zustimmen.“ 987 Obschon Popper Ethik nicht als Wissenschaft begreift, sieht er dennoch Parallelen zu Letzterer. So wie die Wissenschaft versucht auch die Ethik Probleme zu lösen, und zwar durch die Formulierung von ethischen Regeln im Sinne von Hypothesen. Während wissenschaftliche Vermutungen mit Blick auf einen möglichen „Zusammenstoß mit der Wirklichkeit“ 988 geprüft werden, können ethische Prinzipien und Normen hinsichtlich der zu lösenden praktischen Probleme beurteilt werden. Mit Poppers Worten: „jede vernünftige Theorie, ob nun wissenschaftlich oder philosophisch, ist insofern vernünftig, als sie versucht, gewisse Probleme zu lösen. Sie ist nur im Zusammenhang mit einer Problemsituation verständlich und vernünftig; und sie kann nur im Zusammenhang mit einer Problemsituation vernünftig, das heißt kritisch, diskutiert werden.“ 989 Mit dem Bezug ethischer Theorien auf Problemsituationen kann eine kritische Diskussion über die Adäquatheit bzw. Vorzugswürdigkeit ausgewählter ethischer Theorien gegenüber anderen in Gang gesetzt werden, und zwar mit dem Ziel, einen Fortschritt in der Lösung von dringenden sozialen Probleme zu erreichen, das heisst, die Störung einer durchaus intersubjektiv übereinstimmenden Erwartung zu eliminieren bzw. zu reduzieren. Ethische Theorien als mögliche Lösungen sozialer Probleme aufzufassen, impliziert zugleich, dass widersprüchliche ethische Regeln für bestimmte Problemsituationen gleichwohl adäquat sein können, dass also aus dem Widerspruch nicht zwingend die Ungültigkeit ethischer Prinzipien und Normen gefolgert werden kann. Popper weist denn auch darauf hin, dass die Akzeptanz der Gültigkeit widersprüchlicher Normen nicht den (normativen) moralischen Relativismus impliziert, nach dessen Position „jedes beliebige Wertesystem sich in gleicher Weise verteidigen läßt und daß daher alle Wertsysteme gleich gültig (und daher gleichgültig) sind.“ 990 Karl R. Popper hat zwar weder eine philosophische Ethik entwickelt noch ein Werk über Ethik geschrieben, seine Bücher sind jedoch durchsät von vielen kleinen normativ-ethischen Theoriestücken. So betrachtet Popper den Entschluss für die Philosophie des Kritischen 983 984 985 986 987 988 989 990 A.a.O., S. 78 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 279 Vgl. a.a.O., S. 387 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. 322 G. Zecha: „‘Die Ethik ist keine Wissenschaft‘ – oder doch?“, in: Was wir Karl R. Popper und seiner Philosophie verdanken. Zu seinem 100. Geburtstag, Hrsg. von E. Morscher, St. Augustin 2002, S. 371 K. R. Popper: Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung, Hamburg 1979, S. 113 K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 1: Vermutungen, a.a.O., S. 289 K. R. Popper: Ausgangspunkte, a.a.O., S. 165 133 Rationalismus nicht als eine intellektuelle Angelegenheit oder eine Sache des Geschmacks, sondern als eine moralische Entscheidung, „die unsere ganze Einstellung zu anderen Menschen und zu den Problemen des sozialen Lebens zutiefst beeinflussen“ 991 wird, und zwar hinsichtlich der Forderung nach Gleichheit, Freiheit, Hilfe für die Schwachen und persönlicher Verantwortung 992. Auf der Basis von Xenophanes Wahrheitslehre – der Kritische Rationalismus sieht sein Fundament in der Erkenntnistheorie von Xenophanes 993 – entwickelt Popper zwölf Grundsätze für eine neue Berufsethik für Wissenschaftler, Physiker, Juristen, Ingenieure, Architekten, Staatsbeamte und Politiker. 994 Obschon Popper den Beruf des Unternehmers bzw. der Führungsperson nicht explizit erwähnt und im unternehmensethischen Diskurs kaum nennenswert auf die Philosophie des Kritischen Rationalismus rekurriert wird, stimmt der Verfasser dieser Arbeit mit Harald Stelzer überein, dass Popper auch einen wichtigen Beitrag für unternehmensethische Aspekte zu leisten vermag 995. Dieser kann allerdings nicht darin bestehen, eine nicht vorhandene Ethik rekonstruieren zu wollen – dies versuchte Christoph Lütge 996 -, sondern dass die mit dieser Philosophie untrennbar verbundenen moralischen Werte für die eigene ethische Konzeption fruchtbar gemacht werden. 13.2 Hans Alberts Weiterentwicklung des Kritischen Rationalismus Martin Morgenstern und Robert Zimmer weisen darauf hin, dass aus dem Briefwechsel zwischen Albert und Popper bei den Grundpositionen des Kritischen Rationalismus als Erkenntnislehre, Wissenschaftslehre und Sozialphilosophie ein erstaunliches Mass an inhaltlicher Übereinstimmung ersichtlich werde. 997 Nichtsdestotrotz hat Albert dem Kritischen Rationalismus eine kohärentere Form gegeben und – das ist wohl sein grösstes Verdienst – die Methodologie „für den gesamten Bereich der Sozialwissenschaften und der praktischen Philosophie fruchtbar gemacht.“ 998 In der Folge werden einige bedeutende Leistungen Alberts im Zusammenhang mit dem Kritischen Rationalismus, den er, um die Gefahr der Einengung auf die Falsifikation zu vermeiden, auch Kritizismus oder methodologischen Revisionismus nennt 999, dargestellt. In der Erkenntnistheorie hat Albert die Unmöglichkeit, einen archimedischen Punkt für wahre Aussagen, Theorien oder Überzeugungen zu finden, mit dem von ihm benannten und an anderer Stelle bereits erwähnten Münchhausen-Trilemma in konziser Form expliziert und dadurch die Grundlage für einen konsequenten Fallibilismus1000 geschaffen, der für sämtliche Formen von Erkenntnis in gleicher Weise gültig ist 1001. Albert unterscheidet in Bezug auf Wahrheit zwischen Erreichbarkeit und Entscheidbarkeit 1002. Letzteres ist seiner Ansicht nach deshalb nicht möglich, weil es keine für die Wahrheit zureichenden Gründe gibt. 1003 Jede Erkenntnis, die als Begründung für 991 992 993 994 995 996 997 998 999 1000 1001 1002 1003 134 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 271 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. 78f Vgl. K. R. Popper: Die Welt des Parmenides. Der Ursprung des europäischen Denkens, Hrsg. von A. F. Petersen, Übers. von S. Wieland und D. Dunkel, München und Zürich 2005, S. 93ff Vgl. a.a.O., S. 114ff Vgl. H. Stelzer: „Unternehmensethisches Handeln aus Sicht der Philosophie Karl R. Popper“, in: Forum Wirtschaftsethik, 15. Jg. Heft 4 (2007), S. 39 Vgl. Ch. Lütge: „Kritisch-rationalistische Ethik. Karl POPPER und Hans ALBERT“ in: Ethica. Wissenschaft und Verantwortung, Jg. 10, Heft 4 (2002), S. 377 Vgl. H. Albert und K. R. Popper: Briefwechsel 1958-1994, Hrsg. von M. Morgenstern und R. Zimmer, Frankfurt a. M. 2005, S. 18 A.a.O., S. 11 Vgl. H. Albert: Erkenntnislehre und Sozialwissenschaft, a.a.O., S. 21 Albert nennt den kritischen Realismus, den konsequenten Fallibilismus sowie den methodologischen Revisionismus bzw. Kritizismus als die zentralen Komponenten des Kritischen Rationalismus. (Vgl. H. Albert: „Varianten des kritischen Rationalismus“, in: Karl Poppers kritischer Rationalismus heute. Zur Aktualität kritisch-rationaler Wissenschaftstheorie, Hrsg. von J. M. Böhm, H. Holweg und C. Hoock, Tübingen 2002, S. 4) Vgl. H. Albert: Traktat über kritische Vernunft, a.a.O., S. 67 Vgl. a.a.O., S. 10 Vgl. a.a.O., S. 13-18 eine Aussage angeführt wird, bedarf – logisch gesehen – ihrerseits einer Begründung. Das führt zu einer Situation mit drei unakzeptabel erscheinenden Alternativen, nämlich des infiniten Regresses, des logischen Zirkels oder des Abbruchs des Verfahrens. 1004 Bei Letzterem – das ist wohl die am meisten praktizierte Alternative – wird bei kritischem Nachfragen von Selbstevidenz, Selbstbegründung oder unmittelbarer Erkenntnis gesprochen, allerdings bedeutet dies nach Albert nichts weniger als den Rekurs auf ein Dogma. 1005 Nach der Ansicht von Albert sollte vielmehr das in einer bestimmten Zeit unproblematische Wissen – dazu gehört auch ein Kernbestand an logischen Grundsätzen, die der Kritische Rationalismus als unverzichtbar voraussetzen muss 1006 – als Hypothesen bzw. Axiome aufgefasst werden, und zwar in der ursprünglichen (griechischen) Bedeutung von keineswegs unbezweifelbarer und selbstevidenter Wahrheit. 1007 Mit anderen Worten: Unser Bewusstsein sollte stets vom Gedanken begleitet sein, dass es keine Annahmen und keine Theorien gibt, die von der Möglichkeit der Verbesserung ausgeschlossen werden können. Albert betont, dass die Begründungsproblematik keineswegs nur das von der analytischen Philosophie angewandte streng logische, von einem erkennenden und argumentierenden Subjekt abstrahierte Deduktionsverfahren betrifft – dies ist die Ansicht von Karl-Otto Apel 1008 und anderen Kritikern wie Matthias Karmasin und Michael Litschka 1009 –, sondern ebenso das Induktionsverfahren (Induktionsproblem) und die transzendentalen Begründungsformen. 1010 Apel weist darauf hin, dass die Verneinung der Möglichkeit einer Letztbegründung nur dann plausibel sei, „wenn man, wie Popper, die Möglichkeit der philosophischen Begründung mit der Möglichkeit der Deduktion gleichsetzt und von der transzendentalen Reflexion und Besinnung (in dem von mir exponierten Sinn) keinen Gebrauch macht.“ 1011 Wählt man jedoch die transzendentale Methode – und nach Apel sollte man dies auch tun, denn das eigentliche Geschäft der philosophischen Grundlegung besteht darin, „die notwendigen Bedingungen der menschlichen Argumentation möglichst vollständig zu rekonstruieren“ 1012 -, dann wird klar, dass die Teilnehmer einer philosophischen Diskussion implizit die Sprachregeln einer kritischen Diskussion nicht nur anerkannt haben, sondern zugleich aufgefordert sind, „diese Anerkennung willensmäßig zu bekräftigen“ 1013. Apels Argumentation, „daß man weder für noch gegen die Regeln des transzendentalen Sprachspiels argumentieren oder sich praktisch entscheiden kann, ohne diese Regeln schon vorauszusetzen“ 1014, kontert Albert mit dem Argument, wonach Apel nicht zwischen dem Akt des Verstehens und dem des Akzeptierens unterscheide 1015. Damit ist gemeint: Abgesehen davon, dass die Verweigerung der Argumentation keinen Akt der Selbstnegation und letztlich der Selbstdestruktion 1016 impliziert – der zwischenmenschliche Verkehr mit den Mitteln der Sprache umfasst nicht nur die Argumentation, sondern ist noch weitaus mehr ein Austausch von Wünschen, Bitten, Anweisungen und Informationen, bei dem die argumentative Dimension der Sprache nicht in Anspruch genommen 1004 1005 1006 1007 1008 1009 1010 1011 1012 1013 1014 1015 1016 Vgl. a.a.O., S. 15 Vgl. a.a.O., S. 16 Vgl. A. Graeser: Positionen der Gegenwartsphilosophie, a.a.O., S. 115 Vgl. H. Albert: Traktakt über kritische Vernunft, a.a.O., S. 54f Vgl. K.-O. Apel: „Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte der transzendentalen Sprachpragmatik. Versuch einer Metakritik des ‚kritischen Rationalismus‘“, in: Sprache und Erkenntnis. Festschrift für Gerhard Frey zum 60. Geburtstag, Hrsg. von B. Kanitscheider, Innsbruck 1976, S. 61f Vgl. M. Karmasin und M. Litschka: Wirtschaftsethik – Theorien, Strategien, Trends, a.a.O., S. 23f Vgl. H. Albert: Traktakt über kritische Vernunft, a.a.O., S. 17 K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, a.a.O., S. 413 A.a.O., S. 412 A.a.O., S. 413 K.-O. Apel: „Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte der transzendentalen Sprachpragmatik“, in: Sprache und Erkenntnis, a.a.O., S. 76 Vgl. H. Albert: Kritik des transzendentalen Denkens. Von der Begründung des Wissens zur Analyse der Erkenntnispraxis, Tübingen 2003, S. 117 Vgl. K.-O. Apel: „Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte der transzendentalen Sprachpragmatik“, in: Sprache und Erkenntnis, a.a.O., S. 76 135 werden muss 1017 –, können Entscheidungen, aber auch Aussagen aller Art verstanden werden, ohne irgendwelche Sprachregeln der Argumentation als handlungsregulierende Kraft ausserhalb der Argumentation akzeptieren zu müssen – das ist im Übrigen auch der Standpunkt von Jürgen Habermas 1018. Für die Einnahme des Standpunktes des Kritischen Rationalismus bedeuten diese Erörterungen gegen Apels Apodiktik, dass die Sprachregeln nur insofern „vorausgesetzt“ werden, „als sie die Materie dieser Entscheidung charakterisieren und als solche verstanden werden müssen.“ 1019 Dass die Verneinung der Möglichkeit einer Letztbegründung konsequenterweise auch für das Münchhausen-Trilemma gelten muss, ist für Albert selbstverständlich; er weist denn auch explizit darauf hin, dass er keinen Beweis gegen die Letztbegründung erbringen könne, ihm aber die Grenzen einer solchen Argumentation bewusst seien. 1020 Bei den wissenschaftstheoretischen Überlegungen fragt Hans Albert, ob das von Max Weber postulierte Wertfreiheitsprinzip, wonach die empirische Sozialwissenschaft niemanden zu lehren vermag, „was e r s o l l , sondern nur was e r k a n n “ 1021, ad acta gelegt werden muss, wenn die Sozialwissenschaften zur zweiten kantischen Frage: „Was soll ich tun?“ einen Beitrag liefern möchten. 1022 Um diese Frage zu klären, unterscheidet Albert drei Fragenkomplexe: „(1) die Frage, inwieweit die Sozialwissenschaften Wertungen zum Gegenstand ihrer Aussagen machen müssen, (2) die Frage, inwieweit sozialwissenschaftliche Aussagen selbst den Charakter von Werturteilen haben müssen, und (3) die Frage, inwieweit die sozialwissenschaftliche Forschungspraxis auf Wertungen angewiesen ist.“ 1023 Mit anderen Worten: Für eine adäquate Untersuchung der kantischen Frage muss die deskriptive Beschreibung bestehender Werte im menschlichen Zusammensein, beispielsweise durch die Soziologie, sowie die Wahl von Problemstellungen, Beobachtungspunkten und Methoden streng unterschieden werden von der Wertung der eigenen Forschungsergebnisse hinsichtlich einer zu befolgenden menschlichen Praxis. Während die Beschreibung bestehender Werte als soziale Tatsachen hinsichtlich des Wertfreiheitsprinzips kaum kontrovers diskutiert wird, sind nach Albert die (notwendigen) Entscheidungen im Rahmen der Forschungspraxis mittlerweile ebenso unproblematisch. 1024 Denn die wissenschaftliche Forschungstätigkeit hängt – wie im Übrigen jede andere Praxis auch – von vielen Wertgesichtspunkten ab; es müssen Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes, der einzusetzenden Methoden und Mittel, der Brauchbarkeit von Hypothesen und Erklärungen oder hinsichtlich der Relevanz von Beobachtungen. Das bedeutet: „In sozialer Hinsicht sind die Wissenschaften ein institutionell geregelter Bereich des sozialen Lebens, in dem Normen, Ideale und Werte verschiedener Art eine Rolle spielen: Wahrheitsideale, Prüfungs- und Bewährungsnormen, Erkenntnisprogramme und 1017 1018 1019 1020 1021 1022 1023 1024 136 Vgl. H. Albert: Transzendentale Träumereien. Karl-Otto Apels Sprachspiel und sein hermeneutischer Gott, Hamburg 1975, S. 139 Für Jürgen Habermas ist es keineswegs evident ist, dass die Regeln, die innerhalb des Diskurses unausweichlich sind, „auch für die Regulierung des Handelns außerhalb von Argumentationen Geltung beanspruchen können. (…) Jedenfalls bedürfte die handlungsregulierende Kraft des in den pragmatischen Voraussetzungen der Argumentation aufgedeckten normativen Gehalts einer besonderen Begründung.“ (Vgl. J. Habermas: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, a.a.O., S. 96). Weil Habermas im Gegensatz zu Apel nicht bereit ist, direkt aus den Argumentationsvoraussetzungen moralische Grundnormen zu entnehmen, kann er die Möglichkeit der Überprüfung und Revidierung ethischer Konzepte offen halten. (Vgl. J. Habermas: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, a.a.O., S. 108). Im Übrigen setzt er sich nicht dem von Ernst Tugendhat prominent vorgetragenen Vorwurf aus, dass abgeleitete und als Begründung ausgegebene Normen sich ausnahmslos einer versteckt normativ gesetzten Supernorm verdanken, die selbst unbegründet bleibt: „Jeder Rekurs auf eine angebliche Natur des Menschen ist daher versteckt zirkulär: es wird etwas implizit normativ gesetzt, woraus dann das Normative abgeleitet wird.“ (Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, a.a.O., S. 71) H. Albert: Kritik des transzendentalen Denkens, a.a.O., S. 117 Vgl. H. Albert: Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft, Tübingen 1982, S. 65 M. Weber: Schriften zur Wissenschaftslehre, Hrsg. von M. Sukale, Stuttgart 1991, S. 27 Vgl. H. Albert: Kritischer Rationalismus, a.a.O., S. 42 A.a.O., S. 47 Vgl. a.a.O., S. 47 Regeln kritischer Diskussion.“ 1025 Kurz gesagt: Weil letztlich jeder Erkenntnis notwendigerweise Entscheidungen zugrunde liegen, gibt es keine Erkenntnis ohne Entscheidungen. Wenn das methodische Prinzip der Wertfreiheit zur Debatte steht, dann kann dies folglich nur die zweite Frage betreffen, nämlich ob Werturteile im Rahmen von wissenschaftlichen Aussagen, also innerhalb von Theorien, Erklärungen und Beschreibungen notwendig sind, damit diese praktisch verwendet werden können. Dass es in Bezug auf die zweite Frage keiner Werturteile bedarf, kann nach Albert anhand der Naturwissenschaften, deren Erkenntnisse überaus erfolgreich von der Praxis aufgenommen werden, gezeigt werden. 1026 Und selbst dann, wenn sozialwissenschaftliche Forschungen für spezifische Probleme zu vage ausfallen, so ist es ohne normative Zugaben durchaus möglich, „Aussagensysteme in geeigneter Weise umzuformen, so daß sie unmittelbar auf mögliche Zielsetzungen bezogen sind, das heißt sie in technologische Systeme zu verwandeln.“ 1027 Diese Umformung sollte jedoch nicht als Ausrichtung der wissenschaftlichen Erkenntnispraxis auf spezifische praktische Problemlösungen aufgefasst werden, vielmehr gilt es strikte zwischen der nicht normativen Sozialtechnologie einerseits und der normativen Technik als Anwendung dieser technologischen Systeme andererseits zu unterscheiden 1028. Albert nennt drei Schwächen einer wissenschaftstheoretischen Auffassung, die diese wichtige Unterscheidung nicht berücksichtigt: Erstens wird seiner Meinung nach die Bedeutung autonomer allgemeiner Theorien für die Praxis unterschätzt, zweitens trifft es keineswegs zu, dass Theorien nur mithilfe von speziellen praktischen Problemen gefunden werden können, und drittens besteht die Gefahr, dass Erkenntnisse – als Mittel zum Zweck – nicht nur für die eigens vorgegebene Problemlösung verwendet werden können, sondern auch für andere, zum Beispiel gesellschaftspolitisch fragwürdige Bereiche. 1029 Nach Albert unterliegt gerade das Zweck-Mittel-Denken einem Vorurteil, nämlich dem, dass Zwecke als oberste Werte normativ und die Mittel, mit denen die Zwecke erreicht werden können, wertfrei seien. 1030 Dass dies aber ein Irrtum ist, zeigt sich schon allein dadurch, dass etwas unter bestimmten Gesichtspunkten ein Zweck sein kann, während dieses Etwas unter anderen zum Mittel wird. 1031 Kurz gesagt: Logisch gesehen gibt es weder Zwecke noch Mittel an sich. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach Albert die Sozialwissenschaften einen eminent wichtigen Beitrag zum wichtigsten Problem der Sozialphilosophie, nämlich hinsichtlich der Suche nach einer adäquaten sozialen Ordnung, zu leisten imstande sind. Allerdings nicht mithilfe der Beantwortung der Frage: Was sollen wir tun?, sondern durch Erkenntnisse in der Frage: Was können wir tun? Mit anderen Worten: Die Sozialwissenschaften haben die Aufgabe, mit ihren Theorien, deren zugrunde gelegte Wertentscheidungen ebenso wie der Inhalt der Theorien der kritischen Methode 1032 unterliegen 1033, zwischen Sollen und Können zu vermitteln; nach Albert kommt ihnen allein schon deshalb eine moralische Bedeutung zu 1034. Diesen Erläuterungen entsprechend besteht Alberts Beitrag zur Sozialphilosophie in erster Linie aus der methodologischen Kritik an den sozialwissenschaftlichen Theorien, allen voran an der Nationalökonomie. Nach Alberts Auffassung ist das ordnungspolitische Problem kein Problem 1025 1026 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033 1034 A.a.O., S. 48 Vgl. a.a.O., S. 50 A.a.O., S. 51 Vgl. a.a.O., S. 52 Vgl. a.a.O., S. 53 Vgl. a.a.O., S. 55f Vgl. a.a.O., s. 56 Die Methode des Kritischen Rationalismus wird von Popper und Albert als kritische Methode bezeichnet. Nach dieser sollte kein Satz, keine Theorie, keine Handlungsweise und überhaupt keine menschliche Praxis von einer möglichen Kritik ausgenommen werden. Dabei müssen die Mittel zur Selbstkritik und Fremdkritik (Logik, Beobachtung, Theorien) zum Zeitpunkt der Kritik bloss unproblematisch bzw. allgemein akzeptiert sein. Der Fluchtpunkt der Kritik verfolgt keinen Selbstzweck, ist also nicht destruktiv, sondern auf die Frage gerichtet, inwieweit Theorien theoretische und praktische Probleme adäquat zu lösen vermögen. In diesem Sinne kann die kritische Methode als rationale Heuristik, die systematisch die Entdeckung von Neuem fördert, aufgefasst werden. (Vgl. H.-J. Niemann: „Kritische Methode“, in: Lexikon des Kritischen Rationalismus, a.a.O., S. 192f) Vgl. H. Albert: Traktakt über kritische Vernunft, a.a.O., S. 86f Vgl. H. Albert: Kritischer Rationalismus, a.a.O., S. 57 137 „einer sozialwissenschaftlichen Spezialdisziplin, die sich die Aufgabe gestellt hat, einen bestimmten Bereich der modernen Gesellschaft zu analysieren.“ 1035 Gerade aber dies ist die Auffassung des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommenen neoklassischen Denkens, das samt seiner methodologischen Fehlentwicklung „immer noch eine wesentliche Grundlage für die meisten heutigen Überlegungen über den Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens darstellt.“ 1036 Albert hält der Neoklassik vor, dass sie sich mit ihrem auf ein abstraktes Ideal und einen absolut guten gesellschaftlichen Zustand konstruierten Modell, unter der Verwendung der ceteris-paribus-Klausel 1037, der Kritik entziehe und so die Entwicklung verbesserter Theorien erschwere, wenn nicht gar verunmögliche. 1038 Die neoklassischen ModellAnnahmen, beispielsweise die Existenz vollkommener Konkurrenz, vollständiger Information, eines Konsenses in den menschlichen Bedürfnissen oder rationalen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte, lassen sich für eine realistische Analyse der ordnungspolitischen Probleme nicht verwenden, sie erwecken aber den Eindruck, „es gäbe eine ideale Lösung dieser Probleme, die allen Bedürfnissen und Interessen gerecht werde.“ 1039 Die methodische Eigenart des neoklassischen Denkens, sich mithilfe von idealen Annahmen gegen soziologische und sozialpsychologische Erkenntnisse zu immunisieren, ist auch dafür verantwortlich, dass eminent wichtige sozialpsychologische bzw. soziologische Erkenntnisse, zum Beispiel die Untersuchungen der menschlichen Bedürfnisse für das tatsächliche Leben oder die Erkenntnis, dass sich die Bildung und Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse nicht nach dem „Robinson-Paradigma“, sondern über die Gruppenbildung der betreffenden Individuen vollzieht 1040, kaum in die Theorien der Nationalökonomie aufgenommen werden. Gerade aber durch empirisch bewährte Erkenntnisse könnten Theorien bzw. Modelle deutlich verbessert werden und es müsste nicht auf haltlose Ideen wie Maximalbefriedigung der Bedürfnisse und Notwendigkeit der Gewinnmaximierung Rekurs genommen werden. Der Zusammenbruch des Sozialismus könnte nach Albert als methodologische Konsequenz verwendet werden, aufzuhören in Globalkategorien zu denken, stattdessen sollte die Frage gestellt werden: „Ist damit [mit dem Zusammenbruch des Sozialismus, JN] der Kapitalismus als einzige brauchbare Alternative für die Gestaltung der Industriegesellschaft erwiesen?“ 1041 Im Gegensatz zu Popper hat Albert zur Ethik kaum normativ Stellung bezogen, sondern vielmehr aufgezeigt, dass sowohl die Konzeption einer Ethik wie auch die wissenschaftliche Tätigkeit letztlich in einer allgemeinen rationalen menschlichen Problemlösungs-Praxis fundiert sind. Zwar konstatiert Albert inhaltliche Unterschiede zwischen Problemen der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Moral, „aber das muß keineswegs bedeuten, daß auch in bezug auf den allgemeinen Charakter rationalen Problemlösungsverhaltens erhebliche Unterschiede zwischen beiden Bereichen existieren.“ 1042 Die Einheit der Problemlösungsmethode sollte allerdings nicht als Verpflanzung spezifischer Merkmale der wissenschaftlichen Methode in andere Lebensbereiche, um Letztere an das Ideal der wissenschaftlichen Rationalität anzupassen, aufgefasst werden, vielmehr verhält es sich gerade umgekehrt. „Man könnte also sehr viel eher sagen, daß der rationale Kritizismus an typische Züge der allgemeinen menschlichen Situation anknüpft und den für sie adäquaten Rationalitätstypus auf die Wissenschaft überträgt, indem er zeigt, daß auch hier die Illusionen des Begründungsdenkens die faktische Situation verschleiert 1035 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042 138 H. Albert: Freiheit und Ordnung. Zwei Abhandlungen zum Problem einer offenen Gesellschaft, Tübingen 1989, S. 6 H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Zur Kritik der reinen Ökonomik, Tübingen 1998, S. 240 Mit der ceteris-paribus-Klausel kann immer das Argument vorgebracht werden, dass das Modell für eine ideale Situation konzipiert worden sei und empirische Abweichungen deshalb nicht als eine Widerlegung des Modells aufgefasst werden können, weil dieses unter den getroffenen Bedingungen sonst funktionieren würde. Albert nennt diese Immunisierungsstrategie Modell-Platonismus. (Vgl. H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, a.a.O., S. 114ff) Vgl. H. Albert: Aufklärung und Steuerung. Aufsätze zur Sozialphilosophie und zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften, Hamburg 1976, S. 79ff A.a.O., S. 77 Vgl. H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, a.a.O., S. 235 H. Albert: Kritischer Rationalismus, a.a.O., S. 60 H. Albert: Traktat über rationale Praxis, Tübingen 1978, S. 11 haben.“ 1043 Mit anderen Worten: Die Idee rationaler Praxis hat ihren Ausgangspunkt in der Auffassung, dass wir Menschen ständig mehr oder weniger konsequent bemüht sind, Probleme ganz unterschiedlicher Art zu erfassen und zu lösen; angefangen bei elementaren Lebensproblemen wie Schutz vor der Kälte, Hitze oder Feinden, bis hin zu den subtilsten Problemen der Wissenschaft, Kunst, Religion oder Moral. Dabei zeigt sich die Kontextabhängigkeit des Problemlösungsverhaltens als eines der wichtigsten Strukturmerkmale der menschlichen Praxis. Der Bezugsrahmen, durch den das Problems überhaupt erst erfasst werden kann, besteht aus Annahmen über faktische Gegebenheiten, allgemeinen Einsichten, Beurteilungs-Massstäben, methodischen Einstellungen, verfügbaren Verhaltensweisen, Zielsetzungen und Idealen, wobei viele davon stets unthematisiert im Hintergrund bleiben. 1044 Mit anderen Worten: Wertgesichtspunkte wie etwa Wahrheit, Gerechtigkeit oder Schönheit gehören nicht zur Methodologie, sondern konstituieren die jeweilige Problemsituation. Eine der ersten Regeln der Problemlösungsmethodik besteht nach Albert denn auch darin, die vorliegende Problemsituation im betreffenden Bereich zu analysieren und zu erklären, „wie eine angemessene Lösung prinzipiell beschaffen sein und was sie leisten müßte.“ 1045 Im Weiteren gilt es, bereits vorliegende Lösungsalternativen mit Blick auf ihre Leistungsfähigkeit bzw. Problemlösungskraft wertend zu vergleichen, wobei alle möglichen Lösungsalternativen als Konstruktionen mit Hypothesencharakter zu betrachtet sind, „die prinzipiell der Kritik und der Revision unterliegen.“ 1046 Wer ein Problem nach dieser Methodologie lösen will, der berücksichtigt im Übrigen bereits in der Konstruktion der Lösung selbstkritisch mögliche Alternativen und Einwände, damit die Lösungsvariante einen echten Beitrag leistet und nicht allzu schnell unter der (geforderten) Kritik zusammenbricht. 1047 Diese allgemeine Methodologie ist nach Albert nichts anderes als eine rationale Heuristik, deren Regeln allesamt dahingehend aufzufassen sind, „daß man nach in bestimmtem Sinne angemessenen Problemlösungen suchen solle, und in diesem Zusammenhang nach Alternativen, Einwänden, brauchbaren Vergleichen und Bewertungen und schliesslich nach einer adäquaten Entscheidung. Dabei werden im wesentlichen nur Gesichtspunkte für die Leitung der konstruktiven und kritischen Phantasie, aber keine schematisch anzuwendenden Regeln geliefert, auch nicht für den sogenannten Begründungszusammenhang.“ 1048 Mit anderen Worten: Die Methodologie als rationale Heuristik ist eine Tätigkeit, die der Phantasie und Kreativität viel Spielraum lässt und von den Menschen auf verschiedenen Ebenen Entscheidungen abverlangt, aber nicht an strenge Regeln gebunden ist. 13.3 Der Kritische Rationalismus als Metaethik Nach Hans Albert kann Metaethik in Bezug auf eine normativ-ethische Theorie so wenig neutral sein wie die Philosophie als Meta-Wissenschaft hinsichtlich wissenschaftlicher Erkenntnis: „Eine Diskussion um die Frage, wie eine brauchbare Argumentation im ethischen Bereich aussehen muß, ist eine methodologische Diskussion, die ebenso wie eine entsprechende Erörterung für den wissenschaftlichen Bereich zwar als ein Unternehmen zweiter Ordnung (Meta-Probleme) angesehen wird, aber im Ergebnis nicht neutral sein kann in bezug auf ethische Systeme. Sie muß zu einer Abgrenzung führen wie eine analoge Diskussion bezüglich der Wissenschaft. Eine MetaEthik, die solche Probleme löst, kann eine regulative und kritische Funktion für den ethischen Bereich gewinnen.“ 1049 Angesichts des Apriori der Philosophie für die Bereiche Wissenschaft und Ethik stellt sich die wichtige Frage: Wie wirkt sich die Philosophie des Kritischen Rationalismus, unter dem Aspekt ihrer Funktion als kritisch-rationale Metaethik, auf die zu entwickelnde 1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049 A.a.O., S. 12 Vgl. a.a.O., S. 23 A.a.O., S. 30 A.a.O., S. 29 Vgl. a.a.O., S. 32 A.a.O., S. 32 H. Albert: Konstruktion und Kritik. Aufsätze zur Philosophie des kritischen Rationalismus, Hamburg 1972, S. 155 139 problemorientierte philosophische Management-Ethik aus? Eines kann vorweggenommen werden: „Wer der Philosophie als Meta-Wissenschaft eine kritisch-regulative Funktion zuweist, wird sie ihr als Meta-Ethik nicht verweigern wollen.“ 1050 Im Folgenden geht es also darum, zu den im zweiten Teil dieser Arbeit behandelten metaethischen Kategorien Stellung zu nehmen, und zwar aus der Position der Philosophie des Kritischen Rationalismus, die jeweils als kritisch-rationale Metaethik bezeichnet wird, wenn es darum geht, den Aspekt der Methodologie für die zu entwickelnde ethische Theorie besonders kenntlich zu machen. Ist eine problemorientierte philosophische Management-Ethik nach der kritischrationalen Metaethik kognitivistisch oder nonkognitivistisch? Ganz im Sinne von Popper, der die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Tatsachen und Entscheidungen als das Merkmal der offenen Gesellschaft bestimmt (vgl. S. 132), lehnt Albert die moralepistemologischen Positionen des Naturalismus und Intuitionismus als Erkenntnisquelle für wahre moralische Urteile explizit ab. 1051 Nach Albert muss ein adäquates Deutungsmuster für moralische Aussagen, nebst dem Realitätsbezug, dem Element der Allgemeinheit und der Möglichkeit der rationalen Argumentation, vor allem die normative Funktion berücksichtigen. 1052 Das heisst: Moralische Urteile nehmen in erster Linie einen Bezug auf das Verhalten normierende Standards oder Maximen und erheben durch diese Bezugnahme einen Anspruch auf allgemeine Anerkennung, wobei nach der kritisch-rationalen Metaethik dieser Anspruch immer im Rahmen eines Bezugs zur Lösung eines bestimmten Problems, das heisst zu einer bestimmten Werthaltung, zu begreifen ist. Nach der Philosophie des Kritischen Rationalismus als kritisch-rationale Metaethik können deskriptiv-ethische Theorien durchaus den Anspruch einer allgemeinen Anerkennung im Sinne einer Annäherung an die Wahrheit erheben, gleiches ist jedoch nicht möglich bei normativ-ethischen Theorien. Letztere stehen zwar durchaus in einem Bezug zu Tatsachen, beispielsweise zum Phänomen der Armut oder Arbeitslosigkeit, die Aufforderung zu einem bestimmten menschlichen Handeln basiert jedoch auf einer Entscheidung, nämlich von anderen Menschen zu fordern, bestimmte Wertgesichtspunkte wie Gleichwertigkeit oder Freiheit handlungswirksam anzunehmen. Das bedeutet: „In Wirklichkeit pflegen denn auch bestimmte ethische Systeme zusammen mit bestimmten meta-ethischen Auffassungen aufzutreten und gemeinsam den Sprachgebrauch in den sozialen Gruppen zu beeinflussen, in denen sie akzeptiert werden.“ 1053 Anders gesagt: Obschon die kritisch-rationale Metaethik eine allgemeine Anerkennung von ethischen Prinzipien und Normen hinsichtlich der zu lösenden Probleme beansprucht, geht es ihr nicht um die Entwicklung von allgemeingültigen obersten Prinzipien. Und zwar deshalb nicht, weil Gültigkeitsprobleme – unabhängig davon, ob es sich um die kritisch-rationale Metaethik oder beispielsweise die Diskursethik handelt 1054 – letztlich immer auf Wertentscheidungen zurückgehen. „Nur wer sie anerkennt, muß die Gültigkeit bestimmter inhaltlicher Aussagen zugeben.“ 1055 Damit zeigt sich die kritisch-rationale Metaethik als eine normative Konzeption, die sich nicht mit „Analyse begnügt, sondern konstruktiv Vorschläge macht, die dazu bestimmt sind, normierend auf das Verhalten zu wirken und eine Kritik zu ermöglichen.“ 1056 Obschon die kritisch-rationale Metaethik keine autoritären Erkenntnisquellen akzeptiert und ihre obersten Wertgesichtspunkte weder als wahr noch als gültig auszeichnet, wird die Ansicht von Fred Eidlin geteilt, dass sie – als Vertreterin des moralepistemologischen Standpunktes des Konstruktivismus – dennoch als eine kognitivistische Form aufzufassen ist 1057. Und zwar deshalb, weil für sie erstens der 1050 1051 1052 1053 1054 1055 1056 1057 140 A.a.O., S. 162 Vgl. a.a.O., S. 137ff Vgl. a.a.O., S. 140 A.a.O., S. 157 Vgl. M. Bondeli: „Konsequentialistisch geläuterte Diskursethik“, in: Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, a.a.O., S. 147 H. Albert: Konstruktion und Kritik, a.a.O., S. 160 A.a.O., S. 167 Vgl. F. Eidlin: „Poppers ethischer und metaphysischer Kognitivismus“, in: Karl R. Popper und die Philosophie des Kritischen Rationalismus. Zum 85. Geburtstag von Karl R. Popper, Hrsg. von K. Salamun, Amsterdam und Atlanta 1989, S. 163f Gedanke an eine objektive Wahrheit für jede rationale Diskussion grundlegend ist 1058, diese Philosophie zweitens sowohl den intellektuellen wie auch den moralischen Relativismus als die „philosophische Hauptkrankheit unserer Zeit“ 1059 vehement bekämpft und weil sie drittens die Ansicht vertritt, dass der Gehalt moralischer Aussagen einer rationalen Argumentation zugänglich ist und von daher auch im ethischen Bereich Fortschritte erzielt werden können 1060. Letzteres nämlich dann, wenn bestimmte ethische Prinzipien und Normen die in den Blick genommenen Probleme umfassender lösen, als es andere Prinzipien und Normen tun; oder wenn bestimmte Problemstellungen moralische Problemphänomene einheitlicher als andere Problemstellungen abbilden oder bestimmte Philosophien mit ihren Wertgesichtspunkten hinsichtlich der sozialen Ordnung drängendere moralische Problemphänomene konstituieren, als es andere Philosophien vermögen. Bedeutet die Einnahme eines kognitivistischen Standpunktes zugleich die Position des moralischen Realismus? Obschon die Standpunkte des moralischen Realismus und des Kognitivismus in einem engen Zusammenhang stehen, muss Ersterer als unvereinbar mit der kritisch-rationalen Metaethik eingestuft werden. Popper konzediert im Rahmen seiner Dreiweltentheorie geistigen Erzeugnissen wie Gedanken, wissenschaftlichen Theorien oder bestehenden moralischen Werten eine Unabhängigkeit von der Welt des menschlichen Bewusstseins. 1061 Von daher ist es keineswegs abwegig, von der Existenz moralischer Tatsachen zu sprechen. Ein wichtiger Unterschied zum moralischen Realismus besteht jedoch darin, dass dessen Verfechter moralischontologische Sachverhalte mithilfe der Unabhängigkeit moralischer Tatsachen vom menschlichen Bewusstsein als wahr bzw. falsch kognitiv aufzeigen wollen, was sich bei Popper aber gerade nicht durchführen lässt, weil die Existenz moralischer Tatsachen überhaupt erst durch die Welt des (fehlbaren) menschlichen Bewusstseins bzw. durch hochgehaltene Werte entsteht. Mit anderen Worten: Der Wahrheitsgehalt hinsichtlich der Normativität moralischer Aussagen kann durch Poppers Welt 3 nicht verbürgt werden, sondern vielmehr dient die Existenz moralischer Aussagen der kritischen Auseinandersetzung im Zusammenspiel mit der Welt des menschlichen Bewusstseins. Keinen Zweifel in der Frage nach der Kompatibilität des moralischen Realismus mit der kritisch-rationalen Metaethik gibt es bei Albert, der die Dreiweltentheorie von Popper erstens nicht übernimmt 1062 und zweitens explizit darauf hinweist, dass die positive Wertung regulativer Ideen wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Sicherheit oder Schönheit „in keinem dieser Fälle eine Ontologisierung dieses Wertaspekts erforderlich [macht, JN], weder im Bereich der Erkenntnis noch in dem der Moral, des Rechts oder etwa der Kunst.“ 1063 Welche Begründungsmuster sind nach der kritisch-rationalen Metaethik angezeigt? Mit der Philosophie des Kritischen Rationalismus ist untrennbar die fallibilistische Einstellung verbunden, wonach uns keine Möglichkeit für absolut gesicherte Erkenntnisse offensteht. Über diese Einstellung kann durchaus eine rationale (epistemologische) Diskussion geführt werden, die auch keineswegs ausschliesst, dass diese „anthropologischen Grundgegebenheiten des Menschseins“ 1064 von einzelnen Verfechtern aufgegeben und von anderen Menschen neu angenommen werden. Aber eines steht dennoch zweifelsfrei fest: Nach dieser Philosophie kann weder für diese noch für eine andere philosophische Einstellung eine für die absolute Wahrheit hinreichende Pro- oder Contra-Begründung in die Diskussion eingebracht werden, vielmehr handelt es sich um eine persönliche Entscheidung. Mit Hans-Jürgen Wendels Worten: „Man entscheidet sich mit ihm für eine bestimmte Lebensweise, deren wichtigste Einsicht darin 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064 Vgl. K. R. Popper: Die Welt des Parmenides, a.a.O., S. 104 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 330 Vgl. K. R. Popper: Die Welt des Parmenides, a.a.O., S. 105 Vgl. K. R. Popper: Das offene Universum. Ein Argument für den Indeterminismus. Aus dem Postskript zur Logik der Forschung, Hrsg. von W. W. Bartley III, Übers. von E. Schiffer, Tübingen 2001, S. 123f Vgl. H.-J. Niemann: „Albert, Hans“, in: Lexikon des Kritischen Rationalismus, a.a.O., S. 12 H. Albert: „Rationale Ethik als kognitives Projekt? Zu Hans-Jürgen Wendels Analyse des Problems“, in: Logos. Zeitschrift für systematische Philosophie., N.F., Bd. 2, Heft 2 (1995), S. 98 K. Salamun: „Zum Menschenbild Karl R. Poppers und seinen ethischen Implikationen“, in: Karl Poppers Beiträge zur Ethik, Hrsg. von H. Kiesewetter und H. Zenz, Tübingen 2002, S. 27 141 besteht, daß von der Kritik abgeschirmte dogmatische Glaubenspositionen als Laster anzusehen sind, weil letztere nicht der Grundannahme des kritischen Rationalismus über die Fehlbarkeit menschlicher Subjekte im Erkennen und Handeln Rechnung tragen.“ 1065 Die kritisch-rationale Metaethik leistet in diesem Sinne das, was Andreas Graeser fordert, nämlich dass eine Ethik, entgegen allen etablierten philosophischen Aspirationen, vermehrt wieder „als Sache angesehen werden sollte, die irreduzibel und unauflöslich an persönliche Momente gebunden ist.“ 1066 Wer nun die Philosophie des Kritischen Rationalismus annimmt, übernimmt zugleich die mit ihr untrennbar verbundenen moralischen Werte wie Gleichheit, Freiheit, Hilfe für die Schwachen und persönliche Verantwortung, die letztlich allesamt in einem engen Zusammenhang mit der basalen Entscheidung stehen, die Gleichheit hinsichtlich unserer Unvollkommenheit in Bezug auf Wahrheit als höchster Wert 1067 einzugestehen und unsere Möglichkeiten wahrzunehmen, durch Selbst- und Fremdkritik die viel menschliches Leid verursachenden Irrtümer und Fehler zu reduzieren. Für die Entwicklung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik bedeutet dies, dass bei der Wahl des Kritischen Rationalismus als Grundlage diese moralischen Grundwerte übernommen werden, und zwar ohne begründen zu müssen, „warum sie intersubjektiv geteilt werden sollen.“ 1068 Und welche Rolle haben diese mit der Philosophie des Kritischen Rationalismus untrennbar verbundenen moralischen Grundwerte? Sie sind von herausragender Bedeutung, und zwar deshalb, weil sie es nämlich sind, die moralische Probleme überhaupt erst konstituieren. Das heisst: Moralische Probleme zeigen sich erst durch die Diskrepanz einer gegebenen und einer, mit Blick auf bestimmte moralische Grundwerte, erwarteten bzw. gewünschten Situation. Wer zum Beispiel die philosophische Einstellung hat, dass die Höhe des Jahreseinkommens zugleich Auskunft über den gesellschaftlichen Wert einer Person gibt, wird in sieben- oder achtstelligen Jahressalären kein moralisches Problem sehen – im Gegensatz zur Philosophie des Kritischen Rationalismus. Aufgrund dieser durch moralische Grundwerte konstituierten Problemstellung lassen sich dann im Rahmen einer normativ-ethischen Theorie ethische Prinzipien und Normen entwickeln 1069, wobei diese nach der kritisch-rationalen Metaethik – mit Blick auf die Problemstellung – als revidierbare Vorschläge bzw. Hypothesen aufzufassen sind 1070 und somit sowohl der Selbst- wie auch der Fremdkritik unterliegen. Es zeigen sich damit die drei an anderer Stelle bereits vorgestellten Begründungsebenen (vgl. S. 99): Auf der theorieimmanenten Ebene, wo sich die Frage stellt: Weshalb sind diese Handlungen geboten? bzw. Warum gelten diese ethischen Regeln?, werden entweder konkrete Handlungssituationen auf ethische Normen bzw. Prinzipien oder ethische Normen bzw. Prinzipien auf hierarchisch höher gestellte ethische Regeln innerhalb der theoretischen Konzeption bezogen, und zwar nach dem linear-deduktiven Begründungsmuster. Auf der moralontologischen Begründungsebene – moralontologisch wird hier nicht im engen Sinne des moralischen Realismus aufgefasst -, wo die Frage nach der Begründung der obersten ethischen Prinzipien ansteht, kommt die Erkenntnisleistung als moralische Problemstellung in den Blick. Das heisst: Die obersten ethischen Regeln werden wiederum nach dem linear-deduktiven Begründungstyp von der Erkenntnisleistung in der Form der moralischen Problemstellung abgeleitet. Auf der moralepistemologischen Begründungsebene, wo die Frage aufgeworfen werden kann, weshalb moralische Grundwerte, die letztlich für die Erkenntnisleistung verantwortlich 1065 1066 1067 1068 1069 1070 142 H.-J. Wendel: „Kritischer Rationalismus und Ethik“, in: Ideologien und Ideologiekritik, a.a.O., S. 164 A. Graeser: Philosophie und Ethik, Düsseldorf 1999, S. 11 Vgl. K. R. Popper: Ausgangspunkte, a.a.O., S. 284f G-M. Mojse: Wissenschaftstheorie und Ethik-Diskussion bei Hans Albert. Ein Beitrag zur gegenwärtigen Debatte über die Grundwerte in der pluralistischen Gesellschaft, Bonn 1979, S. 95 Mache Interpreten des Kritischen Rationalismus, so zum Beispiel Christoph Lütge (vgl. Ch. Lütge: „Was leistet die Kritisch-Rationalistische Ethik?“ in: Ethica. Wissenschaft und Verantwortung, Jg. 11, Heft 4 (2003), S. 402ff) oder Hans-Jürgen Wendel (vgl. H.-J. Wendel: „Selbstbestimmung und Ethik“, in: Logos, Zeitschrift für systematische Philosophie, N.F. Bd. 1, Heft 3 (1994), S. 346ff), monieren, dass der Kritische Rationalismus kein materiales Prinzip für die Gewinnung von ethischen Normen angeben könne. Dabei verkennen diese Autoren, dass mit der Philosophie des Kritischen Rationalismus untrennbar moralische Werte verbunden sind und Letztere moralische Probleme konstituieren, die dann den Fluchtpunkt für ethische Prinzipien und Normen im Sinne von Lösungsversuchen abgeben. Vgl. H. Albert: Traktakt über kritische Vernunft, a.a.O., S. 90 sind, Geltung haben sollen, können zwar Pro- und Contra-Argumente für die Philosophie des Kritischen Rationalismus vorgebracht werden, es ist aber weder eine linear-deduktive noch eine reflexive Begründung, sondern wohl am ehesten noch eine kohärentistische Begründung möglich. Das bedeutet aber auch, dass die Begründungsleistungen uneingeschränkt dem Münchhausen-Trilemma unterworfen sind, denn dieses hat seine Gültigkeit „unabhängig davon, ob es sich dabei um die Sicherung von Erkenntnissen oder von Wertungen und Normen handelt.