Informale Politik im internationalen Vergleich: Ein Forschungsaufriss

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DEUTSCHES ÜBERSEE-INSTITUT
Forschungsgruppe:
„Informelle Politik und politische Parteien im interregionalen Vergleich“
Arbeitspapier
Informale Politik im internationalen Vergleich:
Ein Forschungsaufriss
Joachim Betz (Institut für Allgemeine Überseeforschung) *
Patrick Köllner (Institut für Asienkunde) *
Dezember 2000
* Die ersten drei Abschnitte dieses Artikels basieren auf einer früheren Veröffentlichung von Joachim
Betz, Patrick Köllner und Hanspeter Mattes (1999). Die Autoren danken insbesondere Andreas
Mehler für Ergänzungen und kritische Hinweise. Die übliche Vorbemerkung gilt auch hier.
0
1 Informale Politik als Analysegegenstand ......................................................................................... 1
2 Formale und informale Politik ......................................................................................................... 2
3 Elemente informaler Politik ............................................................................................................. 5
4 Parteien und informale Politik.......................................................................................................... 8
4.1 Parteienorganisation und –finanzierung.................................................................................... 9
4.2 Parteien und Gesellschaft........................................................................................................ 12
4.3 Parteien und Wahlen ............................................................................................................... 14
4.4 Parteien und Regierung........................................................................................................... 15
5 Fazit und Perspektiven ................................................................................................................... 17
Literaturverzeichnis........................................................................................................................... 22
1
Informale Politik als Analysegegenstand
Äußerlich gefestigte Demokratien, die mehrmalige demokratische Wahlgänge und friedliche
Machtwechsels erlebt haben, können existieren, ohne dass sie einen ausreichenden Grad
horizontaler Machtkontrolle, der Kontrolle von gesellschaftlichen Vetogruppen, der Wahrung
rechtsstaatlicher Prinzipien, der bürgerlichen Freiheiten und von Minderheitenrechten
garantieren. Sie kennen neben den verfassungsrechtlich sanktionierten Institutionen und
Verfahren mannigfaltige informale politische Arrangements, die oft weitgehend praktiziert,
akzeptiert und tief verwurzelt sind und meist unter Begriffen wie Klientelismus, Patronage
oder Partikularismus subsumiert werden. Ursache weit verbreiteter informaler Verfahren im
politischen Bereich ist vielfach die mangelnde Trennung von öffentlicher und privater Sphäre,
die kennzeichnend für den westlichen Verfassungsstaat ist (siehe auch O’Donnell 1997: 4647, 49-51). Die Privatisierung des öffentlichen Lebens kann in den gesellschaftlichen Normen
verankert sein und speist sich u.a. aus der Solidarität gegenüber der Familie, dem Clan,
ethnisch-religiösen Identitätsgruppierungen etc. Auch „moderne“ politische Organisationen
(Parteien, Verbände, NGOs) in den neuen Demokratien Afrikas, Asiens, Lateinamerikas sind
von diesen informalen Regeln meist stark affiziert, zumal sie ja nicht in einem
gesellschaftlichen Vakuum existieren (Kothari 1997).
Die informale Prägung des politischen Systems fällt in neuen und in
„defekten“ bzw.
„Fassadendemokratien“ am stärksten ins Auge, da sie hier den Charakter politischer
Entscheidungsprozesse und der Distribution von Machtressourcen grundlegend bestimmen
kann. Aber auch länger etablierte Demokratien sind nicht frei von derartigen informalen
1
Elementen. Immer wieder lassen sich partikularistische Muster in der Praxis des politischen
Gemeinwesens ausmachen, die in der Transitions- und Konsolidierungsdiskussion dort wie
bei den defekten Demokratien (a) dem informellen Erbe des autoritären Systems bzw. (b) der
aus der autoritären Phase übernommenen Problemakkumulation zugeschrieben werden
(Merkel/Croissant 2000). Das würde freilich nahelegen, daß informale Prozesse und
Verfahren mit zunehmender Konsolidierung demokratischer Systeme immer stärker
zurücktreten, eine bislang empirisch noch nicht überprüfte These. In vielen Fällen machen sie
auch in schon länger etablierten demokratischen Gemeinwesen gerade den besonderen
Charakter, quasi die spezifische „Färbung“ des politischen Systems aus. Was auch ihre
jeweiligen Ursachen sein mögen; die Muster und Elemente informaler Politik sind von
zentraler Bedeutung für die Analyse politischer Systeme. Sie zu ignorieren, als sui generis
oder als Residualvariable zu begreifen und damit einer umfassenden und komparativen
Untersuchung zu entziehen, hieße, eine zentrale Determinante bzw. Komponente der
Beziehungen und Transaktionen in politischen Gemeinwesen zu ignorieren.
Im Folgenden sollen einführend einige begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zum
Phänomen der informalen Politik präsentiert werden. Dabei wird zunächst auf den
Unterschied zwischen formaler und informaler Politik eingegangen. Einige bekannte
systemische und prozessuale Kategorien informaler Politik werden im Anschluss aufgezeigt
und hinsichtlich ihrer Wirkungsweisen kurz charakterisiert. Informale Elemente im Kontext
politischer Parteien werden im folgenden Abschnitt diskutiert. Der abschließende Abschnitt
dieses einleitenden Artikels ist der weiteren Forschungsagenda und den Perspektiven der
Auseinandersetzung mit dem Phänomen der informalen Politik gewidmet.
2
Formale und informale Politik
Unter formaler Politik können die verfassungsmäßig und gesetzlich kodifizierten politischen
Strukturen und Entscheidungsprozesse in einem bestimmten Staat oder einer Gesellschaft
verstanden werden. Mithin meint der Terminus die „De-jure-Version“ oder „Soll-Version“ der
Politik, wie sie sich oftmals in Darstellungen der offiziellen Verbindungen zwischen
politischen Organen und Organisationen und innerhalb dieser wiederfindet. Der Begriff
„informale Politik“ bezieht sich im Gegensatz dazu auf die nicht durch formale und schriftlich
2
fixierte Regeln gedeckten Beziehungs-, Verhaltens- und Erwartungsmuster von Individuen
und Gruppen innerhalb einer bestimmten Gesellschaft oder eines Staates, wobei diese
informalen Strukturen (ebenso wie ihr formales Pendant) einigermaßen geordnet und
vorhersehbar, also nicht anomischer Natur sind.
Grundsätzlich wird mit informaler Politik das in den politischen Raum hineinwirkende und
über individuelles Vorteilsstreben materieller und nichtmaterieller Art hinausgehende
Handeln bezeichnet, das im Kern auf Machterlangung/-sicherung, Einflussvergrößerung und
den Austausch von Ressourcen abzielt. Dabei ist es unwichtig, ob die betreffenden
Handlungsträger einzelne Personen oder korporatistisch organisierte (Parteien, Verbände,
Vereine) bzw. religionssolidarische (Kirche, Freidenker, Bruderschaften) Gruppen sind.
Anders als bei der formalen Politik mit ihrer Ausrichtung an staatlich und nichtstaatlich
verfassten Regeln und Normen findet im Bereich der informalen Politik nicht selten eine
Missachtung/Umgehung der verfassungsmäßigen Ordnung und der daraus abgeleiteten
Gesetze und sonstigen kodifizierten Regelungen oder zumindest deren Geist statt. In der Folge
wird
oftmals
die
per
se
bestehende
Kluft
zwischen
Verfassungsnorm
und
Verfassungswirklichkeit vergrößert. Informale Politik schließt nicht nur die entsprechenden
Beziehungen und Transaktionen ein, sondern auch die ihnen zugrunde liegenden Verfahren
und Regeln.
