Die Systemtheorie von Niklas Luhmann

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Universität Augsburg
Lehrstuhl für Soziologie
PS: Einführung in Soziologische Theorien
Dozent: Fabian Karsch, M. A.
Referent: Birol Gücyeter
WS 2006/07, Datum: 27.11.06
Systemtheorie II: Die Systemtheorie von Niklas Luhmann
1. Biographie:
1927 in Lüneburg geboren.
1946 - 49 Jura Studium in Freiburg.
1950, 2. Staatsexamen und ein Jahr im Oberverwaltungsgericht Lüneburg tätig.
1954 – 60 arbeitet er in der Verwaltung als Oberregierungsrat und Landtagsreferent im
niedersächsischem Kulturministerium.
1960 – 61 Studium an der Harvard Universität in den USA. Dort lernte er den Begründer des
Struktur-funktionalismus Talcot Parsons kennen.
1961 Abschluss eines Aufbaustudiengangs der Verwaltungswissenschaft in Speyer.
1965 Abteilungsleiter in der Sozialforschungs-stelle in Dortmund.
1966 Promoviert und Habilitiert innerhalb eines Jahres an der Rechts- und
Staatswissenschaftlichen Fakultät Münster bei H. Schelsky.
1968 – 93 Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Uni Bielefeld.
1998 Tod in der Nähe von Bielefeld.
2. Theorie sozialer Systeme
Luhmanns Hauptwerk ist komplex, differenziert und die thematische Vielfalt ist hoch.
Seine Theorie erhebt einen Universalitäts- aber keinen Absolutheitsanspruch.
Ausgangspunkt für die eigene Theorieentwicklung Luhmanns war Parsons` struktur –
funktionalistischer Ansatz.
1. Phase: Von Beginn / Mitte der 60`er Jahre
2. Phase: Anfang der 80`er Jahre
3. Funktional-strukturelle Systemtheorie
Kritik eines heimlichen Konservatismus an Parsons` strukturell - funktionale Systemtheorie:
Bestandserhaltung bedeute „Keine Berücksichtigung des sozialen Wandels und des Konfliktes.“
Festhalten Luhmanns am Systemtheoretischen Paradigma und der Versuch einer
Mängelbeseitigung und Generalisierung der Parsonsschen Theorie: Die funktional – struktuelle
Systemtheorie.
Soziales System:
Sinnzusammenhang von aufeinander verweisenden sozialen Handlungen (in der 2. Phase
Kommunikationen) , der sich von einer Umwelt abgrenzt. Die Welt gilt als oberster Bezugspunkt.
Sie umfasst System und Umwelt.
Ein System ist komplex, wenn es mehr als einen Zustand annehmen kann.
Komplexität meint die Gesamtheit der möglichen Zustände.
Die Weltkomplexität ist oberste Grenze.
Reduktion von Komplexität:
Die zentrale Funktion von sozialen Systemen, die Gesamtheit der in der Welt möglichen
Ereignisse einzuschränken. Beispiel: Soziales System Zahnarzt.
„Soziale Systeme bilden Inseln geringer Komplexität, in einer überkomplexen Welt“
Je größer die Eigenkomplexität eines sozialen Systems ist, desto einfacher ist es für sie die
Weltkomplexität zu reduzieren. D.h. sie können auf wechelnde Umweltbedingungen besser
Reagieren. Operationsart: System/Umwelt – Differenz
Äquivalenzfunktionalismus:
Eine vergleichende Methode, die ausgewählte Bezugsprobleme daraufhin untersucht, durch
welche funktionalen Äquivalente eine Problemlösung ermöglicht wird.
d.h., Probleme mit der Möglichkeit alternativer Lösungen zu analysieren.
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Untergliederung des allgemeinen sozialen Begriffs in drei konkrete soziale Systeme:
1. Interaktionssysteme:
- Wenn Anwesende Handeln. z.B. Universitätsseminar
2. Organisationssysteme:
- Wenn die Mitgliedschaft an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. z.B. Universität
3. Gesellschaftssysteme:
- Summe aus allen Interaktionssystemen und Organi-sationssystemen in einer Gesellschaft.
Und mehr als nur die Summe: „ein System höherer Ordnung, ein System Anderen Typs
4. Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie
Um 1980 vollzieht sich in Luhmanns Theorie eine Paradigmenwechel, die sogenannte
„autopoietische Wende“. Die offenen Systeme werden durch autopoetische Systeme ersetzt.
Der Begriff Autopoiesis stammt aus der Biologie.
In den 60`ern und 70`ern, gewannen die chilenischen Biologen und Neuropsychologen,Humberto R., Maturana und Francisco J.Varela neue Erkenntnisse über lebende
Organismen, die sich aus sich selbst heraus reorganisieren und reproduzieren ohne auf die
Umwelt angewiesen zu sein.
Luhmann benutzt die Begriffe Autopoeis, Selbstreferenz und Selbstorganisation Synonym.
Autopoiesische Systeme sind operational geschlossene Systeme, die ihre Komponenten in
einem rekursiven Prozess selbst herstellen. Geschlossenheit ist dabei nicht das Gegenteil sondern
Bedingung für Offenheit.
5. Die Autopoesis psychischer Systeme
Psychische Systeme sind autopoietische Systeme, deren nicht weiter auflösbare Letzteincheiten
Gedanken bzw. Vorstellungen sind. Die Bewusstseinselemente haben Ereignischarakter, d.h.
Sie sind nur von kurzer, momentaner Dauer. Operationsform: Gedanken
“Die Autopoisesis des Bewußtseins, ist das Fortspinnen mehr oder minderklarer
Gedanken”
Das Bewußtsein Produziert in einem rekursivem Prozess Gedanken aus Gedanken und ist dabei
auf das Gehirn angewiesen
Emergenz bezeichnet das Auftreten einer qualitativ neuen Ordnungsebene, deren
Eigenschaften nicht aus den Eigenschaften des materiellen und energetischen Unterbaus erklärt
werden können. Beispiel: Das Bewusstsein bildet dem Gehirn gegenüber eine emergente
Ordnungsebene.
Strukturelle Kopplung bezeichnet eine spezifische Beziehung zwischen zwei Systemen.
Strukturell gekop-pelte Systeme sind aufeinander angewiesen, aber zu-gleich operieren sie
autonom, sie bleiben füreinander also Umwelt. Beispiel: Gehirn und Bewußtsein
6. Soziale Systeme als emergente Ordnungsebene
Soziale Systeme sind autopoietische Systeme, die in einem rekursiv geschlossenem Prozeß
fortlaufend Kommunikation aus Kommunikation produzieren. Das soziale bildet eine
eigenständige, emergente Ordnungsebene. Das soziale besteht also nicht aus Menschen.
Operationsart: Kommunikation
„Der Mensch kann nicht kommunizieren nur die Kommunikation kann kommunizieren
Der Mensch ist keine autopoietische Einheit, sondern er besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Systemarten. Er ist Umwelt von Systemen.
Das psychische System besitzt in der Umwelt sozialer Systeme die priviligierte Position ,
Kommunikation irritieren oder reizen zu können.
Soziale und psychische Systeme verarbeiten Komplexität in der Form von Sinn.
Unter Sinn wird das fortlaufende Prozessieren der Differenz von Aktualität und Möglichkeit
verstanden. Sinn ist somit ein selbstreferetielles Geschehen:
Sinn verweist ständig auf Sinn und nicht auf nicht-Sinn. Er hat einen instabilen Aktualitätskern.
Das aktualisierte stumpft ab und wird durch die nächste Anschlussmöglichkeit aktualisiert.
Sinn ist Voraussetzung für psychische und soziale Systemoperationen.
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7. Kommunikation und Handlung
Kommunikation bildet einen dreistelligen Selektionsvorgang, die die Komponenten
Information, Mitteilung und Verstehen miteinander synthetisiert.
Beispiel: Artzt - Patient – Gespräch
Soziale Systeme sichern sich interne Anknüpfungspunkte für weitere Kommunikationen
dadurch, dass sie Kommunikation auf Mitteilungshandlungen reduzieren und einzelnen Personen
zurechnen.
Personen sind somit konstruierte Einheiten, die der Verhaltenserwartung und der Zurechnung
dienen, keineswegs aber psychische Systeme oder gar komplette Menschen.
Struktur und Prozess sind zwei Formen der Selektionsverstärkung in sozialen Systemen.
Strukturen erfüllen diese Funktion durch Ausschluss, Prozesse erreichen eine Vorselektion durch
die Auswahl passender Anschlussmöglichkeiten.
8. Beobachten
Beobachtung ist eine Operation, die aus den beiden Momenten der Unterscheidung und der
Bezeichnung besteht. Etwas beobachten heißt somit, etwas im Rahmen einer Unterscheidung
bezeichnen.
Jede Beobachtung ist an einen blinden Fleck gebunden. D.h., der Beobachter benutzt eine
Unterscheidung, die er mit Hilfe dieser benutzten Unterscheidung aber unmöglich bezeichnen
und somit nicht beobachten kann.
Die Beobachtung des Beobachten, d.h. die Beobachtung zweiter Ordnung, ist ebenfalls
Beobachtung und ist darum ebenfalls an einen blinden Fleck gebunden.
Aber anders als der Beobachter erster Ordnung kann der Beobachter zweiter Ordnung die
Relativität seiner eigenen Beobachtungsoperationen beobachten. Er kann sehen, dass er nicht
sehen kann, was er nicht sehen kann.
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Quellen:
Kneer, G / Nassehi, A (1994): Niklas „Luhmann Theorie sozialer Systeme“ , S. 33 - 110
Margrott Berghaus, Böhlau UTB Verlag, Köln, Weimar, Wien (2004) 2. Auflage:
„Luhmann leicht gemacht“
Anette Treibel, Leske + Budrich UTB Verlag, Opladen (1995) 3. Auflage: „Einführung in die
soziologischen Theorien der Gegenwart“ ,
S. 19 - 44
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