“ 1071 Wie soll eine normativ-ethische Theorie nach der kritisch-rationalen Metaethik formal gestaltet werden? Konkreter gefragt: Soll die problemorientierte philosophische ManagementEthik in der Form einer Prinzipien-, Normen- oder Situationsethik entwickelt werden? Der Tendenz nach werden sowohl eine partikularistische bzw. kasuistische Ethik wie auch eine Theorie, die auf einem einzigen Moralprinzip basiert, verworfen. Die Ablehnung eines einzigen Moralprinzips zeigt sich im Zusammenhang mit Poppers Vorschlag, die Minimierung des Elends zwar als politische Aufgabe im Sinne einer regulativen Idee, nicht aber als Kriterium, mit dessen Hilfe die Minimierung des Elends anhand eines Kalküls zu entscheiden wäre 1072, zu betrachten. Denn eine solche Rigorosität würde nach Popper zu absurden Konsequenzen führen und er vermutet, dass gleiches auch „von jedem anderen moralischen Kriterium gezeigt werden kann.“ 1073 Dass nach der kritisch-rationalen Metaethik wohl am ehesten eine Ethik mit Prinzipien mittlerer Reichweite angezeigt ist, zeigt sich anhand der von Popper entwickelten neuen Berufsethik mit insgesamt zwölf ethischen Prinzipien 1074, aber auch durch Alberts Hinweis, dass die Anwendung ethischer Systeme, im Gegensatz zu wissenschaftlichen Theorien, ohne Weiteres zu miteinander unvereinbaren Anweisungen führen kann, „so dass der Handelnde gezwungen ist, sich zwischen ihnen zu entscheiden.“ 1075 Welche regulativen Vorgaben gibt die kritisch-rationale Metaethik im Hinblick auf die Frage, ob die problemorientierte philosophische Management-Ethik als teleologisches oder deontologisches System zu entwerfen ist? Dazu Albert: „Auf der Ebene des ethischen Systems selbst kommt das deontologische Prinzip zu seinem Recht, während das meta-ethische Kriterium das teleologische Prinzip ins Spiel bringt, da Systeme moralischer Regeln nach ihren Konsequenzen für das menschliche Leben beurteilt werden.“ 1076 Mit anderen Worten: Die regulative und kritisch-rationale Metaethik gibt der normativ-ethischen Theorie das Ziel vor, damit diese, mit Blick auf die Zielvorgabe, Prinzipien und Normen als deontologische Regeln entwickeln kann. Darüber hinaus sieht sich die regulative kritisch-rationale Metaethik zugleich als ein konsequentialistisches System, und zwar dergestalt, dass die metaethischen Ziele „auch im Lichte der tatsächlichen Konsequenzen“ 1077 zu überprüfen sind. Dass diese Möglichkeit überhaupt gegeben ist, hängt mit der erwähnten Zwei-Ebenen-Architektur zusammen, die zweifellos an die regelutilitaristische „Zwei-Ebenen-Theorie“ von Richard M. Hare erinnert (vgl. S. 109), aber dennoch nicht als eine utilitaristische Theorie 1078 – und schon gar nicht „als eine 1071 1072 1073 1074 1075 1076 1077 1078 A.a.O., S. 67 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 350 A.a.O., S. 350 Vgl. K. R. Popper: Die Welt des Parmenides, S. 115 H. Albert: Kritischer Rationalismus, a.a.O. S. 85 H. Albert: Konstruktion und Kritik, a.a.O., S. 164 A.a.O., S. 162 Die Sozialphilosophie des Kritischen Rationalismus wird fälschlicherweise oft als eine Neufassung des Utilitarismus verstanden. Abgesehen davon, dass die utilitaristische Position kaum mit den kritisch-rationalen Grundwerten wie Gleichheit und Gleichwertigkeit in Einklang gebracht werden kann, wird nicht beachtet, dass Popper das epistemische Argument zugunsten des Negativen nicht nur auf den Utilitarismus, sondern auch auf die kantische Ethik anwendet. Mit anderen Worten: Viele Popper-Interpreten – beispielsweise Christoph Lütge (vgl. Ch. Lütge: „Kritisch-rationalistische Ethik. Karl POPPER und Hans ALBERT“ in: Ethica. Wissenschaft und Verantwortung, Jg. 10, Heft 4 (2002), S. 390) – machen keinen Unterschied zwischen Poppers Ansicht, wie ein „richtiger“ Utilitarismus konzipiert sein müsste und seiner eigentlichen Ethik-Auffassung. Dragan Jakowljewitsch weist zu Recht darauf hin, dass „Popper an zahlreichen Stellen seines Werks zu verstehen gibt, 143 handlungsutilitaristische Konzeption“ 1079 – aufgefasst werden sollte. Nach der kritisch-rationalen Metaethik liegt es gerade nicht an den Moralsubjekten, auf das Ziel oder die Konsequenzen ihrer Handlungen zu achten, sondern der Verfasser der normativ-ethischen Theorie ist gehalten, seinen Lösungsversuch im Hinblick auf den von der kritisch-rationalen Metaethik eingeforderten, konstruktivistisch und nicht naturalistisch oder intuitionistisch bestimmten, Problemlösungsbeitrag kritisch zu prüfen. Und in diesem Sinne gilt: „Auch ethische Systeme können sich mehr oder weniger bewähren, wenn auch in anderer Weise als die der Wissenschaft.“ 1080 Welchen Stellenwert nimmt nach der kritisch-rationalen Metaethik die Anthropologie ein? Angesichts der kritisch-rationalen metaethischen Position, wonach ethische Prinzipien und Normen als schöpferische Konstruktionen mit Hypothesencharakter 1081 aufzufassen sind, die entweder bereits vorliegen oder wegen der Spezifität der Problemlösung noch erfunden werden müssen, kommt den empirischen Wissenschaften, allen voran den Sozialwissenschaften, eine wichtige Rolle zu. Genauer gesagt: Dadurch, dass die problemorientierte philosophische Management-Ethik mit konstruierten und nicht mit naturalistischen oder intuitionistischen Prinzipien und Normen moralische Probleme zu lösen versucht, entsteht für sie zwar nicht die Problematik eines naturalistischen Fehlschlusses, dafür aber die schwierige Frage, inwieweit die konstruierten Normen realiter umgesetzt werden können. Das bedeutet: „Eine weitere Konsequenz des Rationalismus für den moralischen Bereich ist die Berücksichtigung der Ergebnisse des wissenschaftlichen Denkens.“ 1082 Um die Kluft zwischen Wissenschaft und Ethik bzw. zwischen Seins- und Sollensaussagen zu überwinden, schlägt Albert sogenannte Brücken-Prinzipien wie Sollen impliziert Können vor. 1083 Die Anwendung solcher Prinzipien erleichtert nicht nur die Konstruktion neuer ethischer Prinzipen und Normen, sondern ermöglicht zugleich eine Kritik an bestehenden. Nach Albert gehört es im Übrigen zur Aufgabe der kritisch-rationalen Metaethik, weitere BrückenPrinzipien zu finden, damit die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften als Sozialtechnologie für ethische Systeme nutzbar gemacht werden können. 1084 Während Popper vor allem der Soziologie einen hohen Stellenwert konzediert, ist Albert gegenüber der Psychologie gleichermassen offen und versucht, dem von der ökonomischen Tradition übernommenen methodologischen Individualismus mithilfe der heute vorliegenden sozialpsychologischen Erkenntnisse eine neue Grundlage zu geben 1085. Weil der Einbezug von anthropologischen Überlegungen im Zuge der kantischen Ethik massiv an philosophischer Relevanz eingebüsst hat und Brückenprinzipien wie Sollen impliziert Können allenfalls noch am Rande zur Kenntnis genommen werden 1086, unterscheidet sich der Kritische Rationalismus gerade in diesem Aspekt von anderen philosophischen Positionen markant. Worin besteht der Beitrag der kritisch-rationalen Metaethik hinsichtlich der Motivation für ethisches Handeln? Weder Popper noch Albert haben sich in ihren Werken mit der Motivation für allgemeines bzw. für ethisches Handeln thematisch auseinandergesetzt, sondern bloss beiläufig hierzu Stellung genommen. Dabei betont Popper die Grenzen der argumentativen Kraft im Hinblick auf die Motivation für moralisches Handeln; denn letztlich können die Menschen immer sagen: „›Dein ›Sollen‹ oder Deine moralischen Regeln interessieren mich nicht im geringsten – genauso wenig wie Deine logischen Beweise oder gar Deine höhere Mathematik.‹ 1079 1080 1081 1082 1083 1084 1085 1086 144 dass ihm die deontologische Position näher liegt.“ (D. Jakowljewitsch: „K. Popper und die Idee eines negativen Utilitarismus“, in: Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie, Jg. 15, Heft 2 (2008), S. 119). Dass sich Popper mehr mit dem Utilitarismus auseinandersetzte, kann durchaus als Hinweis genommen werden, dass er in dieser Position eher den konzeptionellen Gegner sieht. „Aber genau dies zeigt seine Nähe zu den alternativen Grundannahmen der ethischen Auffassungen Kants.“ (D. Jakowljewitsch: „K. Popper und die Idee eines negativen Utilitarismus“, in: Aufklärung und Kritik, Jg. 15, Heft 2 (2008), S. 119) G-M. Mojse: Wissenschaftstheorie und Ethik-Diskussion bei Hans Albert, a.a.O., S. 93 H. Albert: Konstruktion und Kritik, a.a.O., S. 163 Vgl. H. Albert: Traktakt über rationale Praxis, a.a.O., S. 29 H. Albert: Konstruktion und Kritik, a.a.O., S. 162 Vgl. H. Albert: Traktat der kritischen Vernunft, a.a.O., S. 91f Vgl. a.a.O., S. 92 Vgl. H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, a.a.O., S. 319 Vgl. A. Graeser: Philosophie und Ethik, a.a.O., S. 91f (…) Wir können niemanden mit Argumenten dazu zwingen, Argumente ernst zu nehmen – oder auch nur seine eigene Vernunft zu respektieren.“ 1087 Als Verfasser einer philosophischen Ethik ist man dennoch nicht ganz hilflos, immerhin können – so Popper – die Konsequenzen einer Entscheidung vor Augen geführt und dadurch blinde Entscheide wie zum Beispiel: ich habe mir dabei nichts Böses gedacht… oder wenn ich nur alles gewusst hätte… verhindert werden. 1088 Die rationale und kreative Analyse der Konsequenzen eines pro-ethischen und eines contra-ethischen Standpunktes können also nichtsdestotrotz eine motivationale Kraft für die Einnahme eines ethischen Standpunktes auslösen. Poppers internalistische Motivationsauffassung zeigt sich im Weiteren durch seine explizite Ablehnung des extrinsischen Motivationsverständnisses, nach welchem die Menschen sogleich dazu aufgefordert werden, sich nach der Belohnung oder allenfalls Bestrafung umzusehen. 1089 Für Popper steht dagegen fest: „Wir brauchen eine Ethik, die Erfolg und Belohnung überhaupt ablehnt.“ 1090 Albert hat sich mit dem Thema „Motivation“ im Zusammenhang mit seiner Kritik an der neoklassischen Theorie auseinandergesetzt, deren Vertretern er vorwirft, an ihrer Theorie festzuhalten, um „sich von anderen Sozialwissenschaften, besonders der Sozialpsychologie, fernzuhalten und die ernsthafte Behandlung von Motivationsfragen zu vermeiden.“ 1091 In Anlehnung an den Motivationspsychologen John W. Atkinson kann nach Albert für die Motivation folgendes Prinzip postuliert werden: „Die Stärke der Motivation, eine bestimmte Handlung zu vollziehen, ist eine multiplikative Funktion der Motivstärke, der Stärke der Erwartung, daß die Handlung einen Anreiz realisieren, also eine befriedigende Konsequenz haben wird, und der Stärke dieses Anreizes, also der relativen Attraktivität dieser Konsequenz.“ 1092 Nach diesem Modell beeinflussen also drei Faktoren die Motivation von Individuen, nämlich erstens die zugrunde gelegten Motive, zweitens die subjektive Wertschätzung der Motivbefriedigung sowie drittens die subjektive Erwartung, das Ziel bzw. die Motivbefriedigung auch erreichen zu können. Der Vorteil dieser Erwartungs-Valenz-Theorien 1093 mag darin gesehen werden, dass sie als prozessorientierte Motivationstheorien sowohl intrinsische wie auch extrinsische Motivationslagen zu erklären vermögen, allerdings muss gerade nach dem Kritischen Rationalismus der Erklärungswert solcher Theorien, die beinahe jedes individuelle Verhalten durch einen passenden Rückgriff auf diese drei Faktoren erklären können, fragwürdig erscheinen. Dessen ungeachtet steht für Albert im Übrigen fest, dass es unabhängig von den individuellen Motivstrukturen für ethisches Verhalten noch mehr als „nur“ Motivation braucht, nämlich didaktische Massnahmen: „Ganz gleichgültig, wie die Motivstrukturen der betreffenden Individuen beschaffen sein mögen, spezielle Wertungskriterien und Orientierungsmaßstäbe für ihr Verhalten in den verschiedenen sozialen Bereichen müssen von ihnen zusätzlich erworben werden.“ 1094 13.4 Der Kritische Rationalismus als philosophische Grundlegung Für die zu entwickelnde problemorientierte philosophische Management-Ethik wird die Philosophie des von Karl R. Popper begründeten und von Hans Albert weiterentwickelten Kritischen Rationalismus mit der erkenntnistheoretischen Grundeinstellung des Fallibilismus und der problemorientierten Methodologie als Grundlage genommen. Das bedeutet: Die mit dieser Philosophie untrennbar verbundenen moralischen Grundwerte haben erstens einen konstitutiven Charakter hinsichtlich der mit der problemorientierten philosophischen Management-Ethik zu lösenden 1087 1088 1089 1090 1091 1092 1093 1094 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 357 Vgl. a.a.O., S. 272 Vgl. K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen, a.a.O., S. 201 A.a.O., S. 201 H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, a.a.O., S. 201 A.a.O., S. 289 Vgl. W. Mayrhofer: „Motivation und Arbeitsverhalten“, in: Personalmanagement Führung Organisation, Hrsg. von H. Kasper und W. Mayrhofer, Wien 2002, S. 275-280 H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, a.a.O., S. 302f 145 Probleme, zweitens wird die vom Kritischen Rationalismus entwickelte ProblemlösungsMethodologie für nicht-wissenschaftliche Bereiche für die Theoriearchitektur der problemorientierten philosophischen Management-Ethik angewendet und drittens wird die kritisch-rationale Metaethik als Stütze für die Beantwortung der Fragen hinsichtlich der metaethischen Kategorien genommen. Warum gerade die Philosophie des Kritischen Rationalismus mit der metaphysischen Position des kritischen Realismus und dem mit dieser Position untrennbar verbundenen Empirismusprinzip 1095? Denn immerhin bedeutet diese philosophische Auffassung, dass jede rationale Diskussion über den Wahrheits- bzw. Problemlösungsgehalt von Meinungen, aber auch wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Theorien, letztlich mit einem Bezug auf die Empirie, das heisst mithilfe der Korrespondenztheorie der Wahrheit, zu entscheiden ist, obschon kein Kriterium angegeben werden kann, wie zwischen den Strukturen der Realität und des menschlichen Bewusstseins eine Kommensurabilität hergestellt werden könnte und deshalb der intersubjektiven Übereinstimmung gleichwohl eine wichtige Funktion konzediert werden muss. Die teilweise heftig geführte Kritik – Habermas kritisiert im Rahmen der Positivismusdebatte den Dualismus zwischen Tatsachen und Entscheidungen 1096, Kuhn erhebt den Vorwurf, dass bei strikter Anwendung des Falsifikationsprinzips sämtliche Theorien abgelehnt werden müssten 1097 und Steinmann macht den Kritischen Rationalismus dafür verantwortlich, dass die Betriebswirtschaftslehre vom rechten Weg abgekommen ist 1098 – muss ernst genommen werden, auch wenn sie mindestens teilweise auf Missverständnissen gründet 1099. Darüber hinaus kann die Kritik durchaus als ein Indiz für die grosse Bedeutung dieser Philosophie gewertet werden, was durch die 11. Auflage der Logik der Forschung bzw. 8. Auflage des Werkes Die offene Gesellschaft und ihre Feinde denn auch objektiv belegt ist. Wenn man im Weiteren bedenkt, dass es einem Wissenschaftstheoretiker in erster Linie darum geht, den Wissenschaftlern philosophische Grundlagen für erfolgreiche Forschung anzubieten, dann darf es als ein grosser Erfolg gewertet werden, dass zu keinem anderen Philosophen sich so viele Wissenschaftler bekannt haben. 1100 Und im Übrigen sollte die Tatsache, dass der Kritische Rationalismus nicht mehr besonders auffällig ist, keineswegs mit dem Nachlassen seiner Relevanz verwechselt werden. Hartmut Esser betont, dass er während seiner Zugehörigkeit zum Bewilligungsausschuss für die Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Eindruck gewinnen konnte, „dass so gut wie alle anderen Wissenschaften, soweit sie nicht dezidiert ‚geisteswissenschaftlicher‘ oder ganz bewusst nur deskriptiver Natur sind (wie etwa die Mediävistik, die sog. Zeitgeschichte, die Literaturwissenschaft oder die Afrikanistik), dem Konzept des Kritischen Rationalismus wie selbstverständlich folgen, auch dann wenn sie das nicht wissen oder nicht immer wieder ausdrücklich betonen.“ 1101 Die Begründung, weshalb die Philosophie des Kritischen Rationalismus der zu entwickelnden problemorientierten philosophischen Management-Ethik zugrunde gelegt wird – es handelt sich um die moralepistemologische Begründungsebene (im Rahmen der dritten ethischen Grundfrage) –, ist nun folgende: Erstens ist die Philosophie mit ihrer problemorientierten Methodologie sehr gut geeignet, mit wissenschaftlicher Sorgfalt 1095 1096 1097 1098 1099 1100 1101 146 Der Kritische Rationalismus lässt das Induktionsprinzip, nicht aber das Empirismusprinzip fallen. Das heisst: Obschon beim Kritischen Rationalismus Theorien mithilfe von metaphysischen oder intuitiven Annahmen und nicht durch induktive Schlussfolgerungen entstehen, gilt, dass die Anerkennung wissenschaftlicher, nichtwissenschaftlicher oder philosophischer Theorien allein auf Beobachtungen und Experimenten beruht. (Vgl. H.-J. Niemann: „Empirismusprinzip“, in: Lexikon des Kritischen Rationalismus, a.a.O., S. 75f) Vgl. J. Habermas: „Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik“, in: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 13. Auflage, Frankfurt a. M. 1989, S. 175 Vgl. T. S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a.a.O., S. 157f Vgl. H. Steinmann: „Die Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft“, in: Betriebswirtschaftslehre als normative Handlungswissenschaft, a.a.O., S. 75 Vgl. H. Holweg: Methodologie der qualitativen Sozialforschung. Eine Kritik, Bern 2005, S. 11; 17-24, 188 Vgl. V. Gadenne: „Hat der kritische Rationalismus noch etwas zu lehren?“, in: Karl Poppers kritischer Rationalismus heute, a.a.O., S. 58 H. Esser: „Wie lebendig ist der Kritische Rationalismus?“, in: Soziologische Revue. Besprechungen neuer Literatur, Jg. 24, Heft 3 (2001), S. 273 Problemlösungen für einen spezifischen Bereich wie Management zu entwickeln. Zweitens gehört es zum Selbstverständnis dieser Philosophie, dass Probleme mithilfe der Erkenntnisse der empirischen Wissenschaften gelöst werden. Drittens lehnt diese Philosophie die sprachanalytische Methode – als Selbstzweck – ab, mit der Konsequenz, dass der Fokus nicht auf die Begriffsanalyse, sondern auf die Lösung von sich aufdrängenden Problemen gelegt werden kann. Viertens kann die Philosophie des Kritischen Rationalismus mit ihren Grundwerten: Gleichheit, Freiheit, Hilfe für die Schwachen sowie persönliche Verantwortung, die allesamt als gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte aufgefasst werden dürfen, in ausgezeichneter Weise als philosophische Grundlage für die Entwicklung einer ethischen Theorie verwendet werden. 14 Die problemorientierte philosophische Management-Ethik auf der Grundlage des Kritischen Rationalismus Die Entwicklung einer problemorientierten philosophischen Management-Ethik auf der Grundlage des Kritischen Rationalismus geschieht in sieben einzelnen Unterkapiteln: Im ersten Unterkapitel wird auf der Basis des gewählten philosophischen Standpunktes eine sorgfältige Problemanalyse erarbeitet. Das Ergebnis dieser Problemanalyse wird eine Aufgabenstellung sein, zu deren Erfüllung im zweiten Unterkapitel die entsprechenden Ziele festgelegt werden. Im dritten Unterkapitel geht es dann darum, hinsichtlich dieser Zielvorgaben adäquate ethische Prinzipien zu entwickeln, während im vierten Unterkapitel deren Anwendungsvoraussetzungen sichergestellt werden. Im fünften Unterkapitel wird an die Adresse der Unternehmensverantwortlichen eine theoretische Motivationsleistung erbracht, die aufzeigen soll, weshalb es für die Unternehmen von grosser Wichtigkeit ist, sich für die Annahme und Durchsetzung dieser ethischen Theorie zu entschliessen. Abgeschlossen werden die Ausführungen mit einer abschliessenden Klarstellung des Verhältnisses zwischen Ethik und Ökonomie sowie einer schematischen Darstellung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik. 14.1 Das Problem als Ausgangspunkt „Ich denke, daß es letztlich nur den einen Weg zur Wissenschaft oder zur Philosophie gibt: daß Sie auf ein Problem stoßen, seine Schönheit erkennen, sich darein verlieben; mit dem Problem dann geradezu verheiratet sind und glücklich mit ihm leben, sozusagen ›bis daß der Tod euch scheidet‹, – es sei denn, Sie stoßen auf ein anderes, noch faszinierenderes Problem oder Sie hätten tatsächlich eine Lösung gefunden. Aber selbst wenn Sie eine Lösung gefunden haben: Zu Ihrer Freude werden Sie vielleicht bald entdecken, daß es eine ganze Familie von bezaubernden, wenn auch möglicherweise schwierigen Problemkindern gibt, für deren Wohlergehen Sie arbeiten können, mit einem Ziel vor Augen, bis an das Ende Ihrer Tage.“ 1102 Nach Popper besteht das Faszinierende und Herausragende an der wissenschaftlichen und philosophischen Tätigkeit in der Entdeckung von Problemen und der Arbeit an diesen. Während die Problemlösungsversuche häufig bloss einen episodischen Charakter haben – und überhaupt von der Problemstellung abhängen –, überdauern Probleme nicht selten mehrere Generationen von Menschen. Das Ziel dieses Unterkapitels besteht nun darin, mithilfe einer sorgfältigen Problemanalyse dem teleologischen System als Element der problemorientierten philosophischen Management-Ethik eine von ihr zu lösende Aufgabe vorzugeben. Das Vorhaben ist in fünf Abschnitte gegliedert: Im ersten Abschnitt werden gravierende moralische Problemphänomene aufgezeigt, im zweiten folgen soziologische Untersuchungen mit Blick auf den Wirtschaftsbereich, so dass im dritten Abschnitt ein vorläufiges Problemverständnis für die aufgezeigten moralischen Problemphänomene dargelegt werden kann. Der vierte Abschnitt gilt den erkenntnistheoretischen Überlegungen, bevor dann zum 1102 K. R. Popper: Realismus und das Ziel der Wissenschaft, a.a.O., S. 6f 147 Abschluss eine akzentuierte Problemstellung im Sinne einer Aufgabe an das teleologische System expliziert wird. 14.1.1 Moralische Problemphänomene Bei den Überlegungen im Zusammenhang mit der kritisch-rationalen Metaethik wurde bereits erwähnt, dass die Feststellung von Problemen mit bestimmten Wertvorstellungen koinzidiert. Aus der Sicht der Philosophie des Kritischen Rationalismus und dessen moralischen Grundwerten: Gleichheit, Freiheit, Hilfe für die Schwachen und persönliche Verantwortung gelangen Phänomene wie Arbeitslosigkeit, Armut, Gesundheitsgefährdung, Zerstörung der Umwelt, politische Instabilität, Wirtschaftskriminalität, Anstrengungen der Neuroökonomie-Neuromarketing sowie Megafusionen ins Blickfeld, und zwar nicht im Sinne von hinzunehmenden Tatsachen, sondern als äusserst bedenkliche moralische Problemkomplexe, gegen deren gravierende Auswirkungen wir sehr wohl etwas unternehmen können – und auch sollen. Weil diese, eng mit der Philosophie des Kritischen Rationalismus zusammenhängenden, moralischen Problemphänomene allesamt im Kontext des kapitalistischen Marktwirtschaftssystem gesehen werden, geht es im Folgenden darum, empirische Belege zu liefern, die nicht nur die Probleme bestätigen, sondern gar deren Verschärfung. Im Übrigen ist mit dieser Problem-Nennung nicht gemeint, dass es im Kontext des Wirtschaftssystems keine anderen Probleme gibt. Vielmehr soll die Wahl dahingehend verstanden werden, dass diese Problemphänomene hinsichtlich der moralischen Grundwerte der hier vertretenen Philosophie besonders schwerwiegend sind. 14.1.1.1 Arbeitslosigkeit Die offizielle Arbeitslosigkeit ist in den letzten 10 Jahren weltweit um 25 Prozent gestiegen und hat im Jahre 2008 die Zahl von 190 Millionen Menschen erreicht. 1103 Dabei fällt auf, dass trotz guter Konjunktur in den letzten Jahren die absolute Zahl arbeitsloser Menschen grösser und die Arbeitslosenquote nur geringfügig (-0.1 Prozent) kleiner wurde. 1104 Wegen der aktuellen Finanzund Wirtschaftskrise kann die Zahl arbeitsloser Menschen bis Ende 2009 gar um insgesamt 40 Millionen höher sein. 1105 Neben den Konjunkturzyklen zeigen sich die laufenden Produktivitätssteigerungen als das Hauptproblem: „Productivity levels increased more than employment levels, also a repeating trend from earlier years.“ 1106 Von einer eigentlich dramatischen Situation muss bei den Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren gesprochen werden, machen diese doch weltweit etwa die Hälfte aller Arbeitslosen aus. 1107 Mit 2 Millionen jungen Menschen ohne Arbeit bzw. einer Quote von 18 Prozent grassiert das Monster „Jugendarbeitslosigkeit“ in den EU-Ländern zwar etwas schwächer1108, dafür sind die Auswirkungen in diesen Regionen wegen der damit verbundenen fehlenden sozialen 1103 1104 1105 1106 1107 1108 148 Vgl. Ch. Butz und O. V. Pictet: Belohnt die Börse die Schaffung von Arbeitsplätzen? Entwicklung der Mitarbeiterzahl als Indikator für die „Soziale Verantwortung“ von Firmen und finanzielle Konsequenzen einer darauf ausgerichteten Anlagestrategie, Pictet & Cie., Genf 2006, S. 8 [www.ethosfund.ch~, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. International Labour Office (ILO): Global Employment Trends. January 2009, S. 24 [www.ilo.org~, Veröffentlicht: Januar 2009, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. a.a.O.,, S. 15f Vgl. International Labour Organization (ILO): Global Employment Trends January 2008, S. 9 [www.ilo.org~, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. Arbeitslosigkeit weltweit auf neuem Höchststand. ILO-Bericht über globale Beschäftigungstrends, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg 2006, S. 1 [www.doku.iab.de~, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. Ch. Butz und O. V. Pictet: Belohnt die Börse die Schaffung von Arbeitsplätzen?, a.a.O., S. 7 Anerkennung und Ausgrenzungsgefahr bedeutend gravierender1109. Die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit sind – nebst der fehlenden sozialen Anerkennung und Ausgrenzungsgefahr – kaum zu überschätzen. Zu Recht betont Amarty Sen die damit verbundene Einbusse an Selbständigkeit, Selbstvertrauen sowie seelischer und körperlicher Gesundheit. 1110 Dass Arbeitslosigkeit kein Naturphänomen ist, sondern durchaus im Einflussbereich der Unternehmen liegt, zeigt sich anhand der vielen Beispiele, wo Arbeitsplätze allein zwecks besseren Kostenstrukturen abgebaut werden, obschon die Unternehmen nicht selten über Vermögen in Milliardenhöhe verfügen oder aber das Top-Management selbst Binsenwahrheiten nicht berücksichtigt, so dass schliesslich Tausende von Mitarbeitern entlassen werden müssen 1111. 14.1.1.2 Armut Nach dem österreichischen Regisseur Erwin Wagenhofer werfen die Menschen in Wien mehr Brot weg, als in Graz täglich gegessen wird. 1112 Und gleichzeitig sterben der Schätzung nach pro Tag weltweit 15'000 Kinder an den Folgen von Unterernährung. 1113 Armut hängt zwar eng mit Arbeitslosigkeit zusammen, aber nicht nur, wie 1.4 Milliarden Menschen – das sind ungefähr 50 Prozent der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung – zeigen; denn diese sind trotz Erwerbstätigkeit nicht in der Lage, ihre Familien mit Einkünften von über zwei Dollars zu versorgen. 1114 Die Armut ist keineswegs nur auf die Entwicklungsregionen begrenzt. So ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den Vereinigten Staaten, die Armut heute grösser als vor 30 Jahren. 1115 Nach The Nation ist die Zahl armer, aber arbeitenden Menschen grösser als 30 Millionen: „More than 30 million Americans – one in four workers – are stuck in low-wage jobs that do not provide the basics for a decent life.“ 1116 Auch in den Ländern der Europäischen Union zeigt sich seit den letzten zehn Jahren der Trend zu einem grösseren Armutsrisiko. 1117 Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung hat sich im Weiteren gezeigt, dass die relativen Armutsraten 1118 der neu dazugekommenen Staaten gegenüber den „alten“ Ländern eher klein sind, die Probleme in Bezug auf soziale Ausgrenzung, Armut und die ungenügende Lebensbedingungen sich jedoch im Zuge der EU-Integration eher verschärfen. 1119 Und selbst in der reichen Schweiz ist Working Poor längst kein Randphänomen mehr. Die Berner Kantonsregierung hat dem Parlament einen Bericht zu den Kosten der Sozialhilfe vorgelegt. Erstaunt hat dabei der hohe Anteil von Working Poor unter den Sozialhilfeempfängern, nämlich 32 Prozent. 1120 Das 1109 1110 1111 1112 1113 1114 1115 1116 1117 1118 1119 1120 Vgl. M. Kronauer: Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Frankfurt a. M. 2002, S. 166 Vgl. A. Sen: Ökonomie für den Menschen, a.a.O., S. 33 Vgl. A. Johann: „Subprime-Krise zwingt UBS zu Entlassungen“, Wirtschaftsblatt [www.wirtschaftsblatt.at~, Veröffentlicht: 01.10.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. We feed the world, Wien 2005 [www.we-feed-the-world.at/film.htm, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. G. Phillips: “Fight Hunger, Join the Walk”, Unicef, Kuala Lumpur 2006 [www.unicef.org~, Veröffentlicht: 21.05.2006, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. Arbeitslosigkeit weltweit auf neuem Höchststand, a.a.O., S. 1 Vgl. R. Dunifon: „Poverty and Policy in the United States During the 1990’s“, in: Die Armut der Gesellschaft, Hrsg. von E. Barlösius und W. Ludwig-Mayerhofer, Opladen 2001, S. 226 B. Shulman: „Working and Poor in the USA“, The Nation [www.thenation.com~, Veröffentlicht: 22.01.2004, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. Europäische Kommission: Die soziale Lage in der Europäischen Union. 2004 Kurzfassung, Brüssel 2004, S. 11f [www.ec.europa.eu~, Zugriff: 29.04.2009] Relative Armutsraten beziehen sich auf durchschnittliche Einkommenswerte. Die absolute Armut dagegen bedroht die physische Existenz; dies ist nach der World Health Organization (WHO) dann der Fall, wenn weniger als 1 Dollar pro Tag ausgegeben werden kann. (Vgl. Glossary: „absolute poverty“, World Health Organization [www.who.int~,Zugriff: 29.04.2009]) Vgl. Die soziale Lage in der Europäischen Union, a.a.O., S. 15 Vgl. mjm./sda: „Viele Working Poor im Kanton Bern. Viele beziehen Sozialhilfe und arbeiten voll“, NZZOnline [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 27.01.2009, Zugriff: 29.04.2009] 149 heisst: Jede dritte Person, die im Kanton Bern Sozialhilfe empfängt, geht einer Tätigkeit nach, wovon 42 Prozent gar voll erwerbstätig sind. 1121 Nicht weniger bedenklich ist die Feststellung, dass in Krisenzeiten Tiernahrung besonders hohe Verkaufszuwächse erzielt. Der Verdacht: „Das Futter landet nicht nur in den Näpfen von Hunden und Katzen.“ 1122 Nach Amarty Sen gibt es gute Gründe dafür, „Armut als Mangel an fundamentalen Verwirklichungschancen zu betrachten und nicht bloß als zu niedriges Einkommen. Ein Mangel an Verwirklichungschancen kann sich in niedriger Lebenserwartung, schwerer Unterernährung (vor allem bei Kindern), chronischen Krankheiten, weitverbreiteten Analphabetismus und anderen Nöten niederschlagen.“ 1123 Und sogar zu einer körperlichen Verstümmlung führen, wie uns schockierende Berichte über den blühenden Organhandel in Indien zeigen. 1124 Angesichts der beinahe unglaublichen Tatsache, dass 10 Prozent der reichsten Menschen 85 Prozent des Weltvermögens gehören, während sich die ärmere Hälfte der Menschen gerade mal mit 1 Prozent zu begnügen hat1125, muss auch dieses Phänomen in erster Linie als ein durch die Menschen verursachtes, damit aber auch veränderbares Problem gesehen werden. 14.1.1.3 Gesundheitsgefährdung Nach der WHO haben prekäre sozialökonomische Lebensbedingungen wie Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Ausgrenzung und mangelnde Wohnbedingungen einen grossen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. 1126 Immer mehr stellt sich aber auch heraus, dass die Gesundheit direkt durch die Arbeit gefährdet ist. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen führte im Jahre 1990, 1995 und 2000 bei über 21'000 Menschen repräsentative Umfragen in allen EU-Ländern durch. 1127 Laut dem Bericht Third European Survey on Working Conditions konnten trotz politischer Bemühungen weder in Bezug auf die Risikofaktoren noch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen gegenüber früheren Untersuchungen Verbesserungen festgestellt werden 1128, wobei nach der subjektiven Wahrnehmung der Befragten die Gesundheitsprobleme eindeutig durch das hohe Arbeitstempo verursacht sind. 1129 Insgesamt 42 Prozent der Befragten glauben nicht, ihre Tätigkeit bis zum Alter von 60 Jahren ausüben zu können. 1130 Wie dramatisch Arbeitsbedingungen sein können, zeigt die neue RenaultKonzernleitung; ihre Zielsetzungen führten zu mehreren Selbsttötungen, „die mindestens zum Teil auf Arbeitsüberlastung zurückzuführen sind“ 1131. Auch nicht gerade von einer hohen Rücksichtnahme auf die Gesundheit kann gesprochen werden, wenn ein Geschäftsführer gesucht wird, der als leitende Führungsperson explizit 15 Stunden täglich erreichbar sein muss. 1132 Nebst den körperlichen Gesundheitsproblemen zeigen sich immer mehr auch psychosomatische Beschwerden. 1133 Christina Maslach und Michael P. Leiter sind seit mehr als 20 Jahren führend in 1121 1122 1123 1124 1125 1126 1127 1128 1129 1130 1131 1132 1133 150 Vgl. a.a.O. R. Mayer: „Das Rätsel um den Boom beim Hundefutter“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Veröffentlicht: 08.04.2009, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. A. Sen: Ökonomie für den Menschen, a.a.O., S. 32 Vgl. T. Schmitt: „Eine Niere für 500 Euro“, Spiegel Online [www.spiegel.de~, Veröffentlicht: 13.06.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. M. R. Krätke: „Die Armen und die Superreichen“, Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung [www.Freitag.de~, Veröffentlicht: 12.01.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. World Health Organization (WHO), Regional Office for Europe, Socioeconomic determinants of health [www.euro.who.int~, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. A. Hillert und M. Marwitz: Die Burnout Epidemie oder Brennt die Leistungsgesellschaft aus?, München 2006, S. 213 Vgl. a.a.O., S. 213 Vgl. a.a.O., S. 213 Vgl. a.a.O., S. 214 S. Brändle: „Suizide: Renault-Chef gerät unter Druck“, in: Neue Luzerner Zeitung, Ausgabe: 25.10.2007, S. 15 Vgl. Stelleninserat: „Geschäftsführer als Partner des CEO“, in: Neue Zürcher Zeitung. NZZexecutive, Ausgabe: 13./14.10.2007, S. e 7 Vgl. A. Hillert und M. Marwitz: Die Burnout Epidemie oder Brennt die Leistungsgesellschaft aus?, a.a.O., S. 215 der Erforschung von Burnout und sehen diese immer weiter grassierende Krankheit in einem direkten Zusammenhang mit unserem Wirtschaftssystem: „Die Wurzeln des Problems liegen in den wirtschaftlichen Trends, der Technologie und der Management-Philosophie.“ 1134 Dem weitverbreiteten Einwand, dass Burnout selbst verschuldet sei, stellen sich die Autoren dediziert entgegen: „Aber unsere Forschungen haben zu einem völlig gegensätzlichen Resultat geführt. Unsere umfassenden Studien haben ergeben, dass Burnout nicht das Problem der Menschen selbst ist, sondern das Problem des sozialen Umfeldes, in dem Menschen arbeiten. (…) Wenn das Arbeitsumfeld die menschliche Seite der Arbeit nicht berücksichtigt, dann steigt das Risiko von Burnout und ein hoher Preis ist dafür zu bezahlen.“ 1135 14.1.1.4 Umweltzerstörung Am 2. Februar 2007 hat das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) die Zusammenfassung seines nach 1990, 1995 und 2001 vierten Berichtes über die Klimaveränderungen der Öffentlichkeit vorgestellt. Erstmals wurde in diesem Bericht in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die beobachteten Veränderungen der Atmosphäre, der Weltmeere und des Verlustes von Packeis nicht allein auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden können, sondern durch die Menschen verursacht sind. 1136 Die Autoren präsentieren sechs Szenarien, um einen Eindruck von der weiteren Erwärmung der Atmosphäre – hervorgerufen durch Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) oder Methan – vermitteln zu können: Im besten Fall kann von einer weiteren Erwärmung bis 2100 von 1.1 bis 2.9 Grad Celsius ausgegangen werden, im schlimmsten Fall beträgt sie 2.4 bis 6.4 Grad und am wahrscheinlichsten liegt die Spannbreite zwischen 1.7 und 4 Grad Celsius. 1137 In Bezug auf den Meeresspiegel bedeutet dies: Er wird im besten Fall um 18 bis 38 Zentimeter, im schlimmsten Fall aber um 26 bis 59 Zentimeter steigen. 1138 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass diese Veränderungen vielen Menschen, zum Beispiel Inselbewohnern, unvorstellbar grosses Elend und Leid zufügen werden. Welch grossen Einfluss das Wirtschaftssystem auf die Umweltzerstörung haben kann, zeigt sich am „Wirtschaftswunder“ China: 16 der 20 am meisten luftverschmutzten Metropolen befinden sich in diesem Land, 80 Prozent der Fabriken liegen an den Wasserstrassen oder in dicht besiedeltem Gebiet, während über 700 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. 1139 Angesichts dieser dramatischen Lage kann es kaum erstaunen, dass in China die häufigste Todesursache Atemerkrankungen sind und 90 Prozent des Graslandes von der Austrocknung und Versandung bedroht ist. 1140 14.1.1.5 Politische Instabilität Die Auswirkungen politischer Instabilitäten sind mit den terroristischen Anschlägen in der jüngsten Zeit eindrücklich in unser Bewusstsein eingedrungen. Zu denken geben sollten aber auch viel weniger bedeutende Ereignisse. Fussballfans werden am Bahnhof von Polizeitruppen in 1134 1135 1136 1137 1138 1139 1140 Ch. Maslach und M. P. Leiter: Die Wahrheit über Burnout. Stress am Arbeitsplatz und was Sie dagegen tun können, Wien 2001, S. 2 A.a.O., S. 20 Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC): Climate Change 2007. Synthesis Report. Summary for Policymakers, Geneva 2007, S. 5 [www.ipcc.ch~, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. a.a.O., S. 13f Vgl. a.a.O., S. 8 Vgl. M. Machnig: „Das China-Syndrom“, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit [www.bmu.de~, Veröffentlicht: 29.08.2006, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. H. Maass: „Zerstörendes Wachstum“, Der Tagesspiegel [www.tagesspiegel.de~, Veröffentlicht: 07.06.2006, Zugriff: 29.04.2009] 151 Empfang genommen, damit sie direkt in die von der Polizei zu eskortierenden Autobusse verfrachtet und, nach Ankunft beim Fussballstadion, in die eigens für die Gäste vorgesehenen abgetrennten Gittergehege eingesperrt werden können. Von daher ist das Sicherheitsdispositiv für die EURO 08 1141, bestehend aus 16'000 Polizisten, 15'000 Soldaten, unzähligen, rund um die Uhr bereitstehenden Personen privater Sicherheitsfirmen, 80 Szeneninsidern, die Namen und Daten von Hooligans sammeln, 68 Kampfjets sowie 24 den nationalen Luftraum abriegelnden Aufklärungsdrohnen bloss die nachvollziehbare Konsequenz. Im Januar 2008 haben militante WEF-Gegner in Basel, unter dem Slogan: Kampf dem WEF, nieder mit der herrschenden Ordnung, mehrere Luxusautos angezündet und bei einer Bankfiliale sämtliche Schaufenster zertrümmert 1142, während ein paar Tage vorher in Bern, anlässlich einer unbewilligten WEF-Demonstration, 200 Personen zwischenzeitlich verhaftet werden mussten 1143. Die Beispiele, die Hinweise auf einen zunehmenden Zerfall des sozialen Zusammenhalts hinweisen, könnten leicht ergänzt werden, so etwa mit dem Phänomen „Komma-Saufen“. Wenigstens wird hier – ausnahmsweise – konstatiert, dass die Ursachen geklärt werden müssen; denn „wirklich bekämpfen können wir das ‚Koma-Saufen‘ nur, wenn wir die Frage nach dem ‚Warum?‘ klären.“ 1144 14.1.1.6 Wirtschaftskriminalität Im Jahre 2005 wurde der US-Pharmakonzern Merck zu einem Schadenersatz von 253 Millionen US-Dollar wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Einführung des Medikamentes Vioxx verurteilt. 1145 Um fast 27‘000 weitere Klagen abzuwehren, bezahlte der Konzern weitere 4.85 Milliarden US-Dollar – nach der Einnahme des Medikamentes während 18 Monaten verdoppelte sich das Herzinfarktrisiko der Patienten. 1146 Im Jahre 2007 musste der Pharmariese Roche einem Konsumenten einen Schadenersatz von 2.5 Millionen US-Dollar wegen nicht ausreichenden Informationen über die schweren Nebenwirkungen des Akne-Medikaments Accutane bezahlen. 1147 Der Pharmakonzern Octapharma hat den Preis des kassenpflichtigen Produktes Octagam ohne Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) um 30 Prozent erhöht und damit illegal gehandelt. 1148 Weil Octapharma den Schweizer Markt mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent in diesem spezifischen Bereich beherrscht und die Patienten dringend auf das Medikament angewiesen sind, werden die Spitäler bzw. die Bürger diese Preiserhöhungen übernehmen müssen. Vor einigen Monaten hat der Staat Nigeria den Pharmariesen Pfizer auf knapp 7 Milliarden Dollar verklagt. 1149 Nigeria wirft dem Unternehmen vor, während einer MeningitisEpidemie das nicht zugelassene Medikament Trovan getestet zu haben, wodurch mehrere Kinder gestorben seien und viele andere irreversible Gesundheitsschäden erlitten hätten. 1150 Um einen 1141 1142 1143 1144 1145 1146 1147 1148 1149 1150 152 Vgl. „EURO 2008 - Sicherheit“, SF Schweizer Fernsehen [www.sf.tv~, Aktualisiert: 03.11.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. smw/sda: „WEF-Gegner bekennen sich zu Brandanschlägen“, news.ch [www.news.ch~, Aktualisiert: 24.01.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. AP: „200 Festnahmen an der Anti-WEF-Demo in Bern“, 20 Minuten [www.20min.ch~, Aktualisiert: 19.01.2008, Zugriff: 29.04.2009] G. Lachmann: „Alkoholverbot. Schluss mit dem Koma-Saufen!“, Welt Online [www.welt.de~, Veröffentlicht: 13.03.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. afp: „Vioxx: Merck zu 253 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt“, Deutsches Ärzteblatt [www.aerzteblatt-studieren.de~, Veröffentlicht: 22.04.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. „Merck zahlt fast fünf Milliarden Dollar an Vioxx-Opfer“, 123recht.net [www.123recht.net~, Veröffentlicht: 09.11.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. „Roche wegen Akne-Mittel verurteilt“, Swissinfo.ch [www.swissinfo.ch~, Veröffentlicht: 30.05.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. „Pharmafirma: Illegales Preis-Diktat“, SF Schweizer Fernsehen. Kassensturz [www.sf.tv~, Veröffentlicht: 17.04.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. HB ABUJA: „Medikamententest mit tödlichem Ausgang. Nigeria verklagt Pfizer auf Milliarden“, Handelsblatt [www.handelsblatt.com~, Veröffentlicht: 05.06.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. a.a.O. hohen Proteingehalt vorzutäuschen, haben Bauern, Milchsammelstellen oder Milchpulverhersteller in China ihre Milchprodukte mit der Chemikalie Melamin, das normalerweise für Kunstharze, Putzmittel und Leime zur Anwendung gelangt und als Lebensmittelzusatz streng verboten ist, gepantscht. 1151 Mehrere Kinder sind mittlerweile an den Folgen gestorben und Hunderttausende erkrankt. Der Discounter Lidl muss eine Busse von 1.5 Millionen Euro wegen systematischer Bespitzelung seiner Mitarbeiter in über 900 Filialen bezahlen. 1152 Beauftragte Detektive führten Protokoll, wann und wie oft Mitarbeiter die Toilette aufsuchen, wer mit wem möglicherweise liiert ist oder wer nach der Ansicht der Überwacher unfähig, introvertiert und naiv wirkt. Ein ähnliches Vergehen hat die Deutsche Bahn begangen, indem sie ohne Beteiligung und Information des Betriebsrates unrechtmässige Datenscreenings bei 170‘000 Beschäftigten durchführte. 1153 Dabei sind mehrere Male die Adressen und Bankverbindungen der Beschäftigten mit den Daten von Lieferanten abgeglichen worden – zur Abwehr von Korruption, so wird offiziell argumentiert. Weil die amerikanische Handelskette Wal-Mart gegen die Gesetze des Staates Pennsylvania verstossen hat, muss sie die Summe von 78.5 Millionen Dollar Schadenersatz bezahlen. 