Institutionelle Gefüge, d.h. der Komplex der relevanten sozialen Akteure und Institutionen,1
die nach dieser Definition dem Bereich der informalen Politik zuzurechnen sind, können in
partikularistische Beziehungssysteme in Form von Netzwerken oder Klientelismus integriert
sein bzw. durch entsprechende Strukturen herbeigeführt werden. Sie können darüber hinaus
ihren Ausdruck in teilweise illegalen Erscheinungsformen wie Korruption und der
Kriminalisierung von Politik finden (siehe unten).
Wichtig ist es jedoch darauf hinzuweisen, dass informale Politik nicht mit illegalen
Beziehungen und Handlungen per se gleichzusetzen ist. Keine Organisation, kein
Gemeinwesen, kein Staat funktioniert nur auf der Basis von formalen Regeln, Anreizen und
1
In Anlehnung an Haggard (1999: 30) werden hier Organisationen als kollektive soziale Akteure verstanden, die
gemeinsame Ziele verfolgen und gewöhnlich interne hierarchische Autoritätsmuster aufweisen (z.B.
Unternehmen, Parteien, Gewerkschaften, Ministerialbürokratien etc.). Institutionen bezeichnen demgegenüber
die formalen und informalen Regeln und Durchsetzungsmechanismen, welche das Verhalten von Organisationen
3
Sanktionen. In der Tat kann argumentiert werden, dass es zuweilen gerade die informalen
Elemente sind, welche die Effektivität eines Systems bestimmen. Dies gilt v.a. in neuen
Demokratien mit zwangsläufig zahlreichen noch nicht durch kodifizierte Gesetze definierten
Handlungsräumen. Anders formuliert: Formale Regeln und Institutionen stellen notwendige
Bedingungen für das Funktionieren von komplexeren Gemeinwesen, aber eben noch lange
keine hinreichenden Bedingungen dar.2
Informale Politik kann mithin durchaus in dem Sinne institutionalisiert und insoweit
„rational“ verlaufen, dass „regelmäßige Muster der Interaktion existieren, die von den
politischen Akteuren gekannt, praktiziert und akzeptiert (wenn auch nicht unbedingt
geschätzt) werden“ (O’Donnell 1997: 42). In etablierten Demokratien beobachten wir
Beispiele informaler Politik insbesondere dort, wo es um die Vergabe von Mitteln und Posten
nach sachlichen Kriterien geht, sich aus politischen Gründen aber die Verteilung nach
Parteien-, Konfessions- oder regionalem Proporz gebietet oder wo zum Zwecke der
Konsenssicherung den formalen Beschlussfassungsgremien informale „Kungelrunden“
vorangehen (vgl. Wewer 1991).3
Kritisch wird die Existenz informaler politischer Beziehungssysteme und Verhaltensweisen
erst dann, wenn diese die formalen Institutionen der Demokratie nicht mehr stützen, sondern
sie vielmehr untergraben. Das ist dann der Fall, wenn formale Entscheidungsprozesse
innerhalb von Staatsführungen oder Parteien, die politische Machtausübung oder die
Stimmenmobilisierung bei Wahlen durch Ausprägungen und Erscheinungen informaler
Politik „kolonisiert“ und untergraben werden (Merkel und Croissant 2000), wenn die
zusätzlichen informalen Strukturen das Funktionieren ihres formalen Pendants nicht
erleichtern bzw. verbessern, sondern sie dominieren und konterkarieren. Das politische
System eines Landes lässt sich also erst aus dem Zusammenspiel und dem
und Individuen in der Gesellschaft beeinflussen. Hierzu gehören etwa Verfassungen, Gesetze und Bestimmungen,
Verträge sowie Vertrauen, informale Regeln und soziale Normen.
2
Wie Storper, Thomadakis und Tsipouri (1998: 7) dazu erklärend in einem anderen Kontext anmerken, sind
Routinevorgänge, Konventionen und informale Regeln [...] die Schlüsselelemente der Koordination. ... Informale
Regeln sind das Resultat von Erwartungen, welche die (Re-)Aktionen der Handelnden bestimmen. Konventionen
sind die Praktiken, Routinevorgänge, Übereinkünfte und verbundenen informalen und institutionellen Formen,
welche die Handelnden durch gegenseitige Erwartungen miteinander verbinden. Konventionen sind somit der
(nicht fassbare) Teil informaler Regeln, die am Ursprung von Entscheidungsfindungen über Ressourcenallokation
liegen. Verhalten ist das beobachtbare Ergebnis dieser Konventionen und Regeln.
3
Für einen konkreten Fall der jüngsten Zeit siehe Schwennicke (2000). Informale Beziehungen und
Transaktionen finden sich erwartungsgemäß auch in multi- und supranationalen Organisationen. Zum Fall von
nationalen Seilschaften in der EU-Kommission siehe Oldag (2000).
4
Spannungsverhältnis von formaler Politik einerseits und den informalen Spielregeln der
Politik andererseits einschätzen (Scalapino 1996: 227; O’Donnell 1997: 41).
Wie sich das formale Raster der Politik auf die informale Politik (und umgekehrt) auswirkt,
ist nicht zuletzt von den strukturellen Rahmenbedingungen (etwa dem Ausmaß staatlicher
Wirtschaftslenkung), den verfassungs- und wahlrechtlichen Dispositionen und den
historischen Entwicklungspfaden der Organisationen und Institutionen in einem bestimmten
Land, also der jeweiligen Einbettung der politischen Akteure und Regeln abhängig. Die
spezifische Ausgestaltung der beiden Elemente des politischen Systems eines Landes kann
über lange Zeit stabil sein, kann sich aber auch mehr oder minder rasch durch innere oder
äußere
Schocks,
soziale
Veränderungen
und
Wertewandel,
Wirtschaftsreformen,
Demokratisierung und andere Formen des Regimewandels verändern. Änderungen des
formalen politischen Rahmens (z.B. Wahl- und Parteiengesetze), können aber auch aktiv
eingesetzt werden, um einen Wandel im informalen Bereich herbeizuführen oder aber
praktiziertes informales politisches Handel offiziell zu sanktionieren.
3
Elemente informaler Politik
In der Vergangenheit sind in der politik- und regionalwissenschaftlichen Literatur eine Reihe
von
spezifischen
soziopolitischen
Beziehungsmustern
und
Interaktionsprozessen
herausgearbeitet und analysiert worden, die unter dem Begriff informaler Politik subsumiert
werden können. Bei diesen Elementen informaler Politik handelt es sich zum einem um
generische Arten von Beziehungssystemen wie Netzwerke und Klientelismus. Sie können in
bestimmte
Herrschaftsformen
(etwa:
Neopatrimonialismus),
gesellschaftliche
oder
sachgebietsspezifische Strukturen und Verhaltensnormen eingebettet sein und bestimmen die
Verteilung von Machtressourcen. Zum anderen handelt es sich um spezifische
Erscheinungsformen, die entweder auf den genannten generischen Beziehungssystemen
basieren oder aber informale Handlungsweisen darstellen, die ebenfalls der Sicherung und
dem Erhalt von Machtressourcen dienen. Einige dieser Erscheinungsweisen haben einen
5
deutlich illegalen Charakter. Hierzu gehören etwa die Korruption und die Kriminalisierung
der Politik.4 Tabelle 1 gibt einen Überblick über zentrale Elemente informaler Politik.
Tabelle 1: Elemente informaler Politik
Beziehungssysteme
•
Netzwerke
Erscheinungsformen
(inkl.
Verwandschafts-
Seilschaften,.
•
Korruption
Freundes-
•
Kriminalisierung der Politik
•
Partikularistische
und
beziehungen)
•
Klientelismus
•
Ethnisch-religiöse
Ausprägungen
politischer Akteure in Bezug auf
oder
regionale
a)
Identitätsgruppen
Organisation
(z.B.
Personalismus,
Faktionalismus),
b)
Entscheidungsfindung,
c)
Personalbesetzung (z.B. Patronage),
d)
Finanzbeschaffung,
e)
Stimmenmobilisierung,
f)
Einflussnahme etc.
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Ganz offensichtlich gibt unter den genannten Elementen informaler Politik gewisse
Überlappungen sowie Stufen zunehmender Komplexität.5 Alle erwähnten Beziehungen und
Prozesse zwischen Akteuren im politischen Bereich haben gemeinsam, dass sie sich im Kern
einiger spezifischer Transaktionsmodi zum Zwecke des Erwerbs und Austauschs von (Macht) Ressourcen zwischen und innerhalb von Einzelpersonen und Gruppen bedienen. Jedoch
sollte noch einmal betont werden, dass wir es bei dem Analysegegenstand informale Politik
mit einer weiten Spannbreite von Phänomenen zu tun haben, die von staatsprägenden
Organisationsmustern und Prozessen über ungeschriebene Konventionen, Routinevorgängen
und Verhaltensnormen innerhalb einzelner politischer Institutionen bis zu kriminellen
Handlungsweisen reichen.
4
Siehe zu den erwähnten Beziehungssystemen und Erscheinungsformen siehe ausführlich Betz et al. (1999:
Abschnitt 3).
5
Man denke etwa an die Bedeutung von Klientelnetzen innerhalb neopatrimonialer Gemeinweisen (siehe dazu
Betz et al. 1999: 219-220).
6
In Dekonstruktion der komplexen Systemzusammenhänge lassen sich folgende Typen von
informalen und politikrelevanten Austauschbeziehungen identifizieren, die regelhaft in
Kombination auftreten, denen aber distinkte Wirkungsweisen zugeordnet werden können:6
•
Verwandtschaftliche und Freundes-Beziehungen entfalten ihre Wirkung durch hohes
Vertrauen bzw. eine hohe Solidaritätsverpflichtung zwischen den Beteiligten.7
•
Loyalität innerhalb von Identitätsgruppen entfaltet seine Wirkung durch die
Mobilisierung
geglaubter
Gemeinsamkeiten,
wenn
hierdurch
zureichend
organisations- und konfliktfähige Gruppen entstehen (relevant nur im Wettbewerb
mit anderen Identitätsgruppen).
•
Patron-Klient-Beziehungen
entfalten
Wirkung
solange
Patron
und
Klient
ausreichende Vorteile aus einer asymmetrischen Austauschbeziehung ziehen.
•
Seilschaften entfalten ihre Wirkung, wenn genügend strategische Posten in
Apparaten durch ihre Mitglieder besetzt bzw. Ressourcen verteilt werden und somit
gegenseitige Begünstigungen regelmäßig stattfinden können.
•
Korrupte Transaktionen entfalten ihre Wirkung durch den eigenen Vorteil in
profitorientiertem Austausch von Waren und Leistungen, wobei politischer Einfluss
Marktchancen schafft oder verbessert.
•
Kriminelle Beziehungen entfalten ihre Wirkung durch die Einspeisung illegal
erworbener Mittel in den politischen Prozeß und damit das gemeinsame Interesse
der Beteiligten an strikter Vertraulichkeit und gegenseitigem Erpresserwissen.
•
Gewaltanwendung (außerhalb der staatlich regulierten Bahnen) entfaltet seine
Wirkung durch die unmittelbare Schädigung von Konkurrenten sowie durch direkten
Zwang.
•
Spirituell-magische Beziehungen entfalten ihre Wirkung durch den geteilten
Glauben an eine von „höheren Mächten“ gesetzte und von eingeweihten Spezialisten
interpretierte Ordnung.8
Allen diesen informalen Austauschbeziehungen und Transaktionen ist gemeinsam, dass sie für
die direkt Beteiligten gegenüber formellen Mechanismen zumeist Vorteile besitzen: Verfolgte
6
Für die folgenden Anmerkungen danken die Autoren Andreas Mehler.
Siehe hierzu ausführlich Eisenstadt und Roniger (1984).
8
Zur Bedeutung von Magie und Zauberei in den politischen Systemen Schwarzafrikas siehe Geschiere (1995),
Chabal und Daloz (1999: Kap. 5).
7
7
Ziele können schneller, vollständiger und/oder (durch Senkung von Transaktionskosten)
kostengünstiger erzielt werden. Dagegen sind inhärente Nachteile abzuwägen, die vor allem
im Hinblick auf Legitimität, Legalität, Abhängigkeit vom Transaktionspartner und dauerhafte
Absicherung
informaler
Arrangements
entstehen
können.
Beziehungs-
und
Transaktionsmuster informaler Politik können – in unterschiedlicher Ausprägung und
Intensität – überall dort beobachtet werden, wo Einzelpersonen und Gruppen soziopolitische
Interessen in staatlichen, semistaatlichen und nichtstaatlichen Organen und Organisationen
vertreten. Im Folgenden soll nun näher auf die informale Beziehungs- und Transaktionsmuster
in Bezug auf politische Parteien eingegangen werden.
4
Parteien und informale Politik
Trotz aller Niedergangsvoraussagen sind Parteien in alten und neuen Demokratien
unverzichtbare und zentrale politische Akteure.9 Dies gilt v.a. für die Rekrutierung politischen
Führungspersonals, die Koordination der gewählten Volksvertreter, die Artikulation und
Aggregation
gesellschaftlicher
Interessen.
Politische
Parteien
weisen
jedoch
im
internationalen Vergleich recht unterschiedliche Formen auf und nehmen ihre staatlichen und
gesellschaftlichen Aufgaben in unterschiedlicher Art und Weise wahr, wobei jeweils
spezifische
Mischungen
formaler
und
informaler
Elemente
beobachtbar
sind.
Erstaunlicherweise gilt jedoch oftmals immer noch der Parteityp einer bestimmten
historischen
und
gesellschaftlichen
Periode,
nämlich
Massenparteien
mit
klarer
Programmatik, als empirischer und normativer Referenzpunkt für länderübergreifende
Vergleiche (vgl. Katz und Mair 1995), obwohl dessen konstituierende Merkmale
(ideologische Orientierung, Bindung an ein explizites soziales Milieu, hoher Anteil der
Stammwähler, Hineinreichen in bzw. feste Verbindung mit Kollateralorganisationen etc.)
auch in den klassischen Demokratien beträchtlicher Erosion ausgesetzt sind (von Beyme
2000, Pogundtke 2000) bzw. sich diesem Idealtyp allenfalls partiell näherten (etwa in den
USA). Übersehen wird bei der Verabsolutierung der Massenintegrationspartei auch, dass
Parteien verschiedener Prägung ähnliche Funktionen wahrnehmen und ähnliche Beiträge zum
Erhalt und zum Funktionieren demokratischer Gemeinwesen erbringen können wie diese. A
priori können jedenfalls aus dem vorherrschenden Parteityp keine direkten Schlüsse in Bezug
9
Siehe dazu auch den nachfolgenden Artikel von Nolte sowie von Beyme 2000.
8
auf die Stabilität, Dauerhaftigkeit, Legitimität und Effektivität des betreffenden politischen
Systems gezogen werden.
Wie immer politische Parteien ausgestaltet sein mögen; ihnen kommt in demokratischen (und
vielen semi-demokratischen) politischen Systemen eine essentielle Rolle als Bindeglied
zwischen Staat und Gesellschaft zu. Der wohl wichtigste, weil in vielen Ländern einzige
Mechanismus, bei denen sich diese Scharnierfunktion klar manifestiert, sind Wahlen. Mithin
ist es nahe liegend, den Blick bei der Analyse informaler Elemente in Parteien auf (a) die
gesellschaftliche Anbindung der Parteien, (b) ihre Rolle in der Regierung, (c) bei Wahlen und
(d) unter eigenständiger organisatorischer/organisationstheoretischer Perspektive zu richten,
wobei diese Organisationen für ihre Aktivitäten größere Ressourcen, nicht zuletzt finanzieller
Art, benötigen. Im Folgenden soll daher informale Elemente in allen vier Bereichen aufgezeigt
werden.
4.1
Parteienorganisation und –finanzierung
Von politischen Parteien wird erwartet, dass sie idealiter „über organisatorische Strukturen
verfügen,
die
es
ihnen
ermöglichen,
gleichzeitig
funktionale
Effektivität
und
binnenorganisatorische Partizipation zu gewährleisten“ (Haungs 1981: 41). Von der Erfüllung
dieses Desideratums sind bekanntlich nicht nur viele Parteien der so genannten „Dritten Welt“
weit entfernt. Man braucht nur an Michels frühe Kritik an der „Oligarchisierung“ von
Parteiorganisationen zu denken (Michels 1989 [1911]). In jedem Fall stellen sich Fragen nach
der innerparteilichen Demokratie (vgl. Teorell 1999) und mithin dem Verhältnis zwischen
Parteiführern, -aktivisten und gewöhnlichen Parteimitgliedern10 (Stichworte: Rechenschaft
und Entscheidungsfindung), dem Informationsfluss und der Kommunikation innerhalb von
Parteien, der Rolle und Funktion von Parteitagen sowie der Parteigliederungen – soweit
gegeben - auf den verschiedenen Ebenen.
10
Allein die Frage nach der Mitgliederbasis politischer Parteien ist in vielen Ländern nur schwer zu beantworten,
da bereits höchst unterschiedliche und schwierig nachzuprüfende Modi der Mitgliedschaft und der Registrierung
von Parteimitgliedern. Siehe etwa Erdmann und Weiland (2000: 4-5) zum Thema „informeller Mitgliedschaft“ in
afrikanischen Parteien.
9
In formaler Hinsicht haben Parteien verschiedener Prägung, seien es nun elitäre
Kaderparteien, Massenparteien, „Volksparteien“ (catch-all parties) oder Kartellparteien,11 ihre
spezifische Antwort auf die Aufgabe der Entwicklung organisatorischer Strukturen gegeben –
ob nun effektiv und „partizipationsorientiert“ oder auch nicht. Komparative, länder- und
regionen übergreifende Studien hierzu sind rar. Noch viel seltener, obwohl in den letzten
Jahren als Desiderat häufig moniert (Liebert/Lauth 1999, Kitschelt et al. 1999) sind Analysen
der informalen Modi parteiinterner Abstimmung und der Verbindung mit Wählergruppen, die
– ergänzend oder in Konkurrenz – zu den formalen Verfahren existieren, wie dieses
Mischungsverhältnis
durch
sozioökonomische
und
verfassungsrechtlich-institutionelle
Hintergrundvariablen beeinflußt wird und welche Folgen es etwa für das Zusammenspiel von
Politik und Zivilgesellschaft und die Stabilität der Demokratie in den betreffenden Ländern
hat.
Ein besonders auffälliges Phänomen informeller Politik in nicht-westlichen Demokratien stellt
im weltweiten Vergleich ist das Phänomen des innerparteilichen Faktionalismus dar.
Verglichen mit Strömungen, Flügeln und Seilschaften, die in politischen Parteien auf der
ganzen Welt anzufinden sind, weisen Faktionen einen höheren Grad an Dauerhaftigkeit,
Stabilität und eigenständiger organisatorischer Untermauerung auf.
Die klassische Funktion von Faktionen liegt in der Macht- und „Beuteverteilung“, der
Besetzung von Parteiposten und Regierungsämtern. Faktionen können daneben aber auch der
Interessenvermittlung parteiexterner Gruppen und der Artikulation ideologischer Positionen
dienen. Diese unterschiedlichen Funktionen von Faktionen spiegeln die grundsätzlichen
Konfliktlinien in Parteien wider, wobei in der Realität innerparteiliche Faktionen auch
verschiedene Funktionen erfüllen können.12 Besonders virulent sind innerparteiliche
Faktionen offenbar in den jungen Demokratien in Süd- und Osteuropa (Gillespie et al. 1995),
in Teilen Lateinamerikas (Peeler 1985; Coppedge 1997) sowie in Ost- und Südasien (Dittmer
et al. 2000; Huang 2000; Kohli 1990; Subramanian 1999). Faktionalismus existiert jedoch
auch in Parteien in fortgeschrittenen Industrienationen; einen besonders hohen Grad an
institutionalisierter Faktionalisierung weisen bzw. wiesen etwa die Liberaldemokratische
Partei Japans (Köllner 1999a), die Demokratische Partei in den USA (Key 1984 [1949]), die
Democrazia Christiana Italiens (Zuckerman 1979) auf.
11
Zu den verschiedenen Parteitypen siehe Katz und Mair (1995) und die dort zitierte Literatur.
10
Beeinflusst wird die Art der Parteiorganisation unter anderem von den jeweiligen Formen der
Parteienfinanzierung. Politische Parteien benötigen für ihre Apparate und Aktivitäten,
insbesondere zu Wahlkampfzeiten, finanzielle Ressourcen im größeren Maßstab. Zu den
„klassischen“, zumeist formal geregelten Arten der Parteienfinanzierung gehören offizielle
Spenden von Privatpersonen und Korporationen, Mitgliederbeiträge und ggfs. der Verkauf
von Parteipublikationen sowie die staatliche Parteienfinanzierung. Daneben (oder stattdessen)
können aber auch Einnahmen aus dem legitim oder auch illegitim erworbenen Vermögen der
Parteien und/oder ihrer Parteiführer existieren.13 Es ist offenkundig, daß in Fällen, wo
Wahlkampfausgaben oder die Finanzierung von anderen Parteiaktivitäten ganz oder
überwiegend durch lokale Bosse erbracht werden, der Faktionalismus gleichsam in die
Parteistrukturen eingebaut wird.
Zudem kann kommerzielles Einkommen von politischen Parteien aus Unternehmen im Besitz
der Parteien oder ihrer Gliederungen stammen (siehe etwa den Fall der Kuomintang in
Taiwan). Auch können örtliche Unternehmen, reiche Patrone, im Ausland lebende
Staatsbürger und zurückkehrende Emigranten die „Sponsorenschaft“ für politische Parteien
übernehmen. Diese Arten der Parteienfinanzierung fallen häufig bereits in den Graubereich
der Finanzierung politischer Aktivitäten, zumal wenn es keine klaren Rechenschaftspflichten
gibt oder diese unterlaufen werden. Schlichtweg illegal wird es bei anderen Formen der
Parteifinanzierung wie Schmiergeldern, nichtdeklarierten Spenden oder finanziellen
Zuwendungen vonseiten krimineller Elemente, die ebenfalls nicht nur in „Dritte-WeltLändern“ existent sind.14
12
Zum Faktionalismus siehe ausführlicher den entsprechenden Artikel von Köllner in diesem Heft.
Dieses Vermögen kann beispielsweise zuvor von einer Partei oder deren Führern als Resultat der
Zugehörigkeit zur ehemals herrschenden Elite erworben worden sein (z.B. im Rahmen einer Militärregierung
oder eines formalen Einparteien-Staates).
13
14
Eine Übersicht über die verschiedenen Formen der Parteienfinanzierung gibt Burnell (1998: 11-12). Für
empirische Untersuchungen zur Parteienfinanzierung in Nordamerika und Westeuropa siehe Gunlicks (1993),
zum westafrikanischen Fall siehe Kumado (1996) und zum japanischen Fall Köllner (2000a).
11
4.2
Parteien und Gesellschaft
Im Rahmen des politischen Wettbewerbs in Demokratien und Semi-Demokratien stehen
Parteien vor der Herausforderungen, bestimmte Segmente der Gesellschaft an sich zu binden,
um die nötige Unterstützung bei Wahlen zu erhalten. Prinzipiell sind dabei mehrere Arten der
Bindungen/Verknüpfungen (linkages) zwischen Parteien und Gesellschaft denkbar. Die
vielleicht bekannteste, aber deswegen nicht unbedingt weit verbreiteteste Art sind
programmatische Verknüpfungen. Parteien binden dabei ihre Anhänger-/Wählerschaft durch
inhaltliche (und zuweilen ideologisch fundierte) Programme oder Plattformen an sich.
Programmatische Bindungen spielen in der Parteienliteratur nicht nur in empirischanalytischer, sondern auch in normativer Hinsicht eine zentrale Rolle, da im Allgemeinen
davon ausgegangen wird, dass sie das größte Maß an demokratischer Rechenschaft und
„Responsivität“ politischer Parteien gewährleisten. Die vorherrschende „Idealisierung“
programmatischer Bindungen (Kitschelt 2000: 846) muss jedoch in demokratietheoretischer
Hinsicht zumindest hinterfragt werden. So ist nicht klar, ob nicht auch andere Arten der
Verknüpfungen zwischen politischen Parteien und der Gesellschaft in funktionaler Hinsicht
für
ähnliche
Dauerhaftigkeit,
Legitimität
und
Leistungsfähigkeit
demokratischer
Gemeinwesen sorgen können oder sogar für Gesellschaften mit geringerer Ausprägung
mobiler Mittelschichten, einer wenig professionalisierten Bürokratie und massiver
wirtschaftlicher Staatsintervention angemessener sind. (Rückläufigkeit auch in westlichen
Demokratien (von Beyme 2000))
Anstelle oder ergänzend zu programmatischen Verbindungen zwischen Parteien und
Gesellschaft können zum einen auch klientelistische Bindungen bestehen. Hier wird die
gesellschaftliche Unterstützung von Parteien durch konkrete materielle „Wohltaten“ sicher
gestellt und aufrecht erhalten. Zu diesen materiell orientierten Maßnahmen können etwa
lokale Bauprojekte, Arbeitsplatz- und Wohnungsbeschaffung, Patronage sowie direkte
Zuwendungen gehören. Im Rahmen des klientelistischen Austausches zwischen Parteien und
Wählern werden also materielle Gefallen gegen Wählerstimmen „getauscht“. Das Spektrum
klientelistischer Verbindungen reicht vom personalisierten Klientelismus auf der Seite
(direkte Kontakte zwischen Patron und Klienten mit gegenseitigen, aber asymmetrischen
persönlichen Verpflichtungsbeziehungen) bis zum anonymen Klientelismus (Bindung über die
Aktivitäten „politischer Maschinen“ von Parteien und deren Abgeordneten/Kandidaten) auf
12
der anderen Seite (Kitschelt 2000: 849-850). Klientelistische Bindungen zwischen Parteien
und Wählern sind weltweit weit verbreitet und offenbar in Lateinamerika und der Karibik,
Südostasien, Afrika, Südeuropa und im postkommunistischen Südosteuropa besonders
ausgeprägt.15 Es ist die Frage, inwieweit der klientelistische Modus durch die fortgesetzte
wirtschaftliche Entwicklung und soziale Mobilisierung oder durch institutionelle Reformen
(Wahlrecht) erodieren wird. Frühere Prognosen, die Einführung von Mehrparteiensystemen
allein und/oder weitgehende wirtschaftliche Strukturreformen würden sein schnelles Ende
herbeiführen, haben sich nicht bewahrheitet (Angaben Hanke 1999, Neubert 1999).
Eine weitere Art der Verknüpfungen zwischen Parteien und Gesellschaft existiert in Form von
charismatischen
Bindungen.
Persönliche
Fähigkeiten
und
Überzeugungskünste
des
Parteiführers oder –kandidaten sorgen hier für den nötigen Rückhalt bei ihren Wählern.
„Glaube“ in die (Problemlösungs-)Fähigkeiten des Parteiführers ersetzt in diesem Fall
„Überzeugungen“, die in den Programmen und Ideologien von Parteien reflektiert werden
bzw. manifeste materielle Vorteile. Erwartungsgemäß finden sich in der Realität oftmals
Überlappungen bzw. Kombinationen der verschiedenen Arten der Bindungen zwischen
politischen Parteien und der Gesellschaft (Kitschelt 2000: 853-855). Sind die klientelistischen
und/oder charismatischen Bindungen fest institutionalisiert und manifestieren sich mithin in
spezifischen Beziehungssystemen und Erscheinungsformen, können sie dem Bereich der
informalen Politik zugerechnet werden.
Neben den Beziehungen zu ihrer eher „amorphen“ Wähler- und Anhängerschaft fallen in den
Bereich Parteien und Gesellschaft auch die Beziehungen zwischen Parteien und korporativ
organisierten
nichtstaatlichen
Akteuren.
Beziehungen
dieser
Art
etwa
zwischen
Gewerkschaften, Verbänden, religiösen und kriminellen Vereinigungen oder dem Militär
einerseits und Parteien andererseits sind für beide Seiten von Interesse, da sie die Möglichkeit
zur (gegenseitigen) Einflussnahme inhaltlicher und personeller Art bieten. Beziehungen dieser
Art sind auf der ganzen Welt ubiquitär, wenngleich in den klassischen Demokratien
Westeuropas von substantiell sinkender Bedeutung und Verbindlichkeit (vgl. Poguntke 2000).
Sie werden erst dann von Interesse für die Analyse informaler Politik wenn a) eine
15
Siehe etwa Cazorla et al. (1997), Edie (1991), Kitschelt et al. (1999), Martz (1997). Für eine Diskussion der
möglichen Ursachen des Klientelismus in politischen Systemen siehe Kitschelt (2000: 856-866). Kitschelt (ebd.:
873) argumentiert, dass in zahlreichen Demokratien klientelistische Politik das funktionale Äquivalent des
Wohlfahrtsstaates darstellt oder dargestellt hat; materielle Zuwendungen an die unterprivilegierten Schichten
dienen hier der Sicherstellung sozialer und politischer Stabilität.
13
systemische Verflechtung zwischen beiden Seiten besteht, die nicht auf formalen Grundlagen
beruht (etwa reservierte Posten/besondere Stimmrechte für Gewerkschaften in sozialistischen
Parteien) oder b) im Rahmen dieser Beziehungen institutionalisierte Erscheinungsformen
informaler Politik (Korruption, Stimmenmobilisierung „im Block“16) auftreten.
4.3
Parteien und Wahlen
Elemente informaler Politik in Bezug auf Parteien und Wahlen lassen sich im internationalen
Vergleich sowohl in der Phase der Kandidatenaufstellung, im Rahmen des Wahlkampfs als
auch beim Wahlgang selbst beobachten. So kann es zunächst informale Regeln bei der
Aufstellung von Kandidaten und der Zusammenstellung von Kandidatenlisten geben. Zu
denken ist hier etwa an das (nicht formal verankerte) Proporzprinzip, dass auf Basis
ethnischer, regionaler, konfessioneller, faktionaler, ideologischer oder anderer Zugehörigkeit
Nominierungsprozesse beeinflussen oder gar bestimmen kann. Bekannt sind auch Fälle des
Kaufs oder Verkaufs von Kandidatennominierungen oder (höheren) Plätzen auf
Kandidatenlisten einer Partei. Wie etwa im Fall der japanischen Regierungspartei LDP kann
auch die Zahl „geworbener“ Parteimitglieder17 den Platz auf der Kandidatenliste für das
Parlament (eine Kammer hiervon) bestimmen. Schließlich ist auf die Rolle von
Politikerfamilien von Interesse. Während diese in einer Vielzahl von Demokratien zu finden
sind, weisen einige einen deutlichen überdurchschnittlichen Anteil davon auf. Wiederum im
japanischen Fall entstammen beispielsweise rd. 40% der Abgeordneten der LDP
„Politikerdynastien“, wobei in den meisten Fällen die Kandidatur in einem bestimmten
Wahlkreis von einer Generation auf die nächste „vererbt“ wird (vgl. Köllner 1999b).
Einschlägig ist diesbezüglich auch die südasiatische Region: In Indien schien auf zentraler
Ebene Jahrzehnte eine Familie auf die Besetzung der Stelle des Premierministers abonniert,
auf lokaler Ebene wiederholt sich dieses Phänomen (z.B. in Kaschmir, Tamil Nadu, Orissa).
Parlamentssitze werden oftmals in Erbpacht transferiert. Ähnlich gelagerte Phänomene lasse
sich in Bangladesh, Pakistan und Sri Lanka entdecken.
16
Für einen kurzen Literaturüberblick zum Thema Stimmenmobilisierung durch soziale Gruppen siehe Gray und
Caul (2000: 1100-1101).
17
Gemeint ist hiermit, dass (prospektive) Kandidaten Parteimitgliedschaften von Unterstütztern bezahlen oder
einfach Parteiausweise erwerben. Bereits vor dem Hintergrund ist den offiziellen Angaben zu Parteimitgliedern
(siehe Abschnitt 4.1) in einigen Ländern zu misstrauen.
14
Bereits im vorangegangenen Abschnitt wurde die (mögliche) Rolle von korporativ
organisierten gesellschaftlichen Gruppen für die Stimmenmobilisierung politischer Parteien
erwähnt. Stimmen in einem bestimmten Gebiet oder einer bestimmten Gruppe können jedoch
auch auf andere informale Weise mobilisiert werden. Neben der Nutzung von örtlichen
Notabeln als „Multiplikatoren“ ist insbesondere im Fall der Regierungspartei auch an die
mögliche
Instrumentalisierung
von
Verwaltungsbeamten
oder
ehrenamtlichen
Funktionsträgern mit Parteihintergrund auf kommunaler Ebene zu denken. Durch ihre
Verbindungen, ihre Bedeutung als Vehikel der Ämterpatronage und ihren Einfluss auf lokaler
Ebene können diese Personen im Interesse einer Partei oder einzelner Abgeordneter und
Kandidaten agieren. Letztere können auch wie im südkoreanischen und vor allem japanischen
Fall über größere, permanent existierende persönliche Unterstützergruppen verfügen, die im
Wahlkampf zur Stimmenmobilisierung eingesetzt werden (vgl. Köllner 1999b). Schließlich
können auch Parteien, die sich nach außen hin (etwa im Rahmen ihrer Parteistatuten oder
ihres Parteiprogramms) als säkulare und/oder universalistische „Volksparteien“ präsentieren,
in Wahlkampfzeiten durch partikularistische Appelle, landsmannschaftlicher oder anderer
Natur, versuchen, bestimmte Zielgruppen zu aktivieren.
Neben diesen informalen Formen der Stimmenmobilisierung können schließlich auch andere
Arten der Stimmensammlung beobachtet werden, die einen klar illegalen Charakter
aufweisen. Hierzu gehören zum einen verschiedene Formen des Wahlbetrugs, etwa gefälschte
Ergebnisse, absichtlich falsch ausgezählte Stimmen, das „Einkassieren“ von Wahlurnen oder
Stimmabgaben für verstorbene Wähler. Daneben können Stimmen gegen finanzielle oder
andere materielle Zuwendungen gekauft werden. Darüber hinaus ist an verschiedene Formen
der Einschüchterung zu denken, mit denen Wähler von der Stimmabgabe abgehalten werden
sollen.
4.4
Parteien und Regierung
Im Bereich Parteien und Regierung können informale Elemente zum einen dort existieren, wo
es um die Vergabe von Posten in der Regierung, in öffentlichen Ämtern oder in staatlich
kontrollierten Körperschaften geht. Auch hier kann z.B. das Proporzprinzip auf mehr oder
minder institutionalisierte Art und Weise zum Tragen kommen. Ein besonders prägnantes
Beispiel liefert wiederum der Fall der japanischen Regierungspartei LDP. Hier existieren nicht
nur informale Regeln, die darüber bestimmen, wann ein Parlamentarier die nötige Seniorität
15
für eine Regierungsposten (Parlamentarischer Staatssekretär, Minister, Premierminister)
aufweist, sondern es besteht auch die informale Regel der „fairen Beteiligung“ bei der
Zusammensetzung des Kabinetts. Danach sind die innerparteilichen Faktionen entsprechend
ihrer Größe bei der Vergabe der Portfolios zu berücksichtigen. Dem Premierminister, der
formal über die Zusammenstellung seines Kabinetts entscheidet, sind so deutliche
Beschränkungen bei der tatsächlichen Auswahl seiner Minister auferlegt (vgl. Köllner 1999a:
68).
Zum anderen können informale Beziehungssysteme und Erscheinungsformen auch im
Rahmen der inhaltlichen Regierungsarbeit von Bedeutung sein. Hier können etwa spezifische
Netzwerke, Seilschaften, „Kungelrunden“ und andere informale Interaktions- und
Beziehungsmuster
die
Entscheidungsprozesse
und
Politikformulierung
der
Regierungspartei/en bestimmen oder zumindest beeinflussen. Die Vorbereitung von
Gesetzesakten und die Auseinandersetzung mit den Anliegen interessierter sozialer und
wirtschaftliche Akteure braucht zudem nicht nur auf die formal bestehenden Arbeitskreise in
den Parteien und die Ausschüsse im Parlament beschränkt sein. Informal organisierte Gruppen
von spezialisierten Parlamentariern können hier die entscheidende Arbeit leisten und der
zentrale Anlaufpunkt für Lobbyisten sein.
Wie etwa die Forschung zum US-Kongress gezeigt hat, kann es zudem informale Regeln
geben, die neben oder ergänzend zu den formalen Regeln den parlamentarischen Umgang der
Parteien und ihrer Abgeordneten mit- und untereinander prägen. So waren in der
Nachkriegszeit die Beziehungen und Interaktionen im Senat der Vereinigten Staaten in die
Normen und Prinzipien der Lehre, der Seniorität, der Spezialisierung, der Höflichkeit, der
Reziprozität und des institutionellen Patriotismus eingebettet. Demgegenüber waren in der
Nationalversammlung Südkoreas der Gehorsam gegenüber Befehlen, das Imperativ der
legislativen Produktivität, der Personalismus im Sinne der Herrschaft persönlicher Netzwerke
und die Konfliktbeilegung durch höher gestellte Führer von Bedeutung (vgl. Köllner 2000b).
In Bezug auf das Verhältnis von Regierungs- und Oppositionsparteien im japanischen
Parlament betont schließlich Sakamoto (1995) die Norm des Konsensualismus, die dazu
beigetragen hat, offene Konflikte zu reduzieren und die Kompromissbereitschaft zu erhöhen.
16
5
Fazit und Perspektiven
Es erscheint unstrittig, dass zum Verständnis der Funktionsweise politischer Systeme auch
eine Kenntnis bzw. Ermittlung der vorherrschenden ungeschriebenen Regeln, informaler
Beziehungen und Transaktionen unerlässlich ist. Insbesondere in Fällen, in denen informale
Prozesse und Mechanismen die formalen Strukturen und Regeln der jeweiligen politischen
Gemeinwesen überlagern, hilft eine ausschließliche Beschäftigung mit Verfassungen,
Gesetzen, Statuten und anderen offiziellen Institutionen nur wenig weiter, wenn sie nicht gar
in die Irre führt. Dies gilt im abgeschwächten Maß auch, wenn informale Institutionen oder
(Netzwerke von) Beziehungen parallel neben den formalen Institutionen existieren und diese
nur im Extremfall aushebeln und wirkungslos machen.
Im Regelfall sind jedoch formale und informale Politik eng miteinander verflochten und
beeinflussen sich gegenseitig: Geben die formalen Institutionen die grundsätzliche Struktur
und den Korridor vor, innerhalb der sich die politischen Akteure bewegen, werden ihre
tatsächlichen Beziehungen, Interaktionen und Erwartungshaltungen auch durch informale
Institutionen/Spielregeln bestimmt oder zumindest beeinflusst. Die je nach Land und
Sachgebiet spezifische Wechselwirkung von formaler und informaler Politik ist von einer
Reihe
von
Faktoren
abhängig,
zu
denen
die
jeweilige
politische
Kultur,
der
Entwicklungsstand der Ökonomie, die Stärke des staatlichen Wirtschaftseinflusses,
Wahlrechtsbestimmungen und der Grundcharakter des politischen Systems gezählt werden
können (Cheng und Womack 1996: 337; Kitschelt et al. 1999). Zur Bedeutung dieser
Hintergrundfaktoren für die Prävalenz informeller Verfahren im politischen System generell
und in den Parteien im Besonderen, liegen freilich noch keine komparativen Analysen vor
(Liebert/Lauth 1999).
Formale und informale Elemente der Politik stehen mithin in allen politischen Systemen in
einem mehr oder minder ausgeprägten Spannungsverhältnis, sie können einander jedoch auch
ergänzen oder sogar stützen. So ist sowohl denkbar, dass sich (vielfach ältere) informale
Mechanismen an (neuere) formale Institutionen anpassen und diese gegebenenfalls aushöhlen
als auch, dass formale, legal-rationale Institutionen informale Mechanismen obsolet werden
lassen. Die lange Zeit in Modernisierungsdiskussionen vertretene These, dass die
Säkularisierung
von
Gesellschaften
und
politischen
17
Gemeinwesen
oder
„soziale
Mobilisierung“ im Sinne des Anwachsens von Urbanisierung, Alphabetisierung, Bildung,
Medieneinflüssen, Wohlstand und dergleichen (Deutsch 1961) zwangsläufig zu einer
Atrophie informaler Beziehungen und Transaktionen führt, hat sich jedenfalls als Trugschluss
herausgestellt.18 Informale Elemente sind keineswegs auf traditional bestimmte oder im
Übergang befindliche politische Systeme beschränkt, sondern können auch in langjährig
gefestigten Demokratien angetroffen werden.
Informale Elemente können außerdem genauso fest institutionalisiert sein wie die formalen
Elemente.19 O’Donnell (1997: 41) spricht in diesem Zusammenhang vom Zustand der
„informalen Institutionalisierung“. Dieses Phänomen, so O’Donnell, habe weitreichende
Konsequenzen für die konzeptionelle und komparative Agenda des Studiums bestehender
Demokratien und, so müsste man ergänzen, politischer Systeme im Allgemeinen. So legt die
Dauerhaftigkeit und Stabilität informaler Beziehungs- und Transaktionstypen nahe, dass diese
wichtige Funktionen für das politische System erfüllen, die keineswegs nur negativer Natur
sein müssen (siehe auch unten).
Nun ist es eines, auf die Bedeutung informaler Beziehungen und Interaktionen für die Analyse
politischer Systeme, Organisationen und Prozesse zu verweisen, ein anderes, das Studium
informaler Politik ernsthaft zu betreiben. Diesem stehen nämlich eine Reihe von Problemen
gegenüber, zu denen die Qualität der verfügbaren Informationen sowie die Notwendigkeit
umfangreicher Feldforschung, teilnehmender Beobachtung, narrativer Analyse und dem damit
verbundenen Aufwand und Nachteilen gehören (siehe auch Cheng und Womack 1996: 334337). Viel wäre bereits gewonnen, wenn es gelänge im einzelnen Fall die informalen
Beziehungs- und Transaktionsmuster offen zu legen, ihre Ursachen und Entwicklung, ihre
Funktionen und Auswirkungen sowie ihre Perzeption/Beurteilung vonseiten der betreffenden
Akteure und der Bevölkerung im Allgemeinen zu ergründen. Im zweiten Schritt wäre zu
18
So kommt etwa Caciagli (1997: 296) in Bezug auf den Klientelismus zu dem Ergebnis, dass dieser „von
entscheidender Bedeutung bei Systemen im Übergang [ist], wenn die traditionellen Bindungen schwächer und die
neuen nicht formalisiert werden“. Der Klientelismus verschwindet „weder mit dem Aufkommen formal
demokratischer Spielregeln, noch ist er ein bloßes Übergangsphänomen, vielmehr kann er sich verfestigen und
die Institutionen noch weiter korrumpieren“. Zur Dauerhaftigkeit traditionaler Elemente in den politischen
Systemen der arabischen Welt siehe Hudson (1977: 7-16).
19
Unter Institutionalisierung soll hier in Anlehnung an Huntington (1968) der Prozess verstanden werden, durch
den Organisationen und Prozeduren Wert und Stabilität erlangen. Ein hoher Grad der Institutionalisierung
bezeichnet ein hohes Maß an Dauerhaftigkeit, Anpassungsfähigkeit, (interner) Komplexität, Autonomie und
Kohärenz dieser Organisationen und Prozeduren.
18
klären,
inwiefern
hierbei
regionenspezifische
oder
darüber
hinaus
gehende
Verallgemeinerungen möglich sind.
Zu den zentralen Forschungsfragen im Bereich der informalen Politik gehört dabei zunächst
die nach den Ursachen der Entstehung und Entwicklung der jeweils relevanten Elemente
informaler Politik. Hierbei gilt es, die Auswirkungen der jeweiligen sozioökonomischen
Entwicklungsprozesse und der damit verbundenen politischen und wirtschaftliche
Machtstrukturen
auf
die
Herausbildung
und
Weiterentwicklung
informaler
Beziehungssysteme und Erscheinungsformen zu untersuchen. Besonderes Augenmerk bei der
Analyse dieser „Makrostrukturen“ sollte den Spezifika und der Sequenz der jeweiligen
Prozesse der Staatsbildung und der politischen Demokratisierung gelten. Zudem ist zu
bedenken, dass institutionelle Rahmenbedingungen in Bezug auf das Wahlsystem, die
Regierungsform (Präsidential- versus Kabinettssystem) oder die räumliche Verteilung der
politischen Machtkompetenzen (Zentralismus versus Föderalismus) die Ausprägung
informaler
Elemente
beeinflussen
können.
Zudem
sollte
den
spezifischen
politikökonomischen Gegebenheiten Aufmerksamkeit geschenkt werden. Beispielsweise ist
zu klären, ob die Existenz geschützter binnenorientierter Industriezweige und/oder ein großer
Staatssektor Renten- und Patronagemöglichkeiten schafft (vgl. Kitschelt 2000: 856-864,
Mainwaring 1999: Kapitel 2).
Auf die Entstehung und Entwicklung informaler Elemente in politischen Parteien
fokussierend, ist der Zusammenhang zwischen der ideologischen Ausrichtung der jeweiligen
Parteien und der Stärke informaler Arrangements zu hinterfragen. Mit anderen Worten gilt es
die These zu überprüfen, dass marktliberale und marxistische Parteien eine geringere Neigung
zu Klientelismus (und anderen informalen Elementen?) aufweisen, als dies bei sozialistischen,
liberalen oder „ethnokulturellen“ Parteien der Fall ist (siehe dazu Kitschelt 2000: 864-866).
Schließlich kann hinsichtlich der Ursachen und Entwicklung von Elementen informaler
Politik auch deren soziokultureller Einbettung nachgegangen werden. Mit anderen Worten
stellt sich die Frage, ob – im Gegensatz zur formalen Politik, die an staatliche Strukturen
angelehnt ist – informale Politik in letzter Instanz Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen ist,
wie etwa Fukui (2000) argumentiert. In diesem Zusammenhang erscheinen jedoch einige
19
Anmerkungen zum Zusammenhang zwischen soziokulturellen Normen und der Ausprägung
informaler Politik angebracht.20
So kann es nicht ausreichen, vermeintlich lineare Verbindungen zwischen soziokulturellen
Normen und Wertvorstellungen einerseits und der Praxis politischer Tätigkeit in einem
bestimmten Land oder Bereich zu postulieren. Klar erscheint jedoch, dass es sich bei den
Trägern/Praktizierern informaler Politik um Akteure handelt, die (zumindest in der Regel)
rational handeln, dabei jedoch in einen bestimmten Kontext eingebettet sind. Informale
Beziehungen und Transaktionen werden eben auch von ihrem strukturellen Kontext
beeinflusst. Zu letzterem gehören naturgemäß soziokulturelle Rahmenbedingungen, wie dies
im Konzept der sozialen beziehungsweise institutionellen „Einbettung“ (politischer und
wirtschaftlicher) Handlungen zum Ausdruck kommt (vgl. Granovetter 1992 [1985]).
Während soziales Verhalten im Rahmen von Beziehungen und Transaktionen prinzipiell
durch die Interaktion von individuellen Präferenzen und spezifischer Situation erklärt werden
kann (Reed 1992: 28), heißt dies nicht, dass die soziokulturelle Einbettung der relevanten
Akteure völlig bedeutungslos wäre. Kultur repräsentiert die von einer Gruppe geteilten Werte,
die sich in (politisch relevanten) Haltungen und Präferenzen manifestieren können. Dabei darf
nicht übersehen werden, dass, in den Worten von (Granovetter 1992 [1985]: 57), „culture is
not a once-and-for-all influence but an ongoing process, continuously constructed and
reconstructed during interaction. It not only shapes its members but is also shaped by them, in
part for their own strategic reasons“.
Das vorherrschende Muster sozialer Beziehungen und der sie beeinflussenden Institutionen ist
zudem pfadabhängig, d.h., dass „spätere Entwicklungen ... von früheren in dem Sinne
abhängig
[sind],
dass
die
Spannbreite
der
möglichen
Variationen
durch
entwicklungsgeschichtlich ältere Fixierungen begrenzt ist“ (Lehmbruch 2000: X). Die
Dynamik innerhalb der sozialen Beziehungen und der damit verbundenen Institutionen zum
einen und von außen einwirkende Faktoren zum anderen bringen immer wieder
Neuausrichtungen des Entwicklungspfades mit sich.21
20
Für den Versuch einer Darstellung des Zusammenhanges zwischen soziokulturellen Normen und staatlicher
Praxis am Beispiel Afrikas siehe Hillenbrand (1994).
21
Siehe hierzu ausführlich Thelen (1999) sowie Clemens und Cook (1999).
20
Neben den Ursachen und der Entwicklung von Elementen informaler Politik sollte sich die
Analyse auch auf die Funktionen und Auswirkungen informaler Politik richten. In Bezug auf
die Funktionen, auf die auch im nachfolgenden Artikel von Nolte eingegangen wird, stellt sich
zunächst die Frage, welche Funktionen überhaupt von den spezifischen Elementen informaler
Politik wahrgenommen werden. Sind hierbei zudem funktionale Äquivalenzen zu Elementen
formaler Politik gegeben?. Allgemein ist auch zu klären, ob die vorherrschenden Elemente
informaler Politik eher funktional oder dysfunktional für das betreffende politische System
sind. Eng damit ist zum einen die Frage verknüpft, in welchem Verhältnis die spezifischen
Elemente informaler Politik zu denen formalen Art stehen – stehen sie zueinander in
Konkurrenz, sind sie kompatibel oder sogar komplementär?22
Zum anderen knüpft daran die Frage nach den Auswirkungen der spezifischen Elemente
informaler Politik auf das politische System im Allgemeinen und die Parteientätigkeit im
Besonderen an. Mithin ist zu beantworten, welche Implikationen die informale Politik für die
Stabilität, Legitimität und Effektivität des betreffenden demokratischen Gemeinwesens bzw.
die Verantwortlichkeit (accountability) und die Responsivität der betreffenden politischen
Parteien hat. Letztlich geht es also darum zu ermitteln, wie sich die Existenz informaler
Elemente der Politik auf die Qualität der Demokratie auswirkt.
Eine weitere Fragestellung betrifft schließlich die Perzeption von Elementen informaler
Politik durch die politischen Akteure und die Bevölkerungen in den einzelnen Ländern und
Regionen. So ist es a priori nicht auszuschließen, dass beispielsweise klientelistische
Strukturen, die Praktizierung von Magie und Hexerei im politischen Bereich oder auch
verallgemeinerte Korruption hier und da auf Toleranz, wenn nicht sogar Zustimmung stoßen.
Alles in allem ergibt sich so ein weites und offenkundig fruchtbares Feld für die weitere
Forschung zum Gegenstand der informalen Politik.
22
Siehe dazu auch Abschnitt 4 in dem nachfolgenden Artikel von Nolte.
21
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AP (Dezember 2000)
- Dimensionen politischer Repräsentation und Interessenvermittlung durch Parteien im
interregionalen Vergleich: Eine Problemskizze Joachim Betz / Patrick Köllner
Verantwortlich für den Inhalt: Prof. Dr. Joachim Betz
Die Arbeitspapiere informieren über die Fortschritte in den einzelnen Forschungsgruppen des
Deutschen Übersee-Instituts. Sie stellen also Werkstattberichte dar, die zur Diskussion und Kritik
anregen wollen.
Bisher erschienen:
AP (12/2000)
Dimensionen politischer Repräsentation und Interessenvermittlung durch Parteien
im interregionalen Vergleich: Eine Problemskizze
Detlef Nolte in Zsm.arbeit mit Joachim Betz, Gero Erdmann und Patrick Köllner
AP (12/2000)
Informale Politik im internationalen Vergleich: Ein Forschungsaufriss
Joachim Betz / Patrick Köllner
Generell wird die Forschungsarbeit des Deutschen Übersee-Instituts, soweit sinnvoll und möglich,
zu Forschungsschwerpunkten verdichtet. Dabei stehen Aktualität, regionale und überregionale
Relevanz und Forschungsbreite grundsätzlich vor langfristigen und theoretisch abstrahierenden
Spezial- und Generalanalysen.
Aktuell existieren folgende Forschungsgruppen:
1. Globalisierung und Politiken sozialer Entwicklung auf nationaler und transnationaler Ebene
2. Parteien im Spannungsfeld formaler und informeller Politik
3. Internationale Medien und politische Kommunikation
4. Krisenprävention und peace-building
5. Süd-Süd-Kooperation
Nähere Informationen über die Forschungsarbeit des Deutschen
Übersee-Instituts erhalten Sie in unserem Online-Angebot.
Dort sind die Arbeitspapiere vollständig online gestellt und können
kostenfrei als Printausgabe ebenso bestellt werden wie alle anderen
entgeltlichen Publikationen des Forschungsverbundes.
Der Verbund Deutsches Übersee-Institut betreibt anwendungsorientierte Forschung, Beratung und
Dokumentation auf dem Gebiet der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Entwicklungen in den Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und des Nahen und Mittleren
Ostens sowie der Nord-Süd- und Süd-Süd-Beziehungen.
Das DÜI umfasst das Institut für Afrika-Kunde, Institut für Asienkunde, Institut für IberoamerikaKunde, Deutsches Orient-Institut, Institut für Allgemeine Überseeforschung sowie die ÜberseeDokumentation.
DEUTSCHES ÜB ERSEE- INSTITUT
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