2.1 Der Weg von Einwortäußerungen zu Zwei-, Drei- und Mehrwortäußerungen Der Weg von Ein- zu Mehrwortäußerungen erfolgt allein auf Grundlage der Vergrößerung des Wortschatzes, da dieser das Material der Kinder für die Bildung von Sätzen ist. Betrachtet man die grammatische Entwicklung als einen quantitativen Entwicklungsprozess, wird dieser in Ein-, Zwei-, Drei- und Mehrwortäußerungen unterteilt. „Ein-, Zwei- und Dreiwortäußerungen sind so lange asyntaktische Wortreihungen, solange die kombinierten informativen Elemente nicht markiert, zu Wortgruppen gegliedert und nach muttersprachlichen Regeln im Satz positioniert werden.“1 Dem stimmt auch GADLER zu, der ergänzt, dass Äußerungen, welche nur aus unbedachten Phonfolgen bestehen, keinen Inhalt aufweisen. Der Prozess der Bildung von Mehrwortäußerungen ist eng mit der Entwicklung von Syntax, die über Komponenten der Grammatik informiert, welche für die Verknüpfung von Wörtern zu Sätzen notwendig ist, der Semantik, welche sich mit der Bedeutung von Wörtern und Sätzen beschäftigt und der Morphologie, deren Phoneme als bedeutungsunterscheidende Sprachzeichen definiert sind, verknüpft. KANNENGIESER berichtet, dass Spracherwerbsforscher wie Clashen davon ausgehen, dass die Vorläufer der Syntax aus der Aneinanderreihung und Wiederholung von Wörtern oder die Kombination von einer Wortäußerung mit einer Geste bestehen. Die Wortklassen der Nomen, Verbpartikeln, Adverbien und Demonstrativa stellen meist Einwortäußerungen nach der Behauptung von SZAGUN dar. „Es gibt auch Wörter, die in der Erwachsenensprache der Klasse der Verben und Adjektive angehören: puste, heiß […].“2 Doch SZAGUN betont, dass in diesem Stadium der Kindersprache die genannten Wortklassen noch nicht unterschieden werden können. Das Verneinungswort “nein“ hat, nach SZAGUN, als Einwortäußerung nicht die Negation einer Aussage als Bedeutung. „[Es ist] volitional und bedeutet, dass das Kind etwas abwehrt oder ablehnt.“3 Die Zweiwortäußerungen, welche nach KANNENGIESER und SZAGUN ab einem Alter von etwa 18. Monaten unter der Voraussetzung eines aktiven Wortschatzes von circa 50 Wörtern und nach DIEKMEYER von etwa 80 bis 130 Wörtern produziert werden, haben, so SZAGUN, eine große semantische Funktion für deutschsprachige Kinder. KANNENGIESER als auch SZAGUN sind sich einig, dass man von einer grammatischen Struktur sprechen kann, wenn ihre Satzkonstruktionen unterschiedliche Funktionen aufweisen. SZAGUN unterscheidet verschiedene semantische Funktionen von Zweiwortäußerungen. Das “Vorhandensein“, das Kind will aussagen, dass eine Person oder ein Objekt da ist; das “NichtVorhandensein“, das Kind erwähnt also nach SZAGUN und KASTEN, der als Beispiele “Papa wegfahren“ oder “Tick-tack kaputt“ verwendet, Gegenstände oder Personen, die gerade abwesend sind; das “Wieder-Vorhandensein“, was bedeutet, dass ein Objekt oder eine Person wieder im Blickfeld des Kindes ist oder das eine Handlung wiederholt wird.4 Des Weiteren übernimmt diese Form der Äußerung die Funktion als “Handlungsträger und Handlung“, als “Objekt und Handlung“, als “Besitzer und Besitz“, als “Lokalisierung“ und als “Attribution“5 Beispiele für die einzelnen Funktionen von Zweiwortäußerungen können in der Anlage IV nachgelesen werden. Nach DIEKMEYER bestehen solche Äußerungen