1154 An der Sammelklage haben sich 187‘000 aktuelle und ehemalige Beschäftigte beteiligt, die wöchentlich ohne Bezahlung bis zu zwölf Stunden Mehrarbeit leisten mussten. Das Unternehmen wurde bereits zweimal durch Gerichte in Kalifornien und Colorado zu Schadenersatzzahlungen von mehr als 220 Millionen Dollar verurteilt. 1155 Nestlé will den Durst armer Menschen mit dem Flaschenwasser Pure Life stillen. Nachdem der Nahrungsmittelkonzern den französischen Getränkehersteller Perrier übernommen und die Pump- und Abfüllanlagen massiv ausgebaut hatte, zeigten sich beim brasilianischen Kurort São Lourenço gravierende Probleme: „Eine Quelle versiegte. Aus den anderen Quellen fliesst weniger Wasser, und der Geschmack der Mineralwässer hat sich verändert. Im Boden zeigen sich Risse. Auf dem Fabrikareal sterben Bäume.“ 1156 Nestlé musste die Quelle für Pure Life in São Lourenço definitiv schliessen und einen Schadenersatz bezahlen, nachdem bekannt geworden war, dass das Unternehmen illegal einen 150 Meter tiefen Schacht ausgehoben hatte und dadurch den Grundwasserspiegel zum Nachteil der einheimischen Bevölkerung beschädigte. 1157 Die Liste der fehlbaren unternehmerischen Handlungen liesse sich ohne Schwierigkeiten fast beliebig erweitern. Nach Günter Janke erweist sich insbesondere „ein aggressiver Wettbewerb, dessen Formen und Instrumente zwischen traditionellem Handeln und Wirtschaftskrieg oszillieren“ 1158 als ein idealer Nährboden für Wirtschaftskriminalität. Seiner Ansicht nach wird Wirtschaftskriminalität als eine Form des Handelns ohne ethisches Fundament ein beängstigend aktuelles Thema bleiben und für die Unternehmen sogar zum grössten Risiko werden. 1159 1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157 1158 1159 Vgl. pfi: „Ein Milchpulver-Skandal erschüttert China“, NZZOnline [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 16.09.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. sda/rtd: „Bespitzelung: Lidl muss 1,5 Millionen Euro zahlen“, Tagblatt [www.tagblatt.ch~, Veröffentlicht: 11.09.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. ap: „Chef der Deutschen Bahn entschuldigt sich. ‹‹Bedauern›› wegen Bespitzelung“, NZZOnline [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 06.02.2009, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. tim/Reuters: „Wal-Mart muss früheren Mitarbeitern 80 Millionen Dollar zahlen“, SpiegelOnline [www.spiegel.de~, Veröffentlicht: 14.10.2006, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. a.a.O. R. Berger: „Nestlés Geschäft mit dem ‹‹reinen Leben››“, TagesAnzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Veröffentlicht: 10.10.2005, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. „Niederlage für Nestlé in Brasilien“, Informationsplattform humanrighst.ch [www.humanrights.ch~, Aktualisiert: 16.06.2006, Zugriff: 29.04.2009] G. Janke: Kompendium Wirtschaftskriminalität, Frankfurt a. M. 2008, S. 289 Vgl. a.a.O., S. 289 153 14.1.1.7 Anstrengungen der Neuroökonomie-Neuromarketing Nach dem von Erich Gutenberg prominent vorgegebenen Grundsatz (vgl. S. 83) soll die Betriebswirtschaftslehre mithilfe ihrer Forschung den Unternehmen Erkenntnisse zur Verfügung stellen, um mit dem kleinstmöglichen Risiko eine höchstmögliche Kapitalrendite zu erzielen. Und dabei zeigt sich für die Unternehmen ein zentrales Problem, nämlich die Unsicherheit im Absatz der eigenen Produkte und Dienstleistungen. Ist es angesichts dieser Situation verwunderlich – so fragt Gutenberg anlässlich einer akademischen Festrede im Jahre 1957 –, „daß sich die betriebswirtschaftliche Forschung mit Energie in alle Bestrebungen einschaltete, die das ‚Unberechenbare‘ der wirtschaftlichen Vorgänge so weit wie möglich berechenbar machen wollten?“ 1160 Deshalb ist es nach Gutenberg auch verständlich, „daß sich die Betriebswirtschaftslehre intensiv mit der Frage beschäftigt hat, wie die Verhältnisse und Entwicklungstendenzen im Absatzraum der Unternehmen durchsichtiger gemacht werden könnten, um die voraussichtliche Entwicklung sicherer abschätzen und die eigenen absatzpolitischen Maßnahmen erfolgreich kontrollieren zu können.“ 1161 Dem vollumfänglich entsprechend sind in den letzten Jahrzehnten verhaltenstheoretische, psychologische und soziologische Erkenntnisse in die Marketingstrategien eingeflossen, so dass Bücher über die Kunst skrupelloser Verkaufsmanipulationen offensichtlich einem wirklichen Bedürfnis entsprechen1162. Grit Hein und Christoph Henning stellen (kritisch) fest: Was in den 1950er Jahren noch einen Skandal hervorrief, nämlich die Aussage, „dass die Menschen durch eine fachpsychologisch angeleitete Werbung unbewusst gesteuert würden, dies wird heute, als wäre nichts dabei, als Grundvoraussetzung eines erfolgreichen Marketings genannt“ 1163. Seit einigen Jahren haben sich mit Neuroökonomie und Neuromarketing – Letzteres ist ein Teilgebiet der Neuroökonomie – Disziplinen herausgebildet, die die Erkenntnisse der Gehirnforschung für ökonomische Zwecke fruchtbar zu machen versuchen. Wolfgang Ullrich betont, dass die Konsumgesellschaft in diesem Sinne zu einem wichtigen Motor für die Erforschung des Menschen geworden ist und in Unternehmen – unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen! – mehr interdisziplinär gearbeitet wird als in den Universitäten. 1164 Und dabei geben sich Neuroökonomie und Neuromarketing nicht mehr mit dem (mehr oder weniger) rational handelnden Menschen zufrieden – dem homo oeconomicus –, vielmehr soll es ihnen „vorrangig gelingen, die automatischen, nicht bewussten Prozesse sichtbar zu machen, die den Anstrengungen der Psychologen in der Vergangenheit nur gar zu oft widerstanden haben.“ 1165 Anders gesagt: In anerkannten Experimenten soll der Nachweis erbracht werden, dass dem menschlichen Willensentschluss „hinreichend unbewußte neuronale Geschehnisse vorausgehen“ 1166. Das bedeutet: Es soll ein besseres Verständnis des Konsumentenverhaltens – als Reaktion auf Marketingstimuli – erreicht und das menschliche Gehirn als Organ der Kaufentscheidung begriffen werden, „um durch die Analyse der Hirnaktivitäten die Effizienz und Effektivität von Marketingmaßnahmen zu erhöhen.“ 1167 Noch prägnanter bringen Cornelia Hain, Peter Kenning und Marco Lehmann-Waffenschmidt das Ziel der neuroökonomischen Forschung auf den Punkt: „Ein erklärtes Ziel der neuroökonomischen Forschung ist die vollständige Erklärung des 1160 1161 1162 1163 1164 1165 1166 1167 154 E. Gutenberg: „Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft. Akademische Festrede, gehalten bei der Universitätsgründungsfeier am 22. Mai 1957“, in: in: Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, a.a.O., S. 19 A.a.O., S. 19 Vgl. G. Beck: Verbotene Rhetorik. Die Kunst der skrupellosen Manipulationen, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2006 G. Hein und Ch. Kenning: „Wahrnehmung im Gehirn. Limits, Optimierungen und ihre Implikationen für die Neuroökonomie“, in: Neuroökonomie. Neue Theorien zu Konsum, Marketing und emotionalem Verhalten in der Ökonomie, Marburg 2007, S. 119 Vgl. W. Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?, Frankfurt a. M. 2008, S.120f W. J. Koschnick: „Neuroökonomie und Neuromarketing. Eine Einführung in ein komplexes Thema“, in: FocusJahrbuch 2007. Schwerpunkt: Neuroökonomie, Neuromarketing und Neuromarktforschung, Hrsg. von W. J. Koschnick, München 2007, S. 8 G. Roth: „Worüber dürfen Hirnforscher reden - und in welcher Weise?“, in: Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, Hrsg. von Ch. Geyer, Frankfurt a. M. 2004, S. 72 W. J. Koschnick: „Neuroökonomie und Neuromarketing. Eine Einführung in ein komplexes Thema“, in: FocusJahrbuch 2007, a.a.O., S. 10 menschlichen Verhaltens in ökonomisch relevanten Situationen.“ 1168 Und wozu sollen die Erkenntnisse verwendet werden? Dazu Gerhard Raab, Oliver Gernsheimer und Maik Schindler: „Letztendliches Ziel des Neuromarketing ist es mithin, Verbraucher zielgerichtet zu Käufern zu machen und Marken nachhaltig im Konsumentengehirn zu manifestieren.“ 1169 Damit aber noch nicht genug: Hans J. Markowitsch fragt: „Was können Hirnforschung und Biopsychologie der Wirtschaft bieten?“ 1170 Seine erste von insgesamt zehn Antworten lautet: „Individuen sind in hohem Maße beeinflussbar, wobei eine ‚willentliche‘ Kontrolle (Abwehr) von Einflüssen höchstens teilweise möglich ist“ 1171. Mit anderen Worten: Die Menschen können beeinflusst werden, und zwar so, dass sie diese Beeinflussung höchstens teilweise verhindern können. Was antworten Hain, Kenning und Lehmann-Waffenschmidt auf kritische Fragen hinsichtlich der Manipulationsmöglichkeit? „Die bestehenden Sorgen in diese Richtung sind beim heutigen Stand der Forschung bis auf weiteres in der Tat vollständig unbegründet. Den bildgebenden Techniken gelingt es insbesondere (noch) nicht, Aufschluss über die Interaktion zwischen den verschiedenen aktivierten Neuronensystemen zu erlangen.“ 1172 Mit anderen Worten: Die Sorgen um die Möglichkeit von Manipulationen sind unbegründet, weil Letztere noch nicht möglich sind – aber nicht etwa deshalb, weil die Manipulationen nicht angestrebt werden! Von dem, was wir von der Neuroökonomie erwarten dürfen bzw. müssen, gibt uns Gerhard Roth einen – in kritischer Absicht geäusserten – Vorgeschmack; er sagt: „manche Versuchspersonen führen unter frei gestaltbaren Bedingungen (zum Beispiel beim Einkaufen) Willenshandlungen aus, die sie überhaupt nicht oder nicht in dieser Weise gewollt haben, behaupten aber anschließend, sich so verhalten zu haben, wie ursprünglich intendiert. Diese Untersuchungen zeigen, daß unsere Handlungsintentionen häufig den tatsächlichen Handlungen nachträglich angepaßt werden und Personen sich gelegentlich, wenn nicht gar häufig, fälschlich Handlungen zuschreiben können, die sie in Wirklichkeit gar nicht bewirkt haben.“ 1173 Oder mit den (ablehnend gemeinten) Worten von Grit Hein und Christoph Henning: „Wer nicht kaufen mag, soll kaufbereit gemacht werden, und zwar ohne dass er es merkt.“ 1174 Aber wohin führt das? Nach Douglas Rushkoff zum Wahnsinn: „Wenn wir aber nicht mehr über diese unsichtbare Hand nachdenken, die unser Beobachten und unser Handeln lenkt, dann laufen wir Gefahr, wahnsinnig zu werden.“ 1175 14.1.1.8 Megafusionen Multinationale Unternehmen werden immer grösser. Die weltweite Fusionstätigkeit hat sich gegenüber den frühen 1990iger Jahren vervielfacht und im Jahre 2000 die Zahl von 25‘000 Unternehmenszusammenschlüssen überschritten. 1176 Die Meldung des weltgrössten Pharmakonzerns Pfizer, der vor acht Jahren für 93.4 Milliarden das Unternehmen Warner-Lambert übernommen hat und nun im Januar 2009 verkündet, für 68 Milliarden Dollar den Konkurrenten 1168 1169 1170 1171 1172 1173 1174 1175 1176 C. Hain et al.: „Neuroökonomie und Neuromarketing. Neurale Korrelate strategischer Entscheidungen“, in: Neuroökonomie, a.a.O., S. 85 G. Raab et al.: Neuromarketing. Grundlagen – Erkenntnisse – Anwendungen, Wiesbaden 2009, S. 7 H. J. Markowitsch: „Neuroökonomie – wie unser Gehirn unsere Kaufentscheidung bestimmt“, in: Neuroökonomie, a.a.O., S. 12 A.a.O., S. 12 C. Hain et al.: „Neuroökonomie und Neuromarketing. Neurale Korrelate strategischer Entscheidungen“, in: Neuroökonomie, a.a.O., S. 98 G. Roth: „Worüber dürfen Hirnforscher reden - und in welcher Weise?“, in: Hirnforschung und Willensfreiheit, a.a.O., S. 75f G. Hein und Ch. Kenning: „Wahrnehmung im Gehirn. Limits, Optimierungen und ihre Implikationen für die Neuroökonomie“, in: Neuroökonomie, a.a.O., S. 120 D. Rushkoff: Der Anschlag auf die Psyche. Wie wir ständig manipuliert werden, Übers. von M. Baltes et al., Stuttgart und München 2000, S. 10 Vgl. J. Kleinert und H. Klodt: „Die fünfte Fusionswelle: Ausmaße und Hintergründe“, in: Megafusionen. Motive, Erfahrungen und wettbewerbspolitische Probleme, Hrsg. von P. Oberender, Berlin 2002, S. 9f 155 Wyeth aufzukaufen 1177, gehört schon beinahe zu den ganz normalen Wirtschaftsnachrichten. Pfizer wird nach dieser Übernahme einen geschätzten Jahresumsatz von 75 Milliarden Dollar erzielen, was etwa der Hälfte des Bruttosozialproduktes von Südafrika entspricht, das seinerseits das höchste von allen afrikanischen Staaten ist. Warum fusionieren Unternehmen? Nach den offiziellen Verlautbarungen geht es in erster Linie um die Senkung der Kosten, Realisierung von Synergien, Erreichung der optimalen Grösse im globalen Wettbewerb, Steigerung der Managementfähigkeiten, Verbesserung der Kapitalstruktur usf. Allerdings zeigen verschiedene empirische Studien, dass die erwarteten bzw. angekündigten Vorteile oft nicht realisiert werden. 1178 Nach Oliver Budzinski und Wolfgang Kerber gilt für Megafusionen sogar, „dass deutlich weniger als die Hälfte die erhofften Synergieeffekte erbringen. Bis zu 70 Prozent der realisierten Großfusionen führen gar zu einer Verschlechterung der betriebswirtschaftlichen Effizienz“ 1179. Das zwar meistens nicht ausgesprochene, aber vielleicht gerade deshalb umso wichtigere Fusionsmotiv ist die Vergrösserung der Marktmacht – wenn Unternehmen fusionieren, dann geht die Zahl der in einem Markt tätigen Unternehmen zurück. Auch sollten die Eigeninteressen der Geschäftsleitung und des Managements nicht unterschätzt werden; denn häufig hängen deren Einkommen direkt mit der Unternehmensgrösse, dem Umsatz und Wert des Unternehmens zusammen. Im Übrigen erhalten Manager keineswegs selten fürstliche Abfindungen für das Ausscheiden nach gelungener Fusion. Nach Budzinski und Kerber weist die Harvard Schule auf die Gefahren hin, die durch die steigende Unternehmenskonzentration und die damit zusammenhängende Zunahme von Marktmacht für das Gemeinwohl entstehen. 1180 Die Verringerung der Innovationstätigkeit, die Abnahme der Produkte-Vielfalt, der Abbau von Arbeitsplätzen, kapitalintensive und durchdringende Marketingkampagnen sowie strategisches, aber auch grosszügiges Lobbying oder der Aufbau von Markteintrittsbarrieren zur Verhinderung neuer Konkurrenten sind dabei mehr oder weniger bekannte negative Aspekte. Eher weniger bekannt ist hingegen, dass Megafusionen in aller Regel zu Preissteigerungen in den betreffenden Märkten führen. Nach Kleinert und Todt sind die Preissteigerungstendenzen dann besonders ausgeprägt, „wenn die jeweiligen Unternehmen schon vor der Fusion über hohe Marktanteile verfügen, wie dies für zahlreiche Megafusionen typisch ist.“ 1181 Damit aber noch nicht genug: Unternehmens-Giganten benutzen ihre Macht für adäquate Rahmenbedingungen mit Blick auf die Gewinnmaximierung. Der CEO der Novartis sagt: „Wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen würden, könnten wir den Firmensitz sofort verlegen. Jeder Konzern ist verpflichtet, Alternativen zu haben.“ 1182 Last but not least zeigt die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise in erschreckender Weise, dass strauchelnde Giganten – weil too big to fail – mithilfe von Steuergeldern vor dem Kollaps gerettet werden (müssen), und zwar selbst dann, wenn die Managements eine betriebswirtschaftlich ungenügende Leistung erbracht und sich dabei auch noch exorbitante fixe und variable Gehälter ausbezahlt haben. 14.1.2 Soziologische Untersuchungen Die als Ausgangspunkt der Problemanalyse vorgestellten moralischen Problemphänomene stehen allesamt im Kontext des vorherrschenden Wirtschaftssystems in den entwickelten Ländern. Mit dieser Feststellung ist weder die Ursache der Probleme noch die Schuldfrage geklärt, sondern lediglich auf die Tatsache verwiesen, dass die Wirtschaftsakteure (das sind vor allem 1177 1178 1179 1180 1181 1182 156 ap/sda: „Pfizer kauf Konkurrenten Wyeth für 68 Milliarden Dollar“, NZZ Online [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 26.01.2009, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. J. Kleinert und H. Klodt: „Die fünfte Fusionswelle: Ausmaße und Hintergründe“, in: Megafusionen, a.a.O., S. 18f O. Budzinski und W. Kerber: Megafusionen, Wettbewerb und Globalisierung, Stuttgart 2003, S. 45 Vgl. a.a.O., S. 59 J. Kleinert und H. Klodt: Megafusionen. Trends, Ursachen und Implikationen, Tübingen 2000, S. 95 cpm: „Vasella droht mit Wegzug aus Basel“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.~, Veröffentlicht: 01.02.2009, Zugriff: 29.04.2009] Konsumenten, Kapitalgeber, Angestellte im Allgemeinen und Führungsleute im Besonderen) durch ihr Denken, Entscheiden und Handeln das Ausmass dieser Probleme tagtäglich – direkt oder indirekt, positiv oder negativ, mehr oder weniger gewichtig – beeinflussen. Damit dem teleologischen System eine klare Aufgabenstellung übergeben werden kann, bedarf es nun einer sorgfältigen Problemanalyse des aktuellen Wirtschaftsgeschehens. Aber wo soll mit der Suche nach der Problemquelle bzw. Ursache angefangen werden? Die für diese Arbeit entscheidenden Hinweise liefern Max Weber, der wie kein anderer die Rationalisierung von Politik, Recht, Kultur, Religion und die Entstehung der Wirtschaft mit den modernen Handelsgesellschaften 1183 untersuchte, sowie der Wirtschaftstheoretiker Karl Polanyi, der bereits im Jahre 1944 den Standpunkt eingenommen hat, dass die Marktwirtschaft ein sich selbst genügendes System ist. Polanyi sagt: „Marktwirtschaft bedeutet ein selbstregulierendes System von Märkten; etwas genauer ausgedrückt handelt es sich um eine Wirtschaftsform, die einzig und allein von Marktpreisen gesteuert wird. Ein solches System, das imstande ist, das gesamte Wirtschaftsleben ohne äußere Hilfe oder Einmischung zu regeln, darf mit Recht selbstregulierend genannt werden.“ 1184 Der Soziologe Niklas Luhmann hat im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit während 30 Jahren die gesellschaftlichen Strukturen und die zunehmend selbst regulierenden Gesellschaftsbereiche wie Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft analysiert, was ihn nach Robert Spaemann zum „repräsentativsten Vertreter reflektierter Modernität macht.“ 1185 Im Folgenden soll Poppers Forderung nach der Autonomie der Soziologie und Alberts Postulat nach einer Sozialtheorie als Sozialtechnologie, die allgemeine Gesetzmässigkeiten beschreibt, in denen auch die sozialen Prozesse hinsichtlich des Wirtschaftsgeschehens enthalten sind 1186, mit der Explikation der wirtschaftsbezogenen Grundzüge der soziologischen Systemtheorie von Luhmann eingelöst werden. 14.1.2.1 Gesellschafts- bzw. Funktionssysteme Wie ist gesellschaftliche Ordnung möglich und wie gelingt es, sie bei gesellschaftlichen Veränderungen immer wieder von neuem herzustellen? Das ist die zentrale Frage, mit der sich Niklas Luhmann während mehrerer Jahrzehnte auf einem ausserordentlich hohen wissenschaftlichen Niveau beschäftigte. Seine zentrale These geht dahin, dass die moderne, ökonomisch fortgeschrittene Gesellschaft durch den Basisprozess der funktionalen Ausdifferenzierung gekennzeichnet ist. 1187 Das heisst: Nicht die Gesellschaft als Einheit sorgt für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, sondern soziale Systeme „sind die operativen Vollzieher der Rationalität moderner Gesellschaft.“ 1188 Die Gesellschaft ist somit die Gesamtheit aller sozialen Systeme, die Luhmann als Gesellschafts-, Organisations- und Interaktionssysteme bestimmt. 1189 In systemtheoretischen Termini besagt funktionale Ausdifferenzierung, „daß der Gesichtspunkt der Einheit, unter dem eine Differenz von System und Umwelt ausdifferenziert ist, die Funktion ist, die das ausdifferenzierte System (also nicht: dessen Umwelt) für das Gesamtsystem erfüllt.“ 1190 Anders gesagt: Durch die von der Evolution angeschobenen Unterscheidungen bestimmter Zuständigkeitsbereiche entstehen Funktionssysteme, die sich durch die ständige Differenzbildung zwischen dem eigenen Zuständigkeitsbereich und den übrigen gesellschaftlichen Funktionen aufrechterhalten und so eine spezifische Aufgabe in der Gesellschaft übernehmen. Durch die Beschränkung auf eine Funktion bzw. auf einen 1183 1184 1185 1186 1187 1188 1189 1190 Vgl. M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Frankfurt a. M. 2005, S. 293ff K. Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Übers. von H. Jelinek, Frankfurt a. M. 1978, S. 71 R. Spaemann: Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Laudatio von Robert Spaemann. Niklas Luhmanns Herausforderung der Philosophie, Frankfurt a. M. 1990, S. 62 Vgl. H. Albert: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, a.a.O., S. 317 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, Frankfurt a. M. 1998, S. 743ff N. Luhmann: Beobachtungen der Moderne, 2. Auflage, Wiesbaden 2006, S. 83 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, Frankfurt a. M. 1998, S. 78ff N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 745f 157 Weltausschnitt reduzieren die Funktionssysteme die (Welt-)Komplexität, wobei es ihnen gerade dadurch gelingt, innerhalb des eigenen Funktionssystems eine höhere Komplexität zu verarbeiten. 1191 Im Weiteren wird durch die funktionale Ausdifferenzierung Redundanz eliminiert, was Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Erziehung, Religion, Medien, Sport usf. zwar allesamt ungleich macht, in Bezug auf diese Ungleichheit aber gerade wieder gleich. „Das heißt: das Gesamtsystem verzichtet auf jede Vorgabe einer Ordnung (zum Beispiel: Rangordnung) der Beziehung zwischen den Funktionssystemen.“ 1192 Nach Luhmann sind Funktionssysteme autopoietische Kommunikationssysteme. 1193 Das heisst, Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Bildung oder Massenmedien sind autonome Systeme, die sich durch die laufende Kommunikation – der Begriff „Kommunikation“ schliesst personenbezogene nicht-sprachliche Handlungen ein – selbst reproduzieren. Dies gelingt mit dem gewählten Funktionsprimat, zum Beispiel Beseitigung von Knappheit im Wirtschaftssystem 1194, Bereithaltung von Kapazität für kollektiv bindende Entscheidungen im politischen System 1195 oder Sinnstiftung hinsichtlich des Unbestimmbaren im Religionssystem 1196, sowie einer im Funktionsprinzip angelegten Paradoxie. Letzteres bedeutet im Wirtschaftssystem, dass die Beseitigung von Güter-Knappheit eine Geld-Knappheit und umgekehrt die Beseitigung von Geld-Knappheit eine Güter-Knappheit bewirkt und deshalb gar nie zu einem erfolgreichen Ende kommt. Die Orientierung am Funktionsprimat vollzieht sich dadurch, dass Kommunikation – verstanden als dreiteiliges Ereignis (Information, Mitteilung und Verstehen) 1197 zwischen mindestens zwei Personen – mithilfe eines binären Codes zwischen einem positiven und einem negativen Wert oszilliert. Mit anderen Worten: Mit binären Codes wie Zahlung vs. Nichtzahlung im Wirtschaftssystem 1198, Machtüberlegen vs. Machtunterlegen im politischen System1199 oder Immanenz vs. Transzendenz im Religionssystem 1200 sichern die nicht-teleologischen Funktionssysteme 1201 ihre Autopoiesis bzw. ihre Selbsterhaltung. Die Entscheidung, ob es zur Zahlung kommt oder nicht, beantwortet also exakt die Frage, ob es eine Handlung des Wirtschaftssystems ist oder eben nicht. Der Kauf eines Autos beispielsweise bedeutet Zahlung, während das Ausschlagen eines Angebotes für den Kauf einer Eigentumswohnung die Nichtzahlung markiert. Zwar beansprucht jeder binäre Code für seine Perspektive weltuniversale Geltung 1202, das impliziert jedoch nicht, dass durch die eigene Unterscheidung der Wert anderer Werte bestritten wird, vielmehr gilt: „Nur die andere Form, nur die andere Unterscheidung wird rejiziert“ 1203. In Bezug auf die Moral ist denn auch nicht gemeint, „daß es auf Moral in der Gesellschaft nicht mehr ankommen soll, sondern nur: daß die Codes der Funktionssysteme auf einer Ebene höherer Amoralität fixiert werden müssen.“ 1204 Da Funktionssystemen – im Gegensatz zu Interaktionssystemen – nicht die physische Anwesenheit von Personen zugrunde liegt, ein Lächeln oder eine nette Geste deshalb keine Kommunikation bewirken kann, sehen sie sich in besonderer Weise dem Problem der doppelten Kontingenz 1205 ausgesetzt. Die Aufgabe, Abwesende für Kommunikation zu motivieren, 1191 1192 1193 1194 1195 1196 1197 1198 1199 1200 1201 1202 1203 1204 1205 158 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, a.a.O., S. 134ff N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 746 Vgl. N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1994, S. 52f Vgl. D. Baecker: Wirtschaftssoziologie, Bielefeld 2006, S. 12 Vgl. N. Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, Hrsg. von A. Kieserling, Frankfurt a. M. 2002, S. 87 Vgl. N. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft, Hrsg. von A. Kieserling, Frankfurt a. M. 2002, S. 127 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, a.a.O., S. 190 Vgl. N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 52 Vgl. N. Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, a.a.O., S. 98 Vgl. N. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., S. 89 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 749 Vgl. N. Luhmann: Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 207 N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 751 A.a.O,. S. 751 Mit dem Begriff „doppelte Kontingenz“ wird die Problematik bezeichnet, dass eine Kommunikation zwischen verschiedenen Personen, die alle füreinander undurchsichtige Bewusstseinssysteme haben - Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von black boxes -, nicht nur keine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr übernehmen symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Das „sind eigenständige Medien mit einem direkten Bezug zum Problem der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation. Sie setzen jedoch die Ja/Nein-Codierung der Sprache voraus und übernehmen die Funktion, die Annahme einer Kommunikation erwartbar zu machen in Fällen, in denen die Ablehnung wahrscheinlich ist.“ 1206 In einem sehr abstrakten Sinne bilden symbolisch generalisierte Medien, im Zuge einer fortwährenden Konditionierung, ein funktionales Äquivalent zur Moral; während Letztere allerdings zur Vereinheitlichung drängt, entwickeln sich Erstere für problemspezifische Konstellationen. 1207 Solche generalisierende Systeme sind beispielsweise Macht für das politische System oder Geld für das Wirtschaftssystem. Aber spielt denn Geld als „erfolgreichste Form der Kommunikation von Knappheit“ 1208 nicht auch im Sport, in der Politik oder Wissenschaft eine wichtige Rolle? Das Wirtschaftssystem grenzt sich gerade durch seine Kommunikation, das heisst durch Zahlungen bzw. Nichtzahlungen, von seiner Umwelt, also von anderen Funktionssystemen ab. Mit anderen Worten: „es gibt also Geld nur im Wirtschaftssystem, und wenn es in Klingelbeutel oder Steuerkassen kommt, operieren diese als Teil des Wirtschaftssystems“ 1209. Die autopoietischen Funktionssysteme sind zwar autonom, aber sie sind nicht autark 1210, sondern mit anderen Funktionssystemen strukturell gekoppelt (beispielsweise brauchen Politiker Geld für ihren Wahlkampf, während das Wirtschaftssystem die durch das politische System erlassenen Gesetze beachten muss). Durch die strukturelle Kopplung können sich soziale Systeme zwar gegenseitig irritieren und beobachten – Beobachtung ist eine Unterscheidung und uno actu eine Grenzziehung zwischen System und Umwelt durch eine kommunikative Bezeichnung 1211 –, aber dennoch kann keines für sich einen archimedischen Standpunkt in Anspruch nehmen, denn immer sind seine Beobachtungen selbstkonstruiert und an die eigene binäre Codierung gebunden. Weil dies für das politische System genauso gilt, müssen aus systemtheoretischer Sicht gesellschaftspolitische Hoffnungen, die Gesellschaft durch Politik gestalten zu können, enttäuscht werden. Zwar können die Auswirkungen des politischen Systems auf die Gesellschaft, die sich ja daran zu orientieren hat, enorm sein, aber „dieser Effekt ist schon nicht mehr Steuerung und auch nicht steuerbar, weil er davon abhängt, was im Kontext anderer Systeme als Differenz konstruiert wird und unter die dort praktizierten Steuerungsprogramme fällt.“ 1212 Und die Moral? Welche Rolle übernimmt sie in der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft? Nach Luhmann ist Moral kein Funktionssystem 1213, sondern ein universales Medium, das mit Achtung bzw. Missachtung codiert ist 1214 und in der modernen Gesellschaft keineswegs seine Bedeutung verloren, sondern eine Alarmierfunktion übernommen hat: „Sie kristallisiert dort, wo dringende gesellschaftliche Probleme auffallen und man nicht sieht, wie sie mit den Mitteln der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und in den entsprechenden Funktionssystemen gelöst werden könnten.“ 1215 Die moralisierende Kommunikation wird also keineswegs verstummen, aber es gilt, „daß die Moral nicht mehr dazu dienen kann, die Gesellschaft mit Blick auf ihren 1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214 1215 unwahrscheinlich ist. (Vgl. N. Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. 1987, S. 156). Während Talcott Parsons die Lösung des Problems in einem gemeinsamen Wertekonsens sieht, erweitert Luhmann den Kontingenzbegriff so, dass dem Prinzip „Zufall“ eine grössere Beachtung zukommen kann: „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist.“ (N. Luhmann: Soziale Systeme, a.a.O., S. 152). Dann aber stellt sich das Problem, wie Kommunikation überhaupt zustande kommen kann, in einer noch verschärften Form. Abhilfe schaffen die drei sozialen Systemtypen: Interaktionssystem, Organisationssystem und Funktionssystem, die letztlich keinen anderen Zweck haben, als die unwahrscheinliche Kommunikation möglich zu machen, damit sich die autopoietischen sozialen Systeme erhalten können. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, a.a.O., S.316 Vgl. a.a.O., S.317 D. Baecker: Wirtschaftssoziologie, a.a.O., S. 60 N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 234 Vgl. N. Luhmann: Soziale Systeme, a.a.O., S. 200 Vgl. N. Luhmann: Einführung in die Systemtheorie, Hrsg. von D. Baecker, Darmstadt 2003, S. 75f N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 337 Vgl. a.a.O., S. 340 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, a.a.O,. S.400 A.a.O., S.404 159 bestmöglichen Zustand zu integrieren. Dies ist schon dadurch ausgeschlossen, daß die besonderen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien eigenen binären Codes folgen, deren Positiv/Negativwerte nicht mit denen der Moral gleichgesetzt werden können.“ 1216 Die moralisch sanktionierten Dopingverstösse im Sport oder die Datenfälschungen im Wissenschaftsbetrieb zeigen sogar, dass die Differenz zwischen dem positiven und negativen Wert des Codes durch Moral gestützt wird. Nach Luhmann können solche Beispiele zu der Regelhypothese verdichtet werden, „daß die Funktionscodes überall dort, wo sie auf ››unsichtbare‹‹ Weise sabotiert werden können und deshalb auf Vertrauen angewiesen sind, auf Moral zurückgreifen.“ 1217 Steuerung kann nach dem bisher Gesagten immer nur die Selbststeuerung von Systemen bedeuten. Aber wie tun sie dies? Über Differenzminderungsprogramme, die an das symbolisch generalisierende Kommunikationsmedium und dessen Kommunikationsoperationen gebunden sind. Im Wirtschaftssystem beispielsweise ist die Steuerung untrennbar an eine Veränderung der Geldmenge im Wirtschaftskreislauf geknüpft; es geht gar nicht anders: „Eine Steuerung, die ihr Programm nicht an der Differenz von Geldmengen orientiert, ist keine Selbststeuerung des Wirtschaftssystems.“ 1218 Und gesetzliche Erlasse wie die Festsetzung von Mindestlöhnen haben zwar Auswirkungen auf die Wirtschaft, aber es handelt sich um Kommunikationen des politischen Systems. Wie solche Massnahmen vom Wirtschaftssystem dann aufgenommen und welche Auswirkungen durch sie evoziert werden, zeigt sich erst im Nachhinein, und zwar unabhängig des Steuerungsversuchs durch das politische System. Aber das Wichtigste ist: Nicht alle Unterscheidungen lassen sich als Steuerunterscheidungen festmachen; gerade die binäre Codierung als conditio-sine-qua-non einer Ausdifferenzierung eignet sich dazu nicht. Das bedeutet, „nie kann der Sündenfall der Ausdifferenzierung selbst zurückgenommen werden. Man kehrt nicht ins Paradies zurück. Das System bleibt in aller Selbststeuerung immer ein historisches System, das nicht anders kann, als eigene Reaktionen auf die eigene Lage in eben diese Lage einzubauen. Anders gesagt: Die das System ausdifferenzierende Differenz von System und Umwelt wird nie zu einer Steuerungsunterscheidung, wird nie zu einem Differenzminimierungsprogramm.“ 1219 Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Bildung usf. sind zwar gleichrangige Funktionssysteme, nichtsdestotrotz zeigt sich die Wirtschaft immer mehr als das dominante System. Warum? Die Dominanz des Wirtschaftssystems sieht Luhmann gerade in der Schwäche dieses Systems. Mit Luhmanns Worten: „In funktional differenzierten Gesellschaften gilt eher die umgekehrte Ordnung: das System mit der höchsten Versagerquote dominiert, weil der Ausfall von spezifischen Funktionsbedingungen nirgendwo kompensiert werden kann und überall zu gravierenden Anpassungen zwingt.“ 1220 Was Luhmann damit sagen will, zeigt sich beispielsweise im Bildungssystem; Letzteres möchte im Grunde genommen die Menschen für das Leben vorbereiten und bilden, so dass ein Beruf den Fähigkeiten und Präferenzen entsprechend gewählt werden kann. Weil das Wirtschaftssystem in den ökonomisch fortgeschrittenen Weltregionen auf dem Kerngedanken der Freiheit basiert, dieser jedoch zunehmend nicht mehr durchgehalten werden kann, gibt es dem Bildungssystem vor, in welchen Berufen sich Chancen auftun und welche vorbereitende Ausbildung vom Bildungssystem geleistet werden muss. Dies führt zur Konsequenz, dass Fächer, die das Leben als Ganzes thematisieren, beispielsweise Philosophie, Religion oder Kunst, als Orchideenfächer bezeichnet und immer mehr an den Rand gedrängt werden. Nicht weniger gravierend ist das Versagen des Wirtschaftssystems (Zunahme der Armut, Arbeitslosigkeit, ökologischen Gefährdung, politischen Instabilität, gesundheitlichen Gefährdung, Wirtschaftskriminalität, Anstrengungen der Neuroökonomie-Neuromarketing sowie Megafusionen) mit Blick auf das politische System. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass 1216 1217 1218 1219 1220 160 A.a.O., S.403 N. Luhmann: Die Moral der Gesellschaft, Hrsg. von D. Horster, Frankfurt a. M. 2008, S. 334 N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 343 A.a.O., S. 344 N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O,. S.769 die politische Elite in der aktuellen Weltwirtschaftskrise ausserordentlich herausgefordert ist und wegen der Aufrechterhaltung der eigenen Funktionslogik handeln muss. Sie tut dies, indem Gipfeltreffen abgehalten und – vor allem – unvorstellbar hohe Geldsummen zur Ankurbelung des Wirtschaftssystems beschlossen werden 1221, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Konsequenzen dieser beispiellosen Konjunkturprogramme kaum mehr angemessen beurteilt werden können. Sollte sich in der Folge der Weltwirtschaftskrise herausstellen, dass die Zahl der arbeitslosen Menschen immer höher wird, dann besteht durchaus die Gefahr, dass gesetzliche Institutionen zur Eindämmung der ökonomischen Macht, zum Beispiel Gesetze über die zulässige Werbung, zugunsten eines stärkeren Wirtschaftswachstums und der Erhaltung der Arbeitsplätze wieder gelockert werden. Über die Frage, ob mit dem Festhalten an der Wachstumsprämisse nachhaltige Lösungen erzielt werden – auch in Bezug auf den Erhalt der Arbeitsplätze –, wird von einer Mehrheit der hochrangigen Politiker nicht nachgedacht. 14.1.2.2 Organisationssysteme Eine Organisation – das Unternehmen ist darin eingeschlossen – als autopoietisches System „ist ein System, das sich selbst als Organisation erzeugt.“ 1222 Diesen Typus eines sozialen Systems hat es nicht immer schon gegeben, vielmehr wurde seine rasche und massenhafte Vermehrung erst durch die gesellschaftliche Evolution möglich. 1223 Luhmann verdeutlicht dies mit der Frage, „wie die Gesellschaft den Zugriff auf Arbeitsleistungen regelt, die der Arbeitende nicht aus eigenem Interesse und nicht auf Grund des Genießens der Tätigkeit selbst (práxis) erbringen würde.“ 1224 Organisationssysteme sind demnach – wie Funktions- und Interaktionssysteme – eine bestimmte Antwort auf das Problem der doppelten Kontingenz: „Jeder kann immer auch anders handeln und mag den Wünschen und Erwartungen entsprechen oder auch nicht – aber nicht als Mitglied einer Organisation. Hier hat er sich durch Eintritt gebunden und läuft Gefahr, die Mitgliedschaft zu verlieren, wenn er sich hartnäckig querlegt.“ 1225 Mit anderen Worten: Das Problem der doppelten Kontingenz löst sich dadurch, dass beispielsweise Arbeitsverträge – als Bedingung für den Eintritt und die Aufrechterhaltung des Status als Mitarbeiter – das Verhalten der Mitglieder konditionieren und so die Erfüllung der Organisationserwartungen stabilisieren. Da die Mitgliedschaft durch eine Eintrittsentscheidung begründet wird, an die eine Unmenge anderer Entscheidungen, zum Beispiel die Übernahme von Arbeitspflichten oder die Einhaltung der internen Vorschriften, angeschlossen werden kann, und letztlich „Ziele, Hierarchien, Rationalitätschancen, weisungsgebundene Mitglieder, oder was sonst als Kriterium von Organisation gesehen worden ist“ 1226, als Resultate von Entscheidungsoperationen des Systems aufzufassen sind, bestimmt Luhmann Entscheidung als die Kommunikationsoperation von Organisationssystemen: „Sie produzieren Entscheidungen aus Entscheidungen und sind in diesem Sinne operativ geschlossene Systeme.“ 1227 Mit anderen Worten: Entscheidungen leisten zwar eine Unsicherheitsabsorption hinsichtlich der in jeder Entscheidung inhärenten Unbestimmtheit, aber gerade durch diese Unsicherheitsabsorption entstehen neue Unsicherheiten, die ihrerseits wieder zu entscheiden sind. Es kann demnach gesagt werden: ein operativ geschlossenes Entscheidungssystem lebt davon, dass es gerade durch die Unsicherheitsabsorption ständig neue Unsicherheiten produziert. Wie ist das Verhältnis zwischen Organisations-Entscheidungen und den binären Codes der Funktionssysteme? Die grössten und wichtigsten Organisationen bilden sich innerhalb von 1221 1222 1223 1224 1225 1226 1227 Vgl. M. Furger und F. Benini: „Steuerzahler stützen Wirtschaft mit 11‘000 Milliarden Franken“, NZZOnline [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 15.02.2009, Zugriff: 29.04.2009] N. Luhmann: Organisation und Entscheidung, 2. Auflage, Wiesbaden 2006, S. 45 Vgl. a.a.O., S. 380 N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 827 A.a.O., S. 829 N. Luhmann: Organisation und Entscheidung, a.a.O., S. 63 N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 830 161 Funktionssystemen und binden sich selbstverständlich an den entsprechenden Code – „anders wäre gar nicht erkennbar, dass es sich um Wirtschaftsunternehmen oder ein Forschungsinstitut, ein Gericht oder eine politische Partei handelt“ 1228 -, aber „den Organisationen fehlt das, was in den gesellschaftlichen Funktionssystemen die binäre Codierung leistet, die Orientierung an einer einzigen positiv/negativ-Unterscheidung wie Zahlung/Nichtzahlung, Wahrheit/Unwahrheit, Recht/Unrecht.“ 1229 Mit anderen Worten: Die Übernahme der binären Codierung muss als das Gegebene bzw. das Nicht-Fragwürdige betrachtet werden, das den Hintergrund für sämtliche organisatorischen Entscheidungen abbildet. Hingegen kann zum Beispiel mit dem binären Code Zahlung/Nichtzahlung keine Unternehmensstrategie in Bezug auf die Wahl der Produkte, der Standorte, der Unternehmensgrösse, der Entlöhnungspolitik usf. festgelegt werden, dazu braucht es feinere Unterscheidungen, nämlich Entscheidungsprämissen. Und das bedeutet: „Entscheidungsprämissen sind demnach auf der Ebene der Organisationssysteme das funktionale Äquivalent für die Codierung der Funktionssysteme.“ 1230 Im Unterschied zur starren binären Codierung schaffen Entscheidungsprämissen einen veränderbaren, das heisst einen lernfähigen Kommunikationsrahmen, „in dem eine Organisation ihre Welt konstruieren, Informationen verarbeiten und immer neue Unsicherheit in Sicherheit transformieren kann.“ 1231 Von den in der Organisationskultur mehr oder weniger bewusst verankerten Entscheidungsprämissen hängt es also ab, wie eine Organisation sich selbst steuert, an welche Werte sie sich bindet und wie sie von externen Beobachtern wahrgenommen wird. Aber wie erfolgt die Setzung, das heisst die Entscheidung von Entscheidungsprämissen? „Unsicherheitsabsorption setzt als Kontext ihrer eigenen Operationsweise Wissen voraus, und zwar Wissen, über das die Organisation selbst verfügt unabhängig von dem, was Einzelpersonen wissen.“ 1232 Bei dieser Aussage bezieht sich Niklas Luhmann auf Helmut Willke, der nach Luhmann „die komplizierte Theorie gesellschaftlicher Steuerung“ 1233 bearbeitet. Nach Willke ist Wissen in der sich herausbildenden Wissensgesellschaft, nebst Boden, Kapital und Arbeit, der neue Produktionsfaktor. 1234 Für das Management, dessen Aufgabe in der Steuerung der verschiedenen Ressourcen besteht, hat dies gravierende Auswirkungen: „Wissensmanagement wird im Kontext von Wissensgesellschaft und Wissensökonomie zum Bestandteil des allgemeinen Managements, weil die Ressource Wissen zur dominanten Produktivkraft wird und ein ebenso sorgfältiges und systematisches Management verlangt wie andere Ressourcen der Organisation auch.“ 1235 In Bezug auf diese Arbeit bedeutet dies: Die Akzeptanz der problemorientierten philosophischen Management-Ethik kann nur über Wissen, als Bedingung der Möglichkeit für die Entscheidungsprämisse „Ethik“, in ein Unternehmen als soziales System eingeführt werden. Nach Willke sind auf der Basis dieser Erkenntnis „ausgewählte Managementprojekte und Interventionen zur Systemsteuerung möglich und sinnvoll“ 1236. 14.1.2.3 Interaktionssysteme Der dritte Systemtyp nennt Luhmann Interaktionssystem. Die Zugehörigkeit zu diesem sozialen System entscheidet sich durch die gegenseitige Wahrnehmung von Anwesenheit. Das heisst: Wenn mindestens zwei physisch anwesende Personen miteinander kommunizieren, sei es durch Sprache, Gestik, Mimik, Arbeitsverrichtung oder andere Handlungen, dann hat sich ein Interaktionssystem gebildet. Und wenn die Personen auseinandergehen, dann löst sich das Interaktionssystem wieder auf. Ein Team in einem Unternehmen ist zum Zeitpunkt des Zusammenseins genauso ein 1228 1229 1230 1231 1232 1233 1234 1235 1236 162 N. Luhmann: Organisation und Entscheidung, a.a.O., S. 238 A.a.O., S. 238 A.a.O., S. 238 A.a.O., S. 238 A.a.O., S. 186 N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 843 H. Willke: Einführung in das systemische Wissensmanagement, Heidelberg 2004, S. 20 A.a.O., S. 22 A.a.O., S. 106 Interaktionssystem wie eine im Klassenzimmer anwesende Schulklasse, eine über den bevorstehenden Wahlkampf diskutierende Delegiertenversammlung, eine gemeinsam an einem Experiment arbeitende Forschergruppe, eine am Strassenrand diskutierende Personengruppe, eine Massendemonstration oder eine Schlägerei unter Jugendlichen. Die Vorzüge der Interaktionssysteme zeigen sich in der Lösung des Problems der doppelten Kontingenz. Mit den Worten von Luhmann: „Das Interaktionssystem der jeweils Anwesenden garantiert in praktisch ausreichendem Maße Aufmerksamkeit für Kommunikation.“ 1237 Denn wenn Alter bemerkt, dass er durch Ego wahrgenommen wird und dieser seinerseits Alters Wahrnehmung feststellt, dann ist – ob einem das passt oder nicht – Kommunikation entstanden. Von daher gilt, „daß man in Interaktionssystemen nicht nicht kommunizieren kann; man muß Abwesenheit wählen, wenn man Kommunikation vermeiden will.