Forschungsprozess, Forschungsstand, Forschungsfrage Forschungsdesign (Pol 600) Wintersemester 2016/17 Dr. Sven Leunig Forschung Rückblick: - Relevante Forschung setzt einen wissenschaftlich bislang noch nicht bearbeiteten Gegenstand oder die erneute Betrachtung eines bereits untersuchten Gegenstands unter einer neuen Perspektive bzw. mit anderen Methoden im Wege der Primär- oder Sekundäranalyse voraus. 2 Forschungsthema → Wie kommt man Forschungsthema? a) Skandalisierung: Aufgreifen von normativ als Missstände empfundenen politischen Gegebenheiten (Krieg, Armut etc.) Identifikation neuer politischer Phänomene (z.B. neue Kriege, Auftreten einer neuen Partei) bzw. Probleme Identifikation wissenschaftlicher Rätsel (empirische Beobachtungen, die sich mit Alltagswissen und Standardtheorien der Disziplin nicht erklären lassen → b) c) zu Voraussetzung: Theoriekenntnisse Forschungsstand) d) einem bzw. geeigneten Kenntnis über Überprüfung bislang ungetestet theoretischer Hypothesen bzw. Anwendung von Theorien auf neue Themen 3 Forschungsthema → Wie kommt man Forschungsthema? zu einem geeigneten e) Theoriekonkurrenz bzw. Theorienkritik: Anwendung/Überprüfung alternativer Theorien (Erklärungskraft!) zu bereits bekannten und untersuchten Phänomenen f) Theoriediskussion vgl. Stykow 2010: 125-130; Lehnert/Miller/Wonka 2007: 42f. 4 Forschungsthema → Hier z.B. b) Identifikation neuer politischer Phänomene bzw. Probleme auf der Basis politischer Ereignisse/Diskussionen der Gegenwart: Ereignis: 23. April 2010: Griechische Regierung beantragt bei IWF, EZB und EU Finanzhilfen, Umfang: insgesamt 45 Mrd. Euro, davon 30 Mrd. von der EU, 15 Mrd. vom IWF, → gewährt werden am 7. Mai 110 Mrd., davon 80 Mrd. von EU; 30 Mrd. IWF, Laufzeit bis 2013 Neues Politisches Problem? Ja, weil 1. 2. Haushaltspolitik (Fiskalpolitik) ungeachtet ihrer engen Verknüpfung mit der Ökonomie eines Landes ein dezidiert politisches Thema ist, die Entscheidung der Gewährung von Krediten bzw. Bürgschaften erhebliche innenpolitische Diskussionen in den Geberländern ausgelöst hat (Verwendung von Steuereinnahmen für die Stützung eines anderen Staates!) 5 Forschungsfrage → (vorläufige) Forschungsfrage: „Was sind die Gründe für die Fiskalkrise Griechenlands 2009?“ vorläufig! → Erhebung des Forschungsstandes! → endgültige Forschungsfrage! Warum vorläufig? Forschungsfrage könnte bereits beantwortet sein (→ ggf. Irrelevanz der Fragestellung) Ergebnis: Forschung vertritt vielfach die These, dass Staat, Gesellschaft (und Ökonomie) Griechenland von klientelistischen Strukturen geprägt sind, in denen letztlich die Ursache der griechischen Fiskalkrise zu suchen sind! „Problem“: These weitgehend intuitiv bzw. auf der Basis theoretischer Plausibilitätsüberlegungen begründet → empirische Basis?! 6 Forschungsrelevanz • Wichtig: die notwendige wissenschaftliche Relevanz einer Untersuchung ist nur dann gegeben, wenn sich die aus dieser Untersuchung gezogenen Schlüsse absehbar in eine bereits vorhandene Theorie einordnen lassen (verifizierend/falsifizierend), oder aber denkbar ist, dass sich aus ihr neue theoretische Überlegungen ableiten lassen, die dann ihrerseits weitere politische Probleme erklären können! • hier: beides denkbar, theorieerweiternder Anschluss an die Klientelismusforschung zumindest möglich + methodisch alternative Absicherung des bisherigen Wissenstandes Forschungsfrage(n) → endgültige Forschungsfrage: „Ist systemischer politischer Klientelismus die Ursache für die Finanzkrise in Griechenland seit 2009? Systemischer politischer Klientelismus = Verhaltenserwartungen und -muster einer Bevölkerung gegenüber ihrer staatlichen Verwaltung sind überwiegend partikularistisch geprägt; Klientelismus ist daher als informale Institution anzusehen, daraus resultierende informale politisch-gesellschaftliche Strukturen überlagern weitgehend die formalen Institutionen und Entscheidungsprozesse → untergeordnete Fragen: – a) Was ist Klientelismus? (Position der Forschung) – b) Was sagt die Forschung zu Zusammenhängen zwischen Klientelismus und Fiskalkrisen bzw. zu fiskalpolitischem Verhalten von Regierungen? – c) Liegt in Griechenland Klientelismus vor? 8 Forschungsprozess Zu b) Forschungsergebnisse/theoretische Ansätze? • • Problem: bisherige Forschung hat entweder ungeeigneten Fokus (andere Region, andere Forschungsfrage) oder ist auf der Mesoebene angesiedelt (Parteien) → zur Formulierung von Hypothesen kaum, zur Erstellung des Forschungsdesigns nur bedingt geeignet → Formulierung eigener theoretischer Annahmen oder Verzicht auf theoriegeleitete Forschung (explorative Untersuchung mit Ziel der Theoriebildung)! Lektüre aber zum Teil sinnvoll, um sich a) über Definitionen und Konzepte Indikatoren zu erschließen, b) Anregungen zur Operationalisierung der Indikatoren zu holen bzw. sich für geeignete Methoden entscheiden zu können (qualitative oder quantitative Vorgehensweise?) 9 Klientelismus als makrosoziologische Struktur Art der Zielsetzung der Arbeit: • „deskriptiv“: Werden die Erwartungs- und Verhaltensmuster der Bürger in Griechenland von klientelistischen (partikularistischen) Vorstellungen dominiert? Wenn ja: • kausalanalytisch: Gibt es in Griechenland einen Zusammenhang zwischen Klientelismus (unabhängige Variable, explanans) und Staatsverschuldung (abhängige Variable, explanandum)? Wenn nein • explorativ: andere erklärende Variablen erkennbar? 10 Forschungsprozess Nächster Schritt bei Forschungsarbeit: Forschungsdesigns der Konzipierung Erstellung einer des Frage: Wie muss ich vorgehen, um meine Forschungsfrage sinnvoll und wissenschaftlich fundiert zu beantworten? → Definition des Untersuchungsgegenstandes / des empirischen Referenten (systemischer politischer Klientelismus) auf der Basis der Forschung → Formulierung geeigneter Indikatoren zur möglichst präzisen Erfassung der Ausprägung des empirischen Referenten, auf der Basis bisheriger Forschung/theoretischer Konzepte im Bereich Klientelismus → Operationalisierung der Indikatoren 11 Forschungsdesign → vorläufiges Forschungsdesign für diese Studie: 1. Beschreibung der Situation in Griechenland 2. Darstellung des Forschungsstandes + ggf. erste Hypothesenformulierung 3. Definition des Begriffs des systemischen politischen Klientelismus + Erweiterung der Hypothesen 4. Indikatorenbildung und Operationalisierung der Indikatoren (Auswahl und Begründung des methodischen Vorgehens) 5. Anwendung auf das Untersuchungsobjekt + ggf. abschließende Hypothesenformulierung Forschungsdesign 2.+3. Hypothesenbildung auf der Basis des Forschungsstandes Basis: Annahmen über Struktur und Bedingungen des systemischen politischen Klientelismus! → a) Was ist Klientelismus? → Forschung?!: „freiwillige, informale, dyadische, dauerhafte und diffuse Struktur zwischen zwei Individualakteuren bzw. abgrenzbaren Gruppen/Kategorien von Akteuren, ggf. unter Einbeziehung eines Brokers ohne eigene Macht. Es besteht ein asymmetrisches Verhältnis zwischen beiden Akteuren beruhend auf Status bzw. der unterschiedlichen Verfügungsgewalt über Ressourcen, wobei der Patron über spezielle Ressourcen verfügt und aufgrund deren dem Klienten Vorteile gewährt, während dieser ihm dafür Unterstützung zusichert. In der Regel wird dies als Tauschverhältnis betrachtet. Geprägt wird die Beziehung durch eine häufig affektive, in jedem Fall partikularistische Orientierung beider Akteure unter Bezug auf eine spezielle Bindung zwischen ihnen“ → politischer Klientelismus? Forschungsdesign 2.+3. Hypothesenbildung auf der Basis des Forschungsstandes → politischer Klientelismus? (Forschung!) mikrosoziologische Perspektive: • Akteure (in Demokratien): Bürger/Mitglieder von Verbänden, Parteien/Wähler • mit asymmetrischem Machtverhältnis und Unterstützung/Wahl, ggf. Spenden • Inhaber politischer Macht (Mandatsträger)/Parteien/Politiker aber auch Verwaltungsbeamte Macht über staatliche Ressourcen (z.B. Schaffung von Arbeitsplätzen, Genehmigung von Vorhaben, geldwerte Vorteile etc.) partikularistischer Tauschbeziehung auf affektiver Basis ( = gesellschaftlich bzw. politisch miteinander verbundene Klienten und Patrone tauschen jeweilige Ressourcen unter Missachtung formeller, universalistischer Normen aus) Forschungsdesign 2.+3. Hypothesenbildung auf der Basis des Forschungsstandes → politischer Klientelismus? (Forschung!) makrosoziologische Perspektive (systemischer politischer Klientelismus): Verhaltenserwartungen und -muster einer Bevölkerung gegenüber ihrer staatlichen Verwaltung sind überwiegend partikularistisch geprägt; Klientelismus ist daher als informale Institution anzusehen, daraus resultierende informale politisch-gesellschaftliche Strukturen überlagern weitgehend die formalen Institutionen und Entscheidungsprozesse. Bedingungen („Hypothesen“): → 1. politisch-klientelistische Akteurskonstellationen auf individueller Ebene müssen so weit verbreitet vorhanden sein, und 2. politisch-klientelistische, partikularistische Tauschbeziehungen müssen so häufig auftreten, dass sie 3. die Verhaltenserwartungen und –muster der Bevölkerung so maßgeblich prägen, dass diese die formalen Institutionen und Entscheidungsprozesse überlagern. Forschungsdesign 2.+3. Hypothesenbildung/Konzeptionalisierung → Basishypothese: Vorliegen eines systemischen politischen Klientelismus als Ursache für Schuldenkrise in Griechenland! Wie lässt sich dies untersuchen? 1. 2. 3. Ist das Vorliegen der Bedingungen für politisch-klientelistische Akteursbeziehungen in Griechenland theoretisch anzunehmen? Das Vorliegen asymmetrischer Machtverhältnisse zwischen Bürgern/Wählern und Politikern/Beamten ist generell als plausibel anzunehmen. Lässt sich die empirische Evidenz politisch-klientelistischer Beziehungen in Griechenland nachweisen? Lässt sich die Dominanz politisch-klientelistischer Beziehungen im politischen System Griechenlands nachweisen? Forschungsdesign 4. Konzeptionalisierung/Indikatorenbildung 2. Lässt sich die empirische Evidenz politisch-klientelistischer Beziehungen in Griechenland nachweisen? 3. Lässt sich die Dominanz politisch-klientelistischer Beziehungen im politischen System Griechenlands nachweisen? Dominanz: Verhaltensmuster und –erwartungen in der Gesellschaft müssten überwiegend von politischem Klientelismus geprägt sein → Nachweis? a) Auswertung von Sekundärliteratur – gibt es verlässliche Studien, die dieser Frage nachgegangen sind? b) quantitativ: Befragung eines möglichst großen Teils der Bevölkerung mittels eines standardisierten Fragebogens c) qualitativ: Befragung ausgewählter Experten mittels leitfadengestützter Interviews → Zur Formulierung der Fragen Indikatorendefinition notwendig, da Frage zu komplex/allgemein, als dass verwertbare Antwort zu erwarten sind! Literatur/Quellenangaben • Stykow, Petra/Christopher Daase/Janet MacKenzie/Nikola Moosauer (2010): Politikwissenschaftliche Arbeitstechniken 18