aus einem Hauptwort und einem Eigenschafts- oder Tätigkeitswort. SZAGUN fügt hinzu, dass Kinder an Stelle eines Substantivs häufig ein Pronomen einsetzen. Diese sind meist Artikel, die als Pronomen und Allzweckwörter wie “das“ und “da“ gebraucht werden. So ist es den Kindern möglich auszudrücken, was sie wollen, auch wenn das entsprechende inhaltliche Wort noch nicht in 1 Kannengieser 2012, S.144 Szagun 1991, S.31 3 Ebd. S.31f. 4 Vgl. Szagun 1991, S.32f. 5 Vgl. ebd. 2 ihrem Wortschatz enthalten ist. Doch KASTEN betont, dass die verwendeten Ein- und Zweiwortäußerungen meist nur von engen Bekanntschaften, die mit dem Sprachgebrauch des Kindes vertraut sind, verstanden werden. Dem stimmt auch SZAGUN zu. Die Wortstellung in Zweiwortäußerungen ist zu großen Teilen variabel, doch die Endstellung des Verbs dominiert. Dafür zeigt SZAGUN folgende Gründe auf: „Einmal finden sich in der Sprache der Eltern an Kinder viele Fragen und Aufforderungen, - und diese haben Verbendstellung. Zum zweiten neigen Kinder dazu, ihre Aufmerksamkeit auf das Wortende bzw. Satzende zu richten […].“6 Damit aber nun die Sätze des Kindes an Länge zunehmen, werden nicht nur mehr Wörter, wie nach DIEKMEYER Pronomina, an den Satz angereiht, sondern das Kind lernt die Wörter in einer korrekten Form systematisch zu verändern. SZAGUN behauptet, dass dieser Weg von Zweiwortäußerungen zu Mehrwortsätzen innerhalb von einigen Monaten zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr erfolgt. Dieser Schritt in der Entwicklung geschieht also zur selben Zeit wie der Vokabelspurt, welcher im Kapitel 3.1.1 näher erläutert wird. KANNENGIESER sieht in der Verlängerung der Äußerungen folgende Ursachen: „… Vollverben [werden] in diesem Stadium ans Äußerungsende gestellt. Somit […] bekommen [diese] auch die Ordnung von Sätzen. Bis zum Alter von etwa 3 Jahren gehen auch vorher typische Auslassungen von obligatorischen Satzgliedern sowie Funktionswörtern zurück.“7 Die Äußerungslänge, so KANNENGIESER, wird gemessen als durchschnittliche Anzahl von Morphemen und wird als MLU bezeichnet. Der MLU stellt die Komplexität der Morphologie, das bedeutet die Verwendung von Flexionsmorphemen, als auch den syntaktischen Umfang dar. Der Bereich der Flexion beschäftigt sich nach GADLER mit der Konjugation von Verben, der Deklination der Nomen und der Komparation der Adjektive. Die Aufgabe besteht darin, einzelne Lexeme mit Elementen der Flexion zu verbinden. Diesen werden so zusätzliche syntaktische und semantische Merkmale zugeordnet. „[Das Kind] lernt gewissermaßen Syntax und Semantik schrittweise, indem es erlernte Strukturen auf andere Wortkombinationen anwendet.“8 SZAGUN ergänzt, dass semantische Beziehungen zwischen Wörtern auf Objekte, Personen, Handlungen, die in der außersprachlichen Situation in Beziehung stehen, basieren. Als syntaktische Beziehung bezeichnet man, wenn diese auf der Funktion der Wörter innerhalb des Satzes beruht. Nach SZAGUN erlernen Kinder zwischen zwei bis vier Jahren die meisten Flexionsmorpheme und auch KANNENGIESER erläutert, dass der Beginn von Flexionen am Anfang des zweiten Lebensjahres einzugliedern ist. Flexionsmorpheme weisen unterschiedliche Strukturierungen auf. „Sie treten in synthetischen (einfachen) Formen (klopf-st) und in analytischen (zusammengesetzten) Formen (hast geklopf-t) auf. […] Zu den […] Formen ist noch anzumerken, dass im ersten Fall die Strukturelemente des Wortes in einer komplexen morphologischen Form zusammengefasst sind und im zweiten sind die Strukturelemente auf mehrere formal selbstständige Elemente verteilt.