“ 1238 Gesellschaftssysteme sind an ihre Funktion gebunden. Im Wirtschaftssystem geht es um die Beseitigung von Knappheit, in der Politik um die Bereitstellung von Kapazität für kollektiv bindende Entscheidungen und in der Wissenschaft um die Erforschung von wahren Erkenntnissen. Organisationen sind nur dadurch erkenntlich, dass sie die Funktion des Gesellschaftssystems, dem sie angehören, übernehmen und auf dieser Basis Entscheidungsprämissen für die Strategie und das operative Programm festlegen. Damit ein Interaktionssystem sich überhaupt bilden kann, braucht auch dieses einen funktionalen Hintergrund. Wenn Interaktionssysteme innerhalb von Organisationssystemen entstehen, dann wird dieser funktionale Hintergrund in erster Linie durch die Funktionslogik des Gesellschaftssystems, dem die Organisation angehört, sowie durch die Entscheidungsprämissen der entsprechenden Organisation vorgegeben. In gewinnorientierten Unternehmen haben Interaktionssysteme also die primäre Funktion, ihren Anteil für das Anbieten von Produkten und Dienstleistungen sowie zum Gewinn des Unternehmens zu leisten. Interaktionssysteme ausserhalb von Organisationen, aber innerhalb von Gesellschaftssystemen, funktionieren nach dem Leitprinzip des entsprechenden Gesellschaftssystems. Wenn beispielsweise der wöchentliche Einkauf für den Familienhaushalt nicht mit Geld, sondern mit einem Warentausch bezahlt werden möchte, dann kommt es zu keinem erfolgreichen Abschluss, das heisst, es kommt zu keinem Interaktionssystem. Einen bedeutend grösseren Spielraum für den funktionalen Hintergrund bietet sich den Interaktionssystemen, die sich ausserhalb von Organisations- und Gesellschaftssystemen bilden. Hier können zum Beispiel die aktuelle Weltwirtschaftskrise, die ständig wechselnden Wetterverhältnisse, die nächsten Ferienpläne oder die Freude über den Gewinn des letzten Meisterschaftsspiels der Lieblingsmannschaft die Themen für das soziale System abgeben. Die Ausführungen zeigen, dass Gesellschafts- und Organisationssysteme einen eminent grossen Einfluss auf die Funktionslogik von Interaktionssystemen haben. Ganz besonders gilt dies, wenn Interaktionssysteme innerhalb von Gesellschafts- und Organisationssystemen entstehen – die Konsequenzen, wenn Angestellte in einem Unternehmen die aufgetragenen Arbeiten nicht erfüllen oder hochrangige Politiker eine zum Parteiprogramm entgegengesetzte Meinung öffentlich vertreten, sind weitgehend bekannt. Viel weniger offensichtlich sind hingegen die nur indirekt wahrnehmbaren Auswirkungen der Gesellschafts- und Organisationssysteme auf die Bildung von Interaktionssystemen. Zum Beispiel führt die Situation, dass in vielen westlichen Ländern in der Regel beide Elternteile zum Verdienst beitragen, zu gesellschaftlich relevanten Konsequenzen hinsichtlich der Interaktionssysteme im Bereich der Erziehung. Oder die permanenten Rationalisierungsbemühungen grosser Unternehmen, die immer mit der Gefahr eines Arbeitsstellenabbaus begleitet sind, haben beträchtliche Auswirkungen auf Interaktionssysteme, und zwar sowohl innerhalb wie auch ausserhalb der Unternehmen. Und im Zusammenhang mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit entstehen Interaktionssysteme, zum Beispiel jugendliche Gruppen mit Gewaltbereitschaft, die eine Gefahr für die soziale Ordnung darstellen. Aber auch das Faktum, dass das gesellschaftliche Ansehen in bedeutender Weise vom materiellen Wohlstand abhängt und moralische Werte innerhalb von Organisationssystemen an 1237 1238 N. Luhmann: Soziale Systeme, a.a.O., S. 218 A.a.O., S. 562 163 Kraft eingebüsst haben, ist hinsichtlich der Funktionslogik von Interaktionssystemen von einer Tragweite, die kaum genug hoch eingeschätzt werden kann. Mit Blick auf die zu entwickelnde philosophische Management-Ethik lässt sich in diesem Sinne sagen, dass vom Management nur dann die systematische und konsequente Berücksichtigung ethischer Anliegen erwartet werden kann, wenn die durch die Unternehmensverantwortlichen akzeptierten EthikEntscheidungsprämissen in die Funktionslogik des Interaktionssystems „Management“ eingearbeitet werden. 14.1.3 Ein vorläufiges Problemverständnis Luhmann erhebt für seine soziologische Systemtheorie keinen Wahrheitsanspruch. 1239 Das wäre nach der Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus, die in einem engen Zusammenhang mit Luhmanns Theorie steht 1240, aber auch gar nicht widerspruchsfrei möglich 1241. Um die Bedeutung der Luhmannschen Theorie zu erkennen, wird deshalb im Folgenden der Blick nicht auf die Begründungsleistung, sondern auf die Erklärungskraft gerichtet. Und da zeigt sich, dass beinahe alle Bereiche der menschlichen Praxis, sei es am Arbeitsplatz, im Sport, bei den Berufsgattungen, wissenschaftlichen Disziplinen, Unternehmen, politischen Parteien oder Kommissionen, in immer spezifischere Gebiete aufgeteilt werden. Durch die Bemühungen, mit einem kleineren Weltausschnitt die Komplexität zu reduzieren, gelingt eine Steigerung der Binnenkomplexität, mit der Konsequenz, diese gesteigerte Komplexität bald auch wieder reduzieren zu müssen. Die Komplexitätsreduktion zeigt sich daran, dass im Sport der Sieg, im Unternehmen der Gewinn, in der Arbeit der Verdienst, in der Politik die Macht, in der Wissenschaft die Erkenntnis oder bei den Medien die Auflage weitgehend fraglos fokussiert werden, während der Mitteleinsatz immer mehr lediglich von instrumenteller Bedeutung ist. Das heisst: Vom systemtheoretischen Standpunkt ist es für Sportler genauso sinnvoll, Dopingmittel einzunehmen, wie es für Neurowissenschaftler angezeigt ist, das gesamte ökonomische Verhalten des Menschen erklär- und prognostizierbar zu machen. Das Gleiche gilt in Bezug auf Unternehmen; aus ihrer ökonomischen Logik gesehen ist es unverständlich, Arbeitsplätze nicht abzubauen, die gesundheitlichen Belastungen der Mitarbeiter nicht zu erhöhen, natürliche Ressourcen nicht bestmöglich zu verwenden, keine Schmiergelder zu bezahlen, nicht auf Minimallöhnen zu beharren oder auf die Einstellung von jüngeren bzw. älteren, etwas weniger effizienten Mitarbeitern nicht zu verzichten, wenn dadurch der ökonomische Erfolg verbessert werden kann. Mit anderen Worten: Die Komplexitätsreduktion blendet eine ganzheitlichere Sichtweise wie beispielsweise die Gesundheitsgefährdung durch die Einnahme von Dopingmitteln, die gesellschaftlichen Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit, die gesellschaftlichen Probleme durch Arbeitskrankheiten oder eine lügenhafte Berichtserstattung weitgehend aus, stattdessen perpetuiert die Systemlogik im Bewusstsein. Auch wenn es von grosser Wichtigkeit ist hervorzuheben, dass die geäusserte Problematik sehr allgemein gehalten ist und – in Bezug auf das Wirtschaftssystem – sehr viele kleinere, mittlere und auch grosse Unternehmen tagtäglich versuchen, im Denken, Entscheiden und Handeln nicht nur ökonomische Anliegen zu berücksichtigen, kann dennoch gesagt werden, dass Luhmann mit seiner deskriptiven Gesellschaftstheorie „das Versagen des Weltwirtschaftssystem vor dem Problem der gerechten Verteilung des erreichten Wohlstandes“ 1242, aber auch die weitgehende Ohnmacht des politischen Systems, gesellschaftliche Problemlösungen durchzusetzen und den Menschen Anhaltspunkte für ein sinnvolles Leben stiften zu können 1243, nachvollziehbar erklären kann. 1239 1240 1241 1242 1243 164 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 1132 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, a.a.O., S. 156 Vgl. E. von Glasersfeld: „Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität“, in: Einführung in den Konstruktivismus, 9. Auflage, München 2006, S. 18f N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 801 Vgl. a.a.O., S. 805 Die durch die funktionale Ausdifferenzierung bewirkte Konzentration auf das Wesentliche bekommt mit dem rasanten technologischen Fortschritt – zumindest in Bezug auf das Wirtschaftssystem – eine zusätzliche Bedeutungsdimension. Es ist eine Tatsache, dass durch die technologischen Innovationen enorme Produktivitätsfortschritte möglich geworden sind, die aber zugleich zu riesigen Überkapazitäten in fast allen Branchen und zu einem fast täglich zunehmenden Konkurrenzdruck geführt haben. 1244 Durch die Globalisierung können die Unternehmen zwar neue Abnehmer-Märkte erschliessen, allerdings vermögen die Menschen in den weniger entwickelten Ländern neuen Produkten und Dienstleistungen erst dann nachzufragen, wenn die dort ansässigen Firmen Menschen beschäftigen und regelmässige Arbeitseinkommen ermöglichen. Mit anderen Worten: Neue Absatzmärkte bedeuten für die Unternehmen zugleich neue Konkurrenten, die nicht selten innerhalb kürzester Zeit auf dem gleichen technologischen Niveau operieren und bald selber zu den Überkapazitäten beitragen. Es kann mit einiger Zuverlässigkeit gesagt werden, dass der ständig höhere Konkurrenzdruck, als direkte Folge der Marktsättigung, die ihrerseits das Ergebnis des unaufhaltsamen Technologiefortschritts und der damit einhergehenden Produktivitätssteigerungen ist, die Autopoiesis bzw. Selbstregulation dahingehend beeinflusst, dass seitens der Unternehmen eine zunehmend rigidere Handhabung des sowohl für das Wirtschaftssystems wie auch für die einzelnen Unternehmen charakteristischen binären Codes von Zahlung/Nichtzahlung mit dessen Präferenzwert „Zahlung“ sichtbar wird. Anders gesagt: Die fortlaufende funktionale Ausdifferenzierung sowie der ständig zunehmende Konkurrenzdruck führen dazu, dass erstens Unternehmen in ihren Entscheidungsprogrammen immer mehr nur noch Aspekte berücksichtigen, die die ökonomischen Anliegen unmittelbar, das heisst kurzfristig, positiv beeinflussen und zweitens die Wirtschaftsakteure, egal ob Konsument, Mitarbeiter, Führungsperson oder kleinere Kapitalgeber, primär als ein Mittel zu den kaum mehr hinterfragten ökonomischen Zielen auffassen. Das aktuelle Wirtschaftsgeschehen, das uns ein ausdifferenziertes Finanzsystem vor Augen führt, welches den Bezug zur Realwissenschaft weitgehend verloren hat und stattdessen mit sich selbst beschäftigt ist und mit Blick auf lockende Boni (Pseudo-)Umsätze im eigenen System generiert, bestätigt diese Ansicht in eindrücklicher Weise. Es wird deutlich: Die aufgezeigten moralischen Problemphänomene: Arbeitslosigkeit, Armut, die Gefährdung der Gesundheit und der Ökologie, politische Instabilitäten, Wirtschaftskriminalität, Anstrengungen seitens der Neuroökonomie-Neuromarketing sowie Megafusionen dürfen sehr wohl in einem engen oder gar direkten Zusammenhang mit dem ausdifferenzierten Wirtschaftssystem bzw. mit diesen – ökonomistisch genannten – Unternehmensstrategien gesehen werden, aber sie sind nicht identisch mit einem moralischen Problemkern, sondern geben vielmehr einen Wink. Grundsätzlicher bzw. allgemeiner lässt sich nämlich sagen: Die bewusste oder unbewusste Setzung von Prämissen seitens der Unternehmen, Entscheidungen beinahe nur nach dem Kriterium des unmittelbaren ökonomischen Erfolgs zu fällen und Menschen wie jede andere Ressource allein als Mittel zum Zweck aufzufassen, führt zu unsäglichem menschlichen Leid und zur sukzessiven Schwächung der menschlichen Freiheit. Dass die Unternehmen bereits heute moralische Problemphänomene wie Arbeitslosigkeit, Armut, Gesundheitsgefährdung, ökologische Probleme, Wirtschaftskriminalität, NeuroökonomieNeuromarketing, Megafusionen oder die Gefahr des Verlustes des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht als ihr Problem betrachten – falls es denn überhaupt noch wahrgenommen wird –, kann als Zeichen gewertet werden, dass es sich um eine folgenschwere Entwicklung handelt. 14.1.4 Erkenntnistheoretische Untersuchungen Das aufgrund der soziologischen Gesellschaftstheorie gewonnene Problemverständnis zeigt in aller wünschenswerten Deutlichkeit die gesellschaftliche Entwicklung im Zusammenhang des Wirtschaftssystems. Es stellt sich nun aber die Frage, weshalb gegen diese schwerwiegenden 1244 Vgl. F. Malik: Management-Perspektiven. Wirtschaft und Gesellschaft. Strategie. Management und Ausbildung, 4. Auflage, Bern, Stuttgart und Wien 2005, S. 42 165 moralischen Probleme so wenig unternommen wird. Warum lassen sich die Konsumenten massenweise zu einem übersteigerten Konsumverhalten hinreissen, so dass sie mehr die Interessen der Unternehmen als die eigenen befriedigen und in die Schuldenfalle geraten? 1245 Weshalb zeigen Führungsleute auf die Gefahr der gesundheitlichen Gefährdung oder des Verlustes haltgebender sozialer Beziehungen kaum frühzeitig eine Reaktion, obschon solche Gefahren mit all den negativen Auswirkungen im Grunde genommen weitgehend bekannt sind? Warum wählen Personen des Managements Geschäftspraktiken nach ökonomistischen Unternehmensstrategien, obschon es genügend Beispiele gibt, die keinen Zweifel über die grosse Gefahr solcher Strategien offen lassen? Wie ist es möglich, dass das amerikanische Unternehmen AIG kurz nach der notwendig gewordenen Verstaatlichung ihren Managern Luxusferien schenkt 1246 oder die mit Staatsgeldern gerettete Citigroup mehrere Millionen für Luxusbüros ausgibt 1247, obschon dies – aus Distanz betrachtet – unbegreiflich ist? Warum glauben sogenannte Wirtschaftsdenker auch 250 Jahre nach Adam Smith allen Ernstes, dass es für die soziale Ordnung am besten ist, wenn die Menschen ihre egoistischen Interessen rechtmässig befriedigen? 1248 Oder allgemeiner: Warum ist der Menschenverstand in einer doch grossen Zahl offensichtlich nicht imstande, weder die grossen Gefahren, die mit der funktionalen Ausdifferenzierung verbunden sind, noch das Versagen des neoliberalen Wirtschaftssystems zu erkennen? Die Zahl der Fragen könnte beinahe beliebig vergrössert werden, auch lassen sich viele plausible Alltagserklärungen angeben, im Folgenden geht es jedoch um eine philosophische und wissenschaftlich gestützte erkenntnistheoretische Erklärung, vordergründig mit dem Ziel einer Verbesserung der Problemanalyse, letztlich aber mit der Absicht, für die problemorientierte philosophische Management-Ethik einen gangbaren Weg zu finden, um „partielle Blindheiten“ zu überwinden. Durchgeführt wird dieses Vorhaben in drei Unterabschnitten zur menschlichen Erkenntnis, und zwar nach der Auffassung des Kritischen Rationalismus. 14.1.4.1 Erkenntnis als Konstruktionsprozess Nach Karl R. Popper gibt es zwei verschiedene erkenntnistheoretische Grundprobleme, die nicht miteinander vermischt werden sollten, nämlich die Frage nach der Entstehung und die Frage nach der Gültigkeit von Erkenntnis. 1249 Der Kritische Rationalismus beschäftigt sich zwar in erster Linie mit der Erkenntnislogik, also mit der Entwicklung von Methoden zur Überprüfung der Gültigkeit von Erkenntnis 1250, nichtsdestotrotz werden auch Fragen zur Entstehung von Erkenntnis aufgenommen und bearbeitet 1251, zudem fordert Albert explizit, den methodologischen Individualismus 1245 1246 1247 1248 1249 1250 1251 166 Vgl. bbu: „Leben auf Pump nimmt in der Schweiz dramatisch zu“, NZZ Online [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 11.04.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. mbr/ap: „AIG belohnt Manager mit Luxusferien“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Aktualisiert: 08.10.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. M. Neuper: „Nach Überlebenskampf Luxusbüros für die Citigroup-Chefetage“, KleineZeitung [http://www.kleinezeitung.at~, Veröffentlicht: 20.03.2009, Zugriff: 29.04.200] Vgl. T. Held und B. Zürcher: „‹‹Marktwirtschaft ist keine Religion, die gute Taten verlangt››“, Sonntagszeitung, Ausgabe 18. Mai 2008, S. 74 Vgl. K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 86f Vgl. K. R. Popper: Logik der Forschung, a.a.O., S. 7 Es ist eher wenig bekannt, dass Karl R. Popper beim Psychologen und Sprachtheoretiker Karl Bühler mit einer Arbeit über die Methoden der Denkpsychologie promovierte. Dass sich Popper dann mehr für das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnisse und weniger für die phylogenetische und ontogenetische Entstehung von Erkenntnis sowie für die Lerntheorie interessierte, hängt möglicherweise mit der damaligen Situation rund um den Wiener Kreis zusammen. Nichtsdestotrotz hat Popper nicht nur für die Evolutionäre Erkenntnistheorie – nach Gerhard Vollmer hätte er, wenn seine Gedanken bekannt gewesen wären, gar deren Wegbereiter sein können (vgl. G. Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen? Neue Beiträge zur Wissenschaftstheorie, Stuttgart 2003, S. 76) –, sondern auch zur Erkenntnispsychologie einen wichtigen Beitrag geleistet: Dazu William Berkson und John Wettersten: „Sir Karl Popper ist vor allem aufgrund seiner Ideen über die wissenschaftliche Methode berühmt geworden. Erst vor kurzem hat man erkannt, daß einige seiner Gedanken auch ins Gebiet der Psychologie gehören: insbesondere seine Theorie von der Zunahme des Wissens. Sie gehört in jene psychologische mit sozialpsychologischen Erkenntnissen zu erweitern (vgl. S. 144). Popper will nicht mit Fragen wie: Was ist Wissen bzw. Erkenntnis? oder gar: Was bedeutet Wissen bzw. Erkenntnis? anfangen. 1252 Sein Ausgangspunkt ist der Alltagsverstand – aber dieser bedarf der Kritik: „Die Theorie des Alltagsverstandes über das Wissen des Alltagsverstandes ist in der Tat ein naives Durcheinander. Doch sie bildet die Grundlage selbst der neuesten philosophischen Erkenntnistheorien.“ 1253 Was ist damit gemeint? Die sinnliche Wahrnehmung als herausragende Erkenntnisquelle verführt den Alltagsverstand zur Meinung, wir müssten bloss unsere Augen und Ohren aufmachen, um zu gesicherten Erkenntnissen über die Welt zu kommen. 1254 Anders gesagt: Nach der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes besteht grundsätzlich die Möglichkeit zu unverfälschten und direkten Erkenntnissen. Sollte sich unsere Erkenntnis im Nachhinein als Irrtum erweisen, dann liegt das nicht etwa an der Erkenntnis an sich, sondern daran, dass wir bei der „Verdauung“ der sinnlichen Wahrnehmung Fehler gemacht haben – noch vor den Empiristen John Locke, George Berkeley oder David Hume betont Gianfrancesco Pico della Mirandola, dass die von den Sinnen aufgenommenen Erscheinungen wahr sind, hingegen unsere Vorstellung als Bewegung der Seele, deren rationaler Teil beim Eintritt in den Körper wie eine leere Tafel ist, für alles Gute, aber auch Böse verantwortlich ist. 1255 Je passiver wir uns beim Erkenntnisprozess also verhalten, umso kleiner ist die Gefahr, dass durch unsere aktiven Zutaten – bei Pico sind das die Phantasien1256 – der Erkenntnisgehalt verfälscht wird. Und je mehr wir unsere Erkenntnisse bestätigen können, zum Beispiel dadurch, dass auch andere Menschen unsere Meinungen teilen, desto sicherer können wir sein, dass es sich bei unseren Erkenntnissen um Gewissheiten handelt. An dieser Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes, die untrennbar mit Poppers Ablehnung des Essentialismus1257 zusammenhängt und die John Dewey die Suche nach Gewissheit1258 nannte, ist nach Popper nahezu alles falsch: „Die ganze Geschichte vom ››Gegebenen‹‹, von den wahren Daten, denen Gewißheit anhaftet, ist eine falsche Theorie, obwohl sie Teil des Alltagsverstandes ist.“ 1259 Nach Hans Albert wird die Falschheit dieser Theorie im Übrigen durch die empirischen Wissenschaften bestätigt: „Die uns dort zugänglichen Resultate zeigen deutlich, daß die passivistische Auffassung der Wahrnehmung – etwa als einer Registration des Gegebenen, der 1252 1253 1254 1255 1256 1257 1258 1259 Tradition, welche das Lernen als Ergebnis von Bemühungen ansieht, Probleme nach der Methode von Versuch und Irrtum zu lösen.“ (W. Berkson und J. Wettersten: Lernen aus dem Irrtum. Die Bedeutung von Karl Poppers Lerntheorie für die Psychologie und die Philosophie der Wissenschaft, Hamburg 1982, 17f) K. R. Popper: Eine Welt der Propensitäten, Tübingen 1995, S. 56 K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 78 Vgl. a.a.O., S. 79 Vgl. G. Pico della Mirandola: Über die Vorstellung. De imaginatione, Hrsg. von E. Keßler, 3. Auflage, München 1997, S. 75ff Vgl. a.a.O., S. 91 Um die unmittelbar zugänglichen Phänomene mit tieferen Einsichten bzw. Erkenntnissen erklären zu können, wird auch nach dem Kritischen Rationalismus zwischen Wesen und Erscheinung unterschieden. (Vgl. H. Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre. Das Erkenntnisproblem in realistischer Perspektive, Tübingen 1987, S. 46). Hingegen lehnt diese Philosophie jene Form des Essentialismus ab, die von der Möglichkeit einer endgültigen Wahrheit ausgeht und den naturwissenschaftlichen Theorien die Aufgabe zuweist, die essentiellen, endgültig sicheren Dinge der Natur zu beschreiben. (Vgl. K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 1: Vermutungen, a.a.O., S. 150f) Nach John Dewey – er ist nebst Charles S. Peirce und William James der Hauptvertreter des Pragmatismus – hat das Streben nach Gewissheit die Philosophie und Metaphysik grundlegend bestimmt, und zwar negativ: „Verlangen nach Sicherheit, das die Form des Wunsches annimmt, nicht gestört und beunruhigt zu werden, führt zu Dogmatismus, Autoritätsgläubigkeit, Intoleranz und Fanatismus auf der einen Seite und zu unverantwortlicher Abhängigkeit und Faulheit auf der anderen. (…) Der natürliche Mensch hat keinerlei Geduld mit Zweifel und Spannung: Ungeduldig eilt er voran, um davon erlöst zu werden. (…) Die wissenschaftliche Haltung kann beinahe definiert werden als die Haltung, die imstande ist, das Zweifelhafte zu genießen; die wissenschaftliche Methode ist in einem Aspekt eine Technik, produktiven Gebrauch vom Zweifel zu machen, indem sie ihn in Operationen bestimmter Forschung verwandelt.“ (J. Dewey: Die Suche nach Gewißheit. Eine Untersuchung des Verhältnisses von Erkenntnis und Handeln, Übers. von M. Suhr, Frankfurt a. M. 2001, S. 229f) K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 82 167 Sinnesdaten oder gar der Tatsachen – völlig überholt ist.“ 1260 Nach Popper erlernen wir bereits früh in der Kindheit die Fähigkeit, Nachrichten und Wahrnehmungen „auf ein zusammenhängendes und teilweise regelmäßiges oder geordnetes System zu beziehen: die ››Wirklichkeit‹‹.“ 1261 Dies hängt mit der Natur der Lebewesen zusammen, deren Grundprinzip er mit dem kurzen Satz auf den Punkt bringt: „Alles Leben ist Problemlösen.“ 1262 Das bedeutet: Alle Lebewesen, und damit auch die Menschen, sind im Grunde genommen dauernd damit beschäftigt, Probleme zu lösen, wobei das angeborene Problemlösungsverhalten in einem genügend weiten Sinne zu verstehen ist. Die Behebung eines Fahrzeugdefekts, die Beseitigung der Schwierigkeiten bei der Aufgabenerfüllung, das erfolgreiche Abwerten politischer Gegner oder die erfolgte berufliche Beförderung sind genauso Problemlösungen wie unsere allgemeinen Anstrengungen im Hinblick auf ein erfülltes Leben und letztlich auf unseren Willen zum Überleben. Jede Erkenntnis bezieht sich somit auf einen Problemlösungskontext bzw. jede Erkenntnisleistung ist mit einer Erwartung durchtränkt, ein Problem zu lösen. Und dabei ist der Problemlösungskontext – er wird in der Folge Problemlösungs-Horizont genannt – abhängig von unseren angeborenen Anlagen sowie erworbenen Dispositionen. Mit den Worten Poppers: „Wir beobachten nur das, was unsere Probleme, unsere biologische Situation, unsere Interessen, unsere Erwartungen und unsere Handlungsprogramme bedeutsam machen.“ 1263 Die Wirklichkeit, die der Alltagsverstand als die Welt auffasst, ist somit ein Netz von subjektiven ErkenntnisKonstruktionen, die untrennbar mit unseren angeborenen Anlagen sowie erworbenen Dispositionen in der Form von persönlichen Charakterzügen, Erfahrungen, Interessen, Erwartungen, Präferenzen, Gewohnheiten sowie Zwecken und Zielen verknüpft sind und folglich bei anderen Menschen ganz anders sein können. Wir verdanken unsere Erkenntnis nicht einem geistigen Kübel mit dem Inhalt von unverfälschten und direkten Sinnesdaten, sondern einem aktiven Konstruktionsprozess, der, vergleichbar mit einem Scheinwerfer 1264, jeweils bestimmte Punkte, passend zum Problemlösungs-Horizont, beleuchtet und alles andere im Dunkeln belässt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Nach der Erkenntnispsychologie des Kritischen Rationalismus ist die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes falsch, und zwar deshalb, weil sie nicht berücksichtigt, dass der Erkenntnisprozess untrennbar mit dem subjektiven Problemlösungs-Horizont zusammenhängt und von daher nicht ohne Weiteres gesicherte bzw. objektive Erkenntnis hervorbringt. Poppers Position, wonach es sich bei jeder Erkenntnis letztlich um einen Konstruktionsprozess handelt, der massgeblich mit den Menschen, die den Erkenntnisprozess vollziehen, zusammenhängt und dabei „bloss“ Weltausschnitte beleuchtet und interpretiert werden – Albert verwendet für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess das Begriffspaar „Identifikation“ und „Interpretation“ 1265 – hat mit Immanuel Kant, John Dewey und Jean Piaget nicht nur berühmte Vorläufer, sondern wird mittlerweile auch von vielen Wissenschaftlern der Biologie, Psychologie, Neurowissenschaften oder Soziologie, die mit so bekannten Namen wie Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela, Gerhard Roth, Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster, Gregory Bateson, Niklas Luhmann oder Paul Watzlawick verbunden sind, bestätigt. Die Bestätigung soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unter der Bezeichnung Radikaler Konstruktivismus vereinten Wissenschaftler in ihren Ansichten vom Kritischen Rationalismus – mehr oder weniger – abweichen. Ernst von Glasersfeld, der zusammen mit Heinz von Foerster den Radikalen Konstruktivismus begründete, ist beispielsweise mit Popper weitgehend einverstanden, ausser hinsichtlich Poppers Idee von der Annäherung an die Wahrheit und mit Poppers Urteil über den Instrumentalismus. 1266 Die Abweichung des Radikalen Konstruktivismus, der sich als Kognitionstheorie versteht und dabei hinsichtlich der Erkenntnis die 1260 1261 1262 1263 1264 1265 1266 168 H. Albert: Kritische Vernunft und menschliche Praxis, Stuttgart 1977, S. 113f K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 82 K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen, a.a.O., S. 257 K. R. Popper und J. C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn, 7. Auflage, München 2000, S. 173 Vgl. K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 401ff Vgl. H. Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre, a.a.O., S. 131 Vgl. E. von Glasersfeld: Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, Übers. Von W. K. Köck, Frankfurt a. M. 1997, S. 313 Frage nach dem Wie1267 stellt, hängt vor allem damit zusammen, dass er „ein für allemal dem »metaphysischen Realismus« abgeschworen“ 1268 hat. Mit anderen Worten: Während nach dem Kritischen Rationalismus Erkenntnis als Konstruktionsprozess durchaus mit einer vom menschlichen Denken unabhängigen Realität sowie mit der Möglichkeit einer Annäherung an die Wahrheit im Einklang steht 1269, ist insbesondere Letzteres nach dem Radikalen Konstruktivismus ausgeschlossen. Stellvertretend für viele Wissenschaftler, die für eine konstruktivistische Erkenntnistheorie einstehen, wird nun im Folgenden Luhmanns operationaler Konstruktivismus 1270 in der gebotenen Kürze vorgestellt. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, fasst Luhmann das gesamte soziale Geschehen in der Form von Kommunikation auf. In diesem Kontext ist Erkennen an die Begriffe „Beobachtung“, „Unterscheidung“ sowie „Bezeichnung“ geknüpft. 1271 Unabhängig davon, ob wir ein Flugzeug oder Kopfschmerzen wahrnehmen, der Erkenntnisprozess ist nur kraft einer Hinwendung im Sinne einer Beobachtung möglich. Und die Hinwendung, also Beobachtung, ermöglicht überhaupt erst die Unterscheidung und im Zuge der Unterscheidung die Bezeichnung, und zwar eben dieser Unterscheidung. Was sich möglicherweise seltsam und kompliziert liest, ist im Grunde genommen einfach. Jede Erkenntnis ist das kontingente Ergebnis einer Beobachtung, Unterscheidung und Bezeichnung. Die Aussage: Die in den Zug steigende Person ist eine Frau! verdankt sich der kontingenten Hinwendung in Richtung des Zugs, der kontingenten Unterscheidung zwischen Mann und Frau sowie der kontingenten Bezeichnung bzw. Entscheidung „Frau“. Damit zeigt sich Erkenntnis als Konstruktionsprozess in der wünschenswerten Deutlichkeit, und zwar mit der Konsequenz einer Gesellschaft als polykontexturales System. 1272 Aber wodurch entscheidet sich, was wir beobachten, wie wir unterscheiden und bezeichnen? Luhmann übernimmt das Konzept der Autopoiesis von Maturana und Varela. Letztere sehen die menschliche Erkenntnis als die autonome Leistung eines um die Selbsterhaltung bemühten biologischen Organismus – Popper hat eine vergleichbare (biologische) Auffassung, er spricht allerdings nicht von Autopoiesis, sondern von „chemischer Selbstorganisation des Lebens“ 1273 und davon, dass „alles vom Organismus selbst“ 1274 abhängt. Maturana und Varela fassen nun den Begriff „Erkennen“ so weit wie das überhaupt nur möglich ist: „Leben ist Erkennen (Leben ist effektive Handlung im Existieren als Lebewesen).“ 1275 Mithilfe der Sprache können wir zwar über unsere verschiedenen Erkenntnisleistungen diskutieren, aber letztlich ist jede einzelne menschliche Erkenntnis das Ergebnis eines autonomen, von den sowohl angeborenen wie auch erworbenen Erkenntnisstrukturen abhängigen Prozesses. Und die damit notwendig gewordene Abkehr von einem sicheren Standpunkt verpflichtet uns: „Sie verpflichtet uns zu einer Haltung ständiger Wachsamkeit gegenüber der Versuchung der Gewißheit. Sie verpflichtet uns dazu einzusehen, daß unsere Gewißheiten keine Beweise der Wahrheit sind, daß die Welt, die jedermann sieht, nicht die Welt ist, sondern eine Welt, die wir mit anderen hervorbringen. Sie verpflichtet uns dazu zu sehen, daß die Welt sich nur ändern wird, wenn wir anders leben.“ 1276 Was die an der Luhmannschen Kommunikation teilnehmenden Personen demnach beobachten, unterscheiden und bezeichnen ist nach dem Konzept der Autopoiesis untrennbar mit dem 1267 1268 1269 1270 1271 1272 1273 1274 1275 1276 Vgl. S. J. Schmidt: „Der Radikale Konstruktivismus: Ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs“, in: Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Hrsg. von S. J. Schmidt, 8. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 13 E. von Glasersfeld: „Einführung in den radikalen Konstruktivismus“, in: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus, Hrsg. von P. Watzlawick, 2. Auflage, München 2007, S. 23 Vgl. H. Holweg: Methodologie der qualitativen Sozialforschung, a.a.O., S. 67 Vgl. N. Luhmann: „Wie lassen sich latente Strukturen beobachten?“, in: Das Auge des Betrachters. Beiträge zum Konstruktivismus. Festschrift für Heinz von Foerster, Hrsg. von P. Watzlawick und P. Krieg, Heidelberg 2002, S. 68 Vgl. N. Luhmann: Erkenntnis als Konstruktion, Bern 1988, S. 14 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1: Kapitel 1-3, a.a.O., S. 36 K. R. Popper: Eine Welt der Propensitäten, a.a.O., S. 74 A.a.O., S. 81 H. R. Maturana und F. J. Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens, 11. Auflage, Bern und München 1987, S. 191 A.a.O., S. 263f 169 geschlossenen menschlichen Bewusstsein bzw. psychischen System verbunden. Mit anderen Worten: Erkenntnis kommt nicht durch direkte und unverfälschte Erfahrung von „aussen“ zustande, denn – so Luhmann – „Erkennen können nur geschlossene Systeme.“ 1277 Ob wir beispielsweise die gesellschaftliche Ordnung als stabil oder als fragil erkennen, hängt zwar von unserer Beobachtung, Unterscheidung und Bezeichnung ab, letztlich aber von unserem geschlossenen, für niemand einsehbaren Bewusstsein bzw. psychischen System und dessen eigenständig wirkendem Problemlösungs-Horizont. 14.1.4.2 Der Konstruktionsprozesses ist nicht sichtbar Weshalb berücksichtigt der Alltagsverstand nicht, dass jede Erkenntnis untrennbar mit dem erkennenden Menschen zusammenhängt? Nebst der frühkindlichen Erfahrung, die dazu verführt, subjektive Erkenntnisse als Gewissheiten aufzufassen, sowie des Heranzüchtens einer Geisteshaltung ohne aufmerksames Denken, die nach Dewey unverändert den reifen Geist beherrscht 1278, gibt es zwei andere, vermutlich noch bedeutungsvollere Gründe. Der erste ist die Tatsache, dass das menschliche Bewusstsein bzw. psychische System eine Blackbox ist. Wir sehen nicht, dass andere Menschen unterschiedliche persönliche Charakterzüge, Erfahrungen, Interessen, Erwartungen, Präferenzen, Gewohnheiten, Zwecke und Ziele, kurzum: einen anderen Problemlösungs-Horizont haben. Mit der Konsequenz, dass der Alltagsverstand nicht wirklich gut verstehen kann, dass andere Menschen – vor allem, wenn sie in gleichen kulturellen und sozialen Verhältnissen leben – zu ganz anderen Erkenntnissen gelangen können. Die politischen Diskussionen beweisen uns fast täglich, wie sehr die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes auf seiner vermeintlichen Gewissheit beharrt und andere Erkenntnisse als falsch hinstellt. Wäre das Bewusstsein mit den subjektiven Erfahrungen, Erwartungen, Interessen, Gewohnheiten usw. so einsichtig wie das offene Werk verschiedener Uhren, dann wäre es für uns Menschen offensichtlich, dass aus derart unterschiedlichen geistigen Systemen auch unterschiedliche Erkenntnisse hervorkommen. So aber können wir leicht überrascht werden, wenn wir mit Bekannten die Ferien verbringen und es sich dabei herausstellt, dass die anderen im Alltagsgeschehen ganz anders „ticken“. Dass die Verschiedenheit der psychischen Systeme immer wieder für eine Überraschung sorgt, hängt wohl auch damit zusammen, dass die Menschen die Bedeutung der Kommunikation als Vermittlerin zwischen den Blackboxen nicht ausreichend begreifen. Denn immerhin muss eingestanden werden, dass wir einzig mit Kommunikation eine gemeinsame Wirklichkeit schaffen können, wo wir uns gegenseitig – zumindest einigermassen – verstehen und vertrauen können. Der zweite Grund, weshalb die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes nicht berücksichtigt, dass der Erkenntnisprozess subjektive Erkenntnis hervorbringt, ist der blinde Fleck. Wie ist es möglich, dass eine Person mit dem Fahrzeug nach Hause fährt und sich im Nachhinein kaum mehr an die Einzelheiten der Heimfahrt erinnern kann? Oder weshalb kann es zur Situation kommen, wo jemand ein Gespräch reflektiert und sich dabei sagt: „das hätte ich anders sagen sollen, auf jenen Einwand hätte ich so antworten müssen und vieles habe ich sogar ganz vergessen zu sagen?“ Kurzum: Wie ist es möglich, dass wir gar nicht immer so souverän über unsere Handlungen wachen? Zum blinden Fleck, der jede Erkenntnis wie einen Schatten begleitet, sagt Popper lapidar: „Es ist klar, daß wir uns nicht auf ein Problem konzentrieren und uns gleichzeitig selbst beobachten können.“ 1279 Mit anderen Worten: Die blosse Vernunft sagt uns, dass wir uns nicht einem Gegenstand zuwenden und gleichzeitig, quasi aus einer Vogelperspektive, diese Zuwendung auch noch beobachten können. Eine sehr viel grössere Aufmerksamkeit widmen die radikalen Konstruktivisten, insbesondere Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela und Heinz von Foerster, dem blinden Fleck. Sie laden uns zu einem kleinen Experiment ein: Fixieren Sie das Kreuz auf der folgenden Abbildung, halten Sie das linke Auge zu und bewegen 1277 1278 1279 170 N. Luhmann: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, 3. Auflage, Wiesbaden 2005, S. 35 J. Dewey: Die menschliche Natur. Ihr Wesen und ihr Verhalten, Zürich 2004, S. 76 K. R. Popper und J. C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn, a.a.O., S. 142 Sie das Buch mit einem Gesichts-Abstand von etwa 10 bis 30 cm vor und zurück. Sie werden bald bemerken, wie der rechte schwarze grosse Punkt plötzlich verschwindet und – je nach Abstand des Buches – dann wieder erscheint. Hier zeigt sich der blinde Fleck als die für das Licht unempfindliche Stelle der Netzhaut. Für Maturana und Varela ist das Faszinierende an den Experimenten mit dem blinden Fleck: „Wir sehen nicht, daß wir nicht sehen.“ 1280 Und für Heinz von Foerster kommt die Überraschung, die sich bei diesem Experiment einstellt, von daher, „daß man überhaupt keine Ahnung von einem solchen blinden Fleck hat: das Sehfeld ist überall zusammenhängend und geschlossen. Man sieht nirgendwo ein »schwarzes Loch«, ob man mit beiden oder nur mit einem Auge schaut. Das heißt: Man sieht nicht, daß man nicht sieht.“ 1281 Was aber bestätigt der blinde Fleck in der visuellen Erfahrung? Er zeigt eindrücklich, dass es uns unmöglich ist, direkte und unverfälschte Sinnesdaten aufzunehmen; denn wenn dem so wäre, dann müssten wir die für das Licht unempfindliche Stelle der Netzhaut als schwarzes Loch sehen. Aber nichts dergleichen geschieht. Stattdessen zeigen bzw. konstruieren unsere Erkenntnisorgane ein zusammenhängendes Ganzes, ohne dass wir von dieser Konstruktionsleistung auch nur das Geringste sehen können. Abb. Nr. 3: Die visuelle Erfahrung des blinden Flecks Was sagt der Soziologe Niklas Luhmann zum blinden Fleck? Nach Luhmann steht die Welt für Beobachtungen zwar prinzipiell offen, „aber es gibt die Notwendigkeit, immer mit einem blinden Fleck oder mit der Unsichtbarkeit der Einheit einer Unterscheidung zu hantieren, weil Sie ohne Unterscheidung überhaupt nicht beobachten können, gleichgültig um welche Unterscheidung es geht, und weil Sie deshalb die Einheit der Unterscheidung nicht reflektieren können.“ 1282 Einfacher gesagt: Jede Beobachtung, sprachliche Unterscheidung und Bezeichnung, aber auch jeder einzelne Schritt einer menschlichen Handlung, ist letztlich eine „Wahl“ zu eben dieser Beobachtung, dieser Unterscheidung und dieser Bezeichnung – und dabei hätte die „Wahl“ auch ganz anders ausfallen können. Die eigentliche Crux liegt aber darin, dass unser Bewusstsein zwingend auf den konkreten Erkenntnisakt gerichtet ist und nicht gleichzeitig – quasi aus einer Vogelperspektive – auch noch beobachten kann, was alles durch die Beobachtung, Unterscheidung und Bezeichnung ausgegrenzt wird. Im Zusammenhang mit der sprachlichen und nicht-sprachlichen Kommunikation bedeutet der blinde Fleck somit: Unsere Erkenntnisse sind im hohen Masse kontingent, das heisst, sie hätten auch ganz anders ausfallen können. Aber weil wir im Alltag unsere Erkenntnisse meistens nicht kritisch überprüfen, also nicht reflektieren, was wir gesagt und genau dadurch nicht gesagt bzw. was wir geschrieben und genau dadurch nicht geschrieben und wie wir gehandelt und genau dadurch nicht gehandelt haben, fehlt uns gerade von dieser Kontingenz das Bewusstsein. Das ist auch der Grund, weshalb es durchaus möglich ist, mit dem Fahrzeug nach Hause zu fahren, ohne uns später an einzelne Details dieser Rückfahrt zu erinnern. Weil das Zurücklegen einer uns sehr bekannten Wegstrecke weitgehend ohne kritische Reflexion, das heisst ohne Kontrolle, ob die einzelnen gemachten Unterscheidungen (Wegstrecken) richtig 1280 1281 1282 H. R. Maturana und F. J. Varela: Der Baum der Erkenntnis, a.a.O., S. 23 H. von Foerster: „Entdecken oder Erfinden. Wie läßt sich Verstehen verstehen?“, in: Einführung in den Konstruktivismus, 9. Auflage, München 2006, S. 49ff N. Luhmann: Einführung in die Systemtheorie, a.a.O., S. 146 171 gewählt wurden, möglich ist, entsteht kein Bewusstsein von unseren gemachten Unterscheidungen und Bezeichnungen. Und wieso stellen wir oft erst im Nachhinein fest, welche Antworten wir in einem Seminar oder Gespräch auch noch hätten geben können bzw. geben sollen? Paul Watzlawick stellt fest, „daß in einem Kommunikationsablauf jeder Austausch von Mitteilungen die Zahl der nächstmöglichen Mitteilungen verringert.“ 1283 Mit jedem gesprochenen Satz, ja mit jedem Wort, binden wir sowohl uns selbst wie auch den Gesprächspartner, erkenntnispsychologisch und rational gesehen, an diesen Satz bzw. an die Wörter dieses Satzes – wenn ein Mitarbeiter seinem Vorgesetzten mitteilt, dass er das Betriebsklima als schlecht und als nicht motivierend empfinde, dann wird der Vorgesetzte darauf entsprechend antworten und nicht von seinen Ferienerlebnissen erzählen; zudem wird der Mitarbeiter nicht wenige Minuten später sagen können, dass er sich im Unternehmen überaus wohl fühle. Weil wir in einem Gespräch meistens nicht die Möglichkeit haben, jeden gesprochenen Satz hinsichtlich der getroffenen Unterscheidungen, Bezeichnungen und Ausgrenzungen kritisch zu reflektieren, besteht demnach die Gefahr, dass Gespräche uns gängeln. Die Erkenntnis kann nun wie folgt erweitert werden: Der Alltagsverstand berücksichtigt die Subjektivität der Erkenntnis deshalb nicht, weil erstens der subjektive Problemlösungs-Horizont nicht einsehbar ist und zweitens der blinde Fleck verunmöglicht, ein Bewusstsein vom subjektiven Konstruktionsprozess zu erhalten. 14.1.4.3 Die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes ist ohne systematischen Erkenntnisfortschritt Nach Popper gilt: „Aller Erkenntnisfortschritt besteht in der Verbesserung des vorhandenen Wissens in der Hoffnung, der Wahrheit näherzukommen.“ 1284 Wir können demnach in unserer Erkenntnis fortschreiten und bekommen dadurch die Möglichkeit, unsere Probleme in der Zukunft besser zu lösen. Aber das ist nur dann möglich, wenn wir die falsche Idee von Gewissheiten aufgeben und stattdessen versuchen, die Irrtümer in unserer Erkenntnis, mit Blick auf bessere Problemlösungen, zu entdecken. Aber gerade umgekehrt verfährt die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes. Sie verkennt, dass es – so Popper – „in unserer ganzen Erkenntnis keinerlei absolute Sicherheit“ 1285 gibt. Mit der Konsequenz, dass der Alltagsverstand grundsätzlich nicht kritisch eingestellt ist. Anstatt zu prüfen, was an unserer Erkenntnis falsch sein könnte, versucht die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes die gewonnenen Erkenntnisse, ob in der Form von konkreten Handlungskonzepten oder handlungsanleitenden Prämissen, zu bestätigen, so dass daraus vermeintliche Gewissheiten, und zwar im Sinne eines Erkenntnisfortschritts resultieren. „Doch als Theorie des Erkenntnisfortschritts ist sie völlig falsch.“ 1286 Dabei sind es im Näheren betrachtet zwei Aspekte, die einen systematischen Erkenntnisfortschritt verhindern. Erstens gelingt der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes deshalb kein systematischer Erkenntnisfortschritt, weil sie keine kritischen Beobachtungspunkte setzt, wir jedoch kleine Differenzen nur sublim wahrnehmen und folglich keinen Grund sehen, unsere Erkenntnisse anzupassen. Wir schauen tagtäglich in den Spiegel und sehen kaum eine Veränderung. Hätten wir keine älteren Fotos von uns und würden Bekannte nicht hin und wieder etwas über unser Aussehen sagen (zum Beispiel, dass die Haare grau geworden sind), dann könnten wir von unserem äusserlichen Älterwerden so gut wie nichts wissen. Mit anderen Worten: Ohne die gezielte Setzung bestimmter Beobachtungspunkte bzw. ohne kritische Einstellung schaffen kleine Veränderungen zwar den Weg in das Unbewusste und den vermutlich weitgehend unbewussten subjektiven Problemlösungs-Horizont – zum Beispiel als Theorieupdate unseres Aussehens –, aber nicht in unser Bewusstsein. Gregory Bateson sagt zu kleinen Unterschieden lapidar: „Sie sind keine 1283 1284 1285 1286 172 P. Watzlawick et al: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, 11. Auflage, Bern 2007, S. 126 K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 91 A.a.O., S. 98 A.a.O., S. 85 Nahrung für die Wahrnehmung.“ 1287 Und an anderer Stelle: „Wenn man einen Frosch dazu bringen kann, ruhig in einem Topf mit kaltem Wasser sitzenzubleiben, und wenn man dann die Wassertemperatur sehr langsam und sanft erhöht, so daß es keinen Augenblick gibt, der sich als der Augenblick abhebt, in dem der Forsch springen sollte, dann wird er niemals springen. Er wird gekocht werden.“ 1288 Wir behalten unsere Erkenntnisse und vermeintlichen Gewissheiten bei, obschon die (schleichenden) Veränderungen möglicherweise neue Erkenntnisse, zum Beispiel in der Form von veränderten Handlungskonzepten, dringend nötig machen würden. Wir sehen im Spiegel immer etwa gleich aus, also haben wir auch keinen Grund, etwas zu verändern. Würden wir hingegen gezielt Beobachtungspunkte setzen, zum Beispiel wöchentlich das Gewicht kontrollieren, dann könnten wir allenfalls rechtzeitig Massnahmen ergreifen. Mittlerweile haben wir uns an exorbitante Management-Saläre so sehr gewöhnt, dass kein wirklich grosser Aufschrei durch die Gesellschaft geht, wenn das politische System Unternehmensgiganten, die zuvor jedes Augenmass in Bezug auf Saläre und Boni verloren haben, auch noch mit enormen Geldsummen unterstützen. Und mit Blick auf das Ökosystem wissen inzwischen viele Menschen von der grossen Gefahr für Mensch, Tier und Pflanzen, aber nicht zuletzt wegen der bloss schleichenden Verschlechterung sehen wir keinen Anlass, unsere Gewohnheiten zu verändern – als ob irgendwann am Himmel geschrieben stände: Jetzt müsst ihr handeln, sonst verliert ihr alle das Leben. Nach Popper sind es Probleme, die uns zu einem Fortschritt in der Erkenntnis verhelfen und dabei können wir die Probleme selber finden oder aber sie müssen sich aufdrängen. Wie Letzteres geschieht, zeigt Popper anhand des kleinen Problems: „Ein unerwartetes Ereignis aber zieht die Aufmerksamkeit auf sich und regt damit Bewusstsein an. Wir merken das Ticken einer Uhr oft gar nicht, aber wir ››hören‹‹, wenn sie aufhört zu ticken.“ 1289 Auch die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes macht Erkenntnisfortschritte, allerdings zeigt sich dabei ein zweiter negativer Aspekt. Der Alltagsverstand reflektiert seine Erkenntnisse, die in der Form von vermeintlichen Gewissheiten zu weitgehend unbewussten Handlungskonzepten und Prämissen mutieren, erst dann, wenn mit ihnen die Probleme nicht mehr adäquat gelöst werden können. Während gewohnheitsmässige Handlungskonzepte entweder angepasst oder ersetzt werden, bleiben die handlungsanleitenden Prämissen solange wie nur möglich unangetastet. Weshalb die in Bezug auf unsere Problemlösungen nicht mehr adäquaten Erkenntnisse erst dann einen Eintrag in unserem Bewusstsein bekommen, „wenn sie versagen“ 1290 – so Maturana und Varela –, hängt damit zusammen, dass die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes von den im Konstruktionsprozess ausgegrenzten anderen Möglichkeiten kaum ein Bewusstsein hat und – damit eng zusammenhängend – nicht kritisch eingestellt ist. Anders gesagt: Mangels einer kritischen Einstellung bzw. mangels eines Bewusstseins von der Kontingenz unserer Erkenntnisse werden wir von Letzteren bis zum Aufkommen von ernsthaften Problemen enggeführt. Mit Heinz von Foerster gesagt: „Sie haben diese Freiheit, so möchte ich behaupten, aber es ist ihnen oftmals unmöglich, diese noch zu sehen. Sie sind blind für ihre eigene Blindheit, sie sehen nicht, dass sie nicht sehen, sie sind nicht mehr in der Lage, die Möglichkeiten des eigenen Handelns zu erkennen. Der blinde Fleck ist erzeugt, und man glaubt, nicht mehr herauszukönnen, und ist eingefroren in einen alltäglichen Mechanismus.“ 1291 Solange das Kind gute Noten nach Hause bringt, besteht für die Eltern (vermeintlich) keinen Anlass für eine kritische Beobachtung. Und wenn gute Noten dann ausbleiben und die Hochschulreife gefährdet ist, dann braucht es – als Anpassung der Handlungskonzepte – privaten Unterstützungsunterricht und möglicherweise geeignete Medikamente für die Steigerung der Aufmerksamkeit. Aber auf die Möglichkeit, dass das Universitätsstudium – als unreflektierte Prämisse – nicht das Richtige für das Kind sein könnte, werden die Eltern nicht ohne Weiteres kommen. Solange das Bau-Unternehmen keine Liquiditätsprobleme hat und die Mitarbeiter beschäftigen kann, sieht es keinen Anlass für eine 1287 1288 1289 1290 1291 G. Bateson: Geist und Natur. Eine notwendige Einheit, Übers. von H. G. Holl, Frankfurt a. M. 1987, S. 40 A.a.O., S. 122 K. R. Popper und J. C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn, a.a.O., S. 163 H. R. Maturana und F. J. Varela: Der Baum der Erkenntnis, a.a.O., S. 261 B. Pörksen: „Heinz von Foerster über den Beobachter, das dialogische Leben und eine konstruktivistische Philosophie des Unterscheidens“, in: Die Gewissheit der Ungewissheit. Gespräche zum Konstruktivismus, Heidelberg 2002, S. 39 173 kritische Reflexion des eigenen unternehmerischen Wirkens. Wenn es dann aber darum geht, im immer härteren Konkurrenzkampf zu bestehen, wird – als Anpassung der Handlungskonzepte – mit Preissenkungen und einer damit verbundenen Qualitätsreduktion reagiert. An der Prämisse, die unternehmerische Existenz nur durch den Preisnachlass erhalten zu können, wird festgehalten, obschon gerade dadurch die „Luft immer dünner“ wird und der Konkurs drohen könnte. Solange Wirtschaftskapitäne und hochrangige Politiker ihre persönlichen Ziele verfolgen können, gibt es für sie keinen Grund, am derzeitigen Wirtschaftssystem etwas zu ändern. Um die grossen Unternehmen wieder auf Erfolgskurs zu bringen, werden keineswegs selten – als Anpassung der Handlungskonzepte – Tausende von Mitarbeitern entlassen, während zur gleichen Zeit das politische System – ebenso als Anpassung der Handlungskonzepte – mit Konjunkturprogrammen in noch nie dagewesener Höhe versucht, die Gefahren der steigenden Arbeitslosigkeit zu bannen. Aber auf die Idee, dass das neoliberale Wirtschaftssystem und ein unendliches Wirtschaftswachstum – als Prämissen – falsch sein könnten, wird die Mehrheit der hochrangigen Politiker nicht ohne Weiteres kommen. Stattdessen rufen sie zum Konsum auf 1292, wodurch dem Wirtschaftssystem gegenüber dem Individuum der Vorrang eingeräumt wird. Und nach Popper sind auch die Wissenschaftler keine Ausnahme, und zwar selbst dann nicht, „wenn sie sich oberflächlich in ihrem besonderen Gebiet von einigen Vorurteilen befreit haben mögen.“ 1293 Dies wird von Thomas S. Kuhn bestätigt, wenn er schreibt: „Die normale Wissenschaft strebt nicht nach neuen Tatsachen und Theorien und findet auch keine, wenn sie erfolgreich ist.“ 1294 Mit anderen Worten: Die Wissenschaftler finden erst dann wirklich neue Erkenntnisse – und nicht bloss Anpassungen –, wenn sie dazu gezwungen werden. Dass die Festhaltung an Paradigmen lange dauern kann, zeigen die Wirtschaftswissenschaften mit ihrem methodologischen Kernelement des homo oeconomicus. Obschon offensichtlich ist, dass in vielen Bereichen nicht rational gedacht und gehandelt wird, sondern George Clooney, Patty Schnyder, Roger Federer oder Penélope Cruz ausschlaggebend sind, wird am theoretischen Konstrukt festgehalten. Damit dies aber überhaupt noch möglich ist, werden emotionale und altruistische Elemente eingebaut, so dass die Ökonomen mittlerweise selbst die Nähe zu einer Leerformel zugegeben müssen 1295. Karl R. Popper weist auf den ungeheuren biologischen Vorteil der sprachlich fassbaren Erkenntnis hin; aber erst mithilfe der kritischen Einstellung werden Theorien bzw. Erkenntnisse sterben – „ohne Ausschaltung der Art, die sie trägt.“ 1296 Mit anderen Worten: Durch die proaktive kritische Einstellung können ungenügende Erkenntnisse bzw. falsche Gewissheiten bereits im Ansatz erkannt und beseitigt werden und nicht erst dann, wenn sich die Probleme manifestiert haben und es dann vielleicht für vieles zu spät ist. Zudem erweist sich die kritische Reflexion unserer Erkenntnisse als die einzige Möglichkeit, die durch den Konstruktionsprozess ausgegrenzten anderen Wahlmöglichkeiten wieder in den Blick zu bekommen. Mit den Worten von Maturana und Varela: „Die Reflexion ist ein Prozeß, in dem wir erkennen, wie wir erkennen, das heißt eine Handlung, bei der wir auf uns selbst zurückgreifen. Sie ist die einzige Gelegenheit, bei der uns möglich ist, unsere Blindheiten zu entdecken und anzuerkennen, daß die Gewißheiten und die Erkenntnisse der anderen ebenso überwältigend und ebenso unsicher sind wie unsere eigenen“. 1297 Die Frage nach dem Erkenntnisfortschritt kann nun wie folgt beantwortet werden: Die Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes macht deshalb keine systematischen Erkenntnisfortschritte, weil mangels einer proaktiven kritischen Einstellung erstens kleine Unterschiede nicht zum Problem werden, zweitens Erkenntnisse bzw. Gewissheiten als gewohnheitsmässige Handlungskonzepte erst dann korrigiert werden, wenn sich Probleme im Bewusstsein aufdrängen und drittens auch dann noch an Erkenntnissen bzw. Gewissheiten in der Form von handlungsanleitenden Prämissen festgehalten wird, bis auch Letztere endgültig versagen. 1292 1293 1294 1295 1296 1297 174 Vgl. sda: „Bundesrätin Leuthard ruft zum Konsum auf“, NZZOnline [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 07.03.2009, Zugriff: 29.04.2009] K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 254 T. S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a.a.O., S. 65 Vgl. G. Kirsch: Neue Politische Ökonomie, a.a.O., S. 8 K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 90 H. R. Maturana und F. J. Varela: Der Baum der Erkenntnis, a.a.O., S. 23 14.1.5 Akzentuierte Problemstellung als Aufgabe für das teleologische System Nach diesen soziologischen Untersuchungen vermag Moral die gesellschaftliche Ordnung nicht mehr aufrechtzuerhalten, zudem befasst sich kein Gesellschaftssystem mit der Lösung moralischer Problemphänomene im Sinne eines obersten Funktionsprinzips – das politische System, dem im Grunde genommen die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung als Aufgabe zugewiesen ist, muss zuallererst um die politische Macht kämpfen. In beinahe allen Funktionssystemen zeigt sich im Weiteren, dass die funktionale Ausdifferenzierung in vollem Gange ist, wodurch sich die Funktionslogik der sozialen Systeme auf einen immer engeren Bereich reduziert. Und im Wirtschaftssystem wird wegen der in einem engen Zusammenhang mit der funktionalen Ausdifferenzierung stehenden Wechselwirkung zwischen technologischen Innovationen, Produktivitätssteigerungen und Marktsättigung eine zunehmend engere Anlehnung an das vom Wirtschaftssystem vorgegebene Funktionsprinzip sichtbar. Mit der Konsequenz, dass das unternehmerische Denken, Entscheiden und Handeln in allererster Linie ökonomische Aspekte in den Blick nimmt und immer mehr durch eine kurzfristige Sichtweise geprägt ist. Und mithilfe der erkenntnistheoretischen Untersuchungen kommt zum Ausdruck, dass die menschliche Erkenntnis sich nicht auf die gesamte Welt, sondern immer nur auf einzelne Weltausschnitte bezieht und Erkenntnisse letztlich mit den Menschen zusammenhängen, die diese Erkenntnisse hervorbringen. Darüber hinaus führt die Tatsache des nicht sichtbaren konstruktiven Erkenntnisprozesses dazu, dass wir uns der mit jedem Erkenntnisakt notwendig ausgegrenzten anderen Möglichkeiten nicht ohne Weiteres bewusst werden und der Alltagsverstand keine kritische Einstellung einnimmt und an seinen Erkenntnissen und vermeintlichen Gewissheiten, ob in der Form von gewohnheitsmässigen Handlungskonzepten oder fraglos gewordenen Prämissen, solange festhält, bis sie – als Problemlösungen – endgültig versagen. Das alles bedeutet: Unternehmensverantwortliche, Führungsleute, Kapitalgeber, Mitarbeiter, Konsumenten, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker sind – im Allgemeinen gesehen – nicht ohne Weiteres imstande, die mit dem Wirtschaftssystem verbundene Gefahren zu erkennen. Für die Elite in Politik und Wirtschaft gilt dies im Besonderen, und zwar deshalb, weil sie die moralischen Probleme meistens nicht tragen müssen und deshalb sich kaum ein genügend starkes kritisches Bewusstsein entwickeln kann, mit dem die bislang nicht fragwürdigen Prämissen hinterfragt werden könnten. Mit der Konsequenz, dass die moralische Problematik aller Wahrscheinlichkeit nach weiter zunehmen wird. Nach Popper hat die moderne Gesellschaft zwar viel erreicht, aber nicht in Bezug auf eine kritische Einstellung: „Nur eines bin ich bereit zuzugeben: daß wir dümmer sind als je zuvor und unkritisch dem gegenüber, was zu glauben gerade modern ist. Aber das wird nie gerne gehört und sicher auch nicht geglaubt.“ 1298 Und Gregory Bateson sagt: „Unsere Politiker – sowohl die im Zustand der Macht, als auch die in einem Zustand des Protests oder des Machthungers – wissen alle etwa gleich wenig über die Dinge, die ich hier diskutiert habe. (…) Im allgemeinen werden behördliche Entscheidungen von Personen getroffen, die von diesen Dingen etwa so viel verstehen wie Tauben.“ 1299 – Bateson spricht von der weitgehenden Unkenntnis unserer biologischen Erkenntnissituation und der Gefährlichkeit der menschlichen Zwecksetzung. Aber das ist noch nicht alles, denn es muss die Frage gestellt werden, wie sich die fortlaufende funktionale Differenzierung auf die – ohnehin schon prekäre – menschliche Erkenntnissituation auswirkt. Dies gilt umso mehr, als Popper die Autonomie der Soziologie hervorhebt und mit Karl Marx‘ Diktum: „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ 1300 mit den Worten: „Und ich kann gleich vorwegnehmen, daß die Lehre, die ich für den Antipsychologismus von 1298 1299 1300 K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen, a.a.O., S. 256 G. Bateson: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Übers. von H. G. Holl, Frankfurt a. M. 1985, S. 562f K. Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Ungekürzte Ausgabe nach der zweiten Auflage 1872, Paderborn, S. 696 175 Marx halte, eine Lehre ist, der ich selbst zustimme.“ 1301 weitgehend einverstanden ist. Wie sehr dies nun zutrifft bzw. welch grosser Einfluss soziale Systeme auf den subjektiven Konstruktionsprozesses haben können, wissen wir spätestens seit den ungeheuren Greueltaten des Nazi-Regimes. Ohne das Wirtschaftssystem mit solchen Verbrechen belasten zu wollen, muss dennoch deutlich gesagt werden, dass die Tatsache der mittlerweile räumlich und zeitlich unbegrenzten Business-Kommunikation in Bezug auf den subjektiven Problemlösungs-Horizont alles andere als harmlos ist. Und gleiches gilt für die heute nicht mehr seltene Forderung, während sechs Tagen pro Woche und 16 Stunden pro Tag dem Unternehmen zur Verfügung zu stehen. 1302 Darüber hinaus geht mit der fortlaufenden funktionalen Ausdifferenzierung eine allmähliche Blindheit für alles andere einher 1303, was sich zweifellos auf die Erkenntnissituation der Menschen überträgt, die diesen sozialen Systemen angehören. Eltern, die das Aufwachsen der eigenen Kinder miterleben und einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit mit der Familie verbringen, erfahren von den Sorgen und Nöten kleiner Kinder und bekommen die natürliche Direktheit und den Wert des Lebens als solchen hautnah geschenkt. Anders Führungsleute, die beinahe den ganzen Teil ihrer verfügbaren Zeit den unternehmerischen Zwecken widmen und selbst während den Seminarpausen ununterbrochen businessfokussiert sind. Die mit dem „ökonomischen Tunnelblick“ einhergehende Tendenz, wonach der Zweck die Mittel mehr oder weniger beliebig macht, ist in der Folge eines teilweise erschreckend eingeengten Erkenntnis-Horizonts bzw. ProblemlösungsHorizonts denn auch allein anhand der explizierten moralischen Problemphänomene unübersehbar. Und in einem engen Zusammenhang mit dem ausgeprägten Zweck-Mittel-Denken zeigt sich ein zunehmend verstärktes Kausaldenken im Sinne von Ursache-Wirkung. Wenn die für einen maximalen Umsatz verantwortliche Verkaufsabteilung eine raffinierte Werbekampagne lanciert, dann ist es mittlerweile selbstverständlich, dass deren Wirksamkeit sofort gemessen wird – weitgehend ohne Reflexion, wie zuverlässig diese Schätzung sein kann. Und weil mittlerweile die wichtigste Aufgabe des CEO eines börsenkotierten Unternehmens die Steigerung des Unternehmenswertes ist und der Börsenkurs tagtäglich Gewinner und Verlierer ermittelt, werden die Unternehmensleiter ihr Handeln entsprechend ausrichten. Mit der Konsequenz, dass viele Entscheidungen im Sinne von Ursache-Wirkung als Problemlösungen mittel- und langfristig ungenügend, wenn nicht sogar existenzgefährdend sind. Zu Recht sagt Christian Meier, dass es eigentlich paradox ist, „daß gerade nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks Marx‘ Lehre von der Determinierung der Menschen durch den Wandel der Produktionsbedingungen in einem Ausmaß sich zu bestätigen scheint, das man außerhalb des Kreises seiner Anhänger nie auch nur ahnungsweise für möglich gehalten hätte.“ 1304 Zusammenfassend haben die soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen gezeigt, dass die Problematik hinsichtlich der Verursachung von menschlichem Leid sowie der Schwächung der menschlichen Freiheit erstens in einem engen Zusammenhang mit der funktionalen Ausdifferenzierung und der menschlichen Erkenntnissituation steht und zweitens in der Dimension, sowohl was die Ausdehnung der Zahl betroffener Menschen wie auch die Intensität bei den bereits geplagten Personen betrifft, wahrscheinlich zunehmen wird, möglicherweise sogar dramatisch. In Bezug auf die zu entwickelnde problemorientierte philosophische Management-Ethik kann gesagt werden, dass der moralische Problemkern, also die zunehmende Verursachung von menschlichem Leid sowie die sukzessive Schwächung der menschlichen Freiheit, die eigentliche Aufgabe ist, die zur Lösung ansteht. Hinsichtlich der Lösung dieser Aufgabe haben die soziologischen Untersuchungen zutage gefördert, dass die ethischen Regeln nur dann eine Chance auf Akzeptanz haben, wenn sie im Sinne von Entscheidungsprämissen Eingang in die Unternehmenslogik finden. Und die erkenntnistheoretischen Abklärungen schliesslich zeigen in 1301 1302 1303 1304 176 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 105 Vgl. M. Vogel: „Management: Hohes Einkommen, enormer Stress“, Monster. Karriere-Journal [www.monster.de~, Veröffentlicht: 15.05.2006, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. B. Pöksen: „Humberto R. Maturana über Wahrheit und Zwang, Strukturdeterminismus und Diktatur und die Autopoiesis des Lebendigen“, in: Die Gewissheit der Ungewissheit. Gespräche zum Konstruktivismus, Heidelberg 2002, S. 95 Ch. Meier: Von Athen bis Auschwitz. Betrachtungen zur Lage der Geschichte, München 2002, S. 20 aller Klarheit, dass die Anwendung der ethischen Prinzipien davon abhängen wird, inwieweit die Personen des Managements dazu gebracht werden, eine kritische Einstellung zu übernehmen, die bewusst von der Möglichkeit falscher Erkenntnisse ausgeht und die Gefahren im Zusammenhang mit dem blinden Fleck abzuschwächen versucht. 14.2 Das teleologische System als normativ-ethisches Element Nach der Philosophie des Kritischen Rationalismus ist es angezeigt, gegen den moralischen Problemkern, das heisst gegen die zunehmende Verursachung von menschlichem Leid sowie gegen die sukzessive Schwächung der menschlichen Freiheit anzukämpfen, und zwar deshalb, weil diese moralische Problematik mit den von dieser Philosophie hochgehaltenen moralischen Grundwerten wie Gleichheit, Freiheit, Hilfe für die Schwachen und persönliche Verantwortung unvereinbar ist. Die Aufgabe, einen Beitrag zur Lösung dieser Problematik zu leisten, wird nun nach Hans Alberts metaethischem Verständnis wahrgenommen (vgl. S. 143). Das heisst: Es wird ein teleologisches System mit metaethischen regulativen Ideen etabliert, das einerseits dem deontologischen System den Weg weist und andererseits dessen Arbeit kritisch überprüft. In diesem Sinne ist dieses Unterkapitel in drei Abschnitte eingeteilt: Im ersten Abschnitt werden die metaethischen regulativen Ideen festgelegt, begründet und mit einem Bezug zur Philosophie des Kritischen Rationalismus expliziert. Im zweiten werden die festgelegten regulativen Ideen mit einem Blick auf das politische System sowie auf die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre legitimiert, bevor dann als Abschluss die kritische Funktion der Metaethik vorgestellt wird. 14.2.1 Die metaethischen regulativen Ideen Es werden zwei metaethische regulative Ideen für die Lösung des moralischen Problemkerns bestimmt: 1. menschliches Leid verhindern, nicht verursachen 2. die menschliche Autonomie schützen, nicht schwächen Wie werden diese beiden metaethischen regulativen Ideen als die beiden obersten Regeln der problemorientierten philosophischen Management-Ethik begründet? Zur Diskussion steht also – im Rahmen der dritten ethischen Grundfrage – die moralontologische Begründungsebene (vgl. S. 99). Die beiden metaethischen regulativen Ideen verdanken sich einer Erkenntnisleistung, nämlich der Erkenntnis des moralischen Problemkerns, wobei diese Erkenntnisleistung weder auf der Basis eines naturalistischen noch eines intuitionistischen moralepistemologischen Verständnisses zustande gekommen ist, sondern sich einer Konstruktion verdankt, die untrennbar mit den moralischen Grundwerten der Philosophie des Kritischen Rationalismus zusammenhängt, deren moralepistemologische Begründung bereits geleistet wurde (vgl. S. 146). Für die Bestimmung der beiden metaethischen regulativen Ideen wird nun – kognitivistisch – der Anspruch auf allgemeine Anerkennung erhoben, dass mit diesen beiden Ideen der moralische Problemkern am aussichtsreichsten gelöst werden kann. Da Letzterer mit den beiden metaethischen regulativen Ideen in einem engen Verhältnis steht, kann dieser Anspruch auf allgemeine Anerkennung als unproblematisch betrachtet werden. Die beiden metaethischen regulativen Ideen sind Teil der moralischen Grundwerte der Philosophie des Kritischen Rationalismus. Im Folgenden soll die Bedeutung dieser regulativen Ideen für den Kritischen Rationalismus ausführlicher dargelegt werden. „Die Anerkennung der Tatsache, daß die sittliche Dringlichkeit ihre Grundlage in der Dringlichkeit von Leiden und Schmerz hat“ 1305 gehört nach Popper zu den „wichtigsten Prinzipien einer humanitären, die 1305 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. 317 177 Gleichberechtigung der Menschen anerkennenden Ethik“ 1306. Weil Leiden und Schmerz, im Gegensatz zu Glück, wenig mit Geschmackssache zu tun hat, schlägt Popper vor, nicht die Maximierung des Glücks – das ist die Angelegenheit eines jeden Einzelnen -, sondern die Verminderung des Leidens zur ethischen bzw. politischen Aufgabe zu machen. 1307 Mit Poppers Worten: „Setze dich statt dessen für die Behebung von konkreten Mißständen ein. Oder praktischer ausgedrückt: Kämpfe für die Beseitigung des Elends mit direkten Mitteln – zum Beispiel durch die Sicherstellung eines Mindesteinkommens für jedermann.“ 1308 Entsprechend dieser Idee – sie wird im Übrigen auch von Stephen Toulmin vertreten1309 – wird das Ziel, menschliches Leid verhindern, nicht verursachen, als erste metaethische regulative Idee gesetzt. Zur möglichen Frage, wie der Begriff „Leid“ aufgefasst werden soll, lässt sich folgendes sagen: Nach Popper haben Begriffe lediglich eine technische oder pragmatische Funktion; das heisst, sie sind nichts weiter als Mittel zum Zweck für Formulierungen. 1310 Es gilt deshalb: „Man soll nie versuchen, exakter zu sein, als es die Problemsituation erfordert.“ 1311 In Bezug auf menschliches Leid wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass alle Menschen, in welcher Sprache und Kultur auch immer, damit einen tiefen Schmerz assoziieren, der die Menschen in ein affektives Ungleichgewicht stürzt. Dem Popperschen Duktus entsprechend soll der Begriff nicht definitorisch weiter eingeschränkt werden, zumal in der Tat mit der grösseren Exaktheit die Gefahr verbunden wäre, wichtige Bedeutungsfacetten auszuklammern. Eine Begriffsdefinition braucht es aber auch deshalb nicht, weil mit den aufgezeigten moralischen Problemphänomenen: Armut, Arbeitslosigkeit, Gesundheitsgefährdung, Gefährdung der Ökologie, politische Instabilität, Wirtschaftskriminalität, Anstrengungen der Neuroökonomie-Neuromarketing sowie Megafusionen Problemkomplexe vorgestellt wurden, die zwar nicht notwendig zu menschlichem Leid führen, denen aber doch ein grosses menschliches Leid-Potential inhärent ist und von daher eine konkrete Vorstellung von „Leid-Gefahren“ abgeben. Die Freiheit als eine der wichtigsten philosophischen Kategorien überhaupt ist für Popper sehr wichtig: Dazu Popper selbst: „Jedenfalls möchte ich hier etwas ganz klar sagen, das in meiner Offenen Gesellschaft und in meinem Elend des Historizismus offensichtlich ist: dass mir die philosophische Verteidigung der menschlichen Freiheit, der Kreativität, und dessen, was man traditionell den freien Willen nennt, sehr wichtig ist, – obwohl ich glaube, daß Fragen wie ›Was ist Freiheit?‹, oder ›Was heißt ››frei‹‹?‹, und ›Was ist Wille?‹ und ähnliches, sowie der Versuch, sie zu klären, uns in das Gewirr der Sprachphilosophie führen können.“ 1312 Eine Idee, welches Freiheitsverständnis Popper vorschwebt, bekommt man im Zusammenhang mit seiner Skizzierung einer neodarwinistischen Evolutionstheorie, die Raum für den Indeterminismus und die menschliche Freiheit schafft. Um Letztere nicht als ein Produkt des Zufalls annehmen zu müssen – dies würde sowohl Rationalität wie auch Verantwortlichkeit ausschliessen -, entwickelt Popper den Gedanken einer plastischen Steuerung mit Rückkoppelung. 1313 Dies besagt: Die physikalische Welt und die Welt der menschlichen Erzeugnisse werden der Welt des menschlichen Bewusstseins nicht einfach aufgezwungen, sondern vielmehr sind die Menschen frei zur Kritik, indem sie diese Bewusstseinsinhalte annehmen, ablehnen oder verbessern können. 1314 Es ist Herbert Keuth zuzustimmen, dass Popper die Idee der plastischen Steuerung nicht wirklich zu erklären 1306 1307 1308 1309 1310 1311 1312 1313 1314 178 A.a.O., S. 317 Vgl. K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 350 K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 2: Widerlegungen, a.a.O., S. 523 Nach Stephen Toulmin ist die Verhinderung von vermeidbarem Leid, wenn immer uns dies möglich ist, das allgemeinste ethische Prinzip. Das heisst: Wenn moralische Grundsätze hochgehalten werden möchten, dann kann dieses Prinzip nicht zurückgewiesen werden. (Vgl. S. E. Toulmin: An examination of the place of reason in ethics, Cambridge 1952, S. 143) Vgl. K. R. Popper: Ausgangspunkte, a.a.O., S. 26 A.a.O., S. 28 K. R. Popper: Das offene Universum, a.a.O., S. XIII Vgl. K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 250f Vgl. a.a.O., S. 251 vermag 1315, nichtsdestotrotz zeigen sich bei Poppers Ausführungen, dass Freiheit nicht bloss als die Abwesenheit von Zwang aufgefasst werden sollte. Unterstützt wird diese Einschätzung durch Poppers Bezug auf Sokrates und Immanuel Kant: „Die Verteidigungsrede und der Tod des Sokrates haben die Idee des freien Menschen zu einer lebendigen Wirklichkeit gemacht. Sokrates war frei, weil sein Geist nicht unterjocht werden konnte; er war frei, weil er wußte, daß man ihm nichts anhaben konnte. Dieser Sokratischen Idee des freien Menschen, die ein Erbgut unseres Abendlandes ist, hat Kant auf dem Gebiet des Wissens wie auf dem der Ethik eine neue Bedeutung gegeben.“ 1316 Diesen Geist der kantischen Ethik, den Popper mit den Worten: „Wage es, frei zu sein, und achte und beschütze die Freiheit aller anderen“ 1317 formuliert, wird als zweite metaethische regulative Idee bestimmt, wobei allerdings Freiheit durch den Begriff „Autonomie“ – nach Kant die Freiheit des Willens, der sich selbst ein Gesetz gibt 1318 – ersetzt wird. Und zwar deshalb, weil erstens der Begriff „Freiheit“ mit den Aspekten des Willens, der Entscheidung und der Handlung sehr komplex ist und auch kontrovers diskutiert wird, zweitens Willensfreiheit ein philosophischer Terminus ist, der im Alltag kaum Verwendung findet 1319, drittens in Wirtschaftskreisen oft vom Verständnis ausgegangen wird, gerade für die Freiheit der Menschen einen grossen Beitrag zu leisten und viertens der Begriff der menschlichen Autonomie, noch mehr als der Freiheitsbegriff, eine ethische Konnotation mit sich führt. Nicht von Willensfreiheit, sondern von der Autonomie menschlichen Handelns zu sprechen, schlägt auch Gerhard Roth vor, und zwar mit dem Argument, dass der die menschliche Selbstbewertung und Selbststeuerung bezeichnende Begriff – im Gegensatz zu Willensfreiheit – das gesamte menschliche Wesen, samt seinem Bewusstsein, Unbewussten, Gehirn und seinem ganzen Körper, in den Blick nimmt. 1320 14.2.2 Zur Legitimation der metaethischen regulativen Ideen Die metaethischen regulativen Ideen sind die festgelegten Ziele, um die gefasste Aufgabe zu erfüllen, nämlich den moralischen Problemkern idealiter zu beseitigen und realiter zu reduzieren. Mit der moralontologischen Begründungsleistung können diese beiden regulativen Ideen als legitimiert betrachtet werden. Angesichts der Tatsache, dass sich die Trias Ethik – Politik – Ökonomie längst ausdifferenziert hat und Wirtschaftsethiker wie Karl Homann die Ansicht vertreten, dass die Ökonomik die Fortsetzung der Ethik sei, allerdings mit besseren Mitteln (vgl. S. 40), stellt sich indessen die Frage, ob die Verhinderung von menschlichem Leid bzw. der Schutz der menschlichen Autonomie nicht bereits von der Ökonomik – oder allenfalls vom politischen System – in den Blick genommen wird. Anders gefragt: Ist Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie überhaupt noch die adäquate Instanz, um diese beiden regulativen Ideen einzufordern? Im Folgenden werden Argumente vorgebracht, die deutlich machen, dass weder das politische System noch die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre hinsichtlich der metaethischen regulativen Ideen, menschliches Leid verhindern, nicht verursachen sowie die menschliche Autonomie schützen, nicht schwächen, einen genügend starken Druck auf die Managements der Unternehmen ausüben. Hat sich Geld mittlerweile als Medium einer unkontrollierten Macht entwickelt? Nach Karl R. Popper ist Geld nur dann gefährlich, „wenn es zum Kauf von Macht verwendet werden kann, entweder direkt oder durch Versklavung der ökonomisch Schwachen, die sich selbst verkaufen müssen, um überleben zu können.“ 1321 Deshalb – so Popper – müssen wir Institutionen ersinnen, „die es uns erlauben, die ökonomische Macht auf demokratische Weise zu 1315 1316 1317 1318 1319 1320 1321 Vgl. H. Keuth: „Kritischer Rationalismus und Ethik“, in: Wissenschaft, Religion und Recht. Hans Albert zum 85. Geburtstag am 8. Februar 2006, Berlin 2006, S. 299 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Platons, a.a.O., S. XXIX A.a.O., S. XXIX Vgl. I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a.a.O., S. 104 [S. 446/447] Vgl. G. Keil: Willensfreiheit, Berlin 2007, S. 1 Vgl. G. Roth: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt a. M. 2001, S. 448f K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 150 179 kontrollieren, und die uns Schutz vor der ökonomischen Ausbeutung gewähren.“ 1322 Aber lässt sich die ökonomische Macht noch auf demokratische Weise kontrollieren, wenn die nationalstaatliche Politik im Rahmen der Globalisierung zunehmend an Einfluss verliert, immer mehr Lebensbereiche der Ökonomisierung bzw. dem Wettbewerb unterworfen werden 1323, die Funktionslogik des politischen Systems die politische Macht fokussiert und der politische Erfolg zunehmend vom Wahlkampfbudget abhängt? Anhand von sechs Punkten wird im Folgenden skizziert, weshalb Homann in seiner Einschätzung, wonach das politische System die Aufgabe einer ethisch fundierten Wirtschaftspolitik immer weniger erfüllt (vgl. S. 86), wohl Recht hat. Im globalen Standortwettbewerb werden erstens die regionalen, die staatlichen und sogar die suprastaatlichen politischen Einflussmöglichen – nach der soziologischen Systemtheorie Irritationsmöglichkeiten – mit Blick auf das Weltwirtschaftssystem zusehends kleiner. 1324 Genauer gesagt: Das politische System kann wichtige gesellschaftliche Aufgaben nur mithilfe des Wirtschaftssystems bzw. der Unternehmen erfüllen, aber gerade Letztere können sich dem Einfluss des politischen Systems in einer Welt, wo Milliardenbeträge innert weniger Sekunden von einem Kontinent auf den anderen verschoben und die Standorte nach idealen ökonomischen Kriterien ausgesucht werden können, immer besser entziehen. Zweitens hat sich durch die gesellschaftliche Ausdifferenzierung im politischen System ähnliches ereignet wie im Wirtschaftssystem. Während viele Unternehmen ökonomistische Unternehmensstrategien – in der Folge werden diese gelegentlich auch als ökonomische Binnenlogiken bezeichnet – verfolgen, das heisst den Gewinn und nicht eine mit moralischen Werten im Einklang stehende Marktleistung als höchstes Ziel fokussieren, sind die hochrangigen Politiker primär am Machtgewinn, Machterhalt und Machtausbau interessiert. Mit Niklas Luhmann gesagt: „Die Ausdifferenzierung eines machtbasierten, zentralisierten, politischen Systems setzt voraus, daß Macht selbst zum Focus der Systembildung wird.“ 1325 Das heisst: Die Massnahmen zugunsten des Gemeinwohls sind ein Mittel für den Zweck der politischen Macht, die jedoch durch andere, möglicherweise effizientere Instrumente, ersetzt werden können. Wie die obersten Führungsleute grosser Unternehmen ihre Tätigkeiten weitgehend nach der Börse als Indikator für das Einschlagen des „richtigen“ Weges ausrichten, so orientieren sich hochrangige Politiker – mehr oder weniger ausgeprägt – nach den Popularitätsumfragen. Dass Letztere durch sorgfältige Überlegungen und weitsichtige Entscheidungen mit Blick auf das mittel- und langfristige Gemeinwohl nicht gerade befördert werden, ist zwar leicht nachvollziehbar, im Grunde genommen aber tragisch. Die Idee, “ein Medienereignis pro Tag“ 1326, kann in diesem Sinne denn auch durchaus als eine kluge Medienstrategie betrachtet werden. Drittens gilt es festzuhalten, dass der Erfolg von politischen Ämtern zunehmend von der Finanzkraft der hochrangigen Politiker und ihrer Parteien abhängt. Und weil niemand über eine ähnlich starke Finanzkraft wie die Unternehmen verfügt und Letztere ihren Beitrag direkt vom Abstimmungsverhalten der Parteien abhängig machen 1327, ist es auch deshalb naheliegend, dass die Mehrheit der Parlamente kein besonderes Interesse hat, die Unternehmen hinsichtlich ihrer Normativität allzu sehr zu kritisieren und auf Gesetzesänderungen im Hinblick auf die Berücksichtigung moralischer Anliegen hinzuarbeiten. Viertens muss berücksichtigt werden, dass nicht wenige Parlamentsabgeordnete direkt die Interessen des Wirtschaftssystems wahrnehmen und Wirtschaftsverbände das Abstimmungsverhalten mit hohen Geldsummen für geeignete Werbeanstrengungen durchaus zu ihren Gunsten beeinflussen können. Weil die Erfüllung von wichtigen politischen Aufgaben, zum Beispiel der Schutz der Arbeitsplätze oder der Ausgleich des 1322 1323 1324 1325 1326 1327 180 A.a.O., S. 150 Vgl. M. Fischer: „Ethik als wirtschaftliche Chance“, in: Wirtschafts- und Unternehmensethik, Hrsg. von M. Fischer und R. Hammer, Frankfurt a. M. 2007, S. 142 Vgl. N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2: Kapitel 4-5, a.a.O., S. 781 Vgl. N. Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, a.a.O., S. 73 Vgl. zapp: „Willige Journalisten - Unheimliche Medienmacht des Nicolas Sarkozy“, NDR fernsehen [www.ndr.de~, Veröffentlicht: 23.05.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. G. Gavelty: „Credit-Suisse: Wer richtig abstimmt, dem wird gegeben“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Veröffentlicht: 09.10.2008, Zugriff: 29.04.2009] Finanzhaushalts, direkt vom Wirtschaftssystem abhängt, zeigt sich fünftens nicht selten ein Reflexionsstopp seitens vieler hochrangiger Politiker, wenn es darum geht, gesetzliche Institutionen zur Eindämmung der ökonomischen Macht zu beschliessen. Anders gesagt: Die mangelnden Bemühungen für eine ethisch fundierte Wirtschaftspolitik kaschieren hochrangige Politiker häufig mit dem Verweis auf den Schutz der Arbeitsplätze oder die Wichtigkeit von hohen Unternehmenssteuern. Zweifellos haben der Schutz der Arbeitsplätze und hohe Steuereinnahmen eine herausragende Bedeutung, nichtsdestotrotz sollten Fragen, ob mit den hohen Steuereinnahmen bzw. mit den Arbeitsplätzen die Ökologie, die menschliche Autonomie oder die Gesundheit gefährdet, ob Menschen mit der Arbeit zu Working Poor gemacht werden oder ob die Arbeitsstellen der Herstellung von Kriegsmaschinen, Gewaltspielen und sinnlosen Massenprodukten dienen, nicht aus den Augen verloren gehen. Und sechstens schliesslich betrifft die Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnissituation Politiker genauso wie alle anderen Menschen. Im Grunde genommen wären die mit den genannten Punkten zusammenhängenden Gefahren für die soziale Ordnung der Möglichkeit nach für die hochrangigen Politiker feststellbar. Aber um zu erkennen, dass mit den Gesetzeserlassen häufig bloss Symptome bekämpft werden, bräuchte es eine genügend starke kritische Einstellung gegenüber den eigenen Erkenntnissen und dem eigenen Standpunkt. Erst dann könnten wichtige Fragen nach den tiefer liegenden Ursachen, beispielsweise zum erschreckenden Problem der Jugendgewalt, gestellt werden. Trotz dieser schwerwiegenden Vorbehalte implizieren diese Ausführungen nicht, dass es der Politik nicht immer wieder gelingt, menschliches Leid zu verhindern und die menschliche Autonomie zu schützen. Vielmehr sind sie so zu verstehen, dass hinsichtlich der Beförderung der metaethischen regulativen Ideen nicht mit einem breitgefächerten politischen Druck auf die Managements der Unternehmen gerechnet werden kann. Dies wird im Übrigen durch die aktuelle Weltwirtschaftskrise bestätigt; zu Beginn der Krise wurden schärfere Gesetze zur Eindämmung exorbitanter Lohnbezüge in Aussicht gestellt, mittlerweile zeigt sich deutlich, wie schwer die Parlamente sich mit derartigen Eingriffen tun. Die ABB und andere Unternehmen werden auch weiterhin einem gefeuerten CEO eine Abgangsentschädigung von 8.7 Millionen und dem Nachfolger – damit er die Aufgabe überhaupt annimmt – im Vorneherein 13 Millionen bezahlen können. 1328 Für die Möglichkeit, dass gerade Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, ein Jahresgehalt in Millionenhöhe zu verdienen, die nachhaltige Existenz von Unternehmen sowie die soziale Ordnung gefährden könnten, hat eine grosse Zahl der hochrangigen Politiker kein Bewusstsein – trotz der diesbezüglich deutlichen Erfahrungen im Zusammenhang mit der jüngsten Wirtschaftskrise. Kann von der Betriebswirtschaftslehre, die sich immerhin als „eine Wissenschaft mit tiefen ethischen Wurzeln“ 1329 versteht, erwartet werden, dass sie angehende Führungsleute und Unternehmen lehrt, ethische Anliegen zu berücksichtigen? Die Tatsache, dass sich die Gebiete des Absatzes und des Marketings in den letzten dreissig Jahren stürmisch entwickelten und dabei „in vielfacher Weise verhaltenstheoretische Aspekte, psychologische und soziologische Erkenntnisse in die Theorie des Marketings eingeflossen“ 1330 sind, könnte dies zumindest nahelegen. Nach Horst Albach beschäftigt sich die Betriebswirtschaftslehre mit betrieblichen Problemen, arbeitet dabei aber im Sinne von Max Webers Wertfreiheitspostulat wertfrei. 1331 Dies mag ein Grund sein, weshalb Unternehmensethik nicht Pflichtbestandteil von Vorlesungen und 1328 1329 1330 1331 Vgl. A. Flütsch: „Hogan: Der Mann mit dem goldenen Arm“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Veröffentlicht: 12.03.2009, Zugriff: 29.04.2009] H. Albach: „Unternehmensethik: Ein subjektiver Überblick“, in: Unternehmensethik und Unternehmenspraxis, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Special Issue 5 (2005), S. 5 H. Albach: „60 Jahre ZfB - Meilensteine der Betriebswirtschaftslehre“, in: Meilensteine der Betriebswirtschaftslehr. 60 Jahre Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 2 (1991), S. X Vgl. H. Albach: „Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft. Entwicklungstendenzen in der modernen Betriebswirtschaftslehre“, in: Die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 3 (1993), S. 8f 181 Lehrbüchern der Betriebswirtschaftslehre ist. 1332 Dessen ungeachtet hat es die Betriebswirtschaftslehre aber auch gar nicht nötig, denn – so Albach – da das Gefangenendilemma das Grundmodell der modernen Ethik ist, haben wir „allen Grund, selbstbewusst zu sagen: Die Betriebswirtschaftslehre ist eine Wissenschaft, die auf soliden ethischen Fundamenten ruht. Ihre Prinzipien (oder entscheidungstheoretischen Axiome) sind Operationalisierungen ethischer Grundsätze.“ 1333 Damit stellt Albach – er ist der Herausgeber der Zeitschrift für Betriebswirtschaft und mehrfach mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet – auch gleich klar: Mitarbeiter und Unternehmer bedürfen „in ihrer weitaus überwiegenden Anzahl nicht der Belehrung durch Ethiker oder Unternehmensethiker. Natürlich gibt es unter den Unternehmern ‚Schwarze Schafe‘. Sie müssen und werden durch Gesetz und Markt, durch die Medien und die Öffentliche Meinung zumindest auf mittlere Frist daran gehindert, unmoralisch zu handeln.“ 1334 Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass in der nicht viel mehr als hundertjährigen Geschichte der Betriebswirtschaftslehre ein normativ-ethischer Ansatz sich nicht wirklich durchzusetzen vermochte. Mit Hans-Ulrich Küppers Worten: „Dieser Versuch einer ethischen Orientierung der Betriebswirtschaftslehre hat sich nicht durchgesetzt. Heute lässt er kaum noch Wirkungen erkennen.“ 1335 Die Forderung von Daniel Klink, das Leitbild des auf der Basis von Tugenden nachhaltig wirtschaftenden ehrbaren Kaufmannes als ethische Basis der Betriebswirtschaftslehre wieder in die Ausbildung an Hochschulen zu integrieren 1336, wird angesichts dieser schwierigen Situation in der Betriebswirtschaftslehre anerkennend zur Kenntnis genommen. Gleiches gilt für die Einschätzung von Hans Ulrich, dem ehemaligen Professor an der Universität St. Gallen und Gründer des Instituts für Betriebswirtschaft; nach ihm sind die Ansätze von Ethik, Wissen und Institutionen für die Zukunftsbewältigung und für die menschliche Freiheit von grosser Bedeutung. 1337 Auf welchem Weg befindet sich die Volkswirtschaftslehre, die der Betriebswirtschaftslehre den Weg weisen könnte? Die Antwort gibt Bruno S. Frey, und zwar in aller wünschenswerten Deutlichkeit: „Die sich immer stärker selbst-definierten intellektuellen Problemen zuwendende Volkswirtschaftslehre ist mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert, die in der Zukunft sich noch verschärfen dürften: a) Die Anteile an den Studierenden aller Niveaus nimmt ab, ganz besonders im Vergleich zur Betriebswirtschaftslehre, aber auch zu anderen Fächern. Es stellt sich die Frage, ob unser Fach für Spitzenbegabungen noch attraktiv ist. Noch bis vor kurzem haben gerade besonders motivierte junge Leute unser Fach studiert, weil sie zur Lösung gesellschaftlicher Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut oder Umweltproblemen beitragen wollten. Dieser Anreiz geht verloren, wenn sich die Disziplin hauptsächlich oder ausschliesslich mit internen Puzzles herumschlägt. b) Ressourcen vor allem in Form von Lehrstühlen und Assistentenstellen gehen verloren. Die Volkswirtschaftslehre könnte damit zu einem (wohl unbedeutenden) Teil der angewandten Mathematik werden. Ein derartiger Ressourcenverlust ist für eine Wissenschaft, die im wesentlichen Marktbewertungen akzeptiert, besonders ernst zu nehmen. c) Die Volkswirtschaftslehre büsst ihre Bedeutung vor allem in den Medien, in der wirtschaftspolitischen Diskussion, aber auch im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs ein.“ 1338 Gar als einen Skandal empfindet der im Jahre 2008 mit dem Marcel-Benoist-Preis ausgezeichnete Ernst Fehr die Abstinenz der Volkswirtschaftslehre von der Empirie: „Ökonomie wird auf eine sehr sonderbare Art unterrichtet. In einem Mikroökonomiebuch findet man fast oder gar nichts 1332 1333 1334 1335 1336 1337 1338 182 Vgl. H. Albach: „Unternehmensethik: Ein subjektiver Überblick“, in: Unternehmensethik und Unternehmenspraxis, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Special Issue 5 (2005), S. 4 A.a.O., S. 5 A.a.O., S. 15 H.-U. Küpper: Unternehmensethik. Hintergründe, Konzepte, Anwendungsbereiche, Stuttgart 2006, S. 3 Vgl. D. Klink: „Der Ehrbare Kaufmann – Das ursprüngliche Leitbild der Betriebswirtschaftslehre und individuelle Grundlage für die CSR-Forschung“, in: Corporate Social Responsibility, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Special Issue 3 (2008), S. 57 Vgl. H. Ulrich: Systemorientiertes Management, a.a.O., S. 442f B. S. Frey: Was bewirkt die Volkswirtschaftslehre?, Institute for Empirical Research in Economies University of Zurich, Working Paper No. 24, October 1999, S. 23 Empirisches. In allen anderen Wissenschaften lernt man empirische Tatsachen, in der Wirtschaftswissenschaft ist alles nur Spekulation, keine Empirie. Das ist ein Skandal! Die ganze Grundausbildung ist empiriefrei. Es gibt kein Wechselspiel von Modellen und Empirie. Das ist das Problem. Die jungen Ökonomen lernen die Modelle und glauben, die stimmen.“ 1339 Die provokative Frage von Thomas Knellwolf, ob HSG-Studenten falsch programmierte Roboter sind 1340, zielt offensichtlich auf ein ernst zu nehmendes Thema. Kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass die soziologische Systemtheorie, die immerhin die funktionale Ausdifferenzierung sorgfältig analysiert, das Erbe der Volkswirtschaftslehre übernehmen wird? Nach dem Wirtschafts- und Organisationssoziologen Dirk Baecker – er war Habilitand bei Luhmann – hat die Einführung des Computers für die Gesellschaft ebenso dramatische Folgen wie zuvor die Einführung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks. 1341 Auf die Frage, was die Gesellschaft noch zusammenhält, antwortet Baecker: „Unsere Antwort auf die Titelfrage dieses Beitrags, was die Gesellschaft zusammenhält, lautet: die Struktur des Sinnüberschusses in der Kombination mit einer Kultur der selektiven Handhabung und Reproduktion dieses Überschusses. Der Sinnüberschuss erklärt sich aus den Verbreitungsmedien der Kommunikation, die die Gesellschaft zwingen, jede einzelne Kommunikation weniger vom Sender als vielmehr vom Empfänger her zu denken und sich jeden einzelnen Akteur als jemanden vorzustellen, der – noch bevor er dazu kommt, Motive, Absichten und Intentionen zu entwickeln – erst einmal in ein Erleben gestellt ist, mit dem er fertig werden muss.“ 1342 Es spricht weder für das politische System noch für die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, aber auch nicht für die soziologische Systemtheorie, dass Bill Gates Forderung nach einem kreativen Kapitalismus zum Nutzen der Armen1343, ausgesprochen in Davos am WEF 2008 – nach Gates war es die bislang wichtigste Rede in seinem Leben 1344 -, für die Aufnahme von ethischen Anliegen seitens der Managements vielversprechender erscheint. 14.2.3 Die kritische Funktion des teleologischen Systems Nach Hans Albert gehört es zur Problemlösungs-Methodologie, mithilfe von Selbst- und Fremdkritik zu prüfen, ob mit der vorgeschlagenen Lösungsvariante das bestehende Problem auch wirklich gelöst wird bzw. wie der bestehende Lösungsversuch allenfalls verbessert werden kann (vgl. S. 139). Für die Beantwortung der Frage nach der Adäquatheit der problemorientierten philosophischen Management-Ethik lassen sich drei kritische Bereiche feststellen, die in einem engen Zusammenhang mit der Erfüllung der gefassten Aufgabe stehen: Es stellt sich die Frage, ob erstens die im Rahmen des deontologischen Systems festgelegten ethischen Prinzipien mittlerer Reichweite als Problemlösungs-Hypothesen die regulativen Ideen auch tatsächlich befördern, ob zweitens die theoretische Lösung der anthropologischen Voraussetzungen auch realiter im Sinne von Sollen impliziert Können zu überzeugen vermag und ob drittens die ausgedachten Motivationsbemühungen ausreichend durchgeführt wurden, so dass die ethische Theorie effektiv angenommen und durchgesetzt wird. Aber wie lassen sich diese Fragen überhaupt zuverlässig klären? Grundsätzlich können in allen drei Bereichen mithilfe von Befragungen und Beobachtungen Schwachstellen und Möglichkeiten zur Verbesserung eruiert werden, auch wenn die einzelnen konkreten Situationen möglicherweise nicht sofort und auch nicht ohne Weiteres eindeutige 1339 1340 1341 1342 1343 1344 E. Fehr: „‹‹Was heisst schon exakt?››“, in: WOZ Die Wochenzeitung, Interview: Carlos Hanimann und Yves Wegelin, Ausgabe: 20.11.2008, S. 3f Vgl. T. Knellwolf: „Sind HSG-Studenten ‹‹falsch programmierte›› Roboter?“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Veröffentlicht: 09.04.2009, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. D. Baecker: Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2007, S. 7 A.a.O., S. 173 Vgl. S. Schnyder: „Gates‘ ‹‹kreativer Kapitalismus››“, Tagesanzeiger [www.tagesanzeiger.ch~, Veröffentlicht: 25.01.2008, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. a.a.O. 183 Antworten zulassen. Im Übrigen muss in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass Verbesserungsmöglichkeiten im Bereich der ethischen Prinzipien wohl einfacher zu realisieren sind, als etwa im Bereich der anthropologischen Voraussetzungen oder der Motivationsbemühungen. Wann muss die problemorientierte philosophische Management-Ethik als gescheitert betrachtet werden? Da sich das Verhältnis zwischen den ethischen Prinzipien mittlerer Reichweite und den metaethischen regulativen Ideen auf einen breiten Erfahrungsbereich abstützten lässt, zudem ein gewisser Spielraum für Verbesserungsmöglichkeiten besteht, kann die Gefahr, dass trotz systematischer und konsequenter Befolgung der ethischen Prinzipien die metaethischen Ideen im Grossen und Ganzen verfehlt werden, weitgehend ausgeschlossen werden. Anders verhält es sich in der Sache der anthropologischen Voraussetzungen sowie der Motivationsbemühungen. Wenn es sich, trotz Verbesserungsversuchen, herausstellt, dass die systematische und konsequente Anwendung der ethischen Prinzipien die Führungsleute nachweislich im Sinne von Nicht-Können impliziert Nicht-Sollen – mit Recht weist Andreas Graeser darauf hin, dass dieses Brückenprinzip nicht als einen schlechthin wahren Satz, sondern als eine pragmatische Präsupposition, die von einem freien Willen ausgeht, aufgefasst werden sollte 1345 – überfordert oder der Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat nicht ausreichend Gründe sieht, die problemorientierte philosophische Management-Ethik anzunehmen und durchzusetzen, dann ist dieser Lösungsversuch gescheitert. Gleiches gilt, wenn sich nachweislich herausstellen sollte, dass die systematische und konsequente Anwendung der ethischen Prinzipien die Existenzfähigkeit der Unternehmen – im Allgemeinen gesehen – gefährdet. 14.3 Das deontologische System als normativ-ethisches Element Nach Alberts metaethischem Verständnis ist es die Aufgabe des deontologischen Systems, die vom teleologischen System vorgegebenen Ziele mithilfe von ethischen Prinzipien umzusetzen. Diese Aufgabe wird im Rahmen von zwei Abschnitten angegangen: Zuerst wird die Übernahme der sozialen Verantwortung seitens der Unternehmen eingefordert, während im zweiten Abschnitt die deontologischen Prinzipien entwickelt werden. 14.3.1 Corporate Social Responsibility Das deontologische System, nebst dem teleologischen System das zweite normative Element der problemorientierten philosophischen Management-Ethik, fordert von den Managements aller Unternehmen die Übernahme ihrer sozialen Verantwortung, indem die unternehmerischen Tätigkeiten so ausgerichtet werden, dass die metaethischen regulativen Ideen beachtet werden. Da Letztere nicht nur mit der Philosophie des Kritischen Rationalismus untrennbar verbunden sind, sondern zugleich als die wohl in den meisten Gesellschaften tief verankerten moralischen Werte aufgefasst werden können, impliziert die Forderung nach der Übernahme der sozialen Verantwortung keineswegs zwingend die Übernahme der hier zugrunde gelegten Philosophie. Das heisst auch: Wenn die Managements die metaethischen regulativen Ideen, menschliches Leid verhindern, nicht verursachen, die menschliche Autonomie schützen, nicht schwächen, beachten, dann handeln sie nicht nur ethisch, sondern zugleich moralisch. Das ist auch der Grund, weshalb in den weiteren Ausführungen in erster Linie von gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werten und weniger von den metaethischen regulativen Ideen gesprochen wird. Mit der Einforderung dieser gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werte kann – mit Blick auf die moralpsychologischen Untersuchungen von Kohlberg – von der Einnahme der empirisch nicht nachweisbaren sechsten Moralstufe (universelle Moralprinzipien der Gerechtigkeit) abgesehen werden, denn die Erfüllung 1345 184 Vgl. A. Graeser: Philosophie und Ethik, a.a.O., S. 47f der gesellschaftlichen Pflichten sowie die Respektierung gewisser Werte wie Freiheit, und zwar unabhängig von der Meinung der Mehrheit, bedarf „lediglich“ der Stufe vier bzw. fünf) 1346. 14.3.2 Zehn deontologische Prinzipien Im Mittelpunkt des deontologischen Systems stehen die ethischen Prinzipien und somit die Beantwortung der zweiten ethischen Grundfrage: Welche ethischen Regeln sollen Geltung haben? Um die metaethischen Ziele zu befördern, sollen nach den Vorgaben der kritisch-rationalen Metaethik mehrere deontologische Prinzipien mittlerer Reichweite (vgl. S. 143) entwickelt werden. Dazu werden erstens Beobachtungspunkte im Bereich der unternehmerischen Tätigkeit fixiert und zweitens den Managements prinzipielle Vorgaben für ethisches Denken, Entscheiden und Handeln hinsichtlich dieser Beobachtungspunkte gemacht, und zwar mit dem Ziel, die Übernahme der sozialen Verantwortung in die unternehmerischen Prozesse zu gewährleisten. Aber was wird unter einem ethischen Prinzip aufgefasst? Ein ethisches Prinzip wird als eine inhaltlich gefasste Regel verstanden, welche die ethische Richtung beim Denken, Entscheiden und Handeln hinsichtlich eines Beobachtungspunktes deutlich kennzeichnet, ohne jedoch einen Bezug zu einzelnen Situationen herzustellen. Letzteres ist ethischen Normen vorbehalten, die allerdings nicht durch das deontologische System elaboriert werden, sondern durch von den Unternehmen beauftragte Ethikspezialisten, die denn auch mit den besonderen Gegebenheiten der einzelnen Unternehmen vertraut sind. Ohnehin muss in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass die Implementation der problemorientierten philosophischen Management-Ethik nicht ohne die beratende Tätigkeit eines sowohl in ökonomischen wie auch in ethischen Belangen professionellen Beraters realisiert werden kann. In der nachfolgenden Darstellung der ethischen Prinzipien gilt es denn auch, diese Voraussetzung zu berücksichtigen, und zwar dahingehend, dass die Explikation der deontologischen Prinzipien hinsichtlich ihrer Anwendung in keiner Weise als abschliessend aufgefasst werden kann. Wie lassen sich die fixierten Beobachtungspunkte und die prinzipiellen ethischen Vorgaben für die unternehmerische Tätigkeit begründen? Wie beim Entscheid für die Philosophie des Kritischen Rationalismus sowie bei der Begründung der metaethischen regulativen Ideen stellt sich auch hier die dritte ethische Grundfrage, nämlich: Weshalb sollen gerade diese ethischen Regeln Geltung haben? Und dabei steht hier die erste Begründungsebene, die theorieimmanente, zur Diskussion. Es fragt sich also, weshalb sollen die Managements gerade diese Prinzipien befolgen. Die Antwort lautet: Die ethischen Prinzipien stehen in einem direkten Verhältnis zu den metaethischen regulativen Ideen, wobei sie sich auf Beobachtungspunkte bzw. Managementbereiche stützen, von denen erfahrungsgemäss eine beträchtliche Gefahr hinsichtlich des zu lösenden moralischen Problemkerns ausgeht. In diesem Sinne wird – kognitivistisch – der Anspruch auf eine allgemeine Anerkennung erhoben, dass mit den ethischen Prinzipien mit Blick auf die metaethischen regulativen Ideen sowohl adäquate Anwendungsfelder als auch wirkungsvolle ethische Vorgaben gewählt wurden, ohne deswegen die Kontingenz sowohl der Beobachtungspunkte als auch der prinzipiellen Vorgaben negieren zu wollen. Das deontologische System umfasst in diesem Sinne – wie der UN Global Compact – zehn ethische Prinzipien. In der Folge werden diese ethischen Postulate mit folgender Struktur expliziert: Zunächst wird das ethische Prinzip prägnant formuliert. Danach wird der Beobachtungspunkt hinsichtlich des von ihm ausgehenden Gefahrenpotenzials erklärt, so dass dann aufgezeigt werden kann, wie mit dem ethischen Prinzip dieses Gefahrenpotenzial mit Blick auf die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen eingedämmt werden kann. Zum Abschluss wird das ethische Prinzip gegenüber möglichen betriebswirtschaftlichen Einwänden verteidigt. 1346 Vgl. L. Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung, a.a.O., S. 130f 185 14.3.2.1 Das erste ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir diese Werte als Grenze für die ökonomischen Tätigkeiten auffassen und den betriebswirtschaftlichen Erfolg als Massstab betrachten, inwieweit uns dies gelungen ist. Das erste ethische Prinzip bestimmt die Gewinnstrategie des Unternehmens zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass sich die Unternehmen an ökonomistischen Gewinnstrategien orientieren, die beinahe sämtliche unternehmerischen Handlungen für den maximalen Gewinn als das höchste Ziel instrumentalisieren und dabei selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachten. Das erste ethische Prinzip fordert von den Managements, dass sie Wirtschaftsakteure wie Konsumenten, Mitarbeiter, kleinere Kapitalgeber, Lieferanten, staatliche Institutionen usf. nicht bloss als Mittel für den bestmöglichen ökonomischen Erfolg behandeln und die Ansicht, wonach die Verursachung von menschlichem Leid oder das Schwächen der menschlichen Autonomie im harten Konkurrenzkampf unumgänglich sei, ablegen. Der Unterschied, ob allein der ökonomische Erfolg oder aber eine Vermittlung des ökonomischen Strebens mit in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werten im Zentrum der unternehmerischen Tätigkeit steht, kann mit Blick auf die Konsequenzen kaum grösser sein. Während beim ökonomischen Selbstzweckdenken die Qualität der Produkte und Dienstleistungen, die Verkaufsmethoden, Mitarbeiterzahl, Beschäftigungsbedingungen usf. eine Frage des klugen, das heisst des zweckmässigen Einsatzes ist, zeigen sich Unternehmen, die den Fokus auf die Verhinderung von menschlichem Leiden und den Schutz der menschlichen Autonomie richten, als beispielsweise wertvolle Anbieter von Produkten und Dienstleistungen, umsichtige Arbeitgeber oder verantwortungsvolle Beeinflusser der ökologischen Gefährdung. Dass dieses ethische Prinzip nicht eine utopische Idee, sondern auch von – weitsichtigen – Managementlehren gefordert wird, zeigt die Aussage von Peter Stadelmann, der die Geschäftsleitung des Malik Management Zentrum St. Gallen innehat: „Noch immer hält sich selbst in Lehrbüchern die Forderung fest: Das oberste Ziel des Unternehmens ist es, seinen Gewinn zu maximieren. Wir schlagen Ihnen vor, das oberste Ziel eines Unternehmens darin zu sehen, seinen Zweck zu erfüllen, seine Kunden zufrieden zu stellen. Und der Gewinn ist der Maßstab dafür, wie gut es dies tut. Ich möchte das mit uns Menschen verdeutlichen: wir müssen atmen, um zu leben – aber wir leben doch nicht um zu atmen!“ 1347 Aber wie können Unternehmen existieren, wenn sie den Fokus nicht auf den höchstmöglichen Gewinn richten und mehr als nur die Kundenzufriedenheit für den Schutz von in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werten berücksichtigen? Denn immerhin – so könnte der Vorwurf lauten – gingen die ökonomischen Interessen keineswegs Hand in Hand mit moralischen Werten, beispielsweise sei es hinsichtlich der in Frage stehenden moralischen Werte der Tendenz nach sinnvoll, wenn Unternehmen möglichst viele Mitarbeiter zu möglichst hohen Löhnen beschäftigen, während dies einem Unternehmen jedoch gerade die Existenz kosten könne. Dem kann entgegnet werden, dass erstens die unternehmerische Existenzgefährdung – im Allgemeinen gesehen – mit den metaethischen regulativen Ideen unvereinbar ist und es zweitens in der Tat nicht einfach ist, zwischen den ökonomischen und den moralischen Interessen eine Balance zu finden, es aber gerade die Fähigkeit eines Managements ausmacht, diese schwierigen Probleme weitsichtig und ausgewogen zu lösen. 1347 186 P. Stadelmann: „Die Bedeutung von KMU“, online. management zentrum st. Gallen. consulting & education, St. Gallen 2003, S. 6 [www.km-management.ch~, Veröffentlicht: 06.06.2003, Zugriff: 29.04.2009] 14.3.2.2 Das zweite ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir eine ehrliche und offensive Kommunikationspolitik pflegen und die Erwartungen der Stakeholder mit den effektiv möglichen Leistungen des Unternehmens weitsichtig ausbalancieren und zu hohe Erwartungen korrigieren. Das zweite ethische Prinzip bestimmt die Kommunikationspolitik von Unternehmen zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass die Unternehmen eine Kommunikationspolitik betreiben, in der praktisch sämtliche Kommunikationshandlungen mit Blick auf betriebswirtschaftliche Anliegen instrumentalisiert werden und dabei selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie als Grenze der unternehmerischen Tätigkeit unbeachtet lassen. Eine auf die Zweckmässigkeit von betriebswirtschaftlichen Anliegen ausgerichtete Kommunikationspolitik kann zur Folge haben, dass Wirtschaftsakteuren wie Konsumenten, Lieferanten, staatlichen Einrichtungen usf. der Möglichkeit beraubt werden, frühzeitig auf für sie wichtige Sachverhalte zu reagieren und adäquate Massnahmen zu ergreifen. Dies kann sehr wohl zu grossen Enttäuschungen, menschlichem Leid und zu fehlenden Handlungsspielräumen führen. Das zweite ethische Prinzip fordert von den Managements sowohl eine ehrliche wie auch eine offensive Kommunikationspolitik. Das bedeutet: Die Personen des Managements sollen sich im Rahmen der Kommunikationspolitik nicht an einer – oft kurzsichtigen – betriebswirtschaftlichen Optik orientieren und keine defensive, nur auf Druck reagierende Kommunikationspolitik wählen, sondern über wahre Sachverhalte umfassend informieren und dabei konsequent den Weg in die Offensive wählen. Dadurch entsteht die überaus wichtige Situation, dass die Wirtschaftsakteure frühzeitig, das heisst noch mit einem Bewusstsein von Handlungsspielräumen auf für sie unangenehme Aussichten reagieren können. Darüber hinaus vermag diese ethische Kommunikationspolitik übertriebene Erwartungen bei Wirtschaftsakteuren wie Aktionären, Mitarbeitern oder Konsumenten wirkungsvoll zu korrigieren. Aber wie kann eine ehrliche und offensive Kommunikationspolitik erwartet werden, angesichts der kaum bestreitbaren Tatsache, dass in den Managements Lügen so sehr zum Alltag gehören, dass die Öffentlichkeit Mitteilungen wie: Wir haben uns im gegenseitigen Einverständnis getrennt! längst nicht mehr wirklich ernst nimmt? Dem kann entgegnet werden, dass eine nicht ehrliche und defensive Kommunikationspolitik nur vermeintlich aus einer ökonomischen Dringlichkeit heraus entsteht und angesichts des grossen Risikos, damit ein Image- und Glaubwürdigkeitsproblem einzuhandeln, dieses ethische Prinzip im Grunde genommen gerade durch den ökonomischen Verstand bejaht werden müsste. Im Übrigen sollte die enorme Kraft, die von einer ehrlichen und offensiven Kommunikationspolitik ausgeht – sie signalisiert eine hohe Wertschätzung für andere Menschen – nicht unterschätzt werden. Sie kann sogar so hoch sein, dass Unternehmen gerade dadurch zusätzlich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen. Dass die Forderung nach einer sowohl nach innen wie auch nach aussen gerichteten ehrlichen und offensiven Kommunikation im Übrigen kein utopisches Denken ist, kann anhand von Untersuchungen, die eine wachsende Zahl von Unternehmen mit einer Corporate Social Responsibility-Kommunikationspolitik konstatieren 1348, belegt werden. 1348 Vgl. A. Glombitza: Corporate Social Responsibility in der Unternehmenskommunikation, a.a.O., S. 139 187 14.3.2.3 Das dritte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir eine positive Einstellung gegenüber der Entdeckung von begangenen Fehlern im Sinne der dadurch erhaltenen Möglichkeit zur Verbesserung der eigenen Leistung annehmen. Das dritte ethische Prinzip bestimmt die Einstellung gegenüber der Entdeckung von Fehlern zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass die Unternehmen eine Kultur der Angst entwickeln, in der die Entdeckung von Fehlern primär als Ausgangspunkt für die Suche nach Sündenböcken genommen wird. Mit der Konsequenz, dass Fehler, so gut wie es nur geht, vertuscht und selbst die Verletzung gesellschaftlich tief verankerter moralischer Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen werden. Das dritte ethische Prinzip fordert von den Managements nicht etwa das Gutheissen begangener Fehler, sondern die positive Auszeichnung der Fehlerentdeckung, beispielsweise in Produkten, in Dienstleistungen, im Verhältnis zwischen einem Vorgesetzten und einer Mitarbeiterin, im Verstoss gegen eine gesetzliche Vorschrift usf. Damit ermöglicht dieses ethische Prinzip, dass erstens allenfalls betroffene Menschen informiert und adäquate Massnahmen zur Beseitigung der durch die Fehler möglicherweise verursachten moralischen Probleme ergriffen und zweitens die unternehmerischen Leistungen durch die Fehlerentdeckung im Hinblick auf die Verhinderung von menschlichem Leid und den Schutz der menschlichen Autonomie verbessert werden können. Mit einigem Recht kann eingewendet werden, dass die Realität aber ein ganz anderes Bild zeige, die Entdeckung von Fehlern aus Angst, sie könnten die berufliche Karriere gefährden, kaum gemeldet würden und die Befolgung dieses ethischen Prinzips von daher doch sehr fraglich sei. Dagegen lässt sich allerdings sagen, dass eine neue Sichtweise im Zusammenhang mit der Entdeckung von Fehlern auch aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive angezeigt ist; denn durch den zunehmend grösseren Anteil von elektronischen Elementen bzw. von Software in den Produkten und Dienstleistungen haben die Komplexität und die Gefahr von möglichen Fehlern so enorm zugenommen, dass die Fehlervertuschung immer weniger ein probates Mittel ist. Das bedeutet, dass die Zukunft wohl jenen Unternehmen gehört, die von der Existenz der Fehler ausgehen und systematisch und konsequent danach suchen, und zwar für die Verbesserung und Vervollkommnung der eigenen Produkte und Dienstleistungen im Hinblick auf die Gewinnung von Konkurrenzvorteilen. Wie gross die Vorteile einer positiven Einstellung gegenüber der Entdeckung von möglichen Fehlern sind, zeigen Anstrengungen bei Segelflugpiloten in Schweden. Seit die Piloten aktiv nach eigenen möglichen Fehlern suchen, weil sie nun akzeptieren, dass allen Menschen Fehler unterlaufen können, konnte die Zahl der tödlichen Unfälle auf die Hälfte reduziert werden. 1349 1349 188 Vgl. S. Hufschmid: „Fehler sind für Piloten ein Tabuthema“, in: Sonntagszeitung, Ausgabe: 27.07.2008, S. 5 14.3.2.4 Das vierte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir uns an den gesetzlichen Erlassen sowie an den ausformulierten Menschenrechten bewusst orientieren und diese Regelwerke strikte einhalten. Das vierte ethische Prinzip bestimmt die Einhaltung der gesetzlichen Erlasse sowie der ausformulierten Menschenrechte zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass Unternehmen erstens die gesetzlichen Erlasse und die ausformulierten Menschenrechte aus den Augen verlieren und zweitens bewusst gegen gesetzliche Regelungen bzw. gegen die Menschenrechte verstossen. Letzteres deshalb, weil Unternehmen oft imstande sind, ihre Markt- und Kapitalmacht in die Waagschale zu werfen, während es für viele Wirtschaftsakteure, zum Beispiel für Konsumenten, Mitarbeiter, kleine Aktionäre, kleine Lieferanten usw. schwierig ist, Verstösse gegen das Gesetz oder gegen die Menschenrechte einzuklagen. Es fehlt nicht nur an Zeit und Know-how, sondern oft auch an finanziellen Mitteln. Dies führt zur Konsequenz, dass selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachtet werden. Das vierte ethische Prinzip fordert von den Managements, dass die gesetzlichen Regelwerke sowie die ausformulierten Menschenrechte strikte eingehalten werden, damit die Gefahren der Verursachung von menschlichem Leid und der Schwächung der menschlichen Autonomie gebannt werden können. Im Weiteren fordert dieses ethische Prinzip explizit, dass Verstösse gegen gesetzliche Erlasse und gegen die Menschenrechte auch dann unterbleiben, wenn die Betroffenen wegen ihrer Abhängigkeit von den Unternehmen kein Interesse an einer Klage bekunden, wie das beispielsweise bei der Kinderarbeit oder der Ausbeutung natürlicher Ressourcen häufig der Fall ist. Aus der ökonomischen Perspektive könnte eingewendet werden, dass die Befolgung der Gesetze und der Menschenrechte für die meisten Unternehmen zum Selbstverständnis gehöre und deshalb mit diesem ethischen Prinzip ein falsches Bild von den Unternehmen gezeichnet werde. Dem kann entgegnet werden, dass allein am Phänomen der Korruption, das keinesfalls nur in den Entwicklungs- oder Schwellenländern, sondern in jeder Stadt und jeder Region Europas weit verbreitet ist 1350, die saloppe Haltung im Umgang mit gesetzlichen Erlassen belegt werden kann. Im Übrigen sollte die Einsicht in die Notwendigkeit dieses ethischen Prinzips angesichts der Tatsache, dass in der Schweiz zwischen 2005 und 2007 ca. 40 Prozent der Unternehmen Opfer eines Betrugsfalles durch meistens die eigenen Führungsleute wurden 1351, auch aus der betriebswirtschaftlichen Sichtweise erwartet werden. Denn mit einiger Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, dass die Forderung dieses ethischen Prinzips, wonach Unternehmen die Gesetze und Menschenrechte strikte einzuhalten haben, auch einen positiven Einfluss auf die korrekte Einstellung der Führungsleute gegenüber dem eigenen Unternehmen auszuüben vermag. 1350 1351 Vgl. H. See: „Vorwort“, in: Korruption im Wirtschaftssystem Deutschland. Jeder Mensch hat seinen Preis…, Hrsg. von A. Schilling und U. Dolata, 3. Auflage, Murnau 2004, S. 6 „Wirtschaftskriminalität: Schweiz nach wie vor stark betroffen“, Schweizerische Eidgenossenschaft. KMU-Portal [www.kmu.admin.ch~, Zugriff: 29.04.2009] 189 14.3.2.5 Das fünfte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir für die Konsumenten und für die soziale Ordnung wertvolle Produkte und Dienstleistungen anbieten und dabei Marketingmethoden anwenden, bei denen die Konsumenten nicht in erster Linie als Mittel zum ökonomischen Zweck, sondern als autonome Persönlichkeiten aufgefasst werden. Das fünfte ethische Prinzip bestimmt die unternehmerische Marktleistung zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass Unternehmen die Konsumenten allein als Mittel für die Beförderung der ökonomischen Zwecke in den Blick nehmen und dabei selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und den Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachten. Das fünfte ethische Prinzip fordert von den Managements, dass Konsumenten nie allein als Mittel für den ökonomischen Erfolg instrumentalisiert werden dürfen, sondern als autonome Persönlichkeiten mit Bedürfnissen, deren Erfüllung für sie, aber auch für die Gesellschaft wertvoll ist, zum Ausgangspunkt für die Entwicklung und das Angebot von Produkten und Dienstleistungen genommen werden. Die Verursachung von menschlichem Leid oder die Schwächung der menschlichen Autonomie werden demnach keinesfalls als „ökonomische Naturphänomene“ akzeptiert, sondern als ethisch nicht annehmbare Unternehmensstrategien bzw. Geschäftspraktiken verurteilt. Damit sich die Konsumenten ein sorgfältiges Bild von den Produkten bzw. Dienstleistungen – samt deren Auswirkungen – machen können, wird von den Unternehmen erwartet, dass sie über ihre Produkte und Dienstleistungen ehrlich und offensiv kommunizieren. Im Weiteren ist es nach diesem ethischen Prinzip den Unternehmen untersagt, Produkte bzw. Dienstleistungen anzubieten, die gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen das Potential haben, gesellschaftlichen Schaden wie beispielsweise die Förderung von Gewalttätigkeit zu verursachen. Ebenfalls als ethisch nicht akzeptabel werden Marketingkonzepte oder Verkaufsmethoden taxiert, die wegen der möglichen Beeinflussung bzw. Manipulation des menschlichen Bewusstseins eine Gefahr für die menschliche Autonomie bedeuten. Aber können Unternehmen überhaupt noch existieren, wenn sie dieses ethische Prinzip verfolgen und die Menschen als autonome Konsumenten in den Mittelpunkt stellen? Die Antwort lautet: Unternehmen mit einer ethikkonformen Marktstrategie müssen in der Tat mehr leisten als andere Unternehmen. Damit beispielsweise die ethisch geforderte Kommunikationspolitik nicht ökonomische Nachteile zur Folge hat, braucht es den Willen und die Tatkraft zur ständigen Verbesserung der Produkte und Dienstleistungen. Und wenn die Unternehmen ethisch zulässige Marketingmethoden verwenden, dann bedingt dies echte Mehrwertleistungen seitens der angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Dafür jedoch werden diese Unternehmen ihre Existenzfähigkeit in herausragender Weise nachhaltig steigern können. Mit Recht betonen Adrian Slywotzky et al., dass nennenswertes Wachstum mit den gegenwärtigen Strategien wie Produktverfeinerungen oder Markenerweiterungen kaum mehr erzielt wird. 1352 Nachhaltig erfolgreiche Unternehmen tun mehr: „Sie schaffen neuen Wert und neues Umsatzwachstum, und das selbst in reifen Branchen, die bereits am Höchstpunkt angekommen zu sein scheinen.“ 1353 1352 1353 190 Vgl. A. Slywotzky und R. Wise: Wachsen ohne Wachstumsmärkte. Unternehmensstrategien für neuen Aufschwung, Frankfurt a. M. 2005, S. 11 A.a.O., S. 20 14.3.2.6 Das sechste ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann befolgt werden, wenn wir eine umsichtige und berechenbare Beschäftigungspolitik sowie einen respektvollen Umgang mit den Mitarbeitern pflegen, in dem diese nie allein als Mittel zum ökonomischen Zweck, sondern immer zugleich als Menschen mit eigenen Werten und Zielen behandelt werden. Das sechste ethische Prinzip bestimmt das Unternehmen als Arbeitgeber zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass Unternehmen die Beschäftigten allein als eine disponible Ressource auffassen und dabei selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachten. Dieses ethische Prinzip fordert von den Managements eine umsichtige, berechenbare und die Autonomie der Beschäftigten ins Zentrum stellende Beschäftigungspolitik. Es kann Fredmund Malik zwar zugestimmt werden, dass die Bereitstellung von innovativen und für die Gesellschaft wertvollen Produkten und Dienstleistungen höher einzuschätzen ist, als die Interessen der Arbeitnehmer. 1354 Allerdings sollte dadurch nicht aus dem Blick geraten, dass Unternehmen mit der Anstellung von Mitarbeitern eine Verantwortung übernehmen und die Problematik arbeitsloser Menschen, unabhängig ob ganz jung oder eher älter, ebenso im Einflussbereich der Unternehmen liegt wie die Frage, inwieweit die angestellten Menschen mit den durch die Unternehmen ausbezahlten Gehältern ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Dieses ethische Prinzip fordert von daher eine Beschäftigungspolitik, die Anliegen wie Armut, Working Poor, Arbeitslosigkeit und gesundheitliche Gefährdung durch Arbeitsprozesse, die allesamt ein beträchtliches Potenzial hinsichtlich der Verursachung von menschlichem Leid sowie der Schwächung der menschlichen Autonomie aufweisen, ernst nimmt, und zwar indem das Management sich an diesen in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werten orientiert und sich nicht hinter gewinnopportunistischen Geschäftspraktiken versteckt. Im Weiteren ist mit diesem ethischen Prinzip unvereinbar, dass Menschen mittels exorbitanten Arbeitsentschädigungen zu Arbeitsleistungen verführt werden, die nur dann nachvollziehbar sind, wenn der geldwerte Erfolg zum letzten Massstab erkoren wird. Nicht weniger ist dem Management untersagt, Mitarbeiter nach dem Massstab des bestehenden Machtverhältnisses für die Unternehmensinteressen zu instrumentalisieren, ohne auf die persönliche Autonomie der Mitarbeiter zu achten. Insbesondere ist es untersagt, Angst als „das günstigste, am einfachsten handhabbare und am nachhaltigsten wirksame Motivationsmittel“ 1355 einzusetzen, indem beispielsweise regelmässig über bevorstehende Entlassungen informiert wird. Aber zeigt die Wirklichkeit nicht oft ein ganz anderes Bild? Dem kann sowenig widersprochen werden wie der Tatsache, dass bei Entlassungen die Kosten für die Sozialpläne und der Know-how-Verlust oft immens sind und der unternehmerische Erfolg solcher Massnahmen zwar verkündet wird, letztlich aber mangels Vergleichsmöglichkeiten nie bewiesen werden kann. Im Übrigen wäre die Einsicht, dass Mitarbeiter, die als autonome Persönlichkeiten behandelt werden, weder mithilfe von Motivationstechniken noch durch besondere materielle Entschädigungen oder gar Repressionen zu zufriedenstellenden Arbeitsleistungen gedrängt werden müssen, auch aus der ökonomischen Sichtweise vorteilhaft. Es ist im Übrigen bemerkenswert, dass der ausserordentlich erfolgreiche Unternehmer Nicolas G. Hayek verkündet, in der derzeitigen Wirtschaftskrise keinen einzigen Mitarbeiter zu entlassen. 1356 1354 1355 1356 Vgl. F. Malik: Management, a.a.O., S. 135f A. Hillert und M. Marwitz: Die Burnout Epidemie oder Brennt die Leistungsgesellschaft aus?, a.a.O., S. 207 Vgl. „‹‹Wir entlassen keinen einzigen Mitarbeiter››“, NZZOnline [www.nzz.ch~, Veröffentlicht: 01.04.2009, Zugriff: 29.04.2009] 191 14.3.2.7 Das siebte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir in unserem Einflussbereich systematisch und konsequent den für uns möglichen Beitrag gegen die ökologische Gefährdung leisten. Das siebte ethische Prinzip bestimmt den Umgang mit der ökologischen Gefährdung zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass viele Unternehmen im Grunde genommen nichts oder fast nichts gegen die ökologische Gefährdung tun, auch wenn viele das Thema „Ökologie“ für die eigene Werbung längst nutzbar gemacht haben. Mit der Konsequenz, dass selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachtet werden und dadurch vor allem den ärmsten Menschen auf der Welt der grösste Schaden zugefügt wird. Felix Dresewski sagt möglicherweise zu Recht, dass es keine ökonomische Wertschöpfung ganz ohne ökologische „Schadschöpfung“ gibt, es jedoch das Ziel sein müsse, „die Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten.“ 1357 Das siebte ethische Prinzip fordert in diesem Sinne von den Managements, dass der im eigenen Einflussbereich mögliche Beitrag gegen die ökologische Gefährdung systematisch und konsequent geleistet und durch sogenannte ökologische Schadensbilanzen belegt wird. Dies bedeutet: Die Managements sollen genau Bescheid wissen, und zwar sowohl über den eigenen Beitrag zur ökologischen Gefährdung wie auch über die verfügbaren Möglichkeiten, wie der eigene Schadens-Beitrag wirkungsvoll reduziert bzw. eliminiert werden kann. Verbesserungen lassen sich beispielsweise bei den Produktionsprozessen, den Produkten bzw. Dienstleistungen, den Verpackungen, den Absatzwegen usf. durchführen. Im Weiteren fordert dieses ethische Prinzip, dass Unternehmen bei fehlenden wissenschaftlichen Untersuchungen eigene Forschungen im Hinblick auf die durch sie verursachte ökologische Gefährdung sowie auf Möglichkeiten, diese Gefährdung zu reduzieren bzw. zu eliminieren, betreiben. Auch wird das Management aufgefordert, neue Wege zu beschreiten und sich in erster Linie an positiven und nicht an negativen Beispielen aus der Unternehmenswelt zu orientieren. Positive ökologische Beiträge dürfen durchaus in die Marketingstrategien integriert werden, denn die betriebswirtschaftliche Vermarktung echter ökologischer Beiträge ist solange unbedenklich, als sie nicht gegen eines der ethischen Prinzipen der problemorientierten philosophischen Management-Ethik verstösst. Aus der ökonomischen Perspektive kann der Einwand vorgebracht werden, dass mit diesem ethischen Prinzip von den Unternehmen etwas verlangt werde, was allein schon aus Konkurrenzgründen nicht eingehalten werden könne. Dem ist entgegenzuhalten, dass ein offensives Ökologie-Management inzwischen keine Seltenheit mehr ist 1358 und die Entscheidung, die zunehmende gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung – in Deutschland rangiert das Thema Umweltschutz bei Umfragen kontinuierlich unter den fünf wichtigsten Themen 1359 – in die Unternehmensstrategien aufzunehmen, für die Unternehmen sogar von existenzieller Bedeutung sein kann. 1357 1358 1359 192 F. Dresewski: Verantwortliche Unternehmensführung. Corporate Social Responsibility (CSR) im Mittelstand, Berlin 2007, S. 36 Vgl. E. Göbel: Unternehmensethik, a.a.O., S. 152 Vgl. F. Dresewski: Verantwortliche Unternehmensführung, a.a.O., S. 36 14.3.2.8 Das achte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes anstreben und auf opportunistische, das heisst bloss kurzfristig anhaltende Steigerungsmöglichkeiten verzichten. Das achte ethische Prinzip bestimmt die Einstellung gegenüber der Steigerung des Unternehmenswertes zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass Unternehmen die Steigerung des Unternehmenswertes nicht mehr als das Ergebnis eines nachhaltig erfolgreichen unternehmerischen Wirkens auffassen, sondern direkt als Ziel der unternehmerischen Tätigkeit in den Blick nehmen. Mit der Konsequenz, dass selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachtet werden. Insbesondere zeigen sich bei dieser Fokussierung zwei verschiedene Probleme: Erstens sind die Wirtschaftsakteure bloss die Instrumente für die Steigerung des Unternehmenswertes, und zwar auch dann, wenn sie selbst von der Steigerung des Unternehmenswertes mit zum Beispiel eigenen Aktien profitieren. Zweitens können Mitarbeiter, kleine Aktionäre, Lieferanten, staatliche Einrichtungen usf. überaus hart getroffen werden, wenn exzessive Steigerungsbemühungen von der Realität eingeholt und abrupt beendet werden. Bezüglich Letzterem ist die Zahl von Beispielen, wo Tausende von Menschen ihre Anstellung verlieren, Produkte und Dienstleistungen nicht mehr halten, was sie versprechen, die unternehmerische Kommunikationspolitik defensiv und schönfärberisch ausfällt, gesetzliche Erlasse und die ökologische Verantwortung in den Hintergrund geraten, wegen eines starken Kurssturzes an den Börsen Steuerbeträge in den Staatskassen in Millionenhöhe fehlen, die Vermögen bei den Pensionskassen – zu Lasten der Versicherten – deutlich kleiner werden usf., keineswegs klein. Das achte ethische Prinzip fordert von den Managements, dass sie den Verlockungen von nicht nachhaltigen Steigerungsmöglichkeiten widerstehen und den Unternehmenswert als das Ergebnis einer unternehmerischen Tätigkeit auffassen, die im Einklang mit den in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werten steht. Zudem sieht das ethische Prinzip vor, dass allenfalls zu hohe Erwartungen seitens der Aktionäre bzw. Analysten mit einer ehrlichen und offensiven Kommunikation korrigiert werden. Aber sind die Forderungen dieses ethischen Prinzips im ökonomischen Umfeld nicht blauäugig? Es kann die Gegenfrage gestellt werden, wo denn die ökonomische Vernunft bleibt, wenn mit Wertsteigerungs-Strategien, die an sich keine Grenzen kennen und deshalb früher oder später an der Realität scheitern, der Aktienwert innert weniger Monaten beispielsweise gedrittelt wird. Nicht ganz unberechtigt ist hingegen der Einwand, dass die Nachhaltigkeitsorientierung auch ihre negativen Seiten hat, beispielsweise in Bezug auf eine erschwerte Kontrolle über die Adäquatheit von unternehmerischen Leistungen oder in der Frage, ob Nachhaltigkeit als Ausrede für eine ungenügende Managementtätigkeit verwendet wird. 1360 Damit solche Probleme schon gar nicht aufkommen, sollte die Idee der Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie als Referenzpunkt für sämtliches operatives Denken, Entscheiden und Handeln verankert werden. Dann lässt sich nämlich einigermassen zuverlässig beurteilen, ob fragwürdige Handlungen des Managements bloss das Etikett „langfristig“ tragen oder die nachhaltige Idee auch tatsächlich befördern. 1360 Vgl. G. Müller-Stewens und M. Brauer: „Zwischen Quartalsdenken und Langfrist-Orientierung. Das Topmanagement im Clinch zwischen gegensätzlichen Anforderungen“, in: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe: 26./27.04.2008, S. 33 193 14.3.2.9 Das neunte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir eine eigenständige Unternehmensstrategie entwickeln und auf sogenannte Businesshypes verzichten. Das neunte ethische Prinzip bestimmt die Entwicklung der Unternehmensstrategie zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die Gefahr, dass Unternehmen die zunehmende Komplexität nicht mithilfe einer erhöhten Sorgfalt und einer grösseren Entfaltung verschiedener unternehmerischer Möglichkeiten, sondern vielmehr mittels Beobachtung anderer Unternehmen bewältigen. Um vermeintlich sichere Entscheidungsgrundlagen zu erhalten 1361 – aber auch um das eigene Risiko zu reduzieren -, übernehmen die Personen des Managements sogenannte Businesshypes wie LeanManagement, Downsizing, Outsourcing usw., und zwar – nach Niklas Luhmann – selbst dann, wenn der Unsinn eingesehen wird 1362. Mit der Konsequenz, dass bei der Durchsetzung solcher Businesstrends gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und der Schutz der menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachtet werden. Das neunte ethische Prinzip fordert von den Managements, dass sie den Mut und die Zivilcourage aufbringen, dem Hang zur Konformität zu widerstehen und eigenständige Unternehmensstrategien zu entwickeln, die die jeweils besondere Situation des Unternehmens, die Umwelt des Unternehmens sowie die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte berücksichtigen. Im Weiteren fordert das ethische Prinzip vom Management, fraglos gewordenen, vermeintlich sicheren betriebswirtschaftlichen Theorien oder Methoden mit allergrösstem Argwohn zu begegnen. Denn die Gefahr, dass mit solchen kaum mehr reflektierten Meinungen bzw. Theorien nicht nur keine nachhaltige Unternehmensführung gelingt, sondern darüber hinaus menschliches Leid verursacht und die menschliche Autonomie geschwächt wird, ist im hohen Masse gegeben. Aus der ökonomischen Sichtweise könnte der Einwand vorgebracht werden, dass Unternehmen sich laufend anpassen müssen, wenn sie ihre Existenzfähigkeit nicht verlieren wollen und sie von daher gar keine andere Wahl hätten, als diesen Trends zu folgen. Dagegen lässt sich der Hinweis anbringen, dass viele Businesshypes, zum Beispiel Zentralisierung vs. Dezentralisierung oder Firmenübernahmen vs. Firmenabspaltungen, – beinahe wie Modetrends – in regelmässigen Abständen wiederkehren und häufig gar keinen ökonomischen Erfolg bewirken, dafür jedoch nicht selten menschliches Leid verursachen und die menschliche Autonomie schwächen. Nach Luhmann verdankt sich die Übernahme von Businesshypes nicht selten allein dem Drang vieler Führungsleute zu schnellen Lösungen und Alternativen, die „leicht annehmbar oder leicht ablehnbar erscheinen.“ 1363 Und nach Popper hängt der Wunsch, jede Mode mitzumachen und mit den Wölfen zu heulen, mit der menschlichen Schwäche zusammen, die eigene Fehlbarkeit zu unterdrücken. 1364 Weil das ethische Prinzip von den Personen des Managements fordert, den in der Tat bahnbrechenden Entwicklungen und Veränderungen nicht mittels Businesshypes, sondern mithilfe von eigenständigen Unternehmensstrategien, die beispielsweise das Bedürfnis der Nachhaltigkeit als Quelle von Geschäftsideen betrachten 1365, zu begegnen, dürfen die Managements mit weitaus besseren Chancen rechnen, die Existenzfähigkeit des Unternehmens nachhaltig sichern zu können. 1361 1362 1363 1364 1365 194 Vgl. D. Baecker: Wirtschaftssoziologie, a.a.O., S. 97 Vgl. N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 298 N. Luhmann: Organisation und Entscheidung, a.a.O., S. 188 Vgl. K. R. Popper: Eine Welt der Propensitäten, a.a.O., S. 63 Vgl. RB: „Mit den Megatrends zur Nachhaltigkeit“, in: factorY. Magazin für nachhaltiges Wirtschaften, Heft 03 (2008), S. 6ff 14.3.2.10 Das zehnte ethische Prinzip Wir akzeptieren, dass die in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte, die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie, vor allem dann beachtet werden, wenn wir es strikte ablehnen, die Verletzung dieser gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werte bei einem Teil der Menschen zugunsten der Wohlfahrt eines anderen Teils der Menschen hinzunehmen. Das zehnte ethische Prinzip bestimmt den Umgang mit gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werten zum Beobachtungspunkt für die Beförderung der metaethischen regulativen Ideen. Im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung unseres Wirtschaftssystems, der menschlichen Erkenntnissituation, der weitgehenden Marktsättigung und dem immensen Konkurrenzdruck besteht die grosse Gefahr, dass die Personen des Managements die Ansicht vertreten, nicht das einzelne menschliche Leid bzw. die individuelle menschliche Autonomie in den Blick nehmen zu müssen, sondern sich mit einer utilitaristischen Verrechnung, was im Übrigen technisch gesehen ohnehin unmöglich ist, rechtfertigen zu können. Mit der Konsequenz, dass selbst gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung des einzelnen menschlichen Leidens und der Schutz der individuellen menschlichen Autonomie nicht mehr als die Grenze der unternehmerischen Tätigkeit beachtet werden. Das zehnte ethische Prinzip fordert von den Managements, dass die einzelne Verursachung von menschlichem Leid bzw. die einzelne Schwächung der menschlichen Autonomie nicht verrechnet werden dürfen mit der Verhinderung von menschlichem Leid bzw. mit dem Schutz der menschlichen Autonomie bei anderen Menschen. Mit Poppers Worten: „Zudem sollten wir niemals versuchen, das Elend eines Menschen gegen das Glück eines anderen aufzurechnen.“ 1366 Der mögliche Einwand, dass viele Produkte, beispielsweise Pharmaka, meistens zwar menschliches Leid lindern, wenn nicht gar beseitigen, in manchen Fällen jedoch nachweislich gerade das Gegenteil bewirken und dennoch ihre Berechtigung hätten, ist naheliegend, trifft aber die Intention dieses ethischen Prinzips nicht. Solange von den Produkten bei potenziell allen Konsumenten eine wirkungsvolle Hilfe angenommen werden kann, bestehen keine Einwände gegen diese Produkte seitens dieses ethischen Prinzips. Zudem besteht bei diesem Beispiel auch nicht die Situation, dass einzelne Menschen für andere leiden bzw. ihre Autonomie aufgeben müssen. Aber wie wird die Situation beurteilt, dass Menschen durchaus einverstanden sein können, für andere zu leiden bzw. ihre eigene Autonomie zugunsten anderer zu schwächen? Wenn gesunde Menschen den Willen bekunden, Leiden hinzunehmen bzw. die eigene Autonomie zu schwächen, beispielsweise für die Aussicht, die eigene Situation dadurch später verbessern zu können, dann wird dies von diesem ethischen Prinzip akzeptiert. Denn der freie Wille von Menschen nicht zu akzeptieren, wäre ein Verstoss gegen die metaethische regulative Idee, und zwar selbst dann, wenn Menschen ihre eigene Autonomie dazu gebrauchen, gerade diese zu schwächen. Unvereinbar mit dem ethischen Prinzip ist jedoch jede Verletzung der metaethischen regulativen Ideen, die von den Betroffenen nicht explizit gutgeheissen werden. Wenn also Unternehmen einen Teil der Belegschaft für die Rettung der übrigen Arbeitsplätze entlassen und dadurch menschliches Leid verursachen bzw. die menschliche Autonomie schwächen, dann gilt es in aller Klarheit festzuhalten: Mit jeder Verursachung von menschlichem Leid und mit jeder Schwächung der menschlichen Autonomie werden die für die Ökonomie zulässigen Grenzen überschritten und die ethischen Prinzipien der problemorientierten philosophischen Management-Ethik verletzt. Auch wenn wir Menschen immer wieder Fehler begehen, leider auch hinsichtlich der metaethischen regulativen Ideen, so muss nach diesem ethischen Prinzip dennoch alles Mögliche unternommen werden, damit diese in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte nicht verletzt werden, und zwar in Bezug auf jedes Individuum. Und dies ist selbst bei unausweichlichen Entlassungen möglich. Ein ethisches bzw. fähiges Management zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass solche Probleme ohne Verletzung dieser moralischen Werte gelöst werden können. 1366 K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 2: Widerlegungen, a.a.O., S. 525 195 14.4 Die kritische Methode als anthropologische Voraussetzung Die im Rahmen der Problemanalyse durchgeführten soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen haben die Unzulänglichkeit der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes, insbesondere den blinden Fleck als anthropologisches Erkenntnisproblem, zutage gefördert. Mithilfe dieses Phänomens können sich Erkenntnisse zu kaum mehr reflektierten Handlungskonzepten sowie handlungsanleitenden Prämissen ausbilden. Im Hinblick auf die Förderung eines grundsätzlichen Interesses für wirtschaftsethische Themen im Allgemeinen und auf die systematische und konsequente Anwendung der ethischen Prinzipien im Besonderen ist die fehlende kritische Einstellung des Alltagsverstandes ein sehr ernst zu nehmendes Hindernis. Für die Beantwortung der vierten ethischen Grundfrage: Sind die anthropologischen Bedingungen für die Anwendung der festgelegten ethischen Regeln überhaupt gegeben? stellt sich somit die Frage, wie angesichts der menschlichen Erkenntnissituation die Anwendung der zehn deontologischen Prinzipien gelingt. Die Beantwortung der Frage erfolgt innerhalb von drei Abschnitten: Zunächst wird die kritische Einstellung als Methode vorgestellt. Danach wird aufgezeigt, wie die Institutionalisierung der Methode vorgesehen ist, bevor dann drittens Bedenken wegen einer allfälligen Überforderung zurückgewiesen werden. 14.4.1 Die kritische Methode gegen das anthropologische Erkenntnisproblem Sowohl in der wissenschaftlichen Arbeit wie auch im Rahmen der menschlichen Praxis können die sprachlichen und nicht-sprachlichen Handlungen reflektiert und beurteilt werden – Niklas Luhmann nennt diese Reflexion Beobachtung zweiter Ordnung 1367, Heinz von Foerster Kybernetik zweiter Ordnung1368 und der Kritische Rationalismus kritische Methode (vgl. Anm. S. 137). Durch die Reflexion entsteht überhaupt erst die Möglichkeit, sich der eigenen Unterscheidungen bzw. Konstruktionen im Denken, Entscheiden und Handeln bewusst zu werden. Für den Kritischen Rationalismus ist Kritik „ein höchst wichtiges methodologisches Element“ 1369, das in der Form von Selbstkritik und Fremdkritik – Letzteres ist nach Popper eine Notwendigkeit und fast so gut wie Selbstkritik 1370 – seine spezifische Ausprägung erfährt. Der erste Grundgedanke der in der Methodologie bzw. Lebensweise des Kritischen Rationalismus verankerten kritischen Methode umfasst das Wissen, dass uns in jedem Denken, Entscheiden und Handeln Irrtümer und Fehler unterlaufen können, die mit Blick sowohl auf das eigene wie auch auf das fremde Leben nachteilig sein können. Der zweite Grundgedanke trägt die Einsicht, dass wir Irrtümer und Fehler entdecken und beseitigen bzw. korrigieren können, die neuen Erkenntnisse aber trotz der Verbesserungsmöglichkeit von zukünftiger Kritik nicht ausnehmen dürfen. Aus diesen beiden Grundgedanken lassen sich vier Elemente der kritischen Methode entwickeln: Das erste Element ist die systematische und konsequente Reflexion des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns, und zwar als Grundlage, sich der prozessierten Unterscheidungen sowie der damit ausgegrenzten Möglichkeiten bewusst zu werden. Das zweite Element ist die Selbstkritik, die zur Frage führt: Sind das Denken, Entscheiden und Handeln mit Prinzipien und Normen, die eigentlich hochgehalten werden möchten, vereinbar? Und: Wie könnte den Prinzipien und Normen besser Rechnung getragen werden? Das dritte Element ist die Annahme von konstruktiver Fremdkritik. Sie führt zur Überlegung, von welchem Denken, Entscheiden und Handeln bzw. Unterscheidungen die Fremdkritik ausgeht und ob damit die Prinzipien und Normen möglicherweise besser eingehalten werden könnten. Beim Ausbleiben der Fremdkritik fordert das dritte Element im Weiteren, dass wir andere Menschen zur Fremdkritik auffordern. Das vierte Element verlangt schliesslich die Äusserung von Fremdkritik. Dadurch werden andere Personen herausgefordert, ihre Überlegungen 1367 1368 1369 1370 196 Vgl. N. Luhmann: Einführung in die Systemtheorie, a.a.O., S. 155 Vgl. H. von Foerster und B. Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker, 5. Auflage, Heidelberg 2003, S. 114 K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, a.a.O., S. 318 Vgl. K. R. Popper: Die Welt des Parmenides, a.a.O., S. 117 und Unterscheidungen darzustellen, so dass der eigene Standpunkt mit anderen Positionen hinsichtlich der Einhaltung von Prinzipien und Normen geprüft werden kann. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, anderen Menschen die eigene Meinung aufzuzwingen, sondern mit anderen Möglichkeiten hinsichtlich des Ziels, Prinzipien und Normen bestmöglich umzusetzen, „spielen“ zu können. Das dritte und vierte Element führen zu einer kritischen Diskussion, wobei es nicht zwingend ist, dass alle vier Elemente bei jeder Anwendung zum Einsatz kommen müssen. Im Übrigen darf die kritische Diskussion nicht mit einer Beweismethode verwechselt werden; sie führt auch keineswegs immer zu einer Einigung. 1371 Weil die vier Elemente der kritischen Methode die grosse Kraft haben, sich der getroffenen Unterscheidungen im Denken, Entscheiden und Handeln bewusst zu werden, können Abweichungen von Prinzipien und Normen, die eigentlich hochgehalten werden möchten, in einem frühzeitigen Stadium entdeckt und korrigiert werden. Mit der kritischen Methode wird also verhindert, dass Probleme sich aufdrängen und bereits einen Schaden anrichten müssen, bevor Gegenmassnahmen ergriffen werden. In Bezug auf die Anwendung der ethischen Prinzipien bedeutet das: Durch den Einsatz der kritischen Methode können die ökonomischen Gewohnheiten bzw. weitgehend unreflektierten Prämissen noch vor dem Handeln entdeckt werden, so dass überhaupt erst die Möglichkeit entsteht, nicht diesen Gewohnheiten bzw. Prämissen, sondern den ethischen Prinzipien zu folgen. Im Weiteren kann kraft der kritischen Methode überprüft werden, inwieweit die ethischen Prinzipien mutmasslich erfüllt werden bzw. tatsächlich befriedigt wurden und welche Verbesserungen im Denken, Entscheiden und Handeln diesbezüglich angezeigt sind. Unter der Voraussetzung einer systematischen und konsequenten Anwendung darf die kritische Methode zu Recht als das hoch wirksame Instrument gegen das anthropologische Erkenntnisproblem und als die Erfüllung der conditio-sine-qua-non der Anwendung der ethischen Prinzipien aufgefasst werden. Allerdings stellt sich noch die Frage nach dem Anwendungsgebiet: Werden von der kritischen Methode lediglich ethisch relevante oder aber sämtliche Sachverhalte in den Blick genommen? Die kritische Methode nimmt – im Sinne einer regulativen Idee – sämtliches Denken, Entscheiden und Handeln seitens der Personen des Managements zu ihrem Gegenstand, und zwar mit einem Bezug auf die ethischen Prinzipien. Auf die Frage nach der ethischen Qualität des Denkens, Entscheidens und Handelns gibt die kritische Methode im Rahmen der problemorientierten philosophischen Management-Ethik immer dann eine Antwort, wenn eine Verbindung zu den ethischen Prinzipien bzw. zu den gewählten Beobachtungspunkten hergestellt und somit beurteilt werden kann, inwieweit die diesen ethischen Prinzipien zugrunde liegenden, in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte beachtet bzw. missachtet werden. Das bedeutet: Auch die Frage, ob die Maschine von Liebherr oder Caterpillar die bessere Entscheidung ist, wird von der kritischen Methode geprüft, eine Antwort aber nur dann gegeben, wenn mit diesem Entscheid die ethischen Prinzipien tangiert werden. 14.4.2 Die Skizzierung der Institutionalisierung der kritischen Methode Obschon es für das Verständnis der kritischen Methode keiner besonderen Anstrengungen bedarf, ist deren systematische und konsequente Anwendung keine einfache Angelegenheit. Denn immerhin geht es um die Frage, wie die Einstellung und die Gewohnheiten seitens vieler – möglicherweise der meisten – Führungsleute verändert werden können. Nach Klaus Doppler gilt allgemein: „Niemand verändert sich gerne, zumindest nicht ohne Not und ohne Notwendigkeit. Aus purer Freude Neues entdecken und auszuprobieren – und aus eigenem Antrieb immer wieder Dinge verändern – das ist die absolute Ausnahme.“ 1372 Im Folgenden geht es darum, einen Eindruck zu geben, wie es didaktisch möglich ist, die kritische Methode beim Management einzuführen, und zwar unter der Voraussetzung, dass sich die Unternehmensverantwortlichen für 1371 1372 Vgl. K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 2: Widerlegungen, a.a.O., S. 511 K. Doppler: Der Change Manager. Sich selbst und andere verändern - und trotzdem bleiben, wer man ist, Frankfurt a. M. 2008, S. 95 197 die Annahme und Durchsetzung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik entschlossen haben. Angesichts des theoretischen Standpunktes, dass soziale Systeme nur sich selbst steuern können, und zwar mithilfe der immer wichtiger werdenden Ressource „Wissen“, handelt es sich beim Prozess der Institutionalisierung der kritischen Methode um einen Prozess der Wissensvermittlung, kombiniert mit der praktischen Einübung dieses erworbenen Wissens. 14.4.2.1 Workshops und Coaching Als Gefäss für den Institutionalisierungsprozess werden Workshops und Coaching als geeignet erachtet. Der Begriff „Workshop“ hat sich eingebürgert für Schlüsselveranstaltungen, in welchen in überschaubaren Gruppen konkrete Themen zwecks innovativer Veränderungsprozesse bearbeitet werden. 1373 Damit die anvisierten Ziele im Rahmen von Workshops erreicht werden, braucht es eine sorgfältige Vorbereitung und Durchführung seitens der Leitung, auch sollte beachtet werden, dass Workshops die Idealdauer von zwei Tagen nicht überschreiten, zudem fernab der üblichen Geschäftstätigkeiten stattfinden. 1374 Im Hinblick auf die Wissensvermittlung des anthropologischen Erkenntnisproblems sowie der kritischen Methode sind regelmässig durchgeführte Workshops gut geeignet, um den Personen des Managements die Dringlichkeit der Befolgung der kritischen Methode aufzuzeigen. Nebst den regelmässigen Workshops haben sowohl IndividualCoaching wie auch Team-Coaching eine grosse Bedeutung, und zwar im Hinblick auf die Einübung der kritischen Methode. Beim Coaching geht es nicht um Fachberatung oder die Vermittlung des methodischen Know-hows, sondern darum, „die richtigen Vorgehensweisen zu entwickeln oder um ››blinde Flecken‹‹ zu überwinden.“ 1375 Für die Auswahl des Coaches muss vor allem darauf geachtet werden, dass Sozialkompetenz, Führungserfahrung und Beobachtungsfähigkeiten im hohen Masse vorhanden sind; denn erst dann können die für erfolgreiches Coaching unabdingbaren Voraussetzungen, nämlich gegenseitige Offenheit und Vertrauen, geschaffen werden. 14.4.2.2 Konstruktivistische Didaktik Die Lehr- und Lernprozesse – sowohl bei den Workshops wie auch beim Coaching – müssen grundsätzlich auf der Basis der Erkenntnispsychologie des Kritischen Rationalismus gestaltet werden. Das bedeutet: Die Wissensvermittlung, die letztlich auf eine intersubjektiv übereinstimmende Veränderung der Einstellung und der Gewohnheiten seitens der Führungsleute abzielt, gelingt nicht durch Eintrichtern von Lehrinhalten, sondern durch eine gründliche Vorarbeit, in der die unterschiedlichen Erfahrungsbereiche auf ein möglichst einheitliches Verständnis für die Problemlage kanalisiert werden. Mit anderen Worten: Weil die Aufnahme von neuem Lehrstoff nicht passiv geschieht, sondern aktiv mit dem individuellen Vorwissen verbunden wird, bedarf es für ein – zumindest annähernd – intersubjektiv übereinstimmendes Wissensergebnis der übereinstimmenden Ausgangsbasis. Die Sicherstellung eines einigermassen einheitlichen Vorwissens gilt im Weiteren nicht nur für die einzelnen Lehrund Lerneinheiten, sondern auch für den Zusammenhang von grossen Problemkomplexen. So bedarf es der Wissensvermittlung der menschlichen Erkenntnissituation bzw. des anthropologischen Erkenntnisproblems als intersubjektiv übereinstimmende Ausgangsbasis für die späteren Lehr- und Lehreinheiten der kritischen Methode als hoch wirksame Lösung gegen eben dieses Problem. Weil nach dem Kritischen Rationalismus die Menschen über das angeborene Motiv, Probleme lösen zu wollen, verfügen, wird mit der Entscheidung, die Problemstellung als Ausgangspunkt für die 1373 1374 1375 198 Vgl. K. Doppler und Ch. Lauterburg: Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten, 11. Auflage, Frankfurt a. M. 2005, S. 382 Vgl. a.a.O., S. 382-415 A.a.O., S. 493 didaktischen Prozesse zu bestimmen, nicht nur eine intersubjektiv übereinstimmende VorwissensPlattform geschaffen, sondern zugleich Motivation erzeugt. Zunächst geht es nun darum, den Führungspersonen zuallererst einmal aufzuzeigen, dass das Desiderat in der bisherigen Ausbildung, nämlich das Wissen über die menschliche Erkenntnis, alles andere als harmlos ist. Denn immerhin ist jedes menschliche Denken, Entscheiden und Handeln untrennbar mit dem Erkenntnisapparat verbunden, so dass die Qualität des individuellen Lebens weitgehend von unseren Erkenntnisfähigkeiten abhängt. Zu Beginn der Bildungsreihe werden die Personen des Managements mit der Aussage von Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela konfrontiert: „Dieser besonderen Situation – zu erkennen, wie man erkennt – weicht man in unserer auf Handlung und nicht auf Reflexion ausgerichteten westlichen Kultur traditionellerweise aus, so dass unser persönliches Leben im allgemeinen blind für sich selbst ist. Es ist so, als ob es ein Tabu gäbe, das besagt: ‹‹Es ist verboten, das Erkennen zu erkennen.›› Aber in Wahrheit ist das Nachtwissen darum, wie sich unsere Erfahrungswelt aufbaut, die in der Tat das Naheliegendste unserer Existenz ist, ein Skandal. Es gibt viele Skandale auf der Welt, aber diese Unwissenheit ist einer der größten.“ 1376 Mit der Diskussion über die Frage nach dem Erkennen unserer Erkenntnismöglichkeiten geht es vor allem darum, das Selbstverständnis des Alltagsverstandes, wonach wir für den Erkenntnisprozess nur die Augen und Ohren aufmachen müssen, zu zerstören. Es werden die vielen Irrtümer und Fehler, die uns Menschen immer wieder unterlaufen, thematisiert, mit dem Ziel, die Führungsleute zu motivieren, mehr über die menschlichen Erkenntnisfähigkeiten erfahren zu wollen. Hinsichtlich der Wissensvermittlung zur menschlichen Erkenntnissituation lassen sich drei einzelne Problemkomplexe unterscheiden, die zwar untrennbar miteinander verknüpft sind, aus didaktischen Gründen aber gesondert behandelt und erst später als kohärente, jede Führungsperson betreffende Problematik thematisiert werden: 1. Die Problematik der durch den subjektiven Erkenntnisprozess grundsätzlich gegebenen Gefahren von Irrtümern und Fehlern 2. Die Problematik des im Konstruktionsprozess immer mitlaufenden blinden Flecks 3. Die Problematik der durch den blinden Fleck erzeugten Gewohnheitsmuster, zum Beispiel in der Form von Handlungskonzepten und unreflektierten handlungsanleitenden Prämissen Bei der Wissensvermittlung der kritischen Methode lassen sich vier Wissensbereiche sondern: 1. Die systematische und konsequente Reflexion des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns als erstes und basales Element der kritischen Methode 2. Die Selbstkritik als zweites Element für die Prüfung und Verbesserung des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns 3. Die Annahme von Fremdkritik als drittes Element für die Prüfung und Verbesserung des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns 4. Die Äusserung von Fremdkritik als viertes Element für die Prüfung und Verbesserung des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns Einer Didaktik, die den Erkenntnisprozess als subjektive Konstruktion begreift, geht es nicht primär um den Erwerb von Sachwissen, sondern vielmehr steht „das Transfermanagement in 1376 H. R. Maturana und F. J. Varela: Der Baum der Erkenntnis, a.a.O., S. 29 199 Richtung Anwendungsbezug im Vordergrund“ 1377. Das bedeutet: Nebst der Erarbeitung einer intersubjektiv übereinstimmenden Ausgangssituation und der eigentlichen Wissensvermittlung wird auf die Anwendung des neu erworbenen Wissens grossen Wert gelegt. Aus der Erkenntnispsychologie des Kritischen Rationalismus bzw. der konstruktivistischen Didaktik lassen sich fünf didaktische Lehrgrundsätze ableiten: 1. Die Lehrperson beginnt ihre Lehreinheit mit einer Problemstellung, die einer intensiven Kommunikation zugeführt wird, damit die Lösung des Problems von möglichst vielen beteiligten Personen als echtes Anliegen erkannt und die nachfolgende Wissensvermittlung im Hinblick auf das zu lösende Problem verortet werden kann. 2. Die Lehrperson wiedergibt schwerverständliche einzelne Voten der Teilnehmer mit eigenen Worten, damit Missverständnisse im Verstehensprozess sogleich aufgedeckt werden und die Votanten ihre eigenen getroffenen Unterscheidungen erkennen können. 3. Die Lehrperson sorgt für eine konstruktiv-kritische Lehr- bzw. Lernatmosphäre, in der deutlich spürbar ist, dass alle teilnehmenden Personen (inklusive der Lehrperson) voneinander lernen können und auch wollen. 4. Die Lehrperson legt die formale Struktur einer Lehreinheit wie folgt fest: 35 Prozent für die Problemstellung, 25 Prozent für die Wissensvermittlung und 40 Prozent für die Anwendung des neuen Wissens. 5. Die Lehrperson beobachtet den Kreis der Teilnehmer als soziales System und achtet streng darauf, dass keine Störenfriede den Erfolg der didaktischen Prozesse gefährden und die Ernsthaftigkeit des Themas jederzeit gewährleistet ist. 14.4.2.3 Exemplarische Didaktik Führungsleute sind beinahe ausschliesslich mit konkreten Problemen konfrontiert. Für abstrakte Gedankengänge bleibt meistens keine Zeit, so dass der Praxistransfer von abstrakten Lehrinhalten oft ungenügend ausfällt. Es ist deshalb von grosser Wichtigkeit, dass Lehrstücke mit möglichst vielen einleuchtenden Beispielen illustriert werden. Im Folgenden wird die exemplarische Didaktik – als Teil der konstruktivistischen Didaktik – mit einem Bezug auf die dreiteilige Wissensvermittlung der menschlichen Erkenntnissituation vorgestellt. Für das Verständnis, dass wir Menschen unsere Wirklichkeit konstruieren und uns dabei immer Irrtümer und Fehler unterlaufen können, lässt sich der von Paul Watzlawick geschilderte eigensinnige Dialog verwenden: „Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der 1377 200 W. Edelmann: Lernpsychologie, 6. Auflage, Kempten 2000, S. 287 Nachbar öffnet, doch noch bevor er ››Guten Tag‹‹ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: ››Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!‹‹“ 1378 Wie gross der Einfluss von sozialen Systemen auf unseren Erkenntnisprozess bzw. Konstruktionsprozess sein kann, lässt sich anhand der Experimente 1379, die im Zusammenhang mit dem beinahe unvorstellbaren Völkermord (Holocaust) gelegentlich durchgeführt werden, in der wünschenswerten Deutlichkeit vor Augen führen. Nach der Vorstellung und Diskussion der Experimente werden die Teilnehmer gebeten, Hannah Arendts Aussage, die sie anlässlich des Eichmann-Prozesses machte, zu interpretieren: „Das beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, daß er war wie viele und daß diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind. Vom Standpunkt unserer Rechtsinstitutionen und an unseren moralischen Urteilsmaßstäben gemessen, war diese Normalität viel erschreckender als all die Greuel zusammengenommen, denn sie implizierte – wie man zur Genüge aus den Aussagen der Nürnberger Angeklagten und ihrer Verteidiger wußte –, daß dieser neue Verbrechertypus, der nun wirklich hostis generis humani ist, unter Bedingungen handelt, die es ihm beinahe unmöglich machen, sich seiner Untaten bewußt zu werden.“ 1380 Selbstverständlich geht es bei dieser Diskussion nicht darum, dem Wirtschaftssystem den jüdischen Völkermord anlasten zu wollen. Die Idee besteht darin, in aller Schärfe darauf aufmerksam zu machen, wie tief die Logik von sozialen Systemen sich im menschlichen Problemlösungs-Horizont einnisten kann und wie unkritisch die Menschen mit dieser Logik umgehen. Auf dieser Grundlage wird dann die Verbindung zur Management-Ethik hergestellt. Es gilt deutlich aufzuzeigen, dass die Funktionslogik sozialer Systeme wie Management das Bewusstsein der Personen in diesen sozialen Systemen weitgehend bestimmt und die Personen des Managements ethischen Anliegen nur dann systematisch und konsequent Rechnung tragen werden, wenn sie ihr Denken, Entscheiden und Handeln mit einer kritischen Einstellung begleiten. Wie kann das Faktum des blinden Flecks plausibel vermittelt werden? Als Einstieg kann das von Maturana, Varela und von Foerster entwickelte Experiment mit dem blinden Fleck durchgeführt werden, das den Teilnehmern den konstruktiven Prozess einfach zu illustrieren vermag. Im Weiteren kann mithilfe von inszenierten Gesprächsrunden und raffinierten Gesprächsführungen nachvollziehbar demonstriert werden, wie Teilnehmer von einem Gespräch gegängelt werden, ohne darauf adäquat zu reagieren. Eine andere hilfreiche Illustration des blinden Flecks gelingt mit der praktischen Übung, einen früher verfassten und als zufrieden eingestuften Text kritisch zu überprüfen, um zu sehen, welche Unterscheidungen heute gewählt würden. Aber auch die Tatsache, dass wohl der grösste Teil der selbst gesprochenen mündlichen Kommunikation nicht wieder ins Bewusstsein zurückgeholt werden kann, lässt sich mit dem blinden Fleck erklären. Wie kann unsere Nichterkennbarkeit kleiner Veränderungen sowie das Festhalten an vermeintlichen Gewissheiten exemplarisch plausibel gemacht werden? Der didaktisch beste Weg gelingt wohl mit dem Hinweis auf sehr bekannte Beispiele, die mit diesen Phänomenen erklärt werden können. 1378 1379 1380 P. Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein, 7. Auflage, München 2008, S. 37f An einer amerikanischen High School wagte der Lehrer Ron Jones im Jahre 1967 als Erster das Experiment, Nazi-Deutschland im Kleinen nachzuahmen. Die Idee bestand dabei darin, gemeinsam mit den Schülern verstehen zu können, wie es zu solchen Greueltaten überhaupt kommen konnte. Das Experiment musste nach nur fünf Tagen abgebrochen werden. Ron Jones sagte vor der Klasse: „Wie den Deutschen wird es euch schwer fallen zuzugeben, dass ihr so weit gegangen seid. Ihr werdet nicht zugeben wollen, manipuliert worden zu sein. Ihr werdet nicht zugeben, bei diesem Irrsinn mitgemacht zu haben.“ (Ch. Hambrecht: „SchulExperiment ‚Die Welle‘. Nazis für fünf Tage“, spiegelonline, [www.einestages.spiegel.de~, Veröffentlicht: 11.03.2008, Zugriff: 18.08.2009]) H. Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 15. Auflage, München 2006, S. 400f 201 Allgemein bekannt ist die Tatsache, dass Fotoaufnahmen keinen Zweifel über die Veränderung unseres Aussehens offenlassen, wir diese aber trotz des täglichen Blicks in den Spiegel kaum erfassen können. Ebenfalls bekannt ist das Phänomen, dass wir nach mehrmaligem Lesen unsere eigenen Schreibfehler kaum mehr erkennen, während andere Leser keine Mühe bekunden, diese sogleich festzustellen. Oder dass unsere Zeitempfindung für eine zurückgelegte Wegstrecke beim zweiten Mal spürbar kürzer ist als beim ersten Mal. Mit Blick auf das Management können tief verankerte Annahmen hinsichtlich eines (vermeintlich) guten Lebens dafür verantwortlich gemacht werden, dass Führungsleute die teilweise extremen Anforderungen seitens der Unternehmen erst dann kritisch reflektieren, wenn der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist – Führungspersonen haben gegenüber der Gesamtbevölkerung eine um 50 Prozent höhere Scheidungsrate 1381. Nicht weniger verantwortlich sind letztlich falsche Prämissen, wenn Eheleute erst beim gemeinsamen Urlaub bemerken, wie sehr sie sich auseinander gelebt haben – gemäss Untersuchungen wird ein Drittel aller Ehen nach dem Urlaub geschieden 1382. 14.4.2.4 Pragmatische Didaktik Die pragmatische Didaktik betrifft in erster Linie die Einübung der kritischen Methode. Das heisst: Die Elemente Reflexion, Selbstkritik, Annahme von Fremdkritik und Äusserung von Fremdkritik werden ihm Rahmen von Team- und Individual-Coaching eingeübt, wobei konkrete Situationen aus der Praxis den Ausgangspunkt für den Lehr- und Lernprozess liefern. Das bedeutet im Weiteren: Im Rahmen der pragmatischen Didaktik muss eingeübt werden, der regulativen Idee nach sämtliches Denken, Entscheiden und Handeln zu reflektieren, und zwar hinsichtlich der ethischen Prinzipien der problemorientierten philosophischen Management-Ethik. Markus Huppenbauer und Jörg De Bernardi haben ein Schema für ethische Urteilsfindung mit den Schritten: Ist-Analyse, Soll-Analyse, Evaluation und Implementierung entwickelt, das möglicherweise für die Einübung der kritischen Methode hilfreich eingesetzt werden kann. 1383 Didaktisch wird es im Übrigen wertvoll sein, zu Beginn der Einübung der kritischen Methode nicht nur die ethischen Prinzipien, sondern ebenso betriebswirtschaftliche oder persönliche Anliegen als Bezugspunkte zu nehmen. Die wichtigste Aufgabe des Coaching besteht indessen im Beobachten der Führungsleute sowie in der Abgabe von praktischen Hinweisen, die von den Personen des Managements als wertvoll nachvollzogen werden können. Ideale Beobachtungsräume sind beispielsweise Coaching-Gespräche, Teamsitzungen, Gruppengespräche, Konfliktmeeting, gemeinsame Spaziergänge usf. Einen ausgezeichneten Tipp gibt Dagmar Deckstein: „Sucht euch zwei Leute, die euch regelmäßig sagen, was ihr nicht seht, bestraft sie nicht, sondern hört sie euch an. Das haben wir in einigen Kliniken eingeführt – die ja erfahrungsgemäß noch autokratischer und absolutistischer von den Chefärzten geführt werden als Industrieunternehmen von ihren Vorstandsvorsitzenden. Was soll ich sagen? In diesen Kliniken schlug das neue Modell mit riesigem Erfolg ein.“ 1384 Der Tipp wird nun so umgesetzt, dass die Führungspersonen aus ihrem Kreis (Management) eine Vertrauensperson wählen, mit denen sie regelmässig offene und kritische Gespräche führen können, mit dem Ziel, sich gegenseitig auf die blinden Flecken aufmerksam zu machen. 1381 1382 1383 1384 202 Vgl. „Mit christlichen Werten aus der Krise“, LDEZ [www.schulbuchpreis.de~, Veröffentlicht: 25.11.2006, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. V. Simon: „Erotik-Campen als Paartherapie“, sueddeutsche.de [www.sueddeutsche.de~, Veröffentlicht: 07.11.2007, Zugriff: 29.04.2009] Vgl. M. Huppenbauer und J. De Bernardi: Kompetenz Ethik für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Ein Tool für Argumentation und Entscheidungsfindung, Zürich 2003, S. 83f D. Deckstein: Klasse! Die wundersame Welt der Manager, Hamburg 2009, 201 14.4.2.5 Philosophische Didaktik Die vorgestellten didaktischen Prozesse sind durchaus geeignet, die Einstellung von Führungsleuten so zu verändern, dass ein Bewusstsein entsteht, durch Reflexion und Kritik die blinden Flecken aufdecken und aus Fehlern und Irrtümern lernen zu wollen. Allerdings ist eine nachhaltige und sichtbare Veränderung der Einstellung nur dann möglich, wenn zugleich eine Veränderung bestimmter Gewohnheiten vollzogen wird. Im Folgenden werden drei Gewohnheiten genannt, die im Dienste der systematischen und konsequenten Anwendung der kritischen Methode aufzugeben sind und von daher im Rahmen der konstruktivistischen Didaktik gelehrt und der pragmatischen eingeübt werden müssen. • sich nicht dauernd ablenken Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass die kritische Methode beinahe überall und zu fast jeder Zeit angewendet werden kann. Allerdings wird eine beinahe automatische Anwendung erst nach einiger Zeit möglich sein, nämlich dann, wenn sie zur philosophischen Gewohnheit geworden ist. Damit dies geschieht, bedarf es einer Veränderung der Einstellung der Führungspersonen, und zwar dahingehend, dass Freiräume einen festen Platz in der Agenda erhalten. Möglichkeiten für solche Freiräume sind beispielsweise einsame Spaziergänge, Schifffahrten, Aufenthalt an idyllischen Ruheplätzen, Stadtwanderungen, Besuch von ruhigen Wellness-Oasen, Zugfahren ohne Ablenkung durch Lektüre usw. Auch wenn diese Freiräume für die Reflexion und Kritik von sogenannten betriebswirtschaftlichen oder ethischen Big Points herausragend geeignet sind, ist dennoch darauf zu achten, dass sie – vor allem am Anfang – für die Reflexion und Selbstkritik, inwieweit die kritische Methode systematisch und konsequent angewendet wird, sowie für das „Abschalten“ reserviert werden. Mit Letzterem ist gemeint, dass Führungsleute versuchen müssen, ihr Bewusstsein nicht dauernd dem ZweckMittel-Denken unterzuordnen, sondern für das Affizieren durch das Universum freizugeben. Mit Blick auf die Anwendung der kritischen Methode sind die Personen des Managements dann auf dem richtigen Weg, wenn Reflexionshandlungen und Kritik zum Selbstverständnis bzw. zur philosophischen Gewohnheit geworden sind und sie imstande sind, die Langeweile anzunehmen, und zwar – mit Heidegger gesprochen – „als die innerste Notwendigkeit der Freiheit des Daseins.“ 1385 • nicht Zustimmung anstreben Die zweite aufzugebende Gewohnheit heisst: nicht Zustimmung anstreben! Sowohl die Annahme wie auch die Äusserung konstruktiver Fremdkritik schafft die Möglichkeit, den Sachverhalt mit anderen Augen zu sehen. Es ist deshalb von grosser Wichtigkeit, dass in Gesprächen explizit darauf hingewiesen wird, dass kritische Einwände sowohl erwünscht wie auch erwartet werden. Damit eine kritische Gesprächskultur ihr Ziel erreicht, muss allerdings streng darauf geachtet werden, dass die kritischen Einwände stets nur eine Sache betreffen, zudem begründet und wohlwollend formuliert werden. In Bezug auf eine wohlwollende Formulierung gilt es zu berücksichtigen, dass jede Kommunikation einen Beziehungs- und einen Inhaltsaspekt aufweist und Letzterer seine Bedeutung nur dann entfalten kann, wenn die Gesprächsteilnehmer die Beziehung untereinander als positiv bzw. als wohlwollend und nicht als destruktiv empfinden. 1386 Der Grundsatz, nicht Zustimmung anzustreben, bedeutet nicht, sie als solche abzulehnen, sondern vielmehr den Schwerpunkt auf die Diskussion von heterogenen Standpunkten zu legen. Kann diese geforderte Gewohnheitsveränderung angesichts der Tatsache, dass der Begriff „Kritik“ negativ konnotiert ist und unsere Erfahrung mit Kritik in der Tat eher negative Gefühle auslöst, überhaupt erwartet werden? 1385 1386 M. Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit - Einsamkeit, Frankfurt a. M. 2004, S. 247 Vgl. P. Watzlawick: Menschliche Kommunikation, a.a.O., S. 53ff 203 Zu Recht weist Heiner Hastedt darauf hin, dass Gefühle, als Kompass für die einzuschlagende Richtung im Leben, uns genauso wie der Verstand in die Irre führen können und deshalb der Interpretation bedürfen. 1387 Für diesen Kontext bedeutet das, sich über das richtige Verständnis der Kritik Klarheit zu verschaffen. Und dabei gilt es zu bedenken, dass konstruktive Fremdkritik Gleichgültigkeit oder gar Verführung zu einer vermeintlichen Sicherheit – im Gegensatz zur von uns positiv aufgenommenen Zustimmung – gerade ausschliesst. Mit anderen Worten: Die konstruktive Kritik verdient kein negatives Gefühl, sondern – als Zeugnis von Anteilnahme und Wohlwollen – vielmehr die ganz besondere Wertschätzung. • Menschen nicht nach ihrer Funktion oder Stellung einschätzen Die dritte aufzugebende Gewohnheit geht dahin, die Menschen als gleichwertig einzuschätzen und voneinander lernen zu wollen. Dem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist inhärent, dass der Wert der Menschen weitgehend über jene Elemente bestimmt wird, die diese Wirtschaftsordnung prägen. Mit anderen Worten: Menschen mit grossem Vermögen, hohen Einkommen und einflussreichen Positionen geniessen grosses Ansehen, während früher sozial hochgestellte Funktionen wie Professoren, Lehrer, Pfarrer, Wissenschaftler, Ärzte usw. zunehmend an Sozialprestige einbüssen. Keinen besonderen Wert auf die Zustimmung, sondern auf die kritische Diskussion zu legen, gelingt Führungspersonen umso besser, als sie erkennen, dass die Menschen ihre Vernunft ausschliesslich dem Dialog mit anderen Menschen verdanken und wir alle „voneinander lernen, solange wir nur nicht vergessen, daß es nicht so sehr darauf ankommt, wer recht behält, als vielmehr darauf, der Wahrheit näher zu kommen.“ 1388 Je mehr sich unsere Gesellschaft ausdifferenziert und die blinden Flecken sich verfestigen, umso dringender ist die Einsicht für unser Leben, dass es gegen die blinden Flecken kein geeigneteres Mittel als die kritische Methode gibt, Letztere aber ohne die Annahme aller anderen Menschen als Gleichwertige nicht systematisch und konsequent angewendet werden kann. 14.4.2.6 Die Entscheidung zur Annahme der kritischen Methode Menschliche Entscheidungen werden zu einem Bestandteil des menschlichen ProblemlösungsHorizonts. Das bedeutet: Unsere gefällten Entscheide leiten uns im Denken, Entscheiden und Handeln, ohne dass uns dies in den einzelnen konkreten Situationen bewusst wird. Die menschliche Erkenntnissituation mit dem blinden Fleck als anthropologisches Erkenntnisproblem kann demnach mit Blick auf die systematische und konsequente Anwendung der kritischen Methode in fruchtbarer Weise genutzt werden. Und zwar dadurch, dass die Führungspersonen sich explizit für die Annahme der kritischen Methode entscheiden. Mit anderen Worten: Mit der expliziten Entscheidung, die systematische und konsequente Anwendung der kritischen Methode als eine Managementaufgabe aufzufassen, werden durch den Entscheidungsakt alle anderen Möglichkeiten, insbesondere die beinahe ausschliessliche Ausrichtung nach ökonomischen Aspekten, ausgegrenzt. Weil die Führungspersonen mit den Instrumenten „Unternehmensvision“ und „Managementziele“ bestens vertraut sind, haben sie gute Kenntnisse von der Kraft, die gefällten Entscheidungen innewohnt. Sie werden nicht zuletzt auch deshalb Verständnis haben, wenn sie gebeten werden, die kritische Methode in den einzelnen Elementen zu beschreiben und danach ihren Entscheid, diese Methode fortan systematisch und konsequent anzuwenden, schriftlich zu fixieren. Den Personen des Managements kann versichert werden, dass durch diesen Entscheidungsakt die ausgezeichnete Möglichkeit geschaffen wird, die Erwartungen seitens der Unternehmensverantwortlichen, die sich explizit zur Annahme und Durchsetzung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik entschieden haben, zu erfüllen. 1387 1388 204 Vgl. H. Hastedt: Gefühle. Philosophische Bemerkungen, Stuttgart 2005, S. 130 K. R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen, a.a.O., S. 161 Darüber hinaus gilt es in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass die Annahme der kritischen Methode eine moralische Entscheidung ist. Denn erst sie schafft die Grundlage, Fehler und Irrtümer, die sowohl für uns selbst wie auch für andere Menschen nachteilig sein können, systematisch und konsequent zu verhindern. 14.4.3 Alle Menschen sind fähig zur kritischen Methode Mit den Ausführungen zur Institutionalisierung der kritischen Methode wurde ein didaktischer Weg skizziert, wie die Einstellung und die Gewohnheiten der Führungsleute verändert werden können, um die kritische Methode – zumindest der Möglichkeit nach – systematisch und konsequent anzuwenden. Der mögliche Einwand, dass die Reflexion, Selbstkritik und Fremdkritik von sämtlichem Denken, Entscheiden und Handeln die Menschen überfordere, wird zurückgewiesen. Und zwar mit der Begründung, dass erstens die Menschen grundsätzlich zur Reflexion, Selbstkritik und Fremdkritik fähig sind und dies tagtäglich von unzähligen Menschen auch praktiziert wird, auch wenn wohl mehrheitlich nicht im Bereich der Moral bzw. hinsichtlich ethischer Regeln. Zweitens ist die Idee, sämtliches Denken, Entscheiden und Handeln der kritischen Methode zu unterwerfen, eine regulative Idee. Dies bedeutet, dass unser Bestreben in diese Richtung verlaufen sollte, auch wenn es niemals vollständig gelingen wird. Drittens muss berücksichtigt werden, dass mit der Institutionalisierung der kritischen Methode die Struktur eines sozialen Systems (Management) verändert wird. Auch wenn vielen Menschen die Reflexion und Selbstkritik des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns schwerfällt, so darf doch erwartet werden, dass ihnen die Kritik an anderen Personen vergleichsweise leicht fällt. Und wenn die gegenseitige sachliche und wohlwollende Fremdkritik als Teil der ManagementKommunikation erst einmal etabliert ist, dann wird das zweifellos einen positiven Einfluss auf die Reflexion und Selbstkritik des eigenen Denkens, Entscheidens und Handelns haben. Denn immerhin können mit der Reflexion und Selbstkritik Veränderungen möglicherweise noch vor der Fremdkritik eingeleitet und Letztere dadurch abgewehrt werden. Viertens lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, dass die kritische Methode hinsichtlich der ethischen Prinzipien zu einer (philosophischen) Gewohnheit werden kann, so dass ethisch relevante Sachverhalte intuitiv und beinahe automatisch mit der kritischen Methode behandelt werden. Und fünftens schliesslich muss zwischen der Möglichkeit, die kritische Methode systematisch und konsequent anwenden zu können, und der Tatsache, dass heutzutage eine kritische Einstellung vielerorts eher verpönt ist, unterschieden werden. Im Rahmen der Beantwortung der vierten ethischen Grundfrage ging es darum, aufzuzeigen, dass der systematischen und konsequenten Anwendung der ethischen Prinzipien der problemorientierten philosophischen Management-Ethik zumindest aus theoretischer Sicht kein Hindernis im Sinne von Nicht-Können impliziert Nicht-Sollen im Wege steht. 14.5 Motivationale Wissensvermittlung Damit der Prozess der Institutionalisierung der kritischen Methode überhaupt eingeleitet werden kann, bedarf es vorgängig einer Entscheidung seitens der Unternehmensverantwortlichen, die ethischen Prinzipien der problemorientierten philosophischen Management-Ethik als der ethische Bestandteil der Corporate Governance 1389 zu akzeptieren. Es stellt sich somit die erste ethische Grundfrage: Warum sollen wir überhaupt ethisch handeln? Konkreter gefragt: Warum sollen die Unternehmensverantwortlichen Corporate Social Responsibility ernst nehmen und auf gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid sowie der Schutz der menschlichen Autonomie Rücksicht nehmen? Nach Klaus Doppler wird das 1389 Nach Fredmund Malik definieren Corporate Governance und die Unternehmenspolitik den Zweck des Unternehmens: „Richtig verstanden und ausgestaltet, bilden sie ein Zentrum der Kraft für die Gesamtsituation, so wie ein Motor ein Kraftzentrum für das Auto ist.“ (F. Malik: Management, a.a.O., S. 88) 205 unternehmerische Verhalten so lange beibehalten, „wie es sich – in welcher Währung auch immer – rechnet und wird dann geändert, wenn die Rechnung nicht mehr aufgeht. Was kostet es? Was bringt es? – das ist die eigentliche Gretchenfrage.“ 1390 Dopplers Einschätzung stimmt mit den Erkenntnissen der soziologischen Systemtheorie darin überein, dass ethische Anliegen seitens der Unternehmensverantwortlichen nur dann aufgenommen werden, wenn sie in das stets im Hintergrund präsente binäre Codierungsschema Zahlung vs. Nichtzahlung eingearbeitet werden können (vgl. S. 158). Getragen von der Idee, dass weitsichtige und in moralischen Belangen sensible Unternehmensverantwortliche bereit sind – möglicherweise auch deshalb, weil sie erkannt haben, dass nicht-ethisches Verhalten zu negativen ökonomischen Auswirkungen führen kann –, sich mit sorgfältigen Informationen auseinandersetzen, wird im Folgenden versucht, die Entscheidungsträger zu motivieren, Ethik als Entscheidungsprämisse in das soziale System „Unternehmen“ aufzunehmen. Dazu werden – für die Beantwortung der ersten Grundfrage – im Wesentlichen drei Hauptargumente vorgebracht, die allesamt aufzeigen, dass die zunehmende Tendenz der Unternehmen, Geschäftspraktiken nach ökonomistischen Unternehmensstrategien auszurichten, nicht nur schwerwiegende moralische Problemphänomene evoziert, sondern bei Führungsleuten, Unternehmen und beim Wirtschaftssystem zu schwerwiegenden negativen Konsequenzen führt, denen mit der Annahme und Durchsetzung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik jedoch wirkungsvoll begegnet werden kann. 14.5.1 Work-Life-Balance seitens der Führungsleute Welche gravierenden Probleme lassen sich durch die Annahme und Durchsetzung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik für Führungsleute verhindern? Gunter Dueck hat mit seinen Aussagen, wonach die heutigen Manager „die Ökonomie in eine entsetzliche Übertreibung des kurzfristigen Profits hineingetrieben“ 1391 hätten und die Ökonomie selten über den Tellerrand der Instinkte hinausdenke 1392, möglicherweise Recht, allerdings fehlt diesen Feststellungen eine philosophisch-wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage, weshalb zum Beispiel Gier bei vielen Führungsleuten derart masslos ist, dass sie materielle Werte über alle anderen stellen und dabei die eigene Gesundheit, den Zusammenhalt der Familie oder ein über materielle Zwecke hinausgehendes sinnvolles Leben gefährden. Diese soziologischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen geben Hinweise für eine tiefere Erkenntnis, sie lässt sich wie folgt formulieren: Die Erkenntnisse der Führungspersonen sind wegen des ausgeprägten ökonomischen Zweck-Mittel-Denkens zunehmend inadäquat hinsichtlich eines guten Lebens. Aber weil das menschliche Erkenntnisvermögen die kleinen, schleichenden Veränderungen nicht wahrnimmt und die Führungspersonen – solange keine gravierenden Probleme aufkommen – keinen Anlass sehen, ihre vermeintlichen Gewissheiten zu reflektieren, wissen sie weder Bescheid über die eingeschlagene Richtung in ihrem Leben noch über mögliche Alternativen und auch nicht über die Gefahren, die mit diesem Weg verbunden sind. Es ist Gregory Bateson zuzustimmen, wenn er sagt: „Es ist ein nicht triviales Problem, daß wir fast immer unbewußt sind über die Trends in den Veränderungen unseres Zustandes.“ 1393 Die problemorientierte philosophische Management-Ethik fordert mithilfe der kritischen Methode, dass Führungsleute, als regulative Idee, sämtliches Denken, Entscheiden und Handeln in Bezug auf die ethischen Prinzipien reflektieren und – falls eine Verbindung zu diesen besteht – im Hinblick auf die diesen ethischen Prinzipien zugrunde liegenden, in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werte prüfen und verbessern. Da die systematische und konsequente Anwendung der kritischen Methode sämtliches Denken, Entscheiden und Handeln in den Blick nimmt und sich letztlich einer Veränderung der Einstellung und der Gewohnheiten seitens der 1390 1391 1392 1393 206 K. Doppler: Der Change Manager, a.a.O., S. 99 G. Dueck: Abschied vom Homo oeconomicus. Warum wir eine neue wirtschaftliche Vernunft brauchen, Frankfurt a. M. 2008, S. 247 Vgl. a.a.O., S. 219f G. Bateson: Geist und Natur, a.a.O., S. 122 Führungsleute verdankt, kann mit einiger Sicherheit gesagt werden, dass die Kraft und die Reichweite der kritischen Methode gross genug ist, um die Gefahren des blinden Flecks auch im persönlichen bzw. privaten Bereich deutlich abzuschwächen. Mit anderen Worten: Die Gefahr, dass die eigene berufliche Karriere bzw. der persönliche materielle Erfolg bedingungslos und ohne Bedenken als das oberste Ziel gesetzt werden, das Leben zwischen dem wirtschaftlichem Erfolg und einem über materielle Aspekte hinausgehenden sinnvollen Leben nicht mehr ausbalanciert und Probleme erst bei massiven Schwierigkeiten entdeckt werden, kann mit der Annahme und Durchsetzung dieser philosophischen Management-Ethik mithilfe der ethischen Prinzipien sowie der kritischen Methode aussichtsreich gebannt werden. Und zwar durchaus zum ökonomischen Vorteil der Unternehmen, weil diese mit Führungsleuten rechnen können, welche die hohen Erwartungen und Belastungen auch in der Zukunft zu erfüllen vermögen. 14.5.2 Stärkung der unternehmerischen Existenzfähigkeit Betriebswirtschaftliche Indikatoren wie beispielsweise Börsenkurse, Quartalbilanzen oder Jahresrechnungen genügen nicht, um den effektiven Zustand eines Unternehmens festzustellen. Allein die aktuelle Krise rund um den Immobilienmarkt in Amerika zeigt dies in aller wünschenswerten Deutlichkeit. Noch im Vorjahr des Beginns der Immobilienkrise wurden von involvierten Banken Milliardengewinne ausgewiesen, obschon aus heutiger Sicht einwandfrei feststeht, dass der Zustand dieser Geldinstitute bereits zu diesem Zeitpunkt desolat war. Der nachhaltige Gewinn von Unternehmen und letztlich die Existenzfähigkeit hängt in allererster Linie davon ab, inwieweit das unternehmerische Denken, Entscheiden und Handeln in der Gesellschaft tief verankerte moralische Werte als unantastbare Grenzen ernst nimmt. Aber ist das nicht bloss eine Behauptung? Durch die hohe Saturierung der Märkte und die stetige Zunahme des Konkurrenzdruckes nimmt die gesellschaftliche Bedeutung des einzelnen Unternehmens als Anbieter von meistens wenig unterscheidbaren Produkten und Dienstleistungen ständig ab. Das zeigt sich daran, dass angesichts der kaum erfassbaren Menge gleichartiger Produkte und der beinahe beliebigen Produkt-Substitution der Marktaustritt einzelner Unternehmen in den meisten Fällen durch die Konsumenten nicht mal bemerkt wird. Die Möglichkeit, dass Unternehmen – wie noch vor einigen Jahrzehnten – ihre Existenz allein mit einer ehrlichen und konservativen Marktleistung sichern können, ist heute nicht mehr gegeben. Und gerade diese im Grunde genommen dramatische Verschärfung der Existenzfrage erhöht die Gefahr, dass Unternehmen falsche Unternehmensstrategien und Geschäftspraktiken wählen. Anstatt systematisch und konsequent darauf zu achten, innovative und für die Konsumenten wertvolle Marktleistungen anzubieten, Sorge zu den Mitarbeitern zu tragen, offensiv und ehrlich zu kommunizieren, Fehler einzugestehen, einen positiven Beitrag gegen die ökologische Gefährdung zu leisten, die gesetzlichen Erlasse strikte einzuhalten usf., reagieren sie aus einer ökonomischen Binnenlogik heraus, beispielsweise mit minderer Qualität, falschen Produktversprechungen, Gehaltsreduktionen bei den Mitarbeitern, rücksichtslosem Umgang mit natürlichen Ressourcen oder saloppem Umgang mit gesetzlichen Erlassen. Kurzum: Anstatt die ökonomischen Trümpfe zu sichern und zu stärken, werden diese weitgehend mehr oder weniger bedenkenlos preisgegeben. Das allergrösste Problem für die Unternehmen ist jedoch, dass diese wegen des blinden Flecks bzw. der nicht mehr hinterfragten Prämissen den eingeschlagenen desaströsen Weg oft nicht erkennen, sondern die zunehmende existenzielle Gefährdung durch Massnahmen wiederum nach dem genau gleichen Muster zu lösen versuchen. Weil nun die Unternehmen mit der Annahme und Durchsetzung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik gehalten sind, ihre Beobachtungspunkte dorthin zu verlegen, wo die gesellschaftliche Bedeutung des einzelnen Unternehmens nicht abnimmt, sondern zunimmt, sei es als Anbieter von innovativen und für die Gesellschaft wertvollen Produkten und Dienstleistungen, als berechenbare und umsichtige Arbeitgeber oder als verantwortungsvolle Verbraucher natürlicher Ressourcen, vermag die philosophische Management-Ethik mithilfe der ethischen Prinzipien sowie 207 der kritischen Methode die Existenzfähigkeit in bedeutender Weise zu stärken. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, die wegen der fehlenden finanziellen Mittel den Markt nicht beeinflussen können, wird diese Einsicht von allergrösster Wichtigkeit sein. 14.5.3 Schutz vor der Zerstörung des Wirtschaftssystems Ökonomistische Strategien gefährden vor allem die Existenz von kleineren und mittleren Unternehmen, weniger jedoch diejenige von grossen und kapitalkräftigen Firmen – Joseph Stiglitz betont, dass viele multinationale Konzerne reicher sind als die meisten Entwicklungsländer 1394. Diese sind dank ihrer Markt- und Kapitalkraft denn auch durchaus imstande, den Standort nach idealen Rahmenbedingungen auszuwählen, hochrangige Politiker mit grosszügigen Wahlkampfspenden für die eigenen Interessen zu gewinnen, die Wünsche der Konsumenten zu beeinflussen – wenn nicht gar zu erzeugen –, von Führungsleuten mittels exorbitanten Gehältern alles abzuverlangen, andere Unternehmen zwecks Erhöhung ihrer Marktmacht und Eliminierung „schädlicher“ Mitbewerber aufzukaufen und permanent Rationalisierungsmassnahmen durchzuführen, ohne deshalb zwingend mit ernsthaften negativen Auswirkungen rechnen zu müssen. Hier steht nicht primär die unternehmerische Existenz auf dem Spiel, sondern diejenige des Wirtschaftssystems. Denn es stellt sich nämlich die Frage, wohin der Weg führt, wenn Unternehmen die Menschen bloss noch als Mittel für die ökonomischen Interessen in den Blick nehmen und viele Menschen darunter zu leiden haben, unfreier und ärmer werden, während auf der anderen Seite sich relativ wenige Menschen immer mehr bereichern. Noch können sich die mächtigen Wirtschaftsakteure durch Bodyguards schützen, noch vermag die Gesellschaft die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendigen Kosten aufzubringen, auch konnten bislang ausreichende Vorkehrungen gegen die Gewaltbereitschaft getroffen werden, aber es drängt sich die Frage auf: wie lange noch? Peter Ulrich, Philippe Mastronardi und Mario von Cranach haben mit ihrer Aussage zweifellos Recht, dass ein Wirtschaftssystem, das zur Selbstbedienung der Stärkeren verkommt, „ihre eigene Legitimations- und Vertrauensbasis – und damit die Kooperationsbereitschaft und gesellschaftliche Solidarität der Bürger“ 1395 zerstört. Marktwirtschaftlicher Wettbewerb ist in der Tat kein Ziel, „sondern nur ein Mittel, um Wohlstand für alle zu fördern. Dieses setzt Fairness und ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit voraus. Eine Wirtschaftskultur, in welcher der Eigennutz die Gerechtigkeit verdrängt, muss immer wieder in tief greifende Krisen fallen.“ 1396 Unternehmensgiganten mit einer ökonomistischen Unternehmensstrategie sind eine überaus ernst zu nehmende Bedrohung für das Wirtschaftssystem, die jedoch sowohl von den meisten Wirtschaftsakteuren als auch vom politischen System nur unzureichend erkannt wird. Auch ist in weiten Kreisen der Gesellschaft in Vergessenheit geraten, dass die Ökonomie seit Aristoteles die eigentliche Vollzugsinstanz der Ethik ist. Das heisst: Wenn das Wirtschaftssystem auf gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte wie die Verhinderung von menschlichem Leid und den Schutz der menschlichen Autonomie immer weniger Rücksicht nimmt, dann verliert es – aus der Sicht der Ethik und der moralischen Überzeugungen – zunehmend seine Legitimität. 14.5.4 Die Empfehlung an den Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat Dem aktuellen Wirtschaftsgeschehen ist die grosse Gefahr inhärent, dass Unternehmen die schärfer gewordene Frage der Existenzsicherung zunehmend durch ökonomistische Unternehmensstrategien beantworten, mit denen nicht der Schutz von in der Gesellschaft tief 1394 1395 1396 208 Vgl. J. Stiglitz: Die Chancen der Globalisierung, Übers. von T. Schmidt, München 2008, S. 237 P. Ulrich et al: ‹‹Gier und Angst sind keine tauglichen Leitmotive››, in: SonntagsZeitung, Ausgabe: 11.05.2008, S. 72f A.a.O., S. 72f verankerten moralischen Werten in den Blick genommen wird, sondern die Realisierung höchstmöglicher Gewinne oder tiefstmöglicher Kosten. Diese ökonomischen Binnenlogiken führen – nebst den bereits aufgezeigten schwerwiegenden moralischen Problemen für die Gesellschaft – zu drei gravierenden Problemkomplexen, bei denen angenommen werden kann, dass diese auch von den Unternehmensverantwortlichen vermieden werden möchten, und zwar deshalb, weil sie selbst davon nachteilig betroffen sind. Erstens verlieren Unternehmen wichtiges Know-how und erfahrene Leistungsträger, wenn Führungsleute wegen der fehlenden Balance zwischen dem beruflichem Erfolg und einem über ökonomische Aspekte hinausgehenden sinnvollen Leben dem Unternehmen zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen. Zweitens können die ökonomischen Binnenlogiken die nachhaltige Existenzfähigkeit von nicht besonders kapitalkräftigen Unternehmen dramatisch gefährden. Und zwar deshalb, weil diese der Tendenz nach eher kleineren und mittleren Unternehmen dann auch noch den Rest ihrer gesellschaftlichen Bedeutung aus der Hand geben. Drittens wird die soziale Ordnung auf Dauer nicht haltbar sein, wenn grosse und kapitalkräftige Unternehmen die Konsumenten, Mitarbeiter, Politiker, Kleinaktionäre und andere Stakeholder bloss noch als Instrumente für die Gewinnmaximierung verwenden und den Markt sowie das Kaufverhalten der Konsumenten mit ihren enormen Möglichkeiten zu ihren Gunsten beeinflussen oder Unternehmen Millionensaläre ausbezahlen, die Gewinne grosszügig privatisieren, während die katastrophalen Folgen durch die einfachen Menschen getragen werden müssen. Weil die problemorientierte philosophische Management-Ethik mithilfe der ethischen Prinzipien sowie der kritischen Methode nicht nur einen eminent wichtigen Beitrag für die Sicherstellung von in der Gesellschaft tief verankerten moralischen Werten zu leisten vermag, sondern darüber hinaus gravierende Gefahren auf Seiten der Führungsleute, der Unternehmen und des Wirtschaftssystems bannt, wird sie dem Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat zur Annahme empfohlen. Und zwar als der ethische Bestandteil der Corporate Governance, der durch seinen für alle Personen des Managements verbindlichen integralen Vertragsbestandteil durchgesetzt wird. 14.6 Über das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie Die für die Annahme und Durchsetzung der problemorientierten philosophischen ManagementEthik vorgebrachten Argumente betonen die Gefahren für Führungsleute, Unternehmen und das Wirtschaftssystem. Weil die Verhinderung dieser Gefahren mit den Interessen des Verwaltungsrates bzw. Aufsichtsrates durchaus zusammenfällt, könnte der ethischen Theorie möglicherweise zum Vorwurf gemacht werden, dass sie ihre Annahme und Durchsetzung keinem genuin ethischen Verständnis verdanke, sondern als Mittel für ökonomische Zwecke missbraucht werden könne und im Grunde genommen gegen die Intentionen von Karl R. Popper verstosse. Dem kann entgegnet werden, dass diese in der Tat ökonomisch positiven Nebeneffekte nur mithilfe einer systematischen und konsequenten Anwendung der kritischen Methode sowie der ethischen Prinzipien erreicht werden können. Mit anderen Worten: Die problemorientierte philosophische Management-Ethik lässt sich nicht instrumentalisieren, und zwar deshalb, weil die ökonomisch positiven Nebeneffekte in keinem kausalen Verhältnis zu den ethischen Prinzipien stehen und – damit zusammenhängend – nur mittel- und langfristig realisiert werden können. Auch ist diese ethische Konzeption weit davon entfernt, im Stile der ökonomischen Ethik1397 ihre ethischen Prinzipien mithilfe von extrinsischen Anreizen (zum Beispiel durch Schaffung von gesetzlichen Institutionen) durchsetzen zu wollen. Im Weiteren gilt es aber auch zu berücksichtigen, dass die ökonomisch positiven Nebeneffekte, also die Stärkung der unternehmerischen Existenzfähigkeit, die Sicherung des Wirtschaftssystems und die Beförderung der Balance zwischen dem wirtschaftlichem Erfolg und einem über ökonomische Aspekte hinausgehenden sinnvollen Leben seitens der Führungsleute, nicht ohne ethischen Gehalt sind; denn immerhin können Führungsleute, Unternehmen und Wirtschaftssystem gerade dadurch die von der Ethik als Disziplin der praktischen Philosophie 1397 Vgl. A. Suchanek: Ökonomische Ethik, 2. Auflage, Tübingen 2007, S. 7 209 zugedachte Aufgabe, nämlich mithilfe von ökonomischen Leistungen menschliches Leid zu verhindern und die menschliche Autonomie zu schützen, auch weiterhin erfüllen. Schliesslich darf Poppers Forderung, dass eine Ethik nicht auf Erfolg und Belohnung abstellen darf (vgl. S. 145), auch deshalb als eingehalten betrachtet werden, weil gemäss seinem Ratschlag die Motivation mit Blick auf negative Konsequenzen, die von den zu Motivierenden nicht oder zu wenig bedacht wurden, erfolgte. Die problemorientierte philosophische Management-Ethik auf der Grundlage des Kritischen Rationalismus lässt kaum Zweifel offen über das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie. Nichtsdestotrotz soll das Verhältnis an dieser Stelle noch deutlicher dargestellt werden. Die Ethik als die Reflexionsdisziplin der Moral, die im Wesentlichen ein gutes Leben sowie das friedliche Zusammenleben der Menschen zum Ziele hat, wird uneingeschränkt der Vorrang gegenüber der Ökonomie konzediert. Diese ethische Theorie hält damit an der Tradition fest und erteilt dem Standpunkt, wonach die Ökonomie im gleichen oder gar höheren Range wie die Ethik steht, eine klare Absage. Die Auffassung, wonach die Fragen nach dem guten Leben bzw. friedlichen Zusammenleben bloss noch mit ökonomischen Kategorien zu beantwortet sind, hat demnach mit dieser philosophisch-ethischen Theorie nichts gemein. Die Berechtigung, an der Tradition bzw. am Vorrang der Ethik festzuhalten, ergibt sich – nebst der Tatsache, dass Ethik für die menschliche Existenz eine herausragender Stellung einnimmt – auch daraus, dass sämtliches ökonomisches Geschehen, beispielsweise exorbitante Bonuszahlungen oder die im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise feststellbare Entlassungswelle, zum Gegenstand einer moralischen Diskussion werden kann. Selbst die Tatsache, dass mittlerweile die Betriebsund Volkswirtschaftslehre die Ökonomie zu ihrem Untersuchungsgegenstand haben, ändert am Vorrang der Ethik nichts. Und gleiches lässt sich zum Faktum sagen, dass die moralischen Überzeugungen der Menschen zunehmend nicht mehr im Einklang sind mit dem aktuellen Wirtschaftsgeschehen. Im Gegenteil: Das Versagen der Ökonomik hinsichtlich ethischer Anliegen sowie die zunehmende Diskrepanz zwischen moralischen und ökonomischen Werten kann als ein wichtiger Grund gesehen werden, weshalb die philosophische Ethik sich wieder vermehrt dem Wirtschaftsgeschehen zuwendet und ihren Vorrang gegenüber der Ökonomie explizit heraushebt. Nun muss Letzteres keineswegs zwingend bedeuten, dass eine philosophischwirtschaftsethische Theorie für die Aufnahme von ethischen Anliegen ausschliesslich altruistische Motive vorsieht. Es ist Marcel von Ackeren zuzustimmen, dass Ethik durchaus dem Selbstinteresse der Menschen dienen darf. 1398 Gefordert wird jedoch Gemeinsinn, das heisst die Erkenntnis, dass wir alle zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung beitragen müssen und dabei alle Menschen aufeinander angewiesen sind. Und schliesslich impliziert der Vorrang der Ethik ebenfalls nicht, dass eine philosophisch-wirtschaftsethische Theorie unbedingt als die Grundlage der ökonomischen Tätigkeiten aufgefasst werden muss. Das heisst: Nach der hier vertretenen Auffassung zeigt sich Wirtschaftsethik weder als Grundlage noch als Korrektiv noch als Wegbereiterin der Ökonomie – nach Peter Ulrich sind das die drei grundsätzlichen Verhältnisse zwischen Ethik und Ökonomie 1399 –, sondern als die der Ökonomie Grenzen setzende ethische Disziplin. Wirtschaftsethik anerkennt zwar die Ökonomie als das bestimmende System zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse, zeigt diesem jedoch mit aller Vehemenz die Grenzen, und zwar in der Form von gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werten. Auf den Punkt gebracht: Die Ökonomie hat sich, wie alle anderen Gesellschaftsbereiche, an gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werten zu orientieren. Denn Letztere sind mit Blick auf ein gutes Leben sowie das friedliche Zusammenleben der Menschen unabdingbar. Wirtschaftsethik hat in diesem Sinne die Aufgabe, der Ökonomie die Grenzen im Denken, Entscheiden und Handeln aufzuzeigen, so dass gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte geschützt bleiben. 1398 1399 210 Vgl. M. van Ackeren: „Zum Verhältnis von Ökonomie und Ethik: Sind Nutzen und Interesse rein ökonomische Handlungsmotive?“, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, Jg. 13, Heft 1 (2005), S. 63 Vgl. P. Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik, (2008), a.a.O., S. 135 14.7 Schematische Darstellung Abb. Nr. 4: Schematische Darstellung der problemorientierten philosophischen Management-Ethik 211 212 Kritische Würdigung Jeder theoretische Ansatz zeichnet sich durch Stärken und Schwächen aus. Das ist bei der hier vorgestellten philosophischen Management-Ethik als problemorientierter Ansatz nicht anders. Sollte sich beispielsweise das fokussierte Problem als gelöst herausstellen, dann verlöre die philosophische Management-Ethik zwar nicht als solche, jedoch aber als problemorientierter Ansatz ihre Bedeutung. Und nicht weniger kritisch kann die Reichweite der ethischen Konzeption beurteilt werden, ist diese doch auf die Wirtschaftsregionen beschränkt, wo die fokussierten moralischen Werte in der Gesellschaft auch tatsächlich tief verankert sind und als schützenswert aufgefasst werden. Im Folgenden sollen jedoch nicht die Schwächen aufgelistet werden – nach der zugrunde gelegten Philosophie des Kritischen Rationalismus sind die Mängel empirisch, das heisst mit Blick auf das zu lösende Problem, festzustellen –, sondern vielmehr gilt es zu überprüfen, inwieweit die am Ende des ersten Teils dieser Arbeit formulierte Forschungshypothese theoretisch eingelöst werden konnte. Denn immerhin hängt von diesem Urteil ab, ob in Anspruch genommen werden darf, einen Forschungsbeitrag zum wirtschaftsethischen Diskurs geleistet zu haben. Und um diese Frage zu klären, wird die These nochmals in den Vordergrund gerückt: Ein problemorientierter philosophisch-wirtschaftsethischer Ansatz schafft Raum für eine Problemanalyse, in deren Zentrum sich sozialwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Untersuchungen aufdrängen. Mit diesen eröffnet sich dann erstens die Möglichkeit, einen moralischen Problemkern auszuzeichnen, konkrete ethische Regeln zu entwickeln sowie die Anwendungsvoraussetzungen dieser ethischen Regeln, aber auch die Akzeptanzbedingungen der philosophischen Ethik sowohl zu klären wie auch zu erfüllen, so dass sich die Chancen für die Annahme und Durchsetzung der philosophisch-wirtschaftsethischen Theorie erhöhen. Zweitens ergibt sich durch die sozialwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen zugleich die Möglichkeit, eine präzisere Erkenntnis hinsichtlich des moralischen Desinteresses vieler Wirtschaftsakteure zu gewinnen. Was den ersten Teil der These betrifft, darf mit einigem Recht gesagt werden, dass mithilfe moralischer Problemphänomene einerseits sowie der soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen andererseits ein moralischer Problemkern herausgeschält werden konnte, der in Bezug auf die Tiefe der moralischen Problematik eine neue Dimension für den wirtschaftsethischen Diskurs eröffnet. Und zwar hinsichtlich der Dringlichkeit ethischer Massnahmen sowie der Unabweisbarkeit der hier vertretenen ethischen regulativen Ideen. Was ist damit gemeint? Die moralischen Problemphänomene sowie die soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen machen auf eine ethische Dringlichkeit und Problematik im Wirtschaftssystem aufmerksam, die im Grunde genommen auf eine dramatische Dimension verweist, und zwar hinsichtlich moralischer Werte, für deren Schutz gerade das liberale Wirtschaftssystem seine Legitimation herholt. Die Absicht, mit den metaethischen regulativen Ideen die Verursachung von menschlichem Leid sowie die Schwächung der menschlichen Autonomie zu verhindern, bringt Unternehmensverantwortliche mit der Ansicht, dass die Lösung moralischer Probleme, wie sie hier thematisiert werden, nicht zu ihren Aufgaben gehört, denn auch in einen gewissen Argumentationsnotstand. Zwar ist es eine Tatsache, dass viele Menschen die Divergenz zwischen Moral und Ökonomie leidvoll erfahren und nicht wenige Führungspersonen dieses Faktum als Legitimation für die – halt unumgängliche – Maximierung der eigenen Interessen im ökonomischen Kontext sehen, aber selbst „hartgesottenen“ Ökonomen dürfte es einigermassen schwer fallen, die moralischen Problemphänomene zu verharmlosen und dem moralischen Problemkern die Bedeutung abzusprechen bzw. offen gegen die metaethischen regulativen Ideen zu argumentieren. Für die problemorientierte philosophische Management-Ethik bedeutet das: Führungsleute bzw. Unternehmensverantwortliche können zwar ohne besondere Schwierigkeiten die ethischen Prinzipen kritisieren, viel weniger jedoch die Corporate Social Responsibility in Bezug auf die Einhaltung der metaethischen regulativen Ideen; denn diese können sehr wohl als die 213 Ultima ratio für das ökonomische Handeln gesehen werden, mit der (positiven) Konsequenz, dass die ethischen Prinzipen quasi durch die Hintertür wieder an Bedeutung gewinnen, auch wenn (dann) nicht in der vorgesehenen Systematik und Konsequenz. In Bezug auf die Forderung, konkrete ethische Regeln zu entwickeln, wurden – mit Blick auf die regulativen Ideen – zentrale Beobachtungspunkte im Bereich der Managementtätigkeit bestimmt, die dann mit ethischen Vorgaben versehen wurden, so dass zehn ethische Prinzipien gefasst werden konnten, die allesamt eine konkrete Vorstellung davon abgeben, wie in einzelnen Situationen gehandelt werden soll. Bei der Erläuterung der ethischen Prinzipien konnte mehrfach darauf hingewiesen werden, dass die Befolgung der ethischen Vorgaben nicht nur den Schutz von gesellschaftlich tief verankerten moralischen Werten gewährleistet, sondern im Grunde genommen ebenso von der ökonomischen Vernunft bejaht werden müsste, sofern der Blick nicht allzu kurzfristig ausfällt. Betreffend die Anwendungsvoraussetzungen der ethischen Prinzipien zeigten die erkenntnistheoretischen Untersuchungen die Unzulänglichkeit der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes und insbesondere den mit jeder menschlichen Erkenntnis untrennbar verbundenen blinden Fleck. Mit der kritischen Methode konnte eine grundsätzlich für alle Menschen anwendbare und hoch effiziente Methode im Sinne einer conditio-sine-qua-non für die systematische und konsequente Anwendung der ethischen Prinzipien gefunden werden, die das Problem des blinden Flecks zwar nicht beseitigt, aber doch in bedeutender Weise entschärft, so dass die Grenzen der ökonomischen Logik Teil des Bewusstseins werden. Um einen Eindruck davon abzugeben, wie die kritische Methode in den Unternehmen institutionalisiert werden kann, wurden einige wichtige didaktische Punkte skizziert. Dabei wurde im Besonderen darauf hingewiesen, dass die Wissensvermittlung nach der Erkenntnispsychologie des Kritischen Rationalismus erfolgen muss. Das heisst, für die erfolgreiche Wissensvermittlung muss der Problemstellung eine herausragende Bedeutung konzediert werden; denn nur wenn das Problem erkannt ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Personen des Managements die für die systematische und konsequente Anwendung der kritischen Methode wichtigen neuen Erkenntnisse auch wirklich generieren. In Bezug auf die Akzeptanzbedingungen der problemorientierten philosophischen Management-Ethik kam durch die soziologischen Untersuchungen deutlich zum Ausdruck, dass sich soziale Systeme mit ethischen Appellen nicht steuern lassen, die Erfolgsaussichten hingegen intakt sind, wenn mithilfe der Vermittlung von Wissen versucht wird, die Unternehmensverantwortlichen zu motivieren, Ethik im Sinne von Entscheidungsprämissen in das soziale System „Unternehmung“ aufzunehmen. Dem folgend wurde für die drei Ebenen: Führungsleute, Unternehmen und Wirtschaftssystem aufgezeigt, dass mit ethischen Systemstrukturen bzw. ethischen Prinzipien nicht nur gesellschaftlich tief verankerte moralische Werte geschützt werden können, sondern auch wichtige ökonomische Interessen seitens der Unternehmen. Auf der Ebene der Führungsleute konnte dargelegt werden, dass die ethischen Prinzipien sowie die kritische Methode einen positiven Einfluss auf die erfolgreiche Vermittlung zwischen dem beruflichen und dem privaten Erfolg bewirken können und dass diese Vermittlung sich auch für die Unternehmen ausbezahlt. Auf der Ebene des Unternehmens wurde darauf hingewiesen, dass es für die Unternehmen zunehmend existenziell wichtig ist, die gesellschaftlichen Veränderungen in der Unternehmensstrategie zu berücksichtigten. Insbesondere wurde betont, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen sich auf ihre gesellschaftliche Bedeutung besinnen müssen, wenn sie in einer Welt gesättigter Märkte, immer grösserer Konkurrenz sowie einer kaum erfassbaren Menge gleichartiger Produkte überleben wollen. Dabei kam klar zum Ausdruck, dass ihnen dies am besten durch die Anwendung der ethischen Prinzipien gelingt. Und zwar deshalb, weil Letztere eine Unternehmensstrategie fordern, wonach die Unternehmen sich als Anbieter von innovativen und für die Gesellschaft wertvollen Produkten und Dienstleistungen, als berechenbare und umsichtige Arbeitgeber sowie als verantwortungsvolle Verbraucher natürlicher Ressourcen auszeichnen und den betriebswirtschaftlichen Erfolg als Massstab für das Gelingen dieser so gefassten Marktleistung betrachten. Und auf der Ebene des Wirtschaftssystems schliesslich wurden Argumente vorgebracht, wonach die soziale Ordnung für alle Wirtschaftsakteure von fundamentaler Bedeutung ist, diese 214 jedoch ohne die Einhaltung gesellschaftlich tief verankerter moralischer Werte, insbesondere auf Seiten von global operierenden Unternehmen, auf Dauer nicht aufrechterhalten werden kann. Zusammengefasst: Mithilfe der soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen konnten erstens metaethische regulativen Ideen für die Beseitigung eines moralischen Problemkerns bestimmt werden, gegen die nicht ohne Weiteres Argumente vorgebracht werden können, ausser die Argumentierenden bekennen sich mehr oder weniger offen zu einem amoralischen Standpunkt. Zweitens konnten dank des moralischen Problemkerns sowie der metaethischen regulativen Ideen konkrete ethische Prinzipien entwickelt werden, die deutlich zum Ausdruck bringen, welches Denken, Entscheiden und Handeln seitens des Managements von der problemorientierten philosophischen Management-Ethik erwartet wird. Und drittens konnten sowohl die Anwendungsvoraussetzungen der ethischen Prinzipien wie auch die Akzeptanzbedingungen der problemorientierten philosophischen Management-Ethik geklärt und mit der Entwicklung der kritischen Methode sowie den Darstellungen zur Motivation auch erfüllt werden. Ob sich durch den problemorientierten Ansatz die Chancen für die Annahme und Durchsetzung dieser wirtschaftsethischen Theorie tatsächlich erhöht haben, lässt sich mangels Erfahrung noch nicht abschätzen. Nichtsdestotrotz wird der Anspruch erhoben, dass diese Möglichkeit zumindest theoretisch nachvollziehbar aufgezeigt werden konnte. Wie verhält es sich beim zweiten Teil der Forschungshypothese? Warum fehlt der gute Wille als die Grundvoraussetzung 1400 für eine jede ethische Theorie? Konkreter gefragt: Was ist der Grund, warum sich so viele Unternehmensverantwortliche kaum für wirtschaftsethische Anliegen interessieren, also kein ernsthaftes Gespräch über Wirtschaftsethik führen, kaum ein Wirtschaftsethik-Buch lesen und auch keinen Wirtschaftsethik-Weiterbildungskurs besuchen und die Wissensvermittlung mit motivationalem Inhalt von daher schon gar nicht erst zum Tragen kommen kann? Die erkenntnistheoretischen Untersuchungen haben eine sehr ernst zu nehmende Schwierigkeit hinsichtlich der Annahme und Durchsetzung einer jeden genuin ethischen Theorie für den Wirtschaftsbereich aufgezeigt. Zwar sind – bezogen auf die hier vorgestellte ethische Theorie – die kritische Methode für die Anwendung der ethischen Prinzipien und die Wissensvermittlung mit motivationalem Inhalt für die Akzeptanz der problemorientierten philosophischen ManagementEthik die unentbehrlichen Elemente, aber sie sind nicht hinreichend, um eine Veränderung bei an der Moral desinteressierten Wirtschaftsakteuren herbeizuführen. Anders gesagt: Die Motivation kann erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn seitens der Unternehmensverantwortlichen die Möglichkeit einer wirtschaftsethischen Theorie in den Blick genommen wird, und die kritische Methode wird ihre Effektivität nur dann beweisen können, wenn ein Entscheid zugunsten der problemorientierten philosophischen Management-Ethik gefallen ist. Und diesbezüglich zeigen die erkenntnistheoretischen Untersuchungen, dass Gier, fehlender Wille oder homines oeconomici als Ursache dieses doch grossen Desinteresses zwar nicht falsch sind, aber dennoch zu kurz greifen. Gleiches gilt für Guido Palazzos emphatische und zugleich rhetorische Frage: „Wenn die Realität so eindeutig für ein ethisches Engagement der Unternehmen spricht, warum behandeln so viele Unternehmen ihre Mitarbeiter mies, lassen ihre Ware in der Dritten Welt unter erbärmlichen Bedingungen herstellen oder pressen das Letzte aus ihren Lieferanten heraus? Wenn die Realität so eindeutig für Ethik spricht, warum gibt es davon so wenig in der unternehmerischen Praxis?“ 1401 Selbstverständlich soll nicht geleugnet werden, dass Unternehmen ohne ethische Bindung überaus erfolgreich sein können, aber dennoch ist dies als Grund für die Nichtberücksichtigung ethischer Anliegen nur die halbe Wahrheit. Zu Recht sagt Popper: „Aber die ›Machtgier‹ ist zweifellos ebensosehr ein sozialer wie ein psychologischer Begriff: Wir dürfen 1400 1401 Vgl. A. Pieper: Einführung in die Ethik, 6. Auflage, Tübingen und Basel 2007, S. 13 G. Palazzo: „Gutes Gewissen schlechtes Geschäft. Warum sich Wirtschaftsethik nicht unbedingt lohnt?“, changeX, Berlin 2006, S. 2 [www.changeX.de~, Veröffentlicht: 21.02.2006, Zugriff: 29.04.2009] 215 nicht vergessen, daß wir das erste Auftreten dieses Triebes in der Kindheit im Rahmen einer bestimmten Institution, zum Beispiel der Institution unserer modernen Familie, beobachten.“ 1402 Die soziologischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen haben gegenüber den Theorien von Ulrich, Homann und Steinmann eine präzisere Erkenntnis in Bezug auf das moralische Desinteresse von so vielen Wirtschaftsakteuren zutage gefördert. Die andere Hälfte der Wahrheit liegt in der fortlaufenden funktionalen Ausdifferenzierung der zweckgerichteten sozialen Systeme sowie in der menschlichen Erkenntnissituation. Genauer gesagt: Die Funktion der sozialen Systeme bezieht sich auf einen immer engeren Bereich, mit der Konsequenz, dass der Erkenntnis-Horizont bzw. Problemlösungs-Horizont der Menschen in diesen sozialen Systemen sich im Gleichschritt mit der Fokussierung zu einem „Tunnelblick“ verengt und hinsichtlich ganzheitlicher Denk-, Entscheidungs- und Handlungsstrukturen zusehends versagt. Aber wegen des blinden Flecks – das anthropologische Erkenntnisproblem – fehlt oft eine kritische Einstellung, so dass sich die Menschen ihrer unzulänglichen Erkenntnis, ob in der Form von gewohnheitsmässigen Handlungskonzepten oder unreflektierten Prämissen, erst dann bewusst werden, wenn sie mit massiven Problemen konfrontiert werden. Solange soziale Systeme wie Familien, Bildungsinstitutionen, Vereine oder kirchliche Organisationen von einer ganzheitlichen Semantik geprägt sind und in der Gesellschaft massgeblichen Einfluss ausüben, Unternehmen zudem auf ein nachhaltiges Wirtschaften abzielen, sind die vom blinden Fleck ausgehenden Gefahren eher klein. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Eltern gute Schulnoten mit Geld belohnen, das Bildungssystem sich bereits in den unteren Schulstufen auf die Wirtschaft ausrichtet, Vereine ihre wichtige Bedeutung für Gemeinsinn verlieren und Unternehmen ihre Strategie auf sofort überprüfbare monetäre Auswirkungen ausrichten. Dann entwickelt sich eine menschliche Dummheit hinsichtlich ganzheitlicher Lebensstrukturen, deren Gefahren für die soziale Ordnung, aber auch für die Individuen, kaum genug hoch eingeschätzt werden können. Mit Greogory Batesons Worten: „Zweckgerichtetes Bewußtsein zieht aus dem gesamten Geist Sequenzen, die nicht die Schleifen-Struktur haben, welche für die ganze systemische Struktur charakteristisch ist. Folgt man den Anweisungen des ››Common Sense‹‹ für das Bewußtsein, dann wird man effektiv gierig und unweise – wobei ich das Wort ››Weisheit‹‹ wiederum für das Erkennen und die Führung durch ein Wissen um die gesamte systemische Schöpfung verwende.“ 1403 In diesem Sinne sind wir nach Popper nicht zu klug und zu bösartig, sondern die „Mischung von gut und dumm ist die Wurzel allen Übels.“ 1404 Wohl die allermeisten Menschen streben nach einem glücklichen oder zumindest zufriedenen Leben. Aber weil wir oft durch falsche Erkenntnisse bzw. Prämissen gelenkt werden, besteht die Gefahr, gerade dieses Ziel zu verfehlen. So verlieren beispielsweise hochgestellte Führungsleute keineswegs selten haltgebende soziale Beziehungen oder werden in ihrer Lebensfreude durch gesundheitliche Probleme bzw. einer zunehmenden Sinnlosigkeit im Leben beeinträchtigt. Unternehmensverantwortliche möchten stets höhere Gewinne erwirtschaften, stattdessen gefährden sie mit einem ökonomistischen Denken, Entscheiden und Handeln die Existenz der Unternehmen, ohne dies rechtzeitig zu bemerken. Und während viele Kapitalgeber nach einer nachhaltigen Rendite streben, wegen eines oft kurzsichtigen Denkens, Entscheidens und Handelns jedoch gerade dieses Ziel verfehlen, versuchen hochrangige Politiker mithilfe der Logik des politischen Systems komplexe gesellschaftliche Probleme zu lösen, ohne wirklich zu merken, dass in vielen Fällen Letztere wegen der blossen Symptombekämpfung noch grösser werden. Kurzum: Dem im Grunde genommen erschreckenden moralischen Desinteresse, sei es seitens der Führungsleute, des Top-Managements, der Kapitalgeber oder der hochrangigen Politiker, liegen in vielen Fällen inadäquate Erkenntnisse bzw. weitgehend unreflektierte Prämissen zugrunde, die ein ganzheitliches Agieren kaum mehr zulassen. Christian Meier sagt dazu lapidar: „Die Fähigkeit und das Bedürfnis, Zusammenhänge zu erkennen und zu konstituieren, sind stark rückläufig.“ 1405 Wie sehr diese Überlegungen zutreffen, kann anhand der 1402 1403 1404 1405 216 K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen, a.a.O., S. 115 G. Bateson: Ökologie des Geistes, a.a.O., S. 559 K. R. Popper: Vermutungen und Widerlegungen, Bd. 2: Widerlegungen, a.a.O., S. 530 Ch. Meier: Von Athen bis Auschwitz, a.a.O., S. 31 aktuellen Weltwirtschaftskrise abgelesen werden. Unternehmensverantwortliche halten trotz staatlicher Unterstützung an Bonuszahlungen fest, bis der Zeitpunkt kommt, wo sie für die Politik oder die Aktionäre untragbar werden. Und das politische System stützt mit Milliarden ein ausser Rand und Band geratenes Finanzsystem, aber trotzdem hören wir nur von wenigen hochrangigen Politikern eine dezidiert kritische Haltung gegenüber dem neoliberalen Wirtschaftssystem. Im Gegenteil: Man könnte beinahe den Eindruck bekommen, dass unser Wirtschaftssystem bis zur Krise kaum Probleme verursacht hat, die Krise im Übrigen in keinem Zusammenhang mit dem neoliberalen Credo steht und deshalb möglichst schnell wieder auf Hochtouren laufen muss. Wie weiter? Es muss wohl davon ausgegangen werden, dass vom neoliberalen Kapitalismus erst dann wirklich abgerückt wird, wenn es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt, die inadäquaten Erkenntnisse bzw. unreflektierten Prämissen beizubehalten. Obschon aus diesen erkenntnistheoretischen Überlegungen nicht entnommen werden kann, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist und wieviel Leid die Menschen in der Zwischenzeit erfahren müssen bzw. wie sehr die menschliche Autonomie bis dahin geschwächt sein wird, können mögliche Hoffnungen auf eine baldige Veränderung in die Richtung einer nachhaltigen Politik und Wirtschaft nicht geteilt werden. Weil die Politik- und Wirtschaftseliten die moralischen Probleme im Allgemeinen nicht tragen müssen – bei einer Entlassung erhalten Top-Manager trotz eines ungenügenden Leistungsausweises eine hohe Abfindung und auch nicht selten bald wieder eine Anstellung, während hochrangige Politiker von einer grosszügigen Pension profitieren –, wird sich bei ihnen in absehbarer Zeit kaum ein hinsichtlich der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung kritisches Bewusstsein entwickeln. Es bleibt die Hoffnung, dass die quasi wissenschaftliche Fabel von Gregory Batesons Frosch nicht Tatsache wird: „Wenn man einen Frosch dazu bringen kann, ruhig in einem Topf mit kaltem Wasser sitzenzubleiben, und wenn man dann die Wassertemperatur sehr langsam und sanft erhöht, so daß es keinen Augenblick gibt, der sich als der Augenblick abhebt, in dem der Forsch springen sollte, dann wird er niemals springen. Er wird gekocht werden. Verändert die menschliche Gattung ihre Umwelt mit langsam zunehmender Verschmutzung, und verdirbt sie ihren Geist mit langsam zerfallender Religion und Erziehung in einem solchen Topf?“ 1406 Soll angesichts dieser für jede philosophisch-wirtschaftsethische Theorie nicht gerade vielversprechenden Akzeptanzbedingungen resigniert werden? Die Antwort lautet in aller Entschiedenheit: Nein! Vielmehr bedarf es der Einsicht, dass erstens dem Bildungssystem eine herausragende Bedeutung zukommt. Denn hier geht es genuin um die Vermittlung von Wissen. Das heisst, die im Bildungsprozess involvierten Menschen erwarten neue Erkenntnisse und sind durchaus offen für Informationen, und zwar sowohl hinsichtlich der menschlichen Erkenntnissituation wie auch hinsichtlich kritischer Wirtschaftsthemen. Zweitens gehört es zur Aufgabe der Wirtschaftsethik, Theorien für das veränderte Mandat der Wirtschaft auch dann bereitzustellen, wenn die aktuellen Aussichten auf einen Annahmeerfolg mangels eines grundsätzlichen Interesses für ethische Belange seitens vieler Wirtschaftsakteure eher klein sind. Denn das Fehlen der Akzeptanz von wirtschaftsethischen Theorien zu einem bestimmten Zeitpunkt bedeutet keineswegs zwingend, dass diese Theorien zu einem späteren Zeitpunkt nicht dennoch von grosser Wichtigkeit werden können. Drittens leisten die einzelnen wirtschaftsethischen Theorien in einer Welt, in der humane Werte stark von der Ausradierung bedroht sind, einen wichtigen Orientierungsbeitrag für weitsichtige und reflektierende Konsumenten, Mitarbeiter, Führungsleute, Aktionäre oder Unternehmen. Es ist deshalb nicht utopisch, wenn sich der Verfasser dieser Arbeit trotz der schwierigen Rahmenbedingungen einen gewissen Zuspruch für seine Arbeit erhofft. Viertens eröffnen gerade die erkenntnistheoretischen Einsichten über das moralische Desinteresse seitens vieler Wirtschaftsakteure ein wichtiges Gebiet für die Wirtschaftsphilosophie. Sie regen dazu an, die Quasi-Hypothese der zunehmend inadäquaten menschlichen Erkenntnis im Zusammenhang mit den ausdifferenzierten Gesellschaftssystemen tiefer und umfassender zu untersuchen. 1406 G. Bateson: Geist und Natur, a.a.O., S. 122 217 218 Literaturverzeichnis Werke Abel, Bodo: Grundlagen der Erklärung menschlichen Handelns. Zur Kontroverse zwischen Konstruktivisten und Kritischen Rationalisten, Tübingen 1983 Albert, Hans: Konstruktion und Kritik. Aufsätze zur Philosophie des kritischen Rationalismus, Hamburg 1972 Albert, Hans: Transzendentale Träumereien. Karl-Otto Apels Sprachspiel und sein hermeneutischer Gott, Hamburg 1975 Albert, Hans: Aufklärung und Steuerung. 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Nr. 1: Vier Begründungsinstanzen normativer Wirtschaftsethik Abb. Nr. 2: Schema eines ethischen Grundgerüsts für die Entwicklung einer normativethischen Theorie Abb. Nr. 3: Die visuelle Erfahrung des blinden Flecks Abb. Nr. 4: Schematische Darstellung der problemorientierten philosophischen ManagementEthik