“9 Die dritte Unterscheidung ist die innere Flexion oder auch Phonembeziehungsweise Graphemänderung genannt. Der Name wurde nach GADLER gewählt, da durch Ab- und Umlaute eine Veränderung im Wortinneren vorgenommen wird. Sowohl SZAGUN als auch KANNENGIESER zeigen auf, dass der Erwerb von Verbflexionen, also Konjugationen, mit wenigen Schwierigkeiten erfolgt. „Einheitsformen wie der Verbstamm werden aufgegeben, und Flexive wie das –t für die Personenmarkierung treten auf.“10 SZAGUN entnimmt aus der Analyse von Millers Daten von 1976, dass in Zwei- und Dreiwortäußerungen das Verb, welches die Konjugation der dritten Person Singular Präsens mit der Endung –t aufweist, dominiert, wenn es in zweiter oder dritter Position im Satz steht. 6 Szagun 1991, S.34 Kannengieser 2012, S.150 8 Eggers, Lempp, Nissen, Strunk 1994, S.179 9 Gadler 1998, S.101 10 Kannengieser 2012, S.150 7 Mehr und mehr treten Satzgefüge bestehend aus Haupt- und Nebensätzen auf. Der sprachliche Fortschritt wird auch deutlich, wenn man die Nutzung des Wortes “nein“ als Einwortäußerung, wie zu Beginn beschrieben und nun im Zusammenhang mit anderen Wörtern betrachtet, wo die Verneinung von einer korrekten Wortstellung charakterisiert ist und so auch als formal korrekt markiert gilt. Clashen unterscheidet drei Phasen bei der Verneinung, nachdem als Negationswort “nicht“ und nicht mehr “nein“ verwendet wird: “Nicht “ kann vor und nach dem Verb stehen; es kann von den verbalen Elementen getrennt werden oder bei Ja/Nein - Fragen stellt sich die Inversion von Subjekt und Verb ein.11 Der Weg von Ein- zu Mehrwortäußerungen des Kindes ist eng mit der grammatischen Entwicklung verflochten. Die Kinder lernen ihr Sprachmaterial, den Wortschatz, so anzuwenden und umzuformen, was beispielsweise die Konjugation der Verben beinhaltet, dass ihre Äußerungen die Ordnung von Sätzen erlangen, da sonst nur bloße Aneinanderreihungen von Wörtern zu vermerken sind, welche nicht als Mehrwortäußerung bezeichnet werden dürfen. Die anfangs gestellte These ist somit nur teilweise korrekt. Der Wortschatz, ein Bereich der Semantik und die Syntax werden miteinander verknüpft. Die Wörter werden zu korrekten Sätzen, je nach Bedeutungsinhalt zusammengefügt. Der Wortschatz allein kann nicht als die alleinige Voraussetzung zur Bildung von Mehrwortäußerungen bezeichnet werden, da die Sprachentwicklung auf vielen kleinen Bausteinen basiert. Natürlich treten dabei noch viele grammatische Fehler auf, welche natürlich und normal sind. Diese Mehrwortsätze finden mehr und mehr pragmatisch korrekte Anwendung. Die Kinder erlernen Kenntnisse über verschiedene bestehende Sprachstile. Zu diesen bestehenden Sprachstilen zählen beispielsweise das Alltagsgespräch und Höflichkeitsregeln. Um nun aber dieses neue Mittel der Kommunikation, die Mehrwortäußerungen, anzuwenden, muss in Verknüpfung mit einem anwachsenden Wortschatz das Kind die Bedeutung und Anwendung von muttersprachlichen syntaktischen Regeln verstehen. 11 Vgl. Szagun 1991